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bittere Vergangenheit, enge Freundschaft, grosse Liebe

Neufassung
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen! Ab diesem Kapitel wird sich die Story grundsätzlich aus Kais Sicht abspielen, weil es der Autorin sonst zu kompliziert geworden wäre ;) Ich denke, Tysons Standpunkt ist soweit klar, aber sollte sich jemand daran stören: ich bin offen für Kritik.

Viel Spass beim Lesen! Komplett anzeigen

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Nächtlicher Besucher

Das Zuschlagen der Eingangstür liess Kai aus seinem geruhsamen Schlaf, im Liegestuhl hinter dem Haus, hochfahren. Eiligst schnappte er sich sein bereitgelegtes Buch, schlug es auf und gab den Anschein, den Nachmittag mit lesen verbracht zu haben.
 

«Kai du Langweiler, sag mir nicht, dass das dein Plan für den Nachmittag war?», stürzte auch schon Tyson durch die Schiebetür in den Garten und baute sich vor ihm auf, «Da hättest du echt mit uns kommen können – du hast die beste Tour des Jahres verpasst! Einer der Kellner hat uns angeboten etwas die Stadt zu zeigen und dann ist er mit uns rausgefahren und wir konnten Biberratten streicheln!», funkelten seine Augen voller Begeisterung.
 

«Sicher, dass du dir dabei keine Tollwut eingefangen hast?», neckte Kai schmunzelnd und erzielte das gewünschte Ergebnis – sofort plusterte Tyson sich auf und besah ihn sich mit erhobener Nase.
 

«Nein! Das waren keine wilden, sondern welche in einem Park – Nypomkaspo-» «Le Parc Myocastors.», half ihm Kenny grinsend auf die Sprünge.
 

Kurz darauf hatte sich die ganze Truppe um Kais Liegestuhl gescharrt und berichteten wildgestikulierend von dem Ausflug mit ihrem neusten Lieblings Franzosen Jaques. Aus den Erzählungen bildete sich vor Kais innerem Auge das Bild eines schlaksigen, hochgewachsenen Mannes, mit markanten Wangenknochen und feinem Schnauzbart, der seine Freunde, einem vorwitzigen Pantomimen ähnlich, durch die Gärten führte. Wie sie sich gegenseitig ständig, mitten in den Sätzen unterbrachen, weil ein wichtiges Detail ausgelassen worden war, fühlte sich Kai, als wäre er mitten drin dabei gewesen und er lauschte den bunten Dialogen, mit einem hartnäckigen Grinsen auf den Lippen.

 

***
 

Zum Abendessen erfand sich ihr kochgewandte Chinese neu und zauberte kurzerhand eine der inländischen Delikatessen auf den Tisch, was in einer, für ihn eigens erdichteten, Hymne endete – kein Schauspiel, das man Liebhabern der musischen Künste zumuten wollte, doch Ray liessen die schiefen Zeilen förmlich dahin schmelzen.
 

Kai hatte vergebens versucht, sich dem Ritual zu entziehen und obwohl er mittlerweile Mühe hatte, einen neutralen Gesichtsausdruck zu wahren, bereute er keine Sekunde davon. Nichts desto trotz überliess er sie ihrem Kartenspiel ohne seine, durchaus erwünschte, Präsenz und begab sich frühzeitig zu Bett.
 

Sein fiebriger Kopf fühlte sich wie in Watte gepackt, der Zustand seiner Wunde war unverändert und eng in sein Lacken gehüllt, drehte er sich unruhig von der einen Seite auf die andere, bis er unter den gedämpften Spielkommentaren, im unteren Stock, langsam wegdämmerte.
 

Ein Schrei liess Kai abrupt hochfahren und einen Moment glaubte er, dass ihm sein Verstand einen Streich gespielt hatte, als ein weiterer folgte. «Na warte, den Mistkerl schnappe ich mir!»
 

«Nicht, wenn ich ihn vorher erwische!»
 

«Tyson, Ray – wartet! Verdammt… Kenny komm schon!», drangen wütende Stimmen an sein Ohr. Gedämpfte Schritte halten durch das Haus und Kai schnappte sich Dranzer, nach einem kurzen Blick auf die leuchtenden Ziffern seines Weckers, der ihm die Mitternachtsstunde verkündete, ehe er hastig dem Radau folgte.
 

Sein Weg führte Kai abermals auf den Sitzplatz hinter das Haus und kaum, dass die nächtliche Luft ihn empfing, erkannte er das Blitzen zweier aufeinandertreffenden Blades – einer davon unverkennbar Rays weisser Tiger, der im fahlen Licht wie ein Blitz über den Boden zuckte. Der andere… Danils. Dieser elende Bastard.
 

«Kai! Der Arsch hat unser Fenster eingeschlagen!», brüllte Tyson ihn zur Begrüssung an und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger wutentbrannt auf den Übeltäter, der mit gehässigem Grinsen an die steinerne Abgrenzung, zum Nachbargebäude lehnte.
 

Behutsam legte Kai dem aufgebrachten Japaner eine Hand auf die Schulter, zwang ihn zur Seite und im nächsten Moment schleuderte Dranzer direkt auf den fremden Blade zu.
 

Der stechende Schmerz hätte Kai kaum weniger interessieren können, zu gewaltig war die grenzenlose Verachtung, die ihn wie eine eiserne Jungfrau umschloss. Er konnte mit Beleidigungen umgehen, mit illegalen Handlungsweisen oder Angriffe aller Art gegen seine Person, ja selbst an stupide Aktionen im Übermut hatte er sich gewohnt, doch wo er den endgültigen Schlussstrich zog, war bei einem Übergriff auf seine Freunde. Niemand vergriff sich an seinem Team – niemand!
 

Mit einem einzigen, präzisen Angriff, gehüllt in einen mächtigen Feuerorkan, zerbrach der rote Kreisel in hundert Einzelteile, die sich im Schein der Flammen, wie ein Rubinregen, in dem sandigen Untergrund verteilten, ehe Dranzer eine abrupte Kehrtwende einlegte, ohne an Kraft zu verlieren, vom Boden abhob und sich zischend in das splitternde Gestein bohrte – keinen Zentimeter von Danils Gesicht entfernt.
 

Schockerstarrt, wanderte erst nur seine Iris zur Seite, ehe der Kopf folgte und sowie Danil, den immer noch drehenden Blade in Rauchschwaden gehüllt erblickte, stolperte er von der Gefahrenquelle weg und landete ungalant auf seinem Hintern – das Gesicht leuchtend weiss, wie der Halbmond über ihnen.
 

Wortlos befahl Kai Dranzer zurück in seine Hand und beinahe wäre ihm der Kreisel entglitten, weil ihm die steifen Finger den Dienst zu quittierten drohten. Nur das Rauschen des Meeres war zu hören, bis Danil Kai mit Adlersaugen ins Visier nahm und genauso plötzlich aufsprang. «Du mieser Dreckskerl!», zischte er aus zusammengepressten, schiefen Zähen, sowie er auf die Überresten seines Blades zu stürzte.
 

«Das hast du dir selbst zu zuschreiben.», entgegnete Kai ungerührt und er spürte wie sich die Blicke seiner Teamkammeraden in seinen Nacken bohrten.
 

Max unsichere Frage, nach der Notwendigkeit solcher Gnadenlosigkeit, blieb unbeantwortet, stattdessen übertönte Danils Gefluche sämtliche Anwesenden. «Nein! Dazu hattest du kein Recht – nicht du! Ich habe dir die Möglichkeit für einen fairen Kampf gegeben, aber du hast sie ignoriert!», brüllte er gehässig und Kais Blick verdunkelte sich ab der lächerlichen Entschuldigung.
 

«Was meint er damit?», trat Tyson neben ihn.
 

«Er ist eingebrochen und hat mir eine Aufforderung zum Duell hinterlassen.», beantwortete Kai, ohne seinen Fokus von dem Eindringling zu nehmen, «Sorry Danil, aber wenn es dir mit einer Herausforderung ernst ist, solltest du dich das nächste Mal an die Vorschriften der BBA halten.»
 

«Darum ging es nie und das weisst du ganz genau! Du hast mir mein ganzes Leben zerstört! Du und deine verfluchte Sippe!», verzerrte sich sein Gesicht in wüste Falten, deren tiefe Schatten seine bodenlosen Wut grotesk unterstrichen und Kai entfloh ein verächtliches Schnauben – wie er es doch satt hatte, sich in egoistische Raster drücken zu lassen!
 

Genau diese irrationalen Schuldzuweisungen, diese verqueren, sich zurechtgelegten Gedanken Konstrukte waren es, die Kai mehr denn alles andere in die Weissglut trieben und er hatte die Schnauze gestrichen voll davon, für die Dummheit Zweiter die Verantwortung übernehmen zu müssen! «Es reicht Danil.», entkam es ihm mit Eiseskälte, die er verloren geglaubt hatte, «Mach mich nicht für dein Elend verantwortlich, nur weil du zu feige bist, dich deinem eigenen Schatten zu stellen.»
 

«Du wagst es?!», sprang der auf, «Ausgerechnet du?! Du warst Boris Schosshündchen, du und dieser Tala! Die ach so tollen Vorzeigejungen, mit all ihren verfluchten Privilegien, während ich mir jeden Tag neu erkämpfen musste und mein Bruder hat dabei sein Leben gelassen! Er hat mich vor euch beschützt und als dank- a-als Da- a-«, brach er erstickt ab, sog stockend die Luft ein und wandte abrupte sein Gesicht von ihnen ab, Lippen und Augen fest aufeinandergepresst.
 

«Und als Dank jagst du irgendwelchen, zerstörerischen Vergeltungswünschen hinterher, statt zu leben
 

Das unterdrückte Schluchzen erstarb in einem spitzen Ton und als Danil sich von der einen, auf die andere Sekunde, wie ein wildes Tier auf seine Beute stürzten wollte, die Hände zu knochigen Krallen gespreizt, waren es Tyson und Ray, letzterer blitzschnell hervorschnellend, die den Rotschopf von Kai fernhielten.
 

«Die Zeiten haben sich geändert,», sprach Kai ungerührt weiter, erwiderte den irren Blick monoton, «trotzdem steckst du in der Vergangenheit fest. Wie lange warst du dort, bis der ganze Laden in die Luft ging? Vielleicht vier Jahre?», schätzte er anhand seines Alters, «Das ist nicht mal die Hälfte von der Zeit, die ich dort abgesessen habe und während du hier rumjamerst und einen Schuldigen für all das Übel suchst, habe ich die Freiheit genutzt – das solltest du auch tun. Wieso bladest du, wenn dieses Kapitel dir so viel Kummer bereitet hat?»
 

Sich auf die Lippen beissend, wandte Danil seinen Blick ab.
 

«Das dachte ich mir.», schüttelte Kai den Kopf, «Such dir ein neues Hobby – eines das dir Spass macht und lass den Mist hinter dir. Du hast so viele Jahre noch vor dir, nutze sie und suche dir eine neue Familie.» So wie sie mich gefunden hat.
 

Als die festen Griffe sich von ihm lösten, blieb Danil mit gesenktem Kopf stehen. Sein Körper zitterte und die Hände waren zu Fäusten geballt, so sehr, dass sich die Knöchel selbst im schwachen Licht abzeichneten. «Schon klar… leicht gesagt von einem, der nie jemanden verloren hat.», entkam es im leise und verbittert.
 

Kai hätte darauf einiges erwidern können, doch er liess es. Das hier war kein Wettstreit und egal was er sagen würde, es würde ohnehin auf taube Ohren stossen. Das wichtigste war gesagt und als Danil sich zu einem plötzlichen Abgang entschied, beliess er es kopfschüttelnd dabei. Der Junge würde entweder erwachen, oder sich von der Vergangenheit auffressen lassen – doch das war nicht sein Problem. Er war Zeuge so vieler Schicksalsschläge gewesen und wenn er sich sein altes Team besah, das mit aller Kraft um eine glückliche Existenz kämpfte, wusste er, dass es möglich war – mit genügend Willen.
 

«Verdammt Kai, was zum Teufel ist hier los?», rüttelte ihn Tyson aus seiner Starre und seufzend schloss der Russe seine Augen.
 

«Nichts – vergesst es einfach und geht schlafen.», wollte er sich galant aus der Affäre ziehen, doch der Blauhaarige packte ihn barsch am Arm – wäre auch zu schön gewesen.
 

«Oh nein – so kommst du uns nicht davon! Was sollte dieses ganze Geschwafel bedeuten? Was meinte er mit seinem Bruder?»
 

«Er hat von dieser Bladeschule in Russland gesprochen, oder? Wir waren in unserem ersten Jahr dort.», mischte sich Ray sachlich ein, dicht gefolgt von Max.
 

«Komm schon Kai, du kannst uns echt nicht so hängen lassen.»
 

Mit jedem Wort gewann das Pochen in Kais Kopf an Intensität. «Das geht euch nichts an.», entriss er seinen Arm, während der Schwindel ihn zu überwältigen drohte – das alles war zu viel in seinem jetzigen Zustand. Natürlich musste der kleine Rachegeist genau jetzt auftauchen und seine Reden schwingen! Wieso konnte man ihm nicht endlich eine Pause gönnen verdammt!
 

«Es geht uns nichts an?!», wütend versperrte Tyson ihm den Weg und funkelte ihn an, «Das ist nicht fair! Wir sind ein Team Kai! Wir sind Freunde!», betonte er mit zusammengekniffenen Augen, «Also hör endlich auf, uns auszuschliessen! Wir erwarten ja keine Details, aber wenigstens genug Vertrauen für die Fakten!»
 

«Schöne Ansage für jemanden, dessen Blade mich gestern noch attackiert hat.», entgegnete Kai kühl. Es war kein Satz aus Affekt, sondern reiner Berechnung – ein Tiefschlag, den er bereit war in Kauf zu nehmen, weil es schlicht und ergreifend die einzige Möglichkeit war, dem Ganzen ein schnelles Ende zu bereiten.  
 

Der Schlag ging tiefer als vermutet… Hinter ihm wurde hörbar die Luft angehalten, während die menschliche Mauer im Türrahmen, mit aufgerissenen Augen erstarrte. Keinen Moment nahm der Japaner seinen Blick von ihm und Kai hätte es sich sehnlichst gewünscht – das Braun um stecknadelgrosse Pupillen, verriet mehr, als Tyson je hätte in Worte fassen können. «Ich-», begann er mit zuckendem Mundwinkel.
 

«Schon klar Tyson.», unterbrach Kai ihn, «Wir sind ein Team und als dieses Schätze ich euch, aber das ist eine Episode, die ich abgeschlossen habe und ich erwarte, dass ihr das respektiert. Jetzt entschuldigt mich, ich bin müde.», drückte er den Blauhaarigen aus dem Türrahmen, der es wie eine Schaufensterpuppe geschehen liess und ging mit ruhigen Schritten, aber verbitterter Stimmung die Treppe hoch.
 

Kaum, dass sich Kai auf sein Bett fallen liess, ergriffen ihn Schüttelkrämpfe. Nach atemringend, umschlang er sich mit zusätzlichen Decken und hoffte auf einen baldigen, erlösenden Schlaf – er kam, doch Tysons verletzter Anblick, verfolgte ihn bis in den letzten Winkel seiner fiebrigen Träume.

 

***
 

Das Frühstück am nächsten Morgen, hielt sich ähnlich dem des Vortages, doch statt der fröhlichen Stimmung, breitete sich ein Teppich des Schweigens über sie. Kein Wort wurde gesprochen und selbst Dizzis Versuche, zur Auflockerung der Spannung, verliefen im Gegenteil, bis Kenny den Laptop seufzend zuklappte.
 

Tyson war in eine Art Depression gefallen und diese sammelte sich wie düstere Nebelschwaden um ihn, sogen alle Energie, einem Parasiten ähnlich, aus ihm und was noch schlimmer war – die Aura umschloss nicht nur ihr Zentrum, sondern alle, die sich in ihrem Radius befanden. Ihre Gegenwart verbannte erfolgreich sämtliche, chaotischen Gesten und das heitere Geschwätz, die Fröhlichkeit und  lustigen Anekdoten gefolgt von feurigen Blicken – Tysons ohne Unterlass gen Unten gerichtet und selbst Max entsagte seinem sonstigen Selbst, indem er sich wie eine komatöse Schnecke bewegte.
 

Der ganze Tag war von dem Zustand überschattet und obwohl die Blade Breakers auch heute um 14:00 Uhr entlassen wurden, beschlossen sie entgegen ihrer Gewohnheiten, den Nachmittag – der letzte, sonnige vor ihrer Abreise, laut Wetteraussage – in ihrem Domizil zu verbringen.
 

Kai nutzte die trübsinnige Stimmung zu seinem Vorteil und verzog sich auf direktem Weg und ohne das kleinste Wort, in sein Zimmer.
 

Egal wo er hingehen würde, er würde seinem geisselnden Gewissen nicht entfliehen können, doch immerhin war er hier sicher, vor Tysons apokalyptischen Antlitz – keine Sekunde länger könnte er den Anblick ertragen, unterstrichen durch die Spiegelung im Verhalten der Anderen.
 

Kein einziger, winziger Klagelaut war während des gesamten Trainings erklungen und auch jetzt herrschte Totenstille im ganzen Haus, so das selbst die Absenz der optischen Schuld, nicht über diese hinwegzutrügen vermochte.
 

Kai strich sich mit der linken Hand über das erhitzte Gesicht, liess seinen Kiefer knacksen und trank das Glas auf seinem Nachtisch mit einem Zug leer.
 

Die Wunde hatte sich eindeutig entzündet und nebst dem psychischen Stress, wusste er beim besten Willen nicht, wie lange er das noch durchstehen würde – mitleerweilen konnte er kaum noch die Finger bewegen.
 

Er betete seinen zitternden Arm über den Augen und konzentrierte sich auf eine gleichmässige, tiefe Atmung. Morgen würde er eine Apotheke aufzusuchen, um eine Zinkoxidhaltige Salbe zu beschaffen und etwas gegen das Fieber, damit er die Zeit bis zum Rückflug überbrücken konnte.
 

Vergeblich versuchte er Erlösung im Traumreich zu finden, doch immer wieder schreckte er in Schweiss gebadet, am Rande der REM-Phase hoch, am ganzen Körper vor Kälte zitternd und die wenigen Minuten Schlaf, waren von skurrilen, endloserscheinenden Albträumen begleitet, dass er nicht mal darin die erhoffte Erholung fand.
 

So fällte Kai nach Stunden des ruhelosen Umherwälzens den Entschluss, wenigstens an einem Ende des Chaos aufzuräumen. Mit einem Satz neuer Kleider, machte er sich auf den Weg zum Badezimmer, doch genau vor seiner Tür, wäre er fast in Kenny geknallt, der die Hand zum Klopfen erhoben hatte und erschrocken zusammenfuhr. «Äh… D-das Abendessen ist gleich fertig, also wenn du- äh…», stotterte er und der Umstand, dass ihr Chef hier stand, spornte Kais Gewissen zu völlig neuen Schandtaten an, wo Tyson sich sonst nie eine Gelegenheit entgehen liess, ihren Leader mit seiner Anwesenheit zu beglücken.
 

«Ich komme in zehn Minuten, danke.», schlängelte Kai sich an dem Kleineren vorbei, der glücklicherweise unter zu grossem Druck litt, um seinen angeschlagenen Zustand zu bemerken – vermutlich war Kenny damit beschäftigt, seine Entscheidung für jenen Strohhalm zu verfluchen.
 

Der Appetit war Kai ab dem üblen Geruch, der heissangeschwollenen Hand, deutlich vergangen und der war davor schon kaum vorhanden gewesen. Trotzdem begab er sich nach einer eiligen Dusche in die Küche, wo alle bereits am Tisch sassen und missmutig in ihren Tellern umherstocherten. Der Zustand hielt an und selbst nachdem der Zeiger der Wanduhr, fast die Hälfte zurückgelegt hatte, änderte sich nichts daran.
 

«Ich muss mich für gestern Abend entschuldigen.», begann Kai schliesslich müde.  
 

Augenblicklich erstarb dar Kratzen des Bestecks und zum ersten Mal seit vielen, langen Stunden, ging eine Regung durch die depressive Runde. Überrascht hefteten sich sämtliche Augenpaare im Raum auf ihn.
 

«Ihr habt recht: Wir sind ein Team und ich hätte euch über den Einbruch informieren müssen.», gestand Kai ruhig aber ehrlich bereit, dem Trübsinn den Treibstoff zu nehmen, «Stattdessen habe ich es als Nichtigkeit abgetan und euch dadurch in Danils Schussbahn befördert. Wie ihr schon vermutet habt, kennt er mich aus der Zeit in der Abtei, was ich allerdings nicht vertiefen werde. Nicht, weil ich es euch verheimlichen will, sondern weil es der Vergangenheit angehört und es nichts ist, dass man in knappe Worte fassen könnte – das entschuldigt aber nicht, wie ich mich verhalten habe und was ich gesagt habe, tut mir ehrlich leid. Tyson», dieser zuckte ab der Erwähnung seines Namens sichtlich zusammen, «ich hege keinen Groll gegen das, was mit Dragoon passiert ist, noch halte ich es dir vor.»
 

Dieser senkte, mit in Falten gelegter Stirn, seinen Blick zum Teller, wo er mit der Gabel grübelnd eine Erbse verfolgte.
 

«Und hör bitte endlich damit auf, dein Essen zu misshandeln.», fügte Kai leicht gereizt an. Er hätte es nie für möglich gehalten, doch noch schlimmer als Tysons übliches Essverhalten, war dieser fahle Abklatsch davon.
 

Ray entfloh ein kurzes Lachen, das er geschickt in einem Räuspern tarnte, während Tyson schon aus Gewohnheit aufspringen wollte, dann aber irritiert innehielt. Einen Moment schien er zu überlegen, ehe er sich zögernd setzte und Kai zaghaft musterte. «Und du meinst das auch wirklich ernst?»
 

«Ja,», nickte Kai, den Blick erwidernd, «es war bei Gott nicht unsere erste Auseinandersetzung und definitiv nicht die Letzte, also mach es wie immer und überlass das Denken anderen. Es hat dich früher nie interessiert – kein Grund jetzt damit anzufangen. Einverstanden?»
 

«Okay, einv- Moment mal, nein! Dreh das jetzt nicht so hin, als ob das mein Fehler gewesen wäre! Du hast dich wie der letzte Arsch benommen!»
 

«Und seit wann ist das etwas Neues?», nahm Kai ihm erfolgreich den Wind aus den Segeln.
 

Tyson war einfach gestrickt und glücklicherweise alles andere als nachtragend, zudem war er noch nie gut mit Worten gewesen – solange er nicht gerade am Rande einer Bey-Arena stand oder es ums Essen ging, sah er sich schnell am Ende seines Lateins, wie auch jetzt: mindestens drei Gefühle auf einmal verzerrten sein Gesicht und er versuchte mit zuckenden Armen eine Erwiderung zu finden, bis Max ihn schliesslich lachend erlöste und ihm eine Hand auf die Schulter legte. «Vergiss es Ty, du wurdest mit der Wahrscheit schachmatt gesetzt – er ist wirklich schon immer ein unerträglicher Geheimniskrämer gewesen.», umschrieb er Tysons Worte mit den Härtesten, zu denen der gutmütige Amerikaner im Stande war.
 

«Sprich es aus Max – er ist ein Arsch!», fand das, zu neuem Leben erwachte, Temperament ein neues Ziel.
 

«Ach lieber nicht.», hob der Blonde beschwichtigend die Hände, von einem schiefen Lächeln begleitet.  
 

«Schisser… Aber ich bleib dabei,», wandte sich Tyson von seinem Freund ab, der erleichtert zurücksank und nahm stattdessen den Grund, für seine bipolaren Anfälle, ins Visier, «Du schuldest uns was!»
 

Kai besah ihn sich ausdruckslos, solange bis der andere die Arme, zur Verdeutlichung, auf den Tisch knallte. «Ich meine es ernst Kai!»
 

«Sag mir doch bitte genau, weshalb ich euch etwas schuldig bin Tyson.»
 

«Weil…», suchte er vergebens nach den richtigen Worten, «Weil
 

«Das war weder genau noch ein Grund.»
 

«Naja, theoretisch schuldest du uns schon einen Tag.», schaltete sich plötzlich Ray dazu und mit gezückter Augenbraue, wandte Kai seinen Fokus auf den Chinesen, der, den Kopf auf die ineinander verschränkten Hände gestützt, sich ab der Situation sichtlich amüsierte.
 

«Ich höre.»
 

«Es war der letzte schöne Tag und wir konnten nicht in die Stadt.», zuckte Ray mit den Schultern. Die Unbeteiligten beobachteten ihren Fürsprecher mit hoffnungsvollem Staunen, gerade als wäre er der Ritter mit goldenen Augen.
 

«Ihr hättet gekonnt.», verdeutlichte Kai.
 

Ein schiefes Grinsen liess seine katzenhaften Eckzähne aufblitzen. «Und das Risiko eingehen, dass du eventuell nochmals angegriffen wirst? Wir konnten Danil nicht einschätzen und wer hätte uns garantieren sollen, dass du nicht noch etwas verheimlicht hast?»
 

Der Schwarzhaarige spielte sein Spiel – und dass gar nicht mal schlecht. «Ich weiss mich durchaus selbst zu verteidigen.»
 

«Klar, aber so seltsam, wie du dich die letzte Woche benommen hast, kannst du uns die Sorge kaum verübeln. Ausserdem warst du wirklich ein Arsch – Entschuldigung hin oder her.»
 

Zum Thema komisches Verhalten kam Kai noch so einiges mehr in den Sinn, offen wie sein Gegenspieler seine Zuneigung zu Max präsentierte, genauso wie umgekehrt – doch er liess es und statt einen neuen Streit zu provozieren, nutzte er die präsentierte Chance. «Gut, ihr habt gewonnen. Die letzten zwei Tage werden wir mit Kampftraining verbringen, beginnend um neun und endend um zwölf Uhr – zufrieden?»
 

«Ja, nicht schle-» «YES!», schlug Tyson siegreich die Faust in die Luft und zerstörte damit sämtlichen Boden, für weitere Verhandlungen – dabei stiess er an die hölzerne Tischkannte, die mit Geschepper, der abrupten Bewegung folgte.  
 

«Oh Tyson, pass doch auf!», rettete Kenny seinen Laptop vor der Flut, des umgekippten Glases.
 

«Ach scheisse, voll in den Teller, verdammt noc-» «Aber, aber Max, was höre ich da für unartige Worte aus deinem Mund?», grinste der Japaner, sich keiner Schuld bewusst.
 

«Ich war doch noch gar nicht fertig…», trauerte der Blonde seinem Essen hinterher, ehe er sich auf Tysons Augenhöhe begab und ihm einen Finger in die Brust bohrte, «Den Abwasch machst du heute!»
 

«WAS?! Vergiss es! Du hast gestern beim Bingo verloren – Wettschulden sind Wettschulden!»
 

«Das war vor dieser Sintflut! Wir stimmen ab!»
 

Tyson verlor einstimmig und trotz aller Proteste, blieb er schlussendlich alleine mit dem Chaos zurück – an diesem Abend gaben zwei Gläser ihr Leben, für das Wohl der anderen: Mögen sie in Frieden ruhen.



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