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Unverhoffte Verantwortung

von

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Vorahnung

Kopfschmerzen. Furchtbare Kopfschmerzen. Und ein grelles Leuchten, das Rai aus dem Schlaf riss. Hatte er wieder schlecht geträumt?

Für einen Moment - er saß noch immer vom Schock aufrecht im Bett - blieb er ganz still. Dann zog er seine Beine an und verschränkte seine Arme über diesen, um seinen Kopf abstützen zu können.

Seit fünf Tagen jetzt, hatte er jede Nacht von dieser anderen Welt geträumt. Doch meistens konnte er sich nur an eine einzelne Szene erinnern. Dieses Mal sah er sich selbst, wie er auf einem Felsvorsprung stand. Neben ihm vier weitere menschliche Silhouetten.

Zu seinen Füßen erstreckte sich eine große Ebene. Ein Schlachtfeld. Ein Team aus farbenfrohen Wesen, für welche er sich verantwortlich fühlte und deswegen um jeden Preis beschützen wollte, rangen um den Sieg gegen ein vampirisches Wesen.

»Ich kann nichts tun, nur zusehen. «

In seiner Hand hielt Rai ein ihm fremdes Gerät, welches er verbissen umklammerte. Auf den zweiten Blick sah es aus wie eine Mischung eines alten Gameboys und eines Handys.
 

"Was will mein Unterbewusstsein mir sagen?", seufzend blickte der schwarzhaarige Junge auf. Für ein belangloses Spiel fühlte sich die Szene viel zu ernst an. Als ginge es bei dem Krieg um Leben und Tod.

Widerwillig rutschte der Schüler zur Bettkante. Aufstehen musste er so oder so. Die Sonne drang gnadenlos durch die leichten Rollläden in sein kleines Zimmer ein. Dem Bett gegenüber fand sich ein relativ aufgeräumter Schreibtisch auf dem sein Blick nun ruhte.

"Ich sollte das Lexikon zurückbringen, bevor es zu heiß wird."

Besagtes Lexikon wurde schnell aus dem Regal gezogen. Die Klausuren waren geschrieben, die Mittelstufe – hoffentlich – für immer beendet und die Sommerferien konnten endlich beginnen.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit unter der heißen Sonne, hatte er die Bibliothek erreicht und konnte die selbst aufgetragene Mission abschließen, indem er das Lexikon zurück ins Regal schob.

So ganz realisieren konnte er es noch nicht. Er hatte jetzt wirklich Sommerferien. Der Klang davon war schön, doch so sehr er es auch herbei wünschte, es bedeutete auch, dass die nächsten Schuljahre seine Letzten werden würde. Danach müsste er eine Ausbildung finden, oder studieren um den Erwartungen seiner Mutter gerecht zu werden, aber bisher wusste er immer noch nicht, was er gerne tun würde.

Diese Ungewissheit und Sorge den Ansprüchen gerecht zu werden machte ihm noch mehr Angst und so realisierte er nicht, dass er währenddessen schon wieder fast bis zum Ausgang gelaufen war, wo sein Blick auf etwas seltsam Bekanntes fiel.
 

"Das Schlachtfeld...", murmelte er leise vor sich hin, während er das Cover der Werbebroschüre studierte.

"Ha, ich muss den wohl im Vorbeigehen schon mal gesehen haben und hab deswegen davon geträumt", dachte sich der schwarzhaarige Schüler schmunzelnd.
 

"Du interessierst dich für Videospiele?." Perplex drehte Rai sich um. Die Stimme gehörte zur Aushilfe der Bibliothek. Sie war schon eine grauhaarige, ältere Frau, doch gewöhnte er sich nie daran, wie sie sich mit fast unhörbaren Schritten durchs Gebäude bewegte.

"Eigentlich haben diese Videospiele ja nichts mit Büchern zu tun, aber sie erzählen ebenfalls Geschichten."

Nachdenklich lauschte der Junge den Worten der alten Dame und blickte nun auch auf die Rückseite der beschriebenen Ware. „Digimon Linkz“ stand darauf geschrieben.
 

"Die Lore selbst basiert auf einer alten Legende... einem Mythos. Artificial Intelligence oder irgendsoetwas. Jedenfalls befasst es sich mit der Idee, dass in unseren Computern eine eigene Welten gibt, die statt auf Atomen nur auf Binärcodes basiert."

Skeptisch wandte Rai seinen Blick ab und musterte nun die in ihre Gedanken vertiefte Dame. Ihre grauen Augen schienen in eine nicht zu deutende Ferne zu blicken.

"Nun, ich frage mich sowieso immer, wie diese Rechner alleine durch Zahlenabfolgen ihre Arbeit verrichten können. Jedenfalls sollte es heute veröffentlicht werden, wenn mich nicht alles täuscht. Nimm dir doch eine Broschüre mit." Etwas verwirrt über den abrupten Themenwechsel blieb Rai am Regal stehen, während die Aushilfe sich nun langsam wieder auf den Weg machte, ihrer Arbeit nachzugehen.
 

Endlich zurück im Erdgeschoss registrierte er die Abgabe des Lexikons auf seinem Bibliotheksausweis und verließ das stille, kühle Gebäude. Von der Hitze unangenehm wachgerüttelt, erinnerte er sich daran, dass er sich ja noch mit Ash – einem Klassenkameraden - treffen wollte. Seinen Blick jetzt gen Boden gerichtet um der Sonne auszuweichen, bemerkte er nur den gepflasterten Boden und die Straßenlaternen und Pfosten, die an den jeweiligen Abzweigungen stationiert waren. Wenige Straßen später stolperte er fast über das Werbeschild des Teeladens, war aber umso erleichterter, endlich in den Schatten zu kommen. Ash wartete bereits auf ihn.
 

„Ein Videospiel sagst du?“ Rai gegenüber saß ein weißhaariger Junge, welcher zwar ein wenig kleiner als dieser war, aber durch sein kariertes Hemd mit Kragen dennoch älter aussah.

„Ich hätte irgendwie damit gerechnet, dass du lachst.“, gab Rai knapp zurück.

Perplex schüttelte Ash den Kopf und musterte Angesprochenen, wie dieser etwas Milch in seinen schwarzen Tee kippte.

„Wieso sollte ich dich nicht ernst nehmen?“, fragte er mit starrem Blick auf die große Porzellantasse.

„Weil ich meinen Tee mit Milch trinke?“, spaßte Rai während er rührte.

Er war gerne in diesem Teeladen. Schon beim Eintreten wurde man mit den Gerüchen verschiedenster Sorten begrüßt. Überall standen verschiedene Tassen und Dekorationen, die man kaufen oder einfach nur bestaunen konnte.

„Ich denke, das hast du dir in deiner Kindheit angewöhnt. In London wird Schwarzer Tee mit Milch getrunken und sagtest doch, du hast dort gelebt, bevor du mit deiner Mutter nach Japan gezogen bist.“

Einerseits war Rai enttäuscht, dass Ash den Witz nicht als solchen auffasste, andererseits aber auch beeindruckt, dass Ash sich an etwas erinnerte, das er vor Jahren mal erzählt hatte.
 

„Aber um aufs eigentliche Thema zurückzukommen, ja, ein Videospiel.“, betonte Rai erneut.

Prompt wurde das Werbeprospekt herausgekramt und auf den kleinen, nussbraunen Tisch zwischen den Schülern gelegt. Ungläubige Blicke folgten, die zwischen Rai und dem Magazin umherwanderten.

„Die Email kam also von dir?“ , spekulierte Ash.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Welche Email?“, verneinte der Schwarzhaarige indirekt die Frage.

„Sie zeigt genau dieses Game. Beziehungsweise ist es glaube ich nur eine App.“, erklärte der Kleinere weiter.

„Wenn es im Appstore ist, können wir es uns ja wenigstens mal ansehen, oder?“, schlug Rai jetzt vor.

Immerhin gab es im Laden kostenloses WLAN, was wiederum die Frage aufwarf, wieso nicht mehr Kunden herkamen, um eine Pause einzulegen.
 

„Es lässt sich nicht installieren, angeblich habe ich nicht genug freien Speicher.“ Gleichermaßen frustriert und skeptisch gab Rai sich wenig später geschlagen und legte sein Smartphone zur Seite.

"Speicher sollte ich genug haben.", Ash zog als Antwort darauf eine Laptoptasche unter dem Tisch hervor:

„Du hast deinen Laptop dabei?“ Verwundert griff Rai nach den Tassen und räumte diese ab, um Platz zu schaffen.

„Ich treffe mich später noch mit der Computer AG.“
 

Wenig später hatte Ash die Installation abgeschlossen und schlug sich mit den ersten Leveln des Spiels herum: „Was ist dieses Ding?“

„Das wurde dir doch gerade erklärt.“, antwortete Rai aufmerksam zusehend. Er hatte sich neben seinen Freund gesetzt und blickte ihm über die Schulter.

„Meinst du, ich lese dieses Tutorial? Diese Anime Waifu ist doch viel zu überzogen dargestellt.“, verteidigte sich Ash nun.

„Dann erkläre ich dir das eben. Also so wie ich das verstanden habe, sind diese kleinen Wesen Digimon, wie auch im Titel angemerkt und sie bestehen komplett aus Daten. Wie kleine, virtuelle Haustiere.“

„Haustiere, die kämpfen können... Also ist diese rosa Fellkugel mein erster Kämpfer?“, stellte Ash für sich selbst klar.

„Finden wir es heraus, los, mach schon weiter.“, drängelte der größere Schüler ungeduldig.
 

Allerdings verfärbte sich der Bildschirm ehe er weiterspielen konnte. Erst wurde er komplett weiß, danach zeigte er merkwürdige Zahlen vor einem schwarzen Hintergrund.

„Du hast mir einen Virus aufgedrängt.“, Ash durchlöcherte seinen Begleiter förmlich mit ernstem Blick.

Bevor dieser sich verteidigen konnte, begann der Laptop plötzlich zu strahlen und der Boden gab unter ihnen nach. Zumindest für eine Sekunde. Als würde man im Schlaf fallen und davon wach werden.

„Er funktioniert wieder, aber die Internetverbindung ist weg.“, stellte Ash schließlich trocken fest, fast so, als hätte er nichts von dem Fall mitbekommen.

„Ehm.. Also...“, stotterte Rai wiederum und deutete mit seinem Finger in irgendeine Richtung.

Erst jetzt blickte Ash vom Bildschirm hoch und nahm seine Umgebung wieder wahr.
 

Statt dem gemütlich eingerichteten Teeladen saß er jetzt in einer Art Lego Haus aus bunten Steinen und mit Stoffwürfeln als Hocker.

Damit war auch Ash sprachlos. Ungläubig sprang er auf und schritt zur Tür, drehte aber auf halbem Weg um und griff nach seinem Laptop und der dazugehörigen Tasche, um sie auf keinen Fall zu vergessen.

„Hey, warte auf mich!“
 

Die Aussicht außerhalb des Gebäudes sagte dem Zweiergespann nicht wirklich mehr zu. Der Boden unter ihnen setzte sich aus einem gekachelten, grünen Teppich zusammen.

„Wo sind wir hier? Das ist nicht … Wo sind wir hier?“, verzweifelt suchte Ash nach einem Anhaltspunkt oder irgendwelchen vertrauten Sehenswürdigkeiten. Rai schien genauso ratlos wie Ash.

„Sehen wir uns genauer um.“, Als wäre es eine Aufforderung und kein Vorschlag, setzte sich Rai in Bewegung. Ash wollte nicht alleine zurückbleiben und so hatte er keine andere Chance als seinem Begleiter zu folgen.
 

Hin und wieder kam die kleine Gruppe an offenen Gebäuden mit Zuckerwatte, Gummibärchen, Sauren Drops, farbigen Zuckerstangen oder Schokolade vorbei. Die Häuser schienen als kämen sie aus Kinderserien oder wie der Spielzeugwerkstadt von Santa in Weihnachtsfilmen und waren vollständig aus Bauklötzen oder überdimensionalen Legosteinen gebaut.

Auch konnten sie eine Armee von Spielzeug Robotern sehen, die gegen Actionfiguren kämpften. Selbst eine Spielzeugbahn war Teil des Dorfes, auf die sie hätten aufspringen können, wenn Ash nicht zu langsam gewesen wäre.

Ein kalter Wind machte den Jugendlichen bewusst, dass sie nicht mehr in der schwülen Stadt waren. Frisch und unberührt ruhte die Luft in diesem Dorf voller Spielzeuge. Rein und magisch mit einem Gefühl von Abenteuern.



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