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Schwarz-Weiße Weihnacht

von

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4.Dezember

„Omi? Hast du an die Sachen für die Spendenaktion gedacht? Die Sachen werden heute Nachtmittag abgeholt.“

Omis Kopf ruckte nach oben. Irgendwo am Rande seiner Wahrnehmung registrierte er, dass ihm ein Spuckefaden am Mundwinkel klebte. Unauffällig versuchte er, ihn abzuwischen. Seine Mitschülerin sah ihn aus großen, fragenden Augen an. Natürlich nicht. Natürlich hatte er vergessen, dass die Sachen heute Nachmittag abgeholt werden sollten, um sie in der kalten Jahreszeit noch rechtzeitig an die Obdachlosen zu verteilen. Trotzdem nickte er mit dem Kopf und setzte ein breites Lächeln auf.

„Natürlich. Die Sachen sind alle in meinem Spind. Ich äh...gehe sie gleich holen. Einen Augenblick. Bin gleich wieder da!“

Rückwärts gehend und weiterhin lächelnd bewegte er sich auf die Tür zum Klassenraum zu. Nur nicht blinzeln und keine Angst zeigen. Das war wie mit wilden Hunden. Wenn man denen den Rücken zudrehte und rannte, hatte man binnen kürzester Zeit ihre Zähne in den Waden.

Auf dem Flur ließ er alle Vorsicht fahren, wirbelte herum und stürmte den langen Gang entlang. Er musste sofort ins Koneko zurück und die abgelegte Kleidung holen, um die er die anderen gebeten hatte. Wenn er sich beeilte und nicht noch von einem Lehrer erwischt wurde, könnte er rechtzeitig zum Nachmittagsläuten wieder zurück sein.

 

Die Reifen seines Bikes drehte auf dem glatten Asphalt durch, als er in halsbrecherischem Tempo durch die Straßen raste. Schlitternd kam er zum Stehen, ließ das Motorrad achtlos in den Schnee fallen und stürmte in den Blumenladen. Die Glocke über das Ladentür wurde fast aus ihrer Verankerung gerissen und brach in protestierendes Gebimmel über die rüde Behandlung aus. Yoji, der offensichtlich gerade ein Nickerchen auf dem Ladentisch gehalten hatte, schreckte hoch und sah sich kampfbereit um. Als er erkannte, wen er vor sich hatte, wurde seine Miene ärgerlich.

„Bist du verrückt geworden, Omi? Ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Wenn du mich so erschreckst, kriege ich noch Haarausfall. Was soll denn die Damenwelt dazu sagen?“

Omi überging den selbstverliebten Kommentar.

„Die Sachen!“, stieß er hervor. „Die Sachen für die Kleidersammlung! Wo?“

 

Yoji runzelte kurz die Stirn, dann erhellte sich seine Miene. „Ach, du meinst die alten Klamotten? Die haben Ken und ich vor die Tür gelegt. Er wollte dich heute Morgen eigentlich noch daran erinnern, aber du warst so schnell weg.“

„Hatte einen Mathetest“, erklärte Omi über die Schulter hinweg. Er war schon halb die Treppe zur Wohnung hinauf gestürzt. Unsicher drehte er sich noch einmal herum. „Vor den Türen sagst du?“

„Jaahaa!“, kam es genervt zurück. „Und jetzt stör mich nicht mehr, du Zwerg. Erwachsene Leute haben hier zu arbeiten.“

 

Omi rollte nur mit den Augen. Er konnte sich schon vorstellen, wie Yojis Arbeit in diesen Tagen aussah. Rauchen, schlafen, Kaffee trinken. Eierpunsch hatte Aya sehr zu Yojis Bedauern nämlich verboten. In diesen Tagen Anfang Dezember war oft noch nicht viel los. Das würde sich zum Weihnachtsfest hin sicherlich noch ändern. Aber darüber konnte er sich später Gedanken machen. Jetzt brauchte er erst einmal die Sachen.

 

Tatsächlich, vor den Türen seiner Teammitglieder lagen kleine, weiße Plastiktüten. Die von Yoji war ziemlich groß, die von Ken etwas kleiner. Er raffte sie zusammen und wollte schon wieder nach unten stürzen, als sein Blick auf eine dritte Tüte vor Ayas Tür fiel. Sie war im Gegensatz zu den anderen geradezu winzig. Er zögerte. Es war unerwartet, dass Aya sich an der Aktion beteiligen wollte. Eigentlich vollkommen ausgeschlossen. Und doch lag dort diese Tüte vor der Tür. Er schlich zu ihr hin und lugte hinein. Gleich zuoberst entdeckte er diesen orangen Rollkragenpullover, den er Aya schon oft hatte tragen sehen. Yoji hatte ihn fast jedes Mal damit aufgezogen, dass sein Modegeschmack dem einer blinden Schildkröte bei Neumond glich. Vielleicht hatten die Kommentare gewirkt.

Omi warf einen prüfenden Blick auf die anderen zwei Tüten. Eigentlich hatte er schon mehr Sachen, als er gefahrlos bei diesem Wetter auf dem Motorrad transportieren konnte. Aber Ayas milde Gabe hier zurückzulassen, käme einem Affront ungeahnter Größe gleich. Er musste wenigstens einen Teil der Sachen mitnehmen.

Entschlossen griff er nach dem orangen Pullover und stopfte ihn zu Kens Sachen in die Tüte.

„Das wird reichen“, befand er. Er packte die Tüten fester und stürmte die Treppe hinunter und durch den Laden an Yoji vorbei, der sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und die Sonnenbrille vor die Augen geschoben hatte.

„Fahr vorsichtig“, rief der große Blonde ihm noch nach, während die Türglocken erneut heftig vor sich hin bimmelte, aber das hörte Omi schon nicht mehr.

 

 

 

Omi saß gerade mit Ken und Yoji beim Abendessen, als Aya die Küche betrat.

„Hast du meine Sachen aus der Reinigung geholt, Yoji?“

Der Angesprochene verdrehte die Augen. „Dir auch einen schönen guten Abend, Aya. Ja natürlich habe ich das. Die Sachen liegen vor deiner Tür.

„Aber ein Pullover fehlt. Der orange.“

 

Omi hatte in dem Moment aufgehört zu kauen, als er das Wort „Reinigung“ gehört hatte. Vor seinem geistigen Auge entstand das Bild der Tüte, die vor Ayas Tür gelegen hatte. An der Seite war eine blaue Aufschrift gewesen in genau der Schriftart, in der immer die Tüten von der Reinigung beschriftet waren. Er schluckte schwer an seinem Mund voller Nudeln. Aus seinem Gesicht war alle Farbe gewichen.

Über den Tisch hinweg traf sich sein Blicks mit Yojis. Sein Teamkollege sah ihn an und schien binnen Sekunden Zwei und Zwei zusammenzuzählen. Ein Hoch auf Yojis messerscharfen Verstand, auch wenn er ihn selten genug benutzte.

„Ich...ähm...ich glaube, der war noch nicht fertig“, log Yoji ohne mit der Wimper zu zucken und zauberte ein entschuldigendes Lächeln auf seine Züge. „Ich werde morgen gleich noch einmal hingehen und nachfragen.“

„Nicht notwendig“, brummte Aya. „Gib mir einfach den Abholschein.“

„Ja...weißt du...den habe ich verloren. Ich werde wohl persönlich hingehen müssen, um die Sachen abzuholen. Tut mir wirklich leid Aya. Ich weiß ja, wie sehr du an dem scheußlichen Teil hängst.“

Aya murmelte etwas über Yojis Unzuverlässigkeit, nickte dann knapp und verließ die Küche.

 

Kaum war er verschwunden, fasste Yoji Omi scharf ins Visier und auf seinem Gesicht stand mit sehr deutlichen Buchstaben geschrieben: „Sieh zu, dass du den Pullover wiederbekommst! Ansonsten sind wir beide tot.“

 

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Promt: einem Bedürftigen helfen
Musik: „Jingle Bells“ - Bing Crosby https://www.youtube.com/watch?v=7pgwu9Pyy9c Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2018-12-04T06:35:09+00:00 04.12.2018 07:35
Orrr, Omi! :D So ein wundervolles Türchen - Yoji und Omi sind im wahrsten Sinne Partners in Crime xD (über die blinde Schildkröte bei Mitternacht muss ich immer noch lachen :‘D)

Ich möchte einfach nochmal vielen Dank für deinen schönen Adventskalender sagen :3 du versüßt mir hier jeden Tag!
Antwort von:  Maginisha
04.12.2018 08:06
Ha, gerne doch. Ich hatte beim Schreiben auch unglaublich viel Spaß.

Wobei mich dein Review drauf bringt, dass es wohl eigentlich"um Mitternacht" heißen müsste. Alternativ "bei Neumond". Das sollte ich vielleicht noch mal ändern. ^_~


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