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Das Volk aus den Bergen

Magister Magicae 4
von

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weite Reise

jetzt, Japan
 

Victor schaute nochmal in seinen Reisepass, den er von Artjom bekommen hatte. Dann legte er das kleine Buch dem Kontrolleur am Flughafenschalter vor. 'Dmitri Borodin' hieß er jetzt, solange er auf Reisen war. Artjom war ein wirklich begnadeter Urkundenfälscher. Victor besaß inzwischen auch einen Personalausweis und eine Fahrerlaubnis auf seinen neuen Namen Victor Akomowarov. Der gute, kleine Student Nikolai, der er früher gewesen war, starb mehr und mehr. Nun nahm er aber für Japan vorübergehend den Namen Dmitri Borodin an, denn unter seinem gängigen Namen Victor Akomowarov konnte er sich schwerlich in irgendeiner Polizeikontrolle blicken lassen. Er war ja schließlich ein schwer gesuchter Geselle.

„Wie lange bleiben Sie in Japan?“, wollte der Kontrolleur wissen und warf kaum einen halbherzigen Blick in den Pass.

„Drei Wochen.“

„Was ist der Zweck Ihrer Reise?“

„Ich bin geschäftlich in Japan.“

„Gut. Viel Spaß hier.“ Er stampfte einen Einreisestempel in den Reisepass und gab ihn Victor zurück.

„Danke.“ Victor ging ein paar Schritte weiter, um den Schalter für den Nächsten frei zu machen ohne dumm im Weg rum zu stehen, und wartete auf Vladislav und dessen Genius Intimus, die am Nachbarschalter anstanden. Auf dem 10-stündigen Flug hier her hatte Victor Gelegenheit gehabt, sich endlich etwas näher mit diesem kühlen, maulfaulen Typen bekannt zu machen. Er hieß Waleri Konjonkow, also gleichfalls ein Russe, auch wenn dieser Name sicherlich nur ein Deckname war. Genii verrieten ihren wahren, vollständigen Namen nicht so ohne Weiteres, da das einem Magier zuviel Macht über denjenigen gegeben hätte. Im Rahmen der Magie konnte man mit einem bloßen, vollständigen Namen erstaunlich viel anfangen. Auch ein Grund, warum Victor sich Victor nannte und dem Boss bis heute glaubhaft machte. Aber egal. Waleri hatte sich ihm als Waleri vorgestellt, also würde er für Victor eben Waleri sein.

Der Genius Intimus war ein Einhorn. Aber nicht so ein weißes Pony, wie man sich Einhörner gemeinhin vorstellte, sondern ein Elasmotherium sibiricum. Diese eigentlich eher mit dem Rhinozeros verwandte Art war pelzig, über zwei Meter groß und vier-einhalb Meter lang. Sie waren schwer wie ein Panzer, ebenso unaufhaltbar, und leider auch kein Stück intelligenter. Im Gegensatz zu klassischen Nashörnern hatten sie nur ein Horn, welches dafür aber ziemlich gewaltig war. Und dieses trugen sie mitten auf der Stirn, was ihnen zu ihrem Namen verholfen hatte. Seine menschliche Erscheinung entsprach dem ebenfalls recht gut: Waleri war ein ziemlicher Bulle von Mann, so wie man sich einen typischen Schläger vorstellen würde. Glatze, Schläger-Visage, Hände wie Klo-Deckel. Warum der Amigo nun Japanisch konnte, hatte Victor noch nicht herausgefunden. Offenbar war das einem längeren Japanaufenthalt noch vor seiner Zeit als gebundener Schutzgeist, geschuldet. Nur was er dort gemacht hatte, hatte er Victor nicht plausibel erklären können.

Vladislav kam herüber spaziert, nachdem auch er problemlos durch die Kontrolle gekommen war, und gähnte hinter vorgehaltener Hand. „Gott, diese Zeitverschiebung bringt mich um. Wie spät ist es gerade?“

„11 Uhr“, antwortete Victor.

„Ich meine bei uns.“

„In Moskau?“ Victor sah auf seine Armbanduhr, die er noch nicht umgestellt hatte. „Da ist es jetzt 5 Uhr morgens.“

„Kein Wunder, daß ich so müde bin“, nörgelte Vladislav und unterdrückte ein neuerliches Gähnen. „Müssen wir jetzt wirklich noch fast 3 Stunden bis nach Okinawa runter fliegen? Ich hab keine Lust mehr, im Flieger zu hocken.“

„Wir können auch mit dem Auto und der Fähre fahren“, scherzte Victor. „Das kostet uns dann ungefähr 40 Stunden, ohne Pausen natürlich, aber immerhin könnten wir dann jederzeit ...“

„Halt die Klappe mit deinen unqualifizierten Beiträgen!“, fiel der Boss ihm ins Wort, womit er Victor zum Lachen brachte, und stiefelte leise grummelnd weiter. „Elende Quarktasche ...“, maulte er noch vor sich hin. Sie mussten langsam zum anderen Gate, um den Anschluss-Flug zu kriegen.

Victor kicherte und schloss sich an. Er liebte es immer wieder, die beleidigte Reaktion des Chefs zu sehen, wenn er die große Klappe hatte. Für ihn war es spürbar unüblich, daß seine Leute frech wurden. Aber damit musste er jetzt einfach mal leben, solange Victor sein Vize war. Hoffentlich klappte das Umladen der Koffer von einem Flieger in den anderen ohne Probleme.
 

An diesem Abend saßen sie auf Okinawa im Speisesaal ihres Hotels. Gebucht hatten sie vorher nicht. Sie waren einfach in das erstbeste Hotel eingefallen, das sie gefunden hatten, und Vladislavs sprachbegabter Genius, Waleri, hatte den Rest geklärt. Nun saßen sie über dem Abendbrot. Es gab ganz klischeehaft Lachs-Sushi. Dagegen hatte Victor zunächst nichts. Auch in Russland stand viel Fisch auf der Speisekarte. Was ihm aber echt zu schaffen machte, waren diese elenden Stäbchen, mit denen er nicht zu essen gewöhnt war. Messer und Gabel gab es hier nicht. Nachdem ihm das Sushi zum dritten Mal wieder auf den Teller geklatscht war, legte er die Stäbchen genervt weg und aß einfach mit den Fingern, egal wie unfein das aussah. Vladislavs Genius tat das schließlich auch schon die ganze Zeit, ohne sich dafür zu schämen. „Also!“, mampfte er dann mit vollem Mund. „Hier sind wir nun. Und wie geht´s weiter? Wie gedenkst du diese was-auch-immer-das-für-Viecher-sind zu finden?“

Vladislav fädelte sich gekonnt ein Klümpchen Reis in den Mund. Er kam mit den Stäbchen besser klar als Victor. „Wir reden mit den Leuten, die schon mit ihnen zu tun hatten. Irgendwer wird uns ja wohl was sagen können.“

„Wie du meinst.“

„Ich geb dir nachher, wenn wir wieder auf unsere Zimmer gehen, noch eine Knarre.“

„Wir haben Waffen? otkuda?“ [Woher?]

„Von zu Hause mitgebracht. Sie sind fast vollständig aus Plastik, so sind sie durch die Kofferkontrollen gekommen. Und bevor du mich jetzt fragst, warum wir sowas nicht häufiger einsetzen; ich hab nur zwei Stück von den Dingern. Ich kann nicht jedem meiner Leute eine stellen. Außerdem sind das ziemliche Einweg-Waffen. Plastik ist für solche Rückstöße, und die Reibungshitze, die sich bei einem Schuss entwickelt, eigentlich nicht ausgelegt. Wenn man ein Magazin leergeschossen hat, ist die Waffe für gewöhnlich schon Schrott.“ Vladislav grinste schief. „Ich hab dir doch versprochen, wir würden bewaffnet sein.“

„Naja ... Die Frage ist, ob´s was bringt“, kommentierte Victor weniger euphorisch. Er fragte sich, was wohl mit Waleri war. Wenn der Boss nur zwei von diesen Knarren hatte, und Victor eine davon abgeben wollte, hieß das ja, der Genius Intimus würde leer ausgehen. Konnte der folglich auf sich selber aufpassen? Victor wusste bis jetzt nicht, welche Fähigkeiten Waleri wohl haben mochte. Er hatte sich da im Gespräch sehr bedeckt gehalten.

„Silberkugeln sind natürlich keine drin“, fuhr der Boss fort. „Um genau zu sein, sind noch gar keine Kugeln drin. Die hätten wir nämlich am Flughafen nicht durch den Gepäck-Scanner bekommen. Um die müssen wir uns hier erst kümmern. Aber das lass mal meine Sorge sein.“

„Lass uns erstmal rausfinden, mit was wir es nun genau zu tun haben.“
 

Vladislav legte seine Stäbchen weg und rückte mit dem Stuhl nach hinten, um aufzustehen. Sein Schutzgeist Waleri, der schon länger fertig war, tat es ihm gleich. Dabei griff er nach ihrem Zimmerschlüssel, der auf dem Tisch lag.

„Hast du schon mit dem Typen an der Rezeption gesprochen?“, wollte Vladislav wissen, während er langsam losspazierte.

Waleri nickte gelangweilt. „Wir müssen zum Berg Yonaha-san rauf. Das scheint das Zentrum der Aktivitäten zu sein ...“

Victor schob sauer seinen Teller von sich, sprang auf und hechtete den beiden nach. Zum einen wollte er das auch wissen, und zum anderen hatte Vladislav ihm ja schließlich ein Schießeisen versprochen. Er war ein wenig angefressen, daß der Boss nicht wenigstens warten konnte, bis Victor fertig gegessen hatte.

„Man kann das da oben ein wenig als Gebirge bezeichnen“, fuhr Waleri unterdessen ungerührt fort. „Um den Yonaha-san drumrum gibt es noch ein paar kleinere Berge und ein paar wenige Dörfchen. Die wurden von diesem seltsamen 'Volk aus den Bergen' zuerst überfallen. Wir sollten in Ogimi oder Kunigami anfangen zu suchen. Das eine Dorf liegt nördlich, das andere südlich vom Yonaha-san.“

„Du kannst mir viel erzählen. Die japanischen Namen klingen für mich alle gleich. Ich verlass mich da ganz auf deine Meinung“, erwiderte Vladislav nur. „Müssen wir dafür das Hotel wechseln?“

„Nein. Man ist in anderthalb Stunden dort. Ich denke, da kann man pendeln.“

„Kriegen wir ein Mietauto?“

„Hab ich nicht gefragt.“

„Wieso nicht? Wie willst du denn sonst da rauf kommen?“

„ICH fahr hier jedenfalls kein Auto!“, betonte Waleri. „Die Karren in Japan haben das Lenkrad ja alle auf der falschen Seite. Auf Linksverkehr hab ich keinen Bock.“

„Hm ... Fährt da irgendein Zug hin, oder so?“

Victor verfolgte das Gespräch mit einigem Interesse. Der Schutzgeist schien doch sehr viel mehr seinen eigenen Kopf haben zu dürfen als anfangs gedacht. Victor hatte jedenfalls nicht geglaubt, daß der Boss solche Widerworte dulden würde.

„Sah nicht so aus“, fuhr Waleri fort.

„Dann müssen wir eben auf dir reiten.“

„Ich denk ja gar nicht dran!“

Vladislav drehte sich plötzlich mit fragendem Blick zu Victor um, der brav und stumm hinter ihm hertrottete. Als hätte er gerade erst gemerkt, daß der ja auch noch da war. Ein Grinsen stahl sich auf seine grobkantigen Gesichtszüge. „Victor könnte uns fliegen, wenn er in seine Greifen-Gestalt wechselt.“

„Ja, da bin ich schon eher dafür“, stimmte Waleri einverstanden zu.

„Hackt´s bei euch?“, maulte Victor. „Beschafft mir ein Auto! Ich fahre!“

Vladislav und Waleri lachten, was die Laune des Vize-Chefs nicht wirklich hob, dann schloss Waleri das Hotelzimmer auf, vor dem sie inzwischen angekommen waren. Sein Schützling Vladislav folgte ihm nach drinnen, nachdem er Victor bedeutet hatte, kurz draußen zu warten. Ein paar Augenblicke später tauchte Vladislav wieder in der Tür auf und drückte ihm eine zusammengeknüllte Plastiktüte in die Hand. „Wir treffen uns morgen 8 Uhr unten beim Frühstück. Gute Nacht.“

„Äh ... gute Nacht ...“, erwiderte Victor etwas perplex, noch damit beschäftigt, die Tüte zu befummeln, um anhand der Form vielleicht zu erraten, was drin war. Offenbar die versprochene Pistole.

Vladislav wartete nicht, bis sein Vize zu einem Ergebnis gekommen war, sondern klappte ihm einfach die Tür vor der Nase zu und sperrte ihn damit aus.

Der Boss hatte echt komische Manieren, dachte Victor. Unhöflich. Er trollte sich kopfschüttelnd auf sein eigenes Zimmer.
 

Victor setzte sich auf sein Hotelbett und packte die Waffe aus, um sie zu beaugenscheinigen. Nun ja, sie war ... Plastik eben. Da durfte man halt nicht zuviel erwarten. Das Ding war schwarz, hatte einen schätzungsweise 7 Inch langen Lauf und vermutlich 9-Millimeter-Geschosse. Und natürlich keinen Schalldämpfer, bemerkte Victor desillusioniert. Wäre ja auch zu schön gewesen. Die Spielzeug-Knarre lag recht schwer in der Hand, dafür daß sie nur aus Plastik war. Wenigstens das war gut. Mit zu leichten Waffen zielte es sich nicht besonders toll. Er zog das Magazin heraus. Es war leer, wie angekündigt. Victor schätzte, daß es um die 20 Schuss fasste. Nicht gerade viel. Er ging mit Munition ja für gewöhnlich nicht sparsam um, wenn er schon in die Verlegenheit kam, welche gebrauchen zu müssen. Er rammte das Magazin zurück in den Schacht und zog als nächstes am Schlitten, um zu sehen, wie sich die Waffe durchladen ließ. Dabei ging er etwas grober mit dem Teil um als nötig. Auch wenn sie nur aus Plastik war, musste sie das bitte ab können. Der Schlitten schnappte mit einem hörbaren Klicken wieder in die Ausgangsposition zurück. Victor zielte mit der Pistole noch ein wenig im Zimmer herum, mit allen möglichen Winkeln und Drehungen im Handgelenk, stellte beim Überpeilen fest, ob der Lauf auch ordentlich gerade war, und packte die Waffe dann schließlich weg. Naja. 'Gut' war was anderes, aber man konnte sie im Ernstfall schon verwenden, wenn das eigene Leben davon abhing.

„Okay ... was machen wir jetzt noch ein bisschen?“, überlegte Victor laut und ließ den Blick in seinem Hotelzimmer schweifen. So spät war es ja nun auch noch nicht. Ob er mal raus ging und die Stadt unsicher machte? Andererseits ... ohne ein Wort Japanisch zu sprechen, konnte er sich nichtmal in eine Kneipe setzen und etwas zu trinken bestellen. Mangels Kanji-Kenntnissen würde er die Speise- und Getränkekarte aber ohnehin nicht lesen können. Also irgendwie kein sehr gewinnversprechender Plan.



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