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Zwei Seiten einer Medaille

von

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„Ich bin wieder da.“ Die Tür fällt hinter mir ins Schloss und ich schlüpfe aus meinen Schuhen. Stelle sie zu den anderen und doch nicht dazu, bevor ich weiter hinein gehe. Ich höre die Schritte meines Vaters und schon kommt er aus dem Wohnzimmer gestürmt. Sein Gesicht war nur noch eine Fratze aus Wut und Zorn, doch dieses Mal fange ich seinen Schlag ab.
 

„Wie kannst du es wagen?! Einfach so zu verschwinden?! Und dann besitzt du jetzt auch noch die Dreistigkeit deine Strafe abzuwehren?!“ Ich erkenne direkt, wie sehr ihn diese Situation überfordert, während ich ihn weiter ruhig ansehe.
 

„Ich bin so gut wie volljährig. Ich brauche deine Erlaubnis nicht mehr und ich bin zum versprochenen Zeitpunkt zurückgekommen.“ Ich bleibe ruhig und genieße seine Faust in meiner Hand. Endlich kann ich ihn stoppen. Ich will nicht mehr vor ihm kriechen und um Gnade winseln. Luzifer hat mir dafür die nötige Kraft dafür gegeben.
 

„Du warst bei ihm, oder?“ Seine Stimme wird bedrohlich dunkel, doch ich antworte nicht, sondern sehe ihn ruhig an. „Ich war bei einem Freund. Mehr hat dich nicht zu interessieren.“ Ein dunkles Knurren verlässt seine Lippen und ich gebe seine Hand frei, um an ihm vorbei zu gehen.
 

Ich darf ihm keine Macht geben. Luzifer hat Recht. Solange ich ihn nicht gewinnen lasse, kann er mir nichts tun. Doch plötzlich spannt er sich neben mir an. Ich wirbel herum und versuche den Angriff abzuwehren, aber sein Knie bohrt sich hart in meine Magengrube und ich sacke nach vorne zusammen.
 

„Du bist immer noch mein Sohn und ich dulde nicht, dass du etwas mit einem Kerl anfängst. Du magst vielleicht bald volljährig sein, doch aktuell bist du es noch nicht und somit bestimme immer noch ich über dein Leben. Hast du das verstanden?“ Ich rühr mich nicht. Will ihm keinen Sieg schenken. Nur diese Schmerzen endlich wieder loswerden. Warum tut er das?
 

Qualvoll richte ich mich langsam wieder auf und begegne seinem Blick, so gut es für mich möglich ist. „Nein. Es ist mein Leben und du musst endlich über deine Schmach hinweg kommen. Ich bin nicht der junge Mann, der dir deinen Posten weggeschnappt hat. Auch bin ich nicht du. Ich werde bestimmt nicht dein Wunschleben für dich führen. Es ist jetzt genug! Wenn du also verhindern willst, dass unsere Familie gänzlich zerbricht, sobald ich volljährig bin, dann solltest du dein Verhalten allmählich überdenken. Denn solltest du mich weiter so behandeln, werde ich an meinem Geburtstag durch diese Tür gehen und mich nie wieder umdrehen.“
 

Sein Körper zittert unter der Wut, die in ihm kocht. Dieser Anblick gefällt mir und zaubert sogar ein leichtes, siegessicheres Grinsen auf meine Lippen. Ich habe endlich die Zügel in der Hand und auch wenn sich immer noch ein beißender Schmerz durch meinen Oberkörper arbeitet, fühle ich mich endlich mal wieder als der Sieger.
 

Es ist sogar ein noch stärkeres Hochgefühl als zu diesem Moment, in dem ich zurückschlug. Etwas, dass mir jetzt immer größere Flügel verleiht. Mich hinauf trägt und mich hinfort bringt von diesen Ort. Die Unsicherheit, die mit der kommenden Freiheit, verbunden war, ist verschwunden. Ich weiß, wohin ich will und wo ich auch willkommen sein werde.
 

„Das wagst du nicht.“ Sein Körper spannt sich an. Er versucht sich größer zu machen, doch ich lasse ihn mich nicht überragen. Ich weiß, was ich will und vor allem was ich wert bin. Nie wieder will ich sein Fußabtreter sein. Kein einziges Mal soll er mir all das nehmen, was mir meine Freunde geben.
 

„Doch.“ Dieses eine Wort hängt schwer im Raum und seine Augen verdunkeln sich weiter, als er leise zu knurren beginnt. Ich sehe, wie sich sein Oberkörper anspannt und dennoch hoffe ich, dass es nicht passiert. Es ist vergebens.
 

Im nächsten Moment wirft er sich auf mich. Ich fange seine Schläge ab und versuche ihn auf Abstand zu halten. Es funktioniert nicht. Er packt nach meinem Kragen. Versucht mich herum zu reißen. Ich halte stand. Spüre einen Schlag ins Gesicht. Weiche nicht zurück. Packe ebenfalls zu. Erneut ein Knurren. Wehre sein Bein mit meinem Knie ab. Er darf nicht. Ich will nicht.
 

Mit all meiner Kraft stoße ich ihn von mir. Höre wie der Stoff meines Oberteils reißt. Es ist mir egal. Sehe ihn nur an und balle meine Hände zu Fäusten. „Es ist vorbei, Vater! Du hast nicht das Recht dazu! Du hattest es nie! Also hör bitte auf damit oder ich muss doch die Polizei einschalten.“
 

„Das wagst du nicht! So habe ich dich nicht erzogen!“ Er will erneut auf mich losgehen, doch ich hebe in diesem Moment nur die Hand. Sofort kommt er ins Stocken und sieht mich verwirrt an. Warum hört er nicht auf? Wieso will er mich dazu zwingen? Wie gerne würde ich eine richtige Schlägerei mit ihm beginnen. Ihn alles heimzahlen, doch... es würde nichts besser machen. Für niemanden.
 

„Du hast mich nie erzogen, sondern nur systematisch zerstört.“ Wie kann ich so ruhig bleiben? Ich versteh es nicht. Zwar rauscht das Adrenalin durch meinen Körper, doch meine Stimme wirkt entspannt und schon was friedlich. Ich sehe ihn an. Versuche zu verstehen, warum er nicht aufhören kann. Doch es gelingt mir nicht.
 

„Ich bin dein Vater! Du musst mir gehorchen!“ Die Kontrolle entgleitet ihn immer mehr und mit dieser Erkenntnis nimmt die Ruhe in mir zu. Ich wage es sogar tief ein und auszuatmen, bevor ich ihn direkt und innig ansehe. Mein Blick fesselt ihn und die nächsten Worte kommen aus tiefster Seele und ich spüre, dass es schon fast schmerzt sie auszusprechen, doch sie wollen raus. Sie müssen raus und so lasse ich sie die Luft zerreißen. „Ja, du bist mein Vater und deine Pflicht ist es deine Familie – zu der auch ich zähle – zu beschützen. Mit deinem Leben solltest du jegliches Leid von uns fernhalten. Doch du... du hast auf ganzer Linie versagt.“
 

Ich hoffte, dass ihn diese Worte endlich wach rütteln, doch es geschieht nicht. Sein Körper spannt sich erneut an und mit einem lauten Knurren stürzt er sich auf mich. Erneut packt er mich, doch ich halte ihn fern von mir. Ich will ihn nicht mehr so nahe haben. Mit all meiner Kraft versuche ich ihn von mir zu drücken.
 

Geh weg! Verpiss dich! Ich lasse dich nicht mehr an mich ran! Nie wieder! Du sollst verschwinden! Verschwinde endlich!
 

Mit einem Keuchen taumelt er zurück. Er hält sich seine Brust und erst jetzt fällt mir meine erhobene Hand auf. Erneut funkelt er mich an und ich richte mir meine Kleidung. „Ich will dir nicht weh tun, Vater. Lass es einfach gut sein, okay? Akzeptiere, dass du mich nicht mehr kontrollieren kannst und sei stolz darauf. Ich lasse mich nicht mehr herum schubsen und werde dadurch vielleicht ein besseres Leben haben als du.“
 

„Ich soll stolz darauf sein, dass du deine Hand gegen deinen Vater erhebst?! Wie respektlos bist du geworden, Junge?!“ Er richtet sich unter Schmerzen auf und hat nichts von seiner Aggressivität verloren. Wieso lässt er es nicht gut sein? Er kann nicht gewinnen. Nicht so.
 

„Und wie erbärmlich bist du schon all die Jahre, dass du deine Hand gegen deinen eigenen Sohn erhebst?“ Meine Stimme ist ruhig und erneut entsteht ein Hochgefühl in meinem Körper, dass mich meinen Rücken weiter durchstrecken lässt. Es ist endlich vorbei. Ich will mich nicht mehr ducken und kriechen. Denn ich bin es wert mit Respekt behandelt und vor allem um geliebt zu werden.
 

Erneut kommt nur ein Knurren. Keine Einsicht. Nichts, was mir zeigt, dass ich Erfolg habe. Dass diese Familie noch eine Zukunft hat. Ich werde also wirklich gehen ohne mich noch einmal umzudrehen. Aber ich habe es versucht. Daher brauche ich mir keine Schuldgefühle machen. Manche Menschen erreicht man halt nie.
 

Ich wende mich um und will in mein Zimmer gehen, als mich die Stimme meines Vaters erneut stoppt: „Ich will, dass du verschwindest. Du bist für mich gestorben, Nathaniel. Wenn ich morgen von der Arbeit zurückkomme, bist du verschwunden. Haben wir uns verstanden? Ich will dich hier nie wieder sehen. Das sollte dir eh entgegen kommen. Schließlich wolltest du doch eh abhauen. Also, genieße deine Freiheit, die du dir so sehr ersehnt hast. Dieses Zuhause existiert nicht mehr für dich. Verstanden?“
 

Er geht an mir vorbei ins Wohnzimmer und ich weiß nicht, was ich denken soll. Mir ist bewusst, dass ich mich freuen sollte, doch ich kann nicht. Plötzlich ist die Freiheit, die ich mir schon so lange wünsche, da. Doch es ist anders. Er wirft mich raus. Jetzt wenn ich kein Prügelknabe mehr für ihn bin, setzt er mich vor die Tür. War ich nie etwas anderes für ihn? Nur dazu gut?
 

Das Hochgefühl wird von Zweifel verschlungen und ich spüre, wie das Zittern zurückkommt. Wo soll ich hin? Zu Luzifer? Er hat es ja gesagt, aber... ist das auch wahr? Nicht nur dummes Gerede? Und die Schule? Wie soll es jetzt weitergehen?
 

Ich schlucke trocken und gehe nach oben. Ohne wirklich zu wissen, was ich tue, beginne ich zu packen. Ein paar Kleidungsstücke und sonstige Sachen, die man dabei haben sollte. Aber schon nach wenigen Minuten bin ich mir nicht mehr sicher. Was brauche ich? Kann ich wirklich zu Luzifer? Seine Wohnung ist doch sehr klein und selbst wenn. Was mache ich mit der Schule?
 

Plötzlich vibriert mein Handy und als ich es aus der Tasche nehme, erkenne ich Luzifer darauf. Kurz durchatmen und dann hebe ich ab. „Hi.“ „Hi, Nathy. Wie geht es dir? Alles klar bei dir? Ist dein Alter arg durch getickt?“
 

„Es geht mir gut. Glaube ich.“

„Du glaubst. Na, das hört sich ja prima an.“

„Nein, nein. Nicht so wie du denkst. Es ist -“

„Lass mich raten: Kompliziert?“
 

Ich muss auflachen und den Kopf schütteln, bevor ich weiterspreche. „Ja und nein. Es ist anders als erwartet. Ich habe mich gegen meinen Vater gewehrt. Er fand das nicht so witzig und hat mich jetzt rausgeschmissen.“
 

„Im Ernst jetzt? Der Kerl hat echt nicht mehr alle Latten am Zaun. Und was nun?“

„Na ja, an sich wollte ich ja eh hier raus. Es fühlt sich zwar ein wenig komisch, aber an sich ist es das, was ich wollte. Nur hat es einen komischen Nachgeschmack.“
 

„Das war nicht meine Frage. Was wirst du jetzt tun? Wo willst du hin? Wie sieht dein Plan aus?“

„An sich habe ich keinen Plan. Ich packe jetzt ein paar Sachen und na ja... dann weiß ich auch nicht.“ Ich wollte ihn nicht so offen um einen Platz zum Schlafen bitten. Schließlich bin ich doch erst von ihm weg und außerdem habe ich sein Schlafplatzangebot ausgeschlagen. Wer weiß, wie er deswegen darauf reagieren wird.
 

„Hast du Freunde in deiner Nähe bei denen du erst einmal unterkommen kannst?“ Bei dieser Frage taucht Melody vor meinem geistigen Auge auf. Ich betitel sie zwar nicht direkt als Freund, doch irgendwie weiß ich, dass ich auf sie zählen kann. Aber irgendwie kommt es mir doch arg unhöflich vor jetzt plötzlich bei ihr aufzutauchen.
 

„Ähm, ja, schon, aber...“

„Lass mich raten: Es ist kompliziert.“

„Nein, äh doch. Ach... vergiss es.“
 

„Nicht so einfach. Was ist daran nun wieder kompliziert? Langsam glaube ich, dass dies für dich eine Verkürzung des Satzes 'Ich will es nicht erklären' ist. Weil du es mir nie erklärt hast und ich gar nicht weiß, ob alles wirklich so kompliziert ist, wie du immer behauptest.“
 

„Wir kennen uns schon sehr lange und haben auch oft für die Schule zusammen gearbeitet, aber da wir uns nie wirklich privat getroffen haben, sehe ich sie an sich nicht wirklich als Freundin an. Zwar hilft sie mir immer, wenn es in ihrer Macht steht und stellt einiges für mich hinten an, aber es geht nie über die Schule hinaus. Irgendwie will ich das auch nicht.“
 

„Tja, weil die Kleine auf dich steht. Deswegen wahrscheinlich. Aber für eine Nacht geht es bestimmt in Ordnung und morgen kannst du gerne wieder zu mir kommen. Außer du willst dich in den Nachtzug schmeißen.“
 

„Ähm... nein. Mir hat die Fahrt für heute gereicht. Es ist leider nicht so angenehm. Aber du hast Recht. Ich werde sie mal fragen, ob ich die Nacht bei ihr unterkommen kann. Wenn ich dann mehr weiß, schreib ich es dir, okay?“
 

„Ist okay. Man hört oder liest sich.“

„Ja, tut man.“
 

„Ach ja, Nathy. Ich bin stolz auf dich.“ Dieser Satz zaubert ein Lächeln auf meine Lippen und lässt das Hochgefühl zu mir zurückkommen. Endlich fühlt es sich wieder gut an und irgendwie bringe ich nur ein leise, gehauchtes „Danke“ über meine Lippen, bevor er dann schon auflegt und ich wieder mit meinen Gedanken alleine bin.
 

Sofort wähle ich die Nummer von Melody und nach ein paar Freizeichen nimmt sie auch schon den Hörer ab: „Ja? Melody hier.“ „Hallo, Melody. Ich bin es, Nathaniel.“ Sofort hellt sich ihre Stimmung auf und wird schon fast euphorisch. „Oh, hallo, Nathan. Was gibt es? Du rufst sonst nie so spät noch an. Hast du etwa Probleme bei den Hausaufgaben?“
 

Ja, es geht fast immer nur um Schule bei uns, aber irgendwie verletzt es mich ein wenig, dass sie der Meinung ist, dass ich wirklich Hilfe nötig haben könnte, doch ich schlucke den Zorn kurz herunter, bevor ich das Gespräch in die richtige Richtung lenke: „Nein, da passt alles. Aber ich bin gerade auf der Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht und na ja...“
 

„Was? Wieso? Ist etwas passiert? Hast du Streit mit deinem Vater? Kommen daher immer die Verletzungen?!“ Melody dreht komplett durch und durch die Panik überschlägt sich ihre Stimme immer wieder. Es war ein Fehler sie anzurufen.
 

„Nein... Nein... alles gut. Vergiss es einfach, okay?“ Mein Vater sagte, dass ich erst morgen Abend weg sein muss. Ich kann die Nacht also noch hier bleiben. Warum bin ich nicht früher drauf gekommen? Weil ich wahrscheinlich nur weg wollte.
 

„Ähm... okay. Aber der Schlafplatz?“ Sie wirkt verwirrt und ich merke, wie wieder das falsche Lächeln auf meine Lippen kommt. „Passt schon. Alles gut. Ich... ich habe da wohl etwas falsch verstanden. Das hat mir Amber gerade durch ein Stück Papier mitgeteilt. Mach dir also keine Sorgen. Wir sehen uns morgen in der Schule, okay?“
 

„Ähm... okay. Bis morgen dann.“ Sie glaubt es mir nicht, aber es ist mir auch egal. Nach einer kurzen Abschiedsfloskel lege ich auf und sperre mein Zimmer mit der Kette ab, bevor ich dann ruhig weiter packe. Diese Nacht wird meine letzte hier sein und irgendwie wird mir bei diesem Gedanken mein Herz kurz ein wenig schwer. Aber nur für einen Wimpernschlag, als schon die Freiheit wieder nach mir greift und der Fakt, dass ich Luzifer morgen wieder sehen werde.
 

Ja, morgen sehen wir uns wieder und dann hoffentlich endlich für immer...



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