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Lügenpalast

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier kommt das erste Kapitel aus Tsukishimas Sicht, also nicht verwirrt sein!
Ab jetzt kommen die beiden Perspektiven immer abwechselnd. Komplett anzeigen

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Erste Treffen und Kaffee-Dates

Erste Treffen und Kaffee-Dates
 

Im Zug war es wieder einmal viel zu voll. Ich zog die Schultern ein und schob mich noch etwas mehr gegen die Scheibe, die die Türen vom Abteil trennte, während ich meine Musik noch ein bisschen lauter stellte. Die Lücke, die durch meine Bewegung entstanden war, wurde direkt von einem warmen Körper gefüllt. Ich hasste Zugfahren. Wieder einmal wünschte ich mir, dass ich doch nur ein bisschen näher an meinem Arbeitsplatz wohnen konnte, um auf anderem Weg dorthin zu kommen.
 

Natürlich könnte ich das, wenn ich bereit wäre, bei einem Freund einzuziehen, der im selben Stadtteil eine Wohnung besaß– Ich verbot mir diesen Gedanken zu Ende zu denken, weil er trotz allem Widerstand, den ich diesem Gefühl entgegenstellte, ein schlechtes Gewissen auslöste. Es war nicht so, dass Kuroo es nicht mehr als einmal vorgeschlagen hatte… Ich lehnte es nur jedes Mal aus demselben Grund wieder ab: Ich wollte nicht von einem Alpha abhängig sein.
 

Plötzlich griff eine Hand so deutlich nach meinem Hintern, dass es gar kein Versehen gewesen sein konnte und ich versteifte mich augenblicklich. In die Lücke hinter mir hatte sich ein anzugtragender Alpha geschoben und grinste mich schief an. „Ganz allein?“, fragte er laut genug, um es trotz meiner Musik zu hören, und ich war versucht mich zu übergeben. Der Geruch meiner gerade vergangenen Hitze mochte noch an meinem Körper kleben oder er war einfach so oder so ein perverses Arschloch, in jedem Fall war sein Verhalten widerlich.
 

„Fassen Sie mich noch einmal an und der ganze Zug wird erfahren, dass Sie ein perverses Arschloch sind“, knurrte ich zurück.
 

Der Typ schnalzte mit der Zunge und wagte es doch tatsächlich meinen Kopfhörer von meinen Ohren zu ziehen. „Was kann ich denn dafür, dass du nicht deine Pflichten erfüllst und dich von einem Alpha richtig durchnehmen lässt und dann Kinder für ihn in die Welt setzt?“
 

Ich war so kurz davor ihm eine reinzuschlagen, als die Türen vor mir aufgingen und ich auf den Bahnsteig hinausfloh. Wenn ich auf seine Provokationen einging, würde ich ihm nur das Gefühl haben, dass er recht hatte und diese Genugtuung würde ich ihm auf gar keinen Fall gönnen.
 

Es war nicht meine Station, aber ich folgte dem Strom von Menschen ein ganzes Stück Richtung Ausgang, bevor ich mich zur Wand hin zurückzog. Eigentlich war ich bereits eher spät dran, aber ich würde dennoch auf den nächsten Zug warten.
 

Ich setzte die Kopfhörer wieder auf und drehte die Musik noch einmal ein wenig lauter, während ich mein Handy herausnahm und durch meine Kontakte scrollte, um eine Nachricht an einen Kollegen zu schreiben. ‚Habe den Zug verpasst, nehme den nächsten, bin vielleicht ein paar Minuten zu spät. Tut mir leid.‘ Nicht ganz die Wahrheit, aber ich hatte schon oft genug das ganze zweites-Geschlecht-Drama an meinem Arbeitsplatz. Ich hätte meine Forschungsgruppe leiten können, wenn nicht alle mich darauf reduzieren würden, dass ich ein Omega war. Stattdessen kämpfte ich jeden Tag darum, dass ich mein Ding machen durfte und nicht für eine Sekretärin gehalten wurde. Und das, obwohl ich bei der Produktion des letzten Medikaments die entscheidenden Schwierigkeiten behoben hatte.
 

Ich spürte wieder einmal die altbekannte Wut in mir und so war meine Stimmung ziemlich im Keller, als das Handy in meiner Hand sich mit einem Vibrieren meldete und eine Nachricht von besagtem Freund anzeigte, bei dem ich nicht in die Wohnung einziehen wollte, weil ich zu stolz war. Nicht der beste Ausgangspunkt für ein sinnvolles Gespräch mit ihm, bei dem ich nicht unnötig unhöflich zu ihm war… Dennoch öffnete ich den Chat, bevor ich mich wieder in die Reihe einreihte, die auf den nächsten Zug wartete, dieses Mal zwischen zwei Betas.
 

‚Was hältst du von Mittagessen zusammen?‘, schrieb er mit einem übertriebenen Katzensmiley hinter seiner Nachricht. Ich betrachtete die Nachricht lange und die letzte, die davor gekommen war. Eine halbe Woche hatte Funkstille geherrscht und irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen deshalb, auch wenn ich das nie laut zugegeben hätte. Es war kein Geheimnis, dass Kuroo Interesse an mir hatte, nicht als Freund, sondern als Alpha, und ich mochte ihn und vielleicht hätte es sogar funktionieren können, wenn ich nicht alles daran hasste, ein Omega zu sein, und mehr als einmal klar gemacht hätte, dass ich ihn auf keinen Fall in meiner Nähe haben wollte, wenn ich meine Hitze bekam.
 

Ich erinnerte mich noch genau, wie ich Kuroo das erste Mal getroffen hatte. Ich hatte mir vor der Arbeit Kaffee holen wollen – Ich brauchte morgens Kaffee, sonst war ich den ganzen Tag absolut unerträglich – und meinen üblichen Laden betreten.
 


 

Die Schlange reichte beinahe bis zur Tür und mit einem Blick auf die Uhr wurde mir klar, dass ich es nicht mehr pünktlich zur Arbeit schaffen würde, wenn ich mich jetzt hier anstellte. Das hieß dann allerdings auch, dass ich nur das Pladderzeug von dem Automaten im Eingangsbereich des Labors haben würde und damit war der Tag eigentlich schon zu ziemlich gelaufen. Ich war versucht, trotzdem einfach zu warten, aber heute war eine Besprechung und wenn ich eine Chance haben wollte, bei dem neuen Projekt mitzuarbeiten, musste ich pünktlich sein. Also drehte ich mich wieder um, schob mich aus der Reihe heraus und wollte gerade zur Tür, als mir jemand in den Weg trat. Ein hochgewachsener Mann, wenn auch nicht ganz so groß wie ich, dafür aber ein ganzes Stück breiter mit ungekämmtem, dunklem Haar und einem schiefen Grinsen im Gesicht. Ein Alpha, ganz eindeutig. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden?
 

Ich machte mich gerade bereit für einen beschissenen Anmachspruch oder einen sexistischen Kommentar, als er mir einen Kaffeebecher entgegenstreckte. „Ich würde sagen, heute ist ein „Schwarz-Tag“.“
 

Ich runzelte die Stirn, versuchte einen Sinn in seinen Worten zu finden und wusste noch nicht einmal, ob ich jetzt beleidigt sein musste.
 

Als ich gar nicht sagte, fügte er hinzu: „Der Kaffee. Er ist für dich.“ Nicht minder verwirrt starrte ich den Becher in seiner Hand an. „Schwarz, keine Milch, kein Zucker.“ Die Falte auf meiner Stirn vertiefte sich noch ein wenig. „Oder möchtest du doch lieber den Milchkaffee mit Macadamiasirup drin?“ Er hob einen zweiten Becher ein Stück an. „Du sahst aus als wäre heute einer der Tage, an denen du die Extramenge Koffein brauchst.“ Ich überlegte, ob jetzt der Moment war, an dem ich ganz schnell verschwinden sollte: Das waren die beiden Bestellungen, die ich in diesem Laden machte, was er offensichtlich wusste. War er ein Stalker? Er sah nicht aus wie ich mir einen Stalker vorstellte und eigentlich sprachen die einen doch auch nicht direkt an, oder?
 

Er lachte leise und etwas gezwungen. „Es wäre wirklich gut, wenn du jetzt langsam etwas sagen würdest, denn sonst werden die Blicke unangenehm. Wenn du mich so anschaust, wirkt das so als hätte ich dich sexuell belästigt oder so. Ich möchte eigentlich gerne noch weiterhin hier Kaffee trinken und nicht bei allen regulären Kunden als Perversling verschrien sein.“ Seine Stimmlage passte nicht zu seinen Worten, aber ich war mir sicher, dass hinter dem Grinsen eine gewisse Unsicherheit verborgen lag.
 

„Okay, hör zu“, begann er, als ich noch immer nichts sagte, unentschlossen, was er eigentlich von mir wollte. „Ich arbeite hier in der Nähe und hab dich schon oft hier im Laden gesehen vor der Arbeit und ja, ich habe beobachtet, was du so trinkst, aber nicht auf irgendeine gruselige Art, okay? Ich wollte dich einfach nur kennenlernen. Nimm einfach einen der Becher, bevor sie kalt werden?“
 

Langsam hob ich die Hand und griff nach dem Pappbecher, der nach seinen Worten schwarzen Kaffee enthielt. Was sollte schon passieren? Er konnte mich ja kaum mit dem Kaffee ausknocken wollen vor all diesen Menschen. Vielleicht war er tatsächlich nur nett gewesen, indem er mir etwas ausgab. Das war immerhin vermutlich die respektvollste Anmache, die ich je bekommen hatte. „Danke“, sagte ich langsam und nahm dann einen Schluck. Er hatte genau die richtige Trinktemperatur und war tatsächlich genau das, was ich gerade brauchte.
 

Er seufzte erleichtert auf. „Ich dachte schon, du hättest deine Zunge verschluckt!“ Er nahm den zweiten Becher in die rechte Hand und hob ihn an die eigenen Lippen. Es war kaum zu übersehen, dass er seinen Kaffee nicht mit Milchschaum und Sirup trank, als er das Gesicht verzog. Belustigung zuckte um meine Lippen.
 

Er war scheinbar extra früh gekommen, hatte meine beiden Kaffeebestellungen besorgt und auf mich gewartet. Es war irgendwie seltsam und vielleicht auch etwas besorgniserregend, wenn jemand so etwas tat, aber allem voran fühlte ich mich geschmeichelt. Es war… umsichtig und anders als ich es von Alphas gewohnt war. Dass die schwarze Flüssigkeit mich langsam durchströmte und meine Lebensgeister weckte, half dabei wahrscheinlich auch.
 

„Mein Name ist Kuroo Tetsuroo“, stellte er sich vor, ein hoffnungsvoller Glanz in seinen Augen. Beinahe hätte ich mich hinreißen lassen können, ihn zu mögen, doch stoppte mich schnell. Er war ein Alpha und Alphas wollten alle nur das eine. Und das war ich nicht bereit zu geben.
 

„Und ich muss jetzt zur Arbeit, Kuroo-san, danke für den Kaffee.“ Damit drehte ich mich um und ging mit dem Kaffeebecher in der Hand zu meinem Bürogebäude. Seine dunklen Augen sollten mich noch den ganzen Tag verfolgen.
 

Auf dem Becher hatte seine Nummer gestanden, beinahe so als hätte er geahnt, dass ich ihn dort im Café stehen lassen würde, aber ich hatte ihn entsorgt ohne mich bei ihm zu melden.
 

Als ich nach dem Wochenende wieder zur Arbeit ging und vorher meinen üblichen Zwischenstopp bei dem Café einlegte, hatte ich das Erlebnis schon fast wieder vergessen. Ich hatte einen Platz in der Forschungsgruppe bekommen, deren Mitarbeiter am Freitag bestimmt worden waren, aber nur mit Biegen und Brechen und kaum war ich nach Hause gekommen, hatte ich bemerkt, dass sich meine Suppressiver-Medikamente dem Ende zu neigten. Ich hatte meine Hitze wieder einmal bis zum letztmöglichen Termin hinausgezögert und es beinahe vergessen. Wenn es etwas gab, was ich im Moment nicht brauchen konnte, war es ein Grund, warum sie mich aus dem Team wieder rauswerfen könnten. Allerdings war es gefährlich, wenn ich mehr als die maximale Menge an Medikamenten schluckte. Es konnte erheblich und bleibende Schäden auslösen. Ich erforschte Medikamente, ich wusste, was das hieß, aber ich wollte unbedingt bei diesem Projekt mitarbeiten…
 

Unaufmerksam und abgelenkt von düsteren Gedanken und Ideen lief ich beinahe in Kuroo hinein, der mit in den Weg trat. „Heute brauchst du definitiv Zucker“, stellte er fest und hielt mir einen Becher hin, seine Nummer in großen Buchstaben über den Becher verteilt und in kleineren auf den Deckel geschrieben. „Ich dachte, du hast sie beim letzten Mal einfach übersehen.“ Sein Grinsen war provokant und wenn meine Laune etwas besser gewesen wäre, hätte ich das insgeheim vielleicht sogar witzig gefunden, aber so griff ich nur nach dem Becher und versuchte, mich zumindest kurz auf ein Gespräch einzulassen.
 

„Hast du in Betracht gezogen, dass ich dich vielleicht einfach nicht wiedersehen wollte?“, schlug ich vor und nahm einen großen Schluck von dem zuckrigen Genuss, der durch Milch und eine doppelte Menge an Sirup aus dem Kaffee wurde.
 

„Nein“, antwortete der Dunkelhaarige selbstsicher. „Ich bin viel zu gutaussehend, um so abzublitzen.“
 

Meine Augenbraue wandert nach oben bis kurz unter meinen Haaransatz.
 

Er lachte laut auf. „Genau so habe ich mir diesen Blick vorgestellt.“ Er nahm einen Schluck aus dem anderen Becher, vermutlich schwarz, denn auch auf diesem erkannte ich seine Nummer. Das schien deutlich besser zu sein als die Sirup-Mischung, aber auch jetzt schien es nicht perfekt zu passen. Irgendwie war ich neugierig, wie er seinen Kaffee wohl eigentlich trank, wenn er nicht gerade versuchte, damit Omegas aufzureißen.
 

Ich steckte die Hand in die Tasche und zog eine 500 Yen-Münze heraus. Es war nicht der exakte Preis, aber es war ziemlich nah dran. Auf der flachen Hand hielt ich sie ihm hin. Ich mochte es nicht, in seiner Schuld zu stehen. Es fühlte sich an, als würde ich es dann wieder ausgleichen müssen, und dabei ging es dann wohl kaum um Geld, sondern um andere Gefälligkeiten, die er sich ganz schnell abschreiben konnte.
 

Seine Augenbraue vollführte eine Bewegung ganz ähnlich meiner zuvor, als er die goldene Münze betrachtete, vielleicht unschlüssig, warum ich sie ihm anbot.
 

„Ich habe nicht vor in deiner Schuld zu stehen. Ich bin dankbar, dass du für mich in der Schlange gestanden hast, um mir diesen Kaffee zu kaufen, aber ich habe nicht vor, dich bezahlen zu lassen“, erklärte ich, als er keine Anstalten machte, die Münze zu nehmen. „Also nimm das Geld. Wenn du willst, bezahle ich den von gestern auch.“
 

Seinen Blick in diesem Moment zu deuten fiel mir schwer. Kurz dachte ich, dass er gut im Pokern sein musste, so gut wie er seine Emotionen verstecken konnte. Da schien Belustigung bei zu sein, aber etwas viel Ernsteres überwog eindeutig, Skepsis und etwas, das irgendwie an Sorge erinnerte vielleicht? „In meiner Schuld stehen?“, wiederholte er dann. „Ich lade dich nicht zum Kaffee ein, damit du in meiner Schuld stehst. Wenn ich es aus irgendeinem Grund tue, dann weil ich hoffe, dass du dich bei mir melden wirst oder mir zumindest deinen Namen verrätst.“ Klang er verletzt? Wieso hatte jetzt plötzlich ich ein schlechtes Gewissen?!
 

„Tsukishima Kei“, verriet ich ihm, bevor ich mich eines Besseren besinnen konnte.
 

Seine Augen leuchteten auf und kurz erinnerte er mich an eine Katze. „Tsukishima-san“, rollte mein Name von seinen Lippen und ich konnte einen kurzen Moment nicht unterdrücken, dass es mir gefiel, wie es klang. Außerdem war ich positiv überrascht, dass er den Respekt hatte, mich mit meinem Nachnamen anzusprechen. Zu viele Alphas behandelten Omegas wie Kinder, benutzten ohne jede Erlaubnis ihre Vornamen oder eine Verniedlichungsform und waren einfach vollkommen respektlos. Vielleicht war er wirklich kein so schlechter Typ, für einen Alpha zumindest.
 

„Schön dich kennenzulernen“, murmelte ich, ein wenig verlegen, weil ich mich bei unserem letzten Treffen nicht einmal vorgestellt hatte. Ich war besser erzogen als das, auch wenn man das manchmal vergessen mochte, wenn ich zynisch abblockte.
 

Ich nahm noch einen Schluck vom Kaffee und betrachtete dann die Münze in meiner Hand, die ich gesenkt hatte und die sich jetzt doch irgendwie schwer anfühlte. Sollte ich sie wieder einstecken?
 

„Du wirst nicht oft umworben, oder?“ Ich runzelte die Stirn. Umworben. Das klang wie ein Wort aus einem vergangenen Jahrhundert. Es flirteten oft Alphas mit mir, noch öfter machten sie mich auf abstoßende Art und Weise an, aber noch nie hatte ich das Wort umwerben für irgendetwas davon in Betracht gezogen.
 

„Aus welchem Jahrhundert stammst du denn bitte?“, fragte ich skeptisch, um meine Verlegenheit zu überspielen, und beantwortete seine Frage damit wohl auch schon.
 

„Okay, hör mal, wenn du dich wirklich nicht wohl damit fühlst, kannst du den Kaffee auch bezahlen, aber ich lade dich nicht ein, damit du mir etwas zurückbezahlen musst, schon gar nicht mit Sex.“ Er hatte mich vollkommen durchschaut und klang sehr ernst, während er sprach. „Ich weiß nicht, warum dein Bild von Alphas so schlecht ist, aber, ob du es glaubst oder nicht, Omegas und Alphas können auch einfach befreundet sein. Mein bester Freund aus Kindheitstagen hat sich in der Mittelschule als Omega offenbart und ich hatte nie einen Grund ihn deshalb anders zu behandeln als vorher. Und ich wollte ihn auch nicht sofort bespringen.“ Er legte gerade eine Menge offen und es war mir beinahe schon zu intim, aber ich schwieg und hörte zu. „Ich will nicht sagen, dass ich dich nicht deshalb angesprochen habe, denn ja, ich finde dich unglaublich attraktiv und ja, wenn es nach mir geht, könnten wir gerne mal zusammen im Bett landen, aber ich möchte dich vor allem als Menschen kennenlernen. Und wenn wir uns verstehen, können wir auch einfach Freunde sein, wenn du nicht mehr willst.“ Er klang ein wenig enttäuscht bei dieser Aussicht, aber er schien es ernst zu meinen, und sah mich jetzt eine Antwort erwartend an.
 

Mein Mund fühlte sich vollkommen trocken an, denn eine Antwort auf diese Worte hatte ich nicht wirklich. „Die meisten Alphas sagen mir, ich wäre zu groß.“ Das war vermutlich das dümmste, was ich in dieser Situation hätte sagen können, aber mir fiel einfach keine bessere Erwiderung ein. Er lachte und ich ärgerte mich, mir diese Blöße gegeben zu haben.
 

„Ich habe schon immer Herausforderungen gesucht“, grinste er und ich war mir sicher, was genau an meiner Größe die Herausforderung war und wollte es vielleicht auch gar nicht erfahren.
 

Er blickte auf sein Handy und lächelte dann. „Du musst vermutlich los zur Arbeit und ich sollte mich auch auf den Weg machen. Wirst du dich bei mir melden?“
 

Ich gab einen undefinierbaren Laut als Antwort und prüfte die Uhrzeit auf meinem eigenen Telefon. Es war tatsächlich noch früh genug, um pünktlich bei der Arbeit zu sein, ohne dass ich mich beeilen musste. Er war beinahe zu aufmerksam. Es machte mich irgendwie unruhig, dass er sogar wusste, wie lange ich zur Arbeit brauchte, und zugleich schmeichelte es mir. Ich dachte sogar ehrlich darüber nach, mich bei ihm zu melden.
 

Die Arbeit lenkte mich jedoch schnell davon ab und der Kaffeebecher landete irgendwann zwischen all meinen Versuchen, meine Position zu rechtfertigen, einfach in einem Mülleimer.
 


 

Am nächsten Morgen betrat ich den Coffeeshop fast schon hoffnungsvoll, dass Kuroo da sein würde, und ich wurde nicht enttäuscht. Er lehnte an der Bar und grinste mir zu, deutete auf zwei Becher. Dieses Mal war die Nummer in Rot darauf geschrieben, vielleicht sogar noch größer als gestern. Ich unterdrückte ein schnaubendes Geräusch, das viel zu nah an einem Lachen gewesen wäre.
 

„Und welchen Kaffee bekomme ich heute?“, fragte ich so gleichgültig wie ich irgendwie konnte.
 

Kuroo musterte mich. „Schwarz und dazu einen dieser kleinen Kuchen?“, schlug er vor und schob zwei kleine Miniküchlein vor meinen Platz. Einer war braun und dick mit Schokolade überzogen, der andere war heller, Käsekuchen, rot marmoriert und der bloße Gedanke, dass es Erbeer-Käsekuchen sein könnte, ließ meine Laune steigen. Ich musste mich zurückhalten, nicht sofort danach zu greifen, sondern erst den Kaffeebecher anzunehmen. „Du könntest auch warten, bis ich hier bin, dann müsstest du nicht den anderen trinken“, schlug ich vor, mir durchaus bewusst, dass er nicht so begeistert davon war wie ich.
 

Er winkte ab und nahm einen Schluck: „Ich gewöhne mich langsam daran.“ Er deutete an, dass ich mich zu ihm stellen sollte und ich ließ mich darauf ein, indem ich mich gegen die Bar lehnte.
 

„Den Kuchen auch?“, fragte er dann nach und schob den Schokoladenkuchen ein Stück vor. Entweder ein Zeichen dafür, dass er erwartete, dass ich Schokolade bevorzugte, oder aber ein indirekter Wunsch danach, den anderen selbst zu essen. Ich beschloss es zu ignorieren und griff nach dem Käsekuchen.
 

„Wenn ich darf?“, fragte ich der Höflichkeit wegen hinzu, aber konnte mich eigentlich wirklich nicht davon überzeugen, ihn zurückzugeben, falls er ihn wollte. Er nickte überrascht. „Das ist dir nicht zu süß?“, fragte er. Er wirkte interessiert dabei, so als wollte er mich wirklich kennenlernen.
 

„Jeder hat seine kleinen Schwächen, oder?“ Ich zog genussvoll an der Ecke der Verpackung, damit sie sich von ihrem Inhalt löste und nahm mir die Zeit ihn richtig zu genießen.
 

„Ich hätte nicht erwartet, dass du so etwas zugibst“, meinte er überrascht und nahm sich den Schokoladenkuchen.
 

„Hast du eigentlich vor, mich hier jeden Morgen mit Kaffee abzufangen, bis ich mich melde?“, wollte ich nach einem kurzen Moment wissen, in dem wir beide aßen.
 

„Wenn ich das muss, bin ich bereit, eine viertel Stunde Schlaf zu opfern, um pünktlich hier zu sein und mir immer auffälligere Aufschriften zu überlegen.“ Er schaffte es irgendwie gleichzeitig amüsiert und ernst zu klingen und ich wusste nicht genau, wie.
 

„Und wenn ich das einfach ausnutze, um weiterhin kostenlosen Kaffee zu bekommen?“, hakte ich nach.
 

„Gestern wolltest du mir das Geld noch zurückgeben, damit ich nicht für dich bezahle. Glaubst du wirklich, dass ich das für wahrscheinlich halte?“, konterte er. „Außerdem: Wenn du es wirklich nicht willst, musst du es nur sagen, dann höre ich auf, nur dass du es weißt.“
 

Nachdenklich betrachtete ich das letzte Stück Kuchen – wirklich Erdbeere – und überlegte, ob ich wollte, dass er aufhörte. Irgendwie machte es Spaß ihn hier zu treffen.
 

„Was arbeitest du, Kuroo-san?“, fragte ich dann, anstatt mich festzulegen. Er wirkte überrascht aber ließ sich auf den Themenwechsel ein.
 

„Ich bin Sportmediziner.“ Ich musterte ihn, um sein Alter einzuschätzen. Er war ziemlich jung für ein abgeschlossenes Medizinstudium, aber es war nicht unmöglich. „Ich arbeite mit Nationalspielern." Jetzt wollte er aber angeben, oder?
 

„Aber nicht mit bekannten offenbar, was?“, grinste ich, denn dann hätte er direkt Namen genannt, da war ich mir sicher.
 

„Volleyball ist einfach nicht beliebt genug, aber unser Team ist wirklich gut in den letzten Jahren!“
 

Volleyball also? Ich hatte wegen meiner Größe für ein paar Jahre gespielt, bevor klar wurde, dass ich ein Omega war, aber ich hatte mich nie wirklich dafür begeistern können, dafür war meine Erfahrung mit der „Sportkarriere“ meines Bruders zu schlecht gewesen. Aber vielleicht würde ich mal wieder reinschauen, wenn es lief…
 

Ich leerte meinen Kaffee und betrachtete den Becher in meiner Hand. „Mal doch morgen mal etwas drauf, vielleicht schreib ich dir dann mal.“ Damit griff ich mir Becher und Kuchenverpackung und ging zum Mülleimer, ein Grinsen auf den Lippen.
 


 

Am nächsten Morgen erwartete ich beinahe, dass Kuroo wieder auf mich warten würde, doch im Coffee-Shop war er nicht zu sehen, und ich musste mir meinen Kaffee allein kaufen. Irgendwie war ich enttäuscht. Hatte er bereits jetzt aufgegeben? Er hatte gestern deutlich entschlossener geklungen als das…
 

Erst am Abend bemerkte ich die Servierte, die mir mit dem Kaffeebecher gereicht worden war und die ich einfach in meine Tasche gesteckt hatte. Darauf stand in leicht verwischter Tinte eine Telefonnummer und daneben eine grinsende Katze, die beinahe frappierende Ähnlichkeit mit dem Mann hatte, der für sie verantwortlich sein musste.
 

Nachdenklich strich ich das Papier glatt, zog mein Handy heraus und fügte einen neuen Kontakt hinzu: Kuroo, mehr schrieb ich nicht in das Namensfeld, auch wenn ich kurz über einen dieser dummen Katzensmileys nachdachte, die man im Internet fand. In gewisser Weise war das ein Selbstschutz: Selbst, wenn jemand diesen Kontakt auf meinem Handy finden würde, würde derjenige, nichts mit dem Namen anfangen können.
 

Dann holte ich das aufgewärmte Conbini-Essen aus der Mikrowelle und ließ mich auf den einen Stuhl fallen, der an dem kleinen Tisch stand, der Küche von Schlafbereich trennte. Ich sparte mir eine Menge Geld mit dieser kleinen Wohnung, mit dem ich vielleicht irgendwann ein eigenes Forschungsprojekt finanzieren könnte, und eigentlich war ich ohnehin nur zum Schlafen hier. Der einzige Besuch, den ich je bekam, war Yamaguchi und der lebte seit einigen Jahren mit seiner Frau mehrere Stunden entfernt, weswegen er immer seltener vorbeikam.
 

Ich stellte die Plastikschale auf dem Tisch ab, hatte mir nicht einmal die Mühe gemacht, das Essen auf einen Teller zu geben, dann griff ich die Stäbchen und erinnerte mich dann, dass es vermutlich eh noch zu warm war. Also griff ich nach meinem Handy, das wie immer keine neuen Nachrichten hatte, und starrte meinen neusten Kontakt bei Line an.
 

Hallo, Kuroo-san.
 

Kurz wollte ich es dabei belassen, doch dann wurde mir klar, dass es vielleicht doch ziemlich unaussagekräftig war. Ich hatte kein Bild hochgeladen und mein Nutzername war mit einer wahllosen Buchstaben-Kombination auch nicht besser. Danke für die Servierte.
 

Ich hatte das Handy kaum abgelegt, da leuchtete die Benachrichtigungsleuchte schon auf. Überrascht entsperrte ich es wieder.
 

ch wusste es doch, du bist ein Katzen-Typ! Dahinter ein siegreich grinsender Smiley. Ich dachte kurz darüber nach, war aber eigentlich der Meinung, dass die ganze Katzen-Hunde-Typ-Sache ziemlich dumm war. Es kam noch eine zweite Nachricht an, während ich las. Ich freue mich, dass du dich meldest, Tsukishima-san.
 

Ich musste einfach dein grausames Zeichentalent kommentieren. Ich grinste über meine schlagfertige Antwort und nahm die Stäbchen in eine und das Handy in die andere Hand. Wenn du so mit einem Stift umgehst, bin ich froh, dass du kein Chirurg geworden bist.
 

Er ließ sich nicht provozieren und das war beinahe ein wenig enttäuschend. Tut mir leid, dass ich heute Morgen nicht da war. Das Team hatte ein Auswärtsspiel, aber meine Nachricht ist ja scheinbar doch angekommen, entschuldigte er sich stattdessen.
 

Habt ihr gewonnen?, fragte ich und war überrascht, dass ich wirklich interessiert an der Antwort war. Die frittierten Hähnchen-Stücke schmeckten mir viel besser als sonst, auch wenn sie nach all den Stunden im Kühlregal schon etwas schlabberig waren.
 

Ja. Das war die Antwort und ich runzelte die Stirn. Das war jetzt ein hartes Ende für das Gespräch gewesen. Es kam keine weitere Ergänzung und ich war zu stolz, um noch etwas zu fragen. Mein Handybildschirm wurde schwarz und ich konzentrierte mich auf das Essen vor mir. Mein Appetit war wieder vergessen. Stattdessen betrachtete ich die kleine Plastiktüte aus der Apotheke, die ich auf dem Tisch abgelegt hatte, und zog die Papppackung mit den Medikamenten heraus, die ich in der Mittagspause geholt hatte, nachdem mir neben den blöden Kommentaren von meinen Kollegen auch die ersten Anzeichen von Hitzewallungen zu schaffen gemacht hatten.
 

Während ich jetzt unbegeistert in meinem Essen herumstocherte, musterte ich also die Packung Medikamente, die ich eigentlich erst nach meiner Läufigkeit wieder nehmen dürfte. War es denn so schlimm, wenn ich sie einmal durchgehend nahm? Einmal ist keinmal, sagte man doch, richtig?
 

Natürlich wusste ich es besser, aber ich war bis spät in die Nacht im Büro gewesen, um meine Arbeit zu erfüllen, um zu beweisen, dass ich bereit war, alles dafür zu geben, egal wie viele Überstunden das bedeutete. Wenn ich diese Woche ausfiel, wäre alle meine Mühe wieder zunichte gemacht. Ich konnte ihre widerlichen Sprüche schon fast hören, dass ich genau deshalb nie eine führende Position in irgendeinem Projekt bekommen würde, und überlegte doch noch einmal, ob es das nicht wert war. War es nicht eigentlich egal? Ich wollte eh keine Kinder. Wenn es meine Fruchtbarkeit zerstörte, war das doch auch egal, oder? Vielleicht würde ich dann ja gar nicht wieder läufig werden. War das nicht ein guter Nebeneffekt?
 

Die grüne Lampe an meinem Handy lenkte mich von den düsteren Gedanken ab.
 

Tut mir leid, wir sind noch anstoßen und einer der Wing Spiker hat mir mein Handy weggenommen, weil ich zu abgelenkt war.
 

Belustigt tippte ich eine Antwort. Deine Gesellschaft scheint eindeutig besser zu sein als die eines Omegas, der bereit ist, sich für die Arbeit, den Hormonhaushalt und die Geschlechtsorgane kaputt zu machen. Dann löschte ich alles wieder. Gratulation, ich will nicht bei eurer Feier stören.
 

Dann wechselte ich den Chat zu Yamaguchis Namen. Hast du Zeit zum Reden?



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