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The show must go on

von

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Klappe, die Einundzwanzigste

„Hey.“ Mit dem Kinn voller Rasierschaum lächelte er dem Bildschirm seines Handys entgegen, auf dem gerade Yukkes Gesicht erschienen war.

 

„Selber, hey. Sag mal …“ Die rechte Braue seines Freundes wanderte so weit nach oben, dass sie unter seinem überlangen und viel zu akkurat gekämmten Pony nicht mehr zu sehen war. „Stehst du gerade im Bad, während du mit mir telefonierst?“

 

„Ja, warum denn nicht?“ Der Rasierer machte ein kratzendes Geräusch, als er ihn mit langen, sicheren Zügen über seine Wange gleiten ließ. „Schließlich muss ich mich für die Gala heute Abend herrichten.“

 

„Gala? Das hört sich so nobel an.“ Yukke grinste und schüttelte den Kopf. „Auf jeden Fall wäre es zeiteffektiver, wenn du dich nur auf eine Sache konzentrieren würdest.“

 

„Nobel geht die Welt zugrunde, heißt es doch. Und wo würde der Spaß bleiben, wenn ich immer nur eines nach dem anderen machen würde?“

 

„Du wieder. Aber gut, was willst du denn?“

 

„Kann ich nicht einfach mit meinem Freund telefonieren, ohne einen Grund dafür zu haben? Vielleicht hatte ich ja einfach Sehnsucht nach dir.“

 

„DAS würde ich dir abkaufen, hätten wir uns nicht erst heute Mittag gesehen und würden uns nicht sowieso in knapp zwei Stunden wieder treffen.“

 

„Du bist so unromantisch.“ Tatsuro rollte mit den Augen und verkniff sich ein breites Grinsen, das aber auch nur, weil er gerade seine Oberlippe mit dem Rasierer bearbeitete. Er liebte solche Gespräche mit Yukke, die im Prinzip nirgendwohin führten, außer dass sein Freund so herrlich genervt war, ohne es sich anmerken lassen zu wollen.

 

„Ich bin nur Realist, also sag schon, was gibt es?“

 

„Du bist ein alter Spielverderber, das bist du.“ Er beugte sich über das Waschbecken, um die Reste des Schaums von seinen Wangen zu waschen.

 

„Ta~tsue. Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit.“

 

„Shiroda hat vorhin noch mal angerufen“, nuschelte er gedämpft in das Handtuch, mit dem er sich das Gesicht trocken rieb, und gab so den wahren Grund für seinen Anruf preis.

 

„Shiroda? Was wollte er denn?“

 

„Mich daran erinnern, dass er eine Entscheidung von mir braucht.“

 

„Und?“

 

„Ich … Ich hab ihm gesagt, dass er es auf sich beruhen lassen soll. Zehn Jahre sind zwar weit von der Höchststrafe entfernt, aber ich …“ Er zuckte mit den Schultern und fixierte erneut das Display seines Handys. „Ich will mit der Sache nur noch abschließen.“ Er hasste die Unsicherheit, die seit dem Telefonat mit seinem Anwalt wieder allgegenwärtig war. Warum konnte das nicht endlich alles aufhören? Er wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen.

 

„Ich versteh dich.“

 

„Ehrlich?“

 

„Natürlich.“ Yukkes Gesichtsausdruck zeigte eine Spur Empörung, als könnte er nicht fassen, dass Tatsuro sein Verständnis auch nur im Geringsten anzweifelte. „Mir würde es an deiner Stelle vermutlich nicht anders gehen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zwar zugeben, dass ich mir gewünscht hätte, Nobus Strafe wäre so hoch ausgefallen, dass er für den Rest seines Lebens weggesperrt wäre, aber das war wohl eher unrealistisches Wunschdenken von mir.“

 

„Ich kann Shiroda noch mal anrufen. Er meinte, wir würden mit großer Wahrscheinlichkeit eine anschließende Sicherheitsverwahrung mit psychologischer Evaluation nach seiner Haftstrafe herausschlagen können, sollten wir doch in Berufung gehen.“

 

„Aber dafür müsstest du noch einmal vor Gericht, oder? Wider alles erzählen, ihn noch mal sehen?“

 

„Die Verhandlung wäre deutlich kürzer und somit auch mein Erscheinen dort, aber ja, im Großen und Ganzen würde es darauf hinauslaufen.“ Tatsuro fuhr sich durch die Haare, die ihm frisch gewaschen und noch etwas feucht in die Stirn fielen. „Ich sollte mich noch mal bei ihm melden und ihm sagen, dass ich es doch durchziehen will. So ein bisschen Unwohlsein werde ich schon aushalten und …“

 

„Tatsue?“ Er schaute von der Betrachtung seiner Fingerspitzen auf und erneut in Yukkes Gesicht, das ihm nun besorgt entgegenblickte. „Tu das nicht.“

 

„Was denn?“

 

„Dich und deine Entscheidung infrage stellen.“ Yukke lächelte ihn mit so viel Mitgefühl im Blick an, dass er für einen Moment wegsehen musste. Verdammt, warum konnte der andere gerade nicht hier sein? „Außerdem ist dein Unwohlsein absolut legitim, spiel es nicht herunter. Du hast dich entschieden und das ist gut so. Egal, was Shiroda oder ich sagen. Du weißt am besten, was das richtige Vorgehen für dich ist.“

 

„Tue ich das?“ Yukke sagte darauf nichts, erwiderte lediglich seinen Blick und hatte dieses feine Lächeln auf den Lippen, das ihm jedes Mal das Gefühl gab, alles schaffen zu können, wenn er es sah. Er horchte in sich hinein, als er sich die Frage stellte, ob er damit würde leben können, die Chance verspielt zu haben, Nobu im Gefängnis verrotten zu lassen. Erstaunlicherweise fühlte er keine Rachegelüste in sich, nur dieses tiefe Verlangen, mit der Sache abschließen zu können. „Du hast recht. Es ist die richtige Entscheidung für mich, es auf sich beruhen zu lassen.“ Er straffte die Schultern und zauberte ein unbeschwertes Lächeln auf seine Lippen.

 

„Ich bin stolz auf dich.“ Yukke grinste breit, was vermutlich an der gesunden Farbe lag, mit der Tatsuros Gesicht mit einem Mal gesegnet war. Das hatte seine Lieblingskröte doch mit voller Absicht gemacht.

 

„Gut“, murmelte er und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihn die unerwarteten Worte seines Freundes ein wenig beschämten. Das wäre ja noch schöner. Ein Grund mehr, das Thema zu wechseln und vor allem jegliche Gedanken an Nobu weit von sich zu schieben. „Da wir das also geklärt haben … mit oder ohne?“ Er hob seine Augenklappe in Richtung der Handykamera, damit Yukke auch sehen konnte, wovon er sprach.

 

„Mmmh“, machte er überlegend, aber auch auf seine Züge hatte sich dieses verschmitzte Schmunzeln geschlichen, das Tatsuro so sehr an ihm liebte. „Du kennst meine Antwort doch.“

 

„Ja, aber ich bin der Meinung, dass ich es mir verdient habe, dass mein Ego etwas von dir gestreichelt wird.“

 

„Dein Ego braucht eher eine Hungerkur als Streicheleinheiten.“

 

„He!“

 

„Ist es mit Augenklappe weniger anstrengend, wenn wir nachher den Film anschauen?“

 

„Definitiv.“

 

„Dann weißt du, was ich dir raten werde.“

 

„Das ist aber nicht das, was ich hören will.“

 

„Tja, auch ein Iwakami Tatsuro bekommt nicht immer seinen Willen“, feixte Yukke und machte keinerlei Anstalten, das Thema weiter auszuführen. „Ich leg jetzt auf, ich muss mich schließlich auch noch herrichten.“

 

„Yukke.“

 

„Bye, Tatsue.“

 

„Yukke!“ Für eine Sekunde stand sein Mund offen, nachdem der andere tatsächlich aufgelegt hatte, dann schüttelte er leise schnaubend den Kopf. Wieder einmal stellte er fest, dass er sich keinen perfekteren Freund hätte vorstellen können. Yukke ließ sich herrlich triezen, konnte aber auch ebenso gut austeilen und nicht zuletzt das schätzte er so an ihm. Wie hatte Sato vor einigen Tagen gemeint?

‚Ihr passt zusammen wie Arsch auf Eimer, ehrlich mal.‘

Gerade, als er das Telefon in seine Hosentasche stecken und das Bad verlassen wollte, vibrierte es in seiner Hand. Verwundert schaute er auf das Display, bevor ihm ein lautes Lachen entkam.

 

»Du weißt, dass ich dich mit Augenklappe unheimlich sexy finde. Also komm mir du heute nach Hause, Mister!«

 

~*~

 

Ein schneller Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass er noch knappe zwanzig Minuten Zeit hatte, bevor Yukke ihn abholen würde. Sein Magen rumorte und obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, musste er zugeben, dass er nervös war. So wenig er vom Konzept ihres Films anfänglich begeistert gewesen war – und ja, das war die Untertreibung des Jahrhunderts – so investiert schien er mittlerweile zu sein. Ein Umstand, den er sich selbst nicht wirklich erklären konnte, der nun jedoch auch nicht mehr zu ändern war. Er wollte, dass Ame ein Erfolg wurde, weil er die Vorstellung kaum ertrug, dass all die Arbeit, all das Herzblut, das er widerwillig in dieses Projekt gesteckt hatte, letzten Endes umsonst sein sollte. Nun gut, umsonst vielleicht nicht, schließlich hatte die Arbeit an Ame Yukke und ihn erst zusammengebracht, aber trotzdem.

 

Im letzten Moment hielt er sich davon ab, sich durch die bereits gestylten Haare zu fahren, und setzte sich stattdessen leise seufzend an den Küchentisch. Vor ihm lag ein gepolsterter Briefumschlag, auf den er mit schwarzem Marker Amis Namen und die Adresse eines Ferienresorts auf Okinawa geschrieben hatte. In dem Briefumschlag befand sich bereits die CD mit dem Soundtrack zu Ame, der Anfang der Woche herausgekommen war und den er seiner Gesangslehrerin unbedingt zukommen lassen wollte. Fraglich war jetzt nur, ob und was er ihr schreiben sollte. Das letzte Mal, als sie gesprochen hatten, war Ami kühl und kurz angebunden gewesen. Verständlich, bedachte man, dass sie im Begriff gewesen war, ihr Leben auf den Kopf zu stellen und alle Zelte abzubrechen, aber das machte die Entscheidung, wie er nun mit ihr umgehen sollte, nicht gerade leichter. Schlussendlich gab er sich einen Ruck, nahm einen Kugelschreiber zur Hand und begann zu schreiben.

 

Hallo Ami,

ich hoffe, du bist gut auf Okinawa und in deinem neuen Leben angekommen. Heute ist der Tag der Prämiere, schade, dass du nicht kommen konntest. Ich dachte mir, ich schicke dir den Soundtrack zu Ame, schließlich ist es nur dir zu verdanken, dass man sich die Lieder tatsächlich anhören kann.

Bitte nimm es mir nicht übel, dass ich herausbekommen habe, wo genau du arbeitest – ich sag es auch nicht weiter.

Es wäre schön, von dir zu hören.

Alles Gute.

Iwakami Tatsuro

PS. Miya arbeitet an dem Konzept für Ame II und will, dass ich wieder singe! Ami, überleg dir, ob du nicht zurückkommst. Ohne dich wird das doch nie etwas.

 

Kurz und knapp und hoffentlich nicht zu aufdringlich. Bevor er noch länger über das Für und Wider nachdenken würde, faltete er das weiße Papier zusammen und schob es mit in den Umschlag. Er wollte es nicht zugeben, aber es schmerzte ihn auf eine Weise, die er nicht erklären konnte, dass Ami so sang- und klanglos verschwunden war. Hätte er ihr am Abend vor der Gerichtsverhandlung nicht geschrieben, er hätte wohl nie herausgefunden, dass sie überhaupt die Stadt verlassen wollte und erst recht nicht, was ihre Beweggründe dafür waren. Irgendwie hatte er während ihrer vielen Gesangsstunden den Eindruck gewonnen, es hätte sich eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt, aber das war wohl eine einseitige Empfindung gewesen.

 

Als es klingelte, war er tatsächlich so in seinen Gedanken versunken, dass er kurz, aber heftig zusammenzuckte. Die Hand auf seine Brust gepresst, unter der sein Herz wie wild schlug, erhob er sich und ging die wenigen Schritte zur Wohnungstür hinüber. Sein Besucher musste direkt hinter dem dünnen Holz stehen, war es doch nicht das durchdringende Summen der hausinternen Gegensprechanlage gewesen, das ihn aus seinen Grübeleien gerissen hatte, sondern ein melodisches und ihm nur allzu vertrautes Läuten. Eine feine Gänsehaut zog sich unwillkürlich über seine Unterarme, obwohl er sich sicher war, dass er wusste, wer dort draußen auf ihn warten würde. Yukke, wer sonst? Aber seine Paranoia hatte in den letzten Wochen zu viele Möglichkeiten bekommen, sich mehr und mehr in ihm breitzumachen, dass es ihm immer schlechter gelang, sie einfach beiseitezuschieben. Er atmete tief durch, um sich ein wenig zu beruhigen, und spähte durch den Spion. Eine Sicherheitsmaßnahme, die ihm zwar ungemein lästig war, die ihm aber wenigstens eine Art Sicherheitsgefühl zurückgab. Irgendwann würde in seinem Hirn ankommen, dass Nobu hinter Gittern saß und nicht an ihn herankommen konnte. Es brauchte nur Zeit, immer wieder Zeit.

Yukkes Gesicht schwamm in den Fokus seines eingeschränkten Blickfeldes und Tatsuro spürte, wie sich im gleichen Moment, als er seinen Freund erkannte, Muskelgruppen in seinem Körper entspannten, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass er sie anspannen konnte.

 

„Tatsue? Ich bin es, Yukke“, hörte er, noch bevor er die Sicherheitskette ergreifen konnte und lächelte, als er sie aufzog und die Tür schlussendlich öffnete.

 

„Hallo.“

 

„Hey. Tut mir leid, ich hätte dir schreiben sollen, aber ich hab mein Handy unten im Wagen liegen lassen und war zu faul, es zu holen.“

 

„Schon gut, ich muss schließlich lernen, ohne eine halbe Panikattacke an die Tür gehen zu können, auch wenn ich nicht vorgewarnt werde.“ Er trat beiseite, um Yukke hereinzulassen, während die Tür leise klickend ins Schloss fiel. „Komm erst einmal rein. „Sein Freund schenkte ihm einen Blick, den er in den letzten Wochen schon viel zu oft gesehen hatte. Tatsuro wusste, dass er stolz auf ihn und jeden noch so kleinen Schritt in die richtige Richtung war, den er tat, und genau das spiegelte sich in den warmen Augen wider. Darunter verbarg sich jedoch auch immer ein gewisser Schmerz, von dem er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Aber noch bevor er etwas hätte sagen können, legten sich Arme um seine Mitte und ein lächelndes Gesicht kam seinem ganz nah.

 

„Du siehst gut aus.“

 

„Und du hast was von einem Yakuza“, nuschelte er schmunzelnd gegen die Lippen seines Gegenübers, bevor er ihn in einen ausführlichen und längst überfälligen Kuss zog. Es war nicht das erste Mal, dass Yukke derart mühelos die Stimmung rettete, und doch überraschte es ihn immer wieder. „Aber mir gefällt’s.“ Gefallen war an dieser Stelle eine schamlose Untertreibung, denn der andere sah in seinem schiefergrauen Anzug mit den dunkleren Nadelstreifen wirklich verboten gut aus. Diese Feststellung würde er derweilen jedoch für sich behalten, denn er war sich sicher, dass er heute Abend noch ausreichend Gelegenheiten bekommen würde, seinem Freund dies auf deutlich angenehmere Art und Weise zeigen zu können.

 

„Ich kann deine nicht jugendfreien Gedanken beinahe hören“, wisperte Yukke in sein Ohr, bevor Tatsuro erschrocken zusammenzuckte, als ein kurzer Schmerz durch sein Ohrläppchen jagte.

 

„Au! Hast du mich gerade gebissen?“

 

„Würde mir im Leben nicht einfallen.“ Yukke grinste breit, bevor er eine scheuchende Handbewegung vollführte. „Bist du dann fertig? Wir müssen in zwanzig Minuten am Kino sein und der Verkehr ist gerade nicht der ruhigste.“

 

Tatsuro murrte, während er sich übers Ohr rieb, nahm jedoch sein Jackett vom Haken der Garderobe und schlüpfte hinein. Gerade, als er sich auch die Schuhe anziehen wollte, fiel ihm jedoch ein, dass er Amis Brief auf dem Küchentisch hatte liegen lassen.

 

„Können wir noch an einem Briefkasten halten?“, rief er über die Schulter, während er erst eilends in der Küche verschwand, nur um keinen Moment später mit dem Brief in der Hand wieder im Flur aufzutauchen.

 

„Wenn wir das auch nach der Prämiere machen können, ist das kein Problem. Aber wie gesagt, wir müssen jetzt wirklich los.“

 

„Ja, ja“, nuschelte er, stieg etwas umständlich in seine Schuhe und versuchte, seine Krawatte geradezurücken. „Warum hab ich mich noch gleich von Miya überreden lassen, einen Anzug zu tragen?“

 

„Weil nicht einmal du eine Chance gegen seine Überzeugungskraft hast. Und jetzt hör auf, deine Krawatte zu verknittern, und komm lieber her.“

 

Mit den Augen rollend schob Yukke seine Hände beiseite, zog einmal links, einmal rechts und hatte binnen Sekunden das geschafft, was Tatsuro den restlichen Abend über graue Haare beschert hätte. „So.“ Er grinste zu ihm nach oben, tätschelte seine Brust und strich ihm eine seiner längeren Ponyfransen aus der Stirn. „Jetzt kann man dich auf die Menschheit loslassen.“

 

Nun war es an Tatsuro, mit seinem nicht durch die Augenklappe verdeckten Auge zu rollen, aber bevor sie die Wohnung endgültig verließen und sich auf den Weg machten, ließ er es sich nicht nehmen, seinen Freund erneut ausführlich zu küssen. Allein die Vorstellung, sich die nächsten Stunden über benehmen zu müssen, obwohl Yukke in greifbarer Nähe sein würde, war ihm zuwider. Aber da sich dieser Umstand nun mal nicht ändern ließ, musste er eben jetzt noch nehmen, was er kriegen konnte.

 

„Tatsue~“

 

~*~

„Ach du Schande.“, murmelte Tatsuro und musste sich anstrengen, nicht mit offen stehendem Mund auf die Menschenansammlung zu starren, die sich vor dem Eingang des Kinos tummelte. „Die sind doch nicht wirklich alle wegen Ame hier, oder?“

 

„Ich denke schon.“ Yukke neben ihm wirkte nicht minder überrumpelt und war wie angewurzelt stehen geblieben.

 

„Nicht, dass ich an der Sache mit Nobu auch nur irgendetwas Positives sehen will, aber ich glaube, dem Film hat das Drama nicht geschadet. Mir kam ja schon der ganze Hype um den Soundtrack übertrieben vor, aber das hier?“ Tatsuro schüttelte den Kopf, zog sein Handy aus der Hosentasche und wollte gerade Gara anrufen, um ihn zu fragen, ob sich Yukke und er einfach durch die Meute kämpfen sollten, da erkannte er die kleine Eins neben seinem Nachrichtenikon. Ein kurzer Druck offenbarte die Mitteilung, die sein Manager ihm vor einer halben Stunde geschrieben hatte.

 

»Geht zum Hintereingang, wir warten dort auf euch.«

 

„Kommando zurück“, meinte er, griff nach Yukkes Hand und machte sich mit gemäßigten Schritten auf den Weg zu besagtem Hintereingang. Er hatte wirklich keine Lust auf Stress und war seinem Manager nicht zum ersten Mal für seine vorausschauende Art dankbar. Jetzt hieß es nur noch keine Aufmerksamkeit erregen und …

 

„Seht mal! Sind das nicht Yukke und Tatsuro?“

 

„Lauf!“, rief Yukke ihm zu, eine Mischung aus Lachen und Knurren in der Stimme, die er in ihrer Situation nicht so anregend finden sollte, wie er das gerade tat. Aber er zögerte keine Sekunde, seiner Aufforderung nachzukommen, und so waren sie keinen Augenblick später hinter der nächsten Hausecke verschwunden.

 

Eine graue, unscheinbare Tür zu ihrer Rechten sprang auf und hätte Tatsuro zu Tode erschreckt, hätte er im selben Moment nicht das Gesicht seines Bruders im entstandenen Spalt erkannt.

 

„Hier rein“, zischte er ihnen zu und mit einer wenig eleganten Drehung kamen sie seiner Aufforderung nach. Die schwere Stahltür fiel hinter ihnen ins Schloss, verschluckte den Lärm der Fans, die ihnen gefolgt waren. Für zwei lange Sekunden sahen sie sich gegenseitig an, bevor sie wie auf ein unsichtbares Zeichen hin in schallendes Gelächter ausbrachen.

 

„Du hast uns den Arsch gerettet“, stellte Tatsuro prustend fest, während Yukke gleichzeitig meinte, dass ihm so etwas in all den Jahren seiner Schauspielkariere noch nicht passiert war.

 

„Du bist eindeutig ein negativer Einfluss, Tatsue“, japste er lachend.

 

„Das hätte ich dir von Anfang an sagen können“, hakte Sato ein, noch bevor Tatsuro etwas auf diese vollkommen aus der Luft gegriffene Anschuldigung hätte erwidern können. „Mein Bruder wusste schon immer, wie er alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Damit wirst du wohl leben müssen.“

 

„Ja, ja, was tut man nicht alles …“

 

„He, ich bin auch noch da, redet nicht über mich, als wäre ich Luft.“

 

„Oh, fühlt sich das arme Ego nicht ausreichend gestreichelt?“ Satochi tätschelte seine Wange, wofür er einen angedeuteten Schlag in die Magengrube kassiert hätte, wäre er ihm nicht schnell genug ausgewichen.

 

„Sag mir lieber mal, was dieser Trubel dort draußen zu bedeuten hat. Die sind nicht wirklich alle nur wegen Ame hier? Die können sich den Film doch nicht einmal ansehen oder hab ich da etwas falsch verstanden.“

 

„Nee, bis auf uns und die Presse kommt niemand ins Kino rein. Vermutlich erhoffen sie sich Autogramme oder Fotos nach der Premiere, ich hab keine Ahnung. Wenn den Hype jemand kennen müsste, dann bist doch du das? Für Yukke und mich ist das absolutes Neuland.“

 

„Mh, dafür schlägst du dich aber recht gut, Bruderherz.“

 

„Ist alles Garas Verdienst.“

 

„Verdammt, irgendwann sollte ich ihm doch mal diese sündhaft teure Kaffeeschokolade schenken, von der er immer schwärmt.“

 

„Ja, das solltest du wirklich.“ Gara kam mit Yumiko am Arm auf sie zu und grinste so breit, dass man befürchten konnte, er würde seine Ohren verspeisen. „Ihr seid der Meute also entgangen, sehr schön. Kommt gleich mal mit, ihr habt noch ein Interview zu geben, bevor es losgeht.“

 

„Wenn man vom Teufel spricht“, nuschelte Tatsuro so leise, dass nur Yukke und Sato ihn hören konnten, und setzte dann ein deutlich lauteres Seufzen hinterher. „Muss das sein? Haben wir in der letzten Zeit nicht schon genug Statements abgegeben?“

 

„Maul nicht rum, ich weiß doch, dass du genauso wie wir willst, dass Ame ein Erfolg wird.“

 

„Tu ich gar nicht. Mir ist das so was von egal.“

 

„Na klar.“

 

„Musst du ihm eigentlich immer widersprechen?“ Yukkes Ellenbogen bohrte sich kurz in seine Seite und sein Augenrollen wurde von einem kaum unterdrückten Schmunzeln begleitet.

 

„Natürlich. Warte nur ab, bis er den Manager auch bei dir heraushängen lässt, dann weißt du, wovon ich rede.“

 

„Das glaub ich nicht. Ich hatte noch nie einen Manager, ich stell mir das recht entspannt vor.“

 

„Hach ja, naive Unwissenheit.“

 

~*~

 

Das Interview war besser gelaufen, als Tatsuro befürchtet hatte. Keiner der Reporter hatte es gewagt, Fragen zu stellen, die sich nicht ausschließlich auf den Film bezogen. Die meisten waren daher auch an Miya gerichtet gewesen, der sich mit seinen Antworten zur allgemeinen Frustration der Anwesenden jedoch sehr zurückgehalten hatte.

Jetzt, als sie gemeinsam den überschaubaren Kinosaal betraten und sich ihre reservierten Plätze suchten, lag ein zufriedenes Schmunzeln auf den Lippen des Regisseurs, das ihn vermuten ließ, dass Miya es genossen hatte, den Reportern lediglich Brotkrumen vor die Füße zu werfen.

 

„Wenn er so guckt wie jetzt, bin ich immer wieder aufs Neue froh, dass er auf unserer Seite steht“, wisperte Tatsuro und warf dem zu kurz geratenen Produzenten, der es sich neben Satochi bequem gemacht hatte, erneut einen Seitenblick zu.

 

„Miya möchte man wirklich nicht zum Feind haben, da geb ich dir recht.“ Yukke lehnte sich in seinem Sitz zurück und streckte die Beine aus. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie gespannt ich auf das Endprodukt bin.“

 

„Wenn ich ehrlich bin, geht es mir genauso, aber erzähl es keinem.“

 

„Meine Lippen sind versiegelt.“ Yukke grinste und legte die Hand zum Schwur über sein Herz.

 

„Meine nicht“, blökte Satochi von links und erinnerte ihn daran, dass Yukke und er nicht allein hier waren. „Du bist der neugierigste Mensch auf Gottes weiter Flur, glaubst du wirklich, irgendwer kauft dir ab, dass du vor Spannung nicht halb am Platzen bist?“

 

„Du übertreibst mal wieder maßlos, Sato.“

 

„Und das ist deine Standartaussage, wenn du nicht weiter weißt.“

 

„Hört auf zu kabbeln, Kinder, es geht los.“ Yukke strahlte übers ganze Gesicht, als die Lichter im Vorführsaal verloschen und die ersten Bilder begleitet von ruhiger Streichermusik über die Leinwand flimmerten. Er hatte noch etwas sagen wollen, sich vielleicht sogar rechtfertigen, aber bei diesem Anblick verschwand jedes weitere Wort aus seinen Gedanken. Verflucht, er liebte diesen Mann so sehr, das wurde ihm in diesem Augenblick erneut bewusst.

„Nicht mich ansehen.“ Eine warme Hand legte sich an seine Wange und drehte seinen Kopf nach vorn. „Dort vorn spielt die Musik.“

 

„Du bist aber viel interessanter.“

 

„Wer’s glaubt.“ Sein Freund schmunzelte, nahm seine Hand und verschränkte ihre Finger auf seinem Oberschenkel ruhend miteinander. Immer, wenn sie sich etwas gemeinsam ansahen, fiel ihm auf, dass Yukke wirklich ein wahrer Meister darin war, sich in konzentriertem Schweigen zu üben. So auch jetzt. Normalerweise hasste er es, ignoriert zu werden, aber mit dem Gefühl eines warmen Daumens, der hin und wieder über seinen Handrücken streichelte, konnte auch er sich schlussendlich auf die Handlung des Films einlassen.

 

Hier und da verzog er das Gesicht, wenn ihm eine Stelle der Erklärungen oder Dialoge besonders hochgestochen oder übertrieben vorkam, aber irgendwann mischten sich die Bilder des Films mit seinen Erinnerungen an die vielen Wochen am Set.

 

Gerade sah man Akihikos Gesicht in einer Großaufnahme, während erstmals Ame no orchestra zu hören war. Eine dicke Gänsehaut rann ihm über den Rücken, als ihm bewusst wurde, dass gleich die Szene folgen würde, in der Yukke und er zum ersten Mal gemeinsam vor der Kamera gestanden hatten. Er musste zugeben, dass die Art, wie Miya die Musik, seinen Gesang und die Bilder miteinander kombiniert hatte, wirklich als kunstvoll bezeichnet werden musste.

Und plötzlich rannte Tetochi los, über die Straße, bis sie im Menschengewirr verschwand und Akihiko, der ihr hatte folgen wollen, mit Junji zusammenstieß. Er hörte den Dialog nicht, erinnerte sich viel lieber daran, wie Yukke und er sich vor dieser Szene die viel zu akkurat gestylten Haare durcheinandergebracht hatten. Er hatte jetzt noch Yumikos konsternierten Gesichtsausdruck vor Augen und das Gezeter Yukkes Stylistin im Ohr.

 

„Denkst du gerade an dasselbe wie ich?“, wisperte Yukke plötzlich nah an seinem Ohr und ließ ihn wohlig erschauern.

 

„Da bin ich mir fast sicher“, erwiderte er und wuschelte Yukke nur angedeutet durch die kurzen Haare am Hinterkopf. Sein Freund verbarg sein Lachen gegen seine Schulter, bis Gara ihnen von der anderen Seite her entgegen zischte, dass sie hier nicht alleine wären. Stimmte ja, die Reporter … wobei er zugeben musste, dass sie ihm doch ziemlich egal waren. Was wollten sie denn schreiben? Dass sich Yukke und er wie ein frisch verliebtes Paar während der Prämiere benommen hatten? Sollten sie doch. Dann würden diese Geier wenigstens einmal in ihrem Leben die Wahrheit schreiben.

Dennoch gingen sie wieder etwas auf Abstand und Tatsuro versuchte erneut, sich auf den Film zu konzentrieren. Was nicht wirklich leicht war, fand er doch den Zusammenschnitt von Akihikos ach so tragischem Leben auch in der vollendeten Fassung alles andere als realistisch, geschweige denn interessant. Dafür waren ihnen im Nachhinein die ganzen kleineren und größeren Szenen, in denen sich Junji und Akihiko in die Haare bekommen hatten, erstaunlich gut gelungen. Während des Drehs hatte er oft den Eindruck gewonnen, die Art und Weise, wie ihre Charaktere anhand des Drehbuchs hatten reagieren müssen, wäre zu überspitzt dargestellt gewesen, aber am Ende fügte sich alles erstaunlich gut zusammen.

 

„Streiten können wir, was?“

 

„So was von. Sollten wir uns für die Zukunft merken.“ Yukke wackelte mit der rechten Augenbraue, was ihn beinahe lauthals hätte auflachen lassen.

 

„Aber nur, wenn wir das mit der Versöhnung mindestens genauso gut hinbekommen.“

 

„Das ist doch etwas, worauf es sich hinzuarbeiten lohnt.“

 

„Leute.“ Diesmal war es Yumiko, die ihren Missmut über ihre Privatgespräche mit einem schnellen Seitenblick untermalte. Täuschte er sich oder glänzten ihre Augen verräterisch? Er runzelte die Stirn, hakte aber lieber nicht nach. Yumiko konnte ziemlich biestig werden, wenn man sie auf ihre sensiblere Seite ansprach.

 

Kaum eine halbe Stunde später beglückwünschte er sich für diese Entscheidung, denn der große Streit, auf den Junjis Fortgang nach Amerika folgen würde, machte auch ihm die Kehle eng. Obwohl es tatsächlich weniger an der Handlung an sich und mehr daran lag, wie Miya die musikalische Komponente des Films und die Zeitraffer Aufnahmen, die Akihikos Leben in den nächsten Monaten beleuchteten, zusammengeschnitten hatte. Bislang hatte Tatsuro nur entweder die Musik oder die Filmaufnahmen gesehen, während er den Begleittext eingesprochen hatte, aber nun das vollendete Produkt vor Augen geführt zu bekommen, rührte ihn mehr, als er zugeben wollte. Besonders, wenn er daran dachte, dass er beinahe nicht die Möglichkeit bekommen hätte, dem Film auf diese Weise seinen finalen Stempel aufzudrücken. Der Text war schon so umgeschrieben gewesen, dass ein anderer, als eine Art allwissender Erzähler, ihn hätte einsprechen können, wäre er nicht rechtzeitig aus dem Koma erwacht. Er musste seinen Halt um Yukkes Finger verstärkt haben, denn plötzlich spürte er seinen forschenden Blick auf sich.

 

„Geht es dir nicht gut?“, flüsterte er und für einen Augenblick spielte Tatsuro mit dem Gedanken, aufzustehen und den Kinosaal zu verlassen, nur um seinen eigenen Emotionen entfliehen zu können. Dann jedoch lehnte sich Yukke gegen seine Seite und murmelte: „Ich bin so froh, dass es gerade deine Stimme ist, die man hört.“ Ein feines Lächeln legte sich auf Tatsuros Lippen, während er einen Arm um die Schultern seines Freundes legte und ihn näher an sich zog. Einerseits fragte er sich, wie der andere es nur immer wieder schaffte, genau die richtigen Worte zu finden, andererseits war er ihm unendlich dankbar dafür.

 

‚Was täte ich nur ohne dich‘, dachte er und küsste Yukkes Schopf, keinen Gedanken daran verschwendend, ob und wer sie sehen konnte.

 

Für den Rest des Films blieb Yukke gegen seine Seite gelehnt und obwohl seine Fingerspitzen bereits etwas zu kribbeln anfingen, hätte er nicht zufriedener sein können. Wieder schwollen die Streicher an, trieben seine Stimme durch den Vorführraum, während sich Akihiko und Junji vor der Kulisse eines grandiosen Sonnenuntergangs am Meer gegenüberstanden. Die finale Szene entfaltete sich vor ihren Augen, der Dialog der beiden Liebenden schraubte sich immer höher, bis Junji und Akihiko sich so nahe waren, dass sie auf der Leinwand wie ein einziges Wesen wirkten. Wieder überzog eine feine Gänsehaut Tatsuros gesamten Körper.

 

„Verdammt sind wir gut“, nuschelte er, ohne sich richtig darüber bewusst zu sein, und grinste, als Yukke sein kurzes Auflachen gegen seine Halsbeuge verbarg.

 

„Von Bescheidenheit hast du auch noch nichts gehört, was?“

 

„Warum auch? Ist doch nur die Wahrheit.“

 

„Ich liebe dich, Akihiko, und ich werde nie wieder so dumm sein, das infrage zu stellen.“

 

„Junji …“

 

„Siehst du, genau das meine ich.“ Tatsuros Augen hingen wie gebannt an der Leinwand, als die beiden Liebenden auch noch den letzten Abstand zwischen ihnen überwanden und ihre Lippen sich in einem cineastisch hervorragend umgesetzten Kuss berührten.

 

„Ich küsse keinen Mann vor der Kamera!“, hörte er seine eigene, aufgebrachte Stimme aus der Vergangenheit und schüttelte über sich selbst amüsiert den Kopf. Wie verbohrt er damals doch gewesen war.

 

Begeisterter Applaus von allen Seiten riss ihn aus seinen Erinnerungen. Verwundert blinzelte er, war so einen ungezügelten Ausbruch spontaner Freude bei einer Filmpremiere absolut nicht gewohnt. Aber verdammt, es gefiel ihm und nach einem kurzen, vergewissernden Seitenblick auf Gara, erhob er sich und zog auch Yukke mit auf die Beine. Das Klatschen wurde lauter, als gleichzeitig der Saal langsam wieder beleuchtet wurde und die Reporter und anderen Gäste somit einen guten Blick auf sie erhaschen konnten.

 

„Sagte ich nicht, wir sind gut?“ Er grinste Yukke an, der anders als er ein wenig verschämt und überfordert von so viel Aufmerksamkeit wirkte. „Genieß es, wir haben uns das so was von verdient.“

 

„Das habt ihr wirklich.“

Überrascht schaute Tatsuro zur Seite und auf den kleinen Regisseur, von dem er den ganzen Abend über noch nichts gehört hatte.

„Ich hätte zwar nie gedacht, das einmal zuzugeben …“ Miya verzog das Gesicht, als würde ihm dieses Eingeständnis körperliche Schmerzen bereiten, „aber deine unsägliche Art, ständig zu improvisieren, und Yukkes Talent, dabei auch noch so souverän mitzumachen, haben den Film wirklich nach vorn gebracht.“

 

„Oh mein Gott.“ Tatsuro presste eine Hand auf sein Herz und starrte den Produzenten aus einem kugelrunden Auge an. „War das gerade ein Lob aus deinem Mund?“ Miya erwiderte seinen Blick mit strenger Miene, bis etwas geschah, dass Tatsuro für eine Halluzination gehalten hätte, würden nicht alle um ihn herum gleichermaßen verblüfft aus der Wäsche gucken. Miya grinste.

 

„Scheint fast so, was?“

 

~*~

 

„Ich bin wirklich gespannt, ob die Reaktion der breiten Masse auf den Film genau so überwältigend sein wird, wie die der Presse heute.“ Sato war an seiner Seite aufgetaucht, in einer Hand ein Glas Champagner, in der anderen seinen Gehstock. Tatsuro war jedoch so tief in seinen eigenen Gedanken versunken, dass er sein Ankommen erst gar nicht bemerkt hatte und nun etwas überfordert wirkte.

 

„Tschuldige, was hast du gesagt?“

 

„Nicht so wichtig.“ Sato grinste ihn an, bevor er seinem Blick folgte, der bereits seit einer geraumen Weile auf Yukke ruhte. „Die Reporter haben einen Narren an ihm gefressen, was?“

 

„Das ist noch harmlos dargestellt. Ich muss wirklich ein ernstes Wörtchen mit Gara reden. Wieso hat er ihn allein mit der Meute gelassen? Er weiß doch, dass Yukke im Umgang mit Reportern noch ein absoluter Neuling ist.“

 

„Ach, der macht das schon. Schau doch, sie liegen ihm zu Füßen.“

 

Und das stimmte sogar. Gerade ertönte das glockenhelle Lachen einer jungen Frau, die etwas, das Yukke gesagt hatte, wohl sehr amüsant fand. Sein Freund hingegen hatte ein selbstzufriedenes Lächeln auf den Lippen, das Tatsuro in diesem Moment nicht so attraktiv finden sollte, wie er es gerade tat.

 

„Okay, du hast recht“, gab er zu und entwand seinem Bruder den Champagner, um einen großen Schluck davon zu trinken. Sato kommentierte diese Aktion lediglich mit einem herzhaften Augenrollen, leerte den Rest des Schaumweins und winkte einen Kellner heran, auf dessen Tablett er das nun überflüssige Glas abstellen konnte.

 

„Also“, begann er nach einer Weile des einvernehmlichen Schweigens und Tatsuro drehte den Kopf, um seinen Bruder trotz seines eingeschränkten Blickfeldes im Auge zu haben. „Hast du dich schon entschieden?“

 

„Was meinst du?“

 

„Na, ob du bei der Fortsetzung von Ame mitmachst? Miya meinte, du wärst nicht sehr begeistert gewesen, als er dir davon erzählt hatte.“

 

„Er will noch einmal denselben Drehbuchautor engagieren. Kannst du dir das vorstellen? Angeblich, weil er der Einzige ist, der nichts dagegen hat, wenn man sich nicht genau an seine Vorgaben hält. Das ist doch hirnrissig, oder?“

 

„Warum? Was würdest du denn an seiner Stelle machen? Dich das Drehbuch schreiben lassen?“

 

„Zum Beispiel.“ Er grinste und Sato neben ihm schüttelte lachend den Kopf.

 

„Das beantwortet aber noch immer nicht meine Frage. Machst du jetzt mit oder nicht?“

 

„Sieh ihn dir an.“ Tatsuro deutete auf Yukke, der gerade ein wenig hilflos versuchte, die Reporter abzuschütteln, die sich wie eine lebendige Traube um ihn geschart hatten. „Denkst du wirklich, ich könnte irgendjemandem meine Rolle überlassen, solange Yukke mit von der Partie ist? Irgendwer muss doch auf ihn aufpassen.“

 

„Mensch, Tatsue, dich hats ganz schön erwischt.“

 

„Das … ist die Untertreibung des Jahrhunderts, Bruderherz.“

 

~*~

 

„Yukke“, keuchte er, schlüpfte mit den Händen unter das störende Jackett und zupfte so lange an dem Hemd herum, bis er endlich warme Haut unter seinen Fingerspitzen fühlen konnte. Seine Lippen attackierten den Hals direkt vor seiner Nase, womit er seinem Freund herrlich unterdrückte Laute entlockte.

 

„Tatsue, nicht, was, wenn einer deiner Nachbarn auf den Aufzug wartet und uns so sieht.“

 

„Dann hat er was zu gucken, außerdem sollen meine Nachbarn gefälligst schlafen und nicht um drei Uhr morgens im Hausflur umherwandern.“ Sein Kopf fühlte sich wie in Watte gepackt an – ein herrlich erhebendes Gefühl – und es wunderte ihn selbst, dass er noch so klar und deutlich sprechen konnte. Den Champagner, den es den ganzen Abend über in rauen Mengen zu trinken gegeben hatte, hätte er zwar nicht als lecker bezeichnet, aber nach dem fünften oder sechsten Glas war der Geschmack ohnehin nachrangig geworden.

„Mmmh, du riechst so gut“, nuschelte er nah an Yukkes Ohr, fuhr mit der Nase über die weiche Haut direkt darunter und ließ es sich nicht nehmen, auch seine Zunge diese schöne Stelle ausführlich entdecken zu lassen.

Yukkes Finger hatten sich in seine Haare geschoben und es ziepte angenehm auf seiner Kopfhaut, immer, wenn er in seiner aufsteigenden Lust gefangen daran zog.

Der Aufzug machte mit einem hellen Pingen auf sich aufmerksam, als sie seine Etage erreicht hatten, und kaum waren die Türen beiseite geglitten, schob er Yukke über den dunklen Flur. Gut, dass er hier schon so lange lebte und den Grundriss seines Wohnblocks inn- und auswendig kannte, denn so schafften sie den kurzen Weg zu seiner Wohnungstür trotz anhaltender Küsse ohne nennenswerte Zwischenfälle.

 

„Tatsue~“, keuchte Yukke, als er sich an einer besonders schönen Stelle seines Halses festsaugte und gleichzeitig versuchte, den Schlüssel in das Schloss seiner Wohnungstür zu stecken. Wie lange es schlussendlich gedauert hatte, bis sie sein Appartement betreten konnten, konnte und wollte er hinterher nicht sagen, lediglich ein erleichtertes Seufzen entkam ihm, als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel.

„Schlafzimmer“, war das letzte kohärente Wort, das ihm für eine lange Weile über die Lippen kommen sollte, während sie eine Spur aus Kleidern im Flur hinterließen.

 

Den kleinen Zettel, der zwischen Türblatt und Rahmen eingeklemmt worden war, und den das stürmische Öffnen der Tür hinter die Kommode im Flur geweht hatte, hatte keiner von ihnen bemerkt.

 

»Es ist noch nicht vorbei, Tatsuro, ich habe überall Verbündete.«



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