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Inaba

von

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Mehr, als der Tourist zu träumen wagte

Meine Augen klebten regelrecht am Boden fest, als ich versuchte, mir einen Reim auf meine Situation zu machen. Ich war in Inaba - aber wie war ich hierhergekommen und wo kam mein Nokia her?

Eigentlich gab es nur eine Erklärung...

Es war ein Traum.

Nein, das konnte nicht sein. Es fühlte sich alles zu echt an.

Aber echt das konnte das auch nicht sein, oder? Ein Knick in der Dimension?

Eine Durchsage riss mich aus meinen Gedanken und informierte mich, dass ich in wenigen Minuten am Bahnhof eintreffen würde. Okay, Sitzen bleiben war gar keine Option, also solle ich mich lieber zum Aussteigen bereit machen.

Außerdem schwoll ein klein bisschen Stolz in mir über die Tatsache an, dass ich diese Durchsage perfekt hatte verstehen können. Hihi.

Ich blickte kurz durch den Zug, aber nicht viele Leute außer mir befanden sich hier drin und alle waren tief in etwaige Lektüre oder ein Spiel an ihrer PSP vertieft. Und ich wollte keinen von ihnen ansprechen, ich würde sowieso gleich den Bahnhof erreichen.

Dabei sah ich auch nach oben zu der Gepäckablage und stellte fest, dass sich da auch mein Gepäck befand. Schnell stand ich auf und nahm sie zu mur, vorsichtig und dicht am Sitz, damit ich nicht stürzen würde. Die Tasche war ja doch ganz schön schwer geraten.

Nachdem der Zug hielt, stellte ich doppelt sicher, dass ich weder Kleingeld, noch Handy, noch Bonbonpapier auf meinem Sitz zurückgelassen hatte, dann hastete ich nach draußen und stolperte fast, als ich auf den Boden auftrat.

"Inaba", stand auf dem Schild. Hm. Kaum ein Mensch außer mir verließ den Zug...

...

Was jetzt?

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und verließ die Station und hier war ich, ohne Internet auf dem Handy und ohne Plan, wo ich nun eigentlich hingehen wollte. Eigentlich hatte ich mich drauf verlassen, das dann vor Ort mithilfe meines Handys schon finden zu können.

Hm... der Bahnhof war zwar klein, aber immer noch groß genug, dass sich hier bestimmt ein Taxifahrer fand, oder wenigstens rufen ließ, die waren doch immer ortskundig. Ich griff in meine Tasche und suchte nach etwas Kleingeld - und wurde ein bisschen panisch, als ich lediglich 1280 Yen darin finden konnte. Kein bisschen mehr, meine Bankkarte war weg - verdammt nochmal, irgendjemand musste mich beklaut haben, als ich im Zug geschlafen hab. Wie konnte derjenige nur so dicht rangekommen sein?

Ich fluchte kurz vor mich hin - nur, weil der Bahnhof mittlerweile schön leer war - aber es half ja nichts. Vielleicht gab es wenigstens einen Bahnhofsaufseher, der mir die Richtung in die Stadt weisen konnte. Schnell schmierte ich mit einem Kugelschreiber einen Telefonhörer auf meinen Handrücken - ich musste sofort die Bank anrufen, wenn ich Zugang zu einem Telefon und Internet haben würde.

Schnell war ein guter Mann gefunden, und ich fragte ihn, in welcher Richtung ich am schnellsten ein Hotel erreichen würde.

Er blickte mich überrascht an - entweder war mein Japanisch besser, als ich gedacht hatte, oder das komplette Gegenteil - aber dann erklärte er mir, in welcher Richtung ich die Innenstadt finden könnte, in der sich die Einkaufsmeile befand und wo ich auch einen Ort zum Übernachten finden würde - Das Amagi Inn.

"Oh, Sie sind auch ein Fan?", fragte ich, halb im Scherz, schließlich war das Inn nicht echt.

"Jeder hier im Ort kennt das Amagi Inn, es hat schließlich Tradition."

Ich blickte ihn kurz an, um zu sehen, ob er mich verarschen wollte oder nicht, aber er blinzelte nur und wandte dann den Kopf ab, als es ihm zu unangenehm erschien, von mir angestarrt zu werden.

"N-naja, danke für Ihre Hilfe", beendete ich das unbeholfen gewordene Gespräch, schnappte mein Gepäck und lief in die angedeutete Richtung. Zum Glück musste ich bloß einer gerade Straße folgen, sich darauf zu verlaufen war ausgeschlossen.

Als ich mich allerdings nchmal kurz umdrehte, um zu sehen, ob nicht vielleicht doch noch jemand am Bahnhof wartete, durchzog mich das komische Gefühl von Déja vu - ich wusste, dass ich hier unmöglich schon mal gewesen sein konnte, aber trotzdem erkannte ich den Ort irgendwoher.

Hm. Vielleicht sah der Bahnhof im Spiel so ähnlich aus, dass ich mich unterbewusst daran erinnerte? Schwer zu sagen...

Allerdings war es erstmal ein Stück zu laufen, wengstens vier Kilometer. Immerhin sah das Wetter gut aus und es war nicht windig, meine Tasche war nicht zu schwer bepackt...

Außerdem musste ich mir immer noch überlegen, von welchem Geld ich die Nacht im Amagi Inn verbringen sollte - und vor allem, was ich danach machen könnte. Ich seufzte leise, aber verdrängte den Gedanken sofort wieder, jetzt Angst zu bekommen, würde mir nicht helfen und auf meinem 40-Minuten-Marsch nach Inaba hatte ich eh keine Gelegenheit, etwas zu tun, außer vielleicht, nach Kleingeld am Boden zu schauen.

Oh, fünf Yen!
 

Gerade, als ich den letzten Tic Tac aus meiner Dose schüttelte, sah ich endlich die Umrisse von Inaba in greifbarer Nähe - und somit auch die Einkaufsmeile! In einem größeren Café schien gerade nicht viel Betrieb zu sein, also setzte ich mich schnell an einen kleinen Tisch, um mein Gepäck abzulegen und kurz verschnaufen zu können.

Aus Höflichkeit bestellte ich mir einen kleinen Kaffee für 320 Yen... eigentlich keine so gute Idee, aber ich konnte nicht anders. Ich fing mir eh schon den ein oder anderen Blick ein, weil ich so offensichtlich Ausländerin war. Schnell sammelte ich meine Sachen zusammen und begab mich in Richtung des Amagi Inns, aber ein Blick auf die Preise war schnell desillusionierend - Eine Nacht 4000 Yen und mehr, keine Chance.

Ich wandte mich zum Gehen, als mir etwas auffiel - ein Mädchen in einem roten Pullover, mit langen schwarzen Haaren und einem roten Haarband - Yukiko Amagi. Niemand lief in Japan mit einem Cosplay öffentlich rum, und wenn ich sie so ansah... das war keine Cosplayerin, das war eindeutig Yukiko. Ich wich intuitiv ein paar Schritte zurück, aber sie schien mich nicht zu bemerken.

...ein Gedanke machte sich in meinem Kopf breit. Es war nicht möglich, aber... war ich vielleicht irgendwie doch... im echten Inaba gelandet? Ich meine, ich hatte mir als Kind öfter vorgestellt, dass sowas mal passieren würde, ich wachte auf und war dann woanders... aber das war ein Konzept, das ich jetzt so nicht akzeptieren konnte. Wenn auch, weil es mir so undenkbar schien. Außerdem hatte ich mir nie groß Gedanken darüber gemacht, was ich tun würde, sollte es passieren. Die Vorstellung, in der Welt eines Spiels oder Animes zu sein, hatte mir wohl so schon gereicht.

Schnell schüttelte ich den Kopf und ging weiter. Ich brauchte zuerst eine Möglichkeit, meine Bank zu kontaktieren... und irgendwie Geld hierher zu bekommen. Ich achtete gar nicht weiter darauf, wo ich hinlief, aber dann fiel mir der Tempel auf. Ganz Recht, der Tempel, an dem ein Fuchs mit Halstuch zu finden sein sollte... Aber er war nicht da. Niemand war da, um genau zu sein - also der perfekte Ort für eine Inspektion meiner Tasche. Mein Handy hatte sich verändert und es musste einen Grund dafür geben, auch dafür, dass ich jetzt in Inaba war. Und Yukiko gesehen hatte.

War das möglich? War ich im Spiel? Mir schossen eine ganze Menge gemischte Gefühle durch den Kopf, aber Verwirrung war das präsenteste, gefolgt von Aufregung, Hoffnung... ich atmete erstmal kurz durch. Jetzt war es wichtig, dass ich mich zusammen hielt.

In er Tache fanden sich ein paar Kleidungsstücke von mir fanden sich drin, meine Zahnbürste, mein Plüsch-Korosensei... dann eine kleine Tasche, die mir nicht bekannt vorkam. Zögerlich zog ich ihren Reißverschluss auf und zog langsam heraus, was sich offenbarte:

Ein Schlüerausweis mit einem Foto von mir darauf - ein japanischer, der allerdings darauf verwies, dass ich Deutsche war. Gerade noch bekam ich die Kanji für "Yasogami" zusammen - denn das war die Schule, auf die ich laut ihm gehen sollte. Für 2011 allerdings - aber mein Geburtsjahr hatte sich nicht geändert. 2011? Die Geschichte von Persona 4 spielt doch - ich schüttelte wieder kurz den Kopf und konzentrierte mich lieber auf das, was jetzt vor mir lag.

Ein tieferer Griff in die Tasche offenbarte außerdem eine sehr vertraut aussehende Schuluniform - das schicke Karomuster der Yasogami High. In meiner Größe!

Ich musste an ihr als Schüler eingeschrieben sein... aber wie? Ein brauner Umschlag, der aus der Uniform herausfiel, gab mir sehr willkommen eine Antwort auf meine vielen Fragen. Dankenswerterweise war er in Hiragana geschrieben.

"Hallo!

Wir freuen uns, dass du für ein Auslandsjahr in unserem Haus leben möchtest und teilen dir hiermit freudig mit, dass du das ab dem 11 April kannst!"

Ich packte ihn beiseite und entschied, ihn später zu lesen, als ich feststellte, dass sich noch ein weiterer Brief in dem Umschlag befand. Dieser war eine ganze Spur formeller gehalten und detaillierte trocken - und mit vielen komplizierten Kanji, aber das Gröbste verstand ich - dass ich ab dem 12. April die Yasogami High gehen würde und entprechend auch schon alles geregelt wäre. Auf dem Umschlag fand sich auch der Name meiner Gastgeberfamilie - Shinui, einmal in Kanji und einmal in Hiragana. Am Bahnhof war aber niemand gewesen... oder hätte ich da bloß warten brauchen? Aber woher?

Ich griff nochmal nach meinem Nokia, das jetzt anzeigte, dass es mit dem japanischen Netz verbunden war. Ein schneller Blick auf die SIM-Karte verriet mir, dass es damit jetzt auch eine andere Nummer haben würde. Unter Shinui war aber leider niemand abgespeichert - das ganze Telefonbuch war leer.

Ich seufzte leise, dann packte ich meine Tasche wieder zusammen. Nicht enfach, mit der vielen Kleidung, die ich rausgenommen hatte... Hrm, das hatte doch davor auch alle bequem reingepasst...

Nachdem ich alles doch noch irgendwie reingestopft bekommen hatte, nahm ich wieder den Brief hervor und las ihn noch einmal langsam und sorgfältig.

"Unser Haus ist nicht groß, aber wir hoffen, dass du dich trotzdem wohl fühlen wirst. Wenn dir was fehlt, sag es uns!"

Außerdem hatte sie dem Umschlag eine Visitenkarte beigelegt, mit ihrer Adresse darauf... Okay, immerhin schon mal eine Basis zum Herumfragen. Ich schulterte meine Tsche wieder und verließ den Tempel - nächste Station, das Haus der Shinuis... hoffentlich.
 

"Entschuldigung, kennen Sie diese Adresse?"

"Nein, tut mir Leid, ich hab es eilig!"
 

"Können Sie mir sagen, wie ich zu dieser Adresse finden kann?"

"Oh, bist du Amerikanerin? Wie toll! Mein Sohn ist der Klassenbeste in Englisch und..."
 

"Weißt du, wo ich das Haus hier finde?"

"Deine Haare sind komisch!"
 

Okay, das hatte ich mr eindeutig einfacher vorgestellt. Gerade hatte ich jede einzelne Mutter in diesem Park gefragt, sie tuschelten schon ein bisschen, aber niemand konnte - oder wollte - mir weiterhelfen. Auf einer hölzernen Parkbank legte ich kurz meine Tasche ab, ehe ich mich daneben setzte. Immerhin hatte zu einer Erkenntnis geführt.... ich kann Japanisch. Sprechen und Verstehen zumindest. Irgendwie... ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass das hier wirklich das Inaba sein sollte, aber ich hatte keine bessere Erklärung für das, was passierte. Ich kannte zwar die Adresse nicht, aber ich hatte Yukiko gesehen und fand mich in der Umgebung um das Einkaufsviertel herum super zurecht. Leise seufzte ich, ehe ich zu Boden blickte und erst jetzt die vielen Tauben bemerkte, die sich gurrend um die Bank scharrten.

"Ich hab nichts für euch", bemerkte ich trocken, und fügte in Gedanken dazu "für mich hab ich ja auch gerade nichts."

"Hast du dich verlaufen?", fragte mich auf einmal eine Stimme - ein älterer Mann in einem bleichen Hemd, Hosenträgern und mit einem Hut, bestimmt schon 60, der neben mir saß und die Tauben fütterte.

"Nicht direkt... aber ich bin auf der Suche nach dieser Adresse, aber niemand kann mir weiterhelfen."

Der Mann nahm vorsichtig die Visitenkarte und betrachtete sie prüfend.

"Das ist ein Stückchen außerhalb. Heutzutage verlassen sich die jungen Leute viel zu sehr auf ihre Technik... niemand kennt mehr den eigenen Ort und die Leute darin."

Er seufzte melancholisch auf.

"Weißt du, in welcher Richtung du den Bahnhof findest? Hinter der Tankstelle, ja? Danach ist es gar nicht mehr weit, bloß nach einer Bäckerei mit den Namen Furukawa Ausschau halten, von da aus müsstest du einen Blumenladen sehen und ab da ist es einfach zu finden."

Ich mochte miserabel mit Karten sein, aber mit einer so bildlichen Beschreibung konnte ich was anfangen. Auch, wenn es bedeutete, dass ich das ganze Stück zum Bahnhof wieder würde zurücklaufen müssen. Na ja. Immerhin würde ich zu meiner Familie finden!

"Vielen Dank!", bedankte ich mich etwas überschwänglich bei dem alten Mann und ging, ohne, ihn nach seinem Namen zu fragen. Das wäre ein wenig komisch gewesen - auch, wenn ich hoffte, ihn nochmal im Park zu sehen.
 

Mal sehen, hier war ein kleiner Süßigkeitenladen, dann war direkt vor mir... schon die Tankstelle. Sehr gut, dann war es nicht mehr weit... mein Wasser war lange alle und so langsam bekam ich ein bisschen Kopfschmerzen. Ein Stück war es nach dem Bahnhof ja noch, da konnte ich mir genausogut jetzt eine Flasche Wasser kaufen.

Ich betrat die Tankstelle - nur um dort meinen finalen und endgültigen Beweis dafür zu bekommen, dass ich wirklich im echten Inaba gelandet war - vor mir an der Kasse stand ganz eindeutig Dojima und ein Blick aus dem Fenster verriet, dass auch Nanako und Yuu (oder Souji? ) hier waren. Klar, der 11 April... Sein erster Tag.

Ich war in Inaba. Im echten. Ich konnte Japanisch sprechen und verstehen, wenn auch immer noch nicht groß Kanji lesen... und wurde ein bisschen nervös. Was bedeutete das für mich? Wenn ich in einem Spiel war, dann existierte außerhalb von Inaba nichts - und selbst wenn ich in einer Welt gelandet wäre, in der alle Geschehnisse von Persona real passieren, was bedeutete das für mich in Beziehung zu meiner Welt? Meinen Freunden, meinem Zuhause? Meiner Zukunft?

Aber diese ganzen Fragen würde ich mir unmöglich jetzt beantworten können. Leise kaufte ich eine Flasche Wasser und bemühte mich dabei, nicht zu Dojima oder aus dem Fenster zu starren, ehe ich die Tankstelle verlassen konnte um den Bahnhof und die Bäckerei zu finden.

Nur um sicherzugehen fragte ich auch die Bäckerin noch einmal, ob sie die Adresse oder den Blumenladen kannte, und zum Glück konnte sie mir weiterhelfen - und gab mir sogar ein bisschen Brot mit, das sie wohl neu ausprobierte. Ich packte es vorsichtig ein und garantierte ihr, nochmal vorbeizuschauen, und ihr zu sagen, was ich dachte. Immerhin, sollte das Haus hier in der Nähe sein sollte ich ja auch auf dem Weg zur Schule daran vorbeikommen.

"Entschuldigung, junge Frau aus Deutschland!"

Irgendjemand rief urplötzlich nach mir, ich konnte gar nicht anders, als die Tasche fallen zu lassen und mich schnell umzusehen.

Eine kleine, etwas dickliche Dame, vermutlich Ende 40 bewegte sich auf mich zu und wirkte richtig erleichtert.

"Kind, ich habe mich schon gefragt, wo du geblieben bist! Bist du mit meiner Beschreibung zurecht gekommen? Wieso hast du so lange gebraucht, um hierherzufinden? Ich dachte schon, du wärst in den falschen Zug gestiegen... Kind..!"

Sie wirkte doch ein bisschen aufgebrachter. Aber was sollte ich ihr sagen? Das musste Frau Shinui sein, niemand anders würde so reagieren.

Aber ich konnte ihr schlecht sagen, dass ich keine Ahnung hatte, was hier lief.

"Ah, Shinui-san, es tut mir Leid!"

Intuitiv verneigte ich mich ganz leicht, aber bestimmt nicht im richtigen Winkel.

"Ich... w-wollte mir nur mal schnell den Tempel in der Stadt anschauen... u-und für ein erfolgreiches Jahr beten."

Mist. Das hatte ich vergeigt.

"Aber... Kind."

Fast schon sah mich Frau Shinui ein bisschen mitleidig an.

"Wünsche an die Götter werden nur erhört, wenn sie von Shintoisten stammen... was du als Ausländerin nicht sein kannst!"

"A-Ach, ist das so..."

Natürlich wusste ich das, aber eine bessere Ausrede war mir auf die Schnelle nicht eingefallen. Außerdem würde ich ja noch genug andere Gelegenheiten bekommen, Frau Shinui zu beweisen, dass ich keineswegs eine ignorante Ausländerin war.

Allerdings musste ich mir dann schon mehr Müde geben.

"Oh, aber jetzt komm erst mal rein, die Tasche sieht schwer aus."

Meine Schultern stimmten ihr zu.

In einem kleinen, aber gemütlich Wohnzimmer nahmen wir an einem kleinen Teetisch Platz. Sie goss mir ein bisschen Tee auf und seufzte leise.

"War deine Reise anstrengend, ja? Du wirkst sehr müde. Aber morgen fängt die Schule an, da musst du dich heute ein bisschen anstrengen, wenn du noch alles schaffen möchtest. Du kannst nicht schon an deinem ersten Tag locker lassen!"

..da hatte sie wohl Recht.

"Aber... weißt du, es ist schön, jemanden da zu haben, jetzt, da Yuno so beschäftigt ist. Weißt du, sie ist ein liebes Mädchen und ich bin mir sicher, sie gibt ihr Bestes, sie ist ja nach Tokyo gekommen... und ich verstehe, dass sie nicht oft heimkommen kann, aber... du weißt sicher wie das ist, oder?"

Ich konnte das zwar nicht auf meine Mutter beziehen, aber ich nickte.

"Aber Yuno stellt dafür gern ihr Zimmer zur Verfügung. Du darfst alles benutzen, was drin steht. Keine Scheu!"

Wahrscheinlich hatte sie alle persönlichen Gegenstände im Keller verstaut oder sowas.

"Nur Jungen bleiben nicht über Nacht, einverstanden?"

"W-Was? Eh, klar..."

Mit so einer Bitte hatte ich gar nicht gerechnet, schließlich war ich zum Lernen hier, aber mit 21-

...

21? War das nicht ein bisschen alt für ein Austauschjahr?

Oder war ich wieder 16? Es war immerhin wieder 2011... moment, aber Frühling, dann müsste ich doch 15 sein... na ja, jetzt galt es eh erstmal, Frau Shinui aufmerksam zuzuhören. Sie hatte mir das mit Sicherheit schon mal alles erzählt, aber sie wirkte wie jemand, der gern redete, also machte es ihr wohl nichts aus, Dinge zu wiederholen, glücklicherweise.

"In der Golden Week kommt auch Takafumi nach Hause, dann lernst du ihn auch kennen!"

Einen anderen Sohn? Ah, nein, im Brief hatte sie nur ihre Tochter erwähnt.

"Er arbeitet hart... weißt du, ich finde es ja schön, dass die Leute in Junes alles bekommen können, aber die jungen Leute... sie haben einfach keine Geduld mehr für einen schönen Innentadtbummel. Und ein kleines Süßigkeitengeschäft? Hat sich einfach nicht gehalten..."

Hörte sichnach einem Ehepartner an.

"Shinui-san lebt nicht mehr hier?"

"Ja, aber das weißt du doch. Er hatte großes Glück, einen stabilen Job in der Baubranche zu bekommen, so als Quereinsteiger. Aber gut verdienen... na ja, das hat er hier auch nicht, aber es hat gereicht und er war immer Zuhause. Und jetzt... Brot wollen sie essen, die Kinder heutzutage."

Klang, als wären sie nicht gerade mit den Furukawas befreundet.

"Aber es ist nicht so, als würde das Junes nur Schlechtes bringen... sie hätten es nur woanders eröffnen können."

"Arbeiten Sie da, Shinui-san?"

"Ja, hatte ich dir ja auch gesagt."

Arme Frau...

"Teilzeit. Es reicht, aber wenn du Taschengeld möchtest, wirst du auch arbeiten müssen."

Hm, na zu einem Job in Junes würde ich nicht nein sagen... wenn auch nur, weil ich wusste, dass Yosuke da sein würde.

"Aber du musst nicht, auch wenn es den Kindern heute gut tun würde. Takafumi schickt mir, was er kann... und ein bisschen vom Staat gibt es auch noch. Schließlich öffnen wir unsere Tür gern für Ausländer, die Japan kennenlernen möchten!"

Während sie das sagte, wanderte ihr Blick durch das Zimmer und blieb an der Uhr hängen.

"Oh, spät ist es geworden... möchtest du was Bestimmtes essen?"

"Ah- ich nehme, was da ist."

Ich war nicht die erste Austauschschülerin hier, und die letzte würde ich auch nicht sein. Auch nicht schlecht, Gastmutter als Beruf.

"Okay, ich habe noch Onigiri übrig. Und ein paar Sachen im Kühlschrank, aber die wirst du morgen für dein Bento brauchen. Aber am besten..."

Jetzt fiel ihr Blick auf meine Tasche.

"Richte dich erstmal ein, danach kannst du was Essen, ja? Wer nicht arbeitet, der nicht isst!"

Keinen Teilzeitjob anzunehmen war keine Option, wenn ich mit Frau Shinui gut zurechtkommen wollen würde. Ich nickte, nahm dann meine Tasche auf und folgte der Beschreibung, die mir Frau Shinui noch hinterher rief - am Ende des Ganges links, recht sei ihr Schlafzimmer und sie würde es bevorzugen, wenn ich das nicht betreten würde. Langsam lief ich über den Parkettboden mit dem angenehm vertrauten Klang, ehe ich besagtes Zimmer mit einem bunten Holzschild an der Tür fand - Yuno stand darauf, mit Häschen - und öffnete vorsichtig die Tür, so als würde da drinnen bereits jemand warten.

Aber natürlich war das nicht der Fall.

Ich wuchtete die Tasche auf das Bett und eigentlich hätte ich mich gern hingelegt, aber das machte keinen Sinn, wenn ich mit dem Auspacken noch fertig werden wollte. Viel hatte ich nicht mitgenommen, schließlich war ich davon ausgegangen, dass ich hauptsächlich unterwegs sein und Platz für alles benötigen würde, was ich wieder mit nach Hause genommen hätte... aber jetzt war das fast ein Vorteil.

Die Schränke waren leer und boten genug Platz für die viele Kleidung und ein paar Kleiderbügel. Einen davon hängte ich für die Uniform raus.

In der Schublade am hölzernen Schreibtisch brachte ich meine Schreib- und Zeichensachen unter und bekam außerdem einen guten Blick auf die Umgebung dank den Fensters daran. Ich war eigentlich kein Freund der Farbe rosa, aber die in Pastellpink gehaltenen Tapeten der Wände rechts und links von der Fensterseite waren angenehm anzusehen. Mein Koro hatte schon Platz neben dem Kopfkissen gefunden - zum Glück auch für japanische Mädchen im Teenageralter nicht zu ungewöhnlich - nur einen Computer hatte ich nicht zur Verfügung. Ob sie einer Ausländerin in Junes wohl Ratenzahlungen anbieten würden?

Ich hörte die Stimme von Frau Shinui aus der Ferne also warf ich einen letzten Blick auf mein Handy und ging zum Abendessen.

Simpel, aber lecker, Onigiri als Abendessen waren durchaus okay.

Bento... das konnte ich morgen früh machen. Frau Shinui hatte mir ein Bad eingelassen, was ich gerne annahm. Die weiße Zimmerdecke im Blick dachte ich darüber nach, was heute passiert war. Ich war im echten Inaba gelandet, bevölkert mit den Leuten, die ich aus dem Spiel kannte... und da fingen die komplizierten Fragen an. Ich konnte die Geschichte verändern, oder? Konnte ich verhindern, dass die Morde stattfinden würden? Aber das würde auch bedeuten, dass ich mich in ziemliche Gefahr begeben würde, und ich wusste immer noch nicht, ob ich im Spiel war, oder in einer Welt, die ihm glich. Wie war das hier mit Schicksal? Würden die Dinge passieren, wie im Spiel, ganz gleich, was ich tat? War ich effektiv ein NPC?

Darüber hinaus, hatte ich eine Persona? War ich überhaupt in der Lage, mit der Truppe zu interagieren? Oder würde ich nur das Jahr hier verbringen dürfen und sie dabei sehen?

...

Okay, ich würde es nicht verstehen können. Irgendwann vielleicht, aber nicht jetzt. Zuallererst sollte ich in die Schule gehen, mal schauen, was passiert... außerdem war es ein wenig her, dass ich Persona gespielt hatte, ich hatte nicht alle Details bei mir, die ich brauchen würde. Und ich schätze mal, mit einem Walkthrough sah es auch eher schlecht aus.

Das plötzliche Klopfen an der Badezimmertür brachte mich aus meinen Gedanken, aber es war nicht so, dass sie mich an einen sinnvollen Ort geführt hätten.

"Kind, bitte werd' langsam fertig, ich muss morgen früh an die Arbeit."

Wann öffnete Junes nochmal? Na ja, so oder so, jetzt war es an der Zeit, zu schlafen. Unausgeruht wollte ich an meinem ersten Tag an der Yasogami wirklich nicht sein.



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