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Der Sieben-Federn-Fluch

von

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Großmutters Stolz

 

Irgendwie würde er es schon schaffen. Irgendwie musste er es schaffen, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie. Aber er hatte keine andere Wahl, oder?
 

Die Nachmittagssonne fiel grellleuchtend durch die Fenster, glitzerte und reflektierte sich in den Kristallen der Kuchenplatte auf der Spitzendecke. Es war schwül. Es war heiß. Es war ein Sommertag mitten in den großen Ferien. Doch Neville fror. Neville zitterte. Neville wünschte sich, er hätte nie diese Frage gestellt, die ihm gerade über die Lippen gekommen war. Hier zwischen Tee und Kuchen am Wohnzimmertisch seiner Großmutter. Der Zeiger rückte langsam auf fünfzehn nach fünf.
 

Sie waren ins Gespräch darüber gekommen. Über den Orden, über das Artefakt. Über den Kampf dort unten im blauschwarzen Raum. Dort unten in der Mysteriumsabteilung mit all ihren Glaskugeln, die in jener unsäglichen Nacht zerbrachen. Es war nicht seine Idee gewesen, dort hin zu gehen. Harry wollte es und er war nicht aufzuhalten gewesen, nachdem Neville ihm von seinen Alpträumen berichtet hatte. Die Alpträume, die ihn immer stärker quälten, seitdem ER zurückgekehrt war.
 

„Wir müssen dort hin“, hatte Harry gesagt.

„Wir müssen herausfinden, was ER dort unten will“, hatte Harry gesagt.

Sie waren dort hingegangen. Sie hatten versucht, herauszufinden, was er dort unten wollte.

Und – sie waren gescheitert.
 

Erst hier, zwischen Buttercreme und Sahne, Silberlöffeln und Porzellan sollte Neville die Wahrheit erfahren: „ER wollte eine Prophezeiung. Eine Prophezeiung über dich. Eine Prophezeiung, laut der du vermutlich der Einzige bist, der ihn besiegen kann.“
 

Neville ließ den Blick sinken. Noch immer dröhnten ihm seine unbedachten Worte in den Ohren: „Ich frag mich, was ER da unten gewollt hat“, beiläufig geflüstert.

Noch immer sah er Augustas Gesicht vor sich, so ernst wie er es selten zuvor gesehen hatte. Sie hatte minutenlang überlegt, bis sie mit schwerer Stimme erklärt hatte: „Ich denke, du bist jetzt alt genug Neville, um die Wahrheit zu erfahren.“
 

Die Wahrheit, die Wahrheit. Oh hätte er nie nach ihr gefragt! Hätte er sich nur die Ohren zugehalten.  

Zögerlich nippte Neville an seiner Tasse. Der Tee schmeckte bitter. Trotz allem Zucker schmeckte er bitter. Oder war es vielleicht gar nicht der Tee? War es etwas ganz anderes? Sein Schicksal vielleicht? Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Ihm war schlecht. Schlecht von dem süßen Geschmack in seinem Mund. Schlecht von dem Brodeln in seinem Magen. Ohne aufgegessen zu haben, schob er das Stück Cremetorte von sich weg. Großmutter Augusta stopfte sich derweil ungerührt die Kuchengabel in den Mund. Der ausgestopfte Geier auf ihrem Kopf wippte, als hätte er ein schmackhaftes Stück Aas erspäht.

„Das ist der Grund, warum sich deine Eltern damals mit dir versteckt haben. Der Grund, warum ER sie umgebracht hat“, sagte sie kühl, nachdem sie mit einer Serviette die Sahnereste von ihren Lippen getippt hatte. „ER hält dich für seine größte Gefahr. Ich will hoffen, Neville, du wirst dieser Aufgabe gewachsen sein und ihnen Ehre machen. Sonst wäre ihr Tod vergebens gewesen.“

Ehre machen? Der Aufgabe gewachsen sein? Er - Neville Longbottom?!? Er war doch ein Versager, ein Nichtsnutz. Ein halber Squib. Wie sollte er denn da Lord Voldemort besiegen? Er hatte es ja nicht einmal geschafft, Fluffy einzuschläfern, als seine Freunde und er sich aus dem Gryffindorturm stahlen. Im zweiten Jahr hatten ihn Wichte am Kerzenleuchter aufgehängt und dass er nicht einmal an Peeves vorbeigekommen war, ohne dafür seine Unterhose verbrennen zu müssen, war auch noch nicht so lange her. Wie er das Trimagische Turnier überlebt hatte, war ihm noch immer ein Rätsel. Ohne ein Heer an Lehrern und Freunden, die ihn aus jeder Gefahr gerettet hatten läge er jetzt wohl auf dem Grund des Sees oder im Magen eines Drachen oder unter den Büschen des Irrgartens. Das Einzige, was er wirklich gut konnte, war Bubotubler ernten. Aber würde er damit auch den größten Schwarzmagier aller Zeiten besiegen können?

„Ich werd‘ das nie schaffen“, keuchte Neville, „Ich kann niemanden besiegen“. Eigentlich hatte er diesen Gedanken für sich behalten wollen, doch er war ihm schneller herausgerutscht, als er ihn hatte aufhalten können.

„Ach Papperlapapp“, meinte Großmutter Augusta salopp und kippte den Rest ihres Earl Greys hinunter, „Albus Dumbledore hielt damals ohnehin nicht viel von der Prophezeiung und ich wage zu bezweifeln, dass er seine Ansichten geändert hat. Sie ist nur wichtig, weil ER glaubte, dass sie wichtig sei. Vermutlich besteht alles, was du tun musst, darin den Lockvogel zu spielen, bis der Orden des Phönix IHN fassen und vernichten kann.“

Neville lächelte müde. Nur der Köder zu sein war schon eher eine Aufgabe, die ihm auf den Leib geschrieben stand. Aber das machte die Sache nicht besser.
 

Er trieb in seinen Gedanken wie ein Boot auf einem See. Einem See aus finsteren Wassern, in dessen Tiefen Ungeheuer lebten - als Großmutter Augusta plötzlich aufstand und den Zauberstab zückte.

„Locomotor Geschirr“ rief sie und „Ratzeputz“. Dann griff sie sich ihre rote Handtasche und sagte knapp: „Mach dich fertig, Neville!“
 

Neville blickte auf. Völlig verdattert, völlig überrascht.

„Was hast du vor, Großmutter?“

„Wir müssen heute noch zu Ollivander und es geht auf sechs zu.“

„Zu Ollivander?“

„Natürlich zu Ollivander. Wo sonst sollen wir denn einen Zauberstab für dich herbekommen?“

Neville rieb sich die Ohren. Er musste sich verhört haben.

„Einen eigenen Zauberstab – für mich?!?“

„Natürlich für dich. Wer mit seinen Freunden gegen Todesser kämpft und sie besiegt, hat den besten Zauberstab der Welt verdient. Ein Zauberstab, der einem Auroren würdig ist, wie deinem Vater. Außerdem will ich, dass du in Verwandlung einen guten UTZ machst und das geht mit einem eigenen Zauberstab viel besser“.
 

Ungläubig schaute Neville seine Großmutter an, schaute sie einfach nur an. Und Augusta - lächelte. Sie lächelte selten. Doch diesmal lächelte sie. Nun hielt Neville nichts mehr. Schnell stand er auf raffte seinen Umhang. Er wagte ihr nicht zu sagen, dass er lieber Zauberkunst belegen wollte nachdem er den ZAG in Verwandlung kaum geschafft hatte. Großmutter Augusta hielt Zauberkunst für Zeitverschwendung.
 

Die Reise ging schnell. Sie warfen das Flohpulver in den Kamin, sie tippten auf die Steine im Hinterhof des Tropfenden Kessels. Sie liefen Winkelgasse hinab, sie passierten die Schwelle, sie standen im Laden. Das Maßband zurrte, Ollivander rauschte von Regal zu Regal. Und dann hielt Neville ihn in der Hand: Den Zauberstab. Seinen Zauberstab. Der Zauberstab, der sich ihn ausgesucht hatte. Kirschholz und Einhornhaar
 

Neville spürte das Kribbeln in seinen Fingern, als er den Griff berührte, spürte sein Herz schlagen vor Aufregung, als der Stab rote und gelbe Funken sprühte. Spürte, wie sich auf einmal etwas in ihn erhob. Ganz tief aus den verborgensten Winkeln seiner Seele. Etwas, das jahrelang, vielleicht sein ganzes Leben, dort schon geschlafen haben musste: Stolz.  Stolz auf sich selbst.
 

Wieder vor der Türe des Ladens hielt Neville kurz inne und atmete tief durch, während die Nachmittagssonne ihm ins Gesicht stach, ihn fast schon neckisch aus der ungläubigen Verträumtheit wachkitzelte, die ihn bei Ollivander überkommen hatte.
 

Irgendwie würde er es schon schaffen. Irgendwie musste er es schaffen, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie. Aber er hatte Freunde, die ihm beistanden; Lehrer, die ihn unterstützten und endlich, nach so vielen Jahren, auch eine Großmutter, die ihn glaubte. Eine Großmutter, die noch immer ruppig, streng und kurz angebunden war. Doch eine, die überzeugt davon war, dass er schon schaffen würde, was immer auch auf ihn zukäme. Es war ein ganz neues Gefühl. Ein Gefühl, das Neville sechzehn Jahre lang nicht gekannt hatte. Ein Gefühl, das ihm gut tat, das ihm unheimlich viel Kraft gab. Und vielleicht, vielleicht war das ja alles, was er brauchte. Dieses Gefühl – und einen guten Zauberstab.
 

Einmal noch fuhr Neville über das Holz, dann packte er ihn mit einem Lächeln weg und folgte seiner Großmutter durchs Gedränge nach Hause.



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