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Schwarz-Weiße Weihnacht

von

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5.Dezember

„Was tun wir hier?“ Nagis Stimme schwankte zwischen Neugier und Verachtung. Normalerweise fand der Teenager es nicht weiter schwierig, die Aktivitäten seiner Teamkollegen größtenteils aus seinem Leben auszublenden. Doch jetzt, da man ihn in ein Auto verfrachtet und einen nicht unerheblichen Zeitraum lang durch die Gegend kutschiert hatte, wollte er doch wissen, warum sie jetzt hier am sturmdurchwühlten Meer standen, auf dem, wenn er es richtig sah, sogar kleine Eisstückchen schwammen. Vielleicht war es aber auch nur Müll, den die Flut angeschwemmt hatte. Fest stand jedoch, dass es einfach viel zu kalt war, um hier im eisigen Wind herumzustehen. Zumindest, wenn es keinen triftigen Grund dafür gab. Und er vermutete stark, dass es den nicht gab.

„Farfarello wollte ans Meer“, gab Crawford knapp zurück.

Nagis Stirn schlug nur noch größere Falten. Dann hatte er es also Farfarello zu verdanken, dass er hier bis über die Ohren eingemummelt stand und trotzdem fror wie ein sprichwörtlicher Schneider? Er schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Multikulturelle Erziehung war keine Erfahrung, die er unbedingt hätte machen müssen, wenn es nach ihm gegangen wäre. Aber ihn fragte ja keiner. Auch nicht, ob er jetzt vom einigermaßen warmen, auf jeden Fall aber windgeschützten Auto auf den Strand stapfen wollte. Es wurde einfach vorausgesetzt, dass er es tat. Erwachsene waren manchmal wirklich zum Kotzen.

„Und was wollen wir hier?“, wagte er noch einmal einen Vorstoß. Vielleicht gab ihm die Antwort ja einen Vorwand, um zum Auto zurückzukehren.

„Es hat etwas mit Weihnachten zu tun“, lautete die Antwort, die er schon die ganze Zeit gefürchtet hatte. Natürlich, was auch sonst. Die beiden gebürtigen Europäer in seinem Team waren, seit der Dezember begonnen hatte, vollkommen neben der Spur. Zum Glück hielt sich wenigstens Crawfords Vorliebe für den ganzen Hokuspokus in Grenzen. Schuldig und Farfarello hingegen...

 

„Wir sind da“, verkündete der Ire, als sie fast das Meer erreicht hatten. Mit stoischem Blick sah er auf das Wasser hinaus. Die schmale Silhouette, die fahle Haut, die hellen Haare, all das bildete einen eigenartigen Kontrast zu den grauen Wellen im Hintergrund. Seine ganze Gestalt schien irgendwie von innen heraus zu leuchten. Vielleicht waren das aber auch nur die Tränen, die die Kälte Nagi in die Augen trieb. Er blinzelte und sah sich um.

 

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte Nagi keinen blassen Schimmer, wo „da“ sein sollte. Hier gab es nichts außer Sand und eiskaltem Wasser. Es entzog sich seiner Kenntnis, was das jetzt mit Weihnachten zu tun haben sollte. Nicht, dass er dem Fest eine große Bedeutung zugemessen hätte. Er war kein Kind mehr und erwartete bestimmt keine Geschenke von einem dicken Mann im roten Mantel. Und für ein richtiges, japanisches Weihnachtsfest fehlte ihm die Freundin. Seine Landsleute feierten an diesem Tag ja eher eine Art zweiten Valentinstag. Was also sollte er hier an diesem verdammten Strand?

Er verstand ja, dass man in warmen Gegenden wie Hawaii oder Australien Weihnachten am Meer feierte. Aber sie waren nicht auf Hawaii und außerdem hatte niemand eine Picknickdecke oder einen Sonnenschirm dabei. Wobei letzterer auch wirklich vollkommen fehl am Platz gewesen wäre. Der Himmel hing voller schwerer Wolken und wahrscheinlich würde es innerhalb der nächsten Minuten erneut anfangen zu schneien. Dieses verdammte Tief, das es sich über Japan gemütlich gemacht hatte, raubte ihm noch den letzten Nerv. Missmutig stopfte er die Hände in die Taschen und musterte Schuldig und Farfarello, die jetzt vorne ans Wasser getreten waren.

 

„Nun spuck es schon aus“, sagte Schuldig gerade. „Was wollen wir hier? Ich hoffe, du hast nicht vor...“

Der rothaarige Deutsche, dem der Wind die langen Haare um die Ohren peitschte, unterbrach sich, um seinen Nebenmann aus großen, entsetzten Augen anzusehen. Anschließend hob er abwehrend die Hände.

„Vergiss es! Da kriegen mich keine zehn Pferde rein. Weißt du, wie kalt das ist? Das ist lebensgefährlich!“

Farfarello, der bereits begonnen hatte, sich auszuziehen, sah aus wie ein kleiner Hund, den man getreten hatte. Nagi lag jegliches Mitleid mit anderen Menschen oder gar kleinen Tieren fern, aber dieser Anblick schaffte es beinahe, ihm einen kleinen Stich zu versetzen. Beinahe!

„Aber du hast es versprochen“, sagte Farfarello und klang dabei wie ein Kind, dem man gerade eröffnet hatte, dass es weder den Weihnachtsmann noch den Osterhasen oder gar die Zahnfee gab. „In Irland wird immer ein traditionelles Weihnachtsbaden veranstaltet.“

„Ja, weil ihr alle 300 Tage im Jahr besoffen seid“, motzte Schuldig und sah ernsthaft sauer aus. „Wenn das mal reicht. Mit acht bis zehn Glühwein im Kopf kann man schon mal auf komische Ideen kommen. Aber ich bin gerade weder betrunken noch lebensmüde genug, um mich auf diesen Schwachsinn einzulassen. Also, wenn du baden willst, wünsche ich dir viel Spaß. Aber glaube ja nicht, dass ich deinen bleichen Hintern nachher aus dem Wasser fische. Dazu bezahlt Crawford mir nicht genug.“

 

Schuldig steckte nun ebenfalls die Hände in die Manteltaschen und stellte sich neben Nagi. Für ihn war die Sache anscheinend erledigt. Farfarello, der inzwischen mit nacktem Oberkörper im eisigen Wind stand, sah Crawford an. Der schüttelte ebenfalls den Kopf.

„Ich muss kein Hellseher sein, um eine dicke Erkältung zu prophezeien, wenn ich mich darauf einlasse. Außerdem habe ich keine Badehose dabei.“

Nagi machte sich nicht mal die Mühe, die unausgesprochene Frage mit Worten zu beantworten. Sein Gesichtsausdruck reichte vollkommen aus, um klarzumachen, was er von der Sache hielt. Farfarello presste die Lippen aufeinander. Anscheinend war Nagis Botschaft angekommen. Der sehnsüchtiger Blick des Einäugigen wanderte noch einmal zum Meer.

 

Schuldig, der anscheinend nicht so abgebrüht gegen Farfarellos Leidensmiene war, gab sich einen sichtlichen Ruck.

„Komm schon, wir finden eine andere Weihnachtstradition für dich“, rief er, „Was tut ihr Iren denn noch außer trinken und dann betrunken baden gehen?“

„Essen“, antwortete Farfarello, während er sich wieder anzog. Es hatte inzwischen zu schneien begonnen. Wenn Nagi genau hinsah, konnte er sehen, wie die Schneeflocken für einen Augenblick auf Farfarellos Haut liegenblieben, bevor sie schmolzen. Wäre er ein normaler Junge gewesen, hätte er das sicherlich gruselig gefunden. So rollte er nur mit den Augen und hörte nur noch mit halben Ohr zu, wie Schuldig dem kaltblütigen Killer mit dem Hundeblick versprach, dass sie alle zusammen ein festliches Weihnachtsessen als Wiedergutmachung veranstalten würden. Insgeheim fragte Nagi sich, wer eigentlich an ihm Wiedergutmachung leisten würde. Immerhin hatte er gerade wertvolle Lebenszeit damit verschwendet, an einem menschenleeren Strand herumzustehen und war nur knapp dem Anblick eines nackten Farfarello entgangen. Er fand, dass ihm dafür auf jeden Fall ein Schadensersatz zustand. Wenn sie wieder zu Hause waren, würde er mit Crawford darüber sprechen. Wenn seine Zähne aufgehört hatten zu klappern.

 

 

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Prompt: Weihnachten am Strand
Musik: „Little drummer Boy“ - Boney M https://www.youtube.com/watch?v=IRDLsEJYTBU Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2018-12-05T08:18:14+00:00 05.12.2018 09:18
Uh, ich bin spät dran heute! xD Ein klasse OneShot - ich hab wirklich gedacht, Schuldig lässt sich doch noch auf das Anbaden ein ... das wäre was gewesen :O Vielen Dank für das schöne Türchen (und nein, Nagi, du tust mir nicht leid :‘D)!
Antwort von:  Maginisha
05.12.2018 10:06
Nagi tut dir nicht leid? Der Arme...er weiß ja noch nicht, was ihn noch alles erwartet. (Er schreit aus dem Hintergrund, dass er das doch weiß und nicht amüsiert ist. :D)

Morgen dann erst mal wieder weiter bei Weiß. ;)
Antwort von: abgemeldet
07.12.2018 06:53
Oh Mist, jetzt hör ich das auch! xD


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