Zum Inhalt der Seite

Glücksverfluchte

Die Champions von Asteria
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mutter

„Arisa!“

Der herausfordernde Ruf zerschnitt die ruhige, angenehme Stimmung in der Umgebung und ließ die angesprochene Harpyie von ihrem Buch aufschauen. Sie blickte in die Runde der noch jungen Artgenossinnen, die aufgehört hatten, sie gebannt anzuschauen und stattdessen ihre Aufmerksamkeit mit großen Augen hinter sie lenkten, zur Quelle des Rufes, der so abrupt die Vorlesung unterbrochen hatte.

Die Frau seufzte laut hörbar, klappte die Lektüre – eine Abhandlung zur Fauna Asterias – zu und strich sich die hängenden Strähnen ihres violetten Haars hinter die befiderten Ohren, bevor sie in einem äußerst genervten Ton fragte: „Was willst du, Teeza?“

Sie konnte sich ziemlich gut vorstellen, wie die jüngere Harpyie gerade dort stand: Die Hände in die Hüften gestemmt, den Zug von draußen nutzend um ihr rötliches Haar wehen zu lassen, den Blick abwertend zu ihr gerichtet, als würde sie auf Arisa herabschauen und bestimmt hatte sie ihr verzogenes Grinsen aufgesetzt, zeigte die dünnen Fänge.

Langsam drehte sie sich um und schaute hoch: Ihre Erwartungen wurden definitiv nicht enttäuscht, doch hinzu kam, dass die sonst so blassen Wangen beinahe glühten, was Arisa etwas verunsichert zurückließ: Wollte ihre Partnerin nun kämpfen oder vögeln? Wahrscheinlich war sie sich darüber selbst nicht so ganz im Klaren.

Teeza war vielleicht 13 oder 14 Jahre alt, doch ihre Kampfeslust überstieg die von so mancher erwachsenen Harpyie. Hinzu kam der für jüngere Schwestern typische Sexualtrieb: eine unberechenbare und vor Allem einzigartige Kombination.

Aber sie war schon früher so gewesen: Wo andere heranwachsende Harpyien fast so unschuldig waren wie Menschen- oder Elfenkinder, hatte Teeza immer wieder nach neuen Wegen gesucht, um ihren Körper zu stimulieren und nahm dabei auch Verletzungen in Kauf. An manchen Stellen hatte sie sich so oft ihre rosafarbenen Daunenfedern rausgerissen, dass diese nun nicht mehr nachwuchsen. Entsprach das Ergebnis nicht ihren Erwartungen, quälte sie aus Frust die Gleichaltrigen, denen sie in Sachen Stärke meilenweit überlegen war. Sie war Masochistin und Sadistin zugleich.

Das war auch der Hauptgrund, warum sie so jung schon zu Celicas Elite gehörte und die meisten älteren Schwestern hegten keinen Zweifel, dass Teeza alsbald Mutters rechte Klaue werden würde. Die meisten... aber nicht Arisa. Sie konnte noch immer nicht verstehen, warum ausgerechnet sie dieser Rotzgöre als Flügelpartnerin zugeteilt war. Sie war egozentrisch, ungezügelt, dreist und zu allem Überfluss noch dumm wie ein Sack Flüstergras – aber der hatte ja wenigstens einen gewissen Nutzen. Harpyien wie Teeza waren der Grund, warum man ihre Rasse als Dämoninnen der Lüfte bezeichnete.
 

„Was ist denn nun? Du störst mich beim Unterricht!“, zischte Arisa, nachdem ihr Gegenüber noch immer keine Antwort von sich gegeben hatte.

„Da bist du selbst schuld, wenn du mir meinen Brutpartner wegnimmst. Dann musst halt du mich unterhalten.“

„Hör auf dieses dumme Wort zu benutzen. Du kannst keine Kinder kriegen, also sind deine Opfer auch keine Brutpartner. Außerdem hättest du den Jungen sowieso nach kurzer Zeit getötet“, antwortete die ältere Harpyie gleichgültig und drehte sich weg.

„Natürlich, aber was spricht denn gegen den Spaß? Spielt aber auch gerade keine Rolle, ich bin hier, weil Mutter nach uns gerufen hat. Dein Unterricht ist für heute vorbei.“

„Mutter ruft nach uns? Nun gut, ich beende ihn sofort, sobald...“, murmelte Arisa seufzend und wollte sich schon zu ihren Schützlingen umdrehen, um die Lektion noch abzuschließen und die jungen Harpyien vor ihr in aller Ruhe zu verabschieden, da erhob sich die Stimme hinter ihr:

„Nein, du beendest ihn nicht sofort, sondern sofort sofort! Was bedeutet jetzt. Was bedeutet, ihr macht einen Abflug, Küken!“

Die angesprochenen Mädchen erschraken vom herrischen Ton Teezas und sprangen wie von einer Zecke gebissen auf. Flugs nahmen die Schülerinnen Reißaus und ließen die beiden Elitekämpferinnen allein. Arisa biss sich schnaubend auf die Oberlippe, legte die Bücher grob zusammen und richtete beim Aufstehen ihr lockeres Dekolleté. Zweimal atmete sie durch, versuchte, sich an etwas Schönes zu erinnern, einen angenehmen Gedanken zu finden, an den sie sich klammern konnte.
 

Keine Chance. Ihr Blut kochte. Wie der Wind wirbelte sie herum, zückte den Dolch an ihrem Gürtel und ließ die Klinge zielgenau auf ihre Partnerin zurasen, bis die Klinge auf das Metall von Teezas Stab traf, welchen die kleinere Harpyie in voller Erwartung bereits gezogen hatte und nun mit beiden Händen fest umklammert hielt.

„Nanana...“, rief sie kichernd. „Wer wird denn hier gleich ausrasten? Aus, Arisa! Böse Arisa!“

„Wag es noch einmal, vor meinen Schülerinnen meine Authorität zu untergraben und...“

„Und was? Rennst du dann heulend zu den alten Schwestern? Ich kann nichts umgraben, was du nicht hast. Glaubst du wirklich, dein Unterricht wird mehr als nur schweigend erduldet?! Was interessiert uns dieser Quatsch den die Feigen vom flachen Land schreiben? Du solltest den Küken lieber wichtigeres beibringen. Zum Beispiel wie man hinterrücks jemanden angreift, das kannst du doch so gut!“
 

Arisa war ein gutes Stück stärker als ihre Partnerin, was man nur allzu deutlich am Zittern ihrer Hände sah. Aber das war Teeza offensichtlich kein Grund, einem Streit aus dem Weg zu gehen. In ihren grau-blauen Augen machte sich das Feuer des Kampfes breit und ihr Grinsen presste sich noch weiter bis zum Federansatz ihrer Ohren, offenbarte jeden einzelnen ihrer spitzen Zähne, als wäre sie drauf und dran, zu einem gewaltigen Biss anzusetzen.

Und tatsächlich: mit einem Mal setzte sie alle Kraft in den Stab und riss den Dolch zur Seite, während sie sich mit aufgerissenem Maul auf Arisa stürzte. Diese reagierte schnell, ließ sich scheinbar nach hinten fallen, während sie zugleich mit ihren Läufen ausholte.
 

Unter wehenden Laken taumelte Teeza aus dem mit unzähligen Flicken bestickte Zelt, stolperte über die hölzernen Planken des künstlichen Plateaus und stürzte rücklings in den Arbeitstisch, welcher der benachbarten Friseuse gehörte, die gerade noch einer Harpyie eine tiefrote Tönung verpasst hatte, bevor ihr die Utensilien wortwörtlich unter dem Pinsel weggezogen wurden. Erschrocken richteten die beiden Frauen ihren Blick auf den ungebetenen Gast, der sich aus den unzähligen bunten Fläschchen aufrappelte. Den Krach bemerkend, steckten einige Nachbarinnen die Köpfe aus den windschiefen Zelten und ehe sie sich versah, hatte Teeza eine ganze Zuschauerschaft um sich.

„Was ist?“, stöhnte sie genervt und bemerkte noch den roten Film, der aus ihrer Nase lief, da schoss Arisa aus dem Zelt auf sie zu. Benommen holte Teeza zu einem langen Schlitzer aus, doch ihre ältere Waffenschwester, huschte galant zur Seite, packte sie am Gesicht und warf sie krachend auf den staubigen Boden.

Ein Knie auf den rechten Arm gedrückt und mit der linken Hand den anderen Arm am Boden festhaltend hob sie ihren Dolch nach oben. Der dunkle Stahl blitzte in der brennenden Gebirgssonne so hell, dass manch einer ihn aus der Entfernung für einen seltenen Edelstein halten musste, während die Spitze bedrohlich über Teezas Gesicht schwebte.

„Oha, spielen wir jetzt ernst? Wie aufregend...“, säuselte sie und schielte auf den kleinen Stern über ihr, der gerade ihr Ende prophezeite.

Es war nicht so, als hätte Arisa kein Interesse, diesem kleinen Dämon einfach hier und jetzt die Kehle aufzuschlitzen. Sicher einige würden protestieren und es hatte einige Konsequenzen eine Stammesschwester zu töten, aber gemessen an ihrem Stand und der Tatsache, dass Teeza den Kampf provoziert hatte, würde die Strafe wohl nicht allzu hart ausfallen. Zumindest dachte sie das.

„Was ist denn los? Tu es endlich! Dann wirst du Mutter richtig wütend erleben...“

Kaum hatte sie das gesagt, schoss der Dolch auch schon auf sie hinunter. Teeza wehrte sich nicht, sie schien es sogar fast noch auszukosten. Das überdimensionale Grinsen auf dem Gesicht festgebrannt schloss sie ihre Augen und erwartete freudig ihren Tod.

Doch dazu kam es nicht. Statt Metall, das sich durch Haut und Fleisch schnitt, erwischte sie ein fester Schlag gegen die Wange, der ihr ganzes Gesicht durchrüttelte und ihre Sinne betäubte. Ein pulsierender Schmerz durchfuhr ihren Schädel, der von der Wucht zur Seite gerissen wurde.

Die Augen unter einem schwachen Flimmer öffnend erkannte sie ihre Partnerin, die ihr den Rücken zugewandt hatte und den Staub von ihrem Gewand abklopfte. Arisa stemmte souverän die Hände in die Hüfte und schaute über ihre Schulter auf die besiegte Harpyie hinab.
 

„Danke für den Tipp, du kleines Biest. Beinahe hätte ich Mutter vergessen.“

„Du bist doch nur feige!“, brüllte Teeza und spuckte auf den Boden.

„Ich denke, mein Standpunkt war mehr als eindeutig. Ja, du bist stark Teeza, das muss man dir lassen. Es gibt sicherlich gute Gründe, warum du unsere Waffenschwester bist. Aber vergiss nicht, dass das Celicas Entscheidung war. Nicht meine. Und dafür gibt es auch Gründe. Und verstehe ich mich nicht falsch: Ich respektiere Mutters Befehl, aber dich muss ich nicht respektieren. Werde erst einmal flügge, dann reden wir weiter.“
 

Von den Worten angestachelt, rappelte sich Teeza auf und wollte gerade zum Angriff ansetzen, da umschlang etwas schweres Eisernes ihr Bein, zog sie nach hinten und ließ sie – mit dem Gesicht voran – wieder auf den staubigen Boden fallen.

Arisa wirbelte erschrocken herum und erkannte sofort die lange Kette an Teezas Bein, folgte nervös dem Verlauf der Glieder am Boden, bis zur Klaue ihrer Besitzerin. Das narbenzerfurchte Gesicht war zu einem missbilligenden Ausdruck verzogen und in ihren schlohweißen Augen brannte eine so ungeheure Wut, dass man weiche Knie bekam, wenn man den direkten Kontakt zu lange aufrecht hielt.

Celica ließ ihren Blick durch die Reihen schweifen und ermahnte stumm jeden, der versuchte sich zu entfernen, während sie eleganten Schrittes das Zentrum der Traube betrat - gefolgt von Rena, ihrer treuen Beraterin und einer fremden Person, die sich die Kapuze ihres bodenlangen scharlachroten Mantels tief ins Gesicht gezogen hatte und so keine Züge entblößte.

Umgehend kniete sich Arisa hin und senkte untertänigst den Kopf. Ebenso taten es ihr alle Harpyien in der Nähe gleich – alte wie junge. Selbst Teeza, welche noch für einen Moment schimpfen wollte, welche Göre es doch wagen würde, sich hier einzumischen, legte ehrfürchtig die Ohren an und verstummte.

Ihre beiden Begleiter blieben zurück, während die alte Harpyie durch die Reihen schritt, untermauert vom gleichmäßigen Klimpern der schier endlosen Kette, die mit jedem Schritt Celicas weitere Glieder hinzugewann. Ihre Tätowierung des Gottesvogels Fiseau im Dekolleté wippte bei jedem Schritt auf seinem Kirschblütenast mit und schien das Treiben mit großem Interesse zu verfolgen.

„Was für ein Krach... wie soll ich denn bitte so meinen Gast vernünftig willkommen heißen? Also erzählt mir... was ist hier los?“, fragte sie schließlich mit ruhigem Ton, nachdem für eine viel zu lange Zeit eine bedrückende Stille die Szenerie beherrscht hatte.

Niemand wagte es aufzusehen, geschweige denn, auch nur einen Ton über die Lippen zu bringen, solange Celica nicht die ausdrückliche Erlaubnis dazu gab. Ihre Frage war sowieso rein rhetorisch, immerhin wusste sie ganz genau, was passiert war, hatte vermutlich das meiste selbst mitbekommen.

„Nun kommt schon... hat mir denn niemand etwas zu erzählen? Eine kleine Geschichte für mich...“

Arisa zögerte. Sie sollte aufstehen und sich entschuldigen. Sie wollte es auch. Unabhängig davon, ob sie allein für den Tumult verantwortlich war oder nicht, würde es Größe zeigen. Doch es fiel ihren Knochen unfassbar schwer, sich vom Boden wegzudrücken, fast so, als würde ein bleiernes Netz sie am Boden festhalten. Fester bis sie die Zähne zusammen, versuchte ihre Angst runterzuschlucken und drückte sich vom Boden ab.
 

Jedoch nicht schnell genug, denn an ihr vorbei lief ein kleines Mädchen in die Traube hinein – eine Schülerin von ihr. Ein schockiertes Luftholen ging durch die Reihen und auch Arisa fühlte sich, als würde ihr Herz stillstehen. Sie konnte sich gut vorstellen, was die Kleine vorhatte, wollte sie noch aufhalten, hob ihren Arm und versuchte mit aller Kraft ein „Warte“ aus ihrer Kehle zu pressen, doch es war zu spät – Celica hatte sie bereits bemerkt und kniete sich mit einem sanften Lächeln zu ihr.

„Hallo meine Kleine. Du bist... Erina, richtig?“, sprach Celica ruhig und strich dem Mädchen durchs Haar. Jede Harpyie in den Falkenbergen war ihr mit Namen bekannt – immerhin war sie es auch, die ihnen sie gegeben hatte.

„Ja, Mutter“, antwortete sie brav und wollte schon einen Knicks machen, doch Celica hielt sie auf.

„Nicht doch, Süße, nicht so förmlich. Immerhin bin ich doch deine Mutter, oder nicht? In der Familie sind Förmlichkeiten fehl am Platze. Aber es freut mich, wie wohlerzogen du bist. Du besuchst Arisas Unterricht, nicht wahr? Nun denn, dann erzähle mir, was du mir erzählen möchtest, mein liebes Kind.“

„Ja, Mutter... Ich... Ich wollte Euch sagen, dass Schwester Teeza angefangen hat. Sie hat Arisa provoziert. Deswegen kam es zum Kampf. Arisa hat damit nichts zu tun.“

Arisa wollte sich erheben, doch der Blick ihrer Meisterin befahl ihr das Gegenteil. Geknickt senkte sie sich wieder. Von ihrer eigenen Schülerin in den Schutz genommen worden... was für eine Blamage. Celica richtete sich auf und streichelte Erina durchs wuschelige, schwarze Haar mit seinen hellen Spitzen.

„Gut meine Kleine, ich glaube dir. Du bist Arisa gegenüber sehr loyal.“

„L-Loyal?“, frage Erina unsicher und legte den Kopf zur Seite.

„Das Wort hat sie dir anscheinend noch nicht beigebracht. Lass es mich dir möglichst einfach erklären: So nennt man jemanden mit ungebrochener Treue. Wer loyal ist, wird seine Herrinnen und Kameradinnen niemals verraten“, erklärte sie in aller Ruhe.

„Tja von der kleinen Erina könnten sich Teeza und Arisa noch eine Scheibe abschneiden. Oder vielleicht auch zwei oder drei“, meinte Rena lachend, verstummte aber schlagartig, als ihre Herrin sie mit den Worten „Halt den Schnabel, Rena, du bist jetzt nicht dran!“, ermahnte.

Kaum hatte sie die Aufmerksamkeit wieder, wandte sie sich an alle Anwesenden.

„Das ist unsere Macht, Schwestern! Die Welt glaubt, wir seien blutrünstige Bestien ohne Kultur und Gesetz! Menschen, Elfen... sogar die Kitzune, die wie wir im Schein des Asterid geboren wurden, halten uns für Abschaum... Deswegen ist Loyalität in unserer Gesellschaft so wichtig! Denn wir haben sonst niemanden außer uns!“

Celica zog an der Kette. Langsam sammelten sich die Glieder und zogen sich von Teeza zurück, bis sie wieder ihre alte Länge angenommen hatten. Die junge Harpyie erhebte sich wieder auf ihre unsicheren Beine und lugte vorsichtig zu ihrer Mutter, in der Hoffnung, dass sie ihr nun wohlwollender gesinnt war. Und tatsächlich schien ihr Blick deutlich weicher geworden zu sein... fast schon traurig.

„Ich weiß, wir können unsere Natur nicht unterdrücken. Wir lieben den Kampf und das ist auch gut so. Dann sind wir halt die blutrünstigen Wilden, für die uns die Welt hält! Aber bitte lasst eure Wut nicht aneinander aus. Denn nur in der Einigkeit können wir Furcht verbreiten! Sicher, einer Schwester allein kann man leicht die Flügel stutzen. Aber wie sieht es denn mit einer Legion aus?! Oder einem ganzen Volk?!“

Während ihrer Rede hoben immer mehr Harpyien den Kopf und schauten gebannt zu Celica. Die ersten sprangen auf und applaudierten, dann wurden es mehr und mehr, bis die komplette Zuschauerschaft in einen tosenden Jubel verfiel. Arisa klatschte begeistert und auch Teeza, die eigentlich nichts für Reden übrig hatte, konnte kaum anders, als in den Beifall einzusteigen.

Celica grinste triumphal und schaute zu Rena und dem fremden Gast. Rena lächelte anerkennend und machte eine kurze Verbeugung. Die vermummte Gestalt hingegen blieb stumm – fast so, als habe sie nicht einmal bemerkt, was um sie eigentlich geschehen war...
 

Weder Arisa noch Teeza hatten ernsthaft geglaubt, dass sie nach dieser Rede ohne eine Rüge davonkommen würden. Allein die Tatsache, dass sie nicht zu Mutter gekommen waren, sondern Mutter zu ihnen kommen musste, kam Blasphemie gleich. Celica war die größte aller Harpyien, die unangefochtene Anführerin. Und obwohl sie – trotz aller Falten – jünger aussah als die ältesten Schwestern, behaupteten nicht wenige, dass sie die erste Harpyie der Welt gewesen sein musste und einige waren sogar überzeugt, dass sie noch vor der großen Explosion vor 200 Jahren gelebt hatte.

Und dann war da noch das Mal in ihrem Dekolleté – oder besser gesagt, die Tätowierung. Sie war der finale Beweis ihrer Größe, denn keine andere Harpyie trug das Mal eines Gottes von Asteria. Auch wenn niemand so wirklich wusste, welche Vorteile es brachte, dass der intrigante Hofsvogel Fiseau mi'Rou auf ihrer Brust saß.
 

Schweigend, den Kopf leicht gesenkt, standen sie inmitten des großen Zelts, in welchem Celica residierte. Als Kriegerinnen im Elitecorps waren die beiden bisweilen schon dann und wann hier gewesen, dennoch fühlte es sich immer an, als würde man in eine andere Welt eintauchen. Und das lag nicht nur an seiner immensen Größe von drei ganzen Räumen.

Die meisten Zelte waren aus groben Leder gefertigt, damit sie lange hielten. Aber dieses hatte dazu ein dünnes purpurnes Futter bekommen, welches mit langen weißen Bannern der alten Welt bestickt war; verziert mit Wappen von Ländern, die es schon gar nicht mehr gab. Arisa erkannte einige davon aus Geschichtsbüchern:

Da gab es die östlichen Fürstentümer Shindura und Avionar, deren Überlebelnde heute die Isla Shinju bevölkerten, das bis heute bestehende Königreich Cher Enfant, dann die verlassene Republik Calais und zu guter Letzt das Kaiserreich von Ryushima, welchem man einst die Segnung des Himmelsdrachen nachgesagt hatte und wo sich heute der östliche Teil der gläsernen Wüste Beaumir Shomare erstreckte. Doch es gab noch unzählige weitere, welche sie nicht kannte - fast zwei Dutzend an der Zahl.

Auf dem Boden war ein purpurner Teppich ausgerollt worden, der zu dem alten, aber schön verzierten Stuhl am anderen Ende des Raumes führte, von welchem aus Celica regierte. Dahinter waren einige windschiefe Regale aufgebaut worden, über und über gefüllt mit Büchern, Karten, Waffen und allerlei Kunstgegenständen aus der alten Welt – Dinge, die Celica bereits seit Jahrzehnten sammelte und wie einen Schatz behütete; ein weiteres Indiz dafür, dass sie schon vor der großen Explosion auf dieser Welt wandelte. Und an der Seite befand sich ein Tisch mit einer Karte des aktuellen Asterias, auf welche eine Vielzahl hölzerner Figuren gestellt wurden. Sie diente eigentlich zur Veranschaulichung von strategischen Lagebesprechungen, war jedoch so kryptisch und wirr angelegt, dass niemand außer Celica ernsthaft verstand was darauf eigentlich vor sich ging.
 

Die fremde Gestalt saß im Nebenzimmer im Schneidersitz und nahm genüsslich einen Zug aus der blechernen Wasserpfeife, welche auf dem winzigen Tisch vor ihr stand. Noch immer hatte sie die Kapuze des scharlachroten Mantels nicht abgenommen, aber das war auch nicht nötig; Arisa war bereits klar, dass es sich bei dem Besuch um keine wilde Harpyie aus den Wäldern Cher Enfants handeln konnte, dafür passte zum einen nicht ihr Körperbau und zum anderen war ihr Verhalten viel zu kultiviert, ihr Auftreten zu stilvoll. Außerdem gab es keinen Grund, eine wilde Harpyie zu verschleiern.

Nein, unter diesem zugegeben schönen Stück Stoff steckte eine Federlose. Wahrscheinlich ein Mensch; nur diese Halbstarken konnten Dummheit mit Mut verwechseln und es sich direkt neben ihrem sicherem Tod gemütlich machen. Und zu allem Unglück war dieses Exemplar offensichtlich keine Geisel sondern ein willkomener Gast, was Arisa beim besten Willen nicht nachvollziehen konnte, geschweige denn akzeptieren wollte.

In Unbehagen und Abscheu verzog sie ihr Gesicht, doch wagte es nicht einen Ton zu sagen, denn Rena hockte neben dem Thron und schien die beiden – auch wenn ihre Aufmerksamkeit gerade einem Kleidungsstück gewidmet war, an dem sie nähte – nicht aus dem Auge zu verlieren.
 

„Ein ganzer Tumult, nur weil ihr beiden Streithennen eure Differenzen nicht beiseite legen könnt!“, herrschte sie daraufhin eine Stimme an und die beiden Waffenschwestern zuckten zusammen, während Celica an ihnen vorbeischritt, sich auf ihren Thron setzte und stöhnend den Kopf auf der Hand abstützte.

„D-damit ich dies einmal klar stellen darf“, fing Teeza an und zeigte auf die Harpyie neben ihr: „Sie hat zuerst zugeschlagen!“

„Nimm deine Griffel aus meinem Gesicht, du Plage. Außerdem hattest du es darauf angelegt“, entgegnete Arisa genervt und drehte ihren Kopf weg, damit sich Teezas Klauenspitze nicht weiter in ihre Wange bohrte.

„Schwesterherz, wir reden von Teeza. Sie provoziert andauernd, das solltest du doch wissen...“, bemerkte Rena monoton, ohne von ihrer Näharbeit aufzuschauen.

„Ha! Siehst du, Rena sieht das auch so. Du lässt dich einfach viel zu schnell produzieren“, bemerkte Teeza triumphierend.

„Vielleicht würde es ja helfen, wenn du nicht so schrecklich nervig wärst, dass man dir beim bloßen Anblick eine reinhauen möchte. Und es heißt provozieren, du Vogel!“

„Na vielleicht würde ich dich weniger nerven, wenn du nicht meinen Brutpartner getötet hättest!“

„Fang nicht schon wieder mit diesem Menschenjungen an! Du hättest ihn doch sowieso getötet, ich hab ihm nur den Gefallen getan, dass er dich nicht ertragen musste.“

„Du hast doch keinen Schimmer! Der Kleine war total verrückt nach mir! Ich hätte den ganzen Tag nur auf ihm gelegen!“

„Verflucht Teeza, hast du denn überhaupt keinen Anstand?!“

„Davon hast du offensichtlich zu viel. Statt Anstand such dir lieber mal einen richtigen Stän-“

„Bei allen Göttern, Ruhe!“

Celicas laute Stimme zerschnitt die Luft, aber vielleicht war es auch der donnernde Schlag auf die Armlehne, der alle verstummen ließ. So oder so, reichte es aus, um dem Streit der beiden Harpyien ein Ende zu setzen und im Zelt scheinbar für einen Moment die Zeit stillstehen zu lassen. Lediglich der ausgestoßene Rauch der Wasserpfeife wagte es, sich seinen Weg durch den Raum zu bahnen.

„Es interessiert mich nicht, wer zum Kampf angestachelt hatte, oder wer zuerst zugeschlagen hat. Ihr seid keine kleinen Kinder, sondern meine Elitekämpferinnen. Also benehmt euch auch so! Wenn ihr eure Wut auslassen wollt, dann geht Karawanen überfallen. Das nützt uns wenigstens.“

„Verstanden, Mutter... bitte verzeih unser Verhalten“, murmelten die beiden im Einklang und schauten wieder gen Boden. Celica atmete tief durch und schlug die Beine übereinander.

„Ich weiß, es war meine Idee, euch zusammenzusetzen. Insofern dürfte ich mich nicht beschweren. Wir wollen es dabei auch belassen. Ich habe nämlich eine Aufgabe für euch.“
 

Schlagartig wurden die beiden hellwach und schauten die Harpyienmutter mit großen Augen an.

„Geht es wieder um diesen Hunter?“, fragte Teeza leicht aufgeregt: „Ich war ja irgendwie enttäuscht von seinen Kriegern, bedenke man seinen Ruf als Schmuddelkönig von Shinju.“

Schmugglerkönig, Teeza. Unterschätzt mir Hunter nicht, immerhin sind mehr als ein Dutzend unserer Schwestern gefallen, bevor wir seine Leute besiegen konnten. Und dabei war er selbst nicht einmal zugegen.“

„Dieser Kitzune... er hatte in seiner Fuchsgestalt sogar Lissa getötet und Tanya schwer verletzt. Das war ziemlich angsteinflössend...“, bemerkte Arisa nachdenklich. Sie wollte sich kaum vorstellen, wie gefährlich Hunter war, wenn diese fünf – zugegeben wehrhaften – Männer nur seine Untertanen waren. Noch dazu kam ihr der Name – Hunter – nur allzu bekannt vor, doch sie konnte ihn beim besten Willen nicht zuordnen. Doch etwas in ihrem Hinterkopf ermahnte sie zur Vorsicht.

„Pfeif' auf diese beiden Schwächlinge. Keine Ahnung was die überhaupt in unseren Reihen zu suchen hatten. Gegen Celica hatte er keine Chance. Und wir beide hätten bestimmt auch keine Kratzer abbekommen.“

Die jüngere Harpyie hüpfte eifrig in die Luft und streckte ihre Glieder. Sie hatte es nicht mehr abwarten können, wieder auf die Jagd zu gehen, immerhin lag der Angriff auf den Zug schon einen Monat zurück. Celica gefiel diese Einstellung, weshalb sie die beiden nicht mehr länger auf die Folter spannen wollte.

„Ich brauche euch um ein Kind abzuholen.“

„Ein Kind?“, fragte Arisa und verschränkte skeptisch die Arme. „Ist das nicht eher die Aufgabe der Ammenschwestern?“

„Nicht bei diesem. In den nächsten Monaten gebärt die einzige Tochter des Gouverneurs von Shinju ihr erstes Kind. Wie ihr sicher wisst, wird diese Stadt schon seit seiner Erbauung von einem einzigen Elfenclan regiert.“

„Also ich wusste das nicht!“, meldete sich Teeza und bekam von Rena für diese Unterbrechung eine Gürtelschnalle gegen den Kopf geworfen. Celica ließ sich davon nicht beirren, sondern fuhr mit ihren Ausführungen fort:

„Der Gouverneur wird nun also auf einen stattlichen Enkel hoffen, der das Erbe seiner Dynastie fortführen wird. Doch diesen Gefallen tun ihm die Götter nicht. Es wird ein Mädchen. Ein ganz besonderes...“ Celicas Grinsen wurde immer breiter und finsterer. Alle Anwesenden wussten, was ihre Worte bedeutenden und bekamen große Augen. Nur der Besuch reagierte nicht.

„Noch nie zuvor hatte ich das Harpyiengen so deutlich in einem Ungeborenen gespürt. Sie wird meine neue Tochter. Eure neue Schwester. Aber die Adoption ist doch ein Stück schwieriger als zuvor.

Shinjus Herrscher wird seine Enkelin umgehend töten wollen, sobald die ersten Federn sprießen. Ich befürchte allerdings, dass er das Kind unzähligen Untersuchungen aussetzen wird und so noch viel schneller den Verdacht bekommen könnte, welches Schicksal seine vermeintliche Thronfolgerin ereilen wird.

Deswegen müsst ihr den Säugling noch vor der Verwandlung an euch reißen und ich wette, das sie es euch dann erst recht nicht freiwillig geben werden. Zu allem Überfluss war sein Schwiegersohn – der Vater des Kindes – ein Offizier an der Seite von Generaloberst Celeste de Lacour aus Cher Enfant. Und aus diesen Gründen brauche ich zwei aus meiner Elite. Unsere Ammenschwestern können solchen Leuten keine so große Angst einjagen, dass sie ihnen freiwillig das Kind geben. Wir werden um unsere neue Schwester kämpfen müssen.“

„Was ist mit der Mutter des Kindes? Sie wird uns wahrscheinlich auch versuchen, uns aufzuhalten, oder?“, warf Arisa ein, welcher der Auftrag ein leichtes Grummeln in der Magengegend verpasste. Sie liebte den Kampf mindestens genauso wie jede andere Harpyie in den Falkenbergen, konnte jedoch die Lebensmüdigkeit ihrer Artgenossinen – insbesondere ihrer kleinen Waffenschwester – nicht teilen.

„Höchstwahrscheinlich, aber macht euch um die keine Sorgen. Die Gouverneurstochter ist eine verzogene Gutelfin, die glaubt, dass das Unheil auf den Straßen dieser verrottenden Stadt mit ein bisschen Liebe gereinigt werden könnte. Ein richtiges Prinzesschen. Ihr könnt mit ihr umspringen, wie ihr wollt. Tötet sie, wenn nötig. Hauptsache, mein Mädchen bleibt unberührt. Immerhin ist sie eine von uns – selbst, wenn sie es noch nicht weiß.“

„Euren Mutterinstinkt in allen Ehren“, lenkte Rena ein: „Aber würden wir uns mit solch einer Aktion nicht zu einer großen Zielscheibe machen? Ganz zu schweigen von politischen Konsequenzen...“

„Politik spielte in unserer 200-jährigen Geschichte noch nie eine Rolle, meine liebe Rena. Wir sind wie die Sumpftiger: Eine einkalkulierte Gefahr auf Reisen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.“

„Und genau das soll sich ändern...“, leuchtete es Arisa plötzlich ein. „Ihr wollt die Aufmerksamkeit, damit man uns als Volk anerkennt. Aber ist ein wenig Kindesentführung dafür wirklich ausreichend?“

Celica lehnte sich zurück und lächelte entspannt.

„Unterschätze nicht die Macht etwas zu besitzen, was alle anderen vernichten wollen, meine schöne Arisa. Sie werden uns schon kennenlernen. Aber das lass nur meine Sorge sein. Ihr bringt mir nur das Kind. Also... werdet ihr den Auftrag annehmen?“
 

Die ungleichen Waffenschwestern zögerten und tauschten verunsicherte Blicke aus, bis ausgerechnet Teeza zuerst die Hand erhob.

„Mutter Celica, glaubt Ihr wirklich, wir sind dafür die richtigen? Arisa und ich, wir... also wir...“

„Wir passen nicht zueinander“, beendete Arisa den Satz. „Zum ersten Mal bin ich mit dir einer Meinung. Hier geht es um eine riskante Unternehmung. Dies sollte ein Team machen, das gut miteinander auskommt. Wir sind dafür einfach nicht geschaffen.“

Langsam senkten die beiden demütig ihre Köpfe, um für ihre Widerworte hoffentlich nicht zu stark gerügt zu werden. Celica atmete tief durch und stand auf, schritt zu ihren Kämpferinnen und schaute sie einen Moment an, hob die Arme und schnippte beiden so hart gegen die Stirn, dass den beiden Harpyien ein kurzer Ausdruck des Schmerzes entwich.

„Dummköpfe“, sagte sie mit sanfter Stimme: „Dabei seid ihr doch meine Lieblingstöchter.“

Die Stirn haltend schauten Arisa und Teeza irritiert erst zu Celica, dann wieder zueinander.

„Wir sollen... Eure Lieblingstöchter sein?“, fragten sie fast zeitgleich. Rena legte ihr Nähzeug beiseite und schaute irritiert in die Gruppe.

„Ja wer denn sonst?“, verkündete Celica lachend mit ausladenden Bewegungen.

„Ich wähle euch, damit ich mich darauf verlassen kann, dass die Mission ein Erfolg sein wird. Ja ihr habt eure Differenzen, aber genau die machen euch unschlagbar. Es spielt keine Rolle, dass ihr erst kürzlich an meiner Seite kämpft und die jüngsten in der Truppe seid. Jetzt schon würde niemand behaupten, dass ihr dieser Aufgabe nicht gewachsen seid. Jede von euch ist eine Inspiration für unser Volk. Und nicht zuletzt...“

Celica trat noch näher an ihre Töchter und hob sanft ihre Kinne an, schaute tief in ihre Augen.

„...Möchte ich, dass meine Lieblingstöchter sich vertragen. Ich vertraue darauf, dass eine schwierige Mission wie diese euch zusammenschweißt.“

Dann fuhr sie mit je einer Hand sanft über ihre Wangen, runter zur Schulter und drückte die beiden sanft an sich, streichelte über ihre Köpfe. Die beiden griffen nach ihrem Gewand und vergruben ihre Gesichter in ihrem Busen, als würden sie gestillt werden wollen. Fiseau fing geradezu an zu glühen. Dann löste sie sich und begab sich zurück zu ihrem Thron und nahm ihre alte, erwürdige Haltung ein.

„Also noch einmal: Arisa, Teeza, wollt ihr diesen Auftrag annehmen?“

Fast zeitgleich fielen die beiden auf die Knie und wiederholten jenen Treueschwur den sie zum ersten Mal geleistet hatten, als sie der Elite beigetreten waren. Dann sputeten sie voller Tatendrang aus dem Zelt und flogen mit lauten Schlägen in Richtung ihrer Zelte, um sich vorzubereiten.
 

Celica folgte ihnen nach draußen auf das Plateau und ließ ihren Blick über das Territorium schweifen, sah auf die ledernen Zelte an den Hängen, die mit unzähligen Heringen und Karabinern in die Felswände und die Holzplattformen gehauen wurden und deren herum wuselnden Bewohnerinnen. Eigentlich, so dachte sie sich, ging es ihrem Volk doch ganz gut.

Die hängenden Gärten erblühten in vollem Glanz, sodass die Vorfreude auf die kommende Ernte stieg. Das Wild im Tal war reichlich und auch die ersten Viehzuchtversuche auf den unteren Ebenen konnten mittlerweile kleine Erfolge verzeichnen. Selbst der Bergwind hatte es in diesem Jahr gut mit ihnen gemeint und große Stürme auf Distanz gehalten.

Die Mädchen hatten sich von ihren zurückgebliebenen Artgenossinnen im Südwesten immer weiter entfernt und dank ambitionierten Lehrerinnen wie Arisa angefangen, eine eigene Bildungskultur aufzubauen.

Ja, man konnte sicherlich behaupten, dass die einstigen Dämoninnen der Lüfte zu einem gewissen Grad zivilisiert wurden.

Celica war unheimlich stolz auf all das und zwar zu recht. Doch es reichte nicht. Nicht für ihre Pläne.
 

Rena wartete geduldig, bis die beiden Harpyien weit genug entfernt waren, legte dann ihr Nähzeug beiseite und gesellte sich zu ihrer Herrin.

„War es denn wirklich nötig, sie anzulügen?“, fragte sie scheinbar ruhig und gelassen, jedoch nicht überzeugend gelassen genug, als dass die ältere Harpyie den Funken Sorge nicht raushören konnte.

„Wie kommst du darauf, dass ich sie angelogen hätte? Ihr alle seid meine Lieblingstöchter. Arisa und Teeza sind da keine Ausnahme – trotz aller Scherereien, die die beiden auch bereiten. Und ich vertraue absolut darauf, dass die beiden die Aufgabe erfüllen werden. Glaub mir, wenn ich wieder Tote in Kauf nehmen wollte, hätte ich nicht die beiden geschickt.“

„Ich warne dich lediglich davor, mit solchen Worten vorsichtig zu sein, Mutter. Jede Schwester in den Falkenbergen ist dir so oder so treu ergeben. Da bedarf es keinerlei Tricks.“

Grinsend streichelte Celica den Kopf ihrer Beraterin und begab sich wieder ins Zelt, nahm einen silbernen Becher aus ihrem Regal hinter dem Thron und schenkte sich aus einer blechernen Karaffe ein wenig des Sudes aus Wasser und vergorenen Klippentrauben ein, bevor sie auf Renas Frage antwortete:

„Mit Tricks hat das nichts zu tun. Das war lediglich ein kleiner Motivationsschub für die Mädchen. Ein Stoß in die richtige Richtung, wenn man so will.“

„So wird man es Teeza vielleicht erzählen können, aber Arisa ist klug und könnte es als Verrat verstehen. Und auch wenn sie sich nicht wirklich leiden können: Wenn diese Mission sie so zusammenschweißt, wie du es erwartest, wird sich Teeza vielleicht auf die Seite ihrer älteren Schwester schlagen“, gab Rena zu bedenken und huschte ebenso wieder ins Zelt. Celica räkelte sich auf ihrem Thron und trank das Gesöff mit einem Zug aus.

„Naja das ist doch gut“, meinte sie entspannt. „Ein Volk muss selbstständig werden und auch mal gegen ihre Könige rebellieren, das ist doch völlig normal.“

„Du willst, dass wir gegen dich... aufbegehren?!“ Rena war entsetzt, konnte sie sich doch niemals vorstellen, ihre geliebte Mutter zu verraten. Und noch weniger verstand sie die Ruhe, die Celica bei all dem ausstrahlte.

„Von 'wollen' ist keine Rede. Aber es liegt im Rahmen des Möglichen. Und wenn es soweit ist... dann habe ich noch eine besonders wichtige Aufgabe für dich... aber dazu erst, wenn das Kind da ist. Geh jetzt bitte und lass eine alte Frau ein wenig in Gedanken schwelgen.“

Für einen Moment wollte Rena noch etwas erwidern, doch konnte bereits sehen, dass sich Celica – den Blick starr auf das verzerrte Spiegelbild im Silberbecher gerichtet – längst in einer anderen Welt befand. Auch wenn ihre Herrin es wahrscheinlich nicht mehr bemerken würde, verabschiedete sich die oberste Beraterin mit einem tiefen Knicks und verließ im verunsicherten Schweigen das Zelt.
 

All das sah sich die fremde Person im scharlachroten Gewand aus der Distanz an und gab ein zufriedenes „Hmm“ von sich. Ansonsten sagte sie nichts weiter, sondern steckte sich wohlwollend das Mundstück in den Mund und blies einen großen Ring des graugrünen Rauches aus.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Phinxie
2018-08-10T17:16:31+00:00 10.08.2018 19:16
Mir ist eine witzige Sache aufgefallen: Ich lese deine Kapitel viel lieber am Handy, nur, um dann vom gemütlichen Sofa aufzustehen, den Laptop anzumachen und um dir ein Kommentar zu schreiben xD

Ach ja.
Ganz zu Anfang, Absatz vier, ich zitiere:
[...]doch hinzu kam, dass die sonst so blassen Wangen beinahe glütten[...]
Ich habe keine Ahnung, was "glütten" bedeutet. Meinst du eventuell "glühten"?
Ansonsten bitte ich um Erklärung des Wortes "glütten".

Aber genug gemäkelt. Ansonsten habe ich nichts wirklich unklares mitbekommen, außer vielleicht "flügge" in letzten Drittel des Kapitels, aber das kann auch an meiner eigenen, doch erstaunlich großen Unwissenheit liegen, was selten gebrauchte Wörter im Deutschen angeht. Aber auch hier wäre eine Erklärung lieb ;)

Zuerst einmal, ich finde den Perspektivenwechsel recht spannend, auch wenn ich ein bisschen enttäuscht war, weil es nicht mit Cierdan und Sevi weiterging. Irgendwie habe ich mir das gewünscht.
Du hattest mir ja bereits von deinen Harpyien erzählt und das Kapitel war... in Ordnung.
Irgendwie hat mir hier ein gewisser Touch gefehlt - so, dieser Ben-Touch, verstehst du?
Das Problem, was ich hier habe ist, dass mir Teeza recht unsympathisch erscheint, aber Arisa (um die es in erster Lienie geht) ebenfalls und auch mit Celica konnte ich überhaupt nicht warm werden. Die Charaktere sind irgendwie so typisch: Die herrische Mutter, die gehorsamen Kinder, die Partnerinnen, die nicht mit einander auskommen, aber es irgendwie müssen, sich nicht ausstehen können... Keine Ahnung. Ich hatte mir zu Anfang mehr erhofft, wurde gegen Ende irgendwie ein bisschen enttäuscht, weil ich gehofft hatte, es kristallisieren sich mehr Charakterzüge heraus, mit denen ich was anfangen kann, aber bisher muss ich sagen, dass mir die handelnen Personen wenig gefallen.
Aber da kann sich ja noch ändern.
Die Harpyiengesellschaft an sich... joah. Du hast wenig darüber erzählt. Ich habe nicht verstanden, wieso das Kind zu den Harpyien gehört, aber ich habe verstanden, wieso sie es haben wollen. Klärt sich wohl noch auf, hoffe ich zumindest.
Ich hätte mir in dem Kapitel auch mehr Umgebungsbeschreibung gewünscht. Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, wo die Harpyien genau leben (sollte das noch kommen, dann entschuldige ich mich hierfür), ansonsten war die Beschreibung der Zelte und Celicas Herrschaftssitz gelungen und zumindest da fand ich ein bisschen besser ins Kapitel rein.

Die Kampfszene hingegen war sehr gut beschrieben, detailreich und faszinierend. Ich hatte schon geglaubt, Arisa bringt Teeza wirklich um, so etwas kann ja geschehen bei einer Geschichte von dir ;)

Um dem ganzen doch noch was Positives abzugewinnen und dich nicht vollkommen demotiviert hier stehen zu lassen: Der Mann mit der Kapuze war der einzige, den ich interessant fand. Wahrscheinlich, weil du ihn nur am Rande erwähnt hast, ihm aber am Ende doch noch einen Absatz hast zukommen lassen, das auf seine Wichtigkeit schließt. Gerade wie es mit ihm weitergeht bin ich echt neugierig!

Also, nicht, dass das Kapitel schlecht ist; es war flüssig zu lesen und die über 3600 Wörter hatte ich auch schnell weg, sodass ich mich schon fragte, ob ich irgendetwas überlesen hatte, aber nein. Von daher kann ich nur sagen, dass der Stil an sich so genial wie immer ist und abgesehen von dem einen Wort am Anfang habe ich auch kein Fehler entdecken können, sodass du für einen ungestörten Lesefluss gesorgt hast :)
Ich bin gespannt, wie es mit Arisa und Teeza weitergeht und hoffe, dass ich mich für beide innerhalb der nächsten Kapitel mehr erwärmen kann, als jetzt. ^^'
Antwort von:  Lazoo
10.08.2018 19:57
Zunächst einmal eine ganz klare Ansage: Hör gefälligst auf dich zu entschuldigen, nur weil dir ein Kapitel nicht gefällt! Ich freue nicht über deinen Kommentar, weil ich mich an deinem Lob ergötzen sondern weil mir deine Meinung wichtig ist!

Ja ich bin ein wenig traurig, dass es dir nicht so sehr gefällt wie ich erhofft hatte, aber das heißt dann wohl in erster Linie, dass ich nicht ausreichend Feinschliff dem ganzen gegeben hatte, oder meinen Charakteren wie in diesem Fall scheinbar nicht ausreichend Charakter verpasst hatte. Wobei ich ihre leichte Klischeehaftigkeit nicht ändern werde. Ich mag einfache Charaktere, besonders in Geschichten mit sehr vielen unterschiedlichen. Deswegen wird sich das an sich auch nicht unbedingt ändern, auch wenn das bedeutet, dass du sie nicht so magst.

Die Umgebungsbeschreibungen sind etwas mager, das stimmt, aber dafür war dann meiner Ansicht nach auch alles zu actionreich, um da viel zu beschreiben. Ich denke ich kann eventuell noch ein paar kleine Fetzen mit hinzufügen, aber viel wird etwas schwierig.

Leider weiß ich nicht so ganz, was der "Ben-Touch" ist, daher fällt es mir etwas schwer, etwas dazu zu sagen. Kannst du das nochmal etwas ausschreiben? Oder vielleicht sagen, was dir genau fehlte? Oder beschrieb das deine Ausführungen?

Zu deine Wortproblemen: ja, glütte was ein Fehler, es sollte glühte heißen. Danke für das gute Auge :)
Aber dass du flügge nicht kanntest... Okay zugegeben, ich habe Grade meine Freundin gefragt und die kannte es auch nicht xD also flügge wird dann Mal ins Glossar übernommen.

In jedem Fall bedanke ich mich für den Kommentar und deine offenen Worte. Ich frage dich nochmal nach deiner Meinung wenn es überarbeitet ist ^^"
Antwort von:  Phinxie
03.10.2018 18:15
Sooo... ich muss jetzt immer schauen, was ich vorher kritisiert habe und was jetzt besser ist^^

Also...
Die Charaktere, mit denen ich ja so gar nicht warm werden konnte
Beim zweiten Mal durchlesen war mir Arisa inzwischen ein bisschen sympathischer. Ich muss wohl erst mit der generell recht aggressiven Art der Harpyien zurecht kommen.
Teeza ist immer noch... ein egoistisches Miststück xD
Und Celica.... Celica ist interessanter Charakter. Das gebe ich zu. Sie ist herrisch, aber auf eine Art und Weise faszinierend, jetzt, wo du mehr über die geschrieben hast. Sie führt etwas im Schilde und ich mag solche Charaktere absolut ^^ Ich bin glücklich, dass du 2000 Wörter mehr geschrieben hast, somit kann ich mit den Charakteren inzwischen besser :)

Die Harpyien-Gesellschaft
Mehr beschrieben, mehr Umgebung, einfach... besser.
Ich kann mich besser reinfinden, besser verstehen. Z.B hatte ich ja vorher kritisiert, dass ich nicht so genau verstanden habe, wieso das Kind jetzt zu den Harpyien gehört und sie es unbedingt haben wollen... Das hast du jetzt intensiver und besser erläutert, sodass ich mir jetzt mehr die Frage stelle: "Wieso?" sondern : "ich bin neugierig, wie Arisa und Teeza das Kind aus der Gemeinschaft rausholen wollen!"

So, das waren im Endeffekt die zwei großen Punkte, die ich kritisiert hatte... Und wie gesagt, ich finde es erheblich besser, als dein erster Entwurf :)


Zurück