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Persecuted

von

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“Passt das so?”

Dies war der erste Satz, den Keith am nächsten Morgen von sich gab, als er, trotz der unangenehmen Unterbrechung seines Schlafes während der letzten Nacht, ausgeruht, perfekt gestylt und elegant gekleidet die Küche betrat und die Zeitung, die er soeben hereingeholt hatte, auf die Arbeitsfläche legte.

Kelso, sein Mitbewohner - Keith nannte ihn immer beim Nachnamen, seinen Vornamen konnte er sich irgendwie nie merken, verwechselte ihn ständig -sah mäßig interessiert von seiner Kaffeetasse auf, musterte ihn oberflächlich und gähnte dann.

“Ganz, ganz klasse. Also ich würde sofort mit dir ausgehen, wenn du mich fragen würdest.” Der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören, er nahm einen Schluck Kaffee und stellte die nun leere Tasse zwischen sich und die Herdplatte. “Im Ernst, wieso fragst du mich das? Seh ich aus wie ein Modeberater?”

Diese Frage konnte Keith eindeutig verneinen. Wenn man Kelso so ansah, dann war er wahrscheinlich der Letzte, den man nach Tipps für ein gelungenes Outfit fragen sollte.

Von Modegeschmack schien er wirklich keine Ahnung zu haben; an diesem Morgen trug er eine verblichene ehemals schwarze Jeans, ein Shirt von irgendeiner Band, die Keith absolut nichts sagte, mit kaum mehr erkennbarem Aufdruck und eine Strickjacke, die ihm eigentlich viel zu groß war.

Wie jemand so herumlaufen konnte war Keith ein Rätsel, er hätte sich so niemals vor die Tür gewagt, kleidete sich stattdessen ausschließlich in Markenklamotten, die er aufgrund des beträchtlichen Vermögens seiner Familie problemlos erstehen konnte.

Kelso hingegen schien es nicht sonderlich zu kümmern, wie er aussah, und nicht selten verspottete Keith ihn innerlich für sein oftmals geradezu skurriles Erscheinungsbild.

Aber eigentlich war die Frage an sich bereits unnötig gewesen.

Keith wusste, dass er gut aussah, das tat er immer, und das würde ihm auch oft genug gesagt, wenn er durch die Gänge der Schule oder die Innenstadt ging.

Fast jedes Mädchen in seinem Jahrgang himmelte ihn an, und wäre wahrscheinlich beinah an einem Herzinfarkt gestorben, hätte er sie einmal angesprochen.

So sah er das Ganze zumindest, inwieweit diese Annahme tatsächlich der Wahrheit entsprach sei hier nun einmal dahingestellt.

Ohne eine Antwort auf Kelsos zuvor gestellte Frage zu geben schob Keith sich an ihm vorbei, öffnete die Kühlschranktür und inspizierte den Inhalt mit einem prüfenden Blick, dabei ganz nebenbei sagend: "Ich bin heute Nachmittag übrigens nicht zuhause. Ich bin verabredet. Mit einem Mädchen." Insgeheim hoffte er, dass Kelso gereizt reagieren würde, vielleicht eifersüchtig darauf, dass es Keith so leichtfiel, ein Date zu bekommen, doch zu seiner Enttäuschung erwiderte der nur trocken: "Kannst du dich nicht an Tagen verabreden an denen ich nicht arbeiten muss? Heute hab ich ja gar nichts von deiner Abwesenheit!"

Das war genau die Art von Verhalten, die Keith auf den Tod nicht ausstehen konnte. Leute, die sich nicht so einfach provozieren ließen, wenn er es wollte. Die nicht so reagierte, wie er wollte.

Er war ein Kontrollfreak, und zwar ein ziemlich extremer, das gehörte zu seinen schlechtesten Eigenschaften - und ganz objektiv betrachtet besaß er viele schlechte Eigenschaften.

Die meisten Leute gaben diesem Kontrolldrang auch nach, und wenn sie es nicht taten konnten sie sich in den meisten Fällen auf etwas gefasst machen.

Doch Kelso hatte sich von Anfang an weder von Keith herumkommandieren noch sich von ihm beeindrucken lassen - und das konnte dieser ganz und gar nicht leiden.

"So wie du drauf bist brauchst du dich echt nicht zu wundern, dass du keine Freunde hast!" Keith hatte ruhig und gefasst klingen wollen, doch zu seiner Überraschung zitterte seine Stimme sogar ein wenig vor Gereiztheit, was nicht gerade dazu beitrug, dass die langsam in ihm aufsteigende Wut verschwand. Er merkte, wie sich seine rechte Hand wie von selbst zur Faust ballte.

Wenn Kelso ihn weiter provozierte dann könnte er was erleben - Keith hatte schon ganz andere Leute als seinen dürren Mitbewohner aus ähnlich banalen Gründen krankenhausreif geschlagen.

Womöglich könnte der am Ende froh sein, dass er noch lebte...

"Meine Güte, komm mal wieder runter!" Ohne eine Miene zu verziehen wandte Kelso sich der Kaffeemaschine zu - einem Artefakt aus der Zeit des ersten Weltkrieges (wahrscheinlich nicht ganz, aber sie sah so aus) - schüttete fünf Löffel Kaffee in das vorsintflutliche Ding und schlug dann auf die entsprechenden Knöpfe, die unter dem normalerweise für Knöpfe angebrachten Kraftaufwand nie reagierten.

Ein lautes Blubbern erfüllte die Küche, das momentan einzige Geräusch, das eine komplette Stille verhinderte.

Eine gefühlte Ewigkeit stand Keith einfach bloß da und lauschte dem kochenden Wasser, noch immer vor dem geöffneten Kühlschrank stehend, und langsam fröstelte es ihn ein wenig.

Also griff er nach dem Paket mit der Schinkenwurst, atmete tief durch, in der Hoffnung, dass seine Anspannung sich so ein wenig von ihm lösen würde und Schlug die Kühlschranktür dann mit einem solch heftigen Knall zu, dass die Teller in den Schränken leise Klirrten.

Kelso war ein Idiot. Ein Idiot, der ihn an diesem Morgen, der doch recht gut begonnen hatte, gehörig die Laune verdorben hatte.

Nicht, dass besonders viel dazu gehörte, Keith Lewis die Laune zu verderben.

Er gehörte nicht umsonst zu den Leuten am Uni, die am häufigsten in Schlägereien verwickelt waren, ihn zu reizen war nicht besonders schwierig. Und hätte sein Vater nicht so gute Beziehungen zum Direktor - genauer gesagt nicht das nötige Geld - wäre er wohl längst der Uni verwiesen worden.

Doch so störte ihn nicht weiter, dass ihm immer wieder gesagt wurde, er könne sich nicht so benehmen; solange er keine Konsequenzen fürchten musste sah er auch keinen Grund etwas zu ändern.

Schließlich lief momentan alles bestens für ihn, er hatte genügend Freunde, ging oft feiern und auch an potentiellen Freundinnen mangelte es ihm nicht.

Alles in allem ein durchaus erstrebenswertes Leben, wie er fand.

An eben diese Tatsache denkend und dabei lächelnd setzte er sich an den Küchentisch, nahm sich eine Scheibe Toast aus dem Korb und verzog dann den Mund als er sah, dass es geradezu verbrannt war.

"Ich weiß ja, dass du nicht kochen kannst", begann er mit höhnischer Stimme. "Aber Toast zu machen ohne ihn in Flammen aufgehen zu lassen? Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt!"

Kelso antwortete nicht.

Er hatte die Zeitung aufgeschlagen und las konzentriert einen der Artikel, schien Keith überhaupt nicht zu hören, ebenso wie das penetrante Piepen der Kaffeemaschine. Reagierte erst dann, als Keith ihm gegen das Schienbein trat.

"Hallo! Ich rede mit dir!"

"Hm?"

Endlich sah er auf, wirkte ein wenig verwirrt, als wäre er gerade aus einem tiefen Schlaf gerissen worden und müsse sich erst orientieren - ganz ähnlich wie es Keith in der letzten Nacht ergangen war.

Er drehte sich um und Schlug auf den Aus-Knopf der Kaffeemaschine, welche nun endlich ihr nerviges Gepiepse einstellte.

"Was hast du gesagt?"

"Nicht so wichtig! Sag mir lieber was da so Interessantes in der Zeitung stand."

Keith kicherte. "Flirttipps für Vollversager?"

"Deine dämlichen Sprüche werden auch beim fünfzigsten Mal nicht witziger und sind immer noch genau so lustig wie eine Magendarmgrippe. " Noch immer klang Kelso nicht gereizt, eher geradezu gelangweilt, während er den Kaffee aus der Kanne in seine Tasse kippte gähnte er wieder einmal. "Erinnerst du dich noch an dieses Mädchen, das letzten Monat verschwunden ist? Joyce Swanson?"

Natürlich erinnerte Keith sich an Joyce.

Sie hatten denselben Geschichtskurs besucht, und sie waren ein paar Mal miteinander ausgegangen - bis sie von einem Tag auf den anderen verschwunden war.

Die Polizei glaubte, sie sei weggelaufen, das sei nicht allzu ungewöhnlich für Mädchen in ihrem Alter, ihre Eltern hingegen waren der unumstößlichen Meinung, dass sie entführt worden war. Jedoch hatte es niemals eine Lösegeldforderung oder etwas anderes gegeben, das diese Vermutung unterstützen würde - es hatte einfach nichts gegeben.

Nicht die geringste Spur von Joyce.

Langsam nickte er. Bis sich auf die Unterlippe, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, straffte die Schultern. "Ja. Klar. Warum?"

Hatte die Polizei nun vielleicht doch einen Hinweis gefunden? Ihre Leiche womöglich? Gab es jetzt in der Zeitung einen seitenlangen Bericht über die endlich erfolgreichen Ermittlungen oder...

"Ihre Mutter hat Selbstmord begangen."

Diese Worte durchbrachen seine wirren Gedanken, er hob den Blick, sah Kelso überrascht an, runzelte die Stirn. „Echt jetzt?“

“Nein, das hab ich mir grad ausgedacht, weil mir so langweilig war.“

Die Augen verdrehend pflückte Kelso den bis eben betrachteten Teil der Zeitung heraus und reichte ihn Keith, wobei er beinah seine Kaffeetasse umgerissen hätte, die neben ihm gefährlich nah am Rand der Küchentheke stand.

Geradezu gierig griff Keith danach, studierte die in großen schwarzen Lettern gedruckte Schlagzeile über der Collage aus Bildern, die die Seite zierte, schluckte.

Er begann leise murmelnd, mehr zu sich selbst als zu seinem Mitbewohner, zu lesen:

"Carol Swanson von eigenem Ehemann tot aufgefunden. " Eine recht schwammige Überschrift, wie er fand, doch direkt darunter: "Die 45-jährige erhängte sich nach Angaben der Polizei auf ihrem eigenen Dachboden - wenige Wochen nach dem Bis heute ungeklärten Verschwinden ihrer 19-jährigen Tochter."

Langsam ließ er die Zeitung sinken. Atmete tief durch. Die Augen noch immer auf die Zeilen geheftet merkte er nicht, dass Kelso ihn aufmerksam musterte, als versuche er, seine Gedanken zu erraten.

"Einem Gespräch mit den Nachbarn der Swansons zufolge litt die Mutter sehr unter Joyce' Verschwinden, vermutlich wurde sie sogar psychologisch betreut. Einer der Anwohner berichtete, sie habe nachts oftmals laut und panisch geschrien; der Ehemann äußerte sich bisher nicht weiter..."

Er brach ab. Betrachtete noch einige Sekunden lang die Bildercollage; bestehend aus Familienfotos von Joyce, ihren Eltern sowie ihren Beiden Geschwistern, dann faltete er das Blatt zusammen, knallte es auf den Küchentisch und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Ich versteh das nicht!"

"Hm? Was jetzt?" Obwohl Kelso nicht wirklich sonderlich interessiert klang, eher so, als hätte er eine rhetorische Frage gestellt, antwortete Keith ihm dennoch.

"Ich verstehe nicht, wie man sich einfach so umbringen kann! Das ist doch...dumm!" Ein verächtliches Schnauben. "Meine Güte, das Leben geht doch weiter..."

Kelso, der bis jetzt den ganzen Morgen über so gewirkt hatte, als hätte er das Gefühlsspektrum eines Kühlschranks, ließ nun den Teil der Zeitung, den er behalten hatte, sinken und sah Keith mit einem Blick an, der irgendetwas zwischen Verwirrung, Verachtung und Wut ausdrückte.

"Wie kannst du das so einfach sagen?"

In seiner Stimme lag ein seltsamer Unterton, den Keith noch nie zuvor bei ihm gehört hatte; wie eine unterschwellige Drohung.

Irritiert und - obgleich er sich das niemals eingestanden hätte - ein wenig erschrocken zog Keith die Augenbrauen hoch, wäre beinah zusammengezuckt, konnte sich jedoch gerade noch beherrschen. Das hätte ja den Eindruck erweckt, dass er Respekt, womöglich sogar Angst vor seinem Mitbewohner hätte...was für ein unfassbarer Schwachsinn!

„Hä? Was?“

“Wie kannst du von einer Person, die gerade ihr Kind verloren hat, sagen, dass ihr Verhalten dumm war?! Du weißt doch überhaupt nicht...“

“Klar kann ich das!“ Ein verächtliches Schnauben. „Ich meine es war ja noch nicht mal klar ob ihre Tochter wirklich tot ist...“

“Oh. Natürlich.“ Keith zu unterbrechen war etwas, das niemand, dem an seinem guten gesundheitlichen Zustand etwas lag, tun sollte, doch schien Kelso dies nicht im Geringsten zu kümmern; seine Augen funkelten als er seinen Mitbewohner musterte, doch seiner Stimme war nichts von seiner offensichtlichen Wut anzuhören.

Sie klang eisig und schneidend, als er fortfuhr: „Und du weißt natürlich genauestens über sowas Bescheid! Ich bin mir sicher, mit deiner in vielen Jahren angesammelten Erfahrung zu solchen Themen kannst du genauestens beurteilen...“

„Halt dein Maul!“ Verächtlich den Kopf schüttelnd wandte Keith sich ab, wieder seinem Frühstück zu, schmierte Butter auf das verkohlte Toastbrot und schnaubte erneut. „Ernsthaft! Wer sich umbringt ist doch selbst schuld, ich versteh diesen ganzen Aufruhr nicht...Eine ganze Seite in der Zeitung...“

“Du bist ein Vollidiot.“

Ein Knistern von Papier, als Kelso die Zeitung zusammenfaltete und auf die Arbeitsplatte legte, ein leises Klacken, als er seine Tasse in die Hand nahm, leise Schritte, als er den Raum verließ und ein Knall, als er die Tür hinter sich schloss.

Keith sah nicht auf. Er dachte nach.

Dachte an Joyce, daran, wie sie an ihrem letzten Date in diesem angesagten Café in der Innenstadt gesessen und Eiscafé getrunken hatten...und natürlich auch an die Dinge, die sie zuvor getan hatten.

Auch an ihre Mutter dachte er, an die arme, arme Carol, die nun tot in der Leichenhalle lag, mit Würgemalen am Hals, Spuren des Todes, für die sie selbst verantwortlich war. Stellte sich vor, wie all die Reporter die verbliebenden Familienmitglieder bedrängen, um Interviews und Fotos bitten würden...

Doch bald schon schweiften seine Gedanken ab.

Zu einem anderen, seiner Meinung nach wichtigeren Thema. Seinem heutigen Date.



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