Zum Inhalt der Seite

Wunschzettelverwechslung

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

2016

»Wie Sie sehen konnten, bietet diese Strategie die ideale Grundlage, auf der wir weitere, auf Sie zugeschnittene Kampagnen aufbauen können.« Sie ließ ihren Blick noch einmal zu jedem ihrer Zuhörer schweifen. Sie wirkten halbwegs zufrieden. »Zur Vereinbarung weiterer Termine wenden Sie sich bitte an meinen Kollegen, Herr Baumeister.«

Erst als sich die ersten Anzugträger erhoben, erlaubte sie sich, ihre Haltung zu lockern und ein lautloses Seufzen auszustoßen. Das war gar nicht so schlecht gelaufen, wie sie befürchtet hatte. Trotzdem würde sie ein ernstes Wörtchen mit Jürgen wechseln müssen!

Was fiel ihm ein, ausgerechnet heute krank zu werden? Jeder andere Tag, aber doch nicht genau an dem Tag, an dem er das wichtigste Projekt des Jahres vorstellen sollte. Der kleinste Fehler hätte dazu führen können, dass sie den Auftrag verloren! Natürlich, sie hatten gemeinsam daran gearbeitet und sie kannte jedes Detail, dennoch war er derjenige, der den Kundenkontakt pflegte. Sie war nur der kreative Kopf ihres kleinen Teams.

Sie drehte sich herum, schaltete die Technik aus und packte ihre Notizen zusammen. Nun wollte sie nichts sehnlicher, als endlich nach Hause und dort ihren Hosenanzug gegen eine bequeme Jogginghose und ein weites Shirt tauschen. Sie hasste diese Dinger noch viel mehr als die obligatorischen hohen Schuhe. Aber vor so einem wichtigen Kunden wie Serpent Technologies blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an diese Konventionen anzupassen.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass sie sich beeilen musste, wenn sie pünktlich zum Abendessen zu Hause sein wollte. Eilig stopfte sie die letzten Zettel in ihre Tasche und schloss sie.

Als sie gerade den Raum verlassen wollte, fiel ihr eine Frau auf, die noch immer am Besprechungstisch saß, obwohl ihre Kollegen bereits alle gegangen waren.

Sie haderte kurz, entschloss sich dann aber doch, sie anzusprechen. »Haben Sie noch Fragen?«

»Ja ... Nein ... Ich ...«, stammelte die Dame und griff nach einer Strähne ihres blonden Haares. Nervös zwirbelte sie an den Spitzen herum, während ihre Augen unruhig über ihr Gegenüber schweiften. Es wirkte, als suche sie etwas.

Ungeduldig musterte sie die Fremde. Was war denn nun? Sie wollte nach Hause! »Ja?«

»Äh ... Nichts, schon gut ...«

Obwohl die Antwort nicht ehrlich klang, zuckte sie mit den Schultern und drehte sich herum. Das war nicht ihre Angelegenheit. »Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.«

»Wa... Warten Sie!«, kam es nun doch von der anderen. »Ich ... Kennen Sie zufällig Theo Schäfer?«

Erschrocken blieb sie stehen und drehte sich zurück zu der Blonden.

Diese wirkte nun noch aufgeregter als zuvor. Eilig haspelte sie herunter: »Sie haben sich vorhin als Frau Schäfer vorgestellt und ich dachte ... Keine Ahnung, vielleicht sind Sie ja Theos Frau oder ... Ich weiß nicht ... Tut mir leid, das hier ist vermutlich total verrückt für Sie.«

Jetzt, wo die andere sich verzweifelt die Haare raufte, erkannte sie sie. Sie hatte sie seit sicher zehn Jahren nicht gesehen. Damals, als sie ihr Elternhaus verlassen und sich geschworen hatte, niemals wieder zurückzukehren. Das konnte doch nicht sein! Dennoch waren die Ähnlichkeiten eindeutig. Stella hatte dieselben grau-blauen Augen wie sie selbst. Vermutlich das Einzige, was sie mit ihrer Schwester gemeinsam hatte. Außerdem sah sie bei genauerer Betrachtung ihrer Mutter sehr ähnlich.

Ihr Inneres stritt darum, ob sie den Raum verlassen oder zu ihrer Schwester gehen sollte. Einerseits gab es keinen Grund, zu bleiben. Sie hatte mit ihrer Familie abgeschlossen. Andererseits war es noch immer ihre Schwester und sie wirkte verzweifelt. Leise schloss sie die Tür.

Stella sah auf und versuchte, sich ein paar Tränen aus dem Gesicht zu wischen, ohne ihr Make-up vollständig zu ruinieren. »Es tut mir leid, ich sollte Sie damit nicht belästigen. Bei dem Gedanken, dass Sie Theo vielleicht kennen könnten, ist wohl etwas mit mir durchgegangen.«

Noch immer haderte sie. Es gefiel ihr nicht, dass sie sie ›Theo‹ nannte, aber gleichzeitig hatte sie sich nicht ein einziges Mal eines männlichen Pronomens bedient. Durfte sie hoffen, dass Stella einfach nur die Alternativen fehlten? Zumindest hatte Stella sie im Gegensatz zu ihren Eltern nie verachtet. Jedoch auch nicht verteidigt.

Sie zögerte noch, doch als Stella ihrerseits nach ihrer Tasche griff, entschied sie sich, zu hoffen. »Sie heißt Tessa.«

»Was?« Verwundert sah Stella auf.

»Tessa. Deine Schwester heißt Tessa«, antwortete sie mit Nachdruck.

Stella sah sie einen Moment mit großen Augen an. Dann ließ sie ihre Tasche fallen. »The... Tessa?! Bist du das wirklich? Tut ... tut mir leid, ich wusste nicht, wie du jetzt heißt.«

Sie nickte einfach nur, war sich unsicher, was sie von Stellas Reaktion halten sollte. Doch auch Stella wirkte verunsichert. Eine Weile sahen sie sich nur an.

Dann machte Stella den ersten Schritt. Sie stellte ihre Tasche auf den Tisch, kramte kurz darin herum und beförderte dann eine Visitenkarte zu Tage. Diese reichte sie ihr entgegen. »Vielleicht magst du mich mal anrufen und wir gehen zusammen Kaffee trinken? Oder Kakao, wenn du den noch immer lieber magst?«

»Kakao klingt gut«, antwortete sie und erwiderte das zaghafte Lächeln.
 

~~~
 

»Schatz, bleib ruhig. Es wird alles gut werden.« Marko legte seine Arme um sie und hauchte einen sanften Kuss auf ihren Nacken. »Es ist nur ein Weihnachtsessen.«

»Aber meine Eltern werden da sein!« Sie machte sich aus der Umarmung los und fuchtelte wild herum.

Er griff nach ihren Händen und hielt sie leicht fest. »Sie werden dir nichts tun. Stella hat dich wirklich lieb. Wenn sie eure Eltern einlädt, dann sicher nur, weil sie glaubt, dass sie ihre Meinung geändert haben.«

Unsicher zuckte sie mit den Schultern. Das konnte sie sich nicht vorstellen. Ihr Vater war schließlich sehr deutlich gewesen, was passieren würde, wenn er sie noch einmal in ›Mädchenkleidern‹ sah. Sofort hatte sie den Drang, etwas Dezenteres anzuziehen. Dabei liebte sie das lange, dunkelblaue Kleid.

»Und wenn doch jemand eine blöde Bemerkung macht, dann sind noch immer Stella, Anita und ich da.« Marko zog sie in seine Arme. Aufmunternd grinste er sie an. »Du kennst doch Anita, sie würde jeden zur Schnecke machen, der es wagt, unhöflich zu sein.«

Auch sie musste bei dem Gedanken daran, wie Anita ihre Schwiegereltern zurechtstutzte, schmunzeln. Wie ihre Eltern wohl reagiert hatten, als Stella ihnen Anita vorgestellt hatte? Sie musste sie bei Gelegenheit mal fragen, im letzten halben Jahr war sie gar nicht dazu gekommen. Es hatte einfach zu viele Neuigkeiten in ihrer beider Leben gegeben, die viel wichtiger waren.

Doch schnell waren ihre Gedanken wieder bei ihren Sorgen. »Ich will nicht, dass Lilly und Jonas da mit reingezogen werden.«

»Keine Sorge, die beiden wissen, dass ihre Mama eine ganz besondere Frau ist.« Marko küsste sie zärtlich auf die Stirn. »Lass uns wenigstens hinfahren und sehen, wie es läuft. Wenn du dich zu unwohl fühlst, dann fahren wir kurz nach Hause, ich backe einen schönen Schokokuchen und dann gehen wir auf dem See Schlittschuh laufen.«

Sie lächelte. Marko wusste einfach zu gut, wie man sie aufmuntern konnte. Auch wenn sie noch nicht ganz überzeugt war, nickte sie.

»Gut, dann zieh dich fertig an, ich schau mal, wie weit die Kinder sind.« Er küsste sie kurz, dann nahm er ihr das schwarze Tuch vom Hals. »Und das tauschst du ganz schnell gegen das schöne Hellblaue, das ich dir geschenkt hab. Trau dich ruhig, du musst dich nicht verstecken.«
 

Marko lächelte ihr noch einmal zu und drückte aufmunternd ihre Hand, bevor er die Türklingel betätigte.

Sekunden später riss die kleine Frau mit den roten Haaren die Tür auf. »Hallo! Wir haben euch schon erwartet.«

»Hallo Anita. Danke für die Einladung. Das Christkind hat ein paar Geschenk für euch bei uns abgegeben.« Sie überreichte die Tüte.

»Oh, das ist aber nett. Vermutlich hat es sich einfach nur vertan.« Sie beugte sich zu Jonas und Lilly hinunter. »Für euch beide sind nämlich auch ein paar Geschenke hier angekommen.«

Jubelnd wollten die beiden die Wohnung stürmen, wurden jedoch von ihrem Vater daran gehindert, der darauf bestand, erst einmal alle zu begrüßen und erst nach dem gemeinsamen Essen die Geschenke auszupacken. Mit leichtem Murren ergaben sie sich ihrem Schicksal.

In der Küche hörte sie bereits ihre Schwester und Eltern reden. Unbewusst blieb sie kurz stehen, wurde jedoch sanft von Marko weitergeschoben. Als sie eintrat, lagen sofort alle Blicke auf ihr.

»Tessa, da seid ihr ja!« Stella kam auf sie zu und umarmte sie freudig. »Wo habt ihr denn eure kleinen Monster gelassen?«

»Die wollten lieber im Wohnzimmer bleiben«, antwortete Marko sanft. Dann wandte er sich dem älteren Paar am Küchentisch zu. »Ich bin Marko. Sie müssen Tessas und Stellas Eltern sein.«

Das Paar nickte und nahm zögernd die Hand des Mannes entgegen, doch ihre Blicke blieben auf sie gerichtet. Dann stand die Frau auf und machte den ersten Schritt auf sie zu. Sie legte die Hände auf ihre Oberarme und betrachtete sie eingehend. »Gut siehst du aus, mein Mädchen.«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  lula-chan
2018-12-07T15:50:43+00:00 07.12.2018 16:50
Was für ein schönes Ende. Gefällt mir. Gut geschrieben. Sehr gefühlvoll. Ein tolles Happy end.

LG
Antwort von:  Vampyrsoul
18.12.2018 16:54
Entschuldige die späte Antwort, bei mir war es in letzter Zeit etwas stressig.
Es freut mich, dass dir auch das Ende gefallen hat ^^ Danke fürs Lesen und die Rückmeldung.
Von:  Yamasha
2018-12-07T07:00:13+00:00 07.12.2018 08:00
Ah wie schön!!! <3 ich hab ein paar Tränchen in den Augen ^^' ich freu mich, dass sie jetzt eine Familie hat, ihre Schwester sie wieder gefunden hat und akzeptiert und auch, dass ihre Eltern es jetzt tun!!! Ich mag nun mal happy ends ^^'
Wobei, wer ist Anita? Stellas Freundin? Das wurde mir nicht so ganz klar. Vielleicht, weil im Mittelteil auch irgendwo der Anfang eines Satzes fehlt ^^'
Antwort von:  Vampyrsoul
07.12.2018 14:31
Ups, danke für den Hinweis, ist mittlerweile behoben ^^ Da war wohl ein kleiner Schluckauf beim Formatieren >.<
Daher versteh ich auch die Verwirrung, es fehlte nämlich ein ganzer Satz, in dem die Eltern als Anitas Schwiegereltern bezeichnet werden ^^' (Also ja, sie ist Stellas Freundin)

Danke dir für deine liebe Rückmeldung, ich freue mich, dass die Geschichte dir so gut gefallen hat.


Zurück