Zum Inhalt der Seite

Sherry - Jenseits von Gut und Böse

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es hat zwar nur ein gutes halbes Jahr gedauert, aber nun endlich geht es auch mit der Sidestory Sherry weiter.
Ich kann gar nicht sagen, wie leid es mir tut, dass solange zu dieser Geschichte nichts kam, vor allem da sich einige mehr gewünscht und bestimmt schon die Hoffnung aufgegeben haben.
Eine Sache will ich aber klar stellen, ehe ihr euch auf das neue Kapitel stürzt. Ich beende eine Sache die ich begonnen habe. Das war schon immer so und das wird auch bei meinen Fanfiktions so sein, also keine Bange. Die Geschichte wird nicht einfach abgebrochen, sondern fertig geschrieben werden.

Beste Grüße, euer Cognac Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Elenas Botschaft

Kapitel 6: Elenas Botschaft
 

Akemi war auf dem Weg zum Labor ihrer Schwester. Wie sonst regelmäßig, wollte sie mit ihr in ihr gemeinsames Lieblingscafé gehen, um sich unterhalten zu können.

Wenn sie mal die Zeit fanden, etwas zusammen zu unternehmen, dann am besten so weit weg wie möglich von den geheimen Anlagen der Organisation.

Gut gelaunt und in Erwartung Shiho an ihrem Arbeitsplatz anzutreffen betrat sie das Labor der Rotblonden, doch erstaunlicherweise fand sie es leer vor.

„Nanu, keiner da?“, war Akemis verblüffte Reaktion.

Es kam nicht oft vor, dass ihre kleine Schwester ihr Labor verließ.

Die Braunhaarige klopfte vorsichtshalber an die Tür zum kleinen separaten Badezimmer. Diese schwenkte langsam und knarrend auf. Sie war nicht abgeschlossen und auf der Toilette war auch niemand.

>Shiho, wo steckst du denn? <

Sie sah sich weiter im Labor um und ging auf einen Tisch zu, auf dem 9 gläserne Behälter in 3x3 Formation aufeinander gestapelt standen. Kleine weiße Nager mit kugelrunden Knopfaugen huschten durch die transparenten Boxen. Ein Deckel mit mehreren feinen Luftlöchern versorgten die Tierchen mit genügend Sauerstoff.

Akemi stützte ihre Arme von den Knien ab und schaute den Mäusen dabei zu, wie sie Trockenfutter kauten oder ihr Fell putzten.

„Na hallo, was seid ihr denn für niedliche Dinger.“, lächelte sie entzückt und tippte sachte mit ihrem Zeigefinger gegen einen der Behälter.

Auf dem zweiten Blick bemerkte sie die Nummerierungen der Boxen von T1-T9. Daneben lag ein Klemmbrett mit den gleichen Bezeichnungen darauf, was Akemi kurzerhand an sich nahm.

„Testreihe 1, Auswirkungen des Apoptoxins auf komplexe Organismen.“, las sie laut vor.

Akemi überkam ein desolates Gefühl, als sie wieder zu den Nagern sah. Anscheinend dienten die armen Tierchen einzig und allein dem Austesten des neu entwickelten Giftes ihres Schwester.

Shiho hatte ihr bei ihrem letzten Treffen vor zwei Wochen erzählt, dass es ihr nun gelungen sei, ihre Formel erstmals in eine Flüssigkeit umzusetzen. So könnte man es leicht mit der Spritze injizieren, was besonders bei ihren Versuchen sehr praktisch sei. Die ersten Ergebnisse bei Gewebeproben unter dem Mikroskop verliefen bereits äußerst vielversprechend, so ihre Worte.

Sie las weiter den Bericht.

„Erste Beobachtungen: Alle Probanden zeigen keinerlei Veränderungen in Verhalten oder Gesundheit. Testobjekt 1 bis 9 vollkommen unbeschadet geblieben.“

Akemi atmete erleichtert aus, doch gleichzeitig fühlte sie sich dafür schuldig und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe.

Das Apoptoxin schien also seinen zweiten Durchlauf nicht gerade mit Bravour absolviert zu haben.

>Shiho wird darüber bestimmt nicht erfreut sein<, dachte sich Akemi und erinnerte sich wieder an den eigentlichen Grund für ihren Besuch.

Sie legte das Klemmbrett zurück an seinen Platz und stemmte ihre Hände gegen ihr Becken, gefolgt von einem tiefen Seufzer.

„Seltsam, normalerweise ist sie doch immer um diese Uhrzeit in ihrem Labor und forscht ununterbrochen.“
 

Akemi ging auf den Arbeitsplatz der Rotblonden zu und wischte aus reiner Neugier und auch Langeweile über das neue hochmoderne Interface, welches Shiho extra für das Voranschreiten ihrer Forschung zur Verfügung gestellt bekommen hat.

Ohne dass sie es beabsichtigt hatte, fingen alle Bildschirme der Schnittstelle an aufzuleuchten.

>Huch<, stellte Akemi verwundert fest und wich einen Schritt zurück.

Wenn sie irgendetwas an Shihos Arbeit ausversehen verändern würde, bekäme sie bestimmt riesigen Ärger mit ihr.

Dennoch kam sie nicht drum herum neugierig die offenen Programme zu überfliegen.

Ihr kam wieder in den Sinn, wie sie Shiho einst danach gefragt hat, ob ihre Mutter und ihr Vater vielleicht auch etwas Persönliches für sie hinterlassen hätten. Die rotblonde Wissenschaftlerin besaß jedoch bisher nie die Zeit wirklich intensiv nach etwas vergleichbarem zu suchen.

Akemi geriet ins Grübeln.

Sie nahm auf dem Stuhl ihrer Schwester Platz und versuchte sich auf den Bildschirmen, übersät mit komplexen Formeln, verschiedensten parallel ablaufenden Analysen und weiterem wissenschaftlichen Zeugs, zu orientieren.

Schnell erkannte sie, dass ihr das eindeutig eine Spur zu hoch war.

Es war schon ziemlich erstaunlich, wie sehr sich die beiden Geschwister doch voneinander unterschieden, was das anging.

Shiho war eben diejenige, die das Now-know ihrer brillanten Eltern geerbt hat.

Sie hatte immer so viel zu tun, dass sie kaum zu etwas anderem kam, weswegen sich die Ältere darüber wunderte, dass sie momentan nicht hier war.

>Wahrscheinlich musste sie einen Botengang für Pernod erledigen<, dachte sich Akemi so dabei und scrollte unschuldig durch den Ordner mit den Aufzeichnungen ihrer Eltern.

Wenn vielleicht, aber auch nur vielleicht, die Chance bestehen könnte, dass sich auf der Festplatte mehr befand, als nur die gesammelten Daten jahrelanger Forschungen…

Auf dem ersten Blick wirkte es jedoch nicht so, als würde dies zutreffen. Nur ein Haufen komplizierter Formulierungen, für jede einzelne Datei, über die sie den Cursor führte.
 

Seufzend wollte sich Akemi schon geschlagen geben, als ihr ein, auf dem ersten Blick unscheinbarer, aber durchaus besonderer Ordner ins Auge fiel.

„Sonnenschein“, flüsterte Masami Hirota wie hypnotisiert und kam nicht drumherum, bei diesem Wort an ihre Mutter Elena zu denken.

Sie erinnerte sich, wie sie als Kind von ihr immer als Sonnenschein bezeichnet wurde, da sie seid klein auf die Begabung besaß, allen anderen ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Es war ihre ganz eigene Art, die sie so einzigartig machte, hatte ihr ihre Mutter damals erklärt und bis heute konnte sie sich daran entsinnen.

Zweifellos war diese Beschriftung eine Anspielung darauf und der Inhalt bestimmt einzig und allein an sie gerichtet.

„Mama“, flüsterte die junge Frau.

Mit fast schon zittrigen Fingern öffnete Akemi den Ordner mit einem Doppelklick. Es war nur eine einzige Datei darin enthalten und obwohl es sich bloß um eine simple Textdatei mit nur wenigen Kilobytes handelte, wurden die Augen der Braunhaarige immer größer, denn sie trug den Namen Akemi.

Sie öffnete auch diese Datei und bekam folgendes zu lesen: Forschungsabteilung, Raum 050, Schrank B, Lade ZH9-C.

Akemi schloss kurz die Augen, schüttelte zunächst den Kopf und rutschte dann noch näher mit ihrem Gesicht an den Bildschirm heran.

Das war alles? Mehr hatte ihre Mutter ihr nicht zu sagen?

Sie war zuerst mehr als enttäuscht von der lausigen Ausbeute, bis sie anfing etwas genauer darüber nachzudenken. Vielleicht war der ihr beschriebene Ort die eigentliche Stelle, an der ihre Mutter unter Umständen etwas hinterlassen hatte. Womöglich eine reine Vorsichtsmaßnahme, damit die Männer in Schwarz es nicht finden würden. Eine Botschaft an ihre Kinder.

Akemi notierte sich die Angaben auf einem Stück Papier, bevor sie die Datei samt Ordner löschte. Danach erhob sie sich und verließ das Labor wieder. Allerdings tat sie das aufgeweckter, als sie es betreten hatte.

Die Verabredung mit Shiho zum Kaffee musste nun warten. Das Wissen, dass irgendwo hier in der Forschungsabteilung etwas auf sie wartete, dass von ihren Eltern zurückgelassen wurde, ein Ruf aus vergangenen Tagen, an denen es nur sie gab, ihre Familie, beflügelte die junge Frau. Ihre Abenteuerlust war geweckt und ließ ihr keine Ruhe mehr.

Sie fühlte sich wieder wie das kleine Mädchen, dass sie einst war, voller Lebensenergie und Tatendrang, sodass sie kaum zu bremsen war.

Es gab zwar das Problem, dass sie keine Ahnung hatte, wo Raum 050 sein könnte und erst recht hätte sie keine Freigabe dafür, doch zum Glück kannte sie jemanden, der über beides verfügte und gleichzeitig ein guter Freund der Familie war.

Sie begab sich zum Hauptsaal. Zu Pernod. Er würde ihr sicherlich weiterhelfen.
 

„Raum 050?“

Der alte Forschungsleiter machte es sich auf dem Stuhl in seinem Büro bequem.

Er warf die Stirn in Falten und schien angestrengt nachzudenken.

„Ja“, bestätigte Akemi. „Kennst du diesen Raum? Gibt es ihn überhaupt?“

„Und ob es ihn gibt.“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Wahrscheinlich schneller, als es Pernod beabsichtigt hatte, denn er erkannte in dem Gesichtsausdruck der jungen Frau, dass sie nun noch mehr erfahren wollte.

„Wozu willst du das überhaupt alles wissen?“, versuchte er stattdessen sich über Akemis Beweggründe zu erkundigen.

Der alte Mann fühlte ein leichtes Unbehagen, dass er nach diesem Raum gefragt wurde, Raum 050. Es war ein Ort voller Erinnerungen. Welche die Pernod für immer bewahren wollte und andere, bei denen er sich wünschte sie vergessen zu können.

Akemi erzählte ihm von ihrem Fund in den Dateien ihrer Schwester.

„So etwas hat sich zwischen ihren Forschungsergebnissen versteckt?“, gab sich Pernod keine Mühe, sein Erstaunen zu verbergen, nachdem Akemi zu einem Ende gekommen war.

Sie nickte zustimmend.

Der Leiter der Forschungsabteilung musste nun leise vor sich hin schmunzeln, als er sich über sein faltiges Kinn fuhr.

„Das trägt zweifelsohne Elenas Handschrift. Sie war schon immer eine bemerkenswerte Frau und mit allen Wassern gewaschen. Häufig hat sie es deinem Vater, aber auch mir nicht leicht gemacht.“

Akemi hielt sich eine Hand an den Mund und schmunzelte ebenfalls.

Es kam nicht oft vor, dass Pernod so offen von früher berichtigte. Eigentlich tat er das nie.

Wie es den Anschein machte, besaß aber selbst er, derjenige der die Daten solange aufbewahrt hatte, nicht die leiseste Ahnung über diese kleine Nachricht ihrer Mutter und folglich auch nicht über ihr Versteck in Raum 050. Es muss sich wohl also wirklich um etwas sehr Wichtiges oder auch gar sehr Persönliches handeln.

„Und kannst du mir helfen dort rein zu kommen?“

Akemi rechnete mit seiner vollen Unterstützung, als sie ihm diese Frage stellte, doch Pernods heiterer Blick verschwand, sobald sie ihre Anfrage über die Lippen gebracht hatte.

„Bitte, ich muss einfach wissen, was dort auf mich wartet.“, belagerte sie ihn weiter, ohne überhaupt eine Antwort abzuwarten.

Pernod sah sich mit einer Angelegenheit konfrontiert, von der er wusste, dass sie eines Tages von ihm abverlangt werden würde. Heute schien dieser Tag wohl gekommen zu sein.

„Wenn du so dringend an diesen Ort möchtest, dann muss dir auch klar sein, um was für einen Raum es sich bei 050 handelt. Siehst du dich wirklich dazu bereit, Masami Hirota.“

Die ernsten Worte Pernods und die Benutzung ihres vollen Decknamens, brachte ihre Entschlossenheit nun doch ein wenig ins Wanken.

Eine unsichtbare Kraft trieb sich aber weiter vorwärts und ihr Interesse wuchs fast exponentiell.

Was verbirgt sich hinter Raum 050?
 

„Ja, ich will es wissen.“, behaarte Akemi.

„Es war über lange Zeit das Hauptlabor deines Vaters Atsushi Miyano gewesen.“, gestand Pernod nach reichlicher Überlegung.

„Das Labor von Papa? Wirklich? Das macht natürlich Sinn.“

„Heute steht es verlassen und wird nicht mehr genutzt.“, ergänzte der alte Wissenschaftler.

Akemi überlegte eine Weile und ihr Gesicht hellte sich auf.

„Aber das ist doch perfekt. Desto leichter sollte man hineingelangen.“

Sie war absolut davon überzeugt dies waren gute Neuigkeiten. Sie verstand nicht, warum Pernod sie vor 050 zu warnen versuchte. Der alte Mann war jedoch der Auffassung, dass sie das noch früh genug herausfinden würde.

„Ich befürchte, dass dürfte sich als nicht so einfach herausstellen, wie du es dir erhoffst.“, gab Pernod zu bedenken. „Du bist nun einmal kein Mitglied dieser Abteilung Masami. Wenn dich jemand in der Nähe dieser Sektion sieht, wird das bestimmt ungewollte Fragen aufwerfen.“

„Aber du bist doch der Forschungsleiter. Kannst du denn nichts tun?“

Sie trat einen Schritt an ihn heran.

Pernod stand auf und strich sich die Sitzfalten aus seiner Arbeitskluft.

„Ich könnte allein dorthin gehen und nachsehen, was sich in Lade ZH9-C verbirgt.“, schlug er vor. „Es wäre so viel sicherer für dich und würde dir einiges ersparen.“

Akemi sah zu Boden.

Sie spielte mit den Fingern an ihren Nägeln herum.

„Nimm es mir bitte nicht übel Onkel Pernod, aber das ist nicht das was ich möchte. Ich will auch gar nicht egoistisch klingen, doch ich habe irgendwie das Gefühl, als müsste ICH diejenige sein, die es findet, was immer dort auf mich wartet.“

Pernod hörte ihr schweigend zu.

Ihm war klar, dass er Akemi dieses Unterfangen nicht ausreden konnte, doch hatte er zumindest gehofft, er könnte es alleine machen. Das nur er sich dem dortigen aussetzte und die Risiken, die damit verbunden waren.

Der alte Mann sah in Akemis bettelnde Augen.

Es war ihre größte Geheimwaffe. Sobald sie dieses Gesicht aufsetzte, war jeder, mit einem Herz, wie Wachs in ihren Händen.

Sie stritt es gar nicht ab, dass ab und zu für sich auszunutzen, vor allem bei Dai.
 

„Also schön Masami. Du hast gewonnen.“, willigte Pernod ein und erntete dafür eine spontane Umarmung, die ihn fast aus den Latschen schmiss.

„Aber ich werde einige Vorkehrungen treffen müssen. Komm am besten heute Abend noch einmal zu mir. Dann sollte es am sichersten sein.“

„Vielen Dank Pernod.“, lächelte Akemi.

Sie war ihm für diesen Gefallen sehr verbunden, doch Pernod wusste, dass dazu kein Grund bestand.

„Ach, bevor ich es vergesse. Hast du Shiho heute zufällig schon gesehen?“

Akemi drehte sich wieder zu dem Forschungsleiter um, den Griff der Tür schon in den Händen.

„Nein leider nicht. Als ich vorhin bei ihr im Labor war, war ich allein gewesen. Ich habe sie auch den ganzen Tag noch nicht zu Gesicht bekommen. Eigentlich ging ich davon aus, sie würde eventuell etwas für dich erledigen.“

„Merkwürdig“, flüsterte Pernod.

Ihm missfiel es, dass er nicht wusste wo Shiho steckte oder besser gesagt bei wem.

„Nun gut, sie wird sicherlich beschäftigt sein oder vielleicht hat sie sich endlich dazu durchringen können, mal wieder für eine Nacht nach Hause zu gehen.“, lenkte er ein, um Akemi nicht zu beunruhigen.

„Ja vielleicht. Es könnte zumindest nicht schaden, wenn sie sich selbst weniger unter Druck setzen würde.“, lachte Akemi ganz natürlich und hob die Hand zum Abschied.

„Bis heute Abend dann.“

Mit diesen Worten verließ sie das Büro.

Pernod winkte ihr zwar noch aufmerksam nach, doch sein Gefühl verriet ihm, dass da etwas Bedrohliches im Anrollen war.
 

Als der Abend schließlich kam und die Sonne hinter den stählernen Wolkenkratzern der Innenstadt verschwand, war Akemi so unglaublich aufgeregt und konnte es gar nicht mehr abwarten.

Wie bestellt fand sich die junge Miyano erneut im Büro Pernods ein.

Der Hauptsaal war, bis auf eine Hand voll seiner Mitarbeiter, bereits leer.

Der alte Forschungsleiter erwartete sie längst und reichte ihr einen weißen Laborkittel. Er diene dazu, dass niemand, der sie zufällig sehen sollte, sie für eine Außenstehende hält.

Falls durchsickern sollte, dass der Leiter der Forschungsabteilung unbefugte Organisationsmitglieder in strenggeheime Sektionen herumführte, so könnte es ihm buchstäblich den Kopf kosten.

Akemi war sich dessen bewusst und hätte es sicherlich alleine gemacht, wenn nicht Pernod der einzige wäre, der über die nötige Autorität und Freigabe verfügte. Sie wusste es sehr zu schätzen, was er für sie auf sich nahm.

Akemi warf den Kittel um und knotete zusätzlich ihre langen braunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen.

Stumm folgte sie Pernod, der sie ohne großes Tamtam von den verbliebenen Wissenschaftlern wegführte.
 

Lange liefen sie durch mehrere Gänge, gefühlt immer tiefer in die Gedärme des Forschungstraktes hinein. Pernod entriegelte eine gesicherte Schutztür und winkte Akemi in den dahinterliegenden schmalen Flur. Man konnten diesem abgelegenen Fleck ansehen, dass er zu einem älteren Teil der Einrichtung zu gehören schien. Alte Kacheln an den Wänden und verstaubte Gerätschaften, wie auf einem Schrottplatz zusammengestellt, prägten die Kulisse. Es roch ein wenig muffig, da es keine Fenster gab, durch die frische Luft hineingelangen konnte. Vereinzelte flackernde Oberlichter sorgten nur für eine spärliche Beleuchtung und Akemi musste auf der Hut sein, wo sie hintrat.

Hier war sie noch nie gewesen. Was war das für ein seltsamer Ort?

„Der gesamte Komplex teilt sich insgesamt in zwei Hauptbereiche auf, musst du wissen.“, begann Pernod leise zu erklären, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er ging voran, sodass Akemi sein Gesicht nicht sehen konnte, während er sprach, aber sie hörte ihm dennoch bedachtsam zu.

„Wie dir bekannt sein sollte, handelt es sich bei dem Gebäude indem die Forschungsanlage der Organisation unterbracht ist, in Wahrheit um eine offizielle Arzneimittelfabrik. Sie gehörte einst der Karasuma Group an und importiert Medikamente in alle Welt. Der Einfluss dieser Firma allein war es auch geschuldet, dass wir hier seit Jahrzehnten abseits der zugänglichen Bereiche unserer Forschung nachgehen können. Der Ursprung unserer Abteilung liegt also schon lange zurück. Der Teil indem wir uns jetzt befinden ist allerdings noch älter und wurde in den 30er Jahren erbaut.“

„Und was war das damals für ein Gebäude gewesen?“, erkundigte sich Akemi, wie gebannt von Pernods Gesichte.

„Es war ein Krankenhaus, dass aber im Zweiten Weltkrieg durch eine Bombardierung Tokyos fast vollständig zerstört wurde. Es wurde danach nicht wieder aufgebaut und stand lange Zeit leer, bis die Karasuma Group Anfang der 60er Jahre das gesamte Gelände aufkaufte, um einen neuen Komplex mit einer Fabrik für Arzneimittel zu errichten. Viele Teile des alten Krankenhauses wurden dafür abgerissen, doch einige wurden auch saniert und in den Neubau integriert, um Kosten einzusparen.“
 

Ein lautes Knacken ließ den alten Mann -aufgescheucht wie ein wildes Huhn- herumfahren.

Akemi hob ihren Fuß an, unter dem ein Stück einer zerbrochenen Glasscheibe lag. Sie war ausversehen drauf getreten.

„Tut mir leid.“, piepste sie zur Entschuldigung.

„Du musst aufpassen wo du hinläufst Masami.“, belehrte sie Pernod.

„In Ordnung. Doch wozu diese übertriebene Vorsicht, wenn ohnehin niemand hier ist.“

„Sei dir da lieber nicht so sicher.“, behaarte der alten Mann auf seine bedachte Vorgehensweise.

„Man kann nie wissen, welch zwielichtige Gestalten der Organisation hier ihr Unwesen treiben.“

Akemi hielt sich die Hände vor den Mund, um nicht aufzuschreien.

Die Vorstellung, dass die Männer in Schwarz, genau wie sie, hier herumschlichen, ließ ihr doch etwas angst und bange werden.

„Aber wieso wird dieser Teil heute eigentlich nicht mehr genutzt? Wieso hat man ihn so verkommen lassen?“

Pernod setzte seinen Weg weiter fort. Akemi direkt hinter ihm.

„Der Grund dafür liegt schon fast zwanzig Jahre zurück. Kurz danach ging die Karasuma Group in die Insolvenz und dieser Teil musste still gelegt werden. Ab da an zog unsere Abteilung auch in den Bereich, in dem wir heute sind.“

Über dieses Thema schien der alte Forschungsleiter weniger gesprächsfreudig zu sein, wie die Braunhaarige heraushören konnte.

„Wie dem auch sei. Da wären wir.“

Pernod zeigte mit dem Finger auf eine Tür auf der linken Seite und blieb davor stehen. Er schloss den Raum, der als 050 beschriftet war, auf und ließ seine Begleiterin eintreten.

„Hier hat einst dein Vater und auch deine Mutter ihre Forschungen ausgelebt.“

Akemi berührte ehrfürchtig mit ihren Fingerspitzen die kalten grauen Wände des Labors, welches sich ihr eröffnete.

„Eine Frage hätte ich noch. Wenn die Karasuma Group nicht mehr Inhaber der Arzneimittelfabrik ist, wem gehört sie dann? Wer hat sie damals übernommen?“

„Ein noch recht junges und unbekanntes Unternehmen, dass eng mit der Organisation zusammenarbeitet, Nishimura Enterprises. Erst seit kurzem gibt es aber eine neue Leitung und der mittlerweile aufstrebende Pharmakonzern hat seinen Namen geändert.“

„Und wie heißt er jetzt?“, wollte Akemi wissen, während sie an verstauben alten Chemietischen mit verrosteten Spülbecken vorbeiging.

„Nishi-Biogen-Industries“
 

„Ganz schön dunkel hier drin.“, bemerkte die junge Frau, als sie sich noch genauer umsehen wollte, sich dies durch das Fehlen jeglicher Lichtquelle aber als äußerst schwierig herausstellte.

„Und so soll es auch bleiben.“, mahnte sie Pernod.

„Selbst für meine Wenigkeit ist es äußerst verdächtig zu solch später Stunde diesen Ort aufzusuchen. Das Einschalten der großen Beleuchtung würde zweifellos Aufmerksamkeit erregen.“

„Es gibt also noch Strom?“

„Allerdings“, bestätigte Pernod. „Nur einige Wasserleitungen sind undicht und funktionieren daher nicht mehr.“

Wenn wirklich noch andere Personen durch diesen Komplex geistern konnten, dann wäre es tatsächlich nicht ratsam mit der Festbeleuchtung auf sich hinzuweisen.

Akemi zog eine kleine kompakte Taschenlampe hervor und schaltete sie an.

„Dann werden wir eben damit vorlieb nehmen müssen.“

„Dort hinten an der Wand stehen die Schränke A bis E. Schrank B wurde früher für die Archivierung von Akten und relevanten Dokumenten durchgeführter Experimente und Versuchsreihen genutzt. Allerdings müssten alle Schränke schon seit Jahren leer sein. Das Labor an sich wurde seit dem…“

Pernod zögerte.

„…nun ja, seit dem tragischen Vorfall mit deinen Eltern nicht mehr genutzt. Man munkelte unter den anderen Wissenschaftlern, dass seit jenem Tag ein Fluch darauf liegen würde.“

Akemi drehte den Schein der Taschenlampe zu dem alten Mann. Das Licht war tiefe Schatten in sein runzeliges Gesicht.

„Du meinst also…“

Sie schluckte schwer.

„Hier sind meine Eltern vor so vielen Jahren gestorben?“

„Komm mal mit.“

Pernod führte Akemi zu einem Nebenraum, der nur durch eine enge Schleuse erreichbar war. Eine dunkle hermetische Tür aus Edelstahl trennte ihn von der Außenwelt ab.

Die Braunhaarige ging davon aus, dass Pernod eine Schlüsselkarte dafür hätte, doch ging dieser einfach auf die Tür zu und schob diese schleppend und schnarrend auf. Sie war gar nicht verriegelt, sondern nur angelehnt.

„Das war das eigentliche Labor, wo unter höchst sterilen Bedingungen selbst gefährliche Monokulturen gezüchtet und untersucht werden konnten. Im Falle einer Kontamination würde sich der Raum versiegeln und potenziell bedrohliche Erreger umgehend vernichtet werden, ehe sich diese im gesamten Komplex ausbreiten könnten.“

Er öffnete die Tür noch ein Stück weiter und trat beiseite, damit Akemi zuerst eintreten konnte. Pernods Gesicht war niedergeschlagen, als kratzten Erinnerungen an dieses Labor alte Wunden in ihm auf.
 

Als Akemi den Raum betrat wurde ich schlagartig klar, woran dies lag. Er war kein schöner Anblick.

Der gesamte Raum war überzogen mit einer dicken schwarzen Schicht aus Rus. Kühltruhen, Tische und andere Objekte, die einst dort gestanden haben, waren zur Unkenntlichkeit verformt und teilweise sogar komplett geschmolzen.

Alles im Inneren war, ohne jede Ausnahme, von der Hitze der Flammen vernichtet worden. Es muss wie in einem Höllenkessel gewesen sein und ihre Eltern waren mitten drin gewesen.

„S-Sie sind hier…“

Akemis Stimme versagte.

„Bei einem Leck wird das Personal normalerweise über die Luftschleuse evakuiert. Doch aus irgendeinem Grund gab es an jenem Tag einen Defekt bei der Entriegelung. Das Labor schottete sich vorzeitig ab.“, zwang Pernod sich dazu, ihr alles zu erzählen was er wusste.

„Bei der Vernichtung von Viren oder anderem Gefahrengut in der Luft wird ein spezielles Gemisch in das Labor geleitet, welches sich sofort entzündet.“

Pernod legte mitfühlend eine Hand auf die Schulter der Tochter seiner damaligen Kollegen.

„Deine Eltern waren auf der Stelle tot und mussten nicht...“

Akemi riss sich los und verließ die verkohlten Überreste des Raumes mit einem strammen Gang, so schnell sie konnte.

„Ich denke ich habe genug gesehen.“, kommentierte sie trocken, doch man merkte ihr an, wie sehr es sie mitnahm das gesehen zu haben.

Sie steuerte zielstrebig auf Schrank B zu. Pernod kam ihr nach.

„Willst du darüber reden?“, fragte er vorsichtig.

„Nicht jetzt. Wir müssen uns holen weswegen wir hier sind und zusehen, dass wir wieder verschwinden, ehe jemand davon Wind bekommt.“

Pernod nickte und beließ es erst einmal dabei.

Akemi ging den Schrank von oben nach unten her ab, auf der Suche nach Lade ZH9-C. Schnell fand sie genannte und öffnete sie mit einem ordentlichen Ruck. Die Lade ließ sich fast einen Meter weit aus dem Schrank ziehen, doch war dort rein gar nichts vorzufinden.

„L-Leer“, stammelte die Braunhaarige.

„Wie ich es befürchtet habe.“, seufzte Pernod geschlagen.

„Nein das glaube ich nicht.“, weigerte sich Akemi einfach so auszugeben, wie der alten Mann.

„Wir müssen einfach nur genauer suchen.“

Sie kniete sich auf den Boden und befühlte die Außenseiten der Lade. Nichts.

Als nächstes steckte sie einen Arm, soweit sie konnte, in das Innenleben des Schranks und tastete sich entlang des Schließmechanismus. Vielleicht war irgendetwas hinter der Lade festgeklebt worden und tatsächlich….

Zu Akemis eigenem Erstaunen förderte sie ein rechteckiges Päckchen zu Tage und hielt es Pernod triumphierend entgegen.

„Sagte ich es nicht?“

„Was ist das?“, war nun auch die Neugier des alten Herren gepackt.

Ohne lange zu zögern öffnete Akemi einen Verschluss auf der kurzen Seite des ausgebeulten Umschlages. Kopf über und mit einer Hand darunter, kamen mehrere kleine Plastikhüllen zum Vorschein.

Die Augen der jungen Frau begannen zu leuchten.

„Das sind Tonkassetten.“, sprach sie begeistert.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Blue_StormShad0w
2019-09-23T16:39:14+00:00 23.09.2019 18:39
Hallo und guten Abend.
Spannend geht's hier weiter!
Ein sehr interessantes Kapitel und auch die Handlung rund um Akemis und Pernods Suchaktion war spannend dargelegt worden. Die kleine, ich sag mal, Schatzsuche durch die alte Sektion der Anlage war wieder so gut beschrieben, dass man richtig mitfiebern konnte, während die beiden durch die Gänge streiften.
Als Pernod sie dann, was ihn wirklich sehr schwer fiel, zu jenen Ort führte wo ihre Eltern ums Leben kamen und auf welche Art, war bestimmt ein harter Moment für Akemi, was auch verständlich ist. Und ausgerechnet an den Tag wo es passierte war etwas defekt gewesen? Definitiv kein Zufall!
Ah, die Tankassetten, die später die geschrumpfte Shiho in die Hände bekommt. Hätte man sich auch irgendwie denken können. (^-^)
Hm, mich beschleicht dennoch ein mieses Gefühl, dass sie nicht die einzigen sind, die in der alten Sektion sind. Wer weiß, wer von den Organisationsmitgliedern dort durch die Gänge schleicht?
Und wo war Shiho die ganze Zeit über?
Gut, dann bis zum nächsten Mal, ciao! (^^)/
Antwort von:  Cognac
27.09.2019 13:53
Ja, es geht wieder weiter. Juhuuu!
Diesmal ein Kapitel der etwas anderen Art. Abwechslung muss eben auch mal sein. Selbst unsere rotblonde Protagonistin bleibt heute mal außen vor. Sie ist aber nicht einfach mal eben weg, weil sie in diesem Kapitel keinen Auftritt hat oder haben soll, sondern sie ist an einem ganz bestimmten Ort, mit einer ganz bestimmten Person. :O (Mehr dazu, im nächsten Kapitel)
Ich wollte mal ein wenig Background zur Organisation liefern. Aufzeigen, wie weit ihre Geschichte zurückreicht, welche Verbindungen es gibt und auch ein weiteres Band zu meinen anderen Fanfiktions schaffen (sprich: Nishi-Biogen-Industries).
Eventuell ist mir ja sogar ein kleiner Gruselfaktor gelungen. Muss schon unheimlich sein, durch ein ehemaliges verlassenes Krankenhaus zu schleichen.
Das Thema zum Todesort der Miyanos, den Umständen dahinter und auch das Auftauchen der Tonkassetten, hat mich sehr gereizt und ich wollte meine eigene Version davon schaffen, wie dies wohl gewesen sein könnte.
Hoffen wir mal, dass Pernod und Akemi von niemanden gesehen werden. Ansonsten könnte das ziemliche Folgen für den armen alten Forschungsleiter haben.
...
(Das war jetzt kein Satz, bei dem ich fies gucke und mir die Hände reibe. Nicht falsch verstehen. Das ist schon ernst gemeinte Sorge. ^^)

Bis zum nächsten Mal
Cognac


Zurück