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Fuchsmädchen

von

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Sein Weg

Als sein Handy vibrierte, hatten ihn seine Füße bereits bis in eines der ruhigeren Wohngebiete der Stadt getragen. Gerade als er das Display aufleuchten ließ, machte er vor einem kleinen Mehrfamilienhaus Halt. Eigentlich kein Haus in seiner Preisklasse, aber durch seinen ehemaligen Nebenjob hatte er sich eine Zwei-Zimmer-Wohnung leisten können. Die Miete war nur eines seiner vielen Probleme. Die Vermieterin war viel zu alt, naiv und glaubte ihm jedes seiner scheinheiligen Worte. Victor hatte erst kürzlich in Erfahrung gebracht, dass sie vor wenigen Monaten ihren Mann verloren hatte. Ab diesem Zeitpunkt hatte er tatsächlich versucht, jeden Monat pünktlich zu zahlen, auch wenn es nicht immer in seinem Budget lag. Er hatte sich schon oft genug mit zwielichtigen Gestalten eingelassen und steckte nun so tief im Sumpf aus Schulden, illegalen Genussmitteln und Lügen, dass er sich kaum mehr selbst zu helfen wusste. Victor hatte Freunde, doch sie waren nicht ehrlich mit ihm. Es waren buchstäblich die falschen Freunde und obwohl er es wusste, nutzte er sie um der kalten Isolation zu entfliehen. Lieber von allen Seiten belogen werden, als wenn niemand mit dir auch nur ein Wort wechselt. Dabei trug er oft selbst dazu bei, dass niemand mit ihm zu tun haben wollte. Ein Päckchen Zigaretten aus der Lederjacke geholt und einen der Glimmstängel zwischen die Lippen gesteckt, warf er schließlich einen Blick auf die eingegangene Nachricht auf seinem Handy.
 

„Wenn du den Stoff noch haben willst, meld' dich einfach bei mir. Bekommst ihn zu 'nem Freundschaftspreis. Julien.“
 

Julien. Oder wie auch immer er hieß. Victor hatte bereits längst in Erfahrung gebracht, dass es nicht sein richtiger Name sein konnte. Er hatte sich wohl mehrfach bei anderen 'Kunden' unter verschiedenen Namen vorgestellt. Ein wasserstoffblonder Bubi mit Cappy und einem Jogginganzug, der bereits bessere Tage gesehen hatte. Alles in allem nicht wirklich ein Zeitgenosse, den man gerne um sich hatte. Im Untergrund hatte er sich einen Namen als Dealer gemacht und Victor war durch seine falschen Freunde und die pure Verzweiflung an ihn geraten. Wütend löschte der Schüler die Nachricht, steckte das Handy zurück in die Jackentasche seiner dunkelbraunen Lederjacke und zündete seine Zigarette an. Schon nach einem Zug konnte er den Rauch in seinen Lungen fühlen. Es war ein Gefühl, das ihn bisher immer beruhigt hatte, doch an diesem Tag schien es ihm nicht auszureichen. Mit einem zornigen Blick in den Himmel durchlöcherte er förmlich den bereits dunklen Horizont, als es schließlich begann zu regnen. Es musste wirklich sein Glückstag sein. Den durchweichten Glimmstängel schließlich zu Boden geworfen und mit dem Stiefel endgültig von seinem Leiden erlöst, kramte Victor nach seinem Schlüssel und öffnete die Tür zum Treppenhaus. Sich kurz durch die feuchten Haare gestrichen, versuchte er so leise wie möglich die beiden Treppen hinauf zu gelangen, damit seine Vermieterin ihn nicht hörte. Er hatte wirklich nichts gegen die leichtgläubige, alte Frau und ihren Drang zu reden, aber er hatte zu große Angst sie heute einfach anzuschreien. Erfolgreich schaffte er es unbemerkt in den zweiten Stock des Mehrfamilienhauses und sperrte sich in seinem kleinen Reich ein. Sich der Schuhe und der Jacke schließlich in irgendeiner Ecke entledigt, warf er sich auf das bereits sehr benutzt aussehende, braune Ledersofa und ließ seinen Kopf nach hinten auf die Lehne fallen. Sein Blick galt der kargen, weißen Zimmerdecke. Er hatte darüber nachgedacht sie zu streichen, doch dann hätte er sich mit der Vermieterin auseinandersetzen und die Farbe kaufen müssen, für die er kein Geld hatte. Also blieb sie eben weiß. Ein Weiß, dass Victors Weste niemals mehr erreichen könnte. Er hatte schon oft über den Auslöser, diesen einen Punkt in seinem Leben nachgedacht, an dem es bergab ging, aber einen einzigen Punkt gab es gar nicht. Sein Leben hatte nach der Scheidung seiner Eltern richtig an Fahrt aufgenommen und ging nun stetig bergab. Er hatte mit dem Konsum von Alkohol, Drogen und Zigaretten begonnen und war von zuhause abgehauen um sein eigenes Leben zu führen, ohne die führende Hand seiner Mutter, die ihn bislang immer unterstützt hatte. Ein Jahr hatte er sich nicht mehr bei ihr gemeldet und sie hatte keine Ahnung, wo er war. Er hatte sie aus seiner Welt ausschließen wollen. Eine dunkle Welt, deren schöner Schein oftmals trügte und die Freude bloß vorspielte. Victor hatte den Mut verloren, seiner Mutter überhaupt noch einmal so gegenüber zu treten. Manchmal machte es ihn so wütend, dass er nicht mehr wusste, wohin mit dem ganzen aufgestauten Zorn. Völlig in Gedanken vernahm er schließlich ein weiteres Mal das Vibrieren seines Handys. Wahrscheinlich nur wieder Julien... Genervt angelte er nach seinem Handy, um dem Dealer endlich zu sagen, dass er ihn verdammt nochmal in Ruhe lassen sollte, als ihm auf dem Display unter dem Absender der Nachricht nur 'Unknown' angezeigt wurde. Auch eine Nummer fehlte und Victor runzelte die Stirn. Schlussendlich öffnete er die Nachricht zaghaft.
 

„Das Leben bietet mehr als das. Sei netter zu deinen Mitmenschen. Du wirst sehen, es zahlt sich aus.“
 

Seine Gesichtszüge schienen für einen Moment wie eingefroren. Wer erlaubte sich bitte so einen geschmacklosen Witz? Versuchte ein Unbekannter, der vermutlich überhaupt nicht über seine Situation Bescheid wusste, ausgerechnet ihm Vorschriften zu machen? Alle von Victors Versuchen, den Verantwortlichen anzurufen, ihm eine Nachricht zu schreiben oder ihn anderweitig zu kontaktieren, schlugen kläglich fehl. Es schien beinah so, als würde dieser 'Unknown' gar nicht existieren. Nun völlig genervt von der ganzen Inszenierung warf er das Handy auf die andere Seite des Sofas und lehnte sich seufzend wieder zurück. Wer hatte ihm schon irgendwas zu sagen? Auf diese Pseudo-Hilfe konnte er gut verzichten. Nett zu seinen Mitmenschen sein... was würde das schon ändern? Einen Moment... Die Augen geschlossen, zuckten seine Augenbrauen in Gedanken, als wäre ihm eine schreckliche Erkenntnis gekommen und im nächsten Moment war er wieder auf den Beinen. Könnte es etwa der kleine Geek von eben gewesen sein? Nein, dazu hätte sie gar nicht den Mut. Aber was wenn doch? Und hatte sie mit ihren Worten nicht irgendwie Recht? Niemals. Alles was er tat, tat er aus freien Stücken und weil er es so wollte. Sein ruheloser Weg führte ihn in die Küche, in der er den Schrank unter dem Waschbecken öffnete und nach etwas unter der Oberfläche tastete, das er dort vor einiger Zeit versteckt hatte. Mit einigem Schwung riss er das kleine Tütchen schließlich von der Oberfläche und musterte es ruhig atmend. Es war eine kleine Tüte mit weißem Pulver darin und der geübte Beobachter wusste, was sich darin verbarg. Kurz nur zögerte Victor, dann zog er scharf die Luft ein, öffnete den Beutel und spülte den Inhalt im Waschbecken hinunter. Als wollte er damit sagen „Siehst du? Ich kann für mich selbst handeln!“ knüllte er die Tüte in seiner Hand und warf sie in das Spülbecken. Nur schien ihm seine lächerliche Trotzreaktion gar nicht so richtig bewusst zu sein. Er musste niemandem etwas beweisen, auch nicht diesem 'Unknown', sondern nur sich selbst. Warum hatte er sich überhaupt von dieser Nachricht so beeinflussen lassen? Vielleicht weil sie etwas tief in seinem Inneren ausgelöst hatte. Etwas, das er schon lange versucht, aber nie geschafft hatte. Und irgendwann hatte er einfach aufgegeben und sein Leben so miserabel akzeptiert wie es war und sich darin eingefügt. Er war zu dem geworden, was man von ihm erwartete. Ein düsterer Kerl, der am liebsten niemanden zu nah an sich heranlassen wollte. Er wusste, dass das nicht er selbst war, aber es war nunmal ein Teil von ihm. Fest biss er die Zähne zusammen und ballte die Fäuste. Scheinbar schien der aufgestaute Druck nun ein Ventil zu suchen. Er war froh, in dieser Situation allein zu sein. Nachdem er die ersten beiden Stühle in der Küche umgestoßen und von einem sogar die Beine abgebrochen hatte, führte sein rastloser Weg ihn in sein Arbeits- und Schlafzimmer, in welchem er mit einem Schlag den gesamten Schreibtisch leer räumte. Nicht ein Laut löste sich dabei aus seiner Kehle. Stattdessen ließ er sich auf dem Schreibtischstuhl nieder und stützte seinen Kopf auf seine Hände. Wie konnte eine lächerliche Nachricht alles so eskalieren lassen? Sollte es wirklich der 'Geek' gewesen sein, konnte sie sich auf etwas gefasst machen...
 

Nach einer kurzen Pause um seine Nerven zu beruhigen, erhob Victor sich vom Tatort und warf sich auf sein schwarzes Boxspringbett. Eigentlich ein Luxus, den er sich nicht gönnen sollte, aber bei seinem Einzug vor einem Jahr war er einfach noch zu blauäugig was das Thema Geld anbelangt. Leichtfertig ging er mit den Scheinen hausieren und gönnte sich Späße, die längst nicht seinem Preisrahmen entsprachen. Mittlerweile hatte er den Überblick über seine Finanzen gänzlich verloren und einen riesigen Schuldenberg angehäuft. Die ganzen Mahnungen, die täglich in den Briefkasten flatterten, hatte er ungeöffnet in einen Karton unter seinem Schreibtisch gestopft. Seine Ersparnisse waren schon seit langem aufgebraucht. Und den Willen wieder schuldenfrei zu werden, hatte er wohl auch aufgegeben. Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an sein Dasein zu verschwenden, tat er das, was er am besten konnte, und verdrängte seinen Kummer vor der Welt und sich selbst...
 

„Beschissen ist gar kein Ausdruck für dieses Leben.“ murmelte Victor vor sich hin, drehte sich auf die Seite und sah durch sein Fenster hinaus dem Himmel entgegen. Diese Nacht würde sternenlos werden...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Saiki
2017-02-08T10:48:02+00:00 08.02.2017 11:48
Uh eine andere Sichtweise :) Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Dass der Victor wohl nochmal vorkommt ließ sich erahnen, aber dann direkt so. Interessant.
Ich frage mich nur ehrlich in was für einer Stadt sie wohnen müssen und/oder wie naiv die Vermieterin sein muss, dass er sich nur mit einem Nebenjob eine zwei-Zimmerwohnung leisten kann. XD Aber schön, dass man jetzt mehr über ihn erfahren hat. ^^ Scheint ja ein wirklich turbulentes Leben zu führen.
Ich kann gerade nur nicht ganz nachvollziehen, wie er darauf kommt, dass die Nachricht von dem "Geek" sein könnte. Für mich schien die Begegnung eher so flüchtig gewesen zu sein, dass er sie im nächsten Moment schon wieder vergessen zu haben scheint. Aber andererseits, wenn sie eh so auffällig gekleidet zu sein scheint etc. dann hat er sie ja offensichtlich vorher schon zur Kenntnis genommen und vielleicht steckt da insgesamt ja auch mehr dahinter. ;)
Ich habe leider gerade eben keine Zeit weiter zu lesen, aber werde dann zu einem anderen Zeitpunkt gerne fortfahren ^^
Antwort von:  Dorkas
08.02.2017 16:44
Vielen Dank für diese schönen Kommentare! :)
Ja, einige Sachen kann ich wirklich nachvollziehen, aber vielleicht klärt sich ja das ein oder andere in den nächsten Kapiteln ;)
Es freut mich aber, dass es doch so gut ankommt :D


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