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Im Wechsel der Jahreszeiten

von

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Frühling, Sommer, Ja Teil 9 - Finger und Wundertiere

Marti war damit beschäftigt, so ein Einverständnisformular für die Klinik auszufüllen, als es klingelte.
 

Das Formular sprach von den Risiken einer OP. Na ja, klar, es gab bei jedem Eingriff ein Restrisiko. Er machte sich da keine Sorgen. Würde schon werden. War halt notwendiger Papierkram.

Die OP sollte am übernächsten Dienstag erfolgen. Er würde dann zwei Wochen in etwa ausfallen. Die Dreharbeiten für die Kindersendung waren so geplant, dass in den zwei Wochen alle Szenen gemacht wurden, bei denen er nicht dabei sein musste. Da gab es keine Probleme.
 

Er öffnete die Tür.

„Hallo, Flo. Komm rein!“

Flo folgte Marti in die Küche. Draußen war es kühl und ungemütlich, und bei solchem Wetter war Marti am liebsten in der Küche, das fand er irgendwie am gemütlichsten. Zumal wenn er allein war, und Jako war momentan nicht da.

„Möchtest du ein Mate?“

Flo nickte.

„Gerne."

Marti öffnete zwei Flaschen.

„Was dagegen, wenn ich das hier eben fertig mache? Ist für die Klinik. Danach hab ich Zeit für dich.“

„Mach nur“, sagte Flo und nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche.

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Marti soweit war. Er schob das ganze in einen Umschlag, legte es auf das Küchenbord und setzte sich wieder an den Tisch zu Flo.

„So, nun raus mit der Sprache. Was kann ich für dich tun?“
 

„Also“, begann Flo. „Es geht um folgendes. Ich muss für mein Studium eine Arbeit verfassen. Das Thema lautet: 'Die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen', und in diesem Rahmen kann ich die Arbeit recht frei gestalten. Ich habe als konkretisiertes Thema 'Unterschiedliche Modelle der Rollenverteilung in Paarbeziehungen' gewählt. Hab für den theoretischen Teil im Prinzip alles soweit fertig, und beginne nun, das ganze an Fallbeispielen zu erläutern.“

Aha, dachte Marti, ich glaube, ich ahne, worauf das hier hinausläuft.

Flo bog die Finger seiner linken Hand um, als wollte er abzählen.

„Ich habe als Beispiele jetzt einmal ganz klassisch Ina und mich genommen. Eine moderne, relativ unspektakuläre Beziehung, in der beide Partner gleichberechtigt nebeneinander stehen. Und auch bei uns hat sich natürlich eine Rollenverteilung ergeben, oder eher ne Aufgabenverteilung... ist wohl zwangsläufig so.“

Der zweite Finger.

„Dann habe ich ein Paar aus meinem Bekanntenkreis, wo der Altersunterschied die Rollenverteilung beeinflusst: Er ist 42, sie 25. Ich habe halt beide interviewt, und das Interview, anonymisiert natürlich, für die Arbeit verwendet.“

Der dritte Finger.

„Dann meine Großeltern. Eine ganz klassische Beziehung ihrer Generation: Opa war arbeiten, Oma hatte Haushalt und Kinder zu führen. Sie konnte keinen Nagel von einer Schraube unterscheiden, er dagegen kein Spiegelei braten. Beide waren damit all die Jahre glücklich und zufrieden und sind es bis heute.“
 

Er grinste verlegen, als er den vierten Finger krümmte.

Marti kam ihm zuvor.

„Und als viertes hast du dann an die beiden exotischen Wundertiere aus deinem Freundeskreis gedacht“, sagte er und kicherte.

Flo sah ihn echt verlegen an.

„Sorry. Ich wollte euch nicht zu nahe treten. Aber ich hatte schon an euch gedacht. Du musst zugeben, dass eure Art der Paarbeziehung schon... besonders ist.“

„Hast Recht“, sagte Marti.

„Na ja“, fragte Flo, „und nun möchte ich euch fragen, ob ihr zu einem Interview bereit wärt, das ich anschließend dann auch für meine Arbeit verwenden darf.“
 

Marti überlegte eine Weile.

Er war zwiegespalten.

Einerseits fühlte sich das ganze schon ein bisschen an, als wären sie Zirkustiere, die vorgeführt werden sollten. Es war ihm allerdings auch klar, dass es Flo tatsächlich aber nicht darum ging, sondern nur um den Erfolg seiner Arbeit.

Anderseits wollte er Flo natürlich gerne helfen. Flo war auch immer für ihn und Jako da, wenn sie ihn brauchten, und nicht nur für sie, er stand jedem im Freundeskreis mit seinem Rat zur Verfügung und hatte schon vielen geholfen, ihre Probleme zu lösen und ihren Streit zu schlichten...

Außerdem konnte das total interessant werden.

Warum also nicht.
 

„Würdest du uns gemeinsam oder einzeln interviewen?“

„Ehrlich gesagt, lieber einzeln. Hab ich bei den anderen auch so gemacht. Dann hab ich nämlich gewährleistet, dass die Antworten wirklich offen gegeben werden, ohne irgendeine noch so unbewusste Beeinflussung durch den anderen.“

Marti nickte.

„Also, ich kann natürlich nicht für Jako sprechen, aber ich finde den Gedanken schon ganz interessant... Am besten, du rufst morgen an, dann kann ich dir sagen, ob ich es mache, und Jako frage ich für dich, der kann dir dann auch seine Antwort geben.“

„Falls Jako nicht möchte, würdest du dann...?“

„Das kann ich dir morgen sagen, okay?“

„Na klar, wenn du es dir erst in Ruhe überlegen willst...“
 

„Nein, darum geht es gar nicht“, sagte Marti.

„Es ist nur so, dass ich schlichtweg Jako um Erlaubnis fragen muss.“

Flo sah ihn interessiert an. Da hatte er gar nicht dran gedacht, obwohl das doch eigentlich klar war.

„Wo ist der eigentlich?“

„Oben bei Felix. Ich sage nur: Musikprojekt.“

„Kannst du ihn vielleicht gerade anrufen?“

„Geht nicht. Er hat mir verboten, ihn zu stören.“

Flo nickte.

„Okay, kein Ding,. Ich kann gerne bis morgen warten.“
 

Nachdenklich strich Flo sich über den Kopf.

„Marti, du nimmst das ganz schön ernst, oder?“

„Was meinst du?“

„Diese Art der... Beziehung?“

„Ja sicher. Flo, das ist nun mal unser Lebensstil. Und der funktioniert nur, wenn man ihn ernst nimmt.“

Er nahm eine Schluck Mate.

„Aber letzten Endes ist das doch bei jeder Art von Beziehung so. Es läuft nur, wenn beide sich, den anderen und die gegenseitigen Bedürfnisse ernst nehmen, oder?“

Flo nickte.
 

Also Flo sich verabschiedete, sagte er schon im Gehen zu Marti:

„Marti, ich kenne euch zwei schon so lange, ich weiß nun auch schon echt lange um die Besonderheiten eurer Beziehung. Und noch immer habe ich überhaupt keine echte Vorstellung davon, wie sich das anfühlen muss. Wer euch kennt, weiß, dass ihr glücklich seid. Trotzdem... die Vorstellungskraft dafür fehlt mir.“

Er lächelte verlegen.

Marti jedoch grinste breit. Ein kleiner Schalk schlich sich von hinten an, sprang ihm ins Genick, biss zu und brachte ihn dazu zu sagen:

„Na dann probiere es doch mal aus für ein paar Tage! Kannst Ina ja mal fragen!“

„Ja nee, is klar“, antwortet Flo, und dann brachen sie hier im Treppenhaus in Gelächter aus.
 

Als Flo jedoch unten aus der Haustür auf die Straße trat, sah er nachdenklich aus...



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