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Bodyguard

von

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Fünf Wochen waren seit dem nervenaufreibenden Vorfall in der Lagerhalle vergangenen. Es war früher Vormittag. Die Blondine legte ein Pad in die auf der Fensterbank stehende Kaffeemaschine, stellte eine Tasse darunter und blickte aus dem Fenster, während ihre Tasse sich mit Kaffee füllte.

Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Der wolkenverhangene Himmel tauchte die Stadt mit ihren schier unendlichen Hochhäusern und Wolkenkratzern in ein monotones Grau. Unten auf der Straße konnte sie Passanten mit Regenschirmen vorbeilaufen sehen. Von ihrem Büro aus, wirkten nicht nur die Menschen dort unten auf der Straße, sondern auch die Autos, nicht viel größer als Ameisen. Eins der typischen gelben Taxis hupte derweil das vor ihm fahrende Auto an, welches für den Geschmack des Taxifahrers wohl nicht schnell genug unterwegs war.

Das alles waren ihr vertraute, alltägliche Bilder. Nachdem sie ihre Mission in Japan beendet hatte, war Jodie zurück nach Amerika geflogen. Hier in New York befand sich ihr Büro und ihr eigentlicher Arbeitsplatz. Nach wie vor kam ihr das, was sie in Japan erlebt hatte, vor wie ein seltsamer Traum. Wie hatten sich die Ereignisse im Land der aufgehenden Sonne nur so überschlagen können? Wie hatte alles nur so aus dem Ruder laufen können?

Noch immer hatte sie mit dem Erlebten der vergangenen Monate nicht vollständig abschließen können. Dieser Tatsache wurde sie sich jede Nacht aufs Neue bewusst, wenn sie von Alpträumen geplagt, schweißgebadet aufwachte.

Die Entführung, der Schusswechsel in der Lagerhalle, all dies war noch ganz präsent, auch wenn sie vor ihren Kollegen stets behauptete, dass alles in Ordnung sei, wollte sie doch eine Zwangspause und die ganzen damit zusammenhängenden Therapiegespräche vermeiden.

Oftmals fragte sie sich, was eigentlich aus Chris geworden war, nachdem es dem FBI gelungen war, die Schlacht in der Lagerhalle für sich zu entscheiden. Die amerikanische Schauspielerin hatte sie gerettet, war jedoch im Anschluss von Shuichi zu einem der Autos geführt worden. Seitdem hatte die junge Frau die andere Blondine nicht mehr gesehen.

Natürlich hatte Jodie sich bei ihren Kollegen erkundigt, was nun eigentlich mit der Kriminellen passiert war, doch eine Antwort auf diese Frage hatte sie nicht erhalten. Zurück in New York war sie recht schnell auf die Idee gekommen, die Datenbanken des FBIs zu durchsuchen, um näheres zu erfahren, doch wann immer sie versuchte, den Namen ihres ehemaligen Schützlings zu recherchieren, sprang eine Fehlermeldung auf, welche ihr mitteilte, dass sie keine Zugriffsrechte hatte.

James Black hatte nur geäußert, dass diese Blockade eingerichtet worden wäre, da der Fall in Japan einfach zu sehr aus dem Ruder gelaufen war und sie nach den Erlebnissen in der Lagerhalle versuchen sollte, sich nicht weiter mit den Geschehnissen rund um die kriminelle Organisation zu belasten.

Dennoch ging ihr das Gesicht der Schauspielerin einfach nicht aus dem Kopf und wann immer sie an Japan und an Chris dachte, schmerzte es noch, oder aber sie fühlte sich seltsam leer.

Ihr Kaffee war fertig und die Agentin schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu verdrängen. Sie war wieder in New York, im Dienst und sie wurde nicht fürs Tagträumen bezahlt.

Jodie setzte sich zurück an ihren Schreibtisch, nahm einen Schluck Kaffee und stellte die Tasse dann erst einmal neben sich ab.

Schließlich öffnete sie eine der Datenbanken und durchsuchte diese. Auf ihrem Schreibtisch lagen haufenweise Blätter mit Ereignisberichten zu ihrem neuen Fall. Eine Bande machte die Außenbezirke New Yorks unsicher und schoss aus dem fahrenden Auto auf Menschen. Einige Opfer hatte es bereits gegeben, genau so wie einige Augenzeugenberichte, welche zumindest die Automarke näher beschreiben konnten. Leider nur schien die Bande über mehrere Fahrzeuge zu verfügen und das Profiling der Opfer hatte bisher auch zu nichts geführt.

Die Gesichter der Täter waren noch unbekannt. Bisher hatten ihre Kollegen und sie lediglich die Tatorte auf einer Karte markieren können und hatten dabei festgestellt, dass die Bande langsam aber sicher von den Außenbezirken in Richtung Stadtmitte vorrückte.

Jodie durchblätterte noch einmal die Berichte und betrachtete die bisherigen Erkenntnisse, welche sie auf einer Glastafel, die an der Wand ihres Büros befestigt war, notiert hatte.

Vom großen Durchbruch war das FBI scheinbar noch meilenweit entfernt. Wenn die Ermittlungen so schleppend weitergingen, dann würde dies sicher noch weitere Zivilisten das Leben kosten.

Ein wenig frustriert zog sie die Stirn kraus, während sie die bisherigen Ergebnisse genaustens betrachtete. Ohne Erfolg. Mit einem Seufzen wandte sie sich wieder ihrem Schreibtisch zu, putzte erst einmal ihre Brille und klickte schließlich weiter in der Datenbank herum.

Ein leises Klopfen lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Bürotür. Kaum hatte sie sich der Tür zugewandt, da wurde diese auch schon geöffnet und James Black betrat das Büro.

„Guten Morgen. Wie geht es dir?“, grüßte ihr Vorgesetzter die junge Agentin. Diese riskierte einen kurzen Blick auf die Wanduhr, sparte es sich jedoch, Black darauf hinzuweisen, dass es bereits beinahe Mittag war.

„Gut, wie immer.“ Wie angenehm es doch war, seit Wochen mit sämtlichen Leuten wieder ohne darüber nachzudenken englisch sprechen zu können und nicht mehr ständig nach den passenden japanischen Vokabeln suchen zu müssen. „Noch besser würde es mir allerdings gehen, wenn wir in dem aktuellen Fall endlich einmal Fortschritte machen würden. Es ist wie verhext. Die Täter schlagen scheinbar zu, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, aber ich bin mir sicher, dass wir irgendetwas übersehen.“

Kurz dachte James über ihre Worte nach, ehe er bedächtig nickte. „Ich bin mir ebenfalls ziemlich sicher, dass wir irgendetwas übersehen. Das perfekte Verbrechen in dem Sinne gibt es schließlich nicht. Die Frage, die wir uns aktuell stellen sollten ist, welchen Schritt wir gehen sollten, um den nächsten Puzzlestein zu finden, der uns weiterbringen könnte.“

Die Blondine musste nicht lange darüber nachdenken. „Nun, wenn es uns gelingen würde zu denken wie diese Verbrecher, dann wären wir sicherlich bereits einen Schritt weiter.“

„Unsere Spezialisten arbeiten bereits auf Hochtouren an diesem Problem, aber wie erfolgreich diese Arbeit bisher war, weißt du ja selbst.“

„Unsere Leute sind Profis, aber nun einmal auch durch und durch Agenten. Eine Person, die selbst der Szene angehört, würde eventuell auf ganz andere Dinge achten.“

„Du denkst also, dass es einem Kriminellen leichter fallen würde, in die Köpfe der Täter zu gucken, weil ein Verbrecher nun einmal denkt wie ein Verbrecher?“, erkundigte James sich mit mildem Interesse.

Jodie nickte. „Das ist gut möglich. Allerdings frage ich mich, wen wir diesbezüglich zu Rate ziehen sollen. Die meisten verurteilten Kriminellen werden einen Teufel tun, mit dem FBI zusammenzuarbeiten.“

Auf den Lippen ihres Vorgesetzten zeichnete sich ein leichtes Schmunzeln ab. „Also was das betrifft, hätte ich vielleicht eine Idee.“

Die Blondine legte den Kopf schief. „Ach ja? In wie fern?“

Ihr Vorgesetzter wandte sich kurz der Tür zur. „Ihr könnt reinkommen.“

Neugierig geworden, erhob Jodie sich von ihrem Sitzplatz, war sie doch gespannt, wen James Black gedachte in diesem Fall zu Rate zu ziehen.

Zuerst einmal betrat Camel das Büro und die Blondine wollte sich gerade schon fragen, wie genau ihr Kollege bei dem Problem nun weiterhelfen wollte, als noch eine zweite Person den Raum betrat.

Ungläubig starrte die junge Frau den Neuankömmling an. Für einen Moment herrschte in ihrem Kopf vollkommene Leere, dann überschlugen sich ihre Gedanken förmlich.

„Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“, durchbrach Chris die Stille und obwohl ihre Haltung selbstbewusst wie immer war, konnte Jodie doch eine Spur von Unsicherheit in den grünen Augen ihres Gegenübers entdecken.

„Chris?! Was machst du denn hier?“, wollte sie vollkommen perplex wissen, ehe sie reflexartig nach vorne stürzte, um der Älteren um den Hals zu fallen.

Black und Camel tauschten irritierte Blicke aus, hatten sie mit so einer Begrüßung wohl nicht gerechnet, vor allem aber die amerikanische Schauspielerin selbst, blickte perplex drein. Für einen Wimpernschlag war sie vollkommen erstarrt, dann hob sie zögerlich die Arme, um Jodies Umarmung zu erwidern, nur eben nicht ganz so stürmisch.

„Was ich hier mache? Das...ist eine lange Geschichte.“, äußerte Chris schließlich.

Schließlich ließ die FBI Agentin ihr Gegenüber wieder los, ging ein wenig auf Abstand und wandte ihre Aufmerksamkeit ihrem Vorgesetzten zu, als dieser sich räusperte und schließlich das Wort ergriff.

„Das du ihr nicht an die Kehle gegangen bist, werte ich jetzt mal als ein gutes Zeichen.“, meinte er, ehe er auf das eigentliche Thema zurückkam. „Du gehst davon aus, dass du in den Ermittlungen weiterkommst, wenn dir eine Person mit krimineller Vergangenheit dabei behilflich ist, die Täter besser zu verstehen. Nun, hier ist deine Ansprechpartnerin. Denkst du, dass du nach all dem, was in Japan vorgefallen ist, trotzdem mit Ms. Vineyard zusammenarbeiten kannst?“

Unweigerlich musste Jodie an die Zeit in Japan denken. Es war so viel passiert. Nach einem mehr als nur holperigen Start, hatte sie schließlich geglaubt die Ältere zu kennen, nur um dann festzustellen, dass die Schauspielerin auch noch eine kriminelle Karriere hatte. Die Andere hatte ohne irgendwelche Gewissensbisse drei Personen niedergeschossen, hatte ihr während des Gesprächs in der Lagerhalle versichert, wie wichtig sie ihr war, nur um sie im nächsten Moment in diesem Container einzusperren und ihre Chance zur Flucht zu nutzen. Aufgrund der Tatsache, dass sie eingeschlossen gewesen war, war die Agentin schließlich diesen Kriminellen in die Hände geraten und hätte dies beinahe mit ihrem Leben bezahlt, nur um schließlich von Chris und dem FBI in einer Hollywoodreifen Aktion gerettet zu werden.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete sie wahrheitsgemäß. So viel sie für die Schauspielerin nach wie vor empfand, so wütend war sie aktuell doch auch auf sie. Und obwohl sie einerseits unglaublich froh war die Andere wiederzusehen, so wusste sie andererseits nach all den Vorfällen doch nicht, in wie weit sie ihr vertrauen konnte, geschweige denn, in wie weit sie Chris überhaupt noch einmal vertrauen könnte.

Die Blondine suchte Blickkontakt mit ihrem Vorgesetzten. „Zwischen uns ist viel vorgefallen, aber angesichts der Tatsache, dass dort draußen eine Bande ihr Unwesen treibt und Tag für Tag Menschen erschießt, sollten private Differenzen wohl erst einmal nebensächlich sein. Natürlich werde ich mit ihr zusammenarbeiten, wenn uns das auf die richtige Spur bringen sollte.“, korrigierte sie ihre vorherige Aussage.

Natürlich würde sich erst noch herausstellen müssen, in wie weit diese Zusammenarbeit Früchte trug, doch einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

Black nickte. „Ich hatte gehofft, dass du so etwas sagen würdest.“

Fragend blickte Jodie ihn an. „Aber eine Sache würde mich schon noch interessieren. In den letzten Wochen hat mich niemand darüber informiert, was genau denn nun aus der Mission in Japan und aus Chris geworden ist und heute, bringt ihr sie urplötzlich zu mir ins Büro? Ist sie aktuell auf freiem Fuß, oder habt ihr sie aufgrund des Falls aus irgendeinem Gefängnis hier her bringen lassen?“

Kurz herrschte Schweigen, dann legte James Black der Kriminellen eine Hand auf die Schulter und schob sie einen Schritt weiter ins Büro. „Am besten wird es sein, wenn Ms. Vineyard dir das selbst erklärt. Um genau zu sein, hat sie sogar darum gebeten, das in Ruhe mit dir besprechen zu können.“

Somit verabschiedeten Black und Camel sich fürs erste und ließen die beiden Frauen allein im Büro der Agentin zurück.

 

Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Es war unschwer zu erkennen, dass keine der beiden sich ganz wohl in ihrer Haut fühlte.

„Du scheinst immer wieder für eine Überraschung gut zu sein.“, durchbrach Jodie schließlich die Stille, ehe sie sich an die Fensterbank lehnte. „Haben meine Kollegen dich vorübergehend aus einem der umliegenden Gefängnisse geholt, oder hast du es irgendwie geschafft, den Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen?“

Die Schauspielerin hatte ein leicht schiefes Schmunzeln aufgesetzt. „Sieh dir meine Kleidung doch einmal etwas genauer an. Sieht das für dich nach Gefängnismode aus?“

Jodie betrachtete die Andere und musste feststellen, dass sie Recht hatte. Bluse, Blazer, Rock und hohe Hacken – noch dazu teure Markenware – würde eine Strafgefangene wohl kaum tragen.

„Wie hast du es geschafft, aus der ganzen Geschichte noch einmal rauszukommen?“, wollte die Agentin nun wissen, ohne dabei besonders feindselig zu klingen.

Chris erklärte es ihr. Sie berichtete, wie sie vor der Rettungsaktion ziemlich hoch gepokert hatte und damit durchgekommen war. Sie hatte mit dem FBI zusammengearbeitet und dabei das hohe Risiko auf sich genommen erschossen zu werden, im Gegenzug hatte sie jedoch verlangt, in sämtlichen Delikten, die in Zusammenhang mit der Organisation gebracht werden konnten, sowie dem Vorfall mit den Angreifern vor dem Supermarkt, und der Aktion in der Lagerhalle, nicht belangt zu werden.

Das waren Forderungen gewesen, auf die das FBI alles andere als gern eingegangen war, doch da Jodie bei ihren Kollegen sehr beliebt war, und sie auf die Zusammenarbeit mit Chris angewiesen gewesen waren, um die FBI Agentin zu retten, hatten sie schließlich zugestimmt.

Die Blondine hatte sich dies klugerweise schriftlich geben lassen. Die Entscheidung zu treffen und die Dokumente binnen so kurzer Zeit zu beschaffen, war zwar alles andere als leicht gewesen, doch schließlich hatte der Deal gestanden.

Man hatte die Kriminelle mit entsprechender Ausrüstung versorgt und einen gemeinsamen Plan zurechtgelegt, ehe die Blondine die Lagerhalle betreten und mit der Schauspielerei begonnen hatte.

In dem geräumigen Geländewagen hatten einige Agenten Platz gefunden und auf das verabredete Zeichen hin schließlich eingegriffen, ehe die benötigte Verstärkung schließlich mit quietschenden Reifen im Hafengelände eingetroffen war.

Nach der gelungenen Rettungsaktion hatte das FBI die Schauspielerin dennoch erst einmal mitgenommen, um diese über sämtliches Wissen bezüglich der Organisation auszuquetschen.

Allein diese Ermittlungen, welche dank dem Insiderwissen nun besser vorrangigen, hatten Wochen in Anspruch genommen. Zwar hatte Chris jahrelang für diese Verbrecherbande gearbeitet und hatte dort selbst einen sehr hohen Rang bekleidet, doch nachdem sie ihre Kollegen mit der Rettungsaktion verraten hatte, hatte sie schließlich mit dem FBI zusammengearbeitet, war es doch nun auch gesünder für sie selbst, möglichst viele der Kriminellen zu erwischen, denn was ihr als Verräterin blühte, das wusste sie.

„In den letzten Wochen ist es deinen Kollegen gelungen, einen Großteil der Organisation zu zerschlagen. Was das betrifft, horchen sie mich nach wie vor noch Tag für Tag aus.“ Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. „Das FBI ist auf meine Forderungen eingegangen, ich musste im Gegenzug euren Bedingungen zustimmen. Zwar werde ich hauptberuflich weiter als Schauspielerin meine Brötchen verdienen, allerdings musste ich mich auch dazu verpflichten, in den Ermittlungen gegen die restliche Organisation, genau so wie bei anderen Fällen, in denen die Sichtweise einer ehemaligen Kriminellen benötigt wird, mit den Behörden zu kooperieren. Wie du siehst, bin ich frei, allerdings gelte ich dank meiner kriminellen Karriere als hohes Sicherheitsrisiko, weshalb deine Kollegen mit diesem kleinen Chip hier, jederzeit meinen Aufenthaltsort bestimmen können und bemerken würden, wenn ich mich an zwielichtigen Orten herumtreiben sollte.“

Kurz deutete sie auf einen winzigen Schnitt auf ihrem linken Handrücken, welcher bereits zu heilen begonnen hatte. Die Ältere zuckte mit den Schultern. „In wie weit das legal ist, darüber lässt sich zwar streiten, aber im großen und ganzen scheint mir das nur ein kleiner Preis zu sein.“, endete sie schließlich.

Jodie starrte ihr Gegenüber eine Weile einfach nur an, nicht ganz sicher, was sie zu dieser Geschichte sagen sollte, doch die Tatsache, dass Chris eben in Begleitung von James Black und Andre Camel das Zimmer betreten hatte, sprach dafür, dass das, was die Blondine ihr erzählt hatte, der Wahrheit entsprechen musste.

„Wow, das klingt fast wie im Film, wenn ich ehrlich sein soll.“, fand sie die Sprache schließlich wieder.

„Nenn es wie du willst, das war in den letzten Wochen mein Leben.“ Die Ältere schritt durch das Büro, nur um schließlich neben der Agentin stehen zu bleiben und aus dem Fenster zu blicken.

Kurz herrschte Schweigen, dann ergriff Jodie erneut das Wort :“Du hast viel riskiert. Mir stellt sich die Frage, ob du das Risiko im Hafen für mein Wohl auf dich genommen hast, oder ob es dir schlicht und ergreifend darum ging, letztlich einen Deal mit dem FBI zu erwirken und dir Straffreiheit zu erkaufen.“

Angesprochene betrachtete die Jüngere einige Augenblicke lang. „Was denkst du denn?“

Die Agentin seufzte und vermied es, ihre Gesprächspartnerin direkt anzusehen. „Ich weiß es nicht. Es ist so viel passiert, dass ich nicht mehr weiß, wie ich dich einzuschätzen habe. In einem Moment feuerst du ein ganzes Magazin leer, ohne mich auch nur einmal zu treffen und beteuerst, wie viel ich dir bedeute, im nächsten Moment, lenkst du mich ab und sperrst mich in einen Container, um flüchten zu können. Du hast so viel riskiert um mich vor deinen Kollegen zu retten und gleichzeitig hast du damit auch einen Deal herausgeschlagen, der einen großen Vorteil für dich bedeutet. Du schauspielerst so gut, dass man nicht merkt wann du nur für deinen eigenen Vorteil spielst und wann du du selbst bist. Nach all dem, was in Japan passiert ist, weiß ich nicht, wie ich dir wieder vertrauen kann.“

Ein wenig war sie selbst überrascht über die ehrlichen Worte, mit denen sie versucht hatte Chris begreiflich zu machen, was derzeit in ihrem Kopf vor sich ging.

Die Schauspielerin verzog keine Miene, was es nicht unbedingt leichter machte sie einzuschätzen. „Deinen Worten entnehme ich, dass ich dir nach wie vor wichtig genug bin, als dass du versuchen möchtest, mir wieder zu vertrauen.“, sagte sie schließlich.

Jodie funkelte sie an. „Hast du mir eben nicht richtig zugehört?! Ja, du hast mich letztlich gerettet, aber ich will nicht wissen, wie oft du mich angelogen hast. Ich bin froh dich unverletzt wiederzusehen, aber ich bin auch verdammt wütend auf dich!“

„Denkst du das wüsste ich nicht?“ Nach wie vor klang Chris recht unbeeindruckt. „Ich an deiner Stelle, würde eine Person wie mich vermutlich zum Teufel jagen.“

„Besser wäre es wohl.“ Die Agentin lächelte bitter. „Dich zum Teufel zu jagen wäre das einfachste, aber ich will dich nicht gehen lassen, ich will dich besser einzuschätzen lernen. Wenn ich dich lesen kann, kannst du mir nichts mehr vorspielen.“

Chris schmunzelte. „Das ist so typisch für dich. Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, lässt du nicht mehr locker. Du sagst, dass meine Schauspielerei so gut ist, dass man Spiel und Realität nicht mehr voneinander unterscheiden kann. Sag mir also, was ich deiner Meinung nach tun soll, damit du dir sicher sein kannst, mich besser einschätzen zu können.“

Auf die Frage hin überlegte Jodie kurz, ehe sie schließlich antwortete :“Mit der Zeit lernen Menschen sich zu lesen und sich zu vertrauen. Ein Anfang wäre es, wenn du anfangen würdest offen mit mir zu reden. Spiel mir nichts vor, sondern sag mir was du fühlst, was du denkst. Erzähl mir etwas über dich. Zeig mir wie du lebst.“, forderte sie.

„Hey hey...!“, ein wenig abwehrend hob Chris die Hände, um den Redefluss irgendwie zu stoppen. „Das sind aber ganz schön viele Forderungen, die du da hast. Dir ist schon bewusst, was du da von einer ehemaligen Kriminellen verlangst? Ich habe mich Jahrelang niemanden mehr so sehr geöffnet.“

Fest blickte die Jüngere sie an, ehe sie ungerührt antwortete :“Du hast mir an dem Abend in der Lagerhalle erst noch gesagt, was du für mich empfindest. Wenn ich dir wichtig bin, dann solltest du zumindest versuchen, dich mir gegenüber zu öffnen.“, verlangte sie.

Einen Moment lang dachte Chris darüber nach. „Hier im Büro scheint mir ein schlechter Zeitpunkt, um damit anzufangen dir mehr über mich zu erzählen. Hast du heute Abend schon etwas vor? Wenn nicht, dann lass uns doch heute Abend essen gehen.“, schlug sie schließlich vor.

Jodie zog eine Augenbraue hoch und blickte ihr Gegenüber skeptisch an. „Aber die Rechnung geht auf dich, damit das klar ist.“

„Was immer du sagst, Kitten.“ Auf die Lippen der Schauspielerin hatte sich ein amüsiertes Schmunzeln gestohlen. Auf den Spitznamen hin, schnaubte die Agentin missfallend.

„Ach, da fällt mir ein : hast du das rote Kleid noch, dass du drüben in Japan einmal getragen hast, als wir abends noch ausgegangen sind?“

„...Ja. Was ist damit...?“ Die Skepsis war der jüngeren Blondine deutlich anzuhören, während Chris Schmunzeln breiter wurde und ihre Augen amüsiert funkelten. „Zieh es doch noch einmal an, du siehst toll darin aus.“

„Hey!“ Die junge Frau boxte der anderen Amerikanerin spielerisch gegen den Oberarm. „Das ist kein Date, ich bin immer noch sauer auf dich, vergiss das nicht!“

Einen Moment lang blickten sie sich an, dann mussten sie beide lachen und das Eis schien vorerst gebrochen zu sein.

Nachdem sie wieder etwas ernster geworden waren, stupste Chris Jodie an und nickte dann in Richtung des Computers. „Wenn deine Kollegen merken, dass wir uns nur unterhalten, aber nichts produktives tun, zerreißen sie uns am Ende noch in der Luft. Schauen wir uns den Fall, an dem du dir derweil die Zähne ausbeißt, doch einmal gemeinsam an.“

 

Am Abend bereitete die Blondine sich schließlich darauf vor, gleich das Haus zu verlassen, um sich mit der Schauspielerin zu treffen. Kurz musste sie an den heutigen Tag denken. Was den Fall betraf, hatte Chris einige interessante Denkansätze gehabt. Es konnte nicht schaden, den Theorien in den nächsten Tagen einmal nachzugehen.

Auch hatte Jodie bemerkt, dass sie bereits nach kurzer Zeit wieder damit begonnen hatte, sich ein wenig zu wohl in der Nähe der attraktiven Schauspielerin zu fühlen. Immer wieder hatte sie sich ermahnen müssen, dass es nicht gerade ratsam war, so zu tun, als wäre nie etwas gewesen, denn dafür war eindeutig zu viel vorgefallen. Jodie konnte noch nicht sagen, wie lange es brauchen würde, bis sie Chris wieder vertrauen konnte, doch die Zeit würde es zeigen. Die Wunden der letzten Monate würden sich wohl erst einmal schließen müssen. Die Ältere musste ihr zeigen, dass sie nicht bloß mit ihr spielte, sondern es tatsächlich ernst meinte. In wie weit die ehemalige Kriminelle bereit sein würde, sich ihr gegenüber zu öffnen, auch wenn sie das natürlich verletzbar machte, blieb abzuwarten und würde nicht von heute auf morgen zu beantworten sein.

Jodie stand vor ihrem Kleiderschrank und überprüfte ein wenig unschlüssig dessen Inhalt. Sie waren nur zum Essen verabredet – in einem ganz normalen Restaurant. Eigentlich sollte die Wahl eines passenden Outfits da das geringste Problem sein.

Plötzlich streiften ihre Finger den roten Stoff eines Kleides. Sie hielt inne und betrachtete das Kleidungsstück einen Augenblick lang. »Ach, da fällt mir ein : hast du das rote Kleid noch, dass du drüben in Japan einmal getragen hast, als wir abends noch ausgegangen sind? Zieh es doch noch einmal an, du siehst toll darin aus.«, hallten Chris Worte in ihrem Kopf wieder.

Kurz zögerte sie noch, dann zog sie den Kleiderbügel mit besagtem roten Kleid aus dem Schrank. Auch wenn die Andere vieles wiedergutzumachen hatte, so konnte sie doch nicht verhindern, dass ihr Magen angenehm kribbelte, als sie erneut an die Worte der Schauspielerin dachte, in das Kleid schlüpfte und sich schließlich prüfend darin im Spiegel betrachtete.



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