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Gnadenlos

von

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Bruderliebe

Er ist hier. Lucifer ist hier.
 

„… Scheiße, Sammy?“
 

Es ist dunkel um ihn herum und er fühlt etwas Kaltes an seiner Wange.
 

Lucifer … Ich muss die anderen warnen!
 

Sam spürt, dass er auf dem Boden liegt; sein Gesicht ist gegen die bloßen Fliesen der Küche gepresst. Es bleibt dunkel.
 

„… warum? ... nicht ähnlich.“
 

Dean … Jack … Muss sie warnen!
 

Wenn er sich doch nur bewegen könnte! Er kann nicht einmal die Augen öffnen. Alles, was er hört, ist das Rauschen in seinen Ohren. Tosendes Rauschen, so schrill, ein Klingeln fast, und Deans Stimme, die sich allmählich immer penetranter durch den Nebel in seinen Kopf bohrt. Bis er in der Lage ist, die Worte richtig zusammenzusetzen. Und endlich, endlich erreicht ihn auch ihre Bedeutung wieder.
 

„Was machst du für ‘ne Scheiße, Sammy? Würd gern wissen, warum? Sieht dir doch nicht ähnlich.“
 

Etwas anderes Kaltes berührt sein Gesicht – seine Stirn und die Wange, die nicht Bekanntschaft mit dem nackten Boden macht. Das Etwas besteht aus Stoff und ist tropfnass. Wasser rinnt über sein Gesicht, sickert in seinen Kragen und in seine Haare.
 

Wo ist Lucifer?
 

„Hey, Sam! Sammy!“
 

Dean seufzt.
 

Es ist Deans Stimme, eindeutig. Und es ist Deans Hand, die ihm feuchte Haarsträhnen aus der Stirn wischt und Deans andere Hand, die mit dem nassen Tuch sein Gesicht abtupft. Der Stein, der Sam vom Herzen fällt, hat nahezu astronomische Ausmaße.

Er hält die Augen noch einen Moment länger geschlossen. Seine Umgebung wirkt jetzt, da er das volle Bewusstsein wiedererlangt hat, viel zu hell, selbst durch die geschlossenen Lider.
 

„Seit wann ersäufst du deine Probleme, hm? Das ist mein Part ...“
 

Seine sonst so tiefe Stimme klingt jetzt ganz sanft und leise über ihm und Sam würde gern für immer neben Dean auf dem harten Fußboden liegen und so tun, als wäre das hier alles nicht real. Aber leider ist es das. Also tut er das einzig Richtige: Er reißt die Augen auf, zwingt sich dazu. Er muss jetzt funktionieren.
 

„Lucifer, Dean! Lucifer ist … er war hier! Hast du ihn gesehen?“
 

Mit der Bewegung fährt auch der Schmerz zurück in seine Glieder. Sam muss husten – so heftig, dass es ihn schüttelt. Unbeholfen rappelt er sich aus einer Position auf, die wohl einmal die stabile Seitenlage gewesen sein muss, bevor sein Kopf auf den Boden gerutscht ist.
 

Das Brennen, das der Husten in seiner Brust und Kehle hinterlässt, und der widerwärtige Geschmack in seinem Mund verraten ihm, dass er sich anscheinend doch noch übergeben hat. Bloß ist davon keine Spur in der Küche zu sehen.
 

„Lucifer?“, fragt Dean überrascht zurück und bestätigt Sam auf diese Weise, was er befürchtet hat. Dean hat ihn nicht gesehen und vermutlich auch sonst nichts, was ihn mehr in Beunruhigen versetzt, als seinen Bruder ohnmächtig in der Küche vorzufinden. Dean hilft ihm, sich richtig aufzusetzen und erschöpft lehnt Sam sich gegen das Vorratsregal.
 

„Hast du deshalb gesoffen?“
 

„Ich … was? Nein!“
 

Was hat er nur die ganze Zeit mit dem Alkohol?
 

„Alter, du kannst einem echt ‘ne Scheißangst machen, weißt du das?“
 

Sam ignoriert Dean und greift sich an den Kopf. Er tut höllisch weh – nicht nur von innen. Er hat auch eine gewaltige Beule an der Stirn, die dumpf vor sich hin puckert.
 

Was, zum Henker, ist passiert?
 

„Bist mit dem Kopf gegen die Tischkante geknallt“, erklärt Dean, als hätte er die stumme Frage gehört.
 

„Du warst sternhagelvoll und hast gezappelt und geschrien und dann gereihert, wie‘n Weltmeister. Hab erst gedacht, du hast ‘nen Anfall … Bis ich gesehen hab, wie viel du gesoffen hast. Vielleicht sollten Gabe oder Rowena mal ‘nen Blick auf dich werfen. Könnt sein, dass du ‘ne Gehirnerschütterung hast. Hast dich am Tisch selber ausgeknockt, als ich dich festhalten wollte!“
 

Sam muss sich zusammenreißen, um seinen Bruder nicht einfach nur mit offenem Mund anzustarren. Das sind gewaltig viele Informationen auf einmal und die Erzählung weicht bemerkenswert weit ab von dem, was tatsächlich passiert ist. Schlimm genug, dass Dean so viel mitbekommen zu haben scheint, aber trotzdem glaubt, er habe gesoffen.

Mit hämmerndem Herzen sieht Sam sich in der Küche um; von einem Kampf mit sich selbst oder dem Teufel persönlich ist nichts zu sehen. Der zerbrochene Teller und die Essensreste auf dem Fußboden sind verschwunden; Dean muss die Schweinerei zusammen mit seinem Mageninhalt beseitigt haben. Nur ein leeres Glas und eine Flasche stehen, als einzige Zeugen des Abends, noch auf dem Esstisch. Zu seiner Überraschung ist es nicht das Milchglas, das er sich eigentlich zu seinem Essen geholt hat, und statt der Milchflasche gibt eine zu drei Vierteln geleerte Whiskeyflasche Hinweis auf die Ursache für Deans Fehlinterpretation. Was hat das zu bedeuten?
 

Ich hab‘ doch nicht …
 

Nein. Kann nicht sein!
 

Ich habe Milch getrunken! Es war Milch!
 

… oder?
 

Steht Sam jetzt doch wieder am Anfang der Frage, was Realität ist und was nur in seinem Kopf passiert? Dabei kann er sich noch deutlich daran erinnern, dass Lucifer ihn von hinten festgehalten hat. Und vor allem daran, dass er, Sam, plötzlich selbst Lucifer war.
 

Und selbst, wenn er aus irgendeinem Grund doch den Whiskey intus haben sollte … Er ist nicht Dean, klar, aber er verträgt einiges und eine dreiviertel Flasche reicht nicht aus, um ihn so umzuhauen, verdammt noch mal!
 

„Hey, ich weiß, dass dich das alles fertig macht“, sagt Dean und presst ihm ohne Umschweife wieder den nassen, kalten Küchenlappen gegen die Beule an der Stirn.

Der karierte Stoff verdeckt ihm zur Hälfte die Sicht. Eigentlich möchte er Dean beiseite schieben, aber er weiß nicht, ob er in diesem Moment die Kraft dazu findet. Außerdem ist er eigentlich froh. Froh über die Berührung, die real ist und von der er nichts zu befürchten hat. Es kann nervig sein, ja, aber gerade ist es … nett, dass Dean sich um ihn kümmert. Tröstlich, vertraut und irgendwie fast heilsam.
 

„Die Jagd nach Lucifer, dass du nicht den Kopf davon frei kriegst und alles … Das Kind hier um dich rum. Ich weiß.“
 

Sam runzelt die Stirn unter dem Küchentuch, was keine gute Idee war, denn es bringt die Beule noch stärker zum Pochen.
 

„Schon klar, du willst vermutlich nicht reden, aber Mann!“, redet Dean weiter und ignoriert Sams wenig begeisterte Reaktion auf die abfällige Art, mit der er über Jack spricht.
 

„Du kannst doch mit dem Mist nicht alleine bleiben, du musst das rauslassen und so. Hol dir Hilfe! Das, was du sonst immer mir predigst. Ich mein, hey, ich bin auch noch da – und das weißt du, Chick Flick Momente beiseite … Komm mit so was zu mir!“
 

Sam schüttelt den Kopf, mit Nachdruck. Noch so eine reichlich blöde Entscheidung, weil das Stechen hinter seinen Augen und im Nacken davon noch intensiver wird. Er stößt Dean schließlich doch weg.
 

„Es gibt nichts zu reden, Dean! Ich habe Lucifer gesehen, okay? Und gehört. Er war hier. Er hat mich Dinge sehen lassen, richtig … abgefucktes Zeug, das du dir nicht vorstellen kannst! Er ist hier, seit zwei Tagen schon, vielleicht länger. Wir haben ein gewaltiges Problem!“
 

Dean sieht ihn nach dem Ausbruch an, kritisch, aber nicht annähernd beunruhigt genug. Die Hand mit dem Tuch hat er immer noch vor Sams Gesicht erhoben und sein Mund steht halb offen, so als wollte er etwas sagen, aber könne sich nicht ganz dazu durchringen.

Sam fällt plötzlich auf, dass Deans Lippen erstaunlich wund aussehen. Eigentlich tun sie das seit einer ganzen Weile schon, wenn er es sich recht überlegt. Sie sind rau, eingerissen, immer mal wieder blutig und mit den Abdrücken seiner Schneidezähne übersät, so als würde er ununterbrochen darauf herum beißen.

Sam sieht schnell weg. Der Anblick von Lippen, insbesondere von blutigen und malträtierten, bekommt ihm gerade nicht allzu gut.
 

Ihm ist schon wieder schlecht.
 

„Wieso sagst du erst jetzt was?“, fragt Dean schließlich und lässt das Geschirrtuch endlich sinken. „Wenn du glaubst, dass Lucifer seit zwei Tagen – Mann, Sam! Was denkst du dir eigentlich …?“
 

„Ich hab' mit Cas geredet!“, unterbricht Sam, weil er keine Lust auf Vorwürfe hat oder darauf, wie ein Kleinkind behandelt zu werden. Tatsächlich bringt der Einwand Dean kurz zum Schweigen.
 

„Ich habe Cas gefragt, ob ihm etwas aufgefallen ist und ihm erzählt, dass ich glaube, Lucifer gesehen zu haben! Er hat gesagt, dass ich mir das vermutlich nur einbilde und wir haben vereinbart, dass ich zu Gabe gehe, falls ich wieder das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt! Zufrieden, Dean?“
 

Dean sieht alles andere als zufrieden aus, aber er schaut pfeilgerade an Sam vorbei – und nickt.
 

„‘kay. Wenigstens redest du mit überhaupt jemandem. Und … und Cas ist nichts aufgefallen?“, fragt er und scheitert kläglich in seinem offensichtlichen Versuch, gleichgültig zu klingen, weil es um Cas geht.
 

„Nein. Gabe übrigens auch nicht. Er war dabei, als ich die ersten beiden Male das Gefühl hatte, dass … dass Lucifer da ist.“
 

Jetzt redet er doch mit Dean, erzählt ihm mehr, als er beabsichtigt hat. Dabei wollte er ihm ja eigentlich sein ‚Drama‘ ersparen, bis sein Bruder das eigene geklärt hat. Aber jetzt kann er auch offen sprechen, jetzt ist es auch schon fast egal.

Dean kaut schon wieder auf seiner Lippe herum. Es erinnert Sam daran, wie er selbst am Vortag auf die Art versucht hat, Lucifer zum Verschwinden zu bringen. Vielleicht haben sie doch mehr miteinander gemeinsam, als er manchmal glauben will.
 

Es ist gut, dass Dean Sams Blick auszuweichen versucht. So sieht er nicht, dass Sam vermeidet, seinem Bruder dabei zuzusehen, wie der seine innere Unruhe auf so destruktive Weise an sich selbst auslässt. Blutige Münder sind ein Anblick, auf den er im Moment gut und gerne verzichten kann; angefangen bei Gabriels grausam verstümmelten Lippen bis hin zu der Halluzination in seinem Abendbrot.
 

„Okay, Sam“, sagt Dean schließlich abwesend und lässt seine zerkaute Unterlippe den eigenen Zähnen entkommen.

„Okay, also … keiner von unseren Flattermännern hat irgendwas davon gemerkt, dass Lucifer da war. Und du bist dir trotzdem sicher, dass es echt ist. Und nicht so, wie … wie beim letzten Mal?“
 

Sam sieht natürlich, worauf Dean hinaus will. Dean unterstellt ihm, wieder einmal reif für die Klapse zu sein. Vielleicht ist er das ja auch. Trotzdem hält er die Bedrohung diesmal für real und nickt deshalb. Vorsichtig nur, damit sein Kopf sich mit den zusätzlichen Schmerzen zurückhält.
 

„Was macht dich so sicher?“, bohrt Dean weiter.
 

Sam seufzt.
 

„Zum einen, dass ich mir zum Essen ein Glas Milch geholt habe. Das war keine Halluzination, es war Milch, kein Whiskey! Und wenn ich irgendwie in Trance gewesen wäre, hätte mich spätestens dein Essen zurück in die Realität geholt. Weißt du eigentlich, wie scharf das Zeug ist?“
 

Er versucht sich an einem kleinen Grinsen, das Dean sogar halbherzig erwidert, bevor er mit den Achseln zuckt. Er lässt offen, was er von den eigenen Kochkünsten hält – und von Sams Rückschluss.
 

„Nur, weil‘s real für dich war, heißt das ja nicht, dass es nicht auch nur in deinem Kopf gewesen sein kann.“
 

„Ist das nicht aus Harry Potter? Du reißt das total aus dem Zusammenhang!“
 

„Kann sein, aber –“
 

„Ich hab anscheinend ohne Ende Whiskey getrunken und es nicht gemerkt, Dean!“, unterbricht Sam und kann nicht verhindern, dass er laut wird.
 

„Was glaubst du, wer oder was mich auf so einen Trip bringen kann, dass ich mich bis zum Erbrechen betrinke und es nicht merke?“
 

„Du hast echt nicht gewusst, dass du dir einen hinter die Binde kippst?“, fragt Dean nach einigem Zögern. Er klingt misstrauisch. Berechtigt, wohl – leider.
 

Trotzdem nervt es.
 

„Nein, ich hab es wirklich nicht gemerkt. Und die Dinge, die ich gesehen und gehört habe, das hatte nichts mit einem normalen Rausch zu tun … Das war wie … wie ein Drogentrip! Anders kann ich es nicht beschreiben.“
 

Nur, dass es kein Drogentrip war, sondern Realität.
 

„Hm“, macht Dean und steht vom Boden auf. Er wirft den nassen Lappen ins Spülbecken, wischt sich die Hände an der Jeans ab und holt die Whiskeyflasche vom Tisch. Er schwenkt sie leicht, so dass der letzte Schluck der honigfarbenen Flüssigkeit darin mit leisem Gluckern hin und her schwappt.
 

„Die war noch ganz voll. Hab sie gestern erst gekauft. Und das hast du alles heute Abend vernichtet – okay, das passt nicht zu dir. Brauchst sonst mehr Gründe.“
 

Die Aussage ist seltsam und tut irgendwie ein bisschen weh, obwohl Sam nicht genau festmachen kann, was ihn daran stört. Sie scheinen sich jetzt offenbar darauf geeinigt zu haben, dass Sam zu viel über den Durst getrunken hat. Unfreiwillig und unwissentlich zwar, das schon, und auch, dass dies auf etwas durchaus Beunruhigendes zurückzuführen sein könnte. Aber das hilft ihm kein Stück weiter.
 

Dean stellt den Whiskey zurück und holt ein frisches Glas aus dem Schrank, das er mit Leitungswasser füllt. Er reicht es Sam und setzt sich dann wieder zu ihm, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass sie zusammen in der Küche auf dem Boden hocken und darüber diskutieren, ob Sam verrückt geworden ist. Oder ob Satan persönlich in ihrem Haus makabere Streiche spielt.
 

„Danke“, murmelt Sam und leert das Wasserglas in wenigen Zügen. Es tut gut, aber es reicht nicht aus, um das Brennen in ihm zu löschen. Er fühlt sich so unbeschreiblich wund und ausgetrocknet.
 

Nicht nur körperlich …
 

Dean starrt wieder wortlos vor sich hin, bis Sam ausgetrunken hat. Schließlich sagt er: „Weißt du, ich glaub dir, was du sagst. Ich glaub dir, dass du das alles wirklich so gesehen hast. Aber versteh mich nicht falsch, Sammy, wenn ich jetzt nicht panisch durch den Bunker renne und Lucifer suche. Er ist nicht hier.“
 

Er macht eine kurze Pause, in der Sam das Herz in die Hose rutscht. Dean glaubt ihm nicht. Er macht sich Sorgen und er hört ihm zu, ja. Er nimmt sogar ernst, was er sagt. Aber er glaubt ihm nicht.
 

„Oder ist er hier, Sam? Kannst du ihn jetzt gerade sehen?“
 

„Nein. Nein, kann ich nicht.“

Das zuzugeben, fühlt sich wie eine Niederlage an. Natürlich ist jede Lucifer-freie Minute wie ein Geschenk, aber er ist sich nun wirklich sicher, dass es keine Halluzinationen sind, die ihn plagen, und dass Dean immer noch so ruhig neben ihm sitzt, grenzt in diesem Moment für ihn an eine Katastrophe. Wenn er sich nicht so sehr wie gerädert fühlen würde, wenn sein Körper ihm gehorchte, ohne dass er bei der kleinsten Bewegung Sorge haben müsste, sich erneut zu übergeben …
 

„Vielleicht solltest du noch mal mit Cas reden“, schlägt Dean in diesem Moment vor und die Pause, die er vor Cas‘ Namen macht, ist so winzig, dass sie Sam nur auffällt, weil niemand Dean so gut kennt, wie er.
 

„Und, äh, mit … Gabriel. Kann ja nicht schaden.“
 

Sam seufzt erneut, diesmal deutlich frustrierter.
 

„Vielleicht solltest du mit Cas reden. Das kann garantiert nicht schaden“, murmelt er halblaut und vergräbt erschöpft das Gesicht in den Händen.
 

Das atemlose Schweigen daraufhin ist so durchdringend, dass er es neben sich fühlen kann.

Das Piepen in seinem Ohr wird mit einem Mal auch wieder lauter. Dieser rauschende, schrille Pfeifton, mit dem er vorhin zu sich gekommen ist. Bis eben gerade hat er es noch geschafft, ihn halbwegs auszublenden.
 

„Wieso sollte ich?“
 

Deans Stimme ist seltsam ausdruckslos und das anschließende Lachen falsch und laut und viel zu hoch. Es tut Sam im Kopf weh. Er presst Daumen und Zeigefinger gegen den Nasenrücken und kneift die Augen zusammen.
 

„Weil‘s dir beschissen geht“, sagt er gegen seine angewinkelten Knie. „Und Cas auch, übrigens.“
 

Dean Lachen erstirbt in einem erstickten Laut, etwa von der Sorte ‚getretener Hund‘, der Sam vor Mitgefühl zusammenfahren lässt.
 

„Weiß gar nicht, was du – “
 

„Oh, bitte, Dean! Komm mir nicht so!“, fährt Sam ihn an und hebt jetzt doch den Kopf, um ihn anzusehen.
 

„Lucifer spielt mal wieder Weltuntergang. Meinst du echt, das ist der richtige Zeitpunkt für Spielchen? Die nächste Apokalypse steht quasi direkt vor der Haustür und wir wissen nicht, wen wir dabei diesmal verlieren! Willst du echt riskieren, dass das so zwischen euch endet? Was, wenn Cas wieder in der Leere landet und nicht zurückkommt, Dean? Was, wenn du stirbst? Hast du mal daran gedacht, was das mit ihm machen würde? Oder mit dir?“
 

Dean sieht ihn auf eine Art und Weise an, die Sam verrät, dass sein großer Bruder in der vergangenen Woche an nahezu nichts anderes gedacht hat. Sie haben im Moment andere Probleme, dringendere, ja, aber es tut verdammt weh, Dean so gefangen in seinen Ängsten und verrannt in den eigenen unsinnigen Regeln zu sehen. Seine Unterlippe verschwindet wie auf Kommando zwischen seinen Zähnen.
 

Wie kann man sich nur so sehr selbst im Weg stehen?
 

„Wir … wir finden eine Lösung, Sammy“, sagt Dean und scheint sich die aufgesetzte Selbstsicherheit nicht einmal selbst abzukaufen.

„Ich sorge dafür, dass du Lucifer nicht mehr siehst. Keine Sorge! Das wird wieder.“
 

Sam lässt die hämmernde Stirn wieder gegen seine Knie sinken.

Jetzt ist ihm tatsächlich nach Heulen zumute und das ist ihm schon seit sehr langer Zeit nicht mehr passiert.

 

 

*
 

Dean hat hoch und heilig schwören müssen, dass er ohne Sams ausdrückliche Zustimmung weder mit Cas, noch mit Rowena und auf gar keinen Fall mit Jack oder Mom über den Zwischenfall spricht. Dean hat darüber nur geschnaubt und zwischen zusammengebissenen Zähnen so etwas vor sich hin gebrummt, wie ob Sam ihn für bescheuert halte?

Andersherum hat Dean ihm das Versprechen abgenommen, noch einmal mit Cas zu reden, sobald der Engel von der Geisterjagd zurück ist.

Sam hätte Dean in dem Zusammenhang gern dazu bewegt, andersherum das gleiche zu tun und das Gespräch mit ihrem besten Freund zu suchen. Aber mehr, als ihn darum zu bitten, kann er nicht für seinen Bruder tun und er weiß auch so, worauf Deans mürrisches „Mal sehen!“ hinauslaufen wird. Vermutlich noch mehr Davonlaufen. Sam hofft, dass wenigstens seine kleine Standpauke über das Ende der Welt ein bisschen Eindruck hinterlassen hat.
 

Er lässt sich noch ein wenig über Lucifer und die letzten Erscheinungen ausfragen, ist aber zu erschöpft für ein größeres Verhör. Dean hat Erbarmen mit ihm und sorgt schließlich nur dafür, dass er noch ein paar Gläser Wasser hinunterkippt, bevor er Sam unter die Dusche und anschließend ins Bett scheucht. Sein Bruder treibt es sogar so weit und macht Anstalten, ihn zudecken zu wollen – aber Sam kommt ihm zuvor und jagt ihn mit der erneuten Erwähnung von einem Gespräch mit Cas aus seinem Zimmer.
 

Den Versuch, den Bunker noch am selben Abend nach Lucifer abzusuchen oder sich hinter die zaghafte Recherche nach satanischen Halluzinationen zu klemmen, gibt er auf, sobald sein Kopf das Kissen berührt. Dean hat wohl recht gehabt: Er muss sich während der letzten Erscheinung in einem krampfartigen Zustand befunden haben, denn er spürt jeden Muskel einzeln und sämtliche Knochen seines Körpers tun ihm weh. Die Folgen eines normalen Katers sind das nicht!

Aber vielleicht die einer Psychose? Sam weigert sich, das zu glauben.
 

Okay, die Möglichkeit besteht natürlich, dass einer von uns früher oder später wahnsinnig wird.
 

Erlebt haben sie beide genug dafür und … offenbar trifft es zuerst Sam.
 

Aber doch nicht – doch nicht so!
 

Halluzinationen lassen kein Geschirr fliegen – oder?!
 

Es sei denn, er hat am Ende selbst im Wahn in der Küche randaliert …

Das Grübeln hindert seinen Geist nicht daran, der Erschöpfung nachzugeben und in einen bemerkenswert traumlosen Schlaf zu sinken.
 

Mitten in der Nacht schreckt Sam hoch. Er liegt in seinem Bett, in seinem Zimmer. Es ist noch alles an ihm dran, er ist in einem Stück, sein Magen lässt ihn, nachdem er sich sein Abendessen noch einmal so gründlich hat durch den Kopf gehen lassen, auch in Ruhe.

Und nein, nach den Ereignissen der letzten Tage sind es erstaunlicherweise wirklich keine Alpträume, die ihn geweckt haben.
 

Verschlafen schaltet Sam die kleine Lampe auf seinem Nachttisch ein. Das schwache Licht lässt einen Großteil des Raumes im Schatten, aber er begreift sofort, was ihn geweckt hat: Am Fußende seines Bettes sitzt Gabriel mit einer solch entspannten Selbstverständlichkeit, als gehöre er zum Mobiliar. Der Erzengel trägt wieder einmal seinen flauschigen, roten Bademantel – zurzeit offensichtlich sein liebstes Kleidungsstück – und sieht ihn offen interessiert an.

Sam ist mit einem Schlag hellwach.
 

„Alter, was willst du denn hier?“, entwischt es ihm wenig begeistert.
 

Gabriel schlägt betont lässig die Beine übereinander (Wenigstens scheint er einen Pyjama unter dem Bademantel zu tragen, und um die darauf gedruckten obszönen Lebensmittel zu erkennen, ist es zum Glück auch zu dunkel!) und verschränkt die Finger über seinem Knie.

Die Geste verrät überdeutlich, dass es wohl leider eine Weile dauern wird, bis Sam ihn wieder los wird. Wie lange er ihm schon beim Schlafen zugesehen hat, will er lieber gar nicht erst wissen. Unauffällig versucht Sam, sich den Mund an der Bettdecke abzuwischen, für den Fall, dass er im Schlaf gesabbert hat.
 

„Du liebe Zeit! Es freut mich ja auch, dich zu sehen“, erwidert Gabe, doch sein Tonfall dabei ist ungewohnt ernst, ein bisschen forsch, geradezu.
 

Sam lässt den Deckenzipfel los. Eigentlich spielt es keine Rolle mehr, welchen Eindruck er jetzt hinterlässt, denn was für Peinlichkeiten er auch immer im Schlaf von sich gegeben hat – Sabber, Worte, seltsame Geräusche – Gabriel hat sie zweifellos mitbekommen.
 

„Lass mich schlafen.“
 

Sam schaltet die Nachttischlampe wieder aus, was selbst für Gabe als Geste des Rauswurfs ausreichen sollte, und lässt den Kopf zurück ins Kissen fallen. Weit gefehlt. Er starrt, horcht und fühlt in die Schwärze seines Zimmers, doch er spürt keine Regung am Fußende der Matratze. Unnachgiebig bleibt Gabriel im Dunkeln auf seiner Bettkante sitzen.
 

„Es ist wichtig. Familiäre Angelegenheiten, Samshine.“
 

Sam seufzt.
 

Die Spitznamen werden auch immer dämlicher.
 

„Kann das nicht warten?“
 

Ihm tut immer noch alles weh und er will einfach nur schlafen, jede Sekunde genießen, in der er nichts sieht oder hört, was mit verrückten Engeln und deren Familienbande zu tun hat.
 

Aber zu seiner Überraschung sagt Gabe: „Dein Bruder war vorhin bei mir.“
 

Bitte was?!
 

Warum hätte Dean ausgerechnet Gabriel freiwillig aufsuchen sollen, da er doch in letzter Zeit so angespannt und unbehaglich in Gegenwart des Erzengels wirkt? Auch darüber hinaus fallen Sam spontan nicht viele Gründe ein, die Dean dazu bringen könnten, zu dieser Uhrzeit mit dem Erzengel zu reden. Aber dass Dean ihn bei Gabe verpetzen würde, dem einzigen, mit dem er ihm nicht zu reden verboten hat, hätte er nicht gedacht. Was die Angelegenheit also automatisch zu einer ihrer beider Familien macht. Nun gut, Gabriel hat schließlich nicht gesagt, um wessen Gene es sich bei ‚familiär‘ handelt.
 

Sam ergibt sich seinem Schicksal, entscheidet sich dafür, mitzuspielen.
 

„Und du verrätst mir sicher gleich, was er von dir wollte …?“
 

„Warum hast du mir nicht sofort erzählt, dass du Lucifer gesehen hast, Sam?“, fragt Gabriel wie aus der Pistole geschossen, kaum dass Sam zu ende gesprochen hat.

Freiheraus, wie immer, und immer genau dahin, wo es am meisten wehtut … So ist Gabe.

Jetzt, so im Nachhinein, ist das aber eigentlich eine ziemlich gute Frage.

Direkt darüber zu sprechen, wäre am einfachsten gewesen. Vielleicht hätte es Sam die schrecklichen Bilder in der Küche erspart. Und vermutlich wäre er mit Gabe sofort beim richtigen Ansprechpartner gelandet, der den Ernst der Lage als einziger realistisch einschätzen kann. Niemand im Bunker kennt die genauen Ausmaße von Lucifers Kräften besser, als dessen eigener Bruder.
 

Ihm fällt keine gescheite Antwort ein, aber vielleicht war es ganz gut, dass er das Licht ausgemacht hat. Zumindest ist er aus irgendeinem Grund froh, Gabe bei seinen nächsten Worten nicht direkt ansehen zu müssen.
 

„Du bist gerade erst hier angekommen“, sagt Sam halblaut und starrt im Liegen in die stechende Dunkelheit.

„Nach allem, was dir passiert ist, wollte ich vielleicht einfach nicht, dass du sofort das Gefühl hast, dass du hier nicht sicher bist? Ich meine, ich war mir ja selbst nicht sicher, ob ich nicht einfach nur spinne, Gabe!“
 

Zumindest bis heute Abend. Kann sein, dass ich spinne und Dinge sehe, die nicht da sind, wie das Auge und … der Mund …
 

Aber der Rest war echt. Lucifer war hier!
 

Gabriel erwidert darauf eine Weile nichts; so lange, bis die Stille wieder einmal in seinen Ohren zu piepsen beginnt. Vielleicht hätte er den Hörsturz nicht als faule Ausrede vor Gabe und Jack benutzen sollen. Allmählich muss er sich fragen, ob er nicht tatsächlich einen hat.

Schweigen sieht dem selbsternannten Trickster jedenfalls so überhaupt nicht ähnlich und es sorgt dafür, dass Sam immer unbehaglicher zumute wird.

Das führt so weit, so dass er sich, entgegen aller Widerstände und Schmerzen, schließlich halb auf seiner Matratze aufrichtet, um einen Blick auf das vertraute Profil zu erhaschen.

Aber es ist zu dunkel. Er kann gerade so einen Schemen erahnen, der vielleicht eine Winzigkeit schwärzer ist, als die Nacht im Raum.
 

„Deine Rücksicht ist ja sehr nett von dir, Samshine. Aber nur, weil ich nichts davon weiß, macht es das nicht weniger gefährlich. Das ist dir bewusst, oder?“, sagt Gabriel irgendwann und mit etwas mehr Wärme in seiner Stimme, als noch zuvor bei der eher unorthodoxen Begrüßung.
 

Leider ist das, was er sagt, treffend richtig und diesmal hat Sam dafür keine gute Ausrede mehr parat.
 

„Ich wusste nicht, ob es real ist“, wiederholt er deshalb lahm, lässt sich schwerfällig zurück ins Bett fallen.

„Dean glaubt mir nicht ...“
 

„Wenn Dean-o dir nicht glauben würde, wäre er vermutlich nicht zu mir gekommen“, entgegnet Gabriel und Sam hört den unerwarteten Anflug von Belustigung in seiner melodischen Stimme.
 

„Ach ja und warum genau denkst du das?“
 

„Lass es mich mal so sagen: Ich habe ihn im Moment ziemlich bei den Kronjuwelen, wenn du verstehst, was ich meine … Ich glaube, er sehnt sich zurzeit nicht unbedingt nach meiner Gesellschaft und wenn er wegen dir sogar höchstpersönlich an meine Zimmertür klopft, dann ist wohl klar, dass er hier gar nichts auf die leichte Schulter nimmt.“
 

Das macht Sinn.
 

So etwas in der Art hat er natürlich schon vermutet, seit Deans Kopf zu glühen beginnt, sobald Gabe auf der Bildfläche erscheint. Sams Neugier lässt ihn die nächste Frage stellen, obwohl er nicht wirklich eine richtige Antwort darauf erwartet. Der Erzengel geht mit seinen Geheimnissen selten hausieren, wenn er keinen ersichtlichen Vorteil daraus ziehen kann.
 

„Okay, und was, bitte, hast du gegen Dean in der Hand? Abgesehen von seinen Eiern. Über die ich übrigens nichts wissen will.“
 

Gabriel lacht.
 

„Oh, zufällig geht‘s genau um die! Dir ist doch sicher aufgefallen, dass zwischen meinem kleinen Bruder und deinem großen eine heiße Nummer gelaufen ist.“
 

Sam kann das Grinsen im Dunkeln natürlich nicht sehen, aber er bildet sich ein, dass er es hören kann. Das diebische Funkeln in den bernsteinfarbenen Augen scheint ihm aus dem Verborgenen entgegen zu blitzen.
 

„… und weiter?“
 

„Ich bin derjenige, dem sie das zu verdanken haben; ich habe es geplant und für die Gelegenheit gesorgt. Na schön, gemacht haben sie es dann ganz alleine“, erklärt Gabriel feierlich und so stolz, als habe er einen Preis für seine Schandtat verdient.

Sam reagiert nicht sofort. Sein Hirn fühlt sich viel zu matschig für die Art von Gespräch an. Erst das schwache Pochen über seinem Auge erinnert ihn an die Beule an seinem Kopf – und lässt ihn realisieren, dass er gerade wieder einmal die Stirn runzelt, was Gabriel offensichtlich trotz der Dunkelheit im Raum überdeutlich sehen kann.
 

„Komm schon, Sammich – ohne Nachhilfe hätte Dean-o doch nie im Leben den Stock aus seinem Arsch gekriegt, das musst du zugeben! Und Cassie, Cassie hätte ihn weiter immer nur mit diesem Rehblick angestarrt und es wäre nichts passiert. Wenn ihr Menschen – vor allem Jäger – nicht so eine begrenzte Lebensdauer hättet, würde dieses Spielchen vermutlich noch Jahrhunderte so weitergehen! Sie starren, sie leiden, sie sterben, sie kommen zurück, und das ganze Drama wieder von vorn. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann starren sie noch heute. Und irgendwann kommt einer von beiden nicht mehr zurück und ja, dann haben wir den Salat.“
 

Sam nickt eifrig auf seinem Kissen, obwohl es seinen Nacken unter Schmerzen protestieren lässt. Aber Gabe spricht ihm mit seiner Einschätzung der Lage aus der Seele.
 

„Ich lebe gefährlich, Sammyboy. Ich wollte noch in diesem Zeitalter erleben dürfen, wie der kleine Jäger und sein Schutzengel endlich in die Puschen kommen! Leider heißt bei deinem Vollpfosten von Bruder auch ein heißer Ritt mit Castiel wohl nicht, dass er sich einen Ruck gibt.“
 

Sam steht jetzt der Mund offen, nicht ohne den Anflug von Übelkeit ob der vielleicht etwas zu detaillierten Natur der Information.
 

„Dean hat mit Cas geschlafen?!“
 

Doch da ist noch mehr, mehr, was ihn beschäftigt.
 

Er hat mit ihm geschlafen und ihn danach abserviert ...
 

Sam hat sich denken können, dass etwas, irgendetwas, zwischen Dean und Cas passiert sein muss und dass Gabe irgendwie darin verwickelt gewesen sein könnte. Aber dass Cas und Dean gleich bis zum Äußersten gegangen sind, das hätte er nicht vermutet. Wahrscheinlich hat er bei Gabriels Erzählung deshalb so langsam geschaltet.
 

„Ja, ja – ich war natürlich nicht live dabei, aber ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass es ordentlich zur Sache ging!“
 

Er lacht äußerst dreckig und Sam windet sich aus lauter Mitgefühl für seinen Bruder und Cas förmlich unter der Bettdecke. Selbst er fühlt sich verdammt unwohl dabei, dass Gabe so viel davon weiß.
 

Viel zu viel! Kein Wunder, dass Dean so durch den Wind ist!
 

Es ist nicht so, dass Sam Buch darüber führt, oder dass Dean je über etwas Derartiges sprechen würde. Aber das letzte Mal Sex mit jemandem, der ihm wirklich etwas bedeutet hat, muss Dean vor ungefähr … sieben Jahren gehabt haben. Und – bezogen natürlich auf Personen, die für Sex überhaupt erst infrage kämen – niemand in seinem Leben, absolut niemand hat Dean bisher mehr bedeutet, als Castiel. Da ist sich Sam mehr als sicher. Sein Bruder trennt Körperliches strikt von seinen Gefühlen. Wenn das nun beides miteinander kollidiert ist …
 

Und dann die Sache mit Gabe ...
 

Sam beginnt sich zu fragen, ob vielleicht auch die Hintergründe, wie Cas und Dean miteinander im Bett gelandet sind, dazu geführt haben, dass Dean jetzt so sehr dicht macht. Vielleicht war Alkohol im Spiel. Vielleicht ein Trickster-Streich, vielleicht haben sich diese vermaledeiten Amors wieder einmal in die Liebesangelegenheiten eines Winchesters eingemischt …
 

„Ich sehe schon, wir verstehen uns, Sasquatch“, summt Gabriel, doch Sam ist sich da nicht ganz so sicher. Was die passenden Umstände für ein erstes Mal mit der Liebe seines Lebens anbelangt, scheinen die Meinungen zwischen Engeln und Jägern offensichtlich gewaltig auseinander zu gehen.
 

Der Engel auf seinem Bett gibt Sam eine Minute Zeit für seine wirren Gedanken, in der er sich paradoxerweise ein stummes Lächeln auf dessen schelmischen Zügen vorzustellen beginnt.

Das Bild in seinem Kopf hat etwas eigenartig Beruhigendes. Es ist so dunkel, dass Sam weder reale Erscheinungen noch Trugbilder sehen kann und obwohl Gabes Anwesenheit ihn zuvor nicht davor bewahrt hat, sich Lucifer ausgeliefert zu fühlen, spürt er die eigene Paranoia jetzt  genug weichen, um sich gänzlich auf das Dilemma von Dean und Cas zu konzentrieren.
 

Bis Gabe plötzlich abrupt wieder in Sams eigener Verletzlichkeit herumzustochern beginnt: „Aber wie sieht‘s jetzt aus mit Lucy? Erzähl mir davon.“
 

Es ist keine Bitte und Sam findet nicht den nötigen Widerstand in sich, um zu protestieren. Außerdem ist da diese seltsame Anwandlung von … Ja, von was eigentlich genau? Hoffnung? Dass der nahezu machtlose Erzengel ihm wird helfen können? Dass er seinen Hirngespinsten Glauben schenkt?
 

Vielleicht ist Sam auch einfach immer noch viel zu müde. Aber er fasst sich ein Herz, schließt die Augen, um die Dunkelheit und die Ahnung des Gabriel-Schattens darin nicht sehen zu müssen, und erzählt.

Von dem Lachen in Gabes Zimmer. Davon, wie begeistert Lucifer war, Jack und Gabe und Sam auf einem Haufen im Bunker vorzufinden. Er erzählt sogar, dass er erst dachte, einen Augapfel in seinem Reis zu sehen und dass er Lucifers Stimme aus seinem eigenen Mund gehört hat. Dass es sich beinahe angefühlt hat, als hätte Lucifer Besitz von ihm ergriffen. Was ohne Sams Einwilligung natürlich nicht tatsächlich funktioniert, aber trotzdem erscheint es ihm zu wichtig, um es zu verschweigen. Dass Lucifer da war, ihm die Halluzinationen persönlich vorbeigebracht hat.
 

Nur von der Herkunft seiner plötzlichen Lippen-Phobie erzählt er nichts. Vielleicht, weil es so verrückt klingt, dass er sich wirklich dafür schämt. Vielleicht, weil er davon ausgeht, dass Gabe sich zurzeit auch nicht unbedingt mit blutigen Lippen auseinandersetzen will.
 

Darüber hinaus erzählt Sam alles mit wenigen Worten, aber so genau wie möglich. Am Ende ist seine Stimme trotzdem völlig heiser, so als habe er stundenlang geredet, obwohl er eigentlich nicht länger als wenige Minuten lang gesprochen haben kann. Gabriel unterbricht ihn nicht ein einziges Mal.
 

„Bin ich jetzt reif für die Gummizelle oder wir alle für den Panikraum?“, fragt Sam am Ende und spürt selbst, wie viel Bitterkeit in seiner kratzigen Stimme mitschwingt.
 

Gabriel seufzt leise und Sam fühlt, wie das, was er zuvor noch für Hoffnung gehalten hat, mit dem Geräusch in seiner Brust zugrunde geht.
 

„Samshine, Samshine … Das ist genau die Art von Späßen, die Lucy lustig findet. Ja. Aber es ist auch so vage, dass es nur in deinem Kopf passiert sein könnte. Alles in allem sind das erst mal nur deine Beobachtungen.“
 

Womit er jetzt also kein Stück weiter wäre. Rat- und hilflos, wie zuvor.
 

„Aber das muss alles nichts heißen! Bedenke, dass ich … Na ja, ich bin gerade nicht so ganz auf der Höhe. Mein geliebter Bruder ist das größte Arschloch, das sich je dazu herabgelassen hat, auf dieser kleinen Erde zu wandeln. Und leider weiß ich nicht, wie viel Saft er so im Moment hat. Es kann sein, dass er – in diesem Zustand – meinem Radar entgeht.“
 

Zu Sams Erstaunen klingt es ein kleines Bisschen gequält. Der Teilverlust seiner Gnade scheint dem Erzengel mehr zu schaffen zu machen, als er vermutet hätte. Was vielleicht auch an den Umständen liegt, wie sie ihm entrissen wurde, doch irgendwie kommt es überraschend, dass Gabriel, für seine Verhältnisse, so offen mit Sam darüber spricht.

Das ist es aber letztlich, was dafür sorgt, dass Sam sich ernst genommen fühlt. Gabe gibt zu, dass er nahezu machtlos ist – und bestätigt ihm, dass es definitiv angebracht wäre, sich Klarheit über die verstörenden Ereignisse zu verschaffen.
 

„Und was schlägst du vor, was ich jetzt tun soll?“
 

„Was hast du beim letzten Mal getan?“
 

„Beim letzten Mal? Woher weißt du – Oh, nein. Lass mich raten: Dean?“
 

Sam schnaubt wütend. Natürlich ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Gabriel schon vorher von Sams Klinikaufenthalt und dessen Ursache wusste, aber er zweifelt nicht daran, dass Dean heute Abend in ganz außergewöhnlicher Plauderstimmung war.
 

Wieso hebt er sich das nicht auf, um endlich mal sein eigenes Leben in den Griff zu kriegen?
 

Gabriel gluckst leise.
 

„Ich hab‘ momentan nicht allzu viel übrig für Dean-o, aber lass es mich so sagen: Ich verstehe seine Beweggründe. Es ist nicht leicht, einen kleinen Bruder unglücklich zu sehen. Und manchmal bringt es einen dazu, verrückte Dinge zu tun. Deshalb sitzen wir beide heute hier. Also, Sam. Was hast du beim letzten Mal immer getan, wenn du Lucifer gesehen hast, aber nicht sicher warst, ob er wirklich da war?“
 

Sam versucht, das Gefühl von Verrat hinunterzuschlucken – Dean und dessen Vereinbarungen mit Engeln hinter Sams Rücken werden vermutlich für immer ein wunder Punkt bleiben, obwohl Gabe natürlich schon wieder recht hat – und überlegt.
 

„Ihn ignoriert. Versucht, nicht drauf einzugehen. Wenn es zu schlimm wurde, habe ich versucht, ihn … na ja. Ich hab versucht, ihn mit Schmerzen auszublenden. Ich hatte da diese Verletzung ...“, sagt er zögerlich und rutscht unauffällig tiefer unter seine Decke. Bloß kommt er nicht allzu weit, weil er sich auf die Art natürlich auch Gabe auf seiner Bettkante nähert.
 

„Das kommt diesmal nicht infrage, Sam!“
 

Gabriel klingt jetzt auf alarmierende Weise nahezu autoritär und so viel mehr nach Erzengel denn nach Trickster. Der Stimmungswechsel ist so plötzlich, dass Sam eine Gänsehaut bekommt. Wieder ist er dankbar für die Dunkelheit um sie. Dass Gabe so ungehalten reagiert, hätte er nicht vermutet, und es trifft irgendwie unangenehm, gerade weil es ihm so lächerlich schwer gefallen ist, über diesen speziellen Teil seiner Vergangenheit zu sprechen.
 

„Nein … Wohl nicht“, murmelt er also nur. „Aber was dann?“
 

Zum Glück geht Gabriel auf den Themenwechsel ein und das unerwartete Lodern in seiner Präsenz verebbt augenblicklich.
 

„Unsere Aufgabe für morgen“, sagt er, mit dem Anflug vertrauten Humors in der Stimme, „Herausfinden, wie wir dir helfen und Lucy unschädlich machen können. Aber ich würde vorschlagen, dass du jetzt schläfst. Ich hab mir sagen lassen, dass Riesen-Elche mehr Schlaf als der Durchschnittsjäger brauchen. Zehn Minuten mehr pro Inch – ab Überdurchschnittsgröße!“
 

Wieder schnaubt Sam, aber die vertrauten Witze erreichen ihn kaum.

Er könnte Gabe darauf aufmerksam machen, dass es vielleicht keine gute Idee war, nachts im Dunkeln über so viel feinstes Alptraum-Material zu sprechen, wenn man ohnehin schon unter massiven Schlafstörungen leidet. Doch gerade so, als habe er den Gedanken erraten, kommt Gabriel ihm zuvor.
 

„Ich hab zwar nicht mehr viel Mojo, aber es reicht noch für süße Träume, Sammy. Falls der Bedarf besteht.“

Es klingt behutsam und es ist bemerkenswert selten, dass der Erzengel etwas anbietet, ohne es direkt aufzuzwingen.
 

Der Vorschlag ist nach dem furchtbaren Abend so verführerisch, dass er sogar über das nervtötende ‚Sammy‘ hinwegsehen kann. Außerdem wird Sam nicht noch einmal so viel Glück haben wie vorhin, und in einen traumlosen Schlaf fallen. Aber kann er wirklich um eine derartige Banalität bitten?
 

Sollte Gabe nicht lieber seine Kräfte schonen?
 

Und vor allem: Sollte Sam noch einem weiteren Engel freien Zugriff zu seinem Hirn gewähren?
 

Eigentlich ist da oben schon mehr als genug kaputt. Was kommt es da auf einen mehr an …?
 

Wobei Gabriel es natürlich von sich aus angeboten hat, und – seit wann hat er eigentlich bei Sam am Fußende gesessen? Hat er vielleicht schon vorher über seinen Schlaf gewacht, ungefragt? Der Gedanke sollte beunruhigender sein, als es Sam gerade zumute ist.
 

„Was ist das mit euch Engeln, dass ihr ständig bei uns am Bett hockt und uns beim Schlafen beobachtet? Das ist nicht nur unhöflich, es ist verstörend!“, kann er sich nicht verkneifen.
 

Gabriel lacht kurz auf, freundlich und unbekümmert.
 

„Schlafende Winchesters als persönlicher Kick liegen in der Familie, Samshine“, sagt er und wieder glaubt Sam, in der Dunkelheit das unverkennbare Lächeln zu hören. Es klingt merkwürdigerweise nicht im Geringsten spöttisch.

„Im Schlaf könnt selbst ihr nicht so viel anstellen und vielleicht genießen wir es einfach, mal vollkommen stressfrei über euch wachen zu dürfen. Keine Scherereien. Wenn ihr nicht so finster aus der Wäsche guckt, seid ihr ja sogar beinahe niedlich.“
 

Ich bin nicht niedlich.
 

„Woher willst du wissen, dass ich gerade nicht ‚finster‘ gucke?“
 

„Ich habe zufällig gute Augen und kann ganz genau sehen, wie du guckst. – Ja, den Finger hab ich auch gesehen.“
 

Sam lacht jetzt selbst. Irgendwie hat Gabe es tatsächlich geschafft, die Stimmung zu lockern. Richtig zu lockern. Sam beginnt beinahe, sich in seiner Gegenwart und im eigenen Bett wieder wohl zu fühlen.
 

„Das ist ein bisschen unfair, ich kann dich nämlich gerade überhaupt nicht sehen.“
 

Vielleicht liegt es an der Dunkelheit oder daran, dass Sam kaum noch die Augen offen halten kann, aber er hat das Gefühl, dass sich etwas im Raum verändert.
 

„Du kannst mich auch im Hellen nicht sehen, Samoose“, erwidert Gabriel sanft.
 

Zunächst bemerkt Sam es kaum; vielleicht, weil es das erste Mal seit langem ist, dass sich das Unbegreifliche nicht bedrohlich für ihn anfühlt. Auch sind es diesmal keine Stimmen oder Bilder. Es ist vielmehr wie ein tiefer, voller, überirdischer Ton, der im Raum schwebt, vollkommen gegensätzlich und unwirklich, hauchzart und doch markerschütternd in seiner Präsenz.
 

„Hörst du das?“, gelingt es ihm zu fragen und bekommt kaum mit, wie andächtig er sich dabei anhören muss.
 

Gabriel antwortet nicht sofort, was Sam Zeit gibt, dem unbekannten Klang zu lauschen. Doch je mehr er sich auf ihn konzentrieren will, desto weniger kann er ihn fassen. Ein wenig ist es, als würde er einem Lichtspiel im Wind nachjagen, Sonne durch tanzenden Blättern. Sam fühlt sich plötzlich nicht mehr wie ein Fremdkörper in sich selbst. Der Ton erinnert an ein entferntes, leises Summen, sein eigener Puls wie der passende Takt dazu, so dass es beinahe wie ein Schlaflied klingt. Seine Ohren haben endlich das nervenaufreibende Piepen eingestellt. Die Müdigkeit ist nun willkommen, umgibt ihn wie eine zusätzliche schwere, warme Decke.

Es dauert eine Weile, bis ihm klar wird, dass der überirdische Ton unmittelbar von Gabe stammen muss. Es ist ein bisschen, als würde Sam sehend und bei Tageslicht nicht sämtliche Facetten in der Stimme des Erzengels ausmachen können; in der einen menschlichen, sprechenden Stimme, hinter der das Echo von etwas Mächtigerem verborgen liegt, das Sam durchdringt, als inhaliere er dessen Klang mit jeder Faser.
 

Ist das … seine wahre Stimme?
 

Der Klang unterstreicht, worauf Gabriel eben angespielt hat: Das Bild, was Sam von ihm hat, ist nur eine Illusion und sie überlagert die Wirklichkeit; wie Gabriel wirklich aussieht, wird er wahrscheinlich niemals erfahren. Sam findet keine Erklärung dafür, warum seine Trommelfelle nicht platzen, ihm nicht das Hirn wegschmilzt, aber als er danach fragen will, greift Gabriel seinen Gedanken von selbst auf:
 

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. Das weißt du doch. Gilt, im Übrigen, auch für alle anderen Sinne.“
 

In Sams müdem Verstand beginnt es träge zu arbeiten. Ein seltsamer Zusammenhang für dieses Zitat, denn natürlich hat er de Saint-Exupéry erkannt. Und was für eine merkwürdig sanfte, gefühlsbetonte Anspielung für den sonst so scharfzüngigen Gabriel, insbesondere, wenn er damit auf sich selbst Bezug nehmen will! Allerdings könnte der Erzengel auch noch auf etwas anderes angespielt haben und vielleicht sollte Sam das zu denken geben. Schließlich war auch die Ursache für Sams Qualen bisher für jeden anderen unsichtbar. Und da ist noch mehr ... Wurde er selbst nicht einmal vor vielen Jahren von einem Dämon als ‚Höllenprinz‘ bezeichnet? Ein makaberer Scherz, die Vorlage des kleinen Prinzen zur Erinnerung an diese Zeit heranzuziehen und offenbar immer noch nicht geschmacklos genug für Gabriel.
 

Soll das hier so eine Art Trickster-Lehre sein?
 

„Wenn du damit auf den ‚Kindskönig‘ hinaus willst oder auf Lucif-“
 

„Ich will auf gar nichts hinaus, Sam. Außer auf Der kleine Prinz. Also lass dir ein paar Weisheiten von einem alten Fuchs flüstern und mach‘ endlich die Augen zu und schlaf! Ich verspreche dir, dass du heute keine Alpträume haben wirst.“
 

„Ich- !“
 

„Augen zu, Sammich!“
 

„Der kleine Prinz zähmt den Fuchs aber“, murmelt Sam in einer Art dösigem Trotz und hat tatsächlich die Augen geschlossen. Er kann nicht sagen, wer oder was daran schuld ist – die eigene Erschöpfung oder Gabriel. Jetzt, wo er sich nicht mehr so stark auf das Summen im Hintergrund konzentriert, scheint dessen geheimnisvolle Wirkung wieder deutlich stärker.
 

„Der kleine Prinz besitzt eine Weisheit, die der Fuchs nicht kennt. Egal, wie gerissen er ist. Deshalb kann er ihn zähmen. Das macht den Fuchs nicht weniger gerissen, höchstens … leichtsinnig.“
 

„Die Geschichte geht schlecht aus“, bringt Sam hervor und merkt, wie er immer mehr in Schlaf hinüber gleitet. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Ein Geräusch, das vielleicht gar nicht wirklich da ist, sollte nicht solch eine Wirkung auf ihn haben dürfen! Bis eben war er noch so aufgewühlt … Doch er kann auch nicht locker lassen.

„Der kleine Prinz vermisst seine Rose. Er stirbt“, lässt ihn der Pessimist in sich sagen.
 

Gabriel seufzt leise und Sam ist sich nicht sicher, ob es traurig klingt. Das hintergründige Summen hält für einen winzigen Moment inne.
 

„Die Rose war nie gut für ihn. Er hätte ihr nicht nachgeben dürfen. Der kleine Prinz hätte beim Fuchs bleiben sollen.“
 

Diesmal braucht Sam länger, um zu antworten und als er es tut, ist er nicht sicher, ob die eigenen Worte nicht bereits zu seinem Traum gehören.
 

„Dann mach, dass ich davon träume. Vom Fuchs und dem Prinzen … “, bittet er und kommt sich vor wie ein kleines Kind. Aber Traum und Wirklichkeit gehen bereits so sehr ineinander über, dass es in Ordnung ist. Die Gegenwart des Schlafes verhindert jede Scham.
 

Gabriel zögert einen Moment. Oder vielleicht ist er auch gar nicht mehr da. Vielleicht hat Sam sich nur eingebildet, dass der Erzengel in der Nacht zu ihm ans Bett gekommen ist.

Was in seinem Leben ist überhaupt noch Realität?
 

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
 

Wie Ihr befiehlt, Eure Hoheit“, sagt eine weiche Stimme plötzlich ganz nah an seinem Ohr. Sie klingt vertraut und er hat keine Angst vor ihr, obwohl etwas in ihr mitschwingt, das nicht von dieser Welt stammt. Durchdringend, gewaltig und erschütternd wie ein Glockenschlag, aber für ihn, Sam, gedämpft, nicht gänzlich unterdrückt, aber doch auf eine Art rücksichtsvoll. Ein Löwe, der wie eine Hauskatze zu schnurren beginnt. Sam weiß, dass die Stimme weh tun kann, aber dass sie ihm nicht böse gesonnen ist. Im Moment bringt sie ihm tiefen Frieden.
 

„Gib der Rose nicht nach. Nicht einmal im Traum.“
 

Er spürt eine leichte Berührung an seiner Stirn, die mit einem Mal nicht mehr schmerzt. Und vielleicht bleiben die Fingerspitzen einen Moment länger dort liegen, auch als die Beule über seiner Braue längst verschwunden ist.
 

Die Stimme summt weiter leise vor sich hin; ein melodieloses, unbekanntes Schlaflied und sein eigener Herzschlag wie ein außergewöhnliches Metronom dazu. Es ist das letzte, was Sam hört, bevor er endgültig einschläft.
 

Und er träumt davon, wie der kleine Prinz den Fuchs zähmt. Er träumt, wie sie sich jeden Tag zwischen den Hügeln treffen und allmählich Freunde werden. Und ihre Geschichte geht weiter. Die Sterne und Planeten blinken in den Nächten auf sie herab, aber das ungleiche Paar hat nur Augen füreinander. Die Augen des Fuchses leuchten hell in der Dunkelheit, unheimlich, unweltlich, aber der kleine Prinz fürchtet ihn nicht.

„Du weißt, es ist die Schlange, die mich töten wird“, sagt der kleine Prinz zu seinem neuen Gefährten und Sam spürt, wie er sich im unergründlichen Blick des Fuchses verliert.

„Aber es ist die Rose, die dich dazu verleitet“, flüstert der Fuchs dem kleinen Prinzen ins Ohr.

„Lass dich nie von einer Rose verführen.“

Und der kleine Prinz verspricht es. Sam spürt, wie die beiden ungleichen Geschöpfe einander ihre Herzen öffnen und er weiß, dass es gut ist.
 

Es ist ein solch kindlicher Traum, so naiv, dass er sich für ihn beim Aufwachen schämen wird.

Insbesondere, weil er Gabriel um diesen Traum gebeten hat. Aber er ist heilsam. Den ganzen Traum über begleitet ihn der glockenartige, überirdische Ton, der ihm Trost spendet und ihm eine nie gekannte, lang ersehnte Sicherheit verspricht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Angel_of_Thursday
2019-01-19T18:26:26+00:00 19.01.2019 19:26
Gut, dass ich mir vor ner Weile doch mal der kleine Prinz angehrt habe, sonst wäre ich jetzt wahrscheinlich gar nicht mitgekommen. XD

Sehr schön geschrieben. Weiter so!
Antwort von:  Platypusaurus
03.03.2019 15:10
Wirklich? Mist ... :D Ich hatte gehofft, dass das Gespräch zwischen Gabe und Sam so offensichtlich ist, dass man es auch versteht, ohne Der kleine Prinz im Detail zu kennen. Vielleicht überarbeite ich das noch mal, danke für den Hinweis! :)

Vielen Dank, ich gebe mir Mühe! :3


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