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SANTA kills (Adventskalendergeschichte)

von

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Aufbruch

Nachdem Alexej und ich nach dem Sex noch etwas gegessen hatten, fielen wir tot ins Bett. Ich schlief wie ein Stein und träumte von nichts.
 

Als ich erwarte, sah ich in die blauen Augen, die mich neugierig beobachteten.
 

»Oh Gott«, raunte ich, auch wenn ich bereits lächelte. »Wie lange beobachtest du mich schon?«
 

»Nicht lange«, antwortete Alexej und grinste mich zufrieden an. Vermutlich in dem Wissen, dass es bereits mehrere Minuten sein mussten, in denen er mir beim Schlafen zusah. »Du schläfst sehr süß.«
 

»Oh, tu ich das? Habe ich gesabbert oder geschnarcht?«
 

Da zuckte er mit einer Schulter, als wäre er sich nicht ganz sicher. »Von beidem ein bisschen.«
 

»Na toll«, kicherte ich und legte meinen Arm über das Gesicht. Das Bett war noch schön weich und warm, dass ich gar nicht ans Aufstehen denken wollte. Sowieso fühlte ich mich wie auf Wolken, als Alexej sich vorbeugte und mir einen sanften Kuss auf den Arm gab, der über mir lag.
 

Ich blinzelte ihn an und zog ihn zu mir. Wir versanken in einen liebevoll, wenn auch zurückhaltenden Kuss. Die Worte von letzter Nacht schwirrten noch frisch in meinem Kopf rum. ‚Ich liebe dich‘ sind drei schwere Worte, die man nicht leichtsinnig herumwerfen sollte. Doch ich war mir sicher, dass Alexej das nicht tun würde. Dafür war er nicht der Typ. Viel zu hart für sowas.
 

»Wir müssen deine Bandage wechseln«, hauchte er gegen meine Lippen. »Außerdem will ich mir die Nähte ansehen.«
 

Er richtete sich auf, sodass ich mich ebenfalls aufsetzen konnte. Vorsichtig zog er an der selbstklebenden Bandage und entfernte sie langsam von meiner Haut.
 

»Kennst du dich damit aus?«, fragte ich neugierig und beobachtete seine auf einmal sehr filigran wirkenden Hände.
 

»Das sollte ich, ja«, schmunzelte er und legte den Verband beiseite. Auf dem Nachttisch lagen bereits neue Bände. Er war also zwischendurch schon mal aufgestanden.
 

»Ja? Wird euch das in die Wiege gelegt? Oder war das Teil… deiner Ausbildung?«
 

»Es war Teil meiner Ausbildung«, sagte er emotionslos, während er meine Stiche begutachtete. Ich traute mich nicht runterzuschauen. Sah bestimmt super eklig aus.
 

Gerade als ich dachte, voll ins Fettnäpfchen getreten zu haben, lächelte er mich an und sah mir tief in die Augen. »Ich bin Arzt.«
 

Meine Augen weiteten sich. »Du verarschst mich.«
 

»Nein«, schüttelte er belustigt den Kopf über meine Wortwahl. »Ich studierte, während ich noch in der Familie der Mafia war, die meine Eltern umgebracht hatte. Sie ließen es zu, in der Hoffnung, ich würde irgendwann mit diesem Wissen von Nutzen sein.«
 

Mit einem Wattestäbchen desinfizierte er vorsichtig die Stiche. Es tat kaum weh. Er war wirklich sehr achtsam.
 

»Tatsächlich ist dieses Wissen sehr von Nutzen«, erklärte Alexej konzentriert und griff schließlich nach einem neuen Verband, den er mir gewissenhaft umwickelte.
 

»Das sehe ich«, murmelte ich noch immer völlig von den Socken. »Ich hätte nie gedacht, dass du… einen so schwierigen Beruf gelernt hast.«
 

»Wirke ich nicht so, als könnte ich das?«, sagte er amüsiert und nahm Augenkontakt zu mir auf. Ich errötete und spitzte meine Lippen. Noch bevor ich mich verteidigen konnte, lachte er dunkel auf und schüttelte den Kopf. »War nur ein Witz, Kyle. Ich weiß, dass ich nicht so aussehe. Und ich gebe zu, ich hätte es auch nie gemacht, wenn ich nicht gewusst hätte, was für einen enormen Vorteil es mir im Leben bringen würde. Bezüglich meiner anderen Berufswahl.«
 

»War es denn überhaupt eine Wahl?«, fragte ich vorsichtig und beobachtete seine Gesichtszüge. Tatsächlich verhärteten sie sich für einen kurzen Moment, lockerten sich aber genauso schnell wieder.
 

»Nicht wirklich, da hast du Recht.« Er klopfte mir einmal liebevoll auf die Bandage, um mir zu zeigen, dass sie fest verbunden ist. »Fertig. Es wird im Laufe der Zeit noch weiter anschwellen, aber der Druckverband sollte das Schlimmste vermeiden. Sollte es stechen, brennen oder anderweitig mehr Schmerzen verursachen, als üblich, sag bitte Bescheid. Dann muss ich eventuell Wundflüssigkeit entlassen.«
 

Mein Gesicht wurde bleich.
 

»Das ist nichts Schlimmes. Schlimmer wäre eine Entzündung«, erklärte Alexej und versuchte zu lächeln. Machte mich nicht unbedingt ruhiger.
 

»Soll ich dir bei deinen Wunden helfen?«, fragte ich und deutete auf seine Verbände. Alexej überlegte einen Moment, nickte dann tatsächlich und begann sich die Verbände abzunehmen.
 

»Die Stichwunde wird langsam abgeheilt sein. Da wird ein einfaches Pflaster reichen. Aber hier könntest du mir beim Binden helfen. Dann geht es schneller.«
 

Als ich seine Wunde sah, musste ich die Luft anhalten. Sie war blau, grün, rot und violett. Die Stiche waren grob und man sah sofort, dass er sich selber genäht hatte.
 

»Wie hast du das nur geschafft?«, fragte ich eher mich selbst als ihn. Doch er antwortete, während er sich selbst desinfizierte und mit Jod einschmierte.
 

»Viel Adrenalin im Blut und eine hohe Schmerzgrenze.«
 

»Eine enorm hohe Schmerzgrenze…«
 

Ich half ihm die Schusswunde zu verarzten und stattete ihn mit einer Bandage aus. Danach sahen wir uns die Schnittwunde an. Tatsächlich war nur noch ein roter Strich auf der Haut zu sehen.
 

»Ist gut verheilt«, sagte er und strich trotzdem noch etwas Wundheilsalbe drauf.
 

»Da hab ich dich ganz schön erwischt«, murrte ich leise und fühlte mich auf einmal sehr schuldig.
 

Alexej schmunzelte. »Ist schon okay. So habe ich eine stetige Erinnerung an dich.«
 

»Oh, wie romantisch, nicht wahr?«, sagte ich sarkastisch und handelte mich tatsächlich einen finsteren Blick ein.
 

»Willst du, dass ich lieber böse auf dich bin?«
 

»Nein, nein«, ruderte ich sofort zurück. »Ich bin froh, dass du es so siehst. Und… nicht böse auf mich bist, dass das passiert ist. Weil… ich wusste zu dem Zeitpunkt ja nicht, wer du warst, also…«
 

»Das ist wohl wahr. Aber hättest du es gewusst, hättest du vermutlich noch viel tiefer geschnitten. Einfach aus Trotz.«
 

Ich wollte schon zum Konter ansetzen, als ich kurz darüber nachdachte, wie ich mich in dem Moment gefühlt hatte, wo er die Tür öffnete und ich eigentlich Santa erwartet hatte. »Vielleicht«, gab ich dann kleinlaut zu.
 

Nachdem unsere Wunden versorgt waren, schlupften wir in bequeme Kleidung und aßen eine Kleinigkeit. Alexej hatte nicht viel da, aber es reichte, um den Hunger zu stillen.
 

Während wir schweigend nebeneinander am Küchentisch saßen, überkam mich ein Schwall von Wärme. Ich lächelte vor mich hin, als Alexej nachfragte.
 

»Bist du glücklich?«, hakte er sanft nach und sah mich dabei intensiv an.
 

»Ja«, hauchte ich zurück und stützte meinen Kopf mit der Hand ab. »Wir sind so… häuslich im Moment. Das gefällt mir.«
 

»Nach all dem Ärger und dem Stress ist es eine willkommene Abwechslung.«
 

Ich dachte an all den Ärger und den Stress, den er meinte, musste aber unweigerlich immer wieder an unsere Zweisamkeit denken, als ich noch Mr. Lewis und er Santa war. »Eigentlich warst du ein richtig schlechter Schauspieler«, sagte ich auf einmal und kicherte, während ich aus dem Fenster in die graue Welt sah.
 

Alexejs Augen sahen mich verwirrt an. »War ich das? Du hast es bis zum Schluss nicht gemerkt, also gehe ich davon aus, habe ich meinen Job ganz gut gemacht.«
 

»Rückblickend betrachtet warst du mehr als Offensichtlich darüber, wer du warst. Besonders gegen Ende. Aber auch am Anfang«, sagte ich amüsiert und trank noch einen Schluck Instant Kaffee. Die scheußlichste Brühe wurde auf einmal enorm trinkbar, wenn ich wusste, dass du sie gemacht hattest.
 

Noch immer sahen mich zwei blaue Augen starr an und wollten eine Erklärung. Also gab ich ihm eine. »Nicht nur, dass du zum selben Zeitpunkt aufgetaucht bist wie Alexej Wolkow – nein, du hast auch noch immer dann nicht nachgefragt, wenn es um meinen Zweitjob oder um meine Schmerzen ging, die ich auf einmal nach einem Kampf mit dir hatte, wenn es drauf angekommen wäre. Du Witzbold hast ja sogar eine Schmerztablette von mir genommen.«
 

Da holte ich tief Luft.
 

»Herrgott, du bist den ganzen Tag mit dieser Schnittverletzung rumgelaufen? Kein Wunder, dass du Schmerzen hattest!«
 

»Hohe Schmerzgrenze. Sag ich doch«, bemerkte Alexej selbstzufrieden und schenkte uns beiden noch etwas Kaffee nach.
 

Ich schüttelte nur den Kopf. »Jedenfalls wurdest du gegen Ende immer weniger subtil. Ich dachte an einem Punkt sogar, du wärst vom MI6 und solltest nachprüfen, ob ich mit Alexej Wolkow was zu tun hatte.«
 

»Hattest du ja auch. Kannst froh sein, dass ich dich nicht deiner Chefin gemeldet habe«, zwinkerte er mir zu und grinste breit.
 

Ich kicherte erst mit, bis ich verstummte. »Woher weißt du, dass ich eine Chefin habe?«
 

»Woher weiß ich, dass du im Center gearbeitet hast und Kyle Lewis hießt und vom MI6 warst? Ich gehöre auch einer geheimen Organisation an, erinnerst du dich? Wir haben unsere Informanten wie ihr eure habt«, erklärte Alexej in einem ruhigen Ton und sah mich eine Weile lang nachdenklich an. Schließlich zwinkerte er mir zu und sagte: »Und du hast an einem Tag sehr laut mit einem Kollegen telefoniert. Ich habe jedes Wort mitgehört. Das war sehr nachlässig von dir.«
 

Ich seufzte langgezogen. »Oh, man… Ja… das war nicht besonders schlau von mir.«
 

»Wer war das am Telefon? Dein Freund, der mitkommen will?«
 

»Ja, Ethan«, bejahte ich und nickte, während ich in die Kaffeetasse starrte. »Mit ihm treffe ich mich heute Nachmittag um 16 Uhr am Tannenbaum im Center. Bis dahin sollte ich mir eine Verkleidung zulegen.«
 

Alexejs Mund verzog sich ein Stück. »Du willst dich wirklich dort treffen, wo man uns beide schon so oft zusammen gesehen hat?«
 

»Es wird voll sein. Sehr viele Menschen. Wir beide werden uns verkleiden und tarnen. Vielleicht gehe ich sogar als Frau, damit wirklich niemand Verdacht schöpft.«
 

Da lachte Alexej leise. »Ich verstehe. So gerne ich das sehen würde, so ist es vermutlich besser, ich halte hier die Stellung und benachrichtige die anderen.«
 

»Willst du Ethan nicht erst kennenlernen? Oder ich die anderen?«
 

Da schüttelte er den Kopf. »Das dauert zu lange und würde zu viel Logistik verlangen. Wir bereiten alles vor, was nötig ist und werden sowieso getrennt voneinander reisen. Mit keinem großen Abstand, aber groß genug, um keine Aufmerksamkeit zu erhaschen, wenn auf einmal eine Gruppe von sieben Leuten mit teilweise russischer Abstammung die Grenze passieren will.«
 

»Sieben Leute? Wow…«, murmelte ich und begriff zum ersten Mal die Größe der Aktion.
 

»Ihr zwei seid frisch hinzugekommen.«
 

»Irina wird das nicht wollen.«
 

»Dann hat Irina Pech gehabt«, sagte Alexej auf einmal ernst und trank seinen Kaffee aus. Mit flinken Fingern räumte er die Teller von uns ein. »Sie hat uns alle in diese Sache reingerissen, weil sie kein wirkliches Genie beim Verstecken ist. Sie ist so unbesonnen und waghalsig wie du, vermutlich mögt ihr euch deswegen nicht. Ihr seid euch zu ähnlich.«
 

»Ich… bin nicht unbesonnen und waghalsig«, wollte ich schon anfangen mich zu verteidigen und wurde mit nur einem Blick von Alexej in die Schranken gewiesen. ‚Echt jetzt? Denk noch mal drüber nach‘ war seine Aussage. »Vielleicht hier und da mal. Ich wollte eben den Fall lösen.«
 

»Und das hast du«, sagte Alexej mit einem seufzen und stand vom Tisch auf, um das dreckige Geschirr in die Küche zu bringen. Ich schnappte mir ein paar Sachen, die in den Kühlschrank mussten, und folgte ihm.
 

Er ordnete die Teller und Tassen feinsäuberlich in die Spülmaschine ein und schloss die Tür. Bevor ich die Sachen in den Kühlschrank stellen konnte, stellte er sich mit seiner vollen Größe vor mich und lehnte gegen den Tresen. Ich war gezwungen kurz stehen zu bleiben und ihn anzusehen.
 

»Von jetzt an übernehme ich die Planung und Führung. Du magst deine Meinung jederzeit dazu äußern, aber die letztendliche Entscheidung treffe ich. Das wird so lange die Regel sein, bis wir in Russland sind und Immunität genießen. Du wirst unter meine Fittiche gestellt.«
 

Ich zog scharf die Luft ein, nickte jedoch. Mir war schon bewusst, dass ich ab jetzt nach seinen Regeln tanzen würde. Er nahm mir nicht meine Meinungsfreiheit, das war schon mal gut. Aber dass er die Instanz nun war, juckte mich schon ein wenig.
 

»Ich weiß, dass du gerne selbst entscheidest, Kyle. Und ich liebe diese Eigenschaft zu jeder Zeit an dir. Aber jetzt ist es einfach zu gefährlich, wenn jeder hier seine eigenen Pläne schmiedet. Und da du vermutlich wenig Ahnung von den weiteren Vorgehensweisen hast, werde ich das übernehmen.«
 

Ich nickte noch immer angespannt und zählte innerlich die Krümel auf der Theke. Alexej lehnte sich zu mir und küsste liebevoll meine Stirn.
 

»Nicht für lange. Danach wirst du wieder ein freier Vogel sein, das verspreche ich dir.«
 

Und dieses Versprechen wollte ich mit ins Grab nehmen.
 


 

Da ich nicht die Finger von Alexej lassen konnte, liebten wir uns noch einmal, bevor ich mich für das Treffen mit Ethan vorbereitete. Erneut mussten wir aufpassen uns nicht gegenseitig weh zu tun, doch wir koordinierten es sehr viel besser als am Anfang. Die Küsse wurden gegen Ende immer sehnsüchtiger, als würden wir uns erneut für eine gewisse Zeit trennen. Tatsächlich stieg in mir die Angst auf, wir würden uns vorerst nicht wiedersehen. Seine Worte, wir müssten getrennt über die Grenzen, machte mich noch nervöser. Jetzt, wo ich mich für ihn entschieden hatte, wollte ich nicht mehr loslassen.
 

Meine Verkleidung war nicht besonders gut. Ich trug einfach ein Shirt von Alexej und eine Hose von mir. Darüber einen von Alexejs Mänteln, den ich an den Ärmeln hochkrempeln musste, damit ich nicht wie ein Schlumpf im Sack aussah. Letztendlich zog ich mir einen Schal von Irina an (Gott bewahre, dass sie es jemals herausfindet) und eine Sonnenbrille von einem der anderen Kerle. Ich wirkte wie ein Zusammenschmiss von Wohlfahrtskleiderkammer, aber das war es im Grunde ja auch. Mein Look sollte unauffällig sein und das war er. Irgendwie war es nämlich kein Look, sondern einfach irgendwas zum Anziehen.
 

»Ich fühle mich sehr unschick«, gab ich zu und sah an mir runter. »Ich sehe eher aus wie ein Penner.«
 

»Ein sehr hübscher Penner«, säuselte mir Alexej ins Ohr und küsste meine Schläfe, während er hinter mir stand und mich im Spiegel beobachtete. »Schreib mir, wenn du ihn eingesammelt hast. Ich werde hier alles zusammenpacken und treffe euch am Supermarkparkplatz im West End.«
 

Ich nickte und holte noch einmal tief Luft.
 

»Wir fahren dann aus London raus.«
 

»Das hättet ihr sowieso längst tun sollen«, seufzte ich schließlich und drehte mich zu ihm um. »Wieso habt ihr nicht?«
 

»Am Anfang war ich verletzt. Dann wollte ich meinen Job als Weihnachtsmann nicht kündigen. Danach war ich wieder verletzt. Und jetzt bist du da.«
 

»Du wolltest den Job als … - Im Ernst, Alexej?«, fragte ich völlig außer mir nach. »Das wäre doch sowas von unwichtig gewesen!«
 

Sein linkes Lid zuckte kurz. »Nein, war es nicht. Und jetzt geh.«
 

Er drückte mich fast gewaltsam aus der Tür in den Flur.
 

»Du bist wirklich hoffnungslos in mich verliebt, oder?«
 

»Verschwinde, Kyle«, raunte er und schmiss die Tür zu. Im kurzen Moment, bevor die Tür zuging, konnte ich sein rotes Gesicht erkennen.
 

»Ich liebe dich auch«, lachte ich gegen die geschlossene Tür. Zufrieden mit mir selbst ging ich die Treppe runter und stapfte zur U-Bahn.
 

Immer wieder blickte ich mich um und hoffte, dass mich niemand erkannte. Vielleicht hätte ich mir die Haare färben sollen, doch dafür war es jetzt zu spät. Die braunen Locken waren unter einer Mütze versteckt – wenigstens ein Vorteil des Winters. Je mehr Kleidung, desto besser.
 

Das Shopping-Center war tatsächlich rappelvoll. Überall waren Menschen mit riesigen Geschenktüten und anderem Kram, den sie an Weihnachten weitergeben wollten. Ich quetschte mich durch die Türen und betrat die warmen, so vertrauten Gänge. Als ich mich dem Weihnachtsmarkt näherte, sah ich Cindy mit ihrer Freundin Pause machen. Sie aßen gerade ein Brot, während sie sich innig unterhielten.
 

Ich wäre gerne zu ihnen gegangen und hätte mich wirklich verabschiedet. Aber dafür war jetzt keine Zeit.
 

Also streifte ich an ihnen vorbei und stellte mich an den Tannenbaum. Mit etwas Abstand beobachtete ich die Menschen, die an ihm vorbeigingen. Erst, als ich ihn einmal umrundet hatte, sah ich einen Weihnachtsmann da sitzen. Er war sehr viel schmaler und kleiner, als Alexej. Die Schlange war auch nicht mal ansatzweise so lang wie seine es immer waren. Trotzdem warteten die Kinder freudestrahlend darauf, auf Santas Schoß zu sitzen.
 

Und in diesem Moment fragte ich mich, ob ich vielleicht nicht doch irgendwann Kinder wollen würde. Mit Alexej zusammen irgendwo in einem ruhigen Ort mit einem Hund und einem, vielleicht zwei Kindern klang auf einmal gar nicht so bescheuert.
 

Es klang nur zum Zeitpunkt enorm bescheuert, weil wir uns immer noch auf der Flucht befanden und eigentlich um unser leben bangen sollten. Das Bedürfnis nach dem einen Extrem kam immer dann, wenn das andere Extrem unmittelbar bevorstand.
 

Nach wenigen Minuten, in denen ich tausend Tode in dem dicken Mantel von Alexej starb, sah ich dann endlich eine bekannte Figur. Mit einer großen Gitarrentasche kam ein Mann auf mich zu, der Piercings im Gesicht trug und die Haare sehr bunt hatte. Je näher er kam, desto genauer erkannte ich dann Ethan.
 

»Du siehst toll aus«, bemerkte ich und schmunzelte ein wenig, als er sich zu mir stellte.
 

»Soll ich dir ein Lied singen?«, fragte er und spätestens dann wusste ich mit Sicherheit, dass es er war. Die Stimme würde ich überall wiedererkennen.
 

»Sehr gerne. Aber nicht hier. Lass uns dafür rausgehen«, schlug ich vor und deutete mit einem Nicken an, dass wir gehen sollten.
 

Just in dem Moment, wo mir ein Stein vom Herzen fiel, dass ich Ethan ohne Probleme gefunden hatte und er mich, hörte ich ihre Stimme.
 

»Kyle? Kyle, bist du das?«, rief sie und kam auf mich zu.
 

»Wer ist das?«, schnappte Ethan sofort in mein Ohr und stellte sich panisch hinter mich.
 

»Cindy, meine alte Kollegin«, brummte ich zurück und wurde steif. Was sollte ich jetzt tun? Weglaufen? So tun, als wäre ich’s nicht? Oder mich dem stellen?
 

»Kyle, hey«, begann sie und stellte sich direkt vor mich, sodass ich nicht mehr fliehen konnte. »Wo warst du? Du hast gekündigt? Scheiße, was ist passiert? Und wieso siehst du so aus?«
 

»Cindy, ich habe dafür jetzt eigentlich keine Zeit«, sagte ich hastig und deutete Ethan an, er solle einfach schon mal rausgehen.
 

»Und du bist?«, fragte sie auf einmal unfreundlich und drehte sich zu Ethan um. »Sein neuer Freund?«
 

Mein Kollege zuckte. »Sorry, Ma’am, ich bin nur Musiker. Sollte ich Sie kennen?«, sagte er in einem wirklich überzeugenden amerikanischen Akzent.
 

Cindys Augen formten sich zu Schlitzen.
 

»Cindy, bitte, wir müssen jetzt los. Es tut mir leid, dass ich mich nicht von dir verabschiedet habe, aber … es geht hier um was wirklich Wichtiges!«
 

»Das denke ich mir«, murmelte sie. »Wenn du schon so weit gehst und dich verkleidest. Und Ethan auch. Sieht echt doof aus.«
 

Ich wollte schon ansetzen, dass das nur für eine Veranstaltung war, als ich den Atem anhielt. Ethan ebenso.
 

Cindy schüttelte den Kopf und sah mich verzweifelt an. »Wieso hast du das getan, Kyle? Ich habe dich so lange beschützt, wie ich konnte, aber jetzt hast du dich in was reingeritten, was echt gar nicht mehr zu retten ist!«
 

Meine Welt begann zu schwimmen. Und es wurde noch wärmer unter diesem Mantel. Panik brach in mir aus.
 

»Lass mich raten, du hast dich entschieden, mit Wolkow zu gehen, richtig?«
 

»Cindy, wieso –«, begann ich, doch sie schnitt mich ab.
 

»Er war der Weihnachtsmann, oder? Die ganze Zeit tanzte Wolkow vor unserer Nase und haben es nicht gesehen.«
 

»Scheiße, wer sind Sie?«, brach jetzt auch Ethan dazwischen und vergaß dabei ganz seinen amerikanischen Akzent. Nicht, dass es noch etwas genützt hätte.
 

»Ich bin Maggy Jones, Agentin des MI6 und seit Jahren für Kyles Wohlergehen zuständig. Oder eher seiner Überwachung.«
 

»Shit«, entwich es Ethan und ich sah im Augenwinkel, wie er panisch um sich blickte.
 

»Wieso… «, murmelte ich und wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Alles, was ich in all den Jahren hatte, zerbrach tatsächlich in tausend kleine Stücke. Hat mich denn jeder belogen? War denn mein ganzes Leben tatsächlich nur eine Farce?
 

»Ich hab dich wirklich gern, Kyle, aber du hast eine Grenze überschritten, die selbst ich nicht mehr decken kann«, sagte sie traurig und noch immer erschrocken, »All deine Fehler, all deine kleinen Versprecher… all das habe ich nie gemeldet. Aber als du jetzt gekündigt hast, wir die höchste Alarmbereitschaft bekommen haben und das Gerücht rumging, dass du mit Wolkow abhaust… fügte sich für mich alles zusammen. Der Weihnachtsmann und du waren eigentlich Alexej Wolkow und du. Kyle, wieso hast du das getan? War er wirklich so gut im Ficken?«
 

»Oh, wage es nicht, dieses Gespräch auf diesem Niveau zu führen, du verlogene –«, begann ich angeekelt von Cindy – nein Maggy – zu reden und drückte ihr schon den Zeigefinger in die Brust, als Ethan mich am Arm packte.
 

»Wir müssen gehen. Sofort.«
 

»Ihr hättet schon vor langer Zeit gehen sollen«, brach Maggy dazwischen und sondierte ebenfalls die Lage. »Sie sind euch gefolgt. Das Center ist bereits umstellt. Ihr könnt es nur durch das Parkdeck und dann die Notausgänge schaffen. Allerdings kommt ihr dann nicht zur U-Bahn.«
 

Mein Blick verengte sich. Ich konnte einfach niemandem mehr trauen.
 

»Ich helfe dir dieses eine Mal noch«, sagte sie leise zu mir und griff nach meiner Hand. »Aber danach… eröffne ich das Feuer, wenn ich dich sehe.«
 

Meine Augen wurden feucht und ich versuchte alles, nicht zu weinen. Es war nicht der passende Augenblick, aber meine Brust schmerzte so unglaublich tief, dass ich im Moment nicht wusste, wohin ich den Schmerz stecken sollte. Erst als Ethan mich letztendlich von ihr wegriss, schnappte mein Verstand zurück in die Realität.
 

»Wir versuchen es durch das Parkhaus und dann über die Notausgänge. Weißt du, wo wir rauskommen?«, fragte Ethan energisch und zog mich durch die Menschenmassen, die panisch zur Seite sprangen.
 

Ich antwortete nicht sofort, sondern ließ mich einfach durch die Gänge leiten. Als ich auch nach mehreren Sekunden nichts sagte, blieb Ethan abrupt stehen. Hektisch, aber entschlossen sah er in meine Augen.
 

»Ich kann mir vorstellen, dass deine Welt gerade in alle Richtungen zerbricht, aber glaube mir: du hast immer noch mich! Und Alexej! Wir würden dich nicht verraten – jedenfalls kein zweites Mal…«, wurde er mit jedem Wort leiser. Schließlich küsste er mich in aller Öffentlichkeit feste auf den Mund. Der Kuss war kurz und schmerzlos – er sollte mich vermutlich nur wieder zurück in die Realität holen.
 

»Komm jetzt«, knurrte er und packte mich erneut an der Hand, um mich durch die Menge zu ziehen. Noch wurden wir nicht verfolgt; jedenfalls hatte ich noch keine dubiosen Männer an irgendwelchen Ecken stehen sehen, die uns beobachteten. Oder die Tarnung war so gut wie die von Cindy. Maggy.
 

Als wir das Parkhaus erreichten, blieben wir kurz stehen. »Fuck, ich kenn mich hier nicht aus. Kyle – du hast hier drei Jahre gearbeitet. Wohin?«
 

Ich sah mich nervös um und versuchte mich auf irgendetwas zu konzentrieren, was nicht mit Verrat, Lügen oder Betrug zu tun hatte.
 

Auf einmal fuhren Autos rein, die wie unsere Dienstwagen aussahen. Vermutlich, weil es unsere Dienstwagen waren.
 

»Shit«, fluchte Ethan erneut und zerrte mich zur Seite. Wir rannten in irgendeine Richtung, bis ich das Schild der Toiletten sah. Oh, Santa. Wie ich diese Zeit vermisste.
 

»Hier entlang«, rief ich und zog Ethan mit mir. Wir hechteten auf die Toiletten zu und schlossen sofort die Tür.
 

»Klos? Sag mir jetzt nicht, dass du musst!«, schnauzte Ethan extrem angespannt und suchte den Raum ab.
 

»Nein, aber hier ist unser Notausgang«, sagte ich und deutete auf das kleine Fenster hin, was in die Freiheit führte. Ethan stellte sich neben mich und sah raus. Unter uns lagen zwei Stockwerke und eine Menge Schnee.
 

»Wir werden sowas von draufgehen«, murmelte er und versuchte abzuschätzen, wie viele Knochenbrüche wir als Minimum ansehen könnten.
 

»Das schaffen wir schon. Wirf deinen Koffer zu erst. Dann klettern wir an der Hauswand runter so lange wie wir können. Den Rest müssen wir springen.«
 

»Woher wusstest du, dass hier ein Fenster ist? Bist du etwa hier immer auf Klo gegangen? Sieht furchtbar aus…«, fragte Ethan, als ich das Fenster öffnete und er seinen Gitarrenkoffer herunter warf. Er landete mit einem dumpfen Geräusch im Schnee.
 

»Alexej und ich hatten hier Sex«, gab ich knapp zu verstehen und kletterte zuerst aus dem Fenster. Ethan verschlug es die Sprache.
 

»Bitte, was? Hier? Gott, du hast es so wahnsinnig erotisch dargestellt, als du von euren Sexeskapaden erzählt hast, aber das hier? … wirkt überhaupt nicht schön.«
 

»Ist doch egal, oder? Komm jetzt!«, keifte ich und hangelte mich am Fenstersims entlang.
 

Gott, dachte ich, das muss aussehen, als würden wir gerade die Zeche prellen.
 

Neben uns war ein Abflussrohr – eine perfekte Leiter für uns. Ich klammerte mich daran fest und rutschte Stück für Stück runter. Ethan tat es mir gleich.
 

Just in dem Moment hörten wir die Tür zum Klo aufbrechen.
 

»Bleiben Sie sofort stehen!«, riefen die Einsatzkräfte und hielten schon Waffen auf uns.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken, ließ ich los und landete im Schnee. Der war Gott sei Dank tief genug, um den Fall größtenteils abzubremsen. Ethan tat es mir gleich und landete fast auf mir. Die Schützen lehnten sich aus dem Fenster und sondierten kurz die Lage, bevor sie ihre Waffen nach vorne richteten und auf uns schossen.
 

Zwei Tage hintereinander wurde auf mich geschossen. Das war wohl das Zeichen, dass ich mich langsam daran gewöhnen sollte. Gut, dass Nahkampf meine Stärke war.
 

Bevor ich mich wieder zurück in meinen Geist verstecken konnte, um unangenehmen Situationen aus dem Weg zu gehen, zog mich Ethan samt seiner großen Tasche davon und schleifte mich wie einen Sack Reis durch den riefen Schnee Richtung Hauptstraße.
 

»Wenn wir Glück haben, können wir in einen Bus steigen!«, rief Ethan, während die Einsatzkräfte versuchten denselben Weg zu nehmen, wie wir. Die Wetterverhältnisse waren für uns alle ein Hindernis.
 

»In einen Bus? Wohin? Wir haben einen Treffpunkt, wo wir hinmüssen!«, hechelte ich völlig außer Atem, auch wenn wir erst seit wenigen Minuten am Rennen waren. Die Leute um uns herum sahen uns mit großen Augen an. Wir mussten untertauchen und zwar schnell. Die Kleidung wechseln und vorerst unsichtbar werden. Die Kameras würden Freya sofort zu Alexej bringen, sollten wir jetzt schon zum Supermarktparkplatz fahren.
 

»Wann hast du dich mit ihm verabredet?«, fragte Ethan ebenfalls außer Atem, als wir an der Hauptstraße mit noch sehr vielen anderen Menschen standen. Wir alle wollten die Straße überqueren und warteten auf das grüne Licht der Fußgängerampel.
 

»In einer Stunde… Ich wusste nicht, wie schnell wir uns finden würden.«
 

»Umso besser«, raunte er und ging mehrmals durch seine Haare. Die bunte Farbe ging langsam ab. Wie Kreidestaub fielen die Partikel in den weißen Schnee. Jedes Piercing klippte er flink ab und steckte sie in die Tasche.
 

»Wir müssen uns umziehen«, hauchte ich ihm entgegen und beobachtete die Ampel. Sie wurde grün. Hinter uns bisher niemand zu sehen. Ob sie lauerten? Immerhin konnten sie nicht auf offener Straße das Feuer eröffnen.
 

»Ich weiß«, murrte Ethan und zog mich mit sich.
 

Und da das Glück nicht immer auf unserer Seite war, kam natürlich gerade kein Bus. Dafür mehrere Taxen. Ich spielte einfach mal den Helden und warf mich halb vor ein Auto, damit es stehen blieb. Der Fahrer sah mich mit großen, schockierten Augen an.
 

»Sind Sie frei?«, raunte ich ihm durch das geschlossene Fenster entgegen. In der Ferne sah ich dann endlich die Einsatzkräfte näher kommen, die uns seit dem Center verfolgten.
 

Ohne auf seine Antwort zu warten, öffnete ich die hintere Tür und schob Ethan rein. Der Taxifahrer blieb erst einmal stehen und wartete wohl auf unsere Anweisungen.
 

»Fahren Sie einfach! Fahren Sie einfach erst mal los!«, keifte ich aufgeregt und konnte den leicht hysterischen Unterton in meiner Stimme raushören. Ethan hingegen saß ruhig neben mir und starrte auf den Sitz vor ihm. Vermutlich war er nicht mal ansatzweise so ruhig, wie er schien, doch er schaffte es zumindest, den Tumult und das Herzrasen besser zu verstecken als ich.
 

»Shit, Shit, Shit«, murmelte ich wie ein Mantra vor mich hin. »Wohin sollen wir?«
 

Ethan antwortete nicht sofort, sondern starrte noch apathisch vor sich.
 

»Ethan!«, raunte ich ihn an und knuffte ihn in die Seite.
 

Auf einmal zuckte er zusammen, als wäre er aus seiner Schockstarre erwacht. »Äh – wo liegt dein Treffpunkt?«
 

»West End«, hauchte ich und sah nervös zum Taxifahrer. Ich traute niemandem mehr. Ethan und Alexej waren die einzigen Personen, denen ich noch irgendwas anvertrauen würde.
 

»Okay… Okay, dann einfach irgendein Schwimmbad auf der anderen Seite Londons.«
 

»Ein Schwimmbad? Ethan, du hast es aber auch mit mir ins Wasser zu gehen! Was sollen wir denn in einem Schwimmbad?«
 

Er lachte erschöpft auf. »Es ist gesetzlich verboten, Kameras in Schwimmbädern aufzustellen. Dort können wir uns für eine Weile aufhalten und in Ruhe umziehen. Vielleicht auch von dort aus Kontakt zu Alexej aufnehmen.«
 

Ich seufzte erleichtert. »Das ist ein guter Plan…« Also drehte ich mich zum Fahrer. »Haben Sie gehört? Zu einem Schwimmbad irgendwo weit weg vom West End. Vielleicht in der Nähe vom City Airport.«
 

Der Taxifahrer nickte unsicher. »S-Sind Sie in Schwierigkeiten? Ich… ich will nicht irgendwie –«
 

»Nein, alles gut«, unterbrach ich ihn. »Bringen Sie uns einfach dahin, wohin wir wollen, wir werden Sie bezahlen und Sie werden uns nie wieder sehen.«
 

Der junge Mann mit arabischen Wurzeln nickte erneut und fuhr uns aus der zentralen Stadt raus.
 

Ethan und ich schlossen zeitgleich die Augen und versuchten uns zu beruhigen. Ich haderte einige Momente mit mir, ob ich Alexej schreiben sollte. Aber ich entschied mich dagegen und wartete, bis wir in Sicherheit waren.
 


 

Letztendlich fuhren wir in ein riesiges Schwimmbad im Olympiapark. Natürlich waren hier tausend Kameras.
 

Ethan und ich stiegen trotzdem aus und versuchten uns so bedeckt wie möglich zu halten. Der Gitarrenkoffer war natürlich sehr auffällig und zog auf einmal mehr Aufmerksamkeit auf sich, als ursprünglich gewollt.
 

Schnell holten wir uns ein 4-Stunden Ticket und gingen rein. Dort waren kleine Shops mit Bade- und Sportkleidung. Wir deckten uns mit neuen Hoodies und Trainingshosen ein. Der ganze Spaß hatte ein Vermögen gekostet und ich befürchtete, dass sich mein Erspartes nicht lange halten würde, sollten wir weiterhin so achtlos und unvorsichtig durch die Weltgeschichte streifen. Davon abgesehen, dass wir auch sterben könnten, sollten wir nicht besser planen.
 

In einem Gymnastikbereich setzten wir uns kurz hin und sahen den Menschen beim Schwitzen zu. Uns war vorerst nach Ruhe. Ethan holte uns sogar einen Kaffee. Einfach, um die Nerven zu beruhigen.
 

»Schreibst du ihm?«, fragte er, als er mich an meinem Prepaidhandy tippen sah.
 

»Ja, aber ich weiß noch nicht ganz, was. Ich will es kurz halten, aber wenn ich ihm jetzt nur schreibe, dass was schiefgelaufen ist, macht er sich unnötig Sorgen…«
 

»Unnötig?«, wiederholte Ethan etwas empört und zog beide Augenbrauen hoch. »Uns hängt gerade der komplette MI6 auf den Fersen. Du weißt, was wir für Leute bei uns haben. Ein Alexej Wolkow würde uns ganz gut tun.«
 

»Er ist nicht so, wie ihr ihn alle immer darstellt«, murmelte ich und dachte an die ganzen zärtlichen Berührungen, die er mir geschenkt hatte. Jedoch musste ich auch an die Razzia bei Mr. Green denken und wie er jeden einzelnen mit einem Kopfschuss erledigt hatte. Vermutlich war es wie immer nicht einfach nur Schwarz oder Weiß, sondern das gute alte Grau. Wie alles bei Alexej. Der Mann steckte voller Geheimnisse.
 

»Wusstest du, dass er Arzt ist?«, sagte ich gedankenverloren und tippte immer wieder ein paar Wörter, nur um sie wieder zu löschen.
 

»Wer? Alexej?«
 

»Ja«, nickte ich und sah Ethan in die Augen. »Er hat meine Schusswunde genäht. Und sich selber.«
 

»Du wurdest angeschossen?«, fragte Ethan voller Entsetzen und musterte mich von oben bis unten. »Wo?«
 

»An der Schulter, nicht schlimm. Jedenfalls nicht so schlimm wie Alexej. Den hat’s echt übel erwischt… Direkt an der Seite.« Damit fuchtelte ich an meiner eigenen Seite des Oberkörpers rum und versuchte Ethan deutlich zu machen, dass das kein Spaß war. Der saß einfach nur völlig perplex vor mir und vergaß völlig seinen Kaffee, den er eigentlich gerade trinken wollte.
 

Schließlich verfielen wir in ein angespanntes Schweigen, in dem ich endlich eine SMS verfassen konnte.
 

»Ich habe Ethan getroffen, allerdings wurden wir entdeckt. Sind jetzt geflüchtet, aber sie kennen unsere Verkleidung. Ziehen uns um und kommen dann zum Supermarkt.«
 

Da Alexej normalerweise nicht sofort antwortete, legte ich das Handy weg und trank genüsslich meinen Kaffee. Dabei beobachtete ich die anderen Menschen, wie sie sich beim Sport anstrengten. Ethan sah immer noch kreidebleich auf den Tisch. Vermutlich ging er mit der Lage wohl doch nicht so gut um, wie ich dachte.
 

Mein Handy vibrierte früher als gedacht.
 

»Sag mir, wo ihr seid, ich komme euch holen.«
 

»Oh nein«, seufzte ich und schüttelte langsam den Kopf. »Er schmeißt den Plan hin.«
 

»Wieso?«, hakte Ethan leise nach, als er anfing, unsere alten Sachen in seine Gitarrenbox zu stopfen. Es war nicht mehr viel Platz, aber Irinas Schal und sein Oberteil gingen noch rein.
 

»Wir wollten uns am Parkplatz im West End treffen und dann aus London raus. Jetzt will er die ganze Strecke hier raus fahren und uns abholen!«
 

»Ist doch gut«, murmelte mein Freund und trank seinen Kaffee aus. »Wenn wir eh aus London raus wollen, ist das hier schon mal ein guter Anfang. Was bringt es uns, noch einmal reinzufahren, um dann wieder rauszufahren? Die Wahrscheinlichkeit, dass uns dann jemand sieht, ist viel höher, als wenn er einfach im geschlossenen Auto zu uns kommt.«
 

Ich knibbelte an meinen Fingernägeln. Sie waren mittlerweile abgestumpft und abgebrochen. »Ich weiß nicht…«
 

»Kyle, was… was macht dich jetzt schon wieder so nervös?«
 

»Ich will ihn einfach in nichts reinreiten.«
 

»Aber uns?«
 

Ethan wurde von Sekunde zu Sekunde unangenehmer. Er hatte Angst und das war okay – ich hatte ja auch Angst! Aber irgendwie sagte mir mein Bauchgefühl, dass wir hier nicht ganz so sicher waren, wie gedacht. In der Innenstadt könnte man gut in der Masse untertauchen. Hier lagen wir auf einem Präsentierteller. Doch vielleicht reagierte ich auch über und nickte schließlich.
 

»Na gut«, murmelte ich und schickte Alexej unseren Standpunkt. Darauf kam dann keine Antwort mehr und ich wartete nervös die weiteren Minuten bis zu seiner Ankunft ab.
 


 

Ich konnte nur hoffe, dass alles gut gehen würde.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry, heute mal etwas später :<

Aber morgen dann wieder etwas früher, versprochen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Jitsch
2018-12-22T16:46:55+00:00 22.12.2018 17:46
Wow, jetzt geht es ja drunter und drüber. Mit Cindy als Agentin hatte ich nicht wirklich gerechnet, auch wenn Kyle es ja sogar schon mal vermutet hatte. Dass man ihm schon so lange eine Aufpasserin verpasst hat heißt wohl dass man ihm von Anfang an nicht vertraut hat? Oder ist das normal dass alle Agenten noch von einem anderen Agenten überwacht werden?

Ich bin echt besorgt ob das alles gut geht. Ich hoffe es aber!


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