Zum Inhalt der Seite

Lügenpalast

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Trainingscamp

Bokutos Wohnung war… erstaunlich normal, groß und wirklich gut gelegen. In einer Stadt wie Tokyo war sie vermutlich unbezahlbar, aber alles in allem wirkte sie… wie die Wohnung eines Junggesellen. Wenn man von der starken Verbreitung des Thema Volleyballs absah, gab es kein einziges Zeichen dafür, dass hier ein Profisportler lebte.

Was aber fast noch überraschender war, war, dass es dafür, dass er hier gar nicht regelmäßig wohnte, unglaublich chaotisch war. Im Wohnzimmer lagen Sportklamotten, die dringend eine Wäsche brauchten, in der Küche und auch sonst überall in der Wohnung standen Schalen herum, die eigentlich nur den Weg in die Spülmaschine hätten finden müssen. Packungen von Instantrahmen, halb gegessene Chipspackungen, verteilt quer in der Wohnung, im Kühlschrank nur gähnende Leere. Alles wirkte unglaublich ungesund.

Und selbst wenn ich gerade erst vor einer Woche da gewesen war, sah es in der nächsten Woche bereits wieder so aus.

Bei dem ersten Termin hatte Bokuto mir ohne zu zögern einen Schlüssel gegeben und das mochte absolut naiv von ihm sein, aber es half mir auch dabei, den Profispieler in seiner Wohnung zu vermeiden. Es mochte feige sein, aber ich vermied es, ihn zu treffen. Seit kurzem spielte er wieder für eine japanische Mannschaft und lebte wieder dauerhaft in dieser Wohnung, sodass ich manchmal sogar zweimal in der Woche vorbeikam, wenn es nötig war. Es war der beste Job, den ich jemals gehabt hatte und doch war es an manchen Tagen einfach unerträglich, hier zu sein. Manchmal kam Shou nach der Schule hier her, wenn ich Bokutos Training wieder einmal so abgepasst hatte, dass er nicht zuhause war, und dann beschlich mich dieser Gedanke, dass das hier sein Leben hätte sein können, wenn ich nicht so egoistisch gewesen wäre, ihn bei mir haben zu wollen. Ich hasste diese Tage.

Heute war ich vormittags in der Wohnung, machte gerade die Wäsche, und zwang mich nicht darüber nachzudenken, dass mich meine baldige Hitze um eine Woche Lohn bringen würde, während mein Sohn noch in der Schule war. Ich würde noch den Müll wegbringen müssen und vielleicht würde ich noch die riesige Glasfront putzen, damit der Blick über die Stadt wieder klar wäre, als plötzlich ein Schlüssel in der Wohnungstür kratzte und ich wie erstarrt stehen blieb.

Laut kam Bokutos Stimme von der Tür. „So ein Unsinn, Kuroo! Wenn Batman Volleyball spielen würde, wäre er definitiv besser darin als Superman!“

Eine zweite Stimme antwortete ihm: „Superman ist superschnell und superstark, Bo, denk doch mal nach!“

Für einen Moment fragte ich mich, wie ich am schnellsten verschwinden könnte, achtete gar nicht auf das sinnlose Gespräch am Eingang und wusste doch, dass es keinen anderen Ausgang aus der Wohnung gab als an ihrem Besitzer vorbei.

Es war der Fremde, der bemerkte, dass etwas anders war und das Streitgespräch unterbrach: „Ist jemand hier? Das sind nicht deine Schuhe.“

Der Gedanke von Bokuto in meinen für ihn winzigen Schuhen wäre wohl amüsant gewesen, wenn ich nicht nur ein Ziel bei meiner ganzen Tagesplanung gehabt hätte: Nicht dem Vater meines Sohnes begegnen.

Ich konnte die Zahnräder in Bokutos Kopf beinahe aus dem Flur heraus rattern hören, als er nachdachte und war gerade noch schnell genug, mir ein Handtuch um die Schultern zu legen, um das Mal zu verbergen, bevor die Tür aufging und der Wohnungsbesitzer strahlend hereinkam: „Akaashi! Ich hab‘ dich so oft verpasst! Endlich treffen wir uns einmal!“

Ich teilte seine Begeisterung nicht. „Hallo, Bokuto-san.“

Hinter ihm betrat ein zweiter Alpha den Raum, dunkles Haar, das aussah, als hätte er gerade erst sein Bett verlassen und ein neugieriger Blick in seinen Augen. Kurz starrten wir uns an. Er sah aus als würde ihm mein Name etwas sagen. Mir sagte seiner leider nichts.

Es dauerte einen langen Moment, bevor Bokuto unseren Blickwechsel bemerkte und er sich an seine Manieren erinnert. „Akaashi, das ist Kuroo Tetsuroo. Er arbeitet bei meinem Team als Sportarzt und Chiropraktiker. Wir haben früher gegeneinander Volleyball gespielt!“ Und tatsächlich war mir sein Gesicht dann doch nicht mehr völlig unbekannt. „Kuroo, Akaashi.“ Ich wurde nicht weiter erklärt, aber der Blick sagte sowieso bereits, dass von mir gesprochen worden war. Bokuto trug sein Herz auf der Zunge, also hatte er vermutlich jedem von meiner Situation erzählt.

„Freut mich“, meinte ich kurz angebunden und sah mich dann um, um einen Grund zu suchen, jetzt zu gehen. „Die Wäsche ist noch in der Waschmaschine, aber wenn es in Ordnung ist, würde ich jetzt schon gehen? Dann kann ich noch einkaufen gehen. Sonst ist alles fertig.“ Es war eine glatte Lüge, aber das wusste ja keiner.

Bokuto wirkte enttäuscht und ich bemerkte, dass ich mein Handtuch jetzt würde weglegen müssen und tat es widerwillig. „Ich kann sie aufhängen, kein Problem.“ Und wieder einmal schienen seine Haarspitzen abzusinken.

Eilig griff ich mir den Umschlag mit dem Geld, das er für mich bereitlegte und suchte den Weg an ihnen vorbei, der am weitesten entfernt wäre, um zu meiner Tasche zu kommen.

Gerade als ich an ihm vorbei war, hielt er mich auf und wollte noch meinem Handgelenk greifen. Ich zuckte zusammen und er stoppte, bevor er mich berührte. „Warte!“, forderte er dennoch. „Da ist noch etwas.“ Nervös drehte ich mich zu ihm um. Kuroo beobachtete uns, sagte aber nichts, während Bokuto rumzudrucksen begann. „Es ist kein Mitleid, ja?“, versicherte er mir. „Aber es sind bald Sommerferien?“ Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte, aber wollte wirklich gerne bald gehen. „Shou hat doch von seinem Trainingscamp erzählt…“ Jetzt spannte ich mich an und ich wollte bereits etwas dazu sagen, denn ich wollte nicht, dass er es bezahlte – Irgendwie steckte er sowieso in jeden Umschlag ein bisschen zu viel Geld! –, aber er ließ mich nicht. „Lass mich ausreden“, verlangte er, „Ich will es nicht bezahlen oder so, aber ich hab‘ doch von dem Projekt mit den Mittelschul- und Highschoolteams erzählt?“ Ich nickte kaum merklich. „Wir bieten so etwas in den Schulferien noch einmal an und eigentlich ist es erst ab 10 Jahren, aber ich könnte ein gutes Wort einlegen und es ist eh kostenlos und niemand muss mehr machen als er kann und–“ Bokuto hatte nicht geatmet bisher und redete immer schneller, bevor er jetzt Luft holte und zum Punkt kam. „Ich würde ihn gerne auf die Liste setzen?“

Unruhig zuckten meine Finger an meinem Hosenbein, als ich mir deutlich bewusst über Kuroos Blick wurde und wusste, dass ich nicht einfach ablehnen konnte, wenn jemand dabei war. Dennoch war ich hin und hergerissen. „Er ist noch keine acht“, sagte ich langsam, aber nicht besonders überzeugend.

„Wenn es zu viel für ihn wird, kann er sich einfach ausruhen!“, versprach mit Bokuto aus großen Augen. „Wenn es hilft, hole ich ihn auch ab und nehme ihn mit zur Sporthalle und bringe ihn abends nach Hause und–“ Ich stoppte ihn, bevor er wieder übereifrig wurde. „Ich kann ihn bringen und wieder abholen, das ist kein Problem.“ Ich wusste zwar nicht, wo genau es war, aber ich würde das schon hinkriegen.

„Ist das ein Ja?“ Er strahlte über das ganze Gesicht und ich wusste, dass ich jetzt nicht mehr zurückkonnte. „Ich werde ihn fragen.“ Aber wir wussten beide, wie seine Antwort sein würde. Bokuto war sein Idol und er liebte Volleyball und wollte unbedingt besser werden, damit sein Team ihn anerkannte und ich wollte ihm ja auch die Möglichkeit dazu geben.

„Toll!“, rief der Profispieler aus, als wäre ihm selbst gerade eine neue Anstellung angeboten worden und dann kehrte unangenehme Stille ein und ich blickte zu meiner Tasche, bevor ich mich verabschiedete und danach griff. „Ich werde nächste Woche nicht kommen können“, sagte ich unwohl mit der Situation zu dritt. „Vielleicht kannst du mir Datum und Ort einfach schicken?“, schlug ich vor und hoffte sehr, dass er die Gründe ohne Nachfragen verstehen würde. Er tat es, auch wenn sein Blick plötzlich seltsam und undeutbar wurde. „Das werde ich“, versicherte er mir und ich verabschiedete mich noch kurz von Kuroo und eilte dann nach Hause, wo Shou erst einige Stunden später von seinem Ferienprogramm erfahren würde.

 

Natürlich war mein Sohn außer sich vor Freunde, also brachte ich ihn zwei Wochen später mit dem Bus durch die halbe Stadt zu der großen Sporthalle, die sie für das Ferienprogramm nutzten. Ich wusste, dass der Geruch meiner Pheromone noch immer auf mir lag und auch ein Deo es nicht hätte überdecken können, aber ich nahm es schweigend hin, wenn im Bus oder auf der Straße die Nasenflügel von Alphas sich weiteten und sie mich mit hungrigen Blicken ansahen. Shou merkte nichts davon, war noch zu jung, um Zeichen seines eigenen zweiten Geschlechts zu zeigen oder eine veränderte Wahrnehmung zu entwickeln und ich versuchte ihn nicht damit zu belasten. Die letzte Woche war schon schwer genug für uns gewesen. Wir hatten nur ein Zimmer und die Medikamente, um die Symptome zu unterdrücken, waren bei weitem zu teuer für mich. Also bereitete ich Essen für mehrere Tage im Voraus vor und verbrachte viel Zeit im Badezimmer, auch wenn es alles andere als bequem war. Wie gern hätte ich eine heiße Dusche genommen, um meine Muskeln zu lösen, wie gern eine kalte, um den Schweiß von meinem Körper zu waschen, doch Wasser war teuer und so duschte ich nur kurz, bevor ich mich abends zu meinem Sohn ins Bett legte, der wohl noch nicht annähernd verstand, was ich dort eigentlich tat und warum ich es tun musste.

Vor der Sporthalle hatten sich Gruppen von Kindern und Teenagern gesammelt, einige in den Jacken ihrer Sportclubs und alle so viel größer als mein kleiner Sohn. Ich machte mir Sorgen, wenn ich das jetzt so sah, doch nie hätte ich es übers Herz gebracht, es ihm jetzt noch zu verbieten. Außerdem waren das ja hier die Highschool-Schüler, richtig? Einige der Mittelschüler mussten doch eher seine Größe haben?

Shou zog mich an der Hand in Richtung Eingang, ungeduldig und aufgeregt und so stolz, dass er seinen Teamkameraden in der Schule nach den Ferien davon erzählen könnte, was er gemacht hatte und vor allem, wen er getroffen hatte.

Drinnen war es bereits laut, Stimmen überschlugen sich und Turnschuhe quietschten auf dem Hallenboden. Ich war froh, dass ich Shou schon zuhause seine Sportsachen hatte anziehen lassen, sodass wir nur unsere Schuhe am Eingang zurücklassen mussten und dann mit der Sporttasche über meiner Schulter den Weg zu der Halle hinab finden konnten.

Auf den einzelnen Feldern machten sich einige junge Erwachsene warm, spielten einander zu oder machten Angaben gegen die Wand. Doch mein Ziel war leicht zu entdecken: An einer der langen Seiten der Halle standen in ihren Uniformen die Spieler der Nationalmannschaft, groß und unübersehbar. Sie unterhielten sich leise, doch einer schien zu viel Energie zu haben, um stillzustehen, wippte auf seinen Ballen auf und ab, und auf ihn steuerte ich zu, weil ich sonst einfach nicht wusste, wohin mit meinem Sohn.

Zögerlich näherte ich mich ihm, Shou, der sich mit riesigen Augen umsah, hatte kein Problem mit dem plötzlich viel langsameren Tempo. Ich fühlte mich komisch so auf Bokuto zuzugehen, wenn ich jetzt darüber nachdachte. Er wirkte wie ein Star und ich erschien mir selbstcunwürdig, wenn ich so beobachtete, wie all die jungen Spieler ehrfürchtig Abstand hielten und ihre Vorbilder lieber aus der Ferne beobachteten als sie anzusprechen.

Dann traf ich Kuroos Blick, der sich von einem Platz auf einer Bank aus aufmerksam umsah, und konnte zusehen, wie er seinen Freund auf die Schulter tippte. Dieser zuckte kurz erschrocken zusammen, blickte zu dem Schwarzhaarigen und dann trat ein Strahlen in seine Augen, das ich ganz sicher nicht verdiente. Einem Flummi nicht ungleich und mit einem beinahe peinlichen Geräusch kam er eilig auf mich zu und winkte. Seine Teamkollegen bemerkten es natürlich und blickten ebenfalls in meine Richtung. Ich wand mich ein bisschen unter der plötzlichen Aufmerksamkeit.

„Akaashiii!“ Dann blieb er vor mir stehen und grinste breit. „Shou!“ Er winkte zu dem Jungen hinab, der sich ein wenig zögerlich hinter mir verbarg, aber zögerlich hervorkam, als Bokuto in die Hocke ging. Bokuto hielt ihm eine Hand hin und nach kurzer Unsicherheit schlug mein Sohn bei ihm ein. „Schön, dass du da bist!“

Wie immer, wenn sie sich so nahe waren, versetzte es mir einen Stich und ich schluckte, als Bokuto zu mir auf grinste. „Ich hatte ehrlich gesagt etwas Sorge, dass du es dir anders überlegst.“ Er klang so als wäre das die größte Enttäuschung, die er sich vorstellen konnte, und wenn nicht Shou seit ich ihm davon erzählt hatte, von nichts anderem mehr gesprochen hätte, wäre ich vielleicht heute wirklich nicht gekommen, besonders weil ich wusste, dass der Geruch der Hitze noch an mir klebte, doch Bokuto schien das nicht einmal zu bemerken. Es war erfrischend, dass er mich nicht darauf reduzierte. Dennoch hatte ich die Arme vor der Brust verschränkt, eine Abwehrhaltung, die mein Körper inzwischen nur allzu gut kannte. Ich hatte beobachten können, wie Shou sie nachahmte, wenn er spürte, dass ich mich in einer Situation unwohl fühlte, doch gerade zeigte er nichts davon. Er lächelte und wirkte so glücklich wie lange nicht mehr. Bokuto hatte ihm irgendetwas erzählt, seine Stimme wie ein Wasserfall, doch ich hatte sie ausgeblendet, während ich mit meinem schlechten Gewissen rang. „Willst du die anderen Spieler kennen lernen?“, rissen mich Bokutos Worte dann aber aus den Gedanken und ich war mir nicht sicher, ob er mit Shou, vor dem er immer noch hockte, oder mit mir sprach. Ich wollte abblocken, wollte sagen, dass ich zur Arbeit musste und dass ich Shou später abholen würde, doch meine Zunge war zu träge und so war der Profispieler vor mir aufgesprungen und hatte nach der Hand meines Sohnes gegriffen, um ihn dorthin mitzunehmen, wo seine Teammitglieder warteten, nicht wenige bekannte Gesichter aus seiner Schulzeit, die ich bei jenen Spielen, die zu unser Schulzeit in Tokyo stattgefunden hatten, längst gesehen hatte. Shou blickte über seine Schulter zurück und winkte nach mir und ich wusste, dass meine Chance dieser Begegnung zu entkommen, längst vergangen war. Also folgte ich ihnen und war sogar bereit, zumindest einen Arm so zu senken, dass der zweite, die Hand am Oberarm des anderen, quer über meiner Brust lag, und nicht länger beide beschränkt waren. Wohler fühlte ich mich deshalb nicht unbedingt und ich massierte unruhig den Muskel dort, der wohl nicht einmal halb so ausgeprägt war wie Bokutos, den man – nicht nur ich! – enorm gut ansehen konnte unter den kurzen Ärmeln des Trikots.

„Ich wusste nicht, dass Bokuto einen Omega hier in Tokyo hat“, waren die ersten Worte, die ich hören konnte, als wir die Gruppe der anderen Spieler erreichten, die sich inzwischen fast alle zu uns umgedreht hatten. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Es war einer der beiden Zwillinge mit dem fragwürdigen Charakter

„Und ein Kind“, antwortete ihm sein Bruder und war nicht unbedingt darauf bedacht, dass ihn niemand hörte.

Bokuto jedenfalls schien es einfach zu ignorieren. Stattdessen flötete er eine Vorstellung. „Das sind Akaashi und sein Sohn Shou.“ – Ich war mir sicher, dass jemand mit einem skeptischen Heben einer Augenbraue das ‚sein‘ wiederholte, fragend – „Er hat mir in der Highschool Nachhilfe in so ziemlich allem gegeben. Eigentlich hab‘ ich vermutlich nur dank ihm meinen Abschluss geschafft.“ Er lachte. Niemand sonst schien es witzig zu finden.

„Tut mir leid dafür. Wenn ich mir etwas weniger Mühe gegeben hätte, hätte ich ihn euch vielleicht ersparen können.“ Ich war selbst erschrocken davon, wie trocken diese Worte meinen Mund verließen. Es war nicht so, dass ich sowas nicht oft dachte, aber normalerweise sprach ich es nicht aus. Der Schock, der mir aus den Augen der Anwesenden – außer Ushijima Wakatoshi, der immer stoisch geradeaus zu starren schien als wäre er eine gruselige Schaufensterpuppe – entgegenschlug, musste sich in meinen eigenen widerspiegeln, doch er wurde von einem irgendwie katzenhaften Lachen aus Kuroos Mund unterbrochen, in das Bokuto einstimmte als hätte ich ihn gerade nicht total beleidigt. Vielleicht hatte er es auch wirklich nicht so verstanden, denn wirklich bösartig waren meine Worte eigentlich nicht gemeint.

„Spitze Zunge für einen Omega“, kommentierte jemand und ich machte mir nicht die Mühe, mich umzudrehen. Ich war es gewöhnt, dass Alphas so sprachen und genau deshalb sprach ich solche Gedanken normalerweise nicht aus.

„Er riecht überhaupt nicht nach dir, Kotarou“, kommentierte jemand weiter und ich konnte sehen, wie sich einige Nasenflügel bewegte, um meinen Geruch genau aufzufangen. Ich bohrte mir die Finger in den Arm, um nicht einfach loszulaufen. Wenn ich es gewagt hätte, durch die Nase zu atmen, war ich mir sicher, dass mich der Geruch nach Alphas in dieser Sporthalle überwältigt hätte. Nicht ohne Grund hatte ich mir am Morgen etwas parfümierte Creme unter der Nase verteilt. Ich war durch den Gefährtenbiss weniger empfindlich geworden, doch eine Halle voller Sportler wäre selbst dann für mich zu viel geworden, besonders in den Nachwehen meiner Hitze.

Jemand lachte und noch bevor er den Mund geöffnet hatte, ahnte ich bereits, in welche Richtung seine Worte gehen würden. „Solltest dir mehr Mühe geben, ihn durchzunehmen, wenn wir schon einmal im Land sind.“ Innerhalb von Sekunden passierten zwei Dinge auf einmal in meinem Körper. Das erste war eine bewusste Entscheidung, meinem Sohn ganz eilig die Ohren zuzuhalten, damit er die vulgären und sexistischen Worte nicht hörte. Das zweite war, dass ich mich impulsiv zu dem Sprecher umdrehte. Und wenn Blicke hätten töten können, hätte die Nationalmannschaft jetzt wohl einen Spieler weniger gehabt. Ich schaffte es tatsächlich, dass er kurz zusammenzuckte, war mir nicht sicher, ob das Fauchen, das ich zu hören glaubte, tatsächlich meiner Kehle entstammte. Meine Gedanken überschlugen sich und alles an meiner Haltung musste ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ schreien, denn niemand sagte für einen Moment ein Wort. Dann war da eine Hand an meiner Schulter und ich wusste, dass nur einer diese Geste wagen würde. Ich zuckte unter den Fingern weg und blickte auf seine Finger als wären sie eine Waffe, die auf mich gerichtet war. Verteidigend hob er sie an.

„Ich muss los“, brachte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und ich spürte, dass Shou ungeduldig an meinen Händen zog, die noch immer seine Ohren bedeckten. „Ich muss arbeiten.“ Ich widersetzte mich noch kurz dem Druck an meinen Fingern. „Pass ja auch meinen Sohn auf. Ich hole ihn heute Abend ab.“ Dann ließ ich los, als Shou gerade zu quengeln begann: „Mama!“

Ich hockte mich zu ihm und alle Anspannung wich aus meinen Zügen, als ich sein Gesicht in meine Finger nahm. „Tut mir leid, Baby. Mama muss jetzt los, aber ich hole dich nachher ab, ja? Du hast eine Bentobox in deiner Tasche und eine Flasche Wasser. Füll sie dir am Wasserspender auf, wenn sie leer ist und vergiss nicht zu trinken.“ Ich strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, plötzlich von Angst erfasst, ihn für einen ganzen Tag aus meinen Augen zu lassen. „Überanstreng dich nicht und ruh dich lieber aus, wenn du müde bist, okay? Du musst nicht alles schaffen, was die Älteren schon können.“ Dann presste ich meine Lippen auf seinen Scheitel und schloss kurz die Augen, versank nur im milden Geruch meines Sohnes, der mich an das Meer erinnerte, das mein Sohn doch noch nie gesehen hatte. Es beruhigte mich und ich konnte all die Blicke, die auf mir lagen, ignorieren, wenn ich ihn roch. Ihn, der doch wie eine sanftere Kopie seines Vaters roch. „Ich hole dich heute Abend ab!“

Er lächelte, vielleicht ein wenig unsicher von meinem seltsamen Verhalten, aber nickte. „Ich passe auf, versprochen.“ Dann umarmte er mich fest und ich trennte mich von ihm, als er einen Schritt nach hinten machte.

„Ich habe mein Handy dabei, falls etwas ist“, meinte ich noch mit einem kurzen Blick zu Bokuto, dann machte ich auf dem Absatz kehrt und versuchte die Halle zu verlassen, ohne zu zeigen, was mich die Anwesenheit so vieler Alphas an Energie gekostet hatte.

Draußen lehnte ich mich für einen Moment kraftlos gegen die kühle Wand des Gebäudes und holte zitternd Luft. Wenn ich mit Bokuto allein war, war es so leicht zu vergessen, dass nicht alle Alphas so waren wie er.

Mit eiligen Schritten machte ich mich auf den Weg zur Arbeit, Inventur in einem großen Einkaufszentrum. Die monotone Arbeit würde mich hoffentlich von all den Gedanken ablenken, die mich verfolgten, wenn ich daran dachte, dass Bokuto eines Tages sein Recht an meinem Sohn einfordern könnte und ich ihn dann nie wieder sehen würde.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück