Zum Inhalt der Seite

looking for inner peace

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

closeness

Kapitel 13 - closeness
 

– Ich habe mich in das Gefühl verliebt, das du mir gibst, wenn du bei mir bist. Deine Nähe zieht mich einfach an. –
 

Nervös biss Uruha sich auf die Unterlippe.

Ob er wohl kommen würde? Er hoffte es so sehr. Es war schließlich Aois Idee gewesen, sich gemeinsam den ersten Sonnenaufgang des Jahres anzusehen. Doch als er ihm vor gut einer Woche diese Worte ins Ohr geraunt hatte, war auch noch nicht abzusehen gewesen, dass sich die Sonne hinter dicken Wolken verstecken würde. Ausgerechnet heute, wo sonst für gewöhnlich der winterliche Himmel über Tokio tiefblau war. Und als wäre das nicht schlimm genug, trafen die ersten Regentropfen auf den Boden vor seinen Füßen und färbten diesen nach und nach dunkel.

Nein, so hatte er sich das wirklich nicht vorgestellt.

Enttäuscht stieß Uruha die Luft aus und verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere. Sein Blick schweifte langsam von der unruhigen Wasserfläche unter ihm zum Sky Tree, der sich deutlich von den Gebäuden, die das Flussufer säumten, abhob.

Es hätte so schön sein können…

Vor mehr als einem Jahrzehnt hatten sie sich alle zusammen als Band hier am 1. Januar getroffen und gemeinsam beobachtet, wie die aufgehende Sonne den Sumida River und seine Umgebung in herrlich goldenes Licht getaucht hatte. Dieses Ereignis war so einprägsam und bedeutend für sie gewesen, dass sie mittlerweile in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen, den Neujahrsmorgen an dieser Stelle begrüßten, manchmal auch nur als zweier oder dreier Grüppchen. Aber immerhin, denn irgendwie gehörte es zur Tradition. Deshalb war Uruha sofort klar gewesen, wo Aoi sich mit ihm treffen wollte, als er diesen Vorschlag gemacht hatte. Und nun machte das Wetter ihnen einfach einen Strich durch die Rechnung.

Dabei hatte er sich wirklich gefreut. Der erste Sonnenaufgang des Jahres war immer etwas ganz besonders und noch mehr, wenn er ihn mit Aoi geteilt hätte.
 

Doch nun schien seine Aufgekratztheit der letzten Tage völlig umsonst gewesen zu sein, denn Aoi würde bei diesem Wetter sicher nicht herkommen. Uruha konnte nicht verhindern, dass ihm ein enttäuschter Seufzer über die Lippen kam und seine Augen anfingen zu brennen.

So ein Mist!

Die vergangene Woche hatte er mehr wie durch eine Nebelwolke erlebt. Die allzu bekannte Unruhe war sein ständiger Begleiter gewesen, während sich sein Hirn immer wieder neue Szenerien ausgemalt hatte, wie das Neujahr wohl für ihn verlaufen könnte. Irgendetwas würde passieren, es lag fast greifbar in der Luft. Und dass Uruha mal wieder zu viel in Aois Worte hineininterpretierte, glaubte er nicht. Wenn sich Aoi mit ihm zusammen den Sonnenaufgang anschauen wollte und noch extra betonte, dass nur sie beide da sein würden – was sollte man da schon anders deuten? Es fühlte sich beinahe nach einem Date an.

Sein Kopf hatte es jedenfalls so verstanden und sich immer tollere Wunschfantasien erdachte, die seine Aufregung dadurch keinen Deut gemindert hatten. Diese Fantasien waren immer wieder auf das Gleiche hinausgelaufen und ließen nur eine Erkenntnis zu: er wollte Aoi nah sein. Auch wenn er sich die letzten Monate dagegen gesträubt hatte, war dieser Wunsch mittlerweile allgegenwärtig – und eigentlich auch nicht neu, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Gerade in ihrer Anfangszeit hatte er sich immer wieder vorgestellt, wie es sich wohl anfühlen würde, Aoi zu berühren, ihn zu küssen und noch einiges mehr. Er war neugierig und jung gewesen und vielleicht hätte man es sogar als leichte Verliebtheit bezeichnen können. Dennoch hatte er diese Träume in den letzten Jahren ganz tief in die hinterste Ecke seines Verstandes vergraben, denn sie waren zu diesem Zeitpunkt nicht mal im Ansatz realitätsnah genug, um weiter an ihnen festzuhalten oder sie gar zu verfolgen. Er wollte sie vergessen. Und genau deshalb hatten Uruha Aois neuste Annäherungsversuche auch so durcheinandergebracht. Er hatte verhindern wollen, dass diese längst vergessenen Wünsche wieder an die Tagesoberfläche traten und damit eine Hoffnung aufkeimen ließen, die zu diesem Zeitpunkt gar keine Daseinsberechtigung hatte.

Doch inzwischen wusste er, dass da etwas zwischen ihnen war. Nach dem ganzen Hin und Her der letzten Zeit konnte er sich nun wieder erlauben, ein bisschen in diese Richtung zu träumen. Besonders, nachdem er Aois Geschenk ausgepackt hatte. Uruha hatte zwar nicht verstanden, warum Aoi darauf bestanden hatte, dass er es nicht in seinem Beisein öffnete, aber er hatte nach einigem gründlichen Nachdenken diesbezüglich eine leichte Ahnung bekommen, was den Grund anging. Vermutlich hatte Aoi ihm nicht bedrängen wollen oder ihm damit einfach die Chance gegeben, seine Gedanken zu ordnen. Er kannte ihn zu gut.

Unabhängig davon, was wirklich dahintersteckte, waren Uruha die Tränen gekommen, als er das eingerahmte Foto in den Händen gehalten hatte, das unter dem Geschenkpapier verbogen gewesen war. Ein Foto von ihnen beiden. Sie waren zwar ein paar Jahre jünger darauf, aber dennoch hatte es ihn ungemein berührt, als er sah, wie Aoi und er auf dem Bild lachend auf der Bühne mit ihren Gitarren standen, eng aneinander gelehnt, mit diesem bestimmten Funkeln in den Augen.

Es hatte eine Weile gebraucht, bis Uruha den Kloß heruntergeschluckt bekam, der sich bei der Betrachtung des Bildes in seinem Hals gebildet hatte. So sah Aoi sie also: Glücklich zusammen und wenn sie wollten, auch als perfekte Einheit funktionierend.

Aois Geschenk hatte sofort einen Ehrenplatz in seinem Regal erhalten, wo Uruha es die letzten Tage mehr als nur einmal gedankenverloren betrachtet hatte. Dabei breitete sich jedes Mal eine Mischung aus Wehmut und einem Glücksgefühl in seinem Inneren aus. So etwas wie auf dem Foto wollte er wieder haben: diese Unbeschwertheit und Nähe und noch viel mehr.
 

Während der Silvesterparty bei Ruki hatte Uruha es allerdings nicht geschafft, den Älteren auf das Geschenk oder das Thema, das ihn so beschäftigte, anzusprechen. Generell hatten sie kaum miteinander geredet, was aber mehr daran lag, dass ständig jemand eine neue Idee für Unterhaltung und Spiele in den Raum warf, weshalb sie keine einzige, ruhige Minute gefunden hatten. Aber Aois liebes Lächeln hatte seine Laune immer wieder steigen lassen, wenn diese drohte abzustürzen, und sein Körper hatte dabei mit einem angenehmen Kribbeln reagiert. Mit der Zeit hatte sich Uruha auch damit abgefunden, dass es an diesem Abend kein Gespräch geben würde, aber er wusste ja, dass sie sich am nächsten Morgen wiedersehen würden. Nur sie beide – und das hatte seinen Puls mehr als einmal hochschnellen lassen, wenn er daran dachte.

Im Laufe des Abends war irgendwann die Frage aufgekommen, die Uruha schon die ganze Zeit gefürchtet hatte. Er war schon versucht gewesen, sich im Vorfeld eine Ausrede zurechtzulegen, als Reita zu fortgeschrittener Stunde und mit einer ordentlichen Anzahl leerer Bierflaschen vor seiner unbedeckten Nase, vorschlug, man könnte ja mal wieder gemeinsam den Sonnenaufgang anschauen. Uruhas Herz hatte für einen Schlag ausgesetzt.

Nein, das wollte er nicht. Jedenfalls dieses eine Mal nicht.

Dieser Sonnenaufgang sollte nur Aoi und ihm gehören. Doch er kam gar nicht erst in die Verlegenheit eine Notlüge äußern zu müssen, denn Ruki schaltete sich glücklicherweise in Reita Überlegungen ein.

„Lassen wir es dieses Jahr einfach, es soll eh regnen. Dafür feiern wir ja heute“, hatte er gemeint und damit Reitas vom Alkohol verschleierte Gedanken ziemlich schnell in eine andere Richtung gelenkt. Doch egal, wie plausibel Rukis Worte klangen, Uruha hatte eindeutig das Gefühl, dass Ruki dies nur wegen ihm gesagt hatte. Denn wie hätte Uruha sonst den intensiven Blick, den der Sänger ihm dabei zuwarf, deuten sollen? Ahnte Ruki schon wieder etwas? Vermutlich. Uruha wäre nicht verwundert gewesen, wenn der Sänger ihm eines Tages gestehen würde, doch Gedanken lesen zu können.

Eigentlich hatte der Originalplan für die Silvesternacht vorgesehen, dass die komplette Partygesellschaft das neue Jahr direkt am benachbarten Schrein begrüßte. Doch aufgrund der vermehrten Alkoholausfälle einzelner Anwesender wurde sich schlussendlich dagegen entschieden. Selbst von Rukis Balkon aus konnten sie die schweren Glockenschläge vernehmen, die das alte Jahr verabschiedeten und das war für die meisten unter ihnen in Ordnung. Der 2. Januar würde dann als erster, gemeinsamer Schreinbesuch ebenso völlig ausreichend sein.

Und so war der Jahreswechsel recht entspannt und ohne große Vorkommnisse vonstattengegangen. Theoretisch wären sogar einige Stunden Schlaf für Uruha drin gewesen, doch seine Aufregung war mit jeder Stunde gestiegen und somit hatte sich das Thema Schlafen ziemlich schnell für ihn erledigt.
 

Nun stand er hier und Ruki hatte wirklich recht behalten. Es regnete. Inzwischen sah sich Uruha sogar gezwungen, den mitgebrachten Schirm zu öffnen. Das Prasseln des Regens schien seine getrübte Stimmung nur noch mehr zu unterstreichen. Hätte der Wetterbericht nur einmal lügen können? Wenigstens heute?

Eine Hand auf seiner Schulter riss ihn aus seinen Gedanken und ließ ihn erschrocken aufblicken.

Aoi.

Er war wirklich gekommen.

Überrascht blinzelnd sah Uruha seinen Freund an.

Wie anziehend er aussah. Nicht nur wie er neben ihm am Brückengeländer stand und ihn mit diesem bestimmten Lächeln auf den Lippen musterte. Nein, generell seine gesamte, elegante Erscheinung brachte Uruhas flatterndes Herz zum kurzzeitigen Aussetzen. Er konnte es nicht leugnen – dieser Mann ließ seinen Körper verrückt spielen.

Um Aoi nicht weiter derart auffällig anzustarren, schloss er für einen Moment die Augen, um sich zu sammeln, ehe er es wagte, seine Stimme zum Sprechen zu bewegen.

Verdammter Kloß im Hals.

„Aoi, was machst du hier?“

„Wieso sollte ich nicht hier sein? Wir waren verabredet.“

Ein verwunderter Blick traf Uruha.

„Ja, aber es regnet doch und der Sonnenaufgang…“

Den Rest des Satzes ließ er offen, denn Aoi wusste sowieso, was er meinte. Dessen Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln, als er einen weiteren Schritt nähertrat.

„Schon, aber das hat dich schließlich auch nicht davon abgehalten, hier zu erscheinen.“

Ein Augenzwinkern folgte.

„Außerdem finde ich es gar nicht so schlimm. Es reicht doch, wenn wir hier zusammen sind, also sei nicht traurig.“

„Ich bin nicht traurig“, murmelte Uruha, als er den Kopf senkte und auf seine Hand sah, die Aoi ergriffen hatte. Seine Haut kribbelte ganz leicht.

„So schaust du aber aus. Vielleicht zieht es ja nachher wieder auf. Ich habe das Gefühl, es wird schon etwas heller.“

Uruha hob den Blick prüfend gen Himmel, der weiterhin von dunklen Wolken verhangen war. Da war Aois Gefühl scheinbar deutlich feiner gestrickt, was das anging, denn wirklich heller sah es für Uruha nicht aus. Aber mit etwas Optimismus könnte er sich wenigstens einbilden, dass das Prasseln des Regens, der auf den Schirm traf, sanfter klang als noch vor einigen Minuten.

Aois leises Lachen holte ihn aus seiner Betrachtung.

„Jetzt schau nicht so kritisch. Wenn es nicht regnet, können wir doch morgen unseren ersten gemeinsamen Sonnenaufgang betrachten.“

Uruha wollte gerade widersprechen, dass dies ja nicht dasselbe wäre, als die spezielle Betonung der Worte in seinen Verstand sickerte.

Gemeinsam. Meinte Aoi das so, wie er es glaubte, verstanden zu haben?

In seiner Magengegend fing es an zu prickeln, welches sich gleich darauf verstärkte, als Aoi seinen eigenen Schirm schloss, ans Geländer hing und unter Uruhas trat. Eine Hand legte sich auf seinen Rücken, zog ihn noch etwas näher zu sich, während sich die andere warm um Uruhas kalte Finger schloss, die den Schirmgriff umklammert hielten. Er hatte das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können, sein Herz drohte aus seiner Brust zu hüpfen.

„Uruha…“, raunte Aoi.

„Warum machst du es dir eigentlich manchmal dermaßen schwer? Es könnte so einfach sein…“

Dies wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, noch einmal nachzufragen, was Aoi genau damit meinte, um auch die letzten Unsicherheiten beiseite zu räumen, doch Uruhas Kopf war wie leergefegt. Er konnte nur Aois Lippen anstarren, die schließlich auch den letzten Abstand zwischen ihnen überbrückten.

Ein Sturm brach in ihn los – ein Sturm, der jeden Zentimeter seines Körpers in Aufruhr versetzte. Seine Haut kribbelte und sein Magen fuhr Achterbahn. Er hatte das Gefühl, er würde an seiner Aufregung ersticken. Und irgendwie war ihm schlecht. Nicht schlecht, weil der Kuss so furchtbar, sondern eher schlecht, weil ihn seine Aufgewühltheit zu erdrücken drohte. Ein Keuchen entfloh ihm.

Aois Lippen bewegten sich sachte gegen seine, zwangen ihn dazu, der Bewegung zu folgen. Sein Herz raste, während seine Hand fahrig und nach Halt suchend über den Rücken seines Freundes glitten und sich schlussendlich in seinem Mantel verkrallten. Die Hand, die den Schirm hielt, zitterte und nur Aois festem Griff war es zu verdanken, dass der Schirm sie überhaupt noch vor dem Regen schützte und nicht schon am Boden lag.

Er spürte, wie Aois Zunge sanft über seine Lippen fuhr, um Einlass bat und sein Gegenstück suchte.
 

Und plötzlich – plötzlich war die Schwärze, die Uruha gerade noch zu ertränken versucht hatte, verschwunden. Sein Innerstes glich einem ruhigen Ozean, obwohl sein Herz nach wie vor raste. Während ihre Zungen sich neugierig und fast schon träge umspielten, hatte er das Gefühl freier atmen zu können. Seine sonst wild durcheinanderwirbelten Gedanken schwiegen und er fühlte sich auf einmal ungemein ruhig. Aois Wärme hüllte ihn ein, schien ihn vor der Kälte und der Außenwelt zu schützen. Alles fühlte sich jetzt richtig und vollständig an, als hätte es schon immer so sein sollen.

Während Uruha fast traumwandlerisch dem Lippenspiel folgte, lösten sich seine verkrampften Finger und strichen zaghaft über den etwas angerauten Stoff von Aois Mantel. Mit einem Mal spürte er, wie Aoi sich behutsam von ihm löste, was ihn ein leises unwilliges Murren entlockte. Sein Körper fühlte sich herrlich leicht, fast schwebend an, während seine Knie weich wie Wackelpudding waren. Augenblicklich schmiegte er sich näher an Aoi. Er wollte die Augen nicht öffnen, wollte den Blick nicht sehen, mit dem sein Freund ihn betrachtet. Lieber ließ er die Lider geschlossen und spürte dem Kribbeln in seinem Körper und auf seinen Lippen nach, die regelrecht vor Sehnsucht nach ihren Gegenstücken zu brennen schienen. Es fühlte sich einfach unglaublich gut. Sein Puls raste, ebenso sein Atem. Und doch füllte eine lang vermisste Ruhe seinen Geist aus. Es war eine ungewohnte Mischung so derart unterschiedlicher Gefühle, die er dennoch nicht mehr hergeben wollte.

„Uruha?“

Aois beinahe unsicher klingende Stimme ließen ihn nun doch den Kopf von dessen Schulter heben.

Unsicher? Wieso sollte er unsicher sein? Nein, das musste er sich eingebildet haben.

Die dunklen Augen, die auf Uruha ruhten, funkelten intensiver als je zuvor. Er versank bereitwillig in ihnen – in diesen schwarzen Seen, die ihm so viel zu versprechen schienen.

Und wieder war es Aoi, der ihn aus seinem tranceähnlichen Zustand holte.

„Alles in Ordnung?“

Natürlich war alles in Ordnung, in bester Ordnung. Warum fragte er?

Als raue Fingerkuppen hauchzart seine Lippen nachfuhren, um die restliche Feuchte von deren Mundwinkeln zu entfernen, flammte das Prickeln in Uruha sofort wieder auf. Ohne bewusstes Zutun senken sich seine Lider und er stieß ein genießerisches Seufzen aus.

Wie hatte er nur je Bedenken haben können? Wovor hatte er sich so gefürchtet? Es war richtig, wie es war.

Dies bestätigte ihn auch Aois zufrieden lächelndes Gesicht, als sich ihre Blicke kurz darauf erneut trafen.

„Ja, alles gut“, murmelte er heiser und mit einiger Verspätung, was Aois Lächeln nur breiter werden ließ. Er zog Uruha für einen Augenblick zu sich, um dessen Lippen mit einem liebevollen Kuss zu verschließen. Als sie sich voneinander lösten, musste Uruha sich erst einmal räuspern, um seine Stimme wieder zu finden. Die ganze Situation überforderte ihn gefühlsmäßig sehr, auch wenn das Glücksgefühl, das sich in seinem Körper inzwischen ausgebreitet hatte, eindeutig überwog.

„Aoi, warum jetzt?“

Mehr brachte er nicht heraus, aber Aoi verstand auch so, was er meinte.

„Weil du jetzt offen dafür warst. Vorher bist du doch eher weggerannt, als dich von mir küssen zu lassen. Von daher hätte das nicht viel gebracht.“

Aois schelmisches Grinsen wirkte derart ansteckend auf Uruha, dass sich seine Mundwinkel automatisch nach oben zogen.

„Du musstest selbst erst einmal mit dir klarkommen und herausfinden, was du wirklich willst.“

Das klang einleuchtend.

Aois Einschätzung bezüglich seiner Verwirrtheit hätte nicht treffender sein können und er war ihm dankbar dafür, genau diesen Weg so verfolgt zu haben, wie es er getan hatte. Erst Aois Annäherung in dieser einen Nacht hatte ihn überhaupt dazu gebracht, sich mehr mit seinen Empfindungen auseinanderzusetzen und sich nicht auf ewig hinter einem Schutzwall vergraben zu wollen.

Dennoch brannte Uruha eine weitere Frage auf der Seele, deren Antwort ihm in keiner seiner Überlegungen wirklich plausibel erschienen war.

„Aber warum bist du überhaupt an mir interessiert? Nach all den Jahren. Das kam ziemlich plötzlich.“

„Na ja…“, lachte Aoi leise und etwas verschämt auf. Er kratzte sich unsicher am Kopf, ehe er fortfuhr.

„Deine Gegenwart war irgendwann einfach mehr als anziehend auf mich und hat mich nicht mehr losgelassen. Ich kann‘s dir nicht recht erklären. Dabei habe ich mich in das Gefühl verliebt, das du mir gegeben hast, wenn du bei mir bist. Deine Nähe hat mich einfach angelockt. Am Anfang war ich nur neugierig, es war irgendwie spannend für mich zu sehen, was diese Nähe in mir und auch dir veränderte. Sorry, das klingt gerade ziemlich egoistisch von mir.“

Entschuldigend strich Aoi ihm über die Wange.

„Es tat mir auch leid, mit anzusehen, wie du neben dir standest. Aber deine Nähe hat mich einfach immer glücklich gemacht, weshalb ich dich nicht mehr gehen lassen wollte. Und je mehr ich den eigentlichen Grund für deine Aufgewühltheit erkannte, desto mehr wuchs eben meine Zuneigung zu dir.“

Für einen Moment fand Aois Mund wieder Uruhas, ehe der Ältere seine Stirn gegen seine legte und ihn mit einem liebevollen Gesichtsausdruck ansah.

„Aber du warst zu verschreckt von der Situation und deinen Gefühlen, als dass ich mich schon eher hätte weiter vorwagen können.“

Uruha verkniff sich ein Grinsen, als er einwarf: „Du hast es trotzdem getan.“

„Ja, aber einfach um dir etwas auf die Sprünge. Du hast eben manchmal eine ziemlich lange Leitung, weißt du das?“

Unbewusst verzogen sich seine Lippen zu einem Schmollmund.

Aoi hatte ja recht, aber musste er es ihm denn gleich so an den Kopf werfen?

„Uruha, mir war schon in dieser einen Nacht nach unserem Trinkgelage klar, dass meine Zuneigung nicht nur einseitig sein kann. Aber du hast es dir einfach zu schwer gemacht, weil du zu viel denkst.“

Wieder hatte der Schwarzhaarige, der ihm gerade mit dem Finger gegen die Stirn stupste, den Nagel auf dem Kopf getroffen. Uruha dachte wirklich zu viel nach, dabei konnte er wirklich froh sein, dass Aoi nicht lockergelassen hatte.

„Du hattest enorm viel Geduld mit mir. Danke dafür.“

Ein zarter Kuss landete auf Aois Wange, dessen Grinsen nicht weniger wurde.

„Gerne doch“, zwinkerte er Uruha zu, der ihm lachend gegen den Oberarm pikte.

„Ich glaube übrigens, du kannst deinen Schirm jetzt schließen. Es hat aufgehört zu regnen.“
 

Es stimmte, wie Uruha ein überraschter Blick zur Seite verriet.

Wie viel Zeit wohl vergangen war? Gefühlt war es auch eine Spur heller geworden.

„Na, wenn das kein gutes Omen ist“, vernahm er Aois Stimme an seinem Ohr. Uruha lehnte sich unbewusst stärker gegen ihn, als er den Schirm geschlossen hatte und seinen Blick über den Fluss unter ihnen schweifen ließ.

„Wenn ich die Augen zusammenkneife, würde ich behaupten, dass es dort hinten schon etwas orangener aussieht als vorhin.“

Uruha musste unwillkürlich lachen, als er Aoi von der Seite betrachtete, der scheinbar hochkonzentriert in die Ferne starrte. Das Grinsen, das sich im Mundwinkel seines Freundes zu verstecken versuchte, war trotzdem unübersehbar.

„Auch wenn ein Sonnenaufgang in meiner Erinnerung anders aussieht, mein Lieber…“, feixte Uruha und drehte Aois Kopf mit sanftem Nachdruck wieder in seine Richtung. „… bin ich dir immer noch sehr dankbar für deinen Vorschlag.“

Ein sanfter Kuss schloss den Abstand zwischen ihnen für einen Augenblick, ehe Uruha fortfuhr.

„Und wie du schön sagtest, dann machen wir den morgigen zu unserem ersten, gemeinsamen Sonnenaufgang.“

Zufrieden kuschelte sich Uruha an Aois Schulter, dessen Hände sanft über seinen Rücken strichen. Eigentlich war ihm der Sonnenaufgang gerade egal – Hauptsache, sie waren zusammen. Hier, zu zweit am frühen Morgen trotz des miesen Wetters, auf der fast verwaisten Brücke zu stehen, barg eine ungemeine Romantik in sich, die sein Herz gleich wieder höherschlagen ließ, wenn er so darüber nachdachte. Und als hätte Aoi gespürt, was in Uruha vor sich ging, brachten seine nächsten Worte dieses vorfreudige Kribbeln zurück, das Uruha von Kopf bis Fuß zu erfüllen schien.

„Auch wenn ich bezweifle, dass wir morgen um diese Zeit schon wach sein werden. Ich denke, wir werden noch viele gemeinsame, erste Male haben, was glaubst du?“


Nachwort zu diesem Kapitel:

Yeah! Sie haben es hinbekommen, hurra! *lach* Hat ja auch echt lange gedauert, sorry ^^; Irgendwie war dieses Ende (es folgt übrigens noch der Epilog) gar nicht so geplant. Aber nachdem ich mich vor einer Weile mal mit den Neujahrstraditionen in Japan auseinandergesetzt hatte, hat mich der Gedanke an den ersten Sonnenaufgang nicht mehr losgelassen und ich fand das einfach unheimlich schön. Auch wenns für die beiden nicht ganz so perfekt lief (wäre ja zu viel des Guten gewesen), mag ich das Ganze dennoch recht gerne ^^
Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück