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Was im frühlingshaften Palastgarten nicht alles geschehen kann...

The Vessel and the Fallen Sidestory 1
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Kleine Info am Rande:
Koumei ist hier vier, Kouen sechs, Hakuren sieben und Hakuyuu ist zehn Jahre alt.

Hier ist der erste längere Text.
Es wird auf jeden Fall kein Oneshot, mal schauen wie viele Kapitel dabei herauskommen. Komplett anzeigen

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Winterliches Kennenlernen

 
 

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Gerne erinnerte Hakuren Ren sich an das erste bewusste Treffen mit seinem jüngeren Cousin. Von all seinen Erfahrungen, die er je gemacht hatte, dachte er mit am liebsten an diesen Tag zurück. Seit er ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte, ruhte sein ungebrochenes Interesse nur auf ihm. Schon seit jeher verband sie etwas Unerklärliches, doch er sollte nie herausfinden was genau sie damals zusammen brachte.
 

Es war ein trüber Wintertag. Der Himmel versank in dumpfem Grau und färbte die Welt mit seinem seltsam kalten Licht. Kahle Ahorn- und Pflaumenbäume reckten ihre dürren Zweige wie Gerippe in die Höhe. Wie die starren Hände von auf dem Schlachtfeld erfrorenen Soldaten. Dazu passten die unwirtlichen Temperaturen. Die eisige Luft schmerzte in Nase und Lungen, sobald man sie zu schnell einsog und die kleinen Zierteiche und Brunnen im Palastgarten ruhten erstickt unter einer dicken Eisdecke. Ebenso war es den armen Pflanzen ergangen, die sich Jahr für Jahr zu spät gegen den hereinbrechenden Winter wappneten. Überzogen mit schimmernden Eiskristallen konnten sie vom milden Frühling nur träumen. Sobald der Herbst Verfall und Stürme mit sich brachte, versank das Kou Reich in diffusem Grau, welches der Wintereinbruch noch verstärkte. Lediglich die prächtigen roten Dächer des Palastes leuchten kraftvoll in der kargen Landschaft. Dieser Winter war einer der übelsten Sorte. Kalt und windig, sodass man des Nachts in einem fort Kohlepfannen entzünden musste, um nicht im Schlaf zu erfrieren. Pflanzen gingen ein und selbst die Goldfische erstarrten in den ungewöhnlich kalten Teichen zu Eis, obwohl diese sonst nie bis auf den Grund zu froren. Nur die knorrigen Kiefern schienen den unbarmherzigen Temperaturen noch zu trotzen, wenngleich lanzengleich funkelnde Eiszapfen von ihren Ästen herabhingen und jeden Passanten stillschweigend bedrohten. Glücklicherweise wurde diese Drohung höchstens im Sturm wahr, wenn sich die alten Bäume schwächelnd krümmten und die ächzenden Stämme um Hilfe zu flehen schienen. Ja, dieser Winter war furchtbar, hart und bitter. Nicht einmal Schnee brachte diese unheilige Jahreszeit mit sich, selbst für den flockigen weißen Niederschlag war es zu kalt. Als ob die Wolken selbst vor Frost schlotterten und darüber ihre wichtige Aufgabe vergaßen. Die Menschen zogen sich frustriert und frierend in ihre Häuser zurück und die meiste Zeit beherrschte eine klirrende Stille das eisige Land.
 

Besonders den Bewohnern des kaiserlichen Palastes in der Landeshauptstadt Rakushou schien das trostlose Wetter auf die Seele zu schlagen. Schon seit Tagen hatte sich das Herrscherehepaar nachdenklich zurückgezogen, jeder der beiden einzeln und abgesondert. So brüteten sie, jeder für sich, über deprimierender Arbeit, für die es nun bei der tödlichen Kälte keinen Aufschub mehr gab. Ihre beiden jungen Söhne verbrachten Stunde um Stunde im geheizten Hauptsaal des Anwesens und bekamen den üblichen Unterricht in Lesen, Schreiben, Poesie, Rhetorik, Militärstrategie und was man nicht sonst noch alles brauchen konnte, um später einmal zu regieren, erteilt. Nun, wo die kleinen Prinzen nicht andauernd im Palastgarten herumtoben konnten und ohne Schnee auch keinerlei Verlangen danach verspürten, witterten ihre Lehrer die Gelegenheit, ihnen noch mehr unnützes Wissen einzutrichtern, als gewöhnlich. Zwischendurch gab es zwar spannende Übungen mit dem Schwert und anderen Waffen, doch diese Auszeiten waren viel zu selten und so machte sich auch unter den beiden Jungen eine düstere Stimmung breit, die das traurige Wetter bestens wiederspiegelte.
 

Doch an diesem Tag gab es zumindest eine Person, welche die winterliche Verdrießlichkeit abschüttelte. Der jüngste Sohn von Kaiser Hakutoku Ren und seiner Frau Gyokuen besaß ohnehin ein sonniges Gemüt, gegen das selbst der schwärzeste Himmel nicht ankam. Stets rannte er mit einem breiten Grinsen durch die langen Korridore, wobei seiner guten Laune des Öfteren wertvolle Vasen und dergleichen zum Opfer fielen. Sein Mutter betitelte sein offenherziges Wesen meist als anstrengend, obwohl sie nicht anders konnte, als in das unschuldige Lachen mit einzustimmen. Die Leute munkelten, Hakuren Ren könnte nicht ganz richtig im Kopf sein, wenn er jedes auch nur andeutungsweise positive Ereignis mit strahlender Miene quittierte. Sie meinten, falls er mit seiner draufgängerischen, naiven Art jemals ein reiferes Alter erreichen würde und seinem kaiserlichen Vater in die Schlacht folgen müsste, würde er sicherlich mit einem gutgelaunten Lachen von der ersten Salve Pfeile durchbohrt werden. Während sein älterer Bruder Hakuyuu die bösen Zungen fürchtete, war Hakuren mit seinen sieben Jahren zu jung, aber vor allem zu sorglos, um sich ernsthaft darum zu scheren.
 

Manche Leute erwiderten sein Grinsen, ohne es zu bemerken und hielten ihn für das goldigste Kind, dessen kreischende Stimme je durch den altehrwürdigen Palast gehallt war, sodass er sie mochte, andere empfanden ihn als wahres Ungeheuer, welches sich nicht bändigen ließ, sodass er einen Bogen um sie schlug oder sie mit Streichen tyrannisierte. So tat fremde Abneigung seiner Laune kaum je einen Abbruch. Natürlich gab es selten auch Dinge, die seine großartige Stimmung ins genaue Gegenteil verwandeln konnten, dann wurde aus dem fröhlichen kleinen Jungen eine brüllende Bestie, aufbrausend und unerträglich. Einige Palastdiener lebten in ständiger Furcht vor einem dieser berüchtigten Tobsuchtsanfälle, bei denen ab und an sogar Möbel zu Bruch gehen konnten. Viele befürchteten, dass es bald wieder an der Zeit wäre. Der beliebteste Grund für einen kindlichen Ausraster, stellte die Rivalität zu Hakuyuu dar, denn dieser würde einmal den Kaiserthron erben. Dumm nur, dass Hakuren als lediglich zweiter Prinz ebenfalls stark an der Position des Herrschers interessiert war und die festgeschriebene Erbfolge noch nicht recht verstand. Aber auch die vergangenen Tage hatten an seinen Nerven gezerrt, nicht wegen dem düsteren Wetter, sondern aufgrund der zusätzlichen Unterrichtslektionen und der ausbleibenden Bewegung, denn Hakuren lechzte nach einer Möglichkeit, sich richtig auszutoben und versuchte sich bereits erfolgreich an den Waffen. Die ganze Zeit zappelte er herum, plapperte in einem fort, sodass sogar sein Bruder gequält stöhnte, zerriss teure Seide, auf der er eigentlich Schreibübungen tätigen sollte und verschüttete die Tinte über einen wertvollen Teppich. Kein Wunder, dass er sich in dieser Zeit so einige Schläge einfing. Ja, selbst Hakuren ging der Winter allmählich auf die Nerven.
 

Doch nicht an diesem Tag. Denn heute hatte er frei. Keine lästigen Schreib- und Leseübungen, kein Benimmunterricht, kein gar nichts! Aber vor allem munterte ihn ein bevorstehendes Ereignis noch zusätzlich auf: Endlich würde er seinen kleinen Cousin kennenlernen. Nun ja, eigentlich wiedersehen, doch ihre letzte Begegnung lag sicherlich mindestens zwei Jahre zurück und da war der Sohn seines Onkels noch winzig und uninteressant gewesen. Hakuren konnte sich noch verschwommen an die Tage nach der Geburt des kleinen Koumei erinnern, eine nicht sonderlich freudige Zeit, da die Mutter in den folgenden Tagen am Kindbettfieber gestorben war. Das hatte er zumindest irgendwo aufgeschnappt. Was es bedeutete wusste der kleine Prinz damals noch nicht so genau, er sah nur betrübte Gesichter und versteckte Tränen. Sein Cousin Kouen, der etwas jünger war als er, hatte davon noch nicht sonderlich viel bemerkt, mit zwei Jahren war er eindeutig zu jung. Ohnehin hatte ihn eine Amme aufgezogen, sodass er wohl keine allzu enge Bindung zu seiner verstorbenen Mutter verspürt hatte. Nachdem sein Vater sein Beileid bekundet hatte, hatte Hakuren kurz darauf das Neugeborene betrachten dürfen, da der Kaiser für einige Tage zu seinem Bruder Koutoku gereist war, um ihm ein wenig Beistand zu leisten. Eigentlich interessierte Hakuren sich nicht für solch junge Würmchen, doch als er grade mal drei Sommer erlebt hatte, war das noch etwas anderes. Er konnte sich kaum an die Begegnung erinnern, nur dass der Säugling seltsam zu sein schien, denn das einzige was er tat, war in der Wiege liegen und schlafen. Stunde um Stunde, fast den ganzen Tag lang. Öde… Hakuyuu hatte ihm zwar erzählt, dass der Säugling durchaus manchmal wach gewesen war und die Umgebung mit großen, roséfarbenen Augen gemustert hatte, bevor er sie wieder für lange Zeit geschlossen hatte, allerdings hatte dies Hakurens Interesse nicht sonderlich angefacht.
 

Jetzt allerdings, vier Jahre später war Hakuren sehr gespannt, was ihn erwarten würde. Er hoffte inständig, dass der kleine Knirps etwas mit sich anfangen ließ und nicht so langweilig war, wie damals. Vielleicht hatte er sich ja zu einem kleinen Wirbelwind entwickelt, der auf seinen kurzen Beinchen durch die Gegend sauste und bereitwillig mit ihm die Gegend unsicher machen würde.
 

Die Dienerinnen und Zofen hatten ihn an diesem Morgen, nach dem üblichen heißen Tee, in warme Gewänder  gehüllt und er kam sich vor, wie ein Fellklumpen, der mehr über die Gänge rollte, als lief. Er fand es jedoch nicht störend, sondern überaus lustig. Wie immer nahm er den Prunk des elterlichen Palastes als vollkommen gewöhnlich und normal hin, bemerkte nicht die edlen Verzierungen die in jede Säule, jeden Balken, jede Wand und jede Decke eingearbeitet waren. Selbst die farbenfrohen Drachenmuster entlockten ihm keine Bewunderung, schließlich ging er jeden Tag daran vorbei, sie kamen ihm selbstverständlich vor und er verspürte höchstens einen Anflug von kindlichem Stolz an diesem herrschaftlichen Ort zu leben, wenn er die glänzenden Schuppen der Fabelwesen betrachtete, die so echt gearbeitet waren, dass die sagenumwobenen Bestien sich über Stein und Holz zu schlängeln schienen. Früher hatte er sich oft die Ornamente und Malereien angesehen, aber nun war er viel zu aufgeregt.
 

Vergnügt traf er vor dem goldbeschlagenen Tor zum Garten seinen Bruder und schon ging es in den eisigen Winter hinaus, der ihren Atem als kleine Wölkchen in der Luft hervorhob. Hakuyuu hatte vorgeschlagen, sich mit den Cousins im Sommerpavillon zu treffen, der zu dieser Jahreszeit mehr einem Eispalast glich, so zahlreich wie die Eiszapfen das geschwungene Dach zierten. Dennoch, darin ließ es sich erstaunlich gut aushalten. Hakuyuu trug einen großen Weidenkorb mit eingelegten Pflaumen und Reis, damit sie ihren Gästen ein kleines Frühstück anbieten konnten. Kouen und sein kleiner Bruder waren gestern Abend mit dem Rest der Familie Ren im kaiserlichen Palast eingetroffen und dort würden sie noch einige Tage bleiben, also bot sich genügend Zeit, um den kleinen Fratz endlich einmal richtig kennen zu lernen. Der Kleine wurde ansonsten immer zu Hause gelassen, da seine schwächliche Konstitution Reisen angeblich nicht erlaubte. Hakuren fragte sich, was dieses gebildet klingende Wort „Konstitution“ wohl bedeutete und warum es seinen Cousin davon abhielt, zu ihnen zu kommen. Egal, gleich würde er ihn endlich sehen und er freute sich schon so sehr, dass Hakuyuu ihn spöttisch in die Seite stieß. Hakuren taumelte in die kahlen Büsche. Empört starrte er seinen Bruder an und kämpfte sich, böse Beschimpfungen auf der Zunge, aus dem Gestrüpp hervor. Doch Hakuyuu lachte nur: „Mach den Mund zu, Hakuren. Wenn du so hinfällst, friert deine Zunge noch am Boden fest.“ „Bäh!“, machte der Jüngere und streckte sie ihm betont lang heraus. „Sei nicht immer so frech, was sollen unsere Vettern von uns denken, wenn du sie mit dieser furchtbaren Grimasse begrüßt?“, tadelte der erste Prinz.
 

Mensch, dieser Spielverderber! Immer musste er so erwachsen und vernünftig tun, dabei hatte der edle Hakuyuu letztes Jahr noch höchst selbst einen Drachen aus Schnee im Palastgarten gebaut und jeden verjagt, der sich in die Nähe seines Kunstwerks wagte. Sein älterer Bruder konnte unendlich ätzend sein! Manchmal verhielten sie sich zwar wie ein Herz und eine Seele, doch dieses friedliche, einträchtige Verhältnis konnte genauso schnell in einen Kleinkrieg ausarten, genau wie in diesem Moment. In eine ihrer üblichen Streitereien versunken, erreichten sie schließlich den Pavillon. Eiskristalle barsten knirschend unter ihren spitzen Stiefeln, als sie die glatten Treppenstufen zum Eingang hinaufstiegen. Begeistert machten sich die Prinzen mit der kalten Pracht im Inneren vertraut und legten ihre Mitbringsel sorgfältig auf dem frostbedeckten Tisch in der Mitte ab. Dabei glich es einem Wunder, dass der Inhalt des Korbes nach ihrem Streit intakt geblieben war.
 

Wenig später erklangen Schritte von draußen und Hakuren stürmte begeistert zum Eingang, wobei er beinahe auf einer besonders glatten Eisschicht ausgerutscht wäre, um als erster einen Blick auf das unbekannte Familienmitglied zu erhaschen. Doch Hakuyuu pfiff ihn warnend zurück. „Benimmt sich so ein Prinz unseres Reiches?“, fragte er streng und der andere stellte sich seufzend neben ihm auf. Er wartete nicht gern, schließlich war er ein enorm aktives, nahezu hibbeliges Kind. Wieso musste er nur immer auf den Älteren hören? Sein ganzes Leben lang würde er diesem Aufschneider unterstellt sein, das würde er nie und nimmer aushalten. Viel lieber würde er selbst Kaiser werden, dann würden ihm alle Untertanen zu jubeln, er wäre reich und mächtig. Aber vor allem könnte er tun und lassen, was er wollte. Das wäre so toll! Doch das sollte niemals sein. Blöder Yuu!, dachte er trotzig und schob schmollend die Unterlippe vor. Allerdings hielt er den beleidigten Blick nicht lange durch, denn da betrat der ältere ihrer Cousins endlich den kleinen Raum.
 

Zuerst flutete eine Welle der Enttäuschung über Hakuren hinweg. Kouen war alleine gekommen!? Ihn kannte er schon beinahe so gut wie seinen eigenen Bruder. Der sechsjährige Junge stand mit erhobenem Haupt im Eingang und wirkte ebenso erhaben wie Hakuyuu. Und zu Hakurens Frust deutlich älter als er selbst, obwohl sie ein ganzes Jahr Altersunterschied trennte. Er trug an diesem Tag lediglich einfache, schwarz-weiße Roben, hie und da mit roten Akzenten durchwebt und sah trotzdem sehr stattlich für sein geringes Alter aus. Sein halblanges, tiefrotes Haar, versehen mit dem kou-typischen Haarschmuck, wie auch Hakuyuu ihn trug, leuchtete kraftvoll, selbst in diesem trostlosen Licht und seine roten Augen erfassten die beiden Brüder scharf, ehe er auf die Knie ging und ihnen den traditionellen Gruß darbot. „Seid gegrüßt, eure kaiserlichen Hoheiten Hakuyuu Ren, Hakuren Ren“, sprach er, ebenso ernst, wie Hakuyuu es stets zu tun pflegte. Die Prinzen erwiderten die Höflichkeiten, ehe Hakuren das steife, formelle Gehabe nicht mehr aushielt und fragte: „Sag En, wo ist dein Bruder?“ Ein verwunderter Ausdruck zeichnete sich auf dem Gesicht seines Cousins ab. „Gute Frage, eben war er noch da“, murmelte er erstaunt und drehte den Kopf nach hinten, um ihn zu suchen. Es war ihm sichtlich unangenehm, nicht mit der versprochenen Begleitung aufgetaucht zu sein und Hakuren fand, dass er dazu nur das Recht hatte. Grade wollte er an Kouens Zuverlässigkeit herummäkeln, als er jäh erstarrte.
 

In diesem Moment sah er ihn. Nein, eigentlich nur einen dunkelroten Schimmer, der an Kouens Seite hervor blitzte, als krallte sich jemand an ihm fest. Ihr Cousin ließ ein entnervtes Schnauben hören, dann langte er hinter sich und schob nach einigem Gezerre endlich eine kleine Gestalt an seine Seite, die daraufhin ein verängstigtes Piepsen ausstieß, zumindest erschien es den Versammelten so. Hakuren blickte gebannt auf das winzige Etwas, dass plötzlich neben Kouen aufgetaucht war und ihn nun frierend mit großen Knopfaugen anstarrte, deren Farbe der Junge nicht bestimmen konnte. Süß!, war das erste, was ihm durch den Kopf schoss. Der Anblick fesselte ihn regelrecht und er bemerkte nicht, wie es Kouen langsam unwohl wurde. „Komm schon, Koumei, stell dich ebenfalls vor! Von den kaiserlichen Prinzen bemerkt und empfangen zu werden, ist etwas, für das du dankbar sein kannst!“, drängte Kouen hastig. Erschienen da etwa Schweißtropfen auf seiner Stirn? Daraufhin blinzelte der Kleine beinahe nachdenklich, als überlegte er, ob er sich nicht doch wieder hinter dem großen Bruder verstecken sollte. Ob er schüchtern war oder ob er sich für die winzigen Pickel und Narben auf seiner Nase schämte? Kouen stieß ihn sichtlich nervös an und plötzlichkniete sich auch der Kleine nieder, umfasste seine rechte Faust mit der linken Hand, grüßte auf diese Weise und neigte kurz den Kopf. Hakuren war entzückt, es sah zu knuffig aus, wie er fand. Als er dann auch noch die helle Stimme seines jüngsten Cousins vernahm, war er vollkommen von ihm eingenommen und konnte sich ein strahlendes Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin der zweite Sohn von Koutoku Ren, Koumei Ren. Guten Tag“, piepste es da. Ja, der Kleine war wirklich herzallerliebst. Er schien beinahe in den langen, weiten Gewändern zu ertrinken und wirkte auf ihn sehr klein, woran auch der Haarknoten, der die zottelige rote Mähne, die dem Jungen wild über die Schultern fiel, nicht bändigen konnte, nichts änderte. Begeistert musterten Hakuren und Hakuyuu das unbekannte Familienmitglied, bis plötzlich etwas wahrhaft Beängstigendes geschah.
 

Der zweite Prinz fing einen winzigen, unschuldigen Blick Koumeis auf und plötzlich ging es los: Der Kleine schien sich mit einem Mal unwohl zu fühlen, atmete schneller, krümmte sich kaum merklich und legte unsicher seine winzige Hand auf die Brust. Seine großen Augen schlossen sich gequält. Dann vergruben sich die kurzen Finger in dem Stoff, als hätte er Schmerzen. „W-was ist denn los?“, fragte Hakuren erschrocken und sah hektisch zwischen den drei anderen hin und her, erhielt als Antwort jedoch nur ein leises Stöhnen. „Ah!“ Und schon kippte Koumei nach hinten. Der Prinz stürzte nach vorne und erwischte seinen Cousin kurz bevor er auf dem Boden aufschlug. Nein, was ist denn nur mit ihm? Stirbt er?, schoss es durch seinen naiven Geist und Angst kochte in ihm hoch. Nun hielt er ein zitterndes Bündel in den Armen, das schwach blinzelnd zu ihm aufschaute. „Meine chronische Krankheit… Ich wurde mit einem schwachen Körper geboren. Ich kann mich nicht so lange anstrengen“, wimmerte Koumei schmerzerfüllt und Tränen stiegen ihm in die Augen. Voller Entsetzen starrte Hakuren seinen Cousin an. Wie sehr er bebte und seine viel zu blasse Haut fühlte sich ganz heiß an, trotz der Kälte. Er wollte etwas Tröstendes erwidern, doch dem Siebenjährigen blieb nur hilflos der Mund offen stehen. Warum tat Hakuyuu denn nichts, er war schon zehn und wusste eine ganze Menge, er könnte Koumei bestimmt helfen! Doch bevor Hakuren sich soweit gesammelt hatte, dass er nach seinem Bruder schreien konnte, ertönte wieder die schwach wispernde Stimme des Kleinen, dieses Mal noch weitaus alarmierender: „Wenn ich nicht bald in meine Gemächer zurückkehre und meine Tauben füttern darf, während ich faulenze und mein angefangenes Buch weiterlese, werde ich sterben.“ Bei den Rukh, wie furchtbar!, dachte Hakuren geschockt. Plötzlich wusste er, was mit „schwächlicher Konstitution“ gemeint war, denn sie sorgte eindeutig für Koumeis Leiden.
 

Dass Kouen während des Anfalls unbehaglich zu Boden starrte, entging Hakuren bedauerlicherweise. Koumei streckte eine zitternde Hand nach dem zweiten Prinzen aus. „Herr Hakuren… Ich lege die Zukunft von Kou… in deine… Hände… uuuh.“ Nach diesem entkräfteten Seufzer hielt Hakuren nur noch ein lebloses Bündel auf dem Arm. „Ko… Koumei!“, brüllte er panisch und rüttelte den Rotschopf verzweifelt, doch nichts geschah. Der Kleine hatte eindeutig das Bewusstsein verloren. Dachte Hakuren jedenfalls, so reglos wie Koumei an seiner Schulter lehnte. NEIN! Vollkommen verstört kniete Hakuren auf dem Boden und stieß einen gellenden Schrei aus. So bemerkte er auch nicht, dass Kouen ganz rot angelaufen war und sich offensichtlich zu fragen schien, ob er besser eingreifen sollte. Selbst wenn er es getan hätte, Hakuren hätte ihm kein Wort geglaubt. Schließlich drehte sich sein ältester Cousin zu Hakuyuu um und beteuerte unter zahllosen, tiefen Verbeugungen: „Es tut mir so leid, Entschuldigung! Ich entschuldige mich für meinen Bruder!“ Hakuyuu lachte nur wegwerfend und winkte ab. „Ist doch nicht schlimm, du solltest lieber mit Ren sprechen.“ „Oh… oh ja!“, stieß Kouen schwitzend hervor.
 

Unterdessen heulte der junge Prinz in einem fort seine Verzweiflung gen Himmel. Plötzlich ertönte eine zaghafte Stimme: „Kann ich jetzt nach Hause gehen?“ Überrascht registrierte Hakuren, dass er Koumei noch immer umklammert hielt und der Kleine deshalb kaum noch Luft bekam. Aber vor allem erstaunte ihn, dass seine roséfarbenen Augen nun geöffnet waren und bemerkenswert müde in die Welt blickten. Ach ja und natürlich wunderte er sich, weshalb ein Bewusstloser reden konnte. Ein Wunder musste geschehen sein. Dass das alles nur ein Schauspiel sein könnte, welches nur dazu gedacht war, ihn zu manipulieren, kam ihm nicht einmal ansatzweise in den Sinn. „A-aber natürlich kannst du das!“, murmelte er erleichtert, dass sein Vetter überhaupt noch lebte. Da schob sich Kouen in sein Gesichtsfeld. „Verzeiht mir, Prinz Hakuren“, bat er todernst und verneigte sich nun auch vor ihm. Irritiert beobachtete dieser die Ehrerbietung. Womit hatte er das jetzt verdient? „Ich hätte besser auf Koumei aufpassen müssen, es war klar, dass er versucht, in seinem Zimmer zu bleiben. Als ich ihn heute Morgen dort hinaus gezerrt habe und auf so wenig Widerstand stieß, hätte ich ahnen sollen, dass er sich nicht einfach so geschlagen geben wird. Lass ihn los, ich werde ihm mal ordentlich die Leviten lesen! Seine kaiserliche Verwandtschaft derart zu beleidigen bedarf einer harten Strafe!“, knurrte er abschließend. „Hä?“, machte Hakuren, der von den gehobenen Worten des Jüngeren meist nur ungefähr die Hälfte verstand. Kouen hatte sich diese Redensweise bei dem vielbewunderten Hakuyuu abgeschaut, der wiederum manchmal das Gebaren des Kaisers imitierte. Eigentlich hätte Hakuren sich auch gerne so gewählt ausgedrückt, aber das war schwer, wenn er nicht wirklich wusste, was mit den komplizierten Wörtern gemeint war und deshalb ließ er es bleiben. Dafür bekam er von seinem Bruder sogleich eine Übersetzung geliefert. „Er meint, dass Koumei dich ausgetrickst hat“, schnaubte Hakuyuu amüsiert. „Was? Das würde er niemals tun, oder Koumei?“ „Nein, Herr Hakuren, niemals!“, murmelte es an seiner Brust und Hakuren spürte, dass er seinen lieben, schwächlichen Cousin unbedingt vor dieser gefährlichen Welt und seinem grausamen Bruder beschützen musste, der sich bedrohlich vor Koumei aufgebaut hatte.
 

„Komm nicht mal auf die Idee ihn zu schlagen!“, warnte Hakuren ihn entrüstet. Überrumpelt stutzte Kouen, offenbar verstand er nicht, warum Hakuren Koumei in Schutz nahm. „Aber er hat dich doch grade dreist angelogen“, beharrte er stur. Hakuyuu lachte bloß leise in sich hinein, als wäre er schon derart alt und weise, dass er über derlei Angelegenheiten stünde, was Hakuren sehr wütend machte. „Ihr seid solche Idioten!“, zischte er, erntete aber nur höhnische Blicke. Also beschloss er, die beiden zu ignorieren und sich einzig und allein dem armen kleinen Knirps auf seinem Arm zu widmen.
 

„Geht es dir wirklich wieder gut?“, fragte er behutsam und versuchte vergebens die roten Zotteln aus dem Gesicht des Kleineren zu streichen. Die roten Strähnen fielen immer wieder in die Augen des Jungen und erinnerten ihn an rote Ahornblätter, die im Sommer so herrlich zwischen dem Grün der anderen Bäume hervorloderten. Sommer hätte er jetzt wirklich gerne. „Mh… fast… aber wenn ich mich jetzt hinlegen dürfte, ginge es mir noch viel besser“, gestand Koumei schwach. Hakuyuus Lachen steigerte sich ins Beängstigende, doch es drang nicht bis zu Hakuren vor. „Oh ja, natürlich darfst du dich hinlegen!“, bestätigte er fürsorglich. „Bringst du mich auf mein Zimmer, Herr Hakuren?“, hauchte Koumei ermattet. Er nannte ihn schon wieder „Herr Hakuren“? Wie respektvoll! Schlagartig fand er den Kleinen noch bemerkenswerter. „Wenn du das möchtest, na klar!“, rief er also aus und sprang voller Tatendrang auf, während Hakuyuu und Kouen peinlich berührt über seine Dummheit die Köpfe schüttelten. Doch den Spott der beiden bemerkte der zweite Prinz gar nicht mehr, denn schon schritt er mit stolzgeschwellter Brust und seinem kleinen Cousin auf dem Arm in Richtung der Gästezimmer.
 

Koumei wies ihm den Weg zu seinem Quartier erstaunlich präzise für sein geringes Alter. Scheinbar zufrieden thronte er auf seinem Arm, gab ihm klare Anweisungen und zeigte ihm die Richtung an. Von seinen großen Krokodilstränen bemerkte man nicht mehr viel. Allerdings schlotterte er ab und an in der Kälte und schien erleichtert, sich an ihn schmiegen und dabei aufwärmen zu dürfen. Hakuren staunte derweil ein wenig über seine Ausdrucksweise, die zwar nicht so gehoben wie Kouens klang, welche sich jedoch viel besser als seine eigene anhörte. Trotzdem bedauerte er dies nicht, wusste er doch, dass er vielleicht nicht der klügste war, aber dafür großes Kampfgeschick besaß, was in diesen jungen Jahren ebenfalls als bemerkenswert galt. In den Gemächern seines Vetters angekommen, staunte er nicht schlecht. Obwohl die Familie seines Onkels erst gestern angekommen war, herrschte hier schon das reinste Chaos. Überall lagen Bücher und Schriftrollen: Auf dem Boden, dem Schrank, der Kommode, dem Beistelltischchen und sogar das Bett brach beinahe unter dem Gewicht der dicken Wälzer zusammen. „K-kannst du etwa schon lesen?“, stotterte er verstört. „Habe ich doch eben gesagt“, antwortete Koumei knapp und fixierte begehrlich das Bett. Hakuren setzte ihn auf der Decke ab, wo der Winzling sich sofort wohlig seufzend flach ausstreckte, wobei er es nicht einmal mehr schaffte, die Schuhe abzustreifen, was sein älterer Vetter übernehmen musste. Wirklich liebreizend. Dann entzündete Hakuren ungeschickt eine Kohlepfanne, was er eigentlich nicht durfte, weil er sich ja verbrennen könnte. Dies tat er auch, aber das kümmerte ihn nicht. Außer einem kurzen Aufschrei, der von Koumei kaum beachtet wurde, hatte die winzige Brandblase an seinem Finger keine weiteren Folgen. Eine kleine Blessur war immer noch besser, als ein erfrorener Cousin, denn in diesem Zimmer herrschte ein scheußlicher Frost. Koumei schien sich gleich wohler zu fühlen, als die glühenden Kohlen langsam ein wenig von der Kälte verdrängten, sein Zittern ließ rasch nach. Anschließend räumte der zweite Prinz für seinen Cousin die Bücher fort, damit er es bequemer hatte. Eine Tätigkeit die er ansonsten verabscheute. Dabei fiel ihm auf, dass es hier zwar auch die ein oder andere Sage und Kindergeschichte gab, welche auch ihm gefallen hätte, die meisten Bücher sich allerdings um die Themen Magie und Militärstrategie drehten. Verblüfft musterte er das schläfrige Etwas, von welchem er nie erwartet hätte, dass es in der Lage wäre, solch anspruchsvolle Texte zu lesen. Schließlich musste Hakuren selbst noch viele Schriftzeichen lernen und dementsprechend war es auch um seine Lesekünste bestellt. Wahrscheinlich konnte er mit kaum einem Buch hier etwas anfangen. Die Themen fand er zu langweilig, noch dazu unverständlich und die Schriftzeichen ebenso öde. Bewundernd, wenn auch mit unterschwelliger Eifersucht, betrachtete er einen mächtigen Wälzer, dessen Titel zu entziffern ihn schon vor eine unlösbare Herausforderung stellte.  
 

„Kann es sein, dass du ziemlich schlau bist?“, erkundigte er sich schließlich. Koumeis Gesicht wurde von einem Berg aus Kissen verdeckt. „Mhm…“ Das sollte wohl ein Ja sein. Der Knirps entpuppte sich nicht grade als gesprächig. „Warum liest du so schwere Bücher?“, wollte er trotzdem wissen, denn es wollte nicht so recht in seinen Schädel hinein, wie ein anderes Kind freiwillig etwas derart langweiliges als Lektüre wählen konnte, dessen Bedeutung ihm selbst völlig rätselhaft blieb. „Sie sind interessant…“, gähnte Koumei und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Nun zeugte nur noch ein kleiner Hubbel auf dem Bett von der Anwesenheit seines Cousins. Etwas enttäuscht blickte Hakuren auf die Erhebung, dann packte er den edlen Stoff und zog ihn überraschend behutsam zur Seite. Sofort schaute er in große, empörte Augen, welche ihn aus der Dunkelheit heraus regelrecht anfunkelten. „Och Koumei, jetzt sei doch nicht so schüchtern!“, tadelte er so sanft wie er konnte. Er hoffte, dass er genug von seiner Mutter gelernt hatte, um mit dem Kleinen umzugehen, denn vielleicht konnte er mit einem ähnlich sanften Verhalten, was ihm sehr schwerfallen würde, den Knirps dazu überreden, sich doch noch ein bisschen mit ihm zu unterhalten. Schlau genug dafür war er auf jeden Fall. „Ich muss aber schlafen, sonst wird meine Krankheit schlimmer“, fiepte es unter der Decke und ehe er reagieren konnte, hatte Koumei das Laken wieder über seinen Kopf gezogen und verschwand nochmals. Das durfte natürlich nicht passieren, er würde ihn ja gleich in Ruhe lassen, aber da gab es noch so viele Dinge, die der Prinz ihn fragen wollte: „Schläfst du immer mit deinen Anziehsachen?“, entfuhr es Hakuren verblüfft, da ihm das nie in den Sinn gekommen wäre. Schließlich hatte er selbst einen ganzen Schrank voll mit feingewebten Nachthemden, eins gemütlicher, als das andere. Konnte sich die Familie seines Onkels das nicht leisten? Sein Vater meinte immer, dass nicht alle Menschen so sorglos und im Überfluss lebten wie sie, auch wenn der zweite Prinz sich das nur schwer vorstellen konnte. Er kannte schlicht und ergreifend nichts anderes.
 

Wie es wohl war, nicht in einem unglaublich riesigen Palast mit einem ausgedehnten Garten zu leben? Bestimmt langweilig, denn im Garten konnten die Kinder allerlei Unfug anstellen und spielen, was immer ihnen grade einfiel. Spielkameraden gab es reichlich, neben Hakuyuu und Kouen gab es noch die Söhne der Adelsfamilien und hochrangigen Bürger, die ebenfalls im Palast oder in dessen unmittelbarer Nähe am wohlhabenderen Rande von Rakushou wohnten. Auch Kinder von Sklaven wurden manchmal in die Spiele miteinbezogen, doch meist blieben sie unter sich, zu viel trennte sie von den höherrangigen Jungen und Mädchen, weshalb es leicht zu Streitereien kam, welche besonders von den niederrangigen Eltern mit Unbehagen aufgenommen wurden, denn das Fehlverhalten ihrer Sprösslinge konnte sie schnell einmal ihre Anstellung und in seltenen Ausnahmefällen sogar den Kopf kosten. So waren sie meist eine sehr einseitige Gesellschaft von kleinen, kämpferischen Knirpsen, die allerlei Unfug anstellten. Mädchen gab es unter ihnen kaum, denn diese beschäftigten sich lieber mit ihren Puppen und behinderten die Jungen nur beim Fangen spielen und Raufen, weil eben dies für sie nicht als angemessene Beschäftigung galt. Hakuren fand viele von ihnen langweilig, es gab selten ein weibliches Wesen außer seiner Mutter, dem er größere Beachtung schenkte und wenn, dann benahmen sie sich ungehobelter und wilder als jeglicher Junge. Hoffentlich würde Koumei in nächster Zeit ihre Runde ergänzen, das wäre so schön! Er würde ihn fragen, ob er nicht gleich morgen mit ihnen Verstecken spielen wollte. Kouen hätte sicher ebenfalls Lust und würde seinem kleinen Bruder bestimmt die Schüchternheit nehmen können. Aber zuerst wollte Hakuren ihn überreden, eines der weichen Nachthemden anzuziehen und seinen Haarknoten zu lösen, weil er angezogen doch unmöglich bequem schlafen konnte.
 

„Möchtest du dich nicht mal umziehen?“, hakte er nach. Stille. „Koumei?“ Ob er bereits schlief? Vorsichtig klopfte Hakuren auf das Laken. Keine Reaktion. Oder doch? Ja, eine vernarbte Nase schob sich unendlich langsam und vorsichtig unter der dicken Decke hervor. „Nein, Herr Hakuren, das ist zu kalt…“, wimmerte der Kleine herzzerreißend und schlotterte plötzlich bedenklich, wie um seine Worte zu unterstreichen. „Keine Sorge, ich helfe dir, dann geht das ganz schnell. Sicherlich haben die Dienerinnen dir bereits ein kuscheliges Nachthemd rausgelegt, die sind echt toll im Winter!“, verkündete er begeistert. Die kleinen Mundwinkel verzogen sich nach unten. „Aber ich werde erfrieren, wenn ich meine Gewänder ausziehe“, widersprach der Rothaarige ängstlich. „Och komm schon. Und nenn mich nicht immer Herr Hakuren, das macht mich ganz verlegen!“, grinste er scherzhaft. „Wie denn sonst, Herr Hakuren?“ Da musste er nicht lange überlegen. „Nenn mich Ren, das dürfen alle meine Freunde zu mir sagen!“ „Aber ich bin doch gar nicht dein Freund, sondern dein Cousin? Wir haben uns doch grade erst kennengelernt? Außerdem bist du der Kaisersohn!“, piepste es unter der Decke jämmerlich und die großen Augen schielten unterwürfig zu ihm hinauf. Oh wie sehr es dem jungen Hakuren schmeichelte, bereits von solch einem winzigen Kerlchen mit so viel Ehrerbietung behandelt zu werden. Er verstand nicht, dass da jemand geschickt daran arbeitete, ihn zu blindem Gehorsam zu erziehen. Dennoch, er mochte seinen Cousin auf Anhieb und da wäre es komisch, wenn dieser ihn immer mit „Herr“ anspräche. „Das stimmt nicht. Du bist mein Cousin und seit heute auch mein Freund, ist das nicht wunderbar?“ Plötzlich kräuselten sich die Mundwinkel Koumeis zu einem winzigen Lächeln auf. „Jawohl, Ren“, wisperte er andächtig, als wollte er sich den Klang seines Spitznamens  auf der Zunge zergehen lassen und schon war er wieder unter dem Deckenberg verschwunden. „Darf ich dich dann „Mei“ rufen?“, schlug Hakuren vor. Er erhielt eine kurze, gedämpfte Zustimmung und dann nichts mehr. Im ersten Moment freute er sich, dass sie sich schon soweit bekanntgemacht hatten, dass sie einander mit Spitznamen rufen konnten, doch dann erkannte er, dass er seinem eigentlichen Ziel kein Stückchen näher gekommen war.
 

„Mei, komm doch mal raus und zieh dich um, das ist bestimmt unbequem so!“ Zu seinem Erstaunen erschien der zauselige Kopf jetzt sofort und plötzlich war auch aller Widerstand erlahmt. „Na gut… aber nur, wenn du mir das Hemd bringst“, meinte Koumei matt. Dem Prinzen fiel gar nicht auf, dass er von jemandem, der deutlich jünger war als er, als Diener missbraucht wurde, sondern rannte enthusiastisch zum Schrank, in dem er die Kleider seines Vetters vermutete. Kaum hatte er die Tür aufgerissen, funkelte ihm glänzende Seide entgegen. Eine Robe, etwas verspielter und feiner als die, die sie für gewöhnlich unter sich im Haus trugen, hing aufsehenerregend direkt vor ihm. Irgendetwas an dem rot-grünen Muster in dessen Mitte eine geschickte Hand weiße Tauben aufgestickt hatte, entzückte ihn. Er musste sich mit Gewalt von diesem Anblick losreißen und fischte dann das Nachtgewand hervor, wobei er Glück hatte, dass er es mit seiner geringen Größe noch erreichen konnte. Bei Koumei angekommen, der sich gehorsam aufgesetzt hatte, zog er ihm die alten Sachen von den Schultern und tauschte sie gegen das Nachthemd. Der Kleine konnte gar nicht reagieren, so schnell hatte der Prinz ihm die Kleidung gewechselt und sein Haar gelöst. Hakuren strahlte bis über beide Ohren. Er war zufrieden mit seinem Werk, auch wenn das Band, welches alles zusammenhielt ein wenig schief gebunden war. Für gewöhnlich kleideten einen ja auch die Dienerinnen an. Zufrieden ließ sich Koumei in die Kissen sinken. Er wirkte äußerst tiefenentspannt. Doch um ihn schlafen zu lassen, schossen Hakuren noch viel zu viele Gedanken durch den Kopf. Er wollte seinen Cousin richtig kennenlernen!
 

„Magst du Tauben?“, erkundigte er sich unverblümt. Ganz anders als er erwartet hatte, wirkte Koumei nicht sonderlich aufgeregt, als er auf dieses Thema zu sprechen kam, sondern kratzte sich schläfrig am Hinterkopf. Doch dann meinte er müde: „Oh ja! Ich liebe Tauben… sehr… ich habe… zu Hause… selbst ganz viele…“ Seine Augen fielen zu. Oje, gleich würde er sicher einnicken! Jetzt musste Hakuren schnell sein. „Willst du morgen Nachmittag mit Yuu, En, mir und ein paar anderen im Garten verstecken spielen? Und sollen wir davor unsere Brieftauben besuchen? Ein Diener von meinem Vater züchtet sie für uns!“ Erschöpft blinzelte der Zottel ihn an. „Ich glaube nicht, dass ich das Versteckspiel überstehen würde, aber die Tauben würde ich sehr gerne sehen, Ren…“ Und mit diesen Worten fiel sein kleiner Kopf zur Seite und er schlief tief und fest, egal wie heftig der Prinz versuchte, ihn wieder wachzurütteln. Schließlich gab er es bedauernd auf und deckte ihn seufzend zu. Vielleicht war Koumei doch nicht so spannend, wie gedacht. Doch dann fiel ihm voller Freude wieder ein, dass sie ja morgen etwas gemeinsam unternehmen würden. Und nach den Tauben könnte er Mei vielleicht dazu überreden, trotz mangelnder Begeisterung, an dem Spiel teilzunehmen. Ach was, er würde ihn einfach mit in den Garten zerren, wehren konnte er sich bei dieser Winzigkeit schließlich nicht und ein bisschen frische Luft und Spaß würden dem süßen Kerlchen schon nicht schaden. Wenn er sich da mal nicht täuschen würde…
 

So kehrte er bester Laune mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht zu Hakuyuu und Kouen zurück. „Sollte ich eigentlich beleidigt sein, dass mein kleiner Bruder mich einfach gegen jemanden eintauscht den er grade mal seit ein paar Minuten kennt?“, schnaubte Kouen trocken und Hakuyuu zuckte belustigt die Achseln. Einträchtig aßen sie ihren Reis, ignorierten gekonnt die beißende Kälte, aber kaum hörten die beiden die knirschenden Eiskristalle unter Hakurens kleinen Füßen, empfing ihn sein großer Bruder schon mit einem spöttischen Spruch: „Na, verliebt?“ Hakuren blies erbost die Backen auf. War ja klar, dass Yuu sich wieder aufspielen musste, besonders vor ihrem Vetter! Ehe er etwas erwidern konnte, fügte der Ältere noch hinzu: „Herzlichen Glückwunsch Renren, dein Cousin hat dich grade zu seinem persönlichen Kindermädchen auserkoren. Pass auf, dass du ihn nicht völlig verziehst, sonst hat Kouen die ganze Arbeit, deine Fehler auszubaden.“ „Halt dein Maul!“, brüllte Hakuren plötzlich wütend und schlug nach ihm, doch Hakuyuu wich einfach aus. „Wieso, ist doch so, nur weil du zu blöd bist, um zu bemerken, dass es keine Krankheit gibt, die dadurch gemildert wird, dass man ein Buch liest und sich mit Tauben umgibt!“, prustete er. „Das ist nicht wahr, Mei ist eben noch klein und schwach, woher willst du schon wissen, ob es sowas gibt oder nicht, du Pisskopf!“, schrie Hakuren und boxte ihn nun doch noch in die Seite. Der erste Prinz gluckste nur heiter über sein kreatives Schimpfwort. Klar, in der Gegenwart von Kouen konnte er sich schlecht gehen lassen und sich mit ihm prügeln, was dem Kleineren gar nicht mal so unwillkommen gewesen wäre. „Dein Bruder liegt leider richtig, tut mir Leid, dass ich deine Träume zerstören muss“, wandte nun auch Kouen ein. Hakuren starrte ihn an, wie einen Verräter. Dabei ging es doch um die Ehre seines kleinen Bruders, bedeutete das kleine Meichen Kouen gar nichts?! „Koumei täuscht gerne vor, dass er schwach ist, nur bemerken dies viele Leute nicht, sondern glauben seine Lügen. Verzeih, dass er sich auch bei dir nicht benehmen konnte. Ich werde mit ihm reden, damit das nicht noch mal passiert.“ Irgendetwas an dieser Äußerung machte den zweiten Prinzen extrem zornig und ließ seine blauen Augen trotzig blitzen. Es kam ihm vor, als hielten ihn die beiden für beschränkt und Koumei für ein hinterlistiges, kleines Biest, obwohl er sich doch so hilfsbedürftig an ihn geschmiegt hatte. Knurrend fegte er die mitgebrachten Essstäbchen vom Tisch. Seinen neuen Freund zu beleidigen, sollten sie lieber nicht wagen. „Ihr Blödmänner habt ja keine Ahnung!“, brüllte Hakuren völlig außer sich und stürmte von dannen.
 

Dabei entgingen ihm glücklicherweise die gemurmelten Worte der beiden. „Ist dein Bruder mittlerweile eigentlich vollkommen durchgedreht?“, brummte Kouen irritiert davon, dass Hakuren den hinterlistigen, in einem fort lügenden Koumei verteidigte. Hakuyuu seufzte, als wollte er hervorheben, welch ein Kreuz es war, tagein tagaus mit solch einem einfältigen Bruder Zeit verbringen zu müssen: „Es sieht ganz danach aus, En.“ Und dann brach der sonst so ernste und beherrschte Prinz abermals in lautes, herzhaftes Gelächter aus, welches die Eiszapfen an den geschwungenen Dachkanten des Pavillons nur so erzittern ließ.
 

Währenddessen freute Hakuren Ren sich brennend auf den nächsten Tag, den er endlich mit seinem neuen Freund verbringen durfte. Er hatte da so eine Ahnung, dass sich mit dem kleinen Koumei noch einiges mehr anstellen ließ, als es den Anschein machte.

 
 

*-*.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Der kleine Hakuren würde sich bestimmt sehr freuen, wenn jemand seinen Senf zu seiner Lebensgeschichte abgeben möchte ;)
Schließlich will er nicht für immer im Schatten seines großen Bruders stehen xD Komplett anzeigen

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