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Der längste Weg nach Hause

It's never too late
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zu Kapitel 3!

Ich weiß, dass es sehr lange auf sich hat warten lassen, wofür ich mich vielmals entschuldigen möchte.

Es hat sich quasi über Nacht ergeben, dass ich umziehe. Aus diesem Grund ist meine Zeit wirklich knapp bemessen.

Der Titel des Kapitels ist übrigens eine Anspielung auf den Zauberer von Oz: (Nicht mehr) in Kansas zu sein, bedeutet in der Filmgeschichte den Übergang in eine bessere (manchmal aber auch in eine schlechtere) Welt.
(Zumindest habe ich mir das schön zusammen recherchiert, als ich Kansas für meine Zwecke hübsch ausschlachten wollte. Mwuhahaha.).

Ich wünsche euch viel Spaß mit diesem Kapitel – mehr optionales Dino-Gelaber gibt es wie immer am Ende. Komplett anzeigen

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Sehnsucht nach Kansas

It's never too late to start all over again

To love the people you caused the pain

And help them learn your name

Oh, no, not too late

It's never too late to start all over again

 

*

 

Knapp zweieinhalb Stunden zermürbenden Schlafes endeten mit einem Schockstart. Deans Hormonpegel schaltete so plötzlich auf Jagdmodus, als habe ihm jemand die Pistole an den Kopf gesetzt.

 

Alptraum, dachte er, als sein Bewusstsein den Soldateninstinkt überwand und er aufhören konnte, den Raum reflexartig nach Feinden abzusuchen. Stöhnend ließ er sich ins Kissen fallen; die Nachwehen des Traumes (und des gestrigen Tages) drückten ihn wie eine bleierne Niederlage zurück in die durchgelegene Matratze. Grauer Tagesanbruch und das trübselige Flackern einer Straßenlaterne stahlen sich durch die vergilbten Vorhänge des Motelzimmers, während Dean mit weit geöffneten Augen auf dem Rücken lag und seinem eigenen Herzschlag lauschte.

Das Ende seiner Nacht überraschte ihn nicht; schon sein Leben lang bedeuteten ein Tag auf der Straße und der dazu passend unruhige Schlaf die Vorbereitung auf die schlimmsten aller Gegner. Alpträume gehörten dazu, wie ein unliebsames Ritual zur Einstimmung auf die Jagd.

 

Sein Puls normalisierte sich allmählich. Dean fühlte sich wie durch den Fleischwolf gedreht. Selbst jetzt, im Aufwachen, kreisten seine Gedanken unaufhörlich um das Gespräch mit Cas. Er gab die Versuchung auf, sich noch einmal für ein paar Stunden im Bett herumzudrehen und begann den Donnerstag um unmenschliche sechs Uhr in der Früh. Das Gefühl, sich auf einen besonders kniffligen und risikoreichen Fall vorzubereiten, blieb; auch, als er sich wusch und anzog. Seine trüben Gedanken, die ihm wiederholt einflüsterten, er habe in seiner Rolle als Bruder und (bester?) Freund versagt, ließen wenig Raum für Hoffnung. Sein konditionierter Körper und seine Instinkte widersprachen jedoch in ungeahnter Einvernehmlichkeit.

 

Es fühlt sich wie ein Fall an, also geh's auch an wie einen!, dachte er und betrachtete seine blutunterlaufenen Augen flüchtig im Spiegel über dem Waschbecken. Dean fügte sich. Cas war es wert, dass man ihn nicht aufgab. Egal, wie oft Dean dabei verlor.

 

Wenn überhaupt irgendjemand irgendetwas wert ist, dann Cas.

 

Seine Morgenroutine wurde bald von einer netten Prise Übelkeit begleitet, die die Erinnerung an den gestrigen Schmerz in seiner Körpermitte zurückholte. Dean zwang sich die Zahnbürste in den Mund und atmete den Würgereiz durch die Nase fort. Tatsächlich half der frische Geschmack seiner Lieblingszahnpasta etwas gegen das flaue Gefühl und als er nach dem Zähneputzen auf gut Glück eine Hand voll Schmerzmittel hinunterwürgte, redete er sich bereits ein, dass auch alle körperlichen Beschwerden verschwänden, wenn er nur endlich mit Cas sprechen könnte. Wenn er dieses eine Problem löste, wenn er die Sache mit Cas ins Reine brachte, dann ergab sich auch alles Weitere. So einfach.

 

Er musterte sein Spiegelbild so scharf, als erwartete er von ihm ein aufmunterndes Wort für den Tag.

Hast schon mal besser ausgesehen, musste er zugeben, und gab sich deshalb mit seinen Haaren noch ein klein wenig mehr Mühe als sonst. Als er eine Hand voll Haargel in den Spitzen verteilte, war Dean plötzlich froh, dass Sam ihn in diesen Kampf einmal nicht begleitete, nichts von seiner Nervosität mitbekam.

 

Kaffee wäre ein Plan, dachte er dann, beinahe versöhnt mit seinem übernächtigten Spiegelbild, obwohl allein der Gedanke an den flüssigen Lebensretter ihm bereits die Säure nach oben trieb. Die Aussicht, auf seine morgendliche Dosis Koffein verzichten zu müssen, machte ihn allerdings unvorstellbar aggressiv, ohne dass er sich erklären konnte, woher er mit so wenig Schlaf die Energie für so viel Wut nahm.
 

Kaffee. Okay. Und dann ... auf zur Jagd.

 

Eine Befragung, so könnte man es nennen, im Falle ‚Cas‘. Das Monster hatte hierbei viele Gesichter und noch war er nicht ganz sicher, wie er es am besten bei den Hörnern packen sollte. Sofern er es wirklich wagte, sich ihm zu stellen. Für den Moment schien es ein guter Anfang zu sein, sich auf den Weg zu seinem einzigen Zeugen zu machen. Baby brauchte eine neue Tankfüllung. Dean brauchte Kaffee. Das Gas-n-Sip war gleich um die Ecke. Cas hoffentlich auch. Vielleicht würde er den Engel auf dem Weg dorthin treffen, würde zumindest erfahren, aus welcher Richtung er jeden Tag zur Arbeit aufbrach.

 

 

*

 

Im Auto tätschelte Dean abwesend das Armaturenbrett, bevor er den Motor startete. Der Geruch der Ledersitze, dem immer ein Hauch von Schwarzpulver anhaftete, beruhigte ihn etwas. Es tat gut, dass Baby ihn auch auf dieser Jagd begleitete. Sie gab ihm Sicherheit und hielt sich treu und demütig mit vielsagenden Blicken und derben Sprüchen zurück.

 

Hatte Sam nicht gestern gesagt, er solle sich nicht so anstellen? Oder war das Dad gewesen? Der Dad aus seiner Erinnerung, der sich gelegentlich in seinem Bewusstsein meldete, wenn Dean in seinem Leben nicht weiterkam. Manchmal war es verführerisch, auf ihn zu hören, einfach blind seinen Befehlen zu folgen, so wie er es früher getan hatte; manchmal waren seine Ratschläge praktisch.

Vielleicht sollte er weniger denken und Cas einfach mit der Schrotflinte aus dem Wagen eins überziehen? Ihn in den Kofferraum werfen? Weniger reden, denn offenbar kam er damit nicht weit – selbst, wenn er es versuchte. Mehr Handeln.

Er sah Cas schon gefesselt und geknebelt und mit weit aufgerissenen Augen vor sich. Er sah sich in das nächstbeste Tattoostudio fahren und einen gesichtslosen Tätowierer jede Sigille, jedes Schutzsymbol gegen rachsüchtige Engel auf Cas‘ Körper stechen, das Dean kannte.

Er sah sich selbst, wie er Cas‘ nackten Oberkörper mit Hexenbeuteln und Talismanen schmückte.

Ob Cas nach den paar Tagen in Idaho wohl immer noch so dünn war?

 

Und dann –

 

Er blinzelte das beschämend deutliche Bild von Cas' markantem Schlüsselbein unter Ketten und Anhängern fort und beendete den Tagtraum mit dem, worauf es ankam:

 

Und dann …

 

… würde er Cas mit nach Hause nehmen.

 

Als ob. Viel zu einfach.

 

Sein Blick fiel auf die Einkaufstüten neben sich und auf eine leicht lädierte Postkarte auf dem Sitz darüber. Beim Schreiben hatte er so fest mit dem Bleistiftstummel aufgedrückt, dass er auf der bedruckten Seite einige Buchstaben ausmachen konnte. Das große C von Cas‘ Namen, zum Beispiel, stach der Ente spiegelverkehrt direkt durch den Flügel. Dean griff nach der Karte und steckte sie in die Innentasche seiner Jacke, um sie nicht mehr sehen zu müssen. Dann löste er die Handbremse, legte den ersten Gang ein und fuhr los.

 

Berufsverkehr in Rexford war nicht übermäßig beeindruckend, aber durchaus vorhanden. Die zwei Straßen bis zur Tankstelle kam er problemlos durch, aber an den Tanksäulen musste er tatsächlich einen Moment warten, bevor etwas frei war.

 

Er sah sich nicht die ganze Zeit um, nein, oder zumindest gerade nur so häufig, wie um sicher sein zu können, dass Cas nicht in seiner Anwesenheit das Gelände betreten hatte.

 

Dean tankte den Impala voll und während er unauffällig und natürlich rein zufällig durch die Scheibe in den Laden schielte, zog er in Erwägung, Baby noch eine Runde durch die Waschstraße zu gönnen, sollte er Cas nicht spätestens entdecken, wenn er zahlte. Zeit schinden, so gut es eben ging – ganz ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Die Tatsache, dass er im Normalfall eher Schrot essen, als den Impala anders als von Hand zu reinigen, ignorierte er.

 

Ein Blick auf die Uhr am Handgelenk verriet Dean, dass es gerade halb 8 war. Cas hatte gestern lange gearbeitet. Vielleicht fing er heute etwas später an, oder er hatte sogar einen freien Tag?

 

Verdammter Mist.

 

Wieso hatte Cas das nicht erwähnt? Deans Puls beschleunigte sich minimal bei der Überlegung, dass Cas ihm solche Details womöglich vorenthielt, um ihm aus dem Weg zu gehen. Es tat weh, dagegen halfen auch die vorsorglich geschluckten Massen an Schmerzmitteln nichts. Wenigstens war die Übelkeit für den Moment verschwunden.

 

Dean schloss den Tank mit behutsamem Nachdruck. Nein, an Baby würde er seine verwirrenden Gefühle nicht mehr auslassen; das hatte sie nicht verdient. Mit immer noch klopfendem Herzen kehrte er an den Ort der gestrigen Niederlage zurück. Und dort war Cas.

 

Die blauen Augen hatten ihn längst gefunden: Das Funkeln in ihnen jagte Dean einen Schauer über den Rücken. Cas mied seinen Blick heute nicht.

Das war gut. Die altbekannte Intimität in ihrem stummem Austausch fehlte irgendwie, aber wenigstens sah er ihn offen an. Es verschlimmerte die Ungewissheit der Situation überraschenderweise ungemein. Abstand, trotz Nähe. So sehr es auch eine Erleichterung war, Cas endlich wieder vor sich zu haben, zu wissen, dass er sich seit der letzten Nacht nicht aus dem Staub gemacht hatte, so unvergleichlich schwierig war es auch, der Distanz in seinen Augen zu begegnen.

 

Ja, es konnte wohl sein, dass er sich ein klein wenig verloren ohne Cas vorkam. Vielleicht ergab sich das mit der Zeit einfach, wenn man von jemandem aus der Hölle gezogen und von Grund auf wieder zusammengeflickt worden war. Und dann Jahr um Jahr damit verbrachte, eine enge Freundschaft zueinander aufzubauen. Vielleicht fühlte er sich deshalb so hilflos. In gewisser Weise war ihr Aufeinandertreffen am Vortag offener gewesen, hatte mehr Möglichkeiten beinhaltet; alles hätte passieren können.

 

Wir hätten jetzt um die Zeit schon in Wyoming sein können, fast in Kansas.
 

Aber Cas hatte sich dazu entschieden, Dean fortzuschicken, ihn nicht anzuhören. Sein gutes Recht, nach allem, was vorgefallen war. Aber es gab dem heutigen Wiedersehen eine gewissen Note, die bitter zu schlucken war. Beste Freunde. Dean war sich inzwischen sicher, dass sie das einmal gewesen waren. Und nun hatte er Cas gefunden und seinen besten Freund verloren.

 

Vielleicht schickt er mich heute wieder weg.

 

„Hallo, Dean.“ Da waren sie, die Worte, die Dean gestern so schmerzlich vermisst hatte.

 

Nein.
 

Cas war wieder Cas und er würde Dean nicht gehen lassen. Dean versuchte, fest daran zu glauben.

 

„Hey, Cas!“, sagte Dean und bemühte sich, nicht zu erleichtert zu klingen. Noch war nichts entschieden. Noch war alles offen.
 

„Du bist wieder hier.“

Eine von diesen Feststellungen, die klangen, als stünde man auf dem Prüfstand.
 

„Jupp. So war das geplant. Schuldest mir noch ein Gespräch“, sagte er leichthin, als hätte er bei der ganzen Angelegenheit nicht so sehr die Hosen voll, dass er sich selbst kaum ernst nehmen konnte.
 

Natürlich, Menschen zu verlieren, war eine tief verwurzelte Angst in ihm, seit dem Tag im November, an dem der gelbäugige Dreckskerl seine Mutter ermordet hatte. Aber das hier war anders. Es ging nicht um Leben und Tod. Das Konzept des nackten Überlebens war im Vergleich dazu simpel. Man lebte oder man starb, es gab keine Facetten, keine Grauzone.

Vielleicht war es ihm deshalb so leicht gefallen, dem Deal mit Ezekiel zuzustimmen: Sam lebte oder Sam starb. Keine Frage, Überleben erforderte weniger Denken.

 

„Ich schulde dir etwas?“ Cas klang erstaunlich kühl, aber vielleicht war das auch nur Einbildung.

 

„Eh...“

 

Bloß nicht zu viel denken.

 

„Steve!“
 

Eine kleine schlanke Frau mit langen blonden Haaren tauchte plötzlich neben ihnen auf und brachte Dean um die Verlegenheit einer artikulierten Antwort. Sie schien im selben Alter zu sein wie Jimmy Novak, als er Cas seinen Körper überlassen hatte.

 

„Die Slushy Maschine funktioniert schon wieder nicht und Sie haben das beim letzten Mal so gut hinbekommen!“, sagte die Frau.

Dean gefiel ihre Stimme nicht sonderlich; ihr Ton war freundlich, aber in der wenig subtilen Aufforderung lag eine Art von Autorität, die an einer Tankstelle irgendwie fehl am Platz wirkte.

 

Die Frau – ihr Namensschild identifizierte sie als ‚Nora‘ – trug die gleiche hässliche blaue Mitarbeiterweste wie Cas, aber etwas an ihrem Auftreten verriet Dean, dass sie Cas' Vorgesetzte war. ‚Nora‘ strahlte diese Art von Boss und Business aus, die ihre geringe Körpergröße um Längen wettmachte. Darüber hinaus war sie eher unauffällig. Nicht unattraktiv, aber definitiv niemand, dem Dean einen zweiten Gedanken geschenkt hätte. Für sein Beuteschema war sie ein wenig zu alt, auch wenn von starken, autoritären Persönlichkeiten meistens eine gewisse Anziehung für ihn ausging. Was Dean selbstverständlich niemals zugeben würde.

 

Cas nickte höflich. Sein Lächeln wirkte vielleicht einen Hauch zu gezwungen, etwas gequält bei der Kombination der magischen Worte ‚Slushy Maschine‘ und ‚funktioniert nicht‘, so als wisse er genau, was dabei auf ihn zukäme.

 

„Ach ja, und die Damentoilette ist schon wieder verstopft … Könnten Sie etwas dagegen unternehmen, Steve?“

 

Es ging Dean gewaltig gegen den Strich, dass die Frau von Cas verlangte, eine Aufgabe zu erledigen, die so meilenweit unter seiner Würde lag. Der Job in der Tanke an sich war schon scheiße. Nicht, dass Cas keine Erfahrung mit Drecksarbeit gehabt hätte.

 

Dean schnaubte – und weckte damit erstmalig die Aufmerksamkeit von Cas‘ Chefin: Sie musterte ihn von oben bis unten auf eine Art, die Cas neben ihm spürbar unruhig werden ließ.

 

„Natürlich, Nora. Ich kümmere mich sofort darum, wenn ... ich mit dem Kunden hier fertig bin“, beeilte Cas sich zu sagen. Dean begriff, dass er mit dem ‚Kunden‘ gemeint war.

 

Cas‘ Chefin nickte zufrieden.

„Denken Sie auch an unsere Verabredung für heute Abend!“, erinnerte sie ihn mit einem Lächeln. Der Inhalt ihrer Worte brauchte einen Moment, bis sein Hirn sie so weit verarbeitet hatte, dass Dean sie begriff.

 

Cas hat ein Date.

 

Cas.

 

Ein Date!

 

Mit seiner Chefin?!

 

Der Gedanke – Cas, vom Engel zum Angestellten, der eine Verabredung mit einem Menschen in einer Führungsposition haben sollte – war so absurd, dass Dean losprustete. Mehr oder minder geschickt konnte er es gerade noch als Räuspern tarnen. Nora ließ es ihm durchgehen, Cas … definitiv nicht. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas hinreißend Sauertöpfisches angenommen, das minimal ins Wanken geriet, als Nora sich verabschiedete und ihm im Vorbeigehen anerkennend über die Schulter strich.

 

Das war der Moment, in dem die Stiche in Deans Körpermitte sich dazu entschlossen, die Unmengen an Schmerzmitteln zu ignorieren und in seiner rechten Seite zu wüten. Er hatte in seinem Leben schon üblere Schmerzen durchgestanden, aber im Moment war ihm danach, sich in Embryostellung auf dem Boden einzurollen. Er keuchte unfreiwillig auf.

 

„Wolltest du irgendetwas sagen, Dean?“, flüsterte Cas, sobald Nora um die nächste Ecke verschwunden war.

 

Dean ignorierte, dass Cas damit auf sein klägliches Husten anspielte; es war die Schärfe in seiner Stimme, die ihn überraschte und ihn dazu brachte, seine Schmerzen erneut zu ignorieren, so gut es eben ging.

 

„Deshalb bin ich hier, Kumpel!“, würgte er mit einem Grinsen hervor; versuchte, möglichst flach zu atmen, um die Übelkeit einzudämmen.

 

Die Antwort schien für Cas keinerlei Sinn zu ergeben, denn sie löste aus, dass er den Kopf schief legte. Dean empfand den Anblick der vertrauten Geste definitiv als Highlight seines tristen Morgens und er versuchte, sich darauf zu konzentrieren – aber so kamen sie nicht weiter.

 

„Heute musst du mit mir reden“, beharrte Dean, „So einfach wirst du mich nicht mehr los!“

 

Bevor er sich einen weiteren Korb einhandeln konnte, fischte er seine Geldbörse aus der Tasche, wedelte damit vor Cas‘ Gesicht herum und beeilte sich zu sagen: „Hier, sieh mal! Ich hab‘ noch ‘ne Tankfüllung zu bezahlen. Vorher kann ich nicht gehen!“

 

Wie aufs Stichwort ertönte von draußen plötzlich ein wütendes Hupen. Cas und Dean wandten gleichzeitig den Kopf und sahen durch die Fensterscheibe einen hellen Lieferwagen, der hinter dem Impala darauf wartete, dass die Tanksäule frei wurde. Ein blonder Mann saß mit säuerlichem Gesichtsausdruck auf dem Fahrersitz und starrte zu ihnen herüber, da sie sich offensichtlich als Schuldige angesprochen fühlten.

 

Dean grinste, die Schmerzen für den Moment soweit im Griff, und drückte Cas sein Portemonnaie in die Hand.

„Halt mal kurz, ich komm gleich wieder!“

 

„Warte, Dean! Du kannst nicht –“

 

Den Rest des Satzes hörte Dean schon nicht mehr, als sich die Ladentür hinter ihm schloss.

 

Nachdem er den Impala umgeparkt hatte und wieder bei Cas im Laden stand – diesmal an der Kasse – wirkte der Engel tröstlicherweise fast wie immer. Hätte er seinen Trenchcoat getragen, hätte Dean sich vermutlich automatisch in seiner Gegenwart entspannt. Die abgenutzte Lederbörse hielt Cas niedlicherweise umklammert, als bewache er für Dean einen kostbaren Schatz.

 

„Natürlich können wir reden“, erklärte er ernst, als er sie ihm zurückgegeben hatte und von ‚Robert Dundees‘ Kreditkarte den Betrag für Benzin und einen Coffee to Go abzog.

„Ich rede immer gern mit dir. Aber wenn ich arbeiten muss, ist es sehr ungünstig. Worum geht es denn?“

 

Dass er von Cas beinahe so etwas wie ein vorsichtiges Lächeln geschenkt bekam, nahm Dean nach dem Zauber der Vertrautheit zwischen ihnen gar nicht richtig wahr.

„Mann, du arbeitest gefühlt immer!“, platzte es entgeistert aus ihm heraus. „Das hast du doch gar nicht nötig, oder, Cas?“, fügte er dann etwas offener besorgt hinzu.

 

Cas war bei der Nennung seines Spitznamens einmal mehr zusammengezuckt, aber wie schon am Vorabend kümmerte es niemanden und Dean ging nicht weiter darauf ein.

 

„Zu leben ist … teuer“, antwortete Cas schließlich seltsam gepresst und auf beunruhigend menschliche Weise damit beschäftigt, Deans Benzinquittung zwischen den Fingern zu rollen.

„Ich muss zuerst auf irgendetwas aufbauen können.“

 

„Aufbauen? Wozu? War dein Führungszeugnis etwa nicht gut genug für Nora, überprüft sie dich heute Abend persönlich?“, frotzelte Dean mit halbem Grinsen.

„Hey, Glückwunsch! Nicht jeder hat nach bloß ‘ner Woche ein Date mit seiner Chefin!“

Die eigenen Worte fühlten sich starr und hölzern in seinem Mund an.

 

Cas schien verlegen, geschmeichelt ob Deans unerwarteter Anerkennung, stutzte dann aber sichtlich.

 

„Vier Tage.“

 

„Was?“

 

„Ich arbeite seit vier Tagen hier. Die ersten beiden Tage habe ich für die Reise hierher gebraucht. Den dritten ...“ Cas stockte plötzlich, schüttelte kurz den Kopf und brach ab.

 

Shit. Was ist an Tag drei passiert?

 

„Seit vier Tagen kenne ich Nora und sie hat … mich von Anfang an wissen lassen, dass ich meine Arbeit gut mache, dass ich zuverlässig bin.“ Die Unsicherheit war einer Art trotzigen Stolzes gewichen, wie Dean überrascht feststellte.

 

„Sie weiß, was sie an mir hat“, schloss Cas in einem Tonfall, der einen Themenwechsel für unverhandelbar erklärte.

Dean zuckte die Achseln. Den Seitenhieb hatte er wohl verstanden, falls er tatsächlich als solcher gemeint gewesen war. Bei Cas wusste man nie so genau, welche Feinheiten der zwischenmenschlichen Untertöne er begriff und gezielt einsetzte, und welche nicht.

 

„Ich war einkaufen“, sagte Dean deshalb nur. „Hab dir Zeug mitgebracht. Was zum Anziehen … Waffen. Zeug halt.“

 

Kann doch nicht so schwer sein, so was Einfaches zu sagen, Winchester!

 

Cas‘ Augen weiteten sich überrascht.

 

Benutz‘ richtige Worte, sprich‘s aus – das kann doch nicht so schwer sein, zur Hölle noch eins!

 

Hinter ihnen ertönte plötzlich ein lautes Hüsteln. Es war Blondie, der Mann mit dem Lieferwagen, der sich über die besetzte Tanksäule ereifert hatte. Allein sein Auftreten reizte Dean, ihn zu provozieren; an irgendjemandem musste er seine Frustration, seine Wut auf sich selber schließlich auslassen und Cas kam nicht infrage. Er lehnte sich lässig gegen den Tresen, blockierte damit den Zugang zur Kasse, schenkte dem Mann sein überheblichstes Grinsen und nahm einen geräuschvollen Schluck aus seinem Pappbecher.

 

Der Mann starrte ihn an. Dean verzog das Gesicht, als der heiße Kaffee durch seine Kehle rann und auf seine Eingeweide traf. Wie er befürchtet hatte, tat ihm die Säure an diesem Morgen alles andere als gut, aber er hatte sich ja nicht beherrschen können.

Ein wissendes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus. Es irritierte Dean auf eigentümliche Weise, noch mehr als die Tatsache, dass er sich nicht auf sein Imponiergehabe einließ. Das Auftreten des Fremden hatte plötzlich nichts mehr mit dem herrischen Drängeln von zuvor gemein.

 

„Plötzlich doch mehr Zeit auf der Straße gefunden, oder wie?“, murmelte Dean halblaut und diesmal war es Cas, der sich laut räusperte.

 

„Würdest du bitte zur Seite gehen, Dean? Dieser Gentleman ist mein Kunde, denke ich.“

 

Langsam wandte Blondie sich Cas zu. Er sah für den Bruchteil einer Sekunde überrascht aus; seine Augen huschten zwischen Dean und Cas hin und her, die ihrerseits einen ratlosen Blick wechselten. Schließlich blieb der Fremde an Cas hängen, sein Ausdruck von beinahe so etwas wie hungriger Begeisterung erfüllt.

 

„Richtig erkannt …!“ Blondie nahm sich einen übertriebenen Moment lang Zeit, um das Namensschild über Cas‘ Brust zu lesen. „… Steve.“

 

Die deutliche Betonung des Decknamens irritierte Cas sichtlich, Dean reizte sie nur umso mehr.

 

Eingebildeter Arsch.

 

Er ging nicht einen Schritt zur Seite, was Blondie ihm nicht übel zu nehmen schien. Hätte Dean es nicht besser gewusst, hätte er beinahe behauptet, es freute den Unbekannten, ihm auf die Pelle zu rücken. Er bezahlte sein Benzin über Deans Schulter hinweg und mit einem selbstgefälligen Lächeln, bei dem sich Dean die Nackenhaare sträubten.

 

„Nun denn. Was für eine Ehre“, begann Blondie, den Blick wieder starr auf Cas gerichtet, mit einem eigenartigen Glanz in den Augen, der entfernt an Genugtuung erinnerte. Etwas in Deans Innerem machte leise Ping!, eine instinktive Reaktion auf einen unbekannten Auslöser, und er schaltete augenblicklich in den Beschützermodus. Das dringende Gefühl, Cas zu verteidigen, ergriff plötzlich von ihm Besitz und er lehnte sich noch ein Stück weiter in den persönlichen Raum des blonden Lackaffens.

Dem schien Deans veränderte Haltung aufzufallen, denn der hungrige Blick flackerte kurz mit einer Spur von Belustigung zu ihm zurück.

 

„Ihr seid mir ein Paar –“

 

Die Ladentür schwang plötzlich auf und trug einen überraschend kalten Luftzug herein. Ein weiterer Mann kam herein gestolpert, der für einen Moment die Aufmerksamkeit der kleinen Gruppe an der Kasse auf sich zog. Cas schien sich beim Anblick des Neuankömmlings zu winden und Dean begriff schnell, dass es aus Mitgefühl war; der Mann lebte offensichtlich auf der Straße, denn er trug zerlumpte, schmutzige Kleidung, einen ungepflegten grauen Bart im zahnlosen Gesicht und wurde von einem durchdringenden Geruch begleitet, der Bände sprach.

Der obdachlose Mann stöhnte leise, als er an ihnen vorüber humpelte und in Richtung der Toiletten verschwand.

 

Cas unternahm nichts, um ihn aufzuhalten, tat nun vielmehr so, als sei ihm der Neuankömmling überhaupt nicht aufgefallen.

 

Wahrscheinlich müsste Cas ihn sonst rausschmeißen.

 

Deans Aufmerksamkeit fiel wieder auf Blondie, der sich immer noch rücksichtslos neben ihm breit machte. Andersherum tat er ihm den Gefallen nicht, Dean zu beachten; Blondie starrte stirnrunzelnd in Richtung der Toiletten, als sei ihm soeben ein dringlicheres Bedürfnis in den Sinn gekommen, als ein verbales Kräftemessen an der Kasse.

 

„Das muss wohl warten“, glaubte Dean ihn halblaut murmeln zu hören, bevor Blondie mit einem letzten scharfen Blick auf ihn und Cas davon ging.

 

Dean schüttelte gereizt den Kopf.

„Was, zur Hölle, war das genau?“

 

„Ich weiß es nicht“, antwortete Cas und es klang beunruhigt. Auf seiner Stirn hatten sich tiefe Sorgenfalten gebildet und er rollte wieder Deans Quittung in den Händen – so lange, bis Dean sie ihm entnervt aus den Fingern riss.

„Cas, red‘ mit mir! Kanntest du den Kerl? Neuer Nachbar?“

 

So langsam könnte er mir auch mal verraten, wo er jetzt wohnt.

 

Vielleicht war Cas so durcheinander, weil er den kranken, alten Mann gesehen hatte, der immer noch nicht von der Toilette zurück war. Vielleicht fühlte sich Cas dem obdachlosen Alkoholiker verbunden, hatte eine Zeit lang ein ähnliches Schicksal für sich selbst befürchten müssen?

 

Dieser erschreckende Gedanke erinnerte Dean daran, dass er sich mehr Mühe geben wollte, mehr Mühe geben musste. Es stand zu viel auf dem Spiel, um jetzt ungeduldig zu werden.

 

„Nein, ich glaube nicht …“

Cas wirkte immer noch ziemlich abwesend. Gedankenverloren kaute er auf seiner Unterlippe herum. Dean schluckte die eigene Unruhe hinunter, den Blick an Cas‘ Lippen geheftet, und wartete.

 

„Dean, ich glaube, das war ein Engel“, raunte Cas schließlich, nachdem er sich nach allen Seiten vergewissert hatte, dass sich niemand in unmittelbarer Nähe aufhielt.

 

Deans Blick, noch immer auf der unteren Hälfte von Cas‘ Gesicht ruhend, schoss überrascht nach oben, bis er auf Blau traf.

 

„Du glaubst? Kannst du das nicht mehr sehen?“, fragte er schroffer als beabsichtigt. Der eigene Tonfall ließ ihn innerlich zusammenfahren, so dass er noch etwas freundlicher nachsetzte: „Der Arsch oder der Säufer?“, obwohl an der Antwort eigentlich keinerlei Zweifel bestanden.

 

„Der Arsch“, gab Cas erstaunlich trocken zurück. Dean gluckste anerkennend. Irgendwie gefiel es ihm, wenn Cas Gebrauch von seinem über die Jahre mühsam angeeigneten Sarkasmus machte.

„Und nein, Dean. Ich kann es nicht mehr sehen. Zumindest nicht mehr sofort. Es dauert eine Weile, bis ich … die Gnade spüre. Und dann kann ich immer noch nicht sagen, wen ich vor mir habe. Ich erkenne meine Geschwister nicht mehr. Meine Augen sind menschlich.“

 

Das heißt wohl, dass ihm die wahre Gestalt von anderen Engeln jetzt genau so die Augen ausbrennt, wie jedem anderen normalen Menschen.

 

Cas‘ Tonfall hatte recht neutral geklungen, aber Dean nahm ihm die Gleichgültigkeit hinter diesen Worten nicht ab. Es war kein Geheimnis, dass Cas seit Jahren mit der eigenen Familie auf dem Kriegsfuß stand, aber diese gefiederten Mistkerle waren trotz allem so sehr auf ihre Bande fixiert, egal, wer wem wie oft die Engelsklinge in den Rücken rammte. Dean brauchte nicht einmal den schnellen Umkehrschluss zu ziehen, wie er selbst sich fühlen würde, wenn er nicht mehr in der Lage wäre, seinen eigenen Bruder zu erkennen.

 

„Wie auch immer. Ich glaube nicht, dass er eine Gefahr für uns darstellt, aber freundlich gesonnen war er mir nicht“, stellte Cas fest.

 

„Er fährt ‘nen Wagen wie ‚Buffalo Bill‘ aus Das Schweigen der Lämmer. Sollte schon ‘ne Warnung sein, dass einer nicht mehr ganz dicht ist, aber wenn er einer von den gefallenen Engeln ist, weiß er‘s vermutlich einfach nicht besser“, erwiderte Dean in versöhnlichem Tonfall und hoffte, dass Cas ihn verstand.

 

Dean hatte Glück. Dank Metatron (Als ob man diesem Sackgesicht je für irgendetwas dankbar sein könnte!) hatte Cas nicht nur die Anspielung auf den Film verstanden. Er hatte wohl auch begriffen, dass Dean Cas zuliebe Partei für ahnungslose Engel ergriff.

 

„Du hast vorhin gesagt, du hast etwas für mich, Dean?“, fragte Cas schließlich zögernd.

 

Dean nickte, gleichermaßen dankbar (über den Themenwechsel) und nervös (weil sie dadurch den brenzligen Themen wieder näher kamen).

 

„Wenn‘s dir jetzt nicht so gut passt … Wann hast du denn Feierabend? Oder Pause? Wann kann ich dich sehen?“

 

Ohne diese scheußliche Weste. Die macht einen ja krank.

 

Es war nicht die Weste an sich, die ihn störte, das wusste er selbst, aber darum ging es nicht.

 

„Ich habe heute Abend ein Da- … eine Verabredung. Direkt nach Feierabend. Vielleicht können wir uns vorher treffen?“

 

Oh, Shit. Da war ja was.

 

Nora.

 

„Willst du vielleicht ‘ne Mitfahrgelegenheit? Ich bring‘ dich hin und auf dem Weg kriegst du noch ‘nen Crashkurs vorm ersten Date!“

Er grinste, was sich merkwürdigerweise wie eine Muskelzerrung in seinem Kiefer anfühlte. Dean konnte nicht sagen, wieso, aber er mochte Nora nicht, kein Stück, noch weniger, als die Weste. Zumindest nicht als Date für Cas; sie war nicht gut genug für ihn. Genau wie dieser Job. Doch Cas sah so überaus dankbar aus, dass Dean gar nicht anders konnte, als sein Angebot bestehen zu lassen.

 

„Das wäre großartig, Dean! Wenn es dir nicht zu viele Umstände macht, natürlich!“, beeilte sich der Engel zu sagen.

 

Ein Lächeln. Dafür lohnte es sich beinahe, noch einmal weggeschickt zu werden, als Cas‘ Chefin zwischen den Regalreihen auftauchte und sich der Kasse näherte.

 

 

*

 

Dean war sich sicher, dass Cas sein Wort halten würde und noch am selben Tag mit sich reden ließe. Und ein wenig Hoffnung, dass sie ihre Probleme aus der Welt schaffen konnten, hatte er mit einem Mal auch. Er verließ den Laden und steuerte auf die Parkplätze neben der Waschstraße zu, die an die Tanksäulen grenzten. Der graue Morgen war inzwischen einem trüben Vormittag gewichen und das rege Treiben an der Tankstelle war auf eine beschaulichere Kundenzahl geschrumpft.

 

Für so eine derart kleine Stadt wirkte das Gas-n-Sip tatsächlich erstaunlich gepflegt und gut geführt. Dean wusste, dass es Unsinn war, Cas arbeitete schließlich erst seit ein paar Tagen hier, aber er verlor sich in dem Gedanken, dass die Mustergültigkeit des Ladens ausschließlich Cas‘ Verdienst war. Wenn Cas sich um etwas kümmerte, dann richtig, wenn er sich einer Sache verschrieb, dann mit Leib und … Seele?

 

Hat Cas eigentlich eine? Ist er jetzt ein Mensch, so richtig?

 

Hatte Cas nun eine Seele? Der Gedanke beschäftigte ihn; Cas war mit einem Mal sterblich und erschreckend verwundbar. Wie ging es mit ihm weiter, wenn ihm etwas zustieß? Cas hatte zu viel Zeit mit den Winchesters verbracht, um eine große Chance auf den Tod durch Altersschwäche zu haben. Und wenn es so weit war, was kam für ihn danach? Wäre der Himmel für Cas das gleiche wie für einen beliebigen Menschen?

 

Die Frage um Cas‘ persönliches ‚Ruhe in Frieden‘ ließ Dean nicht los. Er hatte Baby fast erreicht, grübelnd, so dass er nicht mehr auf die Umgebung achtete. Seine Schulter machte abermals Bekanntschaft mit Blondie, als er geradewegs in ihn hineinlief.

 

„Verzeih mir die Unachtsamkeit“, sagte der Fremde sanft und viel zu nah vor seinem Gesicht. Dean wurde den Verdacht nicht los, dass er ihn absichtlich angerempelt hatte, und er nahm die Entschuldigung weder an, noch erwiderte er sie.

 

„Du bist ja immer noch hier“, spottete er, „Das Theater vorhin hättest du dir echt sparen können, wenn du so viel Zeit hast.“

 

Der Fremde neigte den Kopf gen Schulter. Eine beängstigende Geste, die so viel mit der von Cas‘ gemein hatte und sich doch um Welten unterschied. Auf Deans Provokation ging er nicht ein.

 

„So viel Leid“, stellte Blondie fasziniert fest und musterte Dean mit seltsam glasigem Blick. Er kam sich beinahe geröntgt vor; insbesondere, als Blondies Augen sich an der Stelle in seinen Körper zu bohren schien, von der ausgehend ihn seit der Fahrt nach Rexford diese unerklärlichen Schmerzen heimsuchten. Der Fremde musste ein Engel sein; dass er ein Mensch war, schloss sich jedenfalls aus.

 

„So viel Schmerz! Ich könnte es für dich beenden, dich von dem Schmerz erlösen.“ Blondie sagte das, als redete er über das Wetter – allerdings mit der unerklärlichen Begeisterung eines Meteorologens. Dean wich reflexartig einen Schritt zurück, sah sich aus den Augenwinkeln nach Zeugen und potentiellen Opfern um, die es aus der Schussbahn zu halten galt.

 

Von wegen keine Gefahr, Cas!, dachte er mit einer Mischung aus Panik und Wut, weil er nicht achtsamer gewesen war. Jetzt bekam er die Quittung dafür.

 

Ohne Eile hob Blondie die Hand, machte Anstalten, sie Dean an die Stirn zu legen. Er wich noch weiter zurück. Der Engel mochte gefallen sein, aber er schien voll aufgeladen mit Mojo. Mit den läppischen Silberkugeln im Magazin kam er nicht weit, wenn er jetzt seine Waffe zog. Er erregte höchstens ungewollte Aufmerksamkeit und – starb trotzdem.

 

Allerdings: Leben oder Tod, das war wieder die Gleichung, die er lösen konnte. Das hier war einfach.

Dean holte aus, um dem Lackaffen einen gezielten Kinnhaken zu verpassen.

Der Engel blockte seine Faust ab, ohne mit der Wimper zu zucken. Kein Zweifel, das Federvieh war in Höchstform.

 

Hoffentlich kapiert Cas rechtzeitig, was los ist und bringt sich in Sicherheit!

Dean betete diesen Gedanken fast, nicht ganz sicher, ob Cas‘ Gebetsradar ohne Mojo überhaupt noch auf Empfang geschaltet war.

 

Dann machte er sich an die simpelste Überlebensstrategie der Welt, die sein Vater ihm schon im Grundschulalter eingetrichtert hatte: Halte den Gegner am Reden. So lange, bis du einen Weg findest, zu entkommen.

 

„Wusste nicht, dass es auch SM-Engel gibt“, feuerte er. „Oder warum stehst du so auf Schmerzen? Ist das ein persönliches Ding oder gab‘s da oben noch mehr von deiner Sorte?“

 

Den Engel brachte Deans hohles Gerede nicht im Geringsten aus der Ruhe. Er drängte Dean weiter mit erhobener Hand rückwärts, vielleicht eine Spur breiter lächelnd, aber ansonsten unsäglich gefasst.

 

„Du bist eine der Hüllen“, stellte er ungerührt fest. „Ein Winchester. Nachdem wir alle gefallen sind, wäre es ein Verbrechen, dich zu verschwenden, nur, um dich von deinem Leid zu erlösen.“

 

Dean schenkte ihm ein hasserfülltes Funkeln. „Sorry, aber ich nehm‘ keine Anhalter mit!“ Wieder wurde er vollkommen ignoriert.

 

„Du stehst mir nicht zu, bedauerlicherweise. Aber sicher kannst du früher oder später einem meiner Brüder von großem Nutzen sein. Vielleicht verdienst du sogar, ein bisschen zu leiden? Du hast viel Unheil angerichtet, im Himmel, auf der Erde, in der Hölle - sogar im Fegefeuer!“

Dean versuchte, dem Engel die Beine unter dem Körper wegzutreten. Der blockte ihn erneut, ohne auch nur hinzusehen.

 

„Aber die körperlichen Schmerzen kann ich dir nehmen, ich kann die Entzündung in deiner Gallenblase heilen und die Kristalle aus ihr entfernen.“

 

Was?!“, zischte Dean.

Gallensteine also. Das erklärte eine ganze Menge, oder es machte zumindest Sinn, aber es war überaus seltsam (Und ekelhaft!), dass ein Engel so viel Interesse an seinen Körperfunktionen zeigte. Statt einer Antwort presste ihm der Engel zwei Finger an die Schläfe. Ein bisschen so, wie er es von Cas gewohnt war. Nur bei weitem nicht so angenehm.

 

Die heilende Gnade, die durch seinen Kreislauf jagte, fühlte sich fremd an, anders, nicht wie Cas, aber sie beseitigte allen Schmerz in seiner rechten Seite und auch die Überreste der Übelkeit verschwanden augenblicklich. Dean starrte den Engel an. Was, zur Hölle, sollte das?

 

„Sieh zu, dass du am Leben bleibst!“, wisperte er und war einen Wimpernschlag später mit einem altbekannten Flapp Flapp verschwunden.

 

Er jetzt fiel ihm auf, dass er mit dem Rücken flach an eine Mauer gepresst stand. Offenbar war er über den gesamten Parkplatz vor dem Engel zurückgewichen, ohne dass er selbst oder irgendjemand sonst es bemerkt hatte.

 

Ein heller Lieferwagen fuhr an ihm vorbei, verließ das Gelände der Tankstelle und verschwand auf die Straße und aus seinem Blickfeld.

 

Dean sah zurück zum Laden und bemerkte Cas, der mit kalkweißem Gesicht, in dem das blanke Entsetzen geschrieben stand, auf ihn zu rannte.

 

 

*


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die FF entsteht an einem PC, einem Laptop, einem Smartphone und in drei Notizbüchern. Ich bin enorm im Zeitdruck, habe viel um die Ohren und schreibe quasi in jeder freien Minute, egal, wo ich bin.
In manchen Fällen zerhaut die Nutzung von so vielen Medien leider das meiste an Formatierung, in anderen Fällen kontrollieren die Rechtschreibchecker meine Tippfehler nicht ganz so zuverlässig.
Ich überarbeite meine Kapitel vor dem Hochladen unzählige Male und bitte vielmals um Entschuldigung, wenn ich doch mal etwas übersehen haben sollte. Das gilt übrigens auch für blöde Kleinigkeiten, wie den Wechsel zwischen deutscher und englischer Schreibweise von Anführungszeichen etc. Manchmal scheinen meine Arbeitsdateien verwirrt zu sein, wenn ich sie zu oft auf verschiedenen PCs öffne und bearbeite.

Außerdem war ich eine Weile, trotz mehrfachen Schauens der Folge, davon überzeugt, dass Cas‘ Chefin NINA heißt.
Sie heißt Nora. Falls ich das irgendwo noch mal übersehen haben sollte, gebt mir gern Bescheid!

Wieder hat es sich ergeben, dass ich die FF nicht in chronologischer Abfolge schreibe (was sich bei den Arbeitsumständen auch anbietet) und wieder stelle ich fest, dass mir diese Arbeitsweise sehr viel Spaß macht. Ich habe einen viel größeren Überblick darüber, was alles passiert und wie es miteinander zusammenhängt und wenn ich an einer Stelle nicht weiterkomme, muss ich mich nicht so daran festbeißen.

Das letzte Kapitel und der Epilog stehen schon seit einer ganzen Weile fix und foxy in den Startlöchern.
Kapitel 3 hat mir lange Bauchweh bereitet. Zum einen, weil ich im Nachhinein mit Kapitel 2 EXTREM unglücklich bin. Ich werde es bis zum Wettbewerbsende auch noch einmal überarbeiten. Es werden sich inhaltlich keine(!) Änderungen dafür ergeben, aber darauf hinweisen wollte ich wenigstens.
Außerdem ist Kapitel 3 extrem lang geworden. Ich habe es schließlich in zwei Kapitel teilen müssen, und jetzt ärgert mich der zweite Teil an einer Stelle (aka Kapitel 4, also) und an der komme ich nicht weiter, obwohl sonst alles so hübsch fertig ist. ARGH. Genug davon. Ich schreibe weiter.

Also auf ein Neues und danke fürs Lesen!

PS: Ich überfliege die Copy & Paste Version vor dem endgültigen Upload immer noch mal und vergleiche mit der geöffneten Datei daneben. Irgendwie hat es beim Einfügen wohl ein paar Leerzeichen geschluckt? Im Original sind sie nämlich vorhanden. Ich hoffe, der Lesefluss ist okay und ich hab jetzt alles gefunden und behoben. Komplett anzeigen

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