Gelbe Rose
Wenn ich jetzt erzähle, was ich tue, dann werdet ihr mich für verrückt halten. Aber was soll‘s. Ich beschatte Valentin. Ich habe einfach ein so merkwürdiges Gefühl in der Magengegend und ich will endlich erfahren, was er vor mir verheimlicht. Hat er eine Affäre? Hat er sich in jemanden verliebt? Will er sich von mir trennen? Mag er mich nicht mehr? Stopp. Hat er mich überhaupt je gemocht?
Ich folge ihm nun schon, seit er heute früh das Haus verlassen hat. Da ich bei ihm im Zimmer übernachtet habe, bin ich auch wach geworden und habe als Vorwand gesagt, dass ich einkaufen gehe. Stimmt natürlich nicht. Ich bin zwar erst in die entgegengesetzte Richtung gelaufen, dann jedoch stehen geblieben und ihm heimlich gefolgt. Ich bin wirklich ein schrecklicher Freund, oder? Aber was soll man gegen Gefühle der Eifersucht tun? Gegen Unsicherheit? Ok, ich könnte ihn direkt fragen. Aber wenn man ehrlich ist, niemand gibt einfach so eine Affäre oder ähnliches zu!
Und wenn wir schon mal dabei sind, Valentin ist nur für fünf Minuten in der Bibliothek verschwunden, in der er angeblich so viel lernt, ehe er wieder herauskam und weiterlief. Und inzwischen bin ich ihm sogar zwei Häuserblocks weiter gefolgt. Er hat sich in ein Café gesetzt und wartet dort. Ich sitze hinter einigen Büschen umgedreht auf einer Bank und beobachte ihn heimlich. Ich muss zugeben, dass ich mir selber ziemlich dumm vorkomme. Aber Liebe schützt vor Dummheit nicht, wie man so schön sagt.
Als ein Mädchen auf der Straße erscheint, in das Café schlendert und sich zu meinem Valentin an den Tisch setzt, zieht mein Herz sich schmerzhaft zusammen. Ist das nicht eigentlich schon Beweis genug für all meine Theorien? Dennoch kann ich meinen Blick nicht abwenden. Sie reden wirklich ausgelassen miteinander. Valentin redet. Innerhalb der ersten fünf Minuten haben sie gefühlt schon mehr Worte gewechselt, als Valentin und ich innerhalb der letzten zwei Monate. Vielleicht habe ich ihm wirklich zu wenig meiner Aufmerksamkeit geschenkt. Habe ihn nicht spüren lassen, wie sehr ich ihn liebe? Und nicht bedacht, dass auch andere Leute seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten. Ich habe einfach gedacht, dass es von vornherein klar war, dass Valentin und ich eine Beziehung führen und ihn niemand belästigen würde. Aber fühlt er sich überhaupt von dem Mädchen belästigt? So wie es aussieht, eher nicht.
Ich kralle mich in der Rückenlehne fest, über die ich mich für einen besseren Blick hinübergebeugt habe. Nach und nach bekomme ich das Gefühl, als müsste ich gleich kotzen. Je länger ich das Schauspiel dort betrachte, desto übler fühle ich mich.
Nach weiteren zehn Minuten wende ich mich ab. Mir kommt eine Idee. Ich greife nach meinem Handy und wähle Valentins Nummer. Es dauert ewig, bis das Freizeichen ertönt. Ich schiele erneut zu dem Café. Valentin sieht auf sein Handy und scheint wirklich zu überlegen, ob er rangehen soll. Dann nimmt er ab und ich höre seine Stimme. „Ja?“
Im ersten Moment bekomme ich keinen Ton heraus. „Hallo?“, fragt er erneut. „Ah äh, hi Val! Ich stehe gerade im Supermarkt und weiß nicht mehr, ob wir noch Waschmittel haben.“ Was für eine dumme Ausrede. „Keine Ahnung. Ich glaube schon.“ Ich atme einmal tief durch. „Kommst du gut mit lernen voran?“ Ich beobachte ihn, während er in das Handy spricht und staune nicht schlecht, wie gut er über eine gewisse Distanz hinweg lügen kann. „Ja, die Bibliothek ist heute angenehm leer. Ich bin aber etwas später zuhause, weil ich gestern nicht so viel geschafft habe. Muss noch ein paar Bücher durchforsten.“
Ich strenge mich sichtlich an, nicht auf ihn los zu schimpfen. „Ach so! Dann warte ich mit dem Essen auf dich. Und ähm… viel Erfolg noch!“ Mit diesen Worten lege ich auf. Wenn ich nicht aufpasse, dann kommen mir gleich die Tränen. Zum einen vor Trauer, aber vor allem auch vor Wut. Wieso belügt er mich einfach so? Und das dann auch noch vor dieser Tusse?! Vermutlich lachen sie sich jetzt ins Fäustchen darüber, wie naiv ich doch sei, dass ich auf so etwas hereinfallen würde!
Wütend stehe ich auf. Mehr will ich mir von diesem Spektakel wirklich nicht antun. Ich gehe den Weg zurück, den wir hierher gekommen sind und mache im Supermarkt einen Abstecher. Ich kaufe ein paar Zutaten ein, um später etwas zu Essen zu kochen und weil ich ein standfestes Alibi brauche. Und das hat man meistens nur, wenn es auch Beweise dafür gibt. Da mir bewusst ist, dass Valentin erst spät nach Hause kommen wird, lasse ich mir Zeit. Zuhause angekommen setze ich mich an meine Hausaufgaben, wobei ich nicht gerade meine Glanzleistungen zeige. Ich mache viele Fehler, verstehe nicht, was ich lese und die Worte verschwimmen vor meinen Augen, sodass sie in meinem Kopf keinen Sinn mehr ergeben. Scheiße!
Ich schlage das Buch zu und lasse den Stift fallen, ehe ich mich auf mein Bett werfe und meine Musik per Handy anmache. Dann starre ich gedankenverloren an die Decke. Valentin betrügt mich, nicht wahr? Und das so offenkundig auf der Straße. Ok, klar, niemand weiß von unserer Beziehung. Auch wenn es an der Uni wohl eher weniger Leute gibt, die sich so albern aufführen würden, dass sie uns beschimpften.
Nach gut einer Stunde des Trübsalblasens, erhebe ich mich wieder von meinem Bett und gehe mit meinem Handy in die Küche, damit die Musik mich weiter umspielt und ich nicht zu deutlich nachdenken kann. Normalerweise wäre Valentin jetzt so langsam zuhause, das heißt, nach seiner Schilderung, dürfte er in ein bis zwei Stunden da sein. Bis dahin bin ich dann auch mit dem Essen fertig.
Ich bereite alles vor und koche das Essen auf, wobei ich es noch eine halbe Stunde länger als nötig auf dem Herd lasse, damit es warm bleibt. Ich belege zwei Teller damit und stelle sie auf den Tisch. Weitere fünf Minuten später ist er immer noch nicht daheim. „Guten Appetit…“, murmele ich und beginne zu Essen. Als ich fertig bin, schiebe ich den Teller von mir und starre auf den leeren Platz. Ich stelle mir vor, wie Valentin dort sitzt und isst, wie er rot wird, wenn ich ihm ein Kompliment mache und dann immer schlecht gelaunt etwas vor sich hin murrt, sich innerlich aber sicher dennoch darüber freut. Vielleicht wird es nie wieder so sein.
Nach einer guten Stunde bin ich mal wieder am Küchentisch eingeschlafen. Als Valentin die Wohnung betritt, werde ich langsam wach und blinzele müde. Er schiebt das Essen gerade zurück in den Topf, um es noch einmal aufzuwärmen und dreht sich dann zu mir um. „Sorry, nächste Mal schreibe ich dir, wenn es noch länger dauert! Ich war so in meine Bücher vertieft, ich habe die Zeit gar nicht beachtet.“
Lügner.
„Hast du auch was für die Uni gemacht? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, unser Leben würde nur noch aus der Uni bestehen.“
Lügner!
„Bin vom Lernen jetzt aber ganz schön müde. Werde nach dem Essen also noch kurz ein Bad nehmen und dann schlafen, ok?“
LÜGNER!
Ich nicke. „Klar.“ Er fragt mich nicht einmal, wie mein Tag so war. Stattdessen beginnt er in Ruhe zu essen und setzt sich mir gegenüber. „Ähm… Teo… also…“ Warum stottert er jetzt so herum?! Wenn er mir schamlos ins Gesicht lügen kann, kann er auch bei anderen Angelegenheiten direkt mit der Sprache herausrücken. „W-Wenn du willst, dann kannst du… mit mir…“ Mit ihm was?! Worauf will er hinaus? Valentin winkt ab. „Schon gut!“ Er ist rot geworden und winkt ab, ehe er schweigend den Teller leer ist. Warum ist er rot? Worüber hat er nachgedacht? Wie man am besten Schluss macht?! Ist seine Affäre ihm vielleicht peinlich? „Was wolltest du sagen?“, frage ich ausnahmsweise Mal mit fester Stimme nach. Valentin sieht mich ertappt an. „Ähm…“ Er soll endlich mit der Sprache herausrücken!
„Ich wollte nur fragen, ob du… mit mir… baden…“ Er wird zum Ende hin immer leiser, aber ich verstehe, was er fragen will. Ich werde ein wenig rot und sehe ihn ungläubig an. Wieso will er mit mir zusammen baden? Ich habe das Gefühl, dass er jedes Mal, wenn er mit dieser Tusse zusammen war, aufgrund seines schlechten Gewissens meine Nähe sucht. Und zum einen finde ich es schön, mit ihm zusammen zu sein, aber zum anderen fühle ich mich heftig benutzt. „Gerne“, erwidere ich dennoch und sehe ihm dabei zu, wie er den Teller in die Spüle stellt. Eine schlechte Angewohnheit von ihm, weil ich das Geschirr dann beinahe immer alleine abwasche. Aber eigentlich stört es mich gar nicht. Dieses Gefühl kommt nur daher, dass ich sauer auf ihn bin.
„Na dann…“ Valentin verlässt die Küche und geht voraus ins Bad, wo er kurz die Wanne säubert, ehe er das Wasser einlaufen lässt und Schaum dazu tut. Zögerlich bleibt er vor der Wanne stehen, während ich mich bis auf die Haut entkleide. „Was ist? Willst du mit Klamotten baden gehen?“, fahre ich ihn pampig an, dabei will ich mich doch unter Kontrolle halten! Er schüttelt nur mit dem Kopf und beginnt, sich sein Shirt auszuziehen. Ich steige schon mal in das warme Wasser und drehe den Hahn zu, als die Wanne vollgelaufen ist. Ich spüre, dass Valentin sich zu schämen scheint. Jedenfalls ist es ihm unangenehm, sich vor mir auszuziehen. Wieso? Wir hatten schon öfter als einmal Sex, ich kenne also seinen Körper in- und auswendig. Er braucht sich vor mir nicht zu zieren! Dennoch sage ich nichts.
Nach kurzer Zeit steigt Valentin zu mir und setzt sich mir mit dem Gesicht gegenüber. Jedoch meidet er meinen Blick und spielt lieber mit dem Schaum herum. „Geht’s dir gut?“, frage ich nach. Valentin blickt überrascht auf. „Ja, wieso?“ Seine Nase ist ein wenig rot. „Weil du mit mir zusammen baden wolltest. Kann ja sein, dass du fiebrig bist und nicht weißt, was du tust.“ Das war gemein, oder? Ich meinte es nicht so böse, wie es klang. „N-Nein, alles gut“, murmelt Valentin bedrückt zurück. Was hat er von mir erwartet?! Denkt er, ich wäre so naiv? Dass mit einem gemeinsamen Bad alles wieder gut wird? Valentin bewegt sich langsam auf mich zu, was das Wasser gefährlich nach oben zum Badewannenrand schwappen lässt. Was soll das werden, wenn es fertig ist?
Ich sehe ihm direkt in die Augen.
Er sieht in meine.
Und plötzlich spüre ich seine Lippen für eine kurze Sekunde auf meinen, ehe er sich sofort zurückzieht und so tut, als wäre nichts gewesen. Verwirrt stehe ich auf und verlasse die Wanne. „Sorry, mir ist eben eingefallen, dass ich noch was erledigen muss.“ Ich schnappe das Handtuch und meine Sachen und haue schleunigst ab in mein Zimmer, wo ich mich abtrockne und anziehe. Dann verlasse ich auf leisen Sohlen verwirrt unsere Wohnung.
Valentin liebt übrigens Sonnenaufgänge.
Aber wenn die Sonne untergeht, kann er schnell melancholisch werden.
Meine Liste wird länger.