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Chrysalis

von

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„Wusstest du, dass Oikawa-Kun verliebt ist?“

 

Koushi schmunzelte, als Yudas erste Reaktion so große Verblüffung war, dass ihm fast die Essstäbchen aus der Hand fielen. Erst im letzten Moment bekam er sie wieder gepackt, bevor sie auf den Tisch in der Unimensa klirren konnten.

„Er hat es zugegeben?!“

Jetzt war es an Koushi, verblüfft zu sein. Das war nicht die Reaktion, mit der er gerechnet hatte! Er lachte auf, schüttelte amüsiert den Kopf. Eigentlich aber machte es Sinn. Natürlich war das schon Thema gewesen. Yuda war viel zu aufdringlich, als dass er es nicht bemerkt hätte.

„Gewissermaßen. Er hat es nicht direkt zugegeben, aber sein Verhalten spricht Bände. Ich glaube, er würde Kuroo-Kun gern umbringen dafür, dass er den Gedanken in den Raum geworfen hat.“

Yuda lachte herzlich auf.

„Unfassbar! Das muss ich den anderen erzählen! Motomu hat die Wette verloren!“

 

Obwohl es noch gar nicht so lange her war, dass Koushi sich das erste Mal mit dem Wirrwarr von Yudas Freundeskreis hatte auseinandersetzen müssen, hatte er dank der Redseligkeit des anderen Studenten längst einen ausgesprochen guten Überblick darüber, wer von ihnen wer war. Es war liebenswert, die Selbstverständlichkeit, mit der jede von Yudas Geschichten mit seinen Freunden begann und wieder aufhörte, und Koushi hörte es sich unglaublich gerne an.

Entsprechend war er auch furchtbar neugierig, was es mit der Wette auf sich hatte. Er lehnte sich mit blitzenden Augen zu Yuda vor.

„Wette?“

Yuda lachte sanft. Er blinzelte gegen die sentimentale Feuchtigkeit in seinen Augen an.

„Takahiro und Issei. Wie immer. Sie haben schon im zweiten Schuljahr gewettet, ob Tooru und Hajime Interesse aneinander haben oder nicht. Motomu war der Einzige, der vehement dafür gestimmt hat, dass da nie und nimmer etwas läuft! Sollte Tooru mal so weit kommen, ihm seine Liebe zu gestehen, hat Heisuke gewonnen. Wir waren uns eigentlich alle einig darin, dass Tooru zu stolz dafür ist.“

 

„Worum habt ihr gewettet?“

Koushi konnte sich die Frage nicht verkneifen – sie gehörte inzwischen einfach dazu. Er kannte die Antwort schon, bevor Yudas Gesicht zu einem schelmischen Grinsen verzog.

Nichts.“

Es war immer nichts, egal, wie oft er Geschichten über die Wettaktionen der Jungs hörte. Warum sie da überhaupt wetteten, war ihm immer noch schleierhaft. Yuda hatte versucht, es ihm zu erklären, irgendetwas von Stolz und Ehre, und irgendwie war es auch einfach nur ein Insider, der dazugehörte, aber Koushi verstand es immer noch nicht.

Es war okay. Umgekehrt war es auch schwer, Yuda zu erklären, was die Besonderheit an seiner Freundschaft zu Daichi und Asahi war. Da, wo Koushi die Wetten nicht verstand, verstand Yuda einfach nicht, wieso sie Asahi ständig so sehr foppten und es sogar irgendwie positiv war.

 

So liebenswert und lustig die kleine Anekdote auch war, Koushis Miene wurde recht bald wieder ernst und er seufzte leise, unzufrieden. Er hätte gern lieber weiter über Oikawas Beziehungsleben gewitzelt, aber das war einerseits nicht der Grund gewesen, weshalb er Yuda davon erzählen wollte, statt wieder zu ihrem Ursprungsthema Trainingscamp zurückzukehren, und andererseits war es auch definitiv nicht in Ordnung, über etwas zu lachen, das gerade nur aus Problemen bestand. Er verzog unwillig das Gesicht, schob das Tablett mit dem Mensaessen von sich, das heute auch irgendwie nicht besonders gut war, und verschränkte die Arme auf dem Tisch. Irgendwo in der Nähe kratzte ein Stuhl über den Boden.

„Also was das angeht… Ich glaube, Oikawa-Kun ist ein ziemlicher Dummkopf.“

Yudas Grinsen, teils liebevoll, teils resigniert, ein bisschen schelmisch, sagte ganz klar und deutlich und das ist dir jetzt erst aufgefallen? Koushi hob die Schultern, zog die Nase unzufrieden kraus. Es reichte, damit Yudas Grinsen verblasste und von Sorge ersetzt wurde. Er packte seine Bentobox sorgfältig zurück in seine Tasche, imitierte dann Koushis Position und legte ebenfalls Arme und Kopf auf den Tisch.

„Was hat Tooru jetzt wieder Dummes gemacht?“

Er zog die Augenbrauen zusammen, nachdenklich.

„Wo du es erwähnst… es ist echt seltsam, dass er nach dem Trainingscamp nicht geschrieben hat, um zu prahlen, wie toll er doch ist.“ – „Iwaizumi war nicht da.“

„Oh.“

Yuda blinzelte. Blinzelte noch einmal. Hob die Augenbrauen, während bei ihm langsam Erkenntnis dämmerte. Dann stöhnte er und vergrub das Gesicht in den Armen, zusammen mit dem gedämpften Ausruf „Sag, dass das nicht wahr ist!“

Es war faszinierend für Koushi. Er hatte von Oikawa zu Schulzeiten nie allzu viel positives mitbekommen, und jetzt so hautnah zu erleben, dass der Kerl nicht nur Freunde hatte, sondern Freunde, die ihn und seine Macken viel zu gut kannten, war etwas, das er sich nie so recht hätte vorstellen können.

Es war schön. Jeder Mensch hatte Freunde verdient, auch solche anstrengenden Persönlichkeiten wie Seijohs ehemaliger Captain.

 

„Sie haben gestritten“, begann er mit einem müden Seufzen. „Also, zumindest würde ich es so nennen.“

Vermutlich war Oikawa-Kun war ein Trampel eher eine Beschreibung des Geschehen, aber nun gut. Während Koushi erzählte, was er im Zuge des Flaschendrehens mitbekommen hatte, verzog sich Yudas Gesicht zu immer unglücklicheren Grimassen. Als sein kleiner Bericht schließlich endete – er gab sich alle Mühe dabei, möglichst viel von Oikawas Verhalten wiederzugeben –, sah Yuda aus, als wäre er hin– und hergerissen zwischen Empörung und Ärger, und dem Drang, zu helfen.

„Tooru ist ein Idiot!“, schnaufte er schließlich, raufte sich in einer geradezu komisch verzweifelten Geste das Haar. „Ich fass es einfach nicht! Wie kann ein Mensch, der so intelligent ist, so unglaublich blöd sein?!“

Yuda zeterte minutenlang. Koushi konnte nicht anders, als zu grinsen, während er seinem neuesten Freund dabei zusah, wie er sich so sehr in Rage redete, dass sein ganzes Gesicht rot anlief. Ob er nicht heimlich ein Foto machen und es Oikawa schicken sollte? Aber wahrscheinlich würde der Kerl sich gerade nicht darüber freuen, dass seine Freunde sich offenkundig um ihn sorgten.

Er verlor den Gedanken, als Yuda mitten im Zetern aufhörte, vermutlich, weil er endlich bemerkt hatte, dass Koushi grinste. Er sah ihn empört an, sah dadurch nur noch lustiger aus, und Koushi erstickte ein leises Lachen in seiner Handfläche.

„Koushi!!! Das ist nicht lustig!“

Es war lustig, da konnte Yuda sagen, was er wollte.

Und so schlimm konnte es gar nicht sein – kaum, dass Koushi sein Gelächter einfach herausließ, fiel Yuda selbst mit ein.

 

Erst Minuten später verklang das Lachen wieder, wich einem behaglichen Schweigen. Yuda seufzte leise.

„Weißt du, eigentlich ist das ja ne Sache, in die wir uns nicht einmischen sollten. Aber andererseits, Tooru kriegt das niemals alleine hin. Hajime auch nicht. Meinst du, sie bringen mich um?“ – „Nein.“

Koushi lachte legte Yuda eine Hand auf die Schulter.

„Also, vielleicht doch, aber im Nachhinein sind sie dankbar genug, dass sie dich auch wiederbeleben!“ – „Sehr beruhigend!“

 

Dass Koushi eigentlich noch etwas anderes hatte erzählen wollen, fiel ihm erst wieder ein, als Yuda sich zu seiner nächsten Vorlesung verabschiedete:

 

„Ach übrigens: Wir sehen uns heute Nachmittag beim Training.“

 

 
 

***

 

 

Kaneo stolperte über seine eigenen Füße, als er versuchte, noch im Laufen die Straßenschuhe gegen Hausschuhe einzutauschen. Statt den Pantoffel anzuziehen, kickte er ihn durch den gesamten Flur. Er fluchte, kam schlitternd zum Stehen. Pfefferte die Tasche mit den Unisachen in die nächste Ecke, ehe er den Pantoffel einsammelte und anzog, und dann endlich in das kombinierte Wohn– und Schlafzimmer seiner winzigen Studentenbude stapfte.

Viel langsamer, als er es gewesen wäre, wenn er einfach ganz normal angekommen wäre, aber er hatte sich ja beeilen wollen! Er seufzte empört, ließ sich auf den durchgesessenen Sessel fallen, den er seinen Eltern beim Auszug gemopst hatte und zog sein Handy hervor. Ausgerechnet an Tagen wie diesen musste alles unfassbar lange dauern! Erst die Uni, dann der Volleyballclub, und dann hatte er die U-Bahn verpasst, die er eigentlich sonst immer bekam.

Aber jetzt.

Entschlossen wählte er Toorus Nummer, drückte das Handy an sein Ohr. Es klingelte. Einmal. Zweimal. Hatte Tooru gerade überhaupt Zeit? War er selbst noch in der Uni? Oder beim Volleyball? Kaneo kannte seinen Stundenplan doch nicht! Hajime kannte ihn mit Sicherheit, aber Kaneo wollte den armen Kerl nicht unbedingt anrufen, um über Tooru zu plaudern. Nicht in dieser Situation zumindest.

„Yudacchi?“

Kaneo schreckte mit einem Japsen aus seinen Gedanken. Tooru klang wie immer – eine Mischung aus erfreuter Überraschung und Skepsis in der Stimme, die so selbstverständlich leicht und fröhlich klang. Normalerweise hätte er sich nichts dabei gedacht. Es war immerhin Tooru. Tooru klang eben die meiste Zeit so. Dieses Mal aber war ihm viel zu deutlich bewusst, dass die Heiterkeit nur aufgesetzt war, und das machte ihn unglaublich wütend. Es war eine Sache, dass Tooru nicht gern über seine Probleme sprach, und grundlegend konnte Kaneo das respektieren. Aber es war überhaupt nicht okay, wenn er so tat, als wäre alles super, während er gleichzeitig mit seinem lebenslangen besten Freund stritt!

„DU BIST EIN IDIOT, TOORU!!!“, brüllte er ins Handy, ohne darüber nachzudenken, was er tat. Seine eigene Lautstärke erschreckte Kaneo, und im nächsten Moment war er so überfordert, dass er gar nicht wusste, was er eigentlich noch sagen sollte.

 

Er legte auf, noch ehe Tooru hätte reagieren können.

 

Mit hämmerndem Herzen starrte Kaneo auf sein Handy. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Eine tropfte auf das Display, das den gerade beendeten Anruf noch anzeigte.

„Idiot“, murmelte er noch einmal, zog die Nase hoch, presste die Lippen zusammen. Vielleicht hätte er doch Hajime anrufen sollen. Aber was sollte Hajime denn tun, wenn Tooru sich wie ein Idiot verhielt? Auch wenn er im Grunde auch ein Idiot war! Er kannte Tooru doch gut genug, um zu wissen, dass der Kerl einfach zu stur war, um den ersten Schritt zu machen. Er war also genauso Schuld, weil er sich genauso wie ein Idiot benahm!

Ein bisschen zumindest. Kaneo konnte sich nicht vorstellen, wie verletzt Hajime sein musste. Er hatte keinen Freund wie Tooru, der ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte. Gerade in diesem Moment beneidete er Hajime allerdings auch nicht darum. Bebend stieß er die Luft aus, wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen. Schniefte noch ein letztes Mal, um dann erneut Toorus Nummer zu wählen.

Diesmal dauerte es kein ganzes Klingeln, bis Tooru dranging.

„Yudacchi, wenn du–“ – „Du bist ein Idiot“, wiederholte Kaneo noch einmal, Tooru einfach ins Wort fallend. Er schnaubte, spürte, wie Empörung ihm erneut Tränen in die Augen trieb.

„Wieso machst du sowas?!“

„Wovon redest du?“

Tooru klang nicht mehr fröhlich und heiter. Er klang vielmehr so angepisst, dass Kaneo unwillkürlich zusammenzuckte und schuldbewusst blinzelte. Er wollte nicht streiten. Er wollte aber auch nicht kommentarlos zusehen, wie zwei seiner besten Freunde sich einfach nur idiotisch verhielten und ihre Freundschaft kaputtmachten.

„Du weißt, wovon ich rede. Hajime.“

Stille. Kaneo verbuchte es im ersten Atemzug als positiv, denn ein stiller Tooru war in der Regel ein Tooru, der an seinen Gedanken knabberte. Er würde nicht daran knabbern, wenn es ihm nicht nahe ging, nicht wahr? Also gab es Chancen, dass er sich doch noch wieder einbekam!

 

Leider hatte Tooru andere Pläne, als Kaneo sein Herz auszuschütten. Seine Stimme klang gefährlich, kalkulierend kalt, als er wieder sprach:

„Woher weißt du davon?“

Es war nicht, als würde Tooru das nicht auch alleine herausfinden. Zu lügen half also überhaupt nicht, verschweigen auch nicht. Tooru kannte seine Kontakte; er wusste, dass er seit kurzem mit Koushi bekannt war. Weil es also gar keinen Sinn machte, es zu verbergen, antwortete Kaneo ehrlich. Als Reaktion bekam er ein unzufriedenes Schnauben und ein Grummeln seitens Tooru, dass er Koushi einfach noch nie gemocht hatte.

Das war nicht, worüber Kaneo hatte reden wollen.

„Tooru“, begann er noch einmal, ein wenig vorsichtiger, aber drängend.

„Es ist nicht meine Schuld. Er lässt mich ständig hängen!“

Das war unmöglich.

Kaneo konnte und wollte das nicht glauben. Aber Toorus unglücklicher Wortschwall war eindeutig – Hajime hatte ihn schon mehrfach versetzt, und da war das Trainingscamp nur noch der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. In die empörte, beleidigte Erzählung mischte sich etwas, das Kaneo irgendwie erst bemerkte, als Tooru es ihm beinahe ins Gesicht warf: Angst. Angst davor, diese lebenslange Freundschaft zu verlieren. Sich auseinander zu leben. In fünf Jahren nur noch ein paar Fremder zu sein.

„Tooru…“ – „Sag nicht, du heulst.“

Kaneo lachte kläglich. Selbst seine Stimme klang tränennass. Dass Tooru ähnlich elend klang, machte gar nichts besser. Hätte er die Möglichkeit dazu, er würde sofort bei ihm vorbeifahren–

Warum eigentlich nicht.

Kaneo blinzelte die Tränen weg, sprang vom Sofa auf.

„Tooru! Wir machen morgen blau! Ich komm zu dir!“

„Was?“

„Du hast  mich schon verstanden! Ich bin fast auf dem Weg. Holst du  mich vom Bahnhof ab?“ – „Yudacchi, du kannst nicht–“

 

„Doch. Ich kann und ich werde!“

 

 
 

***

 

 

Das Café war klein und unauffällig. Kenjirou blieb kaum durch die Tür getreten stehen; sie fiel unter Glöckchenbimmeln hinter ihm wieder ins Schloss. Ein Blick aufs Handy zeigte, dass er fünf Minuten zu früh war und damit völlig im Rahmen einer höflichen Ankunftszeit.

Zu einem Treffen, dessen Nutzen er von vorn bis hinten nicht sah.

Er schüttelte den Kopf, schob das Handy in die Jackentasche und sah sich um. Seinen Gesprächspartner entdeckte er an einem Tisch in der hintersten Ecke des kleinen Ladenraums. Aoba Jousais Captain sah auf, als Kenjirou herantrat, hob nichtssagend zum Gruß die Hand. Er hatte bereits ein großes Glas mit Eistee vor sich stehen, in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit schwammen grobe Eiswürfel.

„Du bist gekommen.“ – „Offensichtlich.“

Yahabas Mundwinkel zuckten kurz, während er zusah, wie Kenjirou sich ihm gegenüber niederließ.

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass du kommst.“ – „Ich habe nicht damit gerechnet, dass Kanoo dein Botenvogel ist.“

Sein Gegenüber zuckte unbekümmert die Schultern und erklärte nüchtern, dass er doch irgendwie an Kenjirou herankommen musste, wo er seine eigene Handynummer nicht hatte. An und für sich war es auch gar nicht dumm gewesen, einfach jemanden zu suchen, der die Handynummer von irgendjemandem aus Shiratorizawas Team hatte, um dann entsprechenden Kontakt zur Nachrichtenübermittlung auszunutzen. Trotzdem hatte Kenjirou ganz schön dumm aus der Wäsche geschaut, als Kanoo ihm am Morgen lachend sein Handy unter die Nase gehalten hatte.

Es musste ja auch noch extra kurzfristig sein.

 

Eine Kellnerin, die herantrat, um seine Bestellung aufzunehmen, riss ihn aus der Erinnerung. Ohne die Karte auch nur angesehen zu haben bestellte er einen einfachen Cappuccino. Die Bedienung entfernte sich mit trippelnden Schritten wieder.

„Also, was willst du, Yahaba?“

„Die Prügelei.“

Yahaba seufzte, verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah nicht wirklich begeistert aus; ein bisschen so, als hätte er sich die Mühe, herzukommen, lieber auch gespart.

„Als Captain ist es meine Pflicht, mich darum zu kümmern, dass dieser Idiot Kogami bestraft wird. Nachdem du im gleichen Boot sitzt, dachte ich mir – wieso überlegen wir uns nicht gemeinsam etwas?“

Er hob die Augenbrauen, abwartend, auffordernd. Kenjirou sah ihn einen langen Moment nur irritiert an. Das war es? Ernsthaft? Wegen dem lächerlichen Kindergartenkrieg von Sakase und Fukumine saß er nun hier? Ehe er eine passende Antwort darauf gefunden hätte, hatte die Kellnerin seinen Cappuccino gebracht und das Gespräch damit kurzzeitig unterbrochen.

 

„Ich hoffe, du hast mich nicht ganz ohne Plan hierher zitiert.“

Yahaba trank in aller Seelenruhe von seinem Eistee. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er das Glas schließlich wieder auf den Tisch stellte.

„Sie können alle ein bisschen Nachhilfe in Teamwork und Respekt gebrauchen, oder? Eine gemeinsame Trainingssession könnte helfen.“

Kenjirou schüttelte den Kopf. Gegen seinen Willen musste er lachen.

„Da reicht keine Trainingssession, da brauchst du ein ganzes Camp.“

Sakase und Fukumine waren anstrengend, schon jeder für sich. Gemeinsam waren sie beinahe unerträglich, und Kenjirou erinnerte sich leider noch zu gut daran, wie extrem rauflustig die beiden in Gegenwart von Seijohs Störenfried geworden waren. Wenn Yahaba wirklich glaubte, diese drei könnten lernen, in einem Raum zu sein, ohne sich beim ersten Blinzeln zu provozieren, dann war er schief gewickelt. Zumindest in einer so kurzen Zeitspanne.

Gerade sah der andere Captain aus, als würde er intensiv über etwas nachdenken. Er rührte mit seinem Strohhalm in seinem Eistee herum, als gäbe es gerade nichts interessanteres, beobachtete die Bewegung der Flüssigkeit und Eiswürfel.

„Weißt du“, sagte er schließlich nach einer ganzen Weile, „Die Idee ist gar nicht einmal so verkehrt. Und es ist definitiv eine Strafe.“

An sich war Kenjirou nicht abgeneigt, Yahaba einfach zuzustimmen. Sakase und Fukumine für ein Wochenende loszuwerden, ihnen dabei auch noch einen Dämpfer verpassen zu können, und mit ein bisschen Glück zogen sie auch noch so etwas wie eine Lehre aus der Sache – es klang attraktiv. Und wo er so darüber nachdachte, er brauchte ohnehin auch noch eine Strafe für Ninouchi und seine Arroganz. Passte das denn nicht perfekt?

Die Sache hatte nur einen Haken.

„Sie brauchen eine Aufsichtsperson.“

Yahaba blinzelte, als habe er darüber noch gar nicht nachgedacht. (Hatte er vermutlich auch nicht.) Nach einem Moment zuckte er unbekümmert die Schultern, sah Kenjirou an mit einem Blick, der klar ausdrückte, dass das doch ihr kleinstes Problem war. Seine Lippen verzogen sich kaum, aber das kaum merkliche Grinsen ließ ihn auf eine Art bedrohlich erscheinen, die Kenjirou beinahe sympathisch war.

 

„Ich weiß genau den Richtigen dafür.“

 

 
 

***

 

 

Yudacchi hatte nicht gelogen. Nicht, dass Tooru ihm wirklich zutraute, lügen zu können, aber er traute ihm zu, eine Impulsentscheidung am Ende doch zu revidieren, wenn ihm bewusst wurde, wie dumm sie war. Er revidierte sie nicht. Nicht einmal zweieinhalb Stunden nach ihrem Telefonat stolperte Yudacchi aus dem Zug, einen alten, verbeulten Rucksack auf dem Rücken.

Er sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, als Tooru ihn am Bahngleis in Empfang nahm.

Er heulte nicht, sehr zu Toorus Erleichterung. Stattdessen plapperte er, kaum, dass sie losgingen, um den Weg zu Toorus Bude zurückzulegen. Er plapperte, weil er die Stille nicht mochte, und, wie Tooru vermutete, krampfhaft das Thema vermied, wegen dem er überhaupt hergekommen war. Suga war dem Volleyballclub beigetreten, erzählte er. Er sei ein guter Zuspieler, aber natürlich kam er nicht an Toorus Genialität heran. Das Team hatte ihn auf Anhieb ins Herz geschlossen, und auch wenn er erst mit erheblicher Verspätung dazugestoßen war, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er einen Platz in der Startaufstellung bekam. Insgesamt war das Team okay, sagte Yudacchi. Sie hatten einige echt gute Spieler, auch wenn Yudacchi vor der Uni noch keinen von ihnen persönlich gekannt hatte. Tooru verzog jedes Mal angewidert das Gesicht, wenn Sugas Name fiel – er mochte den Kerl wirklich nicht. Das gemeinsame Trainingscamp hatte da auch nur wenig geholfen. Er war einfach zu aufdringlich, zu gut darin, andere Menschen zu beobachten und zu durchschauen, und viel zu nett – der Typ Mensch, der es schaffte, einem noch ein schlechtes Gewissen zu machen damit, dass man sie nicht mochte.

„Wir werden trotzdem gegen euch verkacken“, gab Yudacchi freimütig lachend zu, als er genug von den Menschen erzählt hatte, mit denen er inzwischen den Großteil seiner Zeit verbrachte.

„Aber apropos – du erzählst immer nur so wenig von deinem Team! Wie läuft es? Habt ihr euch langsam eingespielt?“

 

Tooru verzog unwillig das Gesicht. Statt zu antworten, stieß er Yudacchi in die Rippen, weil der die grüne Ampel vor seiner Nase gar nicht bemerkte. So sehr er es zu schätzen wusste, nicht über Iwa-Chan zu sprechen, so wenig wollte er über sein Volleyballteam sprechen. Ushiwaka war kein besseres Thema. Nicht wirklich zumindest.

Andererseits war der Kerl wenigstens zum Trainingscamp gekommen, obwohl er keinerlei Verpflichtung dazu gehabt hätte.

„Es geht“, kommentierte er schließlich missmutig, blies schmollend die Wangen auf.

„Die meisten von uns sind gut. Ushiwaka ist natürlich überragend. Erinnerst du dich an Tendou? Er geht auch auf unsere Uni, aber er hat mit dem Volleyball aufgehört. Kann nicht sagen, dass ich es bereue.“

Tooru hatte den Kerl noch nie gemocht, und das nicht nur, weil er ihnen auf dem Feld immer das Leben zur Hölle gemacht hatte. Er war einfach ein unsympathischer Charakter! So einen Kerl konnte man nicht mögen, wenn man nicht ein völliger emotionaler Baumstamm war. So wie Ushiwaka.

„Der alte Zuspieler mag mich nicht besonders. Ist beleidigt, weil ich ihm seinen Platz weggeschnappt habe. Aber ehrlich, er ist selbst schuld! Hätte er härter trainiert, dann hätte er sich nicht ersetzen lassen müssen!“ – „Oh Tooru! Es kann nicht jeder so talentiert sein wie du!“

„Du weißt genau, dass das kein Talent ist, Yudacchi.“

 

Talent war, was Tobio hatte. Dieser absolute, selbstverständliche Instinkt, mit dem er genau wusste, was er zu tun hatte. Er hatte es selbst gerade erst wieder live gesehen. Tobio war überragend auf eine Art, die fast schon angsteinflößend war. Er war überragend, und er war besser geworden als bei ihrem letzten Zusammenstoß – und trotzdem war er immer noch Tobio, immer noch voller Fehler, immer noch weit davon entfernt, als Zuspieler wirklich sein volles Potential und das Potential seines Teams ausschöpfen zu können.

Alles, was Tooru hatte, waren harte Arbeit und Fleiß, und er wusste, dass irgendwann der Punkt kommen würde, an dem er an seine Grenzen stieß mit harter Arbeit und Fleiß. Er war noch lange nicht bereit, diese Grenze anzunehmen. Er hatte noch Zeit. Konnte besser werden. Würde besser werden. Es war nicht zu spät, um es Tobio ein für alle Mal zu beweisen. Um Ushiwaka fertig zu machen, wie auch immer, jetzt, wo sie die gleiche Universität besuchten.

Auf der gleichen Seite des Netzes standen.

Er hasste es.

„Aber natürlich steht außer Frage, dass wir gewinnen werden.“ – „Es kann in Miyagi gerade gar kein Team geben, das euch schlagen könnte, Tooru. Du und Ushiwaka? Ihr müsst unschlagbar sein!“

Was Tooru daran störte, war die Tatsache, dass es stimmte. Sie waren unschlagbar. Ushiwaka war ein Monster, und Tooru war immer noch dabei zu lernen, das Beste aus ihm herauszuholen. Er war schon unmenschlich stark, aber da ging noch mehr. Niemand konnte sie schlagen, egal, wie viel mehr Erfahrung er haben mochte. Ushiwaka konnte locker mit internationaler Konkurrenz mithalten. Es hatte Gründe, weshalb er Teil des japanischen Nationalteams war.

Würde es nicht so sehr gegen seinen eigenen Sportlerstolz gehen, er würde Ushiwaka boykottieren. Je mehr er mit ihm trainierte, je mehr sie sich gegenseitig vorantrieben, desto kleiner wurde die Chance, dass Tooru jemals gegen ihn ankommen würde.

Mit welchem Team denn auch?

 

„Tooru! Schau nicht so!“ – „Hah? Yudacchi~ ich glaube, du brauchst ne Brille!“

Tooru lachte fröhlich. Yudacchi sah nicht aus, als würde er ihm irgendetwas glauben. Er hob die Augenbrauen, verschränkte die Arme vor der Brust. Mit einem Seufzen stieß Tooru die Luft aus, ließ das Lächeln in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus in einem Windzug.

„Nenn das Kind beim Namen. Es ist bescheuert, drumherum zu tanzen.“

Tooru wollte nicht reden. Aber gerade stand Iwa-Chan zwischen ihnen und der Aussicht auf einen entspannten Besuch. Wenn sie das Thema beendeten, konnte Tooru es wieder von sich schieben.

„Du musst mit ihm reden, Tooru.“

„Er kann sich melden, wenn er etwas will“, gab Tooru patzig zurück. Er rümpfte die Nase und echote Yudacchis verschränkte Arme.

„Du weißt genauso gut wie ich, dass er darin noch schlechter ist als du.“

„Es ist nicht mein Problem. Soll er es lernen! Er hat mich oft genug versetzt, Yudacchi!“

„Tooru! Willst du denn wirklich ewig mit ihm streiten, weil du zu stolz bist, den ersten Schritt zu machen?“

„Wir streiten nicht. Er ignoriert mich!“

„…er tut es zu recht, oder? Du wärest auch stinkwütend, hätte er dir an den Kopf geknallt, dass er dich nicht braucht.“

 

Objektiv wusste Tooru es. Er kannte Iwa-Chan schließlich. Er wusste auch, dass er diese Worte gezielt gesprochen hatte, um Iwa-Chan zu verletzen, weil sie effektiv waren und genau dort trafen, wo es wehtat. Im Nachhinein tat es ihm Leid.

„Ich hab’s versucht“, gestand er, zögerlich.

„Aber ich kann es nicht! Jedes Mal, wenn ich es versuche, erinnere ich mich wieder daran, wie oft er mich versetzt hat! Er versucht es doch nicht einmal mehr! Shibata und Sendai sind keine Welten voneinander entfernt, Yudacchi!“

Das Gesicht des Anderen verzog sich zu einer mitleidigen Grimasse. Tooru freute sich über seinen Besuch. Wirklich. Aber im gleichen Atemzug erinnerte es ihn nur daran, wie wenig Distanz im Grunde zwischen ihnen lag. Zweieinhalb Stunden. Wäre es Iwa-Chan wirklich so wichtig, er wäre vorbeigekommen, nicht wahr?

 

Wäre es Tooru so wichtig, er könnte zu ihm fahren. Die kleine Stimme in seinem Kopf hörte nicht auf, dieses Argument vorzubringen. Aber was sollte Tooru denn tun? Was sollte er vor Iwa-Chans Tür?

„Tut mir leid, ich hab keine Zeit für dich.“

Für ihn stand fest, dass es so und nicht anders ablaufen würde. Gäbe es eine andere Alternative, dann wäre Iwa-Chan schon längst bei ihm gewesen. Tooru war offensichtlich nicht mehr wichtig genug. Warum sollte Iwa-Chan sich also Zeit für ihn nehmen, wenn er vor seiner Tür stand?

„Geh zurück zu Ushiwaka.“

Ein bisschen hätte er sogar recht damit, solche Dinge zu sagen.

Tooru schüttelte vehement den Kopf, fuhr sich mit einer Hand müde über das Gesicht.

„Yudacchi. Können wir bitte einfach für die nächsten zwei Tage so tun, als gäbe es Iwa-Chan gar nicht?“

Zwei Tage ohne Iwa-Chan. Ohne Gedanken, ohne Ärger. Solange Tooru zurückdenken konnte, hatte er noch nie einen Tag ganz ohne Iwa-Chan verbracht, weil er spätestens in seinen Gedanken immer präsent gewesen war. Könnte er das überhaupt? Nicht an ihn denken? Mit genug Ablenkung bestimmt.

„Tooru, du weißt selbst, dass das dumm ist.“

Tooru zuckte mit den Schultern. Aus Reflex heraus schlich sich Trotz auf sein Gesicht, seine Wangen blähten sich. Es war so viel leichter, als zuzugeben, wie verdammt müde und erschöpft er sich fühlte. Er hatte gar nicht gut geschlafen mit all dem Streit im Hinterkopf. Mit Kurocchis Worten.

„Ja. Aber ich brauch das.“

„Tooru!“

Widerrede zwecklos. Entschieden schüttelte er den Kopf.

„Ich will nichts von Iwa-Chan hören, solange du hier bist!“

Minutenlang sah Yudacchi aus, als suche er noch nach Argumenten, mit denen er Tooru umstimmen konnte, aber dann ließ er resigniert die Arme sinken und lenkte ein. Kein Iwa-Chan. Einfach nur ein Abend voller schlechter Sci-Fi-Filme – die Tooru so oft mit Iwa-Chan gesehen hatte, dass er trotzdem an ihn denken würde – und ein Tag, den sie mit Shopping oder irgendeiner anderen wenig anspruchsvollen Tätigkeit verbringen konnten, statt zur Uni zu gehen, wie es sich für gute Studenten gehörte.

Du bist verknallt.

Tooru schnaubte unzufrieden. Er zog ein Päckchen Taschentücher aus der Hosentasche und zog vorsorglich schon einmal eines heraus, um es Yudacchi zu reichen – er wusste genau, die alte Heulboje würde es gleich brauchen.

 

„Yudacchi. Verliebt sein ist scheiße!“

 

 
 

***

 

 

„Ihr habt Schuleigentum entwendet.“

 

Shima lachte herzlich. Er sah überhaupt nicht reumütig aus, während er den Coach ansah, grinsende Unschuld auf dem Gesicht. Yamiji hatte streng die Arme vor der Brust verschränkt, seine Augenbrauen senkten sich unzufrieden.

„Das hat der Captain auch gesagt“, erklärte der Junge glucksend. Yamijis Blick glitt kurz zu Keiji hinüber, doch er sagte nichts. Die Botschaft war trotzdem klar – Keiji war das Ausmaß der Dummheit bewusst gewesen, und er hatte sie trotzdem nicht verhindert. Natürlich war er nicht begeistert darüber. Es war genau, wie Keiji es vorhergeahnt hatte. Natürlich fiel das Fehlen der Volleybälle auf, und natürlich wurde es Thema. Dass sie sich nur vor ihrem Coach verantworten mussten, und nicht vor dem Direktor, war ein unglaubliches Glück. Ein Zusammenstoß mit dem Rektor hätte alles von Nachsitzen bis Clubverbot heißen können.

„Coach, seien Sie nicht so streng! Es war für einen guten Zweck!“

Nishiame strahlte ihn an, ein bisschen kleinlaut, aber völlig überzeugt von seiner Ansicht. Yamiji seufzte nur und schüttelte den Kopf.

„Natürlich habt ihr es gut gemeint, aber das ändert nichts daran, dass ihr Schuleigentum entwendet habt. Habt ihr darüber nachgedacht, wie ihr das ersetzen wollt?“

 

Natürlich nicht. Ratlose Blicke wurden gewechselt, dann begann das Getuschel. Keiji musste nicht hinhören, um zu wissen, was hinter vorgehaltenen Händen geflüstert wurde. Wie viel kostete eigentlich so ein Volleyball? Wie sollten sie sieben davon finanzieren? Hatte irgendjemand hier denn größere Ersparnisse, die er opfern konnte? Oder wie wäre es mit einem Nebenjob – der übrigens laut Schulordnung nicht gestattet war.

Yamiji beobachtete schweigend, wie das Team sich in Diskussionen verlor. Keiji tat es ihm gleich und beobachtete nur, ohne sich einzumischen. Er wusste, wie viel ein Volleyball kostete, wenn auch nur, weil er sich aus aktuellem Anlass erst darüber informiert hatte; aus dem Stegreif hätte er es nicht gewusst. Billig war etwas anderes, und bedenkend, dass sie alle wohl besseres mit ihren Finanzen zu tun hatten, als einen Stapel Volleybälle zu kaufen, könnte es schwierig werden, Ersatz zu besorgen.

Nach ein paar Minuten verstummte das unruhige Gespräch wieder. Es war Marei, der einen unauffälligen Schritt vortrat und sich dem möglichen Zorn des Coachs stellte.

„Werden wir die Bälle beim Training wirklich vermissen?“

„Nein.“

Marei nickte langsam, als hätte er genau die Antwort erwartet. Er sah kurz zu Keiji hinüber, hob fragend eine Augenbraue. Keiji wusste nicht, was in Mareis Kopf vor sich ging; er wusste es selten. Allerdings kannte er den Anderen gut genug, um zu wissen, dass er vernünftig war und keinen Blödsinn vorschlagen würde. Er mochte Bokutos Platz auf dem Spielfeld eingenommen haben, aber er war eindeutig meilenweit von dessen exzentrischer Persönlichkeit entfernt. Völlig ruhig wandte er sich mit stummer Einverständnis von Keiji wieder dem Coach zu.

„Dann ist es kein Problem. Wenn wir bis zum Schuljahresende eine Clubkasse einführen, in die regelmäßig jeder einzahlt, können wir die Bälle dann immer noch kaufen.“

So würde das nächstjährige Team nicht womöglich mit den fehlenden Bällen belastet, sie hatten keine drastischen Ausgaben, und wenn es für sie selbst im Grunde ohnehin keinen Unterschied machte, mussten sie auch nicht versuchen, sich zu beeilen.

„Marin! Du bist großartig!“

 

„Es ist in der Tat eine gute Idee“, räumte Yamiji ein. Er sah zufriedener aus als noch vor einigen Minuten, doch die Strenge war noch nicht aus seinem Gesicht gewichen.

„Allerdings habt ihr trotzdem eine Strafe für euer Handeln verdient. Ich hoffe, das ist euch bewusst.“

Einige Gesichter verzogen sich zu unzufriedenen Grimassen. Shima beteuerte wieder, dass sie es nur gut gemeint hatten. Er argumentierte, dass sie keine Strafe dafür verdient hatten, dass sie ein paar ehemalige High-School-Schüler sehr glücklich gemacht hatten. Nishiame schlug sich schnell auf seine Seite.

„Bokuto-San war total begeistert“, erzählte Onaga mit einem Grinsen. Er hob die Schultern, machte eine vage Geste, „Ist das nicht das Wichtigste?“

Yamiji schüttelte den Kopf. Er erhob sich von seinem Platz auf der Bank, immer noch geschmeidig für sein Alter. Er legte Onaga und Shima beiden eine Hand auf die Schulter; er kam gerade hoch genug, um sie zu erreichen.

„Teamgeist und Respekt sind wichtige Stützpfeiler des Mannschaftssports, das habt ihr gut erkannt.“

Die beiden tauschten ein Grinsen aus, hoffnungsvoll, erleichtert. Keiji war sich nicht sicher, ob die Gefahr damit wirklich gebannt war. Ein Blick zu Marei hinüber zeigte ein unauffälliges Kopfschütteln. Da kam trotzdem noch eine Strafe.

„Aber“, fuhr Yamiji fort. Onagas Grinsen fiel in sich zusammen und wich einer verhaltenen Vorsicht, während Shima immer noch optimistisch seines Schicksals harrte.

„Vernunft und Verantwortungsbewusstsein sind genauso wichtig. Und die habt ihr eindeutig aus den Augen gelassen bei euren Plänen. Ich kann euch das auch nicht beibringen. Ich kann euch natürlich bestrafen, euch Aufsätze schreiben lassen oder euch Einschränkungen auferlegen, die euch davon abhalten, unüberlegt zu handeln. Aber davon habe ich nichts, und davon habt ihr nichts. Was ich euch aber mit auf den Weg geben kann, sind Grundlagen, um ein noch besseres Team und noch stärker zu werden.“

Er nahm die Hände von den Schultern seiner Schüler, verschränkte sie stattdessen hinter dem Rücken. Er sah ernst in die Runde aus ratlosen, vorsichtig abwartenden Gesichtern. Niemand wagte es, ihn zu unterbrechen.

„Eure Strafe ist ein erhöhtes Trainingspensum.“

 

Keiji erkannte, dass es, bei allem Nutzen, tatsächlich eine Strafe war. Das Training war ohnehin hart. Noch mehr hinzuzufügen würde auf Dauer unglaublich anstrengend werden, und erschöpfend, aber es war auch eine Chance. Ungläubige Stille breitete sich im Raum aus.

„Im Ernst?“, fragte Shima fassungslos. Yamiji bejahte. Er musste noch zwei weitere Male bejahen, bis seine Botschaft wirklich überall angekommen war, dann brach Shima in fröhliches Jubeln aus, in das Nishiame schnell einstimmte. Onaga grinste hilflos. Er sah nicht ganz so glücklich aus. Keiji sah, wie Minamishima leidend das Gesicht verzog. Er kannte Yamiji gut genug, um zu wissen, was auf sie zukam.

 

Und bei allem Jubeln und Jammern um ihn herum musste Keiji kaum merklich grinsen, als er daran dachte, wie neidisch Bokuto auf ihre Strafe sein würde.

 

 
 

***

 

 

Kyoutanis Blick brannte in Shigerus Rücken. Er war sich sicher, wäre das möglich, dann hätten die vernichtenden Blicke seines Vize-Captains ihn längst erdolcht. Ausnahmsweise konnte er es sogar verstehen. Natürlich war Kyoutani nicht begeistert über die Enthüllung, die er ihm zu Beginn des Trainings gemacht hatte.

Wer babysittete schon gerne einen Haufen streitlustiger Dummköpfe, von denen obendrein der größte Teil zu einem fremden Team gehörte? Niemand. Kyoutani, der sowieso kein Gruppenmensch war, noch am Allerwenigsten. Trotzdem war das Gespräch überraschend gut verlaufen. Shigeru hatte erwartet, er würde stundenlang auf Kyoutani einreden müssen, und am Ende würden sie einander doch wieder tatsächlich an die Gurgel gehen, aber so weit war es nicht gekommen.

„Du spinnst“, hatte Kyoutani verkündet, als Shigeru ihm den Plan unterbreitet hatte.

Dass das Argument Iwaizumi-San hätte es getan so sehr zog, dass Kyoutani zähneknirschend einrenkte, hätte Shigeru nicht erwartet.

Er war sicher nicht undankbar darum! Alles in allem war er sogar recht zufrieden, solange er das feindselige Starren ignorieren konnte, das ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Er fürchtete, dass Kyoutani eine Retourkutsche plante, mit der er nicht glücklich werden würde. Aber das war wohl eine Sache, um die er sich erst dann kümmern konnte, wenn es soweit war.

Gerade hatte er ohnehin anderes zu tun.

 

„Kogami!“, rief er, kaum, dass er entsprechenden Kerl in die Sporthalle kommen sah. Mit einem trägen Grinsen joggte er zu ihm hinüber.

„Shigeru-San.“

Er hatte eine Schramme an der Wange, die von der Prügelei am Wochenende herrührte. Am Unterarm war ein blauer Fleck, der sich sichtbar von der gebräunten Haut abhob, und am linken Handgelenk sah man noch Spuren von einer Hand, die es viel zu fest gepackt hatte. Spuren, die er komplett verdient hatte, wie Shigeru fand. Er hätte sich ja nicht prügeln müssen.

„Du erinnerst dich daran, dass ich dir gesagt habe, du kriegst noch Ärger für den Mist?“

Er deutete vage auf die Prügelspuren auf Kogamis Arm. Er folgte Shigerus Blick, betrachtete unnötig lange die Flecken, ehe er den Blick wieder hob. Sein Grinsen hatte nicht einmal einen Augenblick geflackert.

„Ich erinnere mich.“

„Deine Strafe. Du wirst mit den Sträflingen aus Shiratorizawa zusammen ein Wochenende beim Volleyballtraining verbringen.“

 

Shigeru war kein Oikawa. Er war nicht gut darin, in seinen Mitmenschen zu lesen, und die meiste Zeit war er dazu auch zu faul und zu desinteressiert. Seit Kyoutani und er die Verantwortung über das Team hatten, hatte Shigeru seine Haltung zumindest in Maßen überdacht, und besonders, was seinen Partner anbelangte, hatte er ein relativ gutes Gespür für seine Launen und Macken entwickelt, aber insgesamt war er immer noch niemand, der allzu gut darin war, sein Gegenüber vorherzusagen.

Dass Kogami nur noch breiter grinste, seine Augen zu leuchten begannen vor Freude, kam allerdings überhaupt nicht unerwartet.

„Wirklich?“, säuselte er sardonisch, „Ich darf ein ganzes Wochenende mit diesen reizenden Jungs verbringen?“

Shigeru sah vor sich, wie dieses Wochenende enden würde, wenn niemand die Meute in Schach hielt. Er sah Prügeleien und schmutzige Witze, die sich die Klinke in die Hand gaben, und noch bevor der Sonntag vorbei war, hätte irgendjemand die Hosen runtergelassen. So wie letztes Jahr, als Kogami das gesamte Team Seijoh dazu aufgestachelt hatte, sich zu einem Schwanzvergleich im Clubraum zusammenzufinden, um den sich schlussendlich kaum jemand gedrückt hatte – außer Kusachi, natürlich. Sehr zu seiner eigenen Schmach musste Shigeru eingestehen, dass er sich ebenfalls hatte provozieren lassen.

Einmal und nie wieder.

„Korrekt. Ein Wochenende mit allen, die Shiratorizawas Captain bestrafen will. Und mit Kyoutani.“

 

Kogamis Blick entgleiste vollkommen. Der Seifenblasentraum seines wunderbaren Wochenendes zerplatzte grausam direkt vor seinen Augen, und Shigeru fand überhaupt keinen Funken Mitleid in seinem Inneren. Eigentlich war es eher sogar angenehm befriedigend.

„Das ist nicht dein Ernst. Nichts gegen Ken-San, aber–“

In Kyoutanis Gegenwart konnte man keinen Spaß haben. Shigeru wusste das selbst zur Genüge. Er wusste auch, dass Kogami es bisher nicht gewagt hatte, den grimmigen Kerl allzu sehr zu provozieren. Niemand wagte es. Niemand kam wirklich mit ihm aus, niemand hatte ihn unter Kontrolle. Kogami würde es gar nicht wagen, sich allzu idiotisch zu verhalten, wenn er die Strafe eines tollwütigen Hundes fürchten musste.

Shigeru klopfte ihm auf die Schulter. Kyoutanis Blicke brannten immer noch in seinem Rücken, aber gerade konnte er sie relativ gut ignorieren. Bald hatte Kyoutani andere Opfer, um sie in Grund und Boden zu starren.

 

„Ich wünsche dir viel Spaß, Kogami.“



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