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This Great And Little Gift

[NaLu | Lucy vs. Jude]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Sooo...
Eigentlich wollte ich die Story erst komplett beenden, ehe ich etwas davon hochlade, aber ich wollte das erste Kapitel auch unbedingt heute hochladen... Anyway, geschrieben ist fast alles, ich bin grad nur noch am Editieren, darum ist es jetzt noch nicht so schlimm, dass ich da noch ein wenig zu tun habe. Spätestens nächstes Wochenende ist sie komplett unter Dach und Fach.

Die Story wird so 15+ Kapitel haben, je nachdem, wie viele Szenen noch dazukommen und wie ich die Kapitel einteile. Es werden aber weniger als 2o, also gut überschaubar. :) Ich werd die Kapitel hier zwischen 3.ooo und 5.ooo Worten halten, also nicht ganz so lang, wie ich das so gewöhnt bin.
Sideships sind Silver/Ur sowie 2x Gray/OFC (nacheinander. Die armen Mädels haben übrigens nicht mal einen Nachnamen bekommen, so wichtig sind sie - sprich: gar nicht; aber ich will halt vorwarnen), und das war's, wenn ich mich recht entsinne. Allerdings geht es vorrangig um Lucy, ihre Beziehungen (v.a. zu Jude und Natsu) sowie ihr Umfeld.
Außerdem ist es ein Prequel zu einer größeren Fic + der Auftakt von einer kleinen OS-Reihe, darum taucht auch nur eine begrenzte und ausgewählte Gruppe von FT-Charakteren auf.
Das ist ein Modern Times!AU, also keine Magie, keine Drachen und/oder Exceed, das sind alles Menschen, etc. Spielt aber dennoch in dem imaginären Land Fiore. ^^"

Ansonsten fällt mir jetzt grad nichts weiter ein, aber wenn ihr Fragen habt, könnt ihr sie natürlich immer stellen.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Wie versprochen, Kapitel 2. Das ist eigentlich fast komplett beim Editieren entstanden, hätte nie gedacht, dass das so lang wird... ^^"

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Es ist Sonntag und es gibt ein neues Kapitel. Früher als sonst, aber egal. Vielleicht freut sich ja jemand darüber! :)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi alle zusammen und ich bringe ein neues Kapitel mit. :) Ich hoffe, das letzte hat gefallen. Aber steigen wir direkt ein.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Guess what! :D Ich hab heute Geburtstag. XD

Dafür kommt das lang erwartete Kapitel... Sie spricht endlich mit Natsu! :D

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Aw, man, sorry, dass das so spät kommt. :/ Aber irgendwie hab ich's gestern nicht mehr so richtig fertig gekriegt, weil ich am Freitag und Samstag irgendwie mehr zu tun hatte, als gedacht. Naja, Hauptsache es kommt! :) Dafür ist es auch ziemlich lang, eigentlich über 1.ooo Worte zu lang. :/ Aber ich lass es jetzt so, weil ich die letzte Szene unbedingt in diesem Kapitel haben will.

Als Warnung, es gibt eine kurze Erwähnung von Kindesmisshandlung.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Überraschung! :D
Ein kleines Zusatzkapitel.

Eigentlich wollte ich das schon im Laufe der Woche fertig machen und nicht erst heute, aber Natsu ist ziemlich widerspenstig und für mich ziemlich schwer zu schreiben. :( Naja... Ich denke, ich hab's ganz gut hingekriegt. Ist auch nur eine kleine Szene.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Ups, schon wieder so spät. XD" Dafür gab's ja erst das Zusatzkapitel, ist also zu verschmerzen, denke ich... ^^"

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Vorwort zu diesem Kapitel:
So, bevor ich jetzt weggehe, noch schnell das Kapitel. :)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich glaube, so spät war ich noch nie. >.< Aber das Kapitel wollte einfach nicht, was vielleicht auch daran liegt, dass ich es beinahe komplett hinzufügen musste. Das tut mir echt leid. Aber wenigstens ist noch Sonntag. ^^"
Außerdem weiß ich nicht genau, ob ich alles so rübergebracht habe, wie ich das eigentlich wollte. :/ Ich hoffe, dass es trotzdem lesbar ist. ^^"

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Endlich ist es fertig! Ich habe schon ewig an diesem Special gekaut und heute hab ich mich endlich hingesetzt und es beendet. Ich hoffe, es ist trotz allem gut geworden. :)

Es spielt während der Woche, in der Lucy in Crocus ist.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Whoops, ich hab ja schon fast nicht mehr geglaubt, dass ich das Kapitel heute noch fertig kriege. Ich hab da ewig dran rumgemacht. Aber irgendwann flutschte es dann einfach. Auf die Ur-Szene hab ich mich eh schon lange gefreut. ^^ (Aber irgendwie wird das grad nix aus meinen schönen, kurzen 4.ooo-Wort-Kapiteln. ???? *headdesk*)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
(Ups, irgendwas ist mit dem Upload schief gegangen und der letzte Part ist nicht dabei gewesen.)


Ich weiß auch nicht, momentan will das mit dem Schreiben einfach nicht so richtig. Aber hey, ich hab es noch rechtzeitig hingekriegt, irgendwie zumindest. Ich hoffe nur, es ist gut geworden, weil dieses Kapitel äußerst wichtig ist, wie man dem Titel bereits entnehmen kann. Und hey, Loke darf endlich mal wieder auftauchen. XD"

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Da schau guck, ich bin heute ausnahmsweise mal wieder früher dran. XD"
Ursprünglich hatte das Kapitel übrigens 3 Szene, aber eine musste ich verschieben, weil beim Editieren irgendwie so viel dazu gekommen ist.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Und wieder so früh. :D (Okay, ein wenig später ist es und so, but whatever... sonderlich viele Leute können es eh nicht sein, die das mitten in der Nacht lesen.)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Nur was kurzes für Zwischendurch. Spielt kurz vor Lucys Geburtstag.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
So, eine kurze Pause hab ich für dieses Kapitel eingelegt bei einem anderen Projekt (ein etwas längerer NaLu-OS), das ich so schnell wie möglich abschließen will.

Überseht das 2. Special nicht, wenn ihr es nicht schon gesehen habt! :)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Sorry, irgendwie bin ich gestern nicht mit dem Editieren fertig geworden. Ich hoffe, ich habe euch nicht zu lange auf die Folger gespannt. Aber hier ist es... Die große Konfrontation.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Irgendwie wurde ich gestern von etwas anderem abgelenkt, darum kommt das Kapitel leider erst jetzt... Aber das ist noch ganz im Rahmen, finde ich, ich war schon mal später. :) Also~
Dafür ist es auch sehr lang!

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Okay, jetzt noch gaaaanz schnell, ehe ich gleich losflitzen muss. Schöner erster Advent, btw. :)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel, vor allem die 1. Szene, hat mir ein paar Schwierigkeiten bereitet. Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob das nicht zu schnell verlief, aber eigentlich wollte ich das Thema nie so breit treten. Außerdem nähern wir uns langsam dem Ende der Story.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass die Kapitel momentan immer so spät kommen, aber zum normalen Weihnachtsstress kommen bei mir noch ein paar andere Sachen dazu. :( Das nimmt mir viel Zeit weg.

Meine Güte, sind die Kapitel gerade kitschig. XD" Ich bin allerdings froh, dass Natsu keinerlei Probleme damit hat, seine Gefühle offen auf der Zunge zu tragen.

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Und hier ist es... Das vorletzte Kapitel! *~* Endlich ist es fertig.
Ich musste mal wieder eine Szene einfügen, die ich ziemlich wichtig finde und auch recht schwer zu schreiben war, weil sie so emotional ist. Ich hoffe, sie ist mir gelungen. :)

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Vorwort zu diesem Kapitel:
MERRY CHRISTMAS!!!! :D
Das Kapitel kommt schon einen Tag früher, weil ich morgen vermutlich keine Zeit dazu habe. Ich hoffe, ihr habt schöne Weihnachten.

Ich setz die FF jetzt mal auf abgeschlossen, auch wenn ich noch die Idee für das eine oder andere Special habe. Aber das kann ich ja auch noch später hinzufügen.
Daran anknüpfend - bitte lest das Nachwort, y/y? :)

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1. Kapitel, in dem Lucy Hausarrest bekommt

Lucy fühlte sich warm und geborgen. Etwas Schweres lag um ihre Hüfte und sie konnte Natsus Atem fühlen, der regelmäßig über ihr Ohr strich. Mit einem wohligen Seufzen kuschelte sie sich tiefer unter die Decke und genoss das Gefühl von seiner nackten Haut an ihrer, die Geborgenheit und Sicherheit, die sie an ihn geschmiegt fühlte. Er hatte einen Arm um sie gelegt und-
 

Moment, nackte Haut?!
 

Ruckartig setzte sie sich auf und war mit einem Mal hellwach. Die Decke rutschte ihr zu den Hüften hinunter und ihr Bettnachbar gab ein unwilliges Grunzen von sich, als sein Arm abrupt bewegt wurde, doch er wachte nicht auf. Sein markantes Gesicht war halb in das Kissen gepresst, dessen Falten einen Abdruck auf seiner Wange hinterlassen hatten, und rosafarbenes Haar stand in alle Richtungen ab, als hätte er in eine Steckdose gefasst.
 

Mit einem Blick erkannte sie, dass sie sich nicht in ihrem eigenen Zimmer befand, sondern in Natsus – diese Unordnung war unverkennbar. Außerdem hatte sie keine Poster von klassischen Rockbands an den Wänden und ihre Fenster hatten Vorhänge. Nebenbei bemerkt war ihr Schlafzimmer auch weitaus größer und hatte weder einen Schreibtisch noch einen Kleiderschrank.
 

Als sie jetzt an sich heruntersah, stellte sie zwei Dinge fest: Erstens war sie tatsächlich nackt (ihre Kleidung trug noch mehr zu dem Chaos auf dem alten Holzboden bei, wenn auch nur sehr wenig) und sie hatte einen gigantischen Knutschfleck auf dem Ansatz ihrer linken Brust. Außerdem fühlte sie sich so entspannt und ausgeruht wie schon lange nicht mehr, trotz des leichten, unangenehmen Ziehens in ihrem Unterleib. Sie fühlte sich einfach … gut.
 

Ein Blick auf Natsu zeigte, dass er ebenfalls keine Kleidung trug – soweit sie das sehen konnte, denn die Decke lag über seine Taille hochgezogen – und seine Haare sahen noch weit wirrer aus als gewohnt. Für einen Moment blieb ihr Blick an seiner muskulösen Brust hängen, auf der sie letzte Nacht Küsse verteilt hatte und … oh Gott!
 

Sie fühlte, wie sie flammend rot wurde und schlug ihre Hände vors Gesicht. Es war nicht so, als ob sie sich nicht erinnern würde an letzte Nacht. An die heißen Küsse und die sanften und zugleich fordernden Berührungen, an den Geruch von Schweiß und Sex, die Geräusche von nackter Haut auf nackter Haut, das Stöhnen und Seufzen, den Anblick seines liebevollen Lächelns und seiner strahlenden Augen über ihr und die zärtlich geflüsterten Ich liebe dichs.
 

Das war nur der erste Moment nach dem Aufwachen gewesen, in der Zeit zwischen Traum und Wirklichkeit, doch jetzt war die Verwirrung weg. Tatsächlich erinnerte sie sich noch sehr gut – die Party, die sie für Grays achtzehnten Geburtstag geschmissen hatten, die alkoholhaltige Erdbeerbowle, an der sie nicht hatte vorbeigehen können… Sie war nicht betrunken gewesen. Nur ein wenig beschwipst.
 

Es hatte wohl gereicht, ihre Hemmschwelle tief genug zu senken.
 

Natsu, auch nicht mehr ganz nüchtern, war sicher nicht der Typ, der noch mehr Spaß Einheit gebot. Lucy wusste, dass er mehr Erfahrung gehabt hatte als sie (wenn auch nicht viel) und sich darauf gefreut hatte, aber er hatte sie auch nie gedrängt. Er wusste, dass sie ihre Zeit brauchte, sich an den Gedanken gewöhnen musste und wollte, dass es etwas bedeutete, etwas Wichtiges und Bedeutungsvolles war. Oder besser, dass sie es auf diese Weise gewollt hatte.
 

Sie seufzte. So hatte sie sich ihr erstes Mal echt nicht vorgestellt. Es hatte kein romantisches Dinner gegeben und keine Rosenblätter, auf die er sie hätte betten können, keine feinfühligen Worte, wie die Helden in ihren Liebesromanen sie ihrer Liebsten stets ins Ohr säuselten, und auch kein Kerzenlicht. Er hatte nicht einmal sein Zimmer aufgeräumt.
 

„Man, Natsu!“ Sie schlug ihm auf den Oberarm.
 

Er fuhr blinzelnd auf. „Wa…?“, machte er schlaftrunken und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Irgendwie war er doch ziemlich niedlich, wie er sie verwirrt anstarrte.
 

„Lucy?“ Seine Augen wurden groß. „Was machst du in meinem Bett? Und warum bist du nackt?“ Sein Blick wanderte sehr offensichtlich an ihr hinab, über ihren Oberkörper hinunter in ihren Schoß, der von der Decke nur notdürftig bedeckt wurde, und dann wieder hoch, wo er wie hypnotisiert an ihren Brüsten hängen blieb.
 

Sie wurde rot und raffte hastig die Decke nach oben, um sich zumindest halbwegs zu bedecken, ehe sie denn Sinn seiner Worte richtig realisierte. Wenn er gestern zu betrunken gewesen war, um sich jetzt noch daran zu erinnern, würde sie ihn umbringen. „Denk mal scharf nach!“
 

Für einen Moment starrte er sie verständnislos an. Dann breitete sich ein langsames Lächeln über sein Gesicht aus. „Oh.“, sagte er und setzte sich auf. Das Grinsen schien beinahe sein Gesicht sprengen zu wollen. Seine Augen funkelten begeistert. „Oh! Wir sollten das wiederholen!“
 

Statt einer Antwort knallte Lucy ihm ihr Kissen ins Gesicht. Sie hatte hier eine existenzielle Krise (okay, so tief war sie nun auch wieder nicht, aber trotzdem!) und er dachte nur an das Eine. Männer! Oder nein, das wäre unfair. Natsu! Das war so typisch er. Warum hatte sie sich nicht in jemanden verlieben können, der feinfühliger, romantischer und sentimentaler war?
 

Nein, sie hatte sich stattdessen in diesen groben Klotz verliebt, den man mit dem Kopf auf offensichtliche Gefühle stoßen musste und der einen romantischen Augenblick nicht erkannte, wenn er von ihm in den Hintern gebissen wurde. Stattdessen war er unglaublich loyal, stets optimistisch, vertraute absolut auf sich und jene, die ihm etwas bedeuteten, freundlich, wo er nur konnte, und immer gut drauf. Dazu gingen ihm seine Freunde und Familie über alles, er schaffte es irgendwie, dass fast alle Leute ihn mochten, und war unerschütterlich wie ein Fels. Und nebenbei auch noch überaus gutaussehend. Oh ja, erinnerte sie sich, darum.
 

Verdutzt nahm er das störende Kissen aus dem Gesicht. „Lucy? Was ist? Hat es dir nicht gefallen?“ Plötzlich wurde er blass. „Habe ich… Waren wir… War das etwa nicht okay für dich?!“ Seine Stimme klang so entsetzt. Allein der Gedanke daran, dass er sie auf irgendeine Weise … überredet oder gedrängt hatte, schien ihn so zu verstören, dass er aussah, als müsste er sich gleich übergeben.
 

„Doch!“, rief sie hastig, keine Sekunde sollte er denken, dass er sie zu irgendetwas gezwungen hatte. Denn das hatte er nicht. Der Alkohol hatte zwar nachgeholfen und alles leichter gemacht, doch Lucy war definitiv eine willige Teilnehmerin gewesen und wenn ihre Erinnerung sie nicht täuschte, sogar Initiatorin.
 

Aber vielleicht kam die Antwort zu schnell, denn er blickt immer noch zweifelnd drein. Also schenkte sie ihm ihr sanftestes Lächeln und nahm seine Hand. „Doch.“, wiederholte sie, fester diesmal und ruhig. „War es.“ Sie beugte sich vor und küsste ihn so sanft sie konnte auf den Mundwinkel.
 

Er blickte sie einen Moment mit gerunzelter Stirn an, dann glättete sich sein Gesicht wieder und ein strahlendes Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus. Sie konnte nicht anders, sie musste ihn einfach noch einmal küssen, diesmal aber richtig. „Ich … hab mir das nur etwas … romantischer vorgestellt.“, gab sie dann zu, nachdem sie sich nach einem seligen Moment wieder voneinander gelöst hatten.
 

Verlegen kratzte Natsu sich am Hinterkopf, dann rutschte er näher zu ihr und zog sie in die Arme. Er legte das Kinn auf ihrer Schulter ab und warf ihr einen treuherzigen Blick aus großen Hundeaugen zu, über den sie lachen musste. „Das tut mir leid. Ich weiß, ich bin nicht der größte Held was Romantik angeht und ich kann‘s jetzt eh nicht mehr rückgängig machen. Aber mir fällt schon was ein, wie ich es wieder gut machen kann.“
 

Er klang dabei ziemlich zweifelnd – ein großer Romantiker war er wirklich noch nie gewesen, aber Lucy hatte ja gewusst, auf was sie sich einließ, als sie einwilligte, mit ihm auszugehen – aber deswegen nicht weniger entschlossen. Er versuchte auch gleich, das zu beweisen, indem er aufrichtig erklärte: „Ich liebe dich. Okay?“
 

Das brachte sie erneut zum Lachen. „Ich liebe dich auch. Und das sollten wir definitiv wiederholen. Aber nicht jetzt.“, hielt sie ihm Einhalt, als sich erneut ein strahlendes Grinsen über sein Gesicht ausbreitete und er sich vorbeugte, um sie zu küssen. „Können wir im Moment nicht einfach nur … kuscheln?“
 

Er fiel auf eine so übertriebene Art enttäuscht in sich zusammen, dass sie schon wieder lachen musste. Aber seine kräftigen Arme schlangen sich um ihre Mitte und zogen sie zu sich heran, so dass sie sich bequem an ihn schmiegen konnte. Die Knie über sein rechtes Bein geworfen, die Arme um seinen Oberkörper geschlungen, so dass ihr Kopf direkt unter seinem Kinn lag und seine Hände locker auf ihrer von der Decke bedeckten Hüfte, kuschelte sie sich an ihn.
 

Das war sehr komfortabel und das warme, geborgene Gefühl, mit dem sie vorhin aufgewacht war, kehrte zurück. Sie seufzte wohlig; hier war es einfach schön, umgeben von seiner Wärme, seinem Geruch, seinen starken Armen. Wenn sie hier Stunden oder Wochen oder die Ewigkeit verbringen müsste, sie würde sich nicht beklagen.
 

Doch dann kam ihr noch ein Gedanke und ihr wurde eiskalt. „Sag mal…“, begann sie und blickte ihn von unten her an. „Haben wir eigentlich ein Kondom benutzt?“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

„Wo warst du heute Nacht?“
 

Die unerbittliche Stimme ihres Vaters ließ Lucy noch im Schritt innehalten. Sie hatte gehofft, dass er nicht da wäre, wenn sie zurückkam, aber das Schicksal schien gegen sie zu sein. Dabei hatte sie extra den Bus genommen, der sie zu einer Zeit ankommen ließ, in der er höchstwahrscheinlich nicht zuhause sein würde, sondern schon in der Firma, so wie meistens, obwohl heute Sonntag war.
 

Aber genau dann, wenn er es sein sollte, war er es einmal nicht, das war ja mal wieder typisch für sie und ihr Glück.
 

Dass sie zwischendurch Natsu ein bisschen Gesellschaft in der Werkstatt hatte leisten müssen, war ein geringer Preis gewesen. Falls man das überhaupt so nennen konnte. Denn es war sicher keine lästige Pflicht, mit ihm herumzuknutschen oder zu flirten. Auch wenn Natsus Vater sie mehrmals unterbrochen und ihr stets das Blut in die Wangen getrieben hatte, um seinen Sohn gefühlte tausend Mal daran erinnert hatte, dass es für das Auto einen Termin gab, die Arbeit sich auf diese Art nicht erledigte und Natsu den Wagen unbedingt alleine fertig machen wollte. (Was auch der Grund war, warum ihr Freund ebenfalls an einem Sonntag arbeitete, aber was das betraf, hatte er einigen Ehrgeiz.)
 

Doch nie hatte Igneel Dragneel dabei den freundlichen oder scherzenden Tonfall verloren, ganz anders als Jude Heartphilia. Der Unterschied zwischen ihren Vätern erstaunte Lucy manchmal so sehr, dass es ihr nicht in den Kopf wollte. Wo Igneel aufgeschlossen, humorvoll und einnehmend war und sich nur äußerst selten aus der Ruhe bringen ließ, war Jude streng, unnahbar und sehr beherrscht und zeigte nur selten Gefühle, auch wenn er nur das Beste für seine Tochter wollte und versuchte, es ihr recht zu machen. Aber manchmal wollte sie ihm einfach nur aus dem Weg gehen und ihm auf keinen Fall unter die Augen treten.
 

So wie jetzt auch. Aber nein, ihr Erzeuger war entgegen aller Erwartungen in seiner weitläufigen, fürstlichen Villa, als sie nach Hause kam, und die Worte trafen sie völlig unvorbereitet. Dabei hatte sie so gehofft, dass er sie übersehen würde. Oder dass er vielleicht gar nicht bemerkt hatte, dass sie in der letzten Nacht nicht nach Hause gekommen war.
 

Er war eh immer unterwegs und interessierte sich nicht dafür, was sie tat. Solange sie nichts anstellte, was den guten Namen der Familie beschmutzen konnte. Aber nein, das war auch unfair – er hatte eben viel zu tun, eine Firma wie der Heartphilia Konzern leitete sich nicht von allein und er arbeitete hart daran, dass das Unternehmen lief und es den Angestellten gut ging.
 

Sie drehte sich um, um ihn anzusehen, wie er in der Tür seines Arbeitszimmers stand. Ihr Vater war ein großer Mann mit sauber geschnittenem, blondem Haar und einem ebenso anständigen Schnauzer. Seine dunklen Augen waren hart und kalt wie Steine und sein missbilligender Gesichtsausdruck sprach Bände.
 

„Bei Erza?“, versuchte sie sich herauszureden. Die Aussage klang eher wie eine Frage, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie log. Lucy verfluchte sich – sie war noch nie sehr gut darin gewesen, die Unwahrheit zu sagen.
 

Jude überkreuzte die Arme vor der Brust. „Das klingt nach einer Frage. Willst du von mir wissen, ob es in Ordnung ist, wenn du die Nacht bei Erza verbringst?“, antwortete er kühl und auch wenn es wie eine Frage formuliert war, so war es doch keine. „Aber du warst nicht bei ihr.“
 

Fieberhaft suchte Lucy nach einem Ausweg. „Gray hatte gestern Geburtstag.“, lenkte sie ab. Das kam wesentlich überzeugender, was auch daran lag, dass es der Wahrheit entsprach. „Das habe ich dir doch erzählt. Wir waren alle bei ihm.“
 

Vielleicht war das ein Fehler gewesen. Jude konnte mit Gray nicht viel anfangen, aber dessen Stiefmutter hasste er. Ur hatte ihn schon mehr als einmal kritisiert, was sein Verhalten anging, insbesondere gegenüber Lucy, und sie nahm selten ein Blatt vor den Mund. Jude dagegen ließ sich weder gerne kritisieren noch mochte er es, wenn sich jemand in seine Angelegenheiten einmischte. Und seine Tochter war eindeutig seine Angelegenheit.
 

Sein Gesicht verfinsterte sich, aber seine Stimme war noch immer beherrscht. „Und dann bist du über Nacht bei Gray geblieben?“
 

Natürlich wusste er, dass dem nicht so war. Vermutlich hatte er bereits bei den Fullbusters angerufen und nachgefragt, wo seine Tochter wohl steckte, immerhin hatte sie ihm von der Party berichtet. Aber sie konnte ihm auch nicht von Natsu erzählen, ansonsten würde er komplett ausflippen. „Nein…“, antwortete Lucy leise und senkte den Kopf. Der ausgesuchte Teppich war heute auch wieder interessant… Sie konnte den tadelnden Blick ihres Vaters spüren, der schwer und abfällig auf ihr lastete.
 

„Warst du wieder bei diesem Jungen mit den pinken Haaren? Diesem … Automechaniker?“ Die Art, wie er das letzte Wort aussprach, zeigte deutlich, was genau Jude über diesen Berufsstand dachte. Es war auch kein Geheimnis, dass er rein gar nichts von Natsu hielt. Er hatte es von Anfang an klargemacht und seitdem gingen die beiden sich aus dem Weg, etwas, das Lucy sehr zu schaffen machte.
 

„Er heißt Natsu!“, protestierte Lucy heftig, die Hände zu Fäusten geballt. „Und er ist mein Freund!“
 

Jude verzog abfällig das Gesicht. „Er hat dir nichts zu bieten, Lucy. Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass du ihn fallen lassen sollst. Du bist zu gut für ihn.“
 

Sie hasste es, wenn er so über Natsu sprach. Oder Leute, deren Arbeit ‚weniger wert‘ war, weil sie einfache Jobs hatten, für die kein Studium benötigt wurde. Die darum selbst geringer und minderwertiger waren als er. Sie hasste es. „Aber ich liebe ihn!“
 

Jude schnaubte abfällig. „Als ob jemand in deinem Alter zu so etwas wie Liebe schon in der Lage wäre. Dazu fehlt euch Teenagern noch einiges an Weisheit und Reife. Was du fühlst, meine Liebe, ist Lust. Das geht vorbei.“ Er wedelte mit der Hand, als ob ihre Gefühle keine Rolle spielen würden, als ob das nur eine Phase wäre und nicht das, was Lucy als das Einzig Wahre ansah, ihre Große Liebe. Natsu war die Person, mit der sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte. Und dabei es spielte keine Rolle, wie alt sie war.
 

Sie wusste es einfach.
 

Vielleicht hatte er recht. Vielleicht war sie auch nur eine Romantikerin, vielleicht war sie eine dumme, kleine Träumerin, und all diese Zukunftspläne, die sie und Natsu jetzt schmiedeten, würden irgendwann im Sande verlaufen. Doch sie glaubte nicht daran. Ihre Gefühle waren so stark und so überwältigend, dass es ihr manchmal einfach den Atem stockte. Sie glaubte an ihre Liebe, daran, dass sie ewig halten würde.
 

Aber Jude tat so, als ob das nur eine Bagatelle war, eine Lappalie, die keine weitere Bedeutung trug. Beinahe wäre sie vor Wut in Tränen ausgebrochen, aber dann hätte er sie erst recht nicht mehr ernst genommen.
 

„Du warst also bei ihm.“, fuhr er fort und sprach einfach über sie hinweg, als sie protestieren wollte. Aber was hätte sie sagen können? Es war ja die Wahrheit. Zum Glück wusste er nicht, was sie in dieser letzten Nacht tatsächlich getan hatten, und Lucy würde sich hüten, ihm davon zu erzählen. Sie hoffte, dass er mit seiner Predigt bald zum Ende kam, doch er fuhr ohne Gnade fort: „Du wirst ihn anrufen und ihm sagen, dass es mit euch beiden vorbei ist.“
 

Wa…? Aber das konnte doch nicht sein Ernst sein! Sie würde sterben, wenn sie Natsu nicht mehr sehen konnte, wenn sie ihm das Herz brechen musste. Niemals. „Nein.“ Ihre Stimme klang erstickt, aber entschlossen. Sie würde niemals mit Natsu Schluss machen und schon gar nicht über das Telefon! Wer dachte Jude eigentlich, dass sie war?! „Nein, das werde ich nicht tun.“ Sie blinzelte heftig die Tränen weg. „Dazu kannst du mich nicht zwingen!“ Sie war bereit, einige Kompromisse für ihn einzugehen, immerhin war er ihr Vater. Aber nicht das!
 

Seinem Gesichtsausdruck nach hatte ihr Gegenüber die Tränen sofort bemerkt. Doch er ging nicht darauf ein, sondern erklärte in endgültigem Tonfall: „Nun gut. Schmoll noch ein wenig, wenn du willst. Du wirst schon sehen, dass ich Recht habe. Für die nächsten fünf Wochen hast du jedenfalls Hausarrest. In dieser Zeit wirst du nur die Schule und das Innere deiner Zimmer sehen. Dort kannst du dich gut auf deine Studien konzentrieren. Und jetzt gehe, bevor ich mich vergesse. Das Hausmädchen wird dir nachher dein Essen bringen.“
 

„Aber…“, wollte Lucy protestieren, doch Jude schnitt ihr das Wort ab: „Ich habe dir schon oft genug gesagt, dass ich nicht möchte, dass du dich mit diesem Jungen triffst. Er ist unter deiner Position und eines Tages wirst du mir dankbar sein, dass ich dich jetzt vor dieser Dummheit bewahre. Und jetzt geh!“
 

Geschlagen seufzte sie auf und wandte sich ab, um die Treppe hinaufzugehen. Als sie sich oben auf dem Absatz noch einmal umdrehte, konnte sie gerade noch sehen, wie er in seinem Arbeitszimmer verschwand. Für ihn war diese Sache erledigt.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Lucy stürmte die Treppen nach oben und in ihr Zimmer, um die Tür wieder hinter sich zuzuknallen und dagegen zu sinken. Sie schniefte und zog die Nase hoch, ehe sie sich mit den Ärmeln über die Augen und die feuchten Wangen wischte. Sie würde jetzt nicht weinen. Es war egal, ob ihr Vater sie nicht mehr sehen konnte, aber sie wollte es einfach nicht.
 

Tief ein und aus atmend versuchte sie, ihre aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. Als sie endlich aufblickte, waren bereits einige Minuten vergangen, und sie nahm den Raum vor sich nur dumpf wahr. Aber sie wollte sich hier nicht von den negativen Gefühlen beeinflussen lassen. Dies war ihr Reich. Jude hatte hier nichts verloren und er tauchte auch selten hier auf, worüber sie froh war. Ansonsten hätte sie ja gar keinen Raum mehr, in den sie sich zurückziehen konnte.
 

Tatsächlich war es eine ganze Zimmerflucht, die ihr zur Verfügung stand – ein Schlafzimmer, von dem man den Garten hinter dem Haus (oder besser: den Park hinter dem Anwesen) überblicken konnte, ein Bad, das mit jeglichem Schnickschnack ausgestattet war, den es für Geld zu kaufen gab, ein begehbarer Kleiderschrank, der so groß war wie Natsus ganzes Zimmer, ein eigenes Arbeitszimmer ganz für sie und ihre Schularbeiten, ein verglaster Wintergarten mit Terrasse, unter denen sich ein halbrunder Saal befand, der kaum benutzt wurde, und zwei weitere Zimmer, die zu ihrer freien Verfügung standen.
 

Alle waren sie groß und verschwenderisch eingerichtet. Eine Sitzgruppe mit TV und luxuriöser Hifianlage, die sie kaum bedienen konnte, ein edel wirkender Flügel, den sie nie benutzte, da alle ihre Klavierlehrer ob ihrer musikalischen Unfähigkeit kapituliert hatten, sogar eine kleine Küche, die sie allerdings höchstens zum Kaffeekochen benutzte, da sie entweder in der Schule aß oder die Bediensteten etwas anrichteten.
 

Sie wusste, dass sie in verschwenderischem Überfluss lebte, und es spielte keine Rolle, wie viel Geld sie zum Fenster hinauswarf, es war immer noch fünfmal so viel da. War sie undankbar, dass sie sich statt all dem Geld lieber einen Vater hätte, der sich etwas mehr um sie kümmerte? Einen richtigen Vater wie Igneel oder Silver?
 

Seit dem Tod ihrer Mutter hatten sie sich immer weiter voneinander entfernt und Jude schien nur noch die Firma wichtig zu sein und das Geld, das er damit verdiente. Die Firma und natürlich all die Nebenprojekte, die er am Laufen hatte und alle irgendwie ineinandergriffen und mit seinem Unternehmen mitliefen.
 

Lucy spürte, wie ihr erneut die Tränen kamen und flüchtete in ihr Heiligtum: den Wintergarten. Er bestand aus einer halbrunden, vollständig verglasten Kuppel aus dünnen Metallbalken. Von Ferne saß er aus wie ein gigantischer Diamant mit vielen Facetten, der in das Haus eingelassen war. Zumindest wenn die Sonne darauf schien und das Glas zum Gleißen brachte, ansonsten war er eher ein Smaragd durch all das Grün das durch die Fenster zu sehen war.
 

Überall standen Pflanzen, die wuchsen und gediehen, in Tontöpfen, in edlen glasierten Keramiktöpfen, in den billigeren, bunten Pötten, die sie auf Flohmärken und Garagenverkäufen erstanden hatte, über die Erza sie immer schleppte. Ihre Mutter war es gewesen, die sie schon als kleines Mädchen in die Welt des Gärtnerns eingeführt hatte, mit großer Liebe und noch größerer Geduld. Auch für Lucy war es eine Leidenschaft geworden und sie war sehr stolz auf ihren Wintergarten und auch die Terrasse dahinter, auf der es einfach weiterging, als wäre keine Wand dazwischen.
 

In einer Ecke des Wintergartens stand eine Staffelei, auf der ein halbfertiges Aquarellbild lag, ein zartes Abbild der wunderschönen roten Lilie, die etwas entfernt auf einem kleinen Hocker stand, mit Lucys eigenem, leichten Strich gemalt. Ein zweites Hobby, das sie von ihrer Mutter übernommen hatte, auch wenn ihr die Perfektion fehlte, die Laylas Gemälde stets gehabt hatten.
 

Eines von den Bildern ihrer Mutter hing unweit entfernt an der Wand, Lucy selbst als kleines Mädchen in einem weißen Sommerkleid und einen gigantischen Wildblumenstrauß in der Hand haltend. Sie strahlte über das ganze Gesicht und ihre Haare wehten im Wind. Der Hintergrund war eine traumhafte Blumenwiese unter einem tiefblauen Himmel. Es war eines der letzten Geschenke gewesen, die ihre Mutter ihr gemacht hatte.
 

Ein antiker Schrank, in dem sie ihre Malutensilien aufbewahrte, stand an der Rückwand des Wintergartens. Tiefer im Unterholz, wie Natsu ihre Ansammlung an Pflanzen gerne nannte, plätscherte ein künstlicher Springbrunnen und an einer günstigen Stelle, die abends oft von der Sonne beschienen wurde, stand eine kleine, bequeme Sitzgruppe, die sie von ihrer Mutter übernommen hatte.
 

Dorthin ging Lucy jetzt und kuschelte sich in die Ecke des Diwans, ehe sie ihr Smartphone hervorzog. Für einen Moment überlegte sie, ob sie Natsu anrufen oder ihm einfach nur eine Nachricht schreiben sollte, in der sie ihm sagte, dass sie ihn für die nächsten paar Wochen nicht treffen konnte. Wenn sie ihn anrief und er etwas in ihrer Stimme hörte, wäre er im Nullkommanichts hier und dann würde der Krach erst richtig losgehen.
 

Oder vielleicht sollte sie erst mit Erza sprechen. Ihre Freundin hatte eine ganz eigene Art, mit Problemen umzugehen, und es beruhigte sie immer, mit ihr zu sprechen. Vielleicht hatte sie einen Rat für Lucy. Der wäre entweder sehr brauchbar oder so lächerlich, dass ihre Stimmung automatisch angehoben werden würde.
 

Doch ehe sie sich entscheiden konnte, vibrierte das kleine Gerät in ihrer Hand. Eine neue Nachricht, informierte es sie. Sie klickte sie an; sie kam von Loke. Hey, Löwenbändigerin! Rate mal, wer heute endlich eine gewisse Schönheit vernaschen durfte?
 

Lucy grinste schwach. Sie kannte ihn schon seit dem Kindergarten und war eine der wenigen Personen in ihrem Freundeskreis, gegen die Jude nichts hatte – genaugenommen war er die einzige. Seine Mutter war ein Model, sein Vater nun Richter, nachdem er eine äußerst beeindruckende Laufbahn als Anwalt hinter sich hatte.
 

Ich will deine Sexgeschichten gar nicht hören., schrieb sie ihm zurück. Er und schöne Mädchen – sein großes Laster. Seit er in die Pubertät gekommen war und bemerkt hatte, dass das andere Geschlecht ein paar reizvolle Attribute zu bieten hatte, war sie froh, dass er sie als eine Schwester sah. Was ihn nicht daran hinderte, ihr stets von seinen neuesten Eroberungen zu erzählen oder davon, wen er jetzt schon wieder ins Auge gefasst hatte.
 

:( :( :(, war die Antwort, auch wenn er sicher nichts anderes von ihr erwartet hatte als das, was sie ihm geschrieben hatte. Spielverderber., kam es noch hinterher.
 

Für einen Moment wollte sie ihm neckisch antworten und dann würde die Sache in eine spielerische Plänkelei ausarten, wie es immer zwischen ihnen geschah. Aber darauf hatte sie eigentlich keine Lust. Erst wollte sie das Phone einfach wieder weglegen, aber dann überlegte sie es sich anders.
 

Loke mochte auf den ersten Blick nicht so erscheinen, aber er hatte unter all der Oberflächlichkeit und den Flirts eine sehr ernsthafte Seite. Man sah sie nur selten, weil das erste, das man von ihm mitbekam, die Frauengeschichten waren und die meisten Leute sich nicht die Mühe machten, weiter zu graben. Aber wer würde einen Jungen, der ständig die Freundin wechselte, nicht sofort als sexistischen Macho abstempeln? Aber es verbarg sich weit mehr hinter Loke als das.
 

Mein Vater will, dass ich mit Natsu Schluss mache., schrieb sie darum.
 

Sag ihm, er kann dir den Buckel runterrutschen., war die prompte Antwort und kurz darauf: Deinem Vater, meine ich. Natsu sollst du behalten, der macht dich weniger langweilig.
 

Lucy schnaubte bei dem Gedanken daran, es tatsächlich zu tun. In dieser Sache würde sie das absolut gerne tun und es würde auch ein für alle Mal klar machen, dass Natsu und sie zusammengehörten und ihr Vater sich gefälligst damit abzufinden hatte.
 

Aber Jude würde eine solche Antwort nicht akzeptieren, im Gegenteil. Vielleicht würde er ihr Hausarrest geben, bis sie auszog. Aber zumindest würde er erst einmal ziemlich dumm aus der Wäsche schauen. Allein der Gedanke war eine Überlegung wert.
 

Ich bin nicht langweilig. Papa hat mir Hausarrest gegeben., antwortete sie statt einer direkten Erwiderung und nach kurzem Überlegen fügte sie noch hinzu: Vier Wochen.
 

Das ist hart. Dann: Soll ich hier ausbrechen und dich besuchen kommen? :D
 

Diesmal lachte sie laut, ein wenig getröstet, denn wenn sie mit ‚Ja‘ antworten würde, würde er spätestens morgen vor der Tür stehen. Tu nicht so, als wärest du im Gefängnis., schalt sie ihn stattdessen. Vorhin klang das nicht so, als wärest du unglücklich.
 

Langweilig, wie ich sagte. :P Und du bist nicht hier, also ist es nicht halb so gut, wie es sein könnte., war die leichtherzige Antwort, hinter der sehr viel mehr steckte, wie Lucy wusste.
 

Dann hättest du eben mit mir an die Schule gehen müssen. Ich will hier nicht weg. Eigentlich hatte Jude sie ebenfalls in ein Internat schicken wollen, das St. Claires, eine reine Mädchenschule weiter im Norden von Fiore. Layla allerdings hatte das nie für eine gute Idee gehalten und darauf bestanden, dass ihre Tochter auf eine normale Lehranstalt mit normalen Leuten ging. Da Magnolias weiterführende Schule einen außergewöhnlich guten Ruf genoss, hatte Jude dies zugelassen.
 

Es war das Beste, was ihr hatte zustoßen können, denn dort hatte sie nicht nur ihre besten Freunde (außer Loke) kennen gelernt, Erza und Gray, sondern auch Natsu, in den sie sich sehr schnell sehr heftig verliebt hatte. Natürlich hatten sie ein paar Startschwierigkeiten gehabt, aber die hatten sich schnell gelegt und nun war es, als würden sie sich schon ewig kennen. So eine Vertrautheit hatte sie vorher nie gekannt.
 

Ihr Handy informierte sie über eine weitere Nachricht und sie warf einen Blick auf den Screen. Ich muss mich hier zumindest nicht mit Hausarrest-verteilenden Vätern rumschlagen. :P
 

Das war wohl wahr. Aber Jude hätte wohl kaum einen Grund, sich zu beschweren, wenn sie an die Feine-Mädchen-Schule gegangen wäre, oder? Immerhin gab es dort keinen Natsu und das wäre traurig. Dann hätte sie niemals dieses großartige Gefühl kennen gelernt.
 

Stattdessen schauen dir deine Lehrer 24/7 auf die Finger., stichelte sie zurück.
 

D: Du hast Recht., war die Antwort. Dann herrschte für einige Zeit symbolisches Schweigen, denn niemand schrieb etwas. Lucy fragte sich für einen Moment, was er wohl gerade so machte, und überlegte, ob sie ihn danach fragen sollte, um von ihrem eigenen Leben abzulenken, das gerade so viel langweiliger geworden war.
 

Du wirst diese 4 Wochen schon überstehen., erklärte Loke dann.
 

Bleibt mir wohl kaum was anderes übrig.
 

Du hast ja mich. :P Das Angebot mit dem Besuch steht noch.
 

Sie grinste. Großer Trost. >_>
 

Du triffst mich! D: Mitten ins Herz. Kurz darauf fügte Loke noch hinzu: Ich bin jetzt tot. †
 

Soll ich dir einen Grabstein bestellen? Hier ruht Loke, der ein paar Worten erlegen ist.
 

Herzloses Biest.
 

Immer gern.
 

Diesmal war es Loke, der erst nach einiger Zeit antwortete: Ich muss jetzt weg. Außer, du brauchst mich noch. Dann sag ich diesen Typen ab, die gehen mir eh auf den Keks mit ihrem ständigen Training. So wichtig ist so ein dummer Pokal echt nicht.
 

Nein, nein, geh nur. Nach kurzem Zögern schickte sie noch hinterher: Wenn ich dich brauche, rufe ich dich an.
 

;), war die Antwort und Lucy lächelte wieder leicht, ehe sie das Smartphone auf den Sessel hinüberwarf und sich zurücklehnte. Auch wenn sich nicht wirklich etwas an ihrer Lage geändert hatte, fühlte sie sich schon besser.

2. Kapitel, in dem Lucy das erste Mal rebelliert

Natsu nahm die Schreckensnachricht mit dem Hausarrest, die sie ihm am nächsten Tag in der Schule mitteilte, nicht sehr gut auf. Trotzdem rang sie ihm das Versprechen ab, sie während dieser Zeit nicht zu besuchen. Das hätte ihr gerade noch gefehlt, dass Jude ihren Freund in ihrem Zimmer erwischte! Vermutlich würde er sie dann auf der Stelle in dieses Mädcheninternat verfrachten.
 

Statt sie direkt zu besuchen, schickte Natsu ihr ständig Nachrichten; selbst über den kleinsten Schwachsinn erstattete er ihr Bericht. Er sandte ihr sogar Fotos von den Motoren, an denen er gerade herumbastelte, was sie nun wirklich nicht interessierte und mit denen sie auch absolut nichts anfangen konnte.
 

Trotzdem freute sie sich jedes Mal – es war seine Art, ihr zu zeigen, dass er an sie dachte. Hatte jemand da draußen einen niedlicheren Freund als sie? Natürlich war es auch manchmal sehr nervtötend, wenn sie in ihre Hausaufgaben oder auf ein Bild konzentriert war und ihr Smartphone pfiff plötzlich, weil sie nie vorher daran dachte, es auszuschalten.
 

Doch es half ihr, sich von dem verräterischen Gedanken abzulenken, der immer wieder in ihr Hirn schlüpfte und sie darauf hinwies, dass nein, sie hatten natürlich kein Kondom benutzt. Ihre vom Alkohol vernebelten Gehirne hatten es offensichtlich nicht für wichtig genug befunden, den Spaß für sowas Irrelevantes wie Verhütung zu unterbrechen.
 

Lucy nahm natürlich auch nicht die Pille, sie hatte ja noch nicht mal dran gedacht, mit Natsu zu schlafen. (Naja, dran gedacht vielleicht schon… Wer konnte es ihr verübeln?) Aber sie war noch nicht bereit dazu gewesen, das Thema überhaupt anzusprechen. An die Pille danach hatte sie bei dem Ärger über ihren Vater und den Hausarrest auch nicht gedacht.
 

Aber es war eh nichts geschehen. Wie hoch war die Chance? Die Möglichkeit bestand ja nur an zwei, drei Tagen im Monat… Bald würde sie ihre Tage bekommen und das ganze würde sich als Fehlalarm herausstellen. Da musste sie nicht die Pferde scheu machen. Darum konzentrierte sie sich lieber auf die drängenderen Probleme und darauf, endlich eine permanente Lösung dafür zu finden, so utopisch das auch schien.
 

Während der Zeit des Hausarrestes hatte sie sich darum vorgenommen, eine mustergültige Tochter zu sein. Vielleicht würde das ihren Vater gnädig genug stimmen, die Sache mit Natsu wieder fallen und sie einfach glücklich sein zu lassen. Sie hatte nicht vor, mit ihrem Freund Schluss zu machen, im Gegenteil, ihre gemeinsame Zeit fing, soweit es sie anging, erst an. So leicht würde sie diesen unbekümmerten, leichtfertigen, unbezwingbaren, unerschütterlichen Jungen mit dem strahlenden Lächeln und den pinken Haaren nicht mehr loslassen. Egal, was ihr Vater von ihr verlangte.
 

Zum Glück war Jude selbst selten anwesend, da er gerade mit irgendeinem neuen Projekt zu tun hatte und sich darum ständig mit irgendwelchen Leuten traf. Zudem würde bald eine Galerie eröffnet werden, die er sponserte, was die wenige Zeit auffraß, die ihm daneben noch blieb. Selbst heute, an dem ersten Sonntag nach dem Krach, hatte er das Haus kurz nach dem gemeinsamen Frühstück verlassen, wobei er erwähnt hatte, dass er am Abend ein Essen mit der Kuratorin haben würde.
 

Das ließ Lucy die Freiheit, ihre Tage allein zu überstehen und ihre negativen Gefühle gegenüber ihrem Vater wieder unter Kontrolle zu bringen. Langsam ebbte ihr Ärger über die unfaire Bestrafung und seine Abneigung gegenüber Natsu wieder ab, doch noch grollte sie ihm.
 

Das mit dem Hausarrest traf sie im Moment besonders hart, vor allem an einem so schönen Tag wie heute. Draußen war der Himmel strahlend blau und die Sonne schien, als hätte sie vergessen, dass erst Mai war und noch kein Juli. Was könnte sie jetzt alles tun – ihre Freunde in der Stadt treffen, sich ihre Kamera greifen und ein paar Bilder knipsen, die sie später auf Leinwand übertragen würde, sich ihren Skizzenblock schnappen und im Park oder einem Café auf Motivsuche gehen, zum Stall rüberflitzen und einen langen Ausritt machen…
 

All diese Möglichkeiten und sie saß hier in ihrem Zimmer und wartete darauf, dass ihr die Decke auf den Kopf fiel.
 

Das Pfeifen ihres Handys riss sie aus den trüben Gedanken und sie fuhr zusammen, so dass sie einen dicken Strich über die Notizen zu ihrem Aufsatz machte. Für einen Moment überlegte sie, das Gerät einfach auszuschalten, ohne überhaupt auf den Absender zu sehen. Dann fiel ihr Blick auf den Bücherstapel, den sie sich für ihr Essay besorgt hatte, und auf das fast leere Blatt, über dem sie schon eine Weile brütete, ohne wirklich etwas zu schreiben.
 

Sie hatte jetzt einfach keine Lust zu lernen, also schnappte sie sich das Handy und klickte die Nachricht an. Sie war von Natsu. wir gehen zum see, pack deine schwimmsachen. wir holen dich in fünfzehn minuten ab :D
 

Wie immer ohne Groß- und Kleinschreibung, dafür aber mit altbekannter Unverschämtheit. Ein ungläubiges Lachen entfuhr ihr. Hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie Hausarrest hatte? Hatte er ihr nicht versprochen, sie während dieser Zeit in Ruhe zu lassen, zumindest, wenn sie Zuhause war? Und jetzt das! Nicht, dass sie nicht mitgehen wollte; das wäre die perfekte Art, diesen schönen, heißen Nachmittag zu verbringen. Aber sie musste nun mal hier in ihrem Zimmer versauern, während sie langsam verrückt wurde!
 

Sie überlegte, was sie ihm zurückschreiben sollte, dass nicht zu garstig klang, als eine zweite Nachricht hereinkam, diesmal von Erza. Was dieser Idiot meint, ist, wenn du kannst, schleich dich raus, wir gehen schwimmen! Ansonsten sag Bescheid. ;) Wir finden schon was, womit wir dir den Nachmittag versüßen können!
 

Lucy schnaubte und warf unwillkürlich einen schuldbewussten Blick über ihre Schulter, obwohl sie gar nichts getan hatte. Doch natürlich war außer ihr niemand in dem gemütlichen Raum mit den vielen Bücherregalen vor den Wänden, den sie als ihr Arbeitszimmer eingerichtet hatte. Sie schaute wieder auf den Screen zurück – die Aufforderung war verlockend. Endlich wieder hier rauskommen, ihre Freunde nach dieser langen Woche anderswo treffen als nur in der Schule, das erste Mal dieses Jahr schwimmen gehen und dann auch noch an einem ihrer Lieblingsorte. Am See hatten sie und Natsu sich das erste Mal geküsst, also war er natürlich etwas Besonderes für sie.
 

Hier dagegen wurde sie langsam kirre, weil sie immer nur die gleichen Wände vor Augen hatte, und das nur wegen diesem bescheuerten, völlig unbegründeten Hausarrests, den ihr Vater ihr auferlegt hatte. Ihr Vater, der heute nicht da war, ebenso wenig wie der Großteil des Personals. Am Wochenende war stets nur ein Minimalaufgebot der Angestellten vor Ort. Ein leiser Gedanke zeigte auf, dass es ihr diese Tatsache leicht möglich machen sollte, unbemerkt an ihnen vorbeizuschlüpfen. Selbst den Wachen würde sie leicht ausweichen können, immerhin kannte sie sich hier aus.
 

Mit wild pochendem Herzen kaute sie an ihrer Unterlippe. Sie hatte schon früher Hausarrest bekommen, aber noch nie so lang – und noch nie hatte sie daran gedacht, die ihr auferlegte Strafe einfach zu ignorieren. Meistens war sie ja auch berechtigt, sie war verständig genug, sich das jedes Mal einzugestehen. Ihr Vater war streng, kein Unmensch. Nur diesmal konnte sie ihm da einfach nicht zustimmen.
 

Erneut blickte sie sich um, als ob Jude irgendwie ihre Gedanken lesen und plötzlich auftauchen konnte. Aber er würde auf keinen Fall vor dem Abend zurück sein, dieses Essen war ihm wichtig. Er würde es nicht einmal mitkriegen, wenn sie jetzt verschwand. Und sie hatte diese harte Strafe nicht verdient.
 

Vielleicht eine kleine, weil sie Jude angelogen hatte. Aber vier Wochen? Ganz sicher nicht!
 

Ich warte am üblichen Ort., schrieb sie Erza kühn zurück und sie fühlte sich wild und rebellisch, als sie nach kurzem Zögern auf den kleinen Papierflieger zum Senden drückte, auch wenn ihr Magen sich zu einem Knoten zusammenballte. Was, wenn Jude doch… Sie verdrängte diesen verräterischen Gedanken und sprang sie auf, um ein wenig kopflos durch ihre Zimmer zu rennen, während sie ihre Sachen zusammensuchte.
 

Knapp eine halbe Stunde später stand sie am üblichen Ort, eine kleine Einbuchtung, in der man bequem anhalten konnte, direkt an der Straße, die hinter dem Heartphiliaanwesen vorbeiführte. Dort musste sie nicht lange warten, bis ihre Freunde schon in Erzas uraltem Auto vorfuhren, das nur noch lief, weil Natsu sich regelmäßig darum kümmerte. Sie hatte es allerdings mit ihrem ersten selbstverdienten Geld gekauft und war daher ungeheuer stolz darauf.
 

Lucy lief ihnen winkend entgegen und Natsu, der hinten saß, öffnete ihr die Tür. Sie begrüßte ihn mit einem kurzen Kuss, den er begeistert erwiderte. Sie konnte sein breites Grinsen gegen ihre Lippen spüren und schenkte ihm ein verliebtes Lächeln, als sie sich wieder voneinander lösten, überwältigt von dem Glücksgefühl, das sie immer ergriff, wenn sie in seiner Nähe war.
 

Erza, die hinter dem Lenkrad saß, warf ihr durch den Rückspiegel einen Blick zu. „Ich bin froh, dass du dich entschlossen hast, mit uns zu kommen!“, erklärte sie gewichtig, während sie das Auto startete. „Ich war mir nicht sicher, ob du den Mut aufbringst. Ich bin stolz auf dich!“ Sie war eine große, schlanke junge Frau, der man ansah, dass sie viel Sport trieb. Das lange, scharlachrote Haar hatte sie zu einem hohen Pferdeschwanz zurückgebunden und ihr Gesicht war schön und beinahe königlich zu nennen. Doch ihre braunen Augen funkelten schalkhaft und sie schenkte Lucy ein verwegenes Lächeln.
 

Lucy ließ ihre Tasche in den Fußraum fallen und grinste verlegen. „Mir fällt zuhause die Decke auf den Kopf.“, gestand sie und schnallte sich an. „Ich weiß gar nicht, wie ich das die restlichen drei Wochen überstehen soll. Huh? Wollte Louise denn nicht mitkommen?“ Genanntes Mädchen, das in eine ihrer Parallelklassen ging, war Grays Freundin. Sie war hübsch und stets freundlich, aber Lucy fand sie trotzdem etwas langweilig und konnte nicht viel mit ihr anfangen.
 

Doch der hochgewachsene, attraktive Junge auf dem Beifahrersitz verzog nur das Gesicht. „Ich habe sie nicht gefragt.“ Sein wildes, schwarzes Haar fiel ihm in die dunklen Augen, als er sich kurz zu ihr umdrehte. Er und Natsu waren sich im Körperbau nicht ungleich, durchtrainiert und muskulös, aber da hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf.
 

Zudem waren sie vom Charakter her völlig unterschiedlich – Natsu ungestüm, aufbrausend und oft genug ziemlich begriffsstutzig, Gray reserviert, kühl und ziemlich klug. Es war beinahe verwunderlich, dass die Beiden beste Freunde waren. Aber wie sagte man so schön? Gegensätze ziehen sich an. Tatsächlich waren sie seit dem Sandkasten befreundet, da ihre Väter sich ebenfalls schon ewig kannten. Da hatten sie sich fast zwangsweise zusammengerauft.
 

Natsu schnaubte und Gray warf ihm einen bösen Blick zu. Doch der Pinkhaarige grinste nur und verdrehte die Augen in Lucys Richtung. „Bei denen kriselt es.“, erklärte er gedämpft, als ob Lucy das nicht selbst erkennen würde. Vermutlich war Gray bald wieder single.
 

Sie beschloss, das Thema zu wechseln. Gray wirkte nicht glücklich mit der Richtung, die das Gespräch genommen hatte, und sie wollte diesen schönen Tag nicht durch einen Streit beschmutzen. „Denkt ihr, am See ist es voll?“
 

Erza zuckte mit den Schultern. „Vermutlich nicht – es ist zu früh im Jahr.“ Touristen waren dort sowieso nur selten anzutreffen, der See lag versteckt in einem weitläufigen Waldgebiet, das sich hinter Magnolia erstreckte, eine Art Geheimtipp selbst unter den Einheimischen. Dabei war er idyllisch, ein eigenes kleines Paradies, das nur über eine schmale Straße erreicht werden konnte.
 

Nach einer Viertelstunde halsbrecherischer Fahrt bog Erza in einen Feldweg ein und kurz darauf parkte sie ihre Karre neben ein paar anderen Autos. Der unbefestigte, aber gut ausgetretene Pfad durch den Wald war nur kurz und bald erreichten sie den malerischen See, dessen Ufer teilweise mit hohem Schilf bewachsen war. Die glatte Wasseroberfläche glitzerte in der blendenden Sonne und es roch nach Wald und Sommer, obwohl erst Anfang Mai war.
 

An dieser Seite des Sees war das sanft abfallende Ufer mit feinem Sand bedeckt und ging dann in eine Wiese über, die grün und saftig war und gesprenkelt mit Gänseblümchen und verblühtem Löwenzahn. In der Nähe befand sich ein Grillplatz, der von einer Gruppe Studenten bevölkert wurde, und etwas entfernt davon waren einfache Bänke und Tische aufgestellt.
 

Lucy und ihre Freunde suchten sich einen Platz unter einer alten Kastanie, der etwas abseits von den anderen Anwesenden war, damit sie unter sich sein konnten. Lange suchen mussten sie nicht, denn wie Erza vorausgesehen hatte, waren nur vereinzelte Wagemutige wie sie hier und genossen die erste Sommersonne.
 

„Ich geh erstmal ins Wasser!“, posaunte die Rothaarige, nachdem sie säuberlich ihr Handtuch ausgebereit und den Picknickkorb darauf abgestellt hatte. „Wer unerlaubt ans Essen geht, wird bestraft!“ Damit stand sie auch schon im Bikini da, als hätte ihre Kleidung sich einfach in die Badeklamotten verwandelt, und marschierte mit langen Schritten auf den See zu.
 

„Was?“, rief Natsu aus und wirkte geschockt. „Aber ich habe jetzt Hunger!“
 

„Du hast immer Hunger.“ Gray grinste wenig mitleidig. „Jetzt musst du dich halt noch ein wenig gedulden.“ Auch er hatte seine Kleider schon abgelegt, wie schafften die das immer so schnell? Lucy nestelte noch immer an ihren Schnürsenkeln herum und Natsu hatte noch nicht mal angefangen.
 

„Oder du riskierst ihren Zorn.“, fügte Gray noch hinzu, ehe er sich umdrehte, um Erza zu folgen, die bereits ins Wasser watete.
 

Aber selbst Natsu musste dafür sehr verzweifelt sein, also ließ er nur enttäuscht die Schultern hängen und zog ein langes Gesicht. Niemand erregte gerne Erzas Zorn und es gab niemanden, der nicht sehr schnell lernte, warum man sich davor besser hütete.
 

„Ich hab ein paar Kekse dabei.“, bot Lucy ihrem Freund an und kramte eine Blechdose aus ihrer Tasche, um sie ihm anzubieten. Sie hatte die Box vorhin aus der Küche gestohlen und mitgenommen; es würde schon niemandem auffallen.
 

Sofort hellte sich sein Gesicht auf. „Du bist die Beste!“, erklärte er ihr freudestrahlend und griff zu, um sich gleich zwei davon in den Mund zu stopfen. Manchmal fragte sie sich, wo genau er seine Manieren verloren hatte.
 

Dass sie ‚die Beste‘ war, hinderte ihn später allerdings nicht daran, sie mehrmals in das doch noch sehr kalte Wasser des Sees zu tunken, bis sie lachend und kreischend wieder an Land floh, nachdem sie genug geschwommen war. Zwei Stunden reichten völlig aus, entschied sie, und trotz des vielen Herumtobens und Schwimmens waren ihre Lippen blau und ihre Hände kribbelten fast schmerzhaft, als sie sie unter die Arme schob in dem vergeblichen Versuch, sie zu wärmen.
 

Dabei hatte sie vorhin nicht einmal gemerkt, wie kalt das Wasser wirklich war, sowas erfasste man erst hinterher. Aber eigentlich war das auch kein Wunder, überlegte sie, so früh im Jahr. Vermutlich war noch Schmelzwasser aus den Bergen im See.
 

Bibbernd setzte sie sich auf ihre mitgebrachte Decke und schlang ein Handtuch um sich, damit sie sich wieder wärmen konnte. Sie überlegte, ob sie ihren Bikini wechseln sollte, entschied sich aber dagegen – das Wasser mochte eiskalt sein, aber die Sonne war schon kräftig und würde sie schnell aufwärmen. Vielleicht würde sie sogar ein bisschen Farbe bekommen.
 

Ihre drei Freunde waren nicht ganz so beeindruckt von der Kälte wie sie; Gray schien sie überhaupt nichts auszumachen. Noch tobten die drei im Wasser herum, wobei sich eine Art Schlacht entwickelt zu haben schien – Natsu und Gray gegen Erza und die Rothaarige gewann haushoch. Zumindest vermutete Lucy das, wenn sie nach der Anzahl ging, wie oft jemand unter Wasser getaucht wurde.
 

Sie rubbelte sich kräftig ab und blickte sich eine Weile neugierig um, doch viel aufregendes zu sehen gab es nicht. Die Studenten waren inzwischen beim Grillen. Etwas entfernt hatten eine Gruppe weiterer junger Leute ein Volleyballnetz aufgebaut und spielte mit lautem Rufen und Brüllen. Eine junge Familie saß etwas abseits auf ihren Handtüchern und aß mitgebrachten Kuchen.
 

Kurz spickte Lucy in Erzas Korb, um zu sehen, was diese alles eingepackt hatte, und das Wasser lief ihr allein bei dem Anblick im Munde zusammen. Makarov, Erzas Pflegevater, packte einfach die besten Picknickkörbe – dagegen konnte nicht mal der an der besten Kochschule des Landes ausgebildete Koch der Heartphilias anstinken.
 

„Nicht naschen!“, ertönte die strenge Stimme der Rothaarigen plötzlich neben ihr.
 

Lucy fuhr zusammen und blickte schuldbewusst nach oben. „Ich hab nur geschaut.“, verteidigte sie sich und hoffte, dass ihre Freundin davon überzeugt war. Ansonsten durfte sie sich auf mindestens ein weiteres Bad gefasst machen und darauf hatte sie keine Lust.
 

Erza starrte sie für einen Moment mit gerunzelter Stirn an, dann entspannte sie sich. „Okay, dir kann ich das glauben.“ Sie warf einen Blick über die Schulter zu Natsu und Gray, die langsam an Land kamen, wobei sie versuchten, sich gegenseitig noch einmal ins Wasser zu stoßen. „Im Gegensatz zu diesen beiden Idioten.“
 

Erza schnappte sich ihr Handtuch, um sich abzutrocknen, und dann packten die beiden Mädchen gemeinsam den Picknickkorb aus – lauter Köstlichkeiten, die man mit den Fingern und direkt aus den Boxen essen konnte, in die sie gepackt waren. Lucy knurrte der Magen und der herrliche Duft stieg ihr verführerisch in die Nase.
 

Das Essen brachte auch die beiden Jungs rasch zu ihnen und einen Moment später saßen sie in einvernehmlichem Schweigen auf ihren Decken und vertilgten das liebevoll eingepackte und zubereitete Essen. Makarov mochte einer der besten Anwälte der Stadt sein, aber hin und wieder dachte Lucy, dass er den Beruf verfehlt hatte.
 

„Oh!“, erinnerte sich Natsu, nachdem Lucy vor dem Buffet bereits kapituliert hatte, und zog seine Tasche heran. Dabei ließ er das Sandwich, den er gerade verspeiste, einfach im Mund hängen. Lucy verbiss es sich, ihn darauf hinzuweisen – sie waren hier nicht in einer feinen Tischgesellschaft, sie saßen nicht einmal an einem Tisch, und sie wollte nicht die nörgelnde Freundin sein. Wenigstens nahm er das belegte Brot wieder in die Hand, ehe er weitersprach: „Mein Onkel hat mal wieder Süßigkeiten geschickt. Aus Pergrande diesmal – er ist da irgendwo in einem Kaff am Arsch der Welt.“
 

„Ist in Pergrande nicht gerade Bürgerkrieg?“, wollte Erza mit gerunzelter Stirn wissen, während sie ihr eigenes Sandwich sinken ließ.
 

Natsu zuckte wenig besorgt mit den Schultern, während Gray erklärte: „Momentan herrscht Waffenstillstand, weswegen ausländische Helfer reindürfen.“
 

Weiter kam er nicht, denn Natsu zog nach langer Suche eine einfache Pappschachtel mit Pralinen aus seiner Tasche und riss sie auf. „Anscheinend eine Delikatesse dort.“, erklärte er grinsend und bot ihnen die Box mit den kleinen Schokoladen an.
 

Erza schlug ihm auf den Hinterkopf. „Das sind Aktupralinen!“, zischte sie. „Das ist mehr als nur eine Delikatesse, du Kunstbanause!“
 

„Au! Du musst ja nicht immer gleich so hauen!“, beschwerte sich Natsu und rieb sich den Kopf. Doch sie kümmerte sich gar nicht mehr darum, sondern machte sich mit einem begeisterten Laut über die Süßigkeiten her.
 

„Lass mich raten, da sind Erdbeeren drin?“, grinste Gray und nahm sich ebenfalls eine. Vermutlich konnten sie froh sein, dass Erza sie nicht alle für sich beanspruchte. Aber unfair war sie nie, darum war es eigentlich nicht so verwunderlich. Lucy angelte sich selbst eine Praline aus der Packung (eine oder zwei hatten noch Platz!) und schob sie sich in den Mund. Zwar waren sie für sie nichts so Besonderes wie für ihre Freunde, aber deswegen waren sie noch lange nicht schlecht.
 

„Man.“, murrte Natsu und verzog übertrieben wehleidig das Gesicht. „Dass die immer so fest zuschlagen muss.“
 

„Soll ich es wieder heile küssen?“, wollte Lucy belustigt wissen.
 

Sofort drehte er sich ihr zu. „Klar! Da.“ Er deutete auf die Stelle und zuvorkommend beugte sie sich vor und hauchte einen Kuss darauf.
 

„Wenn ich’s mir recht überlege, hier tut auch was weh.“, bemerkte Natsu und deutete auf seine Stirn.
 

Grinsend küsste sie ihn auch dorthin. „Noch etwas?“
 

Statt einer Antwort presste er ihr die Lippen auf den Mund und zog sie an sich. Lucy folgte ihm willig und rutschte auf seinen Schoss, um die Arme um seinen Nacken zu schlingen und den Kuss zu erwidern. Seit sie Sex gehabt hatten, schienen solche Zärtlichkeiten leichter zu kommen, selbstverständlicher, selbst in der Öffentlichkeit wie jetzt. Als wären auch die letzten Grenzen gefallen. Sie seufzte leise, glücklich und zufrieden, und presste sich enger an ihren Freund.
 

„Nein, Gray, was soll das!“, hörte sie Erza am Rande schimpfen. „Ich will noch… Oh.“
 

Aber dann strich Natsus Zunge über ihre Lippen und schlüpfte dann durch den Spalt, den sie für ihn öffnete und sie fuhr mit den Händen in seine nassen Haare. Der Kuss wurde tiefer und inniger und die Welt um sie herum verschwand einfach. Das einzige, was jetzt noch zählte, war Natsu, seine Lippen auf ihren, seine Hände, die über ihren Rücken strichen, sein Herz, das ihm Gleichklang mit ihrem schlug.
 

Sie wünschte wirklich, sie hätte keinen Hausarrest, sondern könnte die Nacht bei ihm verbringen. Ein andermal, tröstete sie sich beiläufig, sie hatten alle Zeit der Welt, ihre ganze Zukunft lag noch vor ihnen, nur für sie beide.
 

Als sie sich endlich wieder voneinander lösten, atmeten sie schwer und Lucy brauchte einen Moment um sich daran zu erinnern, wo sie sich befanden. Sie spürte, wie sie errötete, als ihre Wangen heiß wurden, und rutschte dann von ihm herunter. Das war kein Kuss für die Öffentlichkeit gewesen, sondern einer, der nur zwei Menschen gehören sollte, nur ihnen beiden. Ein Kuss für das Schlafzimmer und die vertrauliche Zweisamkeit. Ein Kuss, der zu mehr führte. Aber das konnten sie hier sicher nicht machen.
 

Natsu presste ihr noch einmal die Lippen auf die Schläfe und erklärte: „Mein Onkel hat noch was anderes mitgeschickt.“ Er musste eine Weile in seiner Tasche herumkramen und runzelte verwirrt die Stirn, wobei er etwas wie „ich hab es doch eingepackt“ murmelte. Es würde zu ihm passen, dass er ihr etwas zeigen wollte, und es dann vergaß.
 

„Haha!“, rief er dann triumphierend aus und hielt eine flache, hölzerne Schachtel in die Höhe. Er drehte sich mit einem breiten Grinsen zu ihr um und streckte sie ihr entgegen. „Hier. Das ist für dich.“
 

„Ein Geschenk?“, wollte sie verwirrt wissen und runzelte die Stirn. „Aber warum?“ War etwas Besonderes passiert? Oder ein bestimmter Tag für sie beide? Aber eigentlich war es immer Natsu, der einen Jahrestag verpennte, nicht sie.
 

„Warum nicht?“ Er zuckte unbekümmert mit den Schultern und drückte ihr die Box in die Hände. „Mein Onkel schickt uns lauter Kram, von wo auch immer er gerade ist, und das da können wir nicht gebrauchen. Pa meinte, ich soll es dir geben. Jetzt mach schon auf. Es gefällt dir bestimmt!“ Er grinste erwartungsvoll und sie beugte sich mit einem Lächeln über die kleine Kiste, um das einfache Schloss aufspringen zu lassen.
 

Natsus Worte klangen zwar nachlässig und achtlos, als ob es ihn gar nicht interessierte, wohin dieses Geschenk ging oder ob es ihr gefiel. Als würde er es ihr nur geben, weil ihm nichts Besseres dafür einfiel. Aber sie kannte ihn zu gut, um zu wissen, dass dem nicht so war.
 

In der kleinen Kiste lag eine dreireihige Kette aus bemalten Holzperlen in verschiedenen Blautönen, in die winzige Symbole eingeritzt waren. Ein silberner Anhänger in Form einer fein gearbeiteten Feder hing an der längsten Kettenreihe. „Oh. Die ist ja schön!“, rief sie aus und nahm sie aus der Kiste, um sie hochzuheben. Tatsächlich wusste sie, worum es sich dabei handelte. „Das ist eine traditionelle Kette von den Eghed. Das ist der Volksstamm, der ganz im Osten von Pergrande lebt.“
 

„Kann sein.“, antwortete Natsu, den die Herkunft nicht zu kümmern schien. „Gefällt sie dir?“ Das interessierte ihn viel mehr.
 

„Ja, sehr.“ Sie drückte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. „Danke.“ Er strahlte und Lucy packte die Kette vorsichtig wieder weg – sie wollte sie jetzt nicht tragen, was, wenn sie nass wurde?
 

Beinahe wie auf Kommando kamen Erza und Gray zurück, beide wieder nass. „Wir sollten zurückgehen. Sonst können wir Lucy nicht mehr rechtzeitig abliefern.“, erklärte Erza und stemmte die Hände in die Hüften. Mit einem Blick auf die Uhr sprang Lucy auf. Ihre Freundin hatte Recht – ihr Vater hatte zwar gesagt, er würde erst spät nach Hause kommen, aber sie wollte lieber kein Risiko eingehen!
 

„Nächstes Mal solltet ihr euch wirklich ein Zimmer nehmen.“, beschwerte Gray sich, als sie sich auf dem Weg zurück zum Auto machten. „Es waren Kinder anwesend!“

3. Kapitel, in dem Lucys Leben endgültig auf den Kopf gestellt wird

Der kleine Ausflug hatte Lucy geholfen, sich auf andere Gedanken zu bringen. Außerdem hatte niemand etwas davon mitbekommen – zumindest niemand, der es an ihren Vater weitergegeben hatte. Sie hatte Spetto, ihr altes Kindermädchen, die jetzt als Haushälterin arbeitete, in Verdacht, zumindest etwas zu ahnen. Aber es kam kein Donnerwetter von Judes Seite, also dachte sie nicht weiter darüber nach.
 

Dennoch hatte sie ihr zweites Problem nicht vergessen, das ihr Sorgen bereitete. Trotz aller Bemühungen war es ihr nicht gelungen, es in den Hintergrund zu schieben und so zu tun, als wäre es nicht da. Manche Probleme gingen einfach weg, wenn man sie lange genug ignorierte. Warum sich also den Kopf darüber zerbrechen? Andere Probleme allerdings … wurden schlimmer, je länger man sie ruhen ließ. Lucy betete, dass dies eines der ersten Sorte war.
 

Aber die Woche, in der sie ihre Tage bekommen sollte, kam und ging ohne, dass etwas geschah. Sie hatte sich verrechnet, redete sie sich ein. Nächste Woche ist es soweit. Oder vielleicht hatte es auch einen anderen Grund, hin und wieder kam die Blutung irregulär, richtig? Vor allem bei Teenagern war das doch gar nicht so unüblich. Bei Lucy war das zwar höchstens Mal am Anfang vorgekommen und dementsprechend schon Jahre her, aber die Möglichkeit bestand doch immer. Sie … sie musste nur noch etwas warten…
 

Sie sprach nicht mit Natsu darüber, auch nicht mit einem ihrer anderen Freunde, und schob ihre immer stärker werdende Unruhe auf den Hausarrest und die Tatsache, dass sie kaum aus ihren Zimmern kam. Der eine Tag, den sie am See verbracht hatte, hatte nicht viel geholfen. Er war nur eine kurze Erholungspause gewesen.
 

Zum Glück hatte Jude ihr nicht den Reitunterricht verboten. Vielleicht lag es nur daran, dass ihre Trainerin angerufen und sich wegen des Turniers erkundigt hatte, an dem Lucy angemeldet war und das in ein paar Wochen stattfinden sollte. Damit hatte sie zumindest ein Ventil für all die überschüssige Energie.
 

Dennoch war es für sie zu wenig Bewegung und frische Luft, wenn sie ansonsten den ganzen Tag im Klassenzimmer oder in ihrer Zimmerflucht der Heartphiliavilla eingepfercht war. Vor allem am Wochenende wurde sie unruhig und verbrachte viel Zeit im Wintergarten oder auf der Terrasse, kümmerte sich um ihre Pflanzen und malte.
 

Darum war es kein Wunder, dass sie reizbarer war als sonst, auch wenn sie mit niemandem über ihre anderen Sorgen sprach. Gray und Erza neckten sie eh schon genug, dass sie und Natsu endlich den letzten Schritt gewagt hatten, auch wenn Gray eher ihren Freund aufzog und Erza jedes Mal selbst rot wurde, wenn sie die Sprache darauf lenkte. Allerdings ließ sie sich in wahrer Erza-Manier nicht davon stören.
 

Außerdem war es eh falscher Alarm. Es konnte gar nichts anderes sein. Es durfte nicht anders sein. Lucy konnte sich jetzt nicht mit sowas befassen, sie musste an andere Dinge denken – die Schule, das Studium, das sie danach anfangen wollte, Natsu, ihr Vater…
 

Warum also darüber sprechen und die Pferde scheu machen?
 

Lucy schob den wiederkehrenden Gedanken beiseite und vergrub sich in ihre Schularbeiten. Sie fragte ein paar Lehrer nach Aufgaben für Extrapunkte, denn wenn sie schon den ganzen Tag über ihren Schulbüchern brütete, sollte es zumindest einen Nutzen haben. Außerdem kamen die Prüfungen näher und das nächste Jahr war ihr letztes. Es konnte nicht schaden, etwas mehr zu tun als üblich.
 

Zusätzliche Schularbeiten waren allerdings trotzdem das Langweiligste und Blödeste, mit dem man sich einsame Nachmittage und Abende vertreiben konnte, auch wenn ihre Lehrer erfreut darauf reagierten. Jude lobte sie ebenfalls und schon allein dafür hatte es sich gelohnt, sich all diese Extraarbeit aufzuhalsen.
 

Außerdem gab es ihr etwas zu tun. Es langweilte sie nun mal, auf Dauer fernzusehen oder sich auf ihrem Bett zusammenzurollen und zu lesen oder ihre Pflanzen zum hundertsten Mal darauf zu untersuchen, ob ihnen etwas fehlte. Was aber die Vor- und Nachteile der Globalisierung und deren Auswirkungen auf die fiorianische Politik nicht viel interessanter machte.
 

Ein scharfes Klopfen an der Tür ließ sie aufschrecken. „Ja?“
 

Jude streckte den Kopf zur Tür herein. „Störe ich?“ Ein vorsichtiges Lächeln schlich sich auf seine Züge. „Oder bist du immer noch sauer auf mich?“
 

Lucy legte ihren Stift auf das Heft. „Nein.“ Sie warf einen kurzen Blick auf ihre bisherige Arbeit. „Ich komme eh nicht weiter im Moment. Was gibt’s?“
 

Judes Lächeln wurde breiter, so dass sie die Erleichterung deutlich sehen konnte, und er schob sich durch die Tür. „Heute Abend ist die Eröffnung einer Galerie, die ich unterstütze. Möchtest du mich begleiten?“
 

Verdutzt starrte sie ihn an, hatte sie das gerade richtig gehört? Er wollte sie mitnehmen? Hatte sie nicht Hausarrest? Oder… Sie musterte kurz sein Gesicht, genauer diesmal. Auf jemanden, der Jude nicht gut kannte, wirkte ihr Vater stets beherrscht und unnahbar, jemand der sich und seine Emotionen unter Kontrolle hatte. Aber Lucy konnte die kleinen Ausdrücke auf seinen Zügen sehen, die kleinen Ausrutscher, die sich in seine Mimik schlichen.
 

Und er sah ehrlich so aus, als würde es ihm leidtun. Das war seine Art sich zu entschuldigen und zu sagen, dass die Strafe, die er verhängt hatte, ihm inzwischen auch zu schwer vorkam. Er würde sie niemals zurücknehmen, da er der Meinung war, dass es sich dabei um ein Zeichen von Schwäche handelte. Aber dass er jetzt so einknickte, war ein Eingeständnis dafür, dass er sich im Unrecht sah und seinen Fehler wiedergutmachen wollte, was bedeutete, dass er ihr in der nächsten Zeit mehr durchgehen lassen würde. Außerdem hatte sie von ihrer Mutter die Begeisterung für Kunst geerbt und auf solchen Veranstaltungen traf man jede Menge interessanter Leute.
 

„Ja!“, rief sie darum aus, als sie aufsprang und ihrem Vater um den Hals fiel. „Natürlich!“ Sie küsste ihn auf die Wange und stürzte an ihm vorbei. „Wann gehen wir? Ich muss mir noch was zum Anziehen suchen!“
 

Jude schmunzelte. „Nachher um sechs. Sei gerichtet. Ich muss mich jetzt leider noch um ein paar geschäftliche Dinge kümmern, wir sehen uns also nachher.“ Damit verschwand er wieder und Lucy angelte sofort nach ihrem Telefon, um Natsu eine Nachricht zu schicken. OMG, ich gehe auf die Galerieeröffnung!
 

Doch er schrieb ihr leider nicht sofort zurück, also verschwand sie in ihr Ankleidezimmer, damit sie nachher auch vorzeigbar war. Als sie ins Auto stieg, um es sich neben ihrem Vater auf den Sitzen bequem zu machen, trug sie ein nachtblaues Kleid mit schwingendem Rock und hatte sich das Haar zu einem seitlichen Chignon hochgebunden. Außerdem hatte sie die Kette abgelegt, die Natsu ihr geschenkt hatte und die wunderbar zu dem einfachen, aber eleganten Kleid passte.
 

Kurz vor acht zog die Limousine vor die umgebaute Lagerhalle, in der die Galerie untergebracht war. Neugierig warf Lucy einen Blick auf das alte Gebäude, dessen Exterieur beinahe im Original belassen worden war. Auf diese Weise bekam es einen fabrikartigen Touch, nur noch verstärkt durch das große Schild mit den Blockbuchstaben, auf dem Ainsworth & Sons stand.
 

Die langen Fenster, die hoch oben in den Wänden eingelassen worden waren, spiegelten das Sonnenlicht und die hohen Bäume, die die Straße säumten, warfen lange Schatten auf die Mauern. Die Lagerhalle hatte lange leer gestanden, während das Straßenbild um sie herum moderner und sauberer geworden war. Jetzt wurde die Galerie darin eröffnet, die Jude maßgeblich unterstützt hatte, nicht nur mit Geld. Natürlich konnte er der Veranstaltung nicht fern bleiben.
 

Das große Schiebetor stand einladend offen und gab den Blick frei auf einen großen Vorraum, in dessen Mitte ein großer Drache aus Metallresten stand, der in verschiedenen Blautönen lackiert worden war. Lucy schmunzelte bei dem Anblick; sie musste Natsu unbedingt ein Bild davon schicken. Kunstgalerien waren zwar nicht so sein Ding, aber es würde ihn freuen, das Werk seines Vaters an so einem Ort zu sehen.
 

Die Limousine kam sanft zum Stehen und kurz darauf wurde ihnen auch schon die Tür geöffnet. Jude stieg zuerst aus dem Auto und reichte ihr die Hand, um ihr beim Herausklettern zu helfen. Kühler Abendwind spielte mit ihren Haaren und sie fröstelte einen Moment. Abends war es noch kalt, obwohl die Tage so schön waren.
 

„Lass uns reingehen.“ Jude nickte kurz dem Chauffeur zu, der bereits wieder ins Auto gestiegen war und damit auf einen Parkplatz fahren würde, bis sie heimkehren wollten. Lucy schaute sich neugierig um, ließ den Blick über ein paar Ausstellungsstücke gleiten, die im Vorraum zu sehen waren, und erkannte altbekannte Gesichter, die sie auf solchen Veranstaltungen immer wieder traf. Allerdings war niemand dabei, bei dem sie das Bedürfnis verspürte, mit ihm sprechen zu wollen.
 

„Mr. Heartphilia!“ Die helle Stimme einer Frau riss ihre Aufmerksamkeit auf sich und kurz darauf entdeckte sie die Sprecherin auch schon, eine schlanke ältere Dame in einem eleganten Kostüm, die ihr grau durchschossenes Haar zu einem Knoten aufgesteckt hatte. Lucy erkannte sie vage als die Kuratorin, Mrs. Patterson, und erwiderte höflich die begeisterte Begrüßung.
 

„Miss Heartphilia, wie schön, Sie auch endlich mal richtig zu treffen. Ich hoffe, die Ausstellung wird Ihnen gefallen. Wir haben keine Mühen gescheut, aber ohne Ihren Vater wäre das alles nicht möglich gewesen.“, beteuerte die Frau ihr.
 

„Was ich bis jetzt gesehen habe, sieht toll aus.“, erklärte Lucy und blickte zu ihrem Vater hoch. „Ich schau mich mal ein wenig um, wenn das in Ordnung ist?“
 

„Geh nur.“, entließ Jude sie. „Ich weiß ein paar Stücke hier, die werden dir sicher gefallen.“
 

Sie verabschiedete sich mit einem Lächeln von den beiden, die sofort in ein geschäftliches Gespräch übergingen, und strebte auf das Gebäude zu. Ihre hochhackigen Schuhe waren unbequem, stellte sie nach ein paar Metern fest, das kam davon, wenn man sich sowas anzog, ohne sie vorher zuhause auszuprobieren. Aber da konnte sie jetzt nichts machen.
 

Das unangenehme Gefühl verdrängend ging sie zuerst auf den Drachen zu, ein wahrhaftig großartiges Stück mit weit geöffnetem Maul und aufgerichteten Flügeln. Er war höher als sie selbst und die Schwingen waren über dem Raum ausgebreitet wie ein Baldachin. Ihre Unterseite war dunkelblau eingefärbt und mit kleinen, goldenen Punkten bemalt – wie ein Sternenhimmel. Das musste eines von Igneels besten Stücken sein, kein Wunder, dass sie ihn hier als Blickfang aufgestellt hatten.
 

Lucy angelte ihr Handy aus der Clutch und machte ein paar Fotos, um zwei davon Natsu zu schicken – einmal der komplette Drache und einmal eine Nahaufnahme der Sternenflügel. Der reine Wahnsinn! ❤, schrieb sie dazu.
 

Danach ging sie tiefer in die Galerie, die hell und äußerst geschmackvoll war. Bilder hingen an den strategisch aufgestellten Wänden, dazwischen waren weitere Figuren auf kleinen Podesten aufgebaut, doch keine so großartig oder aufregend wie der Drache. Oder vielleicht war Lucy auch nur etwas voreingenommen.
 

Doch sie entdeckte tatsächlich ein paar Gemälde, die ihr außerordentlich gut gefielen, ganz wie ihr Vater versprochen hatte. Bei einem spielte sie sogar mit dem Gedanken, Jude dazu zu überreden, es zu kaufen. Es wäre eine schöne Ergänzung zu seiner bereits bestehenden Sammlung, wenn auch eine eher unbedeutende.
 

Sie war gerade in die Betrachtung eines ziemlich kitschigen Bildes mit ein paar Pferden vertieft, dessen Komposition einiges zu wünschen übrig ließ, als sich jemand neben ihr räusperte. „Oh, Entschuldigung.“ Sie wich zur Seite, dass der Neuankömmling das Gemälde besser betrachten konnte; es gefiel ihr sowieso nicht.
 

Doch als sie sich umdrehte, blickte sie in Makarovs freundliches Gesicht. Er war ein winziger Mann mit einem weißen Haarkranz um den ansonsten kahlen Schädel und einem ebenso weißen Schnauzer. Er trug einen einfachen, etwas altmodischen Anzug, der aber hervorragend zu ihm passte, und sein Lächeln war freundlich wie immer.
 

Vermutlich war er eingeladen worden, weil er einige Jahre im Stadtrat gesessen hatte und in Magnolia eine beliebte und bekannte Persönlichkeit darstellte, auf dessen Wort noch immer viel gegeben wurde. Jude und er waren nie sehr gut miteinander ausgekommen, da sie einfach zu verschieden waren, doch sie behandelten sich stets mit gegenseitigem Respekt.
 

Neben ihm stand eine junge Frau mit hüftlangem, weißem Haar, das ihr glatt über die schmalen Schultern fiel. Sie hatte große, braune Augen und aus dem Ausschnitt ihrer roten Bluse schauten die Ansätze einer Tätowierung. Außerdem hatte sie einen beachtlichen Babybauch. Durfte sie überhaupt noch arbeiten?
 

„Guten Abend, Lucy.“, begrüßte Makarov sie und lächelte zu ihr hoch. „Ich war nicht sicher, ob ich dich heute hier treffen würde.“
 

Lucy zuckte mit den Schultern. „Mein Vater hatte ein Einsehen mit mir. Ich bin sehr froh drum. Hast du Igneels Drachen schon gesehen?“ Die Begeisterung darüber sprach aus ihrer Stimme. Am besten vergaß sie dieses andere Bild und bat Jude darum, dass sie eigenen Drachen in Auftrag geben durfte. Aber er würde das nie tun, das wusste sie.
 

„Ist ja nicht zu übersehen.“, antwortete der alte Mann belustigt. „Er wird immer besser.“ Er wies mit einer kleinen Geste auf seine Begleiterin. „Das ist übrigens Haruka, einer der unermüdlichen Mitarbeiter, die das hier überhaupt möglich gemacht haben.“
 

Die junge Frau wurde rot und winkte ab. „S-so viel habe ich gar nicht getan und es hat mir viel Freude bereitet. Und sowieso wäre alles unmöglich ohne Ihren Vater, Miss Heartphilia. So ein großzügiger Mann!“
 

„Jaaaah…“, gestand Lucy. Haruka hatte nicht Unrecht – Jude hatte viele Fehler, aber geizig war er nie gewesen. Er mochte für unnötige Dinge kein Geld zum Fenster hinauswerfen, doch für Kunst und Förderung von Nachwuchstalenten in verschiedenen Bereichen hatte er immer Unterstützung übrig und jedes Jahr spendete er hunderttausende Jewel an mildtätige Zwecke.
 

„Er hat das hier alles möglich gemacht, uns das Geld gegeben, die Kontakte besorgt und als wir Ärger mit dem Verkäufer der Lagerhalle bekamen, war es sein Eingreifen, dem wir es zu verdanken haben, dass es doch noch glatt lief.“, schwärmte Haruka und tätschelte unbewusst ihren Bauch.
 

Lucy lächelte höflich und hielt eine spitze Bemerkung zurück. Es war wohl kaum angebracht, ihre eigene schmutzige Wäsche hierher auszuschütteln. Was zwischen Jude und ihr geschah, war letztendlich nur ihrer beider Sache. „Wie ist er auf euch aufmerksam geworden?“, erkundigte sie sich, um überhaupt etwas zu sagen. „Oder hat Mrs. Patterson ihn angesprochen?“
 

„Nein, sie wollte das allein wuchten. Zum Glück hat sie dann eingelenkt, sonst würden wir heute noch nicht hier stehen. Meine Mutter arbeitet für Ihren Vater und als die Sache mit dem Stipendium ins Laufen kam, kam irgendwie auch die Sprache auf die Galerie und er hat sich direkt bei Mrs. Patterson gemeldet.“
 

„Stipendium?“, wiederholte Lucy verwirrt. Sie kam sich ein wenig dumm vor – immerhin ging es hier um die Geschäfte ihres Vaters und sie hatte keine Ahnung, von was die Frau sprach. Vielleicht sollte sie doch mal zuhören, wenn Jude von seinem Arbeitstag erzählte, aber meistens war es ziemlich langweiliges Zeug.
 

„Für meinen Bruder, damit er an die Uni in Crocus gehen kann.“, erklärte Haruka. „Ansonsten könnte er sich das nicht leisten.“
 

„Oh…“, antwortete Lucy und blickte sich unwillkürlich nach ihrem Vater um, den sie schließlich mit der Kuratorin und zwei weiteren Männern in einiger Entfernung entdeckte. Dann ließ sie den Blick über die ausgestellten Bilder schweifen. „Sie haben hier ein paar wirklich beeindruckende Stücke gefunden.“, lenkte sie die Sprache auf ein anderes Thema. „Ein paar der Bilder haben mir außerordentlich gefallen, ich überlege gerade, ob ich meinen Vater beschwatzen soll.“
 

„Mrs. Patterson wird Ihnen bestimmt einen guten Preis machen!“, versicherte Haruka, doch ehe sie mehr sagen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit von einer älteren Dame in einem grauen Kostüm eingefordert, die neben einem wundervollen Stillleben stand und ihr energisch zuwinkte. Die junge Frau lächelte. „„Entschuldigt mich. Falls Sie eine Entscheidung treffen, können Sie sich gerne sofort an mich wenden.“ Lucy winkte ihr nach und sah zu, wie sie zu der Dame hinüberging.
 

„Das Stipendium läuft übrigens über die Layla-Heartphilia-Stiftung.“, erklärte Makarov ihr plötzlich.
 

„Was?!“, entfuhr es ihr heftiger als beabsichtigt und sie fühlte sich, als ob ihr jemand einen Schlag in den Magen versetzt hätte. Obwohl der Tod ihrer Mutter schon so lange zurücklag, nahm eine unerwartete Nennung von Layla ihr jedes Mal den Wind aus den Segeln.
 

Der alte Mann tätschelte ihr leicht den Arm. „Du magst dich nicht daran erinnern, aber deine Mutter hat so etwas öfter gemacht – benachteiligten Leuten zu einem Studium verholfen und dafür gesorgt, dass sie es auch schaffen. In einem Interview darüber erklärte dein Vater, dass er diese Tradition mit der Stiftung fortsetzen möchte.“
 

„Oh…“ Erneut wanderte ihr Blick zu ihrem Vater herüber, der in ein ernstes Gespräch vertieft zu sein schien. Ein warmes Gefühl durchflutete sie. Manchmal war er gar nicht so übel. Auch wenn er Hausarrest gab, aber der würde vorbeigehen.
 

Im Moment jedenfalls war sie mit sich und ihrem Vater im Reinen.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Als die dritte Woche auf das Ende zuging und ihre Periode immer noch nicht einsetzte, konnte sie die Augen nicht mehr verschließen. Sie musste sicher gehen. Sie konnte nicht länger im Ungewissen bleiben. Trotzdem brauchte sie zwei weitere Tage, ehe sie sich selbst dazu überredet hatte, endlich etwas zu tun. Dann konnte es nicht schnell genug gehen.
 

Also überredete sie ihren Chauffeur, einen freundlichen älteren Mann namens Glanville, sie erst einmal zur nächsten Drogerie zu fahren, anstatt direkt nach Hause, wie es ihm aufgetragen worden war. Jude würde es sicher nicht mitkriegen und sie bräuchte ein paar neue Blöcke, es würde ja nicht lange dauern… Glanville warf ihr einen leidenden Blick zu und ließ sich überreden, wie immer.
 

Er ergatterte einen Parkplatz nicht weit von dem Geschäft entfernt und sie huschte hinüber, um sich an den automatischen Glastüren vorbei zu ducken. Sie eilte erst in die Schreibwarenabteilung, um sich die erwähnten Schreiblöcke zu besorgen und nahm bei dieser Gelegenheit noch ein paar der teuren Aquarellfarben mit, die es hier gab. Schließlich führten sie ihre Schritte in eine ganz andere Richtung, um das zu besorgen, wofür sie eigentlich hier war.
 

Kurz darauf stand sie vor dem Regal, in dem sich Packungen um Packungen von Schwangerschaftstest aneinanderreihten. Sie hätte nie gedacht, dass es so viele verschiedene Arten davon gab! Und welchen zum Teufel sollte sie davon nehmen? Das machte ihr die Entscheidung nicht gerade einfacher, dabei sollte sie nicht zu viel Zeit mit Überlegen verbringen. Glanville wartete bereits auf sie und ein paar Schreibblöcke zu besorgen dauerte nun wirklich nicht so lange.
 

Nervös blickte sie sich um und spähte über ein paar Regale zum Fenster hinüber. Von hier konnte sie gut die Limousine sehen, mit der sie hergekommen war. Der Chauffeur stand an die Tür gelehnt und blickte gerade jetzt auf seine Uhr. Vielleicht fragte er sich, wo sie wohl blieb? Sie wollte ja eigentlich nur kurz ein paar Schreibutensilien holen…
 

Hastig wandte sie sich wieder ab und ging in die Hocke, nur zur Sicherheit, damit Glanville sie nicht sah. Das hier war eindeutig nicht die Schreibwarenabteilung. Zurück zum aktuellen Problem… Welcher von all diesen Schwangerschaftstests wäre wohl der beste?
 

Eine ältere Dame lenkte sie ab und sie rutschte zur Seite, um sie zuzulassen. Aber die Frau nahm sich ihre Zeit und warf ihr dabei einen abschätzigen Blick zu. Lucy wurde knallrot, starrte aber wütend zurück. Was ging die alte Hexe an, was Lucy hier tat?! Die konnte doch gar nicht wissen, ob sie den Test für sich selber holte oder für ihre … ihre ältere (imaginäre) Schwester. Außerdem sah Lucy sehr erwachsen aus! Die konnte sich ihre urteilenden Blicke sonst wohin stecken!
 

Ärgerlich griff sie einfach wahllos nach ein paar der Packungen und schaufelte sie in ihren Korb. Es konnte nicht schaden, den Test mehrmals zu machen, richtig? Vielleicht war einer davon … kaputt oder so. Bei so einer Sache konnte man nicht sicher genug gehen.
 

Dann stand sie energisch wieder aufstand und stapfte zur Kasse hinüber. Sollte jemand fragen, würde sie einfach behaupten, ihre Schwester bräuchte die. Aber niemand fragte sie und die Kassiererin blickte sie kaum an, als sie die kleinen Boxen über den Scanner zog. Lucy zahlte hastig, stopfte noch hastiger ihre Einkäufe – allen voran die Schwangerschaftstests – in eine Tüte und raste beinahe aus dem Laden.
 

Glanville wirkte erleichtert, als er sie kommen sah, vermutlich war er froh, endlich das machen zu können, was ihm sein Boss aufgetragen hatte. Lucy schnallte sich an und umklammerte dann so fest den Griff ihrer Tüte, als würde ihr Leben davon abhängen. Als würde sie von allein aufgehen und die Tests lustig tanzend herausspringen, wenn sie losließ. Der Gedanke war natürlich absurd, trotzdem brachte sie es nicht über sich, während der Fahrt den Griff zu lockern.
 

Jude war nicht zuhause, als sie ankamen, was Glanville und sie gleichermaßen erleichterte. Sie verabschiedete sich von ihrem Chauffeur und eilte auf ihre Zimmer. Dort brachte sie die Tüte ins Schlafzimmer, wagte aber noch nicht, sie auszupacken. Gleich würde sicher ein Hausmädchen auftauchen und ihr das Essen bringen. Sie konnte es sich nicht erlauben, mit den Tests erwischt zu werden, also nahm sie die Farben und die Blöcke aus der Tüte und versteckte diese unter dem Bett. Solange niemand kam und putzte – geschah nur mittwochs und heute war Freitag – würden sie dort unentdeckt bleiben.
 

Danach setzte sie sich an ihren Schreibtisch und begann mit dem Essay, das sie für die Geschichtslehrerin machen wollte. Sie unterbrach ihre Arbeit nur kurz, als das Hausmädchen mit dem Essen kam, und setzte sich danach wieder daran. Dann machte sie ihre Hausaufgaben und las zwei Kapitel in dem Buch weiter. Schließlich holte sie ihren Skizzenblock hervor und zeichnete ihr Mäppchen ab.
 

Sie musste schon seit etwa zwei Stunden aufs Klo.
 

Natürlich war ihr klar, dass sie die Sache vor sich herschob. Aber wenn sie es jetzt tat, gab es kein Zurück mehr. Was auch immer das Ergebnis des Tests war, es würde die Sache sehr real machen. Sie hatte … sie hatte einfach Angst. Was, wenn die Tests ihren Verdacht bestätigten? Wenn sie wirklich…
 

Sie unterbrach den Gedanken hastig und ihr Blick irrte zu dem Bild ihrer Mutter hinüber, das auf der Kommode unweit von ihr stand, gemeinsam mit einigen anderen Fotos – ihr Vater, das Hochzeitsbild ihrer Eltern, Natsu, Natsu und sie, ihre Freunde und sie, Loke und sie als kleine Kinder, Erza mit Gray und Natsu im Schwitzkasten, ihre Mutter…
 

Aber das Bild ihrer Mutter hatte immer den Ehrenplatz in der Mitte eingenommen, größer als die anderen und in einem schönen, antiken Rahmen. Darauf stand Layla in einem Rosengarten, umgeben von weißen und zartrosa Blüten, lachend und wunderschön. Es war nur wenige Monate vor ihrem Tod gemacht worden, damals, als sie noch nicht zu schwach war um zu gehen. Aber nachdem sie erfahren hatte, dass sie nicht mehr lange zu leben hatte. Trotzdem hatte sie so ohne Sorgen lachen können, befreit und losgelöst, mit funkelnden Augen und ihre gesamte Haltung drückte Freude aus.
 

Lucy vermisste sie so sehr, dass es noch immer weh tat, tief im Inneren, dass ihr die Tränen in die Augen schossen, dass es ihr die Luft nahm.
 

Was würde Layla ihr jetzt raten? Würde sie noch leben, müsste Lucy das nicht heimlich tun und ganz sicher auch nicht allein, weil ihre Mutter sie immer unterstützt hatte, immer für sie da gewesen war. Sie hatte ihr alles anvertrauen können. Layla hätte auch Natsu geliebt, nicht so wie Jude.
 

Oh, warum hatte es auch sie sein müssen, die starb?
 

Geschockt riss Lucy sich selbst aus dem Gedankengang. Wie konnte sie nur… Wie konnte sie nur so etwas denken?! Jude war, so viele Probleme sie im Moment auch miteinander hatten, ihr Vater. Sie wollte nicht wirklich, dass er starb. Sie wollte nur ihre Mutter zurück!
 

Lucy blinzelte mehrmals heftig, holte tief Luft und warf ihren Stift weg, um energisch aufzustehen. Es hatte keinen Sinn, die Sache noch weiter aufzuschieben. Sie schaute kurz auf den Flur, um zu sehen, ob sich ihr jemand näherte (auch wenn es unsinnig war – niemand würde je ohne zu Klopfen in ihre Zimmer kommen), holte ihr Tüte unter dem Bett hervor und verschwand im Bad.
 

Sorgfältig reihte sie alle ihre Schwangerschaftstests auf der Ablage auf. Welchen sollte sie machen? Sie packte wahllos einen aus und las sich die Beilage durch, ehe sie mit den anderen ebenso verfuhr. Dann zuckte sie mit den Schultern und nahm alle mit zur Toilette hinüber. Wenn sie sie schon hatte, konnte sie sie auch benutzen. Sie musste sie nachher sowieso alle verschwinden lassen, ohne dass jemand etwas davon mitbekam. Und so würde sie wenigstens Gewissheit haben.
 

Ein halbe Stunde später, nachdem sie sie alle genutzt hatte und nachdem sie sich erneut Mut zugesprochen hatte, stand sie wieder am Waschbecken, den Blick krampfhaft von den kleinen Anzeigetafeln abgewandt. Eigentlich wollte sie das gar nicht wissen. Eigentlich wollte sie sie einfach alle nehmen und wegschmeißen. Eigentlich wollte sie, dass alles so blieb, wie es war.
 

Sie starrte auf ihr Spiegelbild und erkannte sich kaum wieder – weit aufgerissene Augen, die riesig in ihrem blassen Gesicht wirkten, ihr blondes Haar unordentlich und zerzaust, ein Fleck auf ihrem T-Shirt, wo kam der denn her…? Ein Geräusch entschlüpfte ihren Lippen, etwas zwischen hysterischem Lachen und ersticktem Schluchzen und aus den Augenwinkeln konnte sie die Tests sehen, die sie auf dem Waschbecken aufgereiht hatte.
 

Es half alles nichts.
 

Sie hielt den Atem an, als sich endlich den kleinen Plastikstäbchen zuwandte und eines davon mit zitternden Fingern hochhielt, und stieß ihn dann mit einem unterdrückten Schluchzen wieder aus. Dumpf starrte sie die beiden unschuldigen kleinen Striche an, die sich in dem Fenster zeigten.
 

Positiv.
 

Lucy schloss die Augen und holte tief Luft. Sie würde jetzt nicht emotional werden. Und vielleicht war der falsch! Sie hatte im Internet gelesen, dass das möglich war. Selten nur, aber immerhin manchmal! Noch war nicht alle Hoffnung verloren…
 

Sie blickte auf die anderen Tests, die alle unschuldig ihre Ergebnisse anzeigten. Positiv. Positiv. Positiv. Positiv. Einer konnte falsch sein. Zwei vielleicht auch. Aber fünf?! Nein, das konnte sie nicht mehr ignorieren. Reglos starrte Lucy auf die Stäbchen mit ihren zwei unschuldigen Strichen hinunter. Jetzt musste sie der Wahrheit ins Gesicht sehen und sich eingestehen, dass ihre schlimmste Befürchtung eingetreten war.
 

Sie war schwanger.
 

Was nun?

4. Kapitel, in dem viel besprochen wird

Der Kiesel kam mit einem leisen, klirrenden Geräusch auf der Scheibe auf. Es war schon lange dunkel und das einzige Licht drang von den Straßenlaternen herüber. So konnte sie genug sehen, auch wenn sie beinahe über einen Blumentopf gestolpert wäre, die am Rand des Weges standen, der zur Haustür führte.
 

Der Himmel war verhangen von Wolken, so dass man kaum ein paar Sterne sehen konnte, geschweige denn den Mond. Die Fenster des gemütlichen Hauses mit dem schönen Vorgarten waren alle dunkel und geschlossen, also hatte sie Kiesel vom Weg genommen um sie als Geschosse zu verwenden in der Hoffnung, niemand als Erza damit zu wecken. Aber Makarov hatte einen tiefen Schlaf und sein Enkel Laxus besuchte die Uni und wohnte im Wohnheim am anderen Ende der Stadt, weswegen er höchstens noch am Wochenende Zuhause war.
 

Lucy verfluchte sich, nicht an ihr Handy gedacht zu haben. Sie war überstürzt aufgebrochen und hatte sich nur ihre Handtasche geschnappt, in der das Smartphone natürlich schon lange nicht mehr war. Stattdessen hatte sie eines der Autos genommen, die selten benutzt in der Garage standen, und war hergefahren. Die Wächter am Tor zu überzeugen, sie durchzulassen und nicht ihren Vater zu verständigen, war eh schon schwer genug gewesen – aber sie musste einen so kläglichen Eindruck gemacht haben, dass man sie durchgelassen hatte.
 

Sie versuchte es mit einem zweiten und gleich danach mit einem dritten Stein, aber erneut rührte sich nichts. Seit wann hatte Erza einen so tiefen Schlaf? Bei jeglichen Pyjamapartys war sie stets bei dem kleinsten Geräusch aufgewacht. Vielleicht waren die Kiesel zu leicht und damit zu leise und sie sollte es mit etwas Größerem versuchen?
 

Doch ehe sie zu einem Entschluss kam, ging das kleine Licht einer Nachttischlampe an und dann wurde energisch das Fenster aufgerissen. Erzas rothaariger Kopf erschien in der Öffnung, sie beugte sich heraus und bellte: „Wenn ihr zwei Idio…!“ Ihre Stimme brach ab, als sie die ängstlich zusammengeschrumpfte Gestalt im Vorgarten erkannte. Lucy hätte nicht gedacht, dass die andere gleich so aus der Haut fahren würde…!
 

Tatsächlich hatte sie gar nicht viel gedacht, nachdem sie den Rest des Tages und den Abend in einem Panikmodus verbracht hatte. Nur dass sie mit jemandem sprechen musste, mit jemandem, der einen kühlen Kopf behalten konnte, egal was geschah. Natsu jedenfalls war das nicht. Außerdem war sie allein bei dem Gedanken daran, jetzt ihren Freund aufzusuchen, beinahe in Panik ausgebrochen. Gray wirkte zwar meistens sehr besonnen und nüchtern, aber bei solchen Themen wurde er sehr schnell nervös. Und Loke fiel eh weg, weil sie nicht an ihn rankam und am Telefon wollte sie das auch nicht besprechen.
 

Aber Erza…

Ihr erster Instinkt hatte sie an Erza denken lassen, also war sie jetzt hier. Außerdem war sie ebenfalls ein Mädchen. Wer wäre also besser?
 

„Lucy?“ Jetzt klang die Rothaarige verwirrt. „Du bist das? Ich dachte, du wärest Gray und Natsu. Die haben das schon einmal gemacht, nur um mich zu ärgern.“ Sie zog ein finsteres Gesicht, was die beiden besagten Jungs sofort in die Flucht geschlagen hätte, wären sie hier. „Aber was machst du hier? Ich dachte, du hast Hausarrest.“
 

„Hab ich auch.“, antwortete Lucy und Erza runzelte besorgt die Stirn: „Ist etwas passiert?“ Ihr Ton war so fürsorglich und mütterlich, dass Lucy sie für einen Moment einfach nur anstarrte und dann in Tränen ausbrach.
 

Die Rothaarige zuckte erschrocken zurück. „Wa…! Lucy!“ Dann verschwand sie hastig vom Fenster und nur wenige Augenblicke später wurde die Tür aufgerissen. Sie stürzte heraus, um ihre Freundin in eine ungestüme Umarmung zu ziehen, die so heftig war, dass Lucy die Luft aus den Lungen gedrückt wurde. „Nicht weinen.“ Linkisch tätschelte Erza ihren Kopf. „Was auch immer es ist, wir werden es schon wieder richten!“
 

Die Worte und Gesten ließen Lucy nur noch schlimmer weinen und sie schluchzte laut auf.
 

„Hat es was mit deinem Vater zu tun? Wenn ja, dann werde ich mal ein Wörtchen mit ihm reden.“ Erza ballte die Hand zur Faust und machte Anstalten, sich jetzt sofort auf dem Weg zu machen. Das Bild, wie ihre hochgewachsene Freundin sich vor ihrem Vater aufbaute und ihm drohte, am besten nur in diesem alten Nirvana-Shirt, in dem sie schlief, ließ Lucy auflachen, was als seltsames, ersticktes Geräusch über ihre Lippen drang.
 

„Nur indirekt.“, sagte sie und nahm Erzas Hand, nur zur Sicherheit, nicht dass diese tatsächlich auf die Idee kam, jetzt mit Jude zu sprechen. Das würde alles nur noch schlimmer machen, außerdem hatte er ja wirklich nichts getan. Noch nicht. „Ich… können wir reingehen?“ Lucy versuchte, sich die Tränen wegzuwischen, aber sie wollten nicht aufhören. Warum war sie nur so emotional? Waren das schon die Schwangerschaftshormone?
 

Erza nickte und schlang einen Arm um ihre Schultern, um sie in das Haus zu führen. Leise schlichen die beiden Mädchen die knarrende Treppe hinauf in Erzas Zimmer, doch nichts weiter rührte sich. Anscheinend hatte Makarov nichts von dem nächtlichen Besuch mitbekommen und so sehr Lucy den herzlichen, alten Mann auch mochte, sie hätte es nicht ertragen, wenn er jetzt auch aufgetaucht wäre.
 

Erzas Reich war blitzblank aufgeräumt und alles befand sich genau dort, wo es hingehörte, auch wenn Erzas Ordnung manchmal keinen Sinn machte. In der Ecke stand ein zerwühltes Einzelbett, gegenüber der einzige Ort im Zimmer, auf dem es aussah wie Kraut und Rüben, der Schreibtisch mit einem Computer darauf sowie Schulbüchern und die Anfänge von mehreren Hausaufgaben. Die Regale vor den Wänden daneben waren vollgestopft mit Büchern, alphabetisch geordnet, und vor dem Kleiderschrank mit der antiken Kommode daneben stand ein einfacher Stuhl, auf dem die Kleidung vom letzten Tag abgelegt worden war.
 

Erza bugsierte ihre Freundin in das Sofa, das in der Ecke unter dem Fenster stand. Sie ließ sich neben Lucy in die Polster fallen, blickte diese auffordernd an und fragte: „Was ist passiert?“ Dabei ließ sie ihre Hände nicht einen Moment los.
 

Lucy erwiderte den aufmunternden Griff und holte tief Luft, um sich zu erklären. Dann hielt sie inne. Wie sollte sie das denn sagen? Sie konnte doch nicht einfach so damit herausplatzen! Selbst Erza würde diese Nachricht von den Socken hauen. Warum hatte sie sich das nicht früher überlegt? Ihre Gedanken überschlugen sich auf der Suche nach den richtigen Worten.
 

„Ja?“, hakte die Rothaarige nach, als das Schweigen sich zu sehr in die Länge zog, und sah sehr, sehr aufmerksam aus.
 

Lucy wurde unter dem Blick rot. „Also…“ Sie holte noch einmal tief Luft und begann dann: „Weißt du noch, warum ich Hausarrest bekommen habe?“ Das war doch eine gute Stelle, um anzufangen!
 

Erza nickte. „Weil du bei Natsu warst und mit ihm…“ Sie machte eine nebulöse Bewegung mit der rechten Hand, die alles bedeuten konnte, aber Lucy nickte trotzdem. „Mein Vater weiß nicht, dass Natsu und ich miteinander geschlafen haben und das sollte auch so bleiben, aber… ich … ich bin“ Raus damit! Du kannst das!, feuerte sie sich selbst an. So schwer durfte das doch gar nicht sein.
 

Das war Erza, ihre beste Freundin, die sie immer unterstützt hatte. Das war nicht ihr Vater und nicht einmal Natsu und oh Gott, sie musste es Natsu auch noch sagen und warum war ihr erster Instinkt gewesen, zu Erza zu fahren, und nicht zu ihm und Erza wartete noch darauf, dass sie den Satz beendete und-
 

„-schwanger.“, brach es aus ihre heraus.
 

Die Rothaarige öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch kein Ton drang heraus. Lucy blinzelte. Dass sie das noch erleben durfte! Erza Scarlet! Sprachlos!
 

„Und ich weiß jetzt nicht, was ich tun soll.“, fuhr sie darum fort um die unangenehme Stille zu vertreiben. „Ich meine, mein Vater darf niemals erfahren, dass Natsu und ich Sex hatten, er will sowieso schon, dass ich mit ihm Schluss mache und ich bin erst siebzehn, ich kann jetzt kein Kind bekommen. Ich hab ja noch nicht mal die Schule fertig und wie wird das mit dem Studium und mein Vater wird ausrasten und ich wünschte, meine Mutter würde noch leben.“
 

„Bist du sicher?“, fragte Erza nach.
 

Für einen Moment war Lucy verwirrt – natürlich war sie sicher, dass sie wollte, dass Layla noch lebte! –, ehe sie begriff, dass ihre Freundin noch immer bei ihrer eröffnenden Aussage hing und den darauffolgenden Redeschwall höchstens am Rande mitgekriegt hatte.
 

„Ich habe fünf Tests gemacht.“, erklärte sie. „Sie waren alle positiv.“ Sie zuckte mit den Schultern und versuchte, die erneuten Tränen herunterzuschlucken, aber es hatte keinen Sinn. Sie brachen einfach aus ihr heraus und ließen ihre Stimme klein und kläglich klingen. „Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll.“
 

Diesmal antwortete Erza sofort, indem sie sie erneut in die Arme nahm und sie an sich zog. „Du beruhigst dich erst einmal. Eine Schwangerschaft ist kein Weltuntergang.“
 

„Aber nahe dran.“, antwortete Lucy missvergnügt und erwiderte die Umarmung. Erzas Haare rochen nach Erdbeershampoo und der vertraute Duft beruhigte sie. Sie wusste, dass ihre Freundin Recht hatte. Schon jetzt fühlte sie sich viel besser als noch am Abend oder gar vor einer Stunde. Und sehr viel ruhiger; sie konnte jetzt sogar wieder halbwegs vernünftig denken ohne nach zwei Sekunden wieder auf Oh mein Gott, ich bin schwanger! zurückzufallen.
 

Es dauerte eine Weile, ehe sie es schaffte, sich von Erza zu lösen, die ihr die ganze Zeit geduldig über das Haar strich. Dankbar nahm sie das Taschentuch an, das die Rothaarige ihr reichte und verbrachte einige Augenblicke damit, sich wieder zu beruhigen.
 

Schließlich nickte Erza und erklärte: „Morgen machst du für Montag einen Termin bei deinem Frauenarzt. Hast du Natsu schon davon erzählt?“
 

Lucy schüttelte den Kopf. „Ich habe es selbst erst vorhin rausgefunden. Oder bestätigt.“ Geahnt hatte sie es ja schon länger… Sie seufzte und lehnte sich in die Kissen zurück. „Mein Vater wird mich umbringen.“
 

„Nein, das wird er nicht.“, widersprach ihre Freundin sofort und stützte die Hände in die Hüften. „Er muss nicht einmal was davon erfahren, wenn du es nicht willst. Du hast Möglichkeiten.“
 

Lucy setzte sich wieder gerade hin und starrte sie an. Wie sollte sie das denn machen? Selbst Jude würde begreifen, was los war, wenn sie plötzlich einen dicken Bauch bekam. Dann dämmerte ihr, auf was ihre Freundin da anspielte. „Oh.“, machte sie und blickte auf ihre Hände hinunter, die in ihrem Schoß lagen. Unwillkürlich legte sie sie sich flach auf den Bauch. Dann zuckte sie unsicher mit den Schultern. „Das … ich weiß nicht, ob ich das kann.“
 

„Musst du auch nicht. Aber du darfst nicht vergessen, dass es eine Möglichkeit ist. Die eine, bei der dein Vater es nicht erfährt. Auf der anderen Seite ist es vielleicht gut, wenn ihr zwei euch mal aussprecht.“ Erza rutschte näher zu ihr heran und legte ihr einen tröstenden Arm um die Schultern. „Was auch immer du tust, du musst es nicht jetzt entscheiden. Lass dich von deinem Arzt beraten und sprich vor allem mit Natsu!“
 

Lucy ließ sich gegen sie sinken und nickte. Sie starrte auf ihre verschränkten Hände, die noch immer in einer schützenden Geste über ihrem Bauch lagen. Stellte sie sich etwa schon darauf ein? Wenn sie jetzt schon so emotional war, wie konnte sie eine vernünftige Entscheidung treffen? Aber Erza hatte Recht. Sie musste jetzt noch gar nicht wissen, was sie tun würde. Sie konnte sich beruhigen und ihre Entscheidung mit einem kühlen Kopf treffen.
 

Und sie musste es noch Natsu erzählen. Hatte er nicht auch ein Mitsprachrecht? War es nicht auch sein… Oh Gott, es war auch sein Kind und ihr Kind und wenn er es wollte und sie nicht? Es war auch seine Entscheidung, immerhin hatten sie das gemeinsam verbockt und … und wenn…
 

Sie holte tief Luft. Natsu würde sie nie zu etwas zwingen, was sie nicht wollte. Natsu war der beste und mitfühlendste Freund, den es gab, auch wenn er manchmal auf dem Schlauch stand.
 

„Besser?“, wollte die Rothaarige nach einigen schweigenden Minuten wissen und Lucy nickte.
 

„Ja.“, erklärte sie. „Danke.“ Sie wollte diesen gemütlichen Ort, an dem sie sich sicher und geborgen fühlte, nicht verlassen, aber sie wusste, dass sie nicht ewig hier blieben konnte. „Ich sollte heim. Ansonsten findet mein Vater heraus, dass ich weg war und dann krieg nicht nur ich Ärger.“ Mühsam kämpfte sie sich aus dem Sofa hoch und auch Erza erhob sich.
 

„Du weißt, dass du auf mich zählen kannst, ganz egal, wie du entscheidest, nicht wahr?“, versicherte sie und ihre Stimme klang todernst.
 

Lucy umarmte sie dankbar. „Ich weiß. Danke.“ Was würde sie nur ohne ihre beste Freundin tun? Sie schnappte ihre Handtasche, die sie an der Tür hatte fallen lassen, und griff nach der Türklinke.
 

Die Stimme ihrer Freundin ließ sie innehalten. „Du, Lucy…?“
 

Sie drehte sich um. „Ja?“
 

Erzas Augen funkelten und ihr hoffnungsvolles Grinsen sprengte beinahe ihr Gesicht. „Ich will die Patin sein.“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Doktor Marvell hatte ihre Praxis in der Innenstadt und darum ging Lucy von der Schule aus zu Fuß ohne vorher zu versuchen, Glanville zu einem weiteren Umweg zu überreden. Das erste Mal hatte funktioniert und es hatte keine weiteren Auswirkungen gehabt, weil Jude nicht darüber Bescheid wusste, aber ein zweites Mal hätte der Chauffeur ganz sicher nicht ein weiteres Mal mitgespielt und daher würde sie das nicht riskieren.
 

Vor allem nicht, da dieser Termin so wichtig für sie war.
 

Sie hatte Erzas Rat befolgt und gleich am Freitag einen Termin gemacht. Jetzt war Donnerstag, in dem die Sprechstundenhilfe sie noch hatte hineinquetschen können, nachdem sie am Telefon vor lauter Nervosität in Tränen ausgebrochen war. Trotzdem über eine Woche nach ihrer Entdeckung und vier Wochen nach der … Empfängnis.
 

Vermutlich wäre es besser gewesen, einfach den Termin zu nehmen, den die Arzthelferin ihr zuerst hatte geben wollen, dann wäre ihr Hausarrest auch vorbei, aber sie wollte das so schnell wie möglich hinter sich bringen. Wie konnte sie noch ein weiteres Wochenende warten? Sie musste Gewissheit haben, alles andere würde sie nur die Wände hochtreiben.
 

Außerdem hatte sie beschlossen, erst mit Natsu zu sprechen, wenn sie ihn vor vollendete Tatsachen stellen konnte und sie definitiv einen Braten in der Röhre hatte. Immerhin maß so ein Schwangerschaftstest nur die HCG-Werte und eine Erhöhung eben dieser konnte noch andere Gründe haben als ein Embryo. Auch wenn das sehr unwahrscheinlich war und sie sich keine großen Hoffnungen machte. Außerdem würde das bedeuten, dass sie krank war und das war auch nicht gerade eine gute Nachricht.
 

Die Arzthelferin lächelte sie freundlich an, als sie sie empfing, und wies sie dann an, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Lucy schnappte sich eine der herumliegenden Illustrierten und setzte sich in eine Ecke. Sie schaffte es allerdings nicht, sich auf die Zeitschrift zu konzentrieren, sondern ließ immer wieder nervös den Blick durch den Raum gleiten.
 

Außer ihr waren noch eine hochschwangere Frau mit einem quengelnden Kind und zwei junge Mädchen, die nur ein paar Jahre älter sein konnten als die Blonde und ständig kichernd die Köpfe zusammensteckten, anwesend. Sie warfen Lucy einen kurzen Blick zu und wandten sich dann wieder ihrem Gespräch zu. Die Frau beachtete sie gar nicht, zu sehr war sie mit dem Kind beschäftigt, das sich immer mehr einem Tobsuchtanfall näherte.
 

Würde das auch auf Lucy zukommen? Oh Gott…
 

Nervös rieb sie sich die Hände und erinnerte sich wieder daran, dass man ihr nicht ansah, warum sie hier war. Sie bereute es jetzt schon, Erzas hilfsbereites Angebot ausgeschlagen zu haben, sie zu dem Termin zu begleiten. Sie wusste gar nicht mehr, wo dieser fehlgeleitete Wunsch, das alles alleine zu stemmen, hergekommen war oder was sie als Argumentation dafür angebracht hatte. Aber Erzas selbstbewusste, klare Art würden ihr jetzt ganz sicher helfen.
 

Als sie endlich aufgerufen wurde, hatte sie eine gefühlte Ewigkeit gewartet, gefühlte tausend Kicheranfälle der beiden jungen Frauen und den tatsächlich gekommenen Tobsuchtanfall des Kindes, der ihr fast die Trommelfelle gesprengt hatte, überlebt und war nebenbei in dem Gefühl eingegangen, dass alle Anwesenden sie für diese voreilige Schwangerschaft scharf verurteilten. Sie sprang so schnell auf, dass sie beinahe ihren Stuhl umstieß, so eilig hatte sie es, hier wegzukommen.
 

Dr. Marvell war eine hübsche, stets herzliche Ärztin, nur wenige Jahre älter als Lucy selbst, mit schneeweißem Haar und einem freundlichen, offenen Gesicht, das von den intelligenten, braunen Augen dominiert wurde. Sie war schlank und zierlich, aber ihre energischen Bewegungen versprachen erstaunliche Kraft. Außerdem hielt sie sich mit einem natürlichen Selbstbewusstsein und strahlte innerer Ruhe aus wie man sich das von einem buddhistischen Mönch vorstellte.
 

Lucy kannte sie schon eine Weile, nicht erst, seit sie eine Gynäkologin brauchte. Dr. Marvell – oder Grandine, wie sie sie kennen gelernt hatte – war eine von den Leuten gewesen, denen Layla ein Studium ermöglicht hatte. Und wie viele dieser Leute war Grandine auch mit ihrer Gönnerin in Kontakt geblieben und die beiden hatten sich angefreundet. Dementsprechend war Dr. Marvell ein wenig wie eine entfernte Cousine für Lucy.
 

Sie lächelte Lucy entgegen, als diese eintrat und die Tür hinter sich schloss. „Lucy. Was kann ich für dich tun? Du warst doch erst vor zwei Monaten hier?“ Dr. Marvells dunkle Stimme klang besorgt, aber ihr Händedruck war fest und warm wie immer.
 

Lucy ließ sich in den Stuhl ihr gegenüber fallen und rieb sich wieder die Hände. Kurz zuckte ihr Blick über das Büro, die bunten Kinderbilder an den Wänden, das Regal voller Fachliteratur, die Orchideen auf der Fensterbank. Es hatte wohl keinen Sinn, es länger hinauszuzögern und schwerer als das erste Mal konnte es kaum sein.
 

„Naja.“, begann sie verlegen und ihre Stimme klang seltsam piepsig. Sie räusperte sich, ehe sie fortfuhr: „Es ist so. Ich weiß, also, ich meine, ich denke,“ Dr. Marvell legte fragend und mit einem freundlichen Lächeln den Kopf schief und Lucy gab sich einen Ruck. „ich bin schwanger.“
 

Die Ärztin blinzelte einmal. Dann nickte sie, als wäre es jeden Tag, dass sie Schülerinnen hier hatte, die aus diesem Grund zu ihr kamen. Vielleicht war es auch so, wer wusste das schon? Aber es waren ganz sicher keine Schülerinnen, die sie persönlich kannte. Vielleicht war es eine dumme Idee gewesen, ausgerechnet zu ihr zu gehen. „Und du bist jetzt zur Kontrolle hier.“, vermutete die Ärztin und ihre Stimme klang neutral.
 

Lucy nickte. „Und… ich weiß nicht. Wie das so läuft, meine ich. Wegen Beratung und so, weil ich noch so jung bin und zur Schule gehe und was für Möglichkeiten ich habe.“ Plötzlich fiel ihr etwas siedend heiß ein. „Du wirst meinen Vater nicht benachrichtigen, oder?“
 

Die Ärztin schüttelte den Kopf und ihr Gesichtsausdruck war ernst, aber nicht unfreundlich oder gar verächtlich. „Natürlich nicht. Das hier ist vertraulich. Du bist meine Patientin.“ Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und klopfte mit dem Stift auf den Tisch. „Du bist ein vernünftiges, kluges Mädchen, Lucy. Du hast dir sicher schon deine eigenen Gedanken gemacht und weißt, wie ernst das ist und was für eine Verantwortung auf dich zukommen kann. Und ich weiß, dass dein Vater nicht begeistert davon wäre.“
 

Lucy nickte und biss sich auf die Lippe. Das war noch untertrieben gesagt. Jude würde an die Decke gehen. Sie war plötzlich froh, dass sie ihre Ärztin schon so gut kannte, auch wenn es zu Beginn ein seltsames Gefühl gewesen war, sich ausgerechnet an dieser Stelle von jemanden untersuchen zu lassen, den sie kannte. Aber Layla war während ihrer letzten fünf Jahre auch zu Grandine gegangen und hatte ihre Tochter einfach dorthin mitgenommen. Jetzt war sie unendlich erfreut darüber.
 

„Du hast drei Möglichkeiten.“, fuhr die Ärztin fort. „Die erste wäre, den Fötus abzutreiben. Auch das können wir vertraulich machen und niemand außer dir muss in diesem Falle etwas davon erfahren.“
 

Lucy nickte. Während der letzten Woche hatte sie viel nachgedacht und viel gegoogelt – und danach jedes Mal ihre Internethistorie gelöscht. Sie glaubte zwar nicht, dass ihr Vater so weit gehen und das überprüfen würde, aber sicher war sicher. Als Erza bei ihrem nächtlichen Gespräch Abtreibung als Möglichkeit erwähnt hatte, hatte Lucy sie spontan ablehnen und verwerfen wollen.
 

Das war dumm, das wusste sie, war es doch der beste Weg, die Sache einfach zu erledigen, hinter sich zu lassen und zu vergessen. Sie würde keinen Streit mit ihrem Vater kriegen und auch keinen mit Natsu, dem sie davon noch nicht einmal erzählen musste. Auch wenn letzteres äußerst unfair ihm gegenüber gewesen wäre. Er hatte ein Mitspracherecht, er war beteiligt gewesen und jetzt hatte er ein Recht, davon zu wissen.
 

Sowieso sträubte sich alles in ihr gegen eine Abtreibung. Das war ein legitimes Mittel für Frauen, die in schlimmeren Situationen steckten wie sie oder einfach besser mit dem Thema zurecht kamen. Aber sie haderte einfach damit.
 

„Die zweite Möglichkeit ist, das Kind auszutragen und es zur Adoption freizugeben. Babys werden meistens sehr schnell in eine Familie untergebracht. Vermutlich würde sich schon jemand finden, ehe es überhaupt geboren wird. Alle Kandidaten werden vorher natürlich auf das Genaueste überprüft; du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass das Kind schlechte Eltern bekommen könnte.“, fuhr Dr. Marvell fort. „Und die letzte Möglichkeit besteht natürlich daran, dass du das Kind bekommen und behalten kannst.“
 

Lucy nickte erneut. Zu diesem Punkt war sie auch schon gekommen. Eine offensichtliche Lösung für ihr Dilemma hatte sich ihr allerdings nicht geboten. Immerhin hing das vor allem mit Jude zusammen. Aber es tat gut, ihre Möglichkeiten jetzt so klar aufgezählt zu bekommen und vor sich zu sehen.
 

„Weißt du, wie weit du schon bist?“
 

Die Blondine wurde rot allein bei dem Gedanken daran. „Ist am dritten Mai passiert.“
 

Die Ärztin nickte. „Dann bist du noch in der fünften Woche. Ich muss dir sagen, dass es bis zur zwölften Woche natürlich noch die Gefahr eines Schwangerschaftsabganges gibt.“
 

Lucy wurde blass. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dafür?“
 

„Fünfzehn bis zwanzig Prozent. Das klingt sehr niedrig, ist es aber nicht.“ Dr. Marvell beobachtete sie genau. „Ich will dir jetzt keine Angst machen oder dich etwas drängen. Du musst dich jetzt absolut noch nicht entscheiden. Du hast noch Zeit. Überleg es dir gut, rede mit deinen Freunden und vor allem dem Vater darüber und lass dir das gut durch den Kopf gehen. Diese Entscheidung kann dein Leben verändern, mehr als du jetzt denkst. Aber denke daran, dass du nicht allein bist und diesen Entschluss auch nicht alleine treffen musst.“, schloss sie mit einem aufmunternden Lächeln. Dann drehte sie sich um, um aus einem Regal einige Broschüren zu nehmen: Hilfe, ich bin schwanger!, Junge Mütter, Schwangerschaftsabbruch und ähnliche Titel. „Hier. Du hast dich vermutlich schon informiert, aber vielleicht hilft dir das trotzdem.“
 

Sie legte den Stapel vor dem jungen Mädchen auf den Tisch und hielt ihr dann eine schlichte, weiße Visitenkarte entgegen. „Außerdem solltest du zu dieser Beratungsstelle gehen. Ich kenne die Leute dort gut, sie sind professionell und kompetent und werden dich umfassend beraten, ohne dich in eine Richtung drängen zu wollen. Sie können dir auch offizielle Hilfe bei Ämtern, der Schule und ähnlichen Stellen geben, falls du dich entschließt, das Kind zu behalten und dir jemand Knüppel in den Weg werfen will.“
 

Lucy nahm die Visitenkarte dankend entgegen. Sie starrte sie für einen Moment an, dann nickte sie und schob die kleine Karte sorgfältig in ihren Geldbeutel, versteckt hinter dem Foto von Natsu, das sie dort trug. Dort würde sie auf jeden Fall hingehen. „Danke.“
 

Dr. Marvell nickte und stand dann auf. „Dann sollten wir jetzt die erste Untersuchung durchführen, oder? Anschließend nehme ich dich ein wenig ins Kreuzverhör und du kannst natürlich auch alle Fragen stellen, die dir einfallen.“ Damit führte sie Lucy in den Behandlungsraum hinüber.

5. Kapitel, in dem Natsu auch endlich mitreden darf (oder so ähnlich)

Um es hinter sich zu bringen, war Lucy gleich im Anschluss zu dem Termin bei Dr. Marvell – der gezeigt hatte, ja, sie war definitiv schwanger, es gab keinen Zweifel mehr; ihre Welt würde untergehen – zu der Beratungsstelle hinübermarschiert. Wenn sie schon einmal Ärger mit ihrem Vater bekam, dann spielte es keine Rolle, wie lange sie wegblieb. Sie hätte allerdings nicht gedacht, dass es ganz so lange dauern würde.
 

Aber erstmal musste sie darum kämpfen, überhaupt sofort dranzukommen, ohne eine Woche auf einen Termin warten zu müssen. Die Tatsache, dass sie um ihre Fassung rang und beinahe an Ort und Stelle erneut in Tränen ausbrach, erweichte das Herz der Sekretärin so sehr, dass sie eine Beraterin anrief. Die kam auch gleich vorbei und stimmte nach einem Blick auf Lucy zu, gleich mit ihr zu sprechen.
 

Lucy war es peinlich, schon wieder auf diese Art an einen Termin zu kommen; sie wollte weder manipulativ noch so jämmerlich sein. Wo kamen diese Tränen eigentlich so plötzlich her? Sie war schon nah am Wasser gebaut, das wusste sie selbst, aber doch nicht so nah!
 

Zumindest schaffte sie es, sich während des Gesprächs am Riemen zu reißen und brauchte währenddessen keine Taschentücher. Man musste die Siege nehmen, wie sie waren, selbst wenn es nur kleine Siege waren.
 

Die Beraterin war sehr freundlich und mitfühlend und breitete vor ihr aus, was sie für Möglichkeiten hatte und was bei jeder einzelnen auf sie zukam. Doch im Grunde war es auch nichts anderes als das, was Grandine ihr bereits erklärt und sie sich selbst auch schon gedacht hatte. Wenigstens erfuhr sie, dass es diverse Mittel und Gelder gab, die sie bekommen konnte, falls sie das Kind behalten wollte und alle anderen Stricke reißen würden. Es gab sogar Unterkünfte für junge Mütter, wenn sie lieber von Zuhause ausziehen wollten und keine anderen Möglichkeiten hatten!
 

Doch bis dahin würde noch viel Zeit vergehen und erst einmal musste sie sich klarwerden, ob es überhaupt dazu kommen würde. Ob sie dieses Kind behielt. Ob sie dafür das Risiko einging, mit ihrem Vater einen fürchterlichen Streit zu haben. Und vielleicht mit Natsu.
 

Letzten Endes lag die Entscheidung bei ihr selbst und niemand konnte sie ihr abnehmen.
 

Einen positiven Effekt hatte das Gespräch allerdings, denn sie verließ die Beratungsstelle mit geordneten Gedanken und dem Gefühl, jetzt eine fundierte, gut durchdachte Entscheidung treffen zu können. Außerdem hatte sie die Visitenkarte der Beraterin bekommen und den freundlichen Hinweis darauf, dass sie sich jederzeit wieder melden konnte.
 

Jude erwartete sie nicht in der Eingangshalle, also erwachte in ihr die leise Hoffnung, dass er den ganzen Tag in der Firma geblieben war. Trotzdem verhielt sie sich so still wie möglich, als sie zu ihren Zimmern hochstieg. Sie versteckte ihre Broschüren und die wertvolle Visitenkarte und setzte sich an den Schreibtisch, um sich ihren Hausaufgaben zu widmen.
 

Doch als Spetto einige Minuten später hereinkam, war es nicht, um ihr das Mittagessen zu bringen, sondern um ihr mit einem ehrlich teilnahmsvollen Lächeln mitzuteilen, dass ihr Herr Vater sie gerne in seinem Arbeitszimmer sehen würde. Ihre Augen wirkten dabei besorgt, als befürchtete sie das Schlimmste.
 

Mit einem Seufzen stand Lucy wieder auf und begab sich in besagten Raum. Dabei versuchte sie sich einzureden, dass alles gar nicht so schlimm war und sie nichts falsch gemacht hatte, auch wenn sie genau wusste, dass sie die Anweisungen ihres Vaters unverhohlen ignoriert hatte. Würde ihre Ausrede reichen, um ihn zu beschwichtigen?
 

Das Arbeitszimmer ihres Vaters war direkt neben der Eingangshalle lokalisiert und ziemlich groß. Die Wände wurden auf der einen Seite von Bücherregalen bedeckt, während ihnen gegenüber wertvolle Gemälde hingen, für die sich auch ein Kunstmuseum nicht schämen müsste, unterbrochen von einem kolossalen Kamin aus weißem Marmor. Auch der Boden bestand aus Marmor und durch die Fensterfront gegenüber der Tür fielen warme Sonnenstrahlen, die alles in ein helles Licht tauchten.
 

Jude saß hinter seinem beeindruckenden Mahagonischreibtisch, ein wuchtiges Möbelstück, mit dem man kleine Autos abrupt stoppen konnte. Einige niedrige Regale standen hinter ihm an der Wand, die mit Aktenordnern gefüllt waren. Zwei elegante Stühle standen vor dem Tisch; sie waren für Besucher bestimmt und konnten mit Judes Chefsessel nicht mithalten.
 

Er hielt sich gar nicht mit irgendwelchen Begrüßungsformeln auf und blickte nicht einmal hoch, als sie den Raum betrat. Unbeholfen wartete sie neben einem Besuchersessel darauf, dass er ihre Anwesenheit wahrnahm, doch er ließ sie erst einige Minuten warten, ehe er aufblickte. „Wo warst du heute Mittag? Ich dachte, du hast Hausarrest?“
 

„Tut mir leid.“, antwortete sie und beschloss, bei der Wahrheit zu bleiben. Naja, irgendwie zumindest. Zu dumm, dass man Lügen nicht einfach so mal zwischendurch lernen konnte. „Ich hatte einen Termin bei Dr. Marvell.“ Meistens reichte das aus, damit er nicht weiterfragte – die meisten Männer wollten nichts von weiblichen Problemen hören und Jude stellte da keine Ausnahme dar.
 

Doch im Moment schien er nicht gewillt zu sein, deswegen innezuhalten und fuhr mit einem demonstrativen Blick auf die große Uhr an der Wand einfach fort: „So lange?“ Seine Stimme klang flach und es war deutlich, dass er ihr nicht glaubte.
 

Lucy kniff die Lippen zusammen, um nichts zu sagen, aber das Misstrauen schmerzte sie. Konnte er ihr nicht einmal vertrauen? Auf der anderen Seite – hatte er nicht recht, ihr zu misstrauen? Immerhin verschwieg sie ihm gerade etwas wichtiges…
 

Aber sie war seine Tochter. Sagte sein Verhalten nicht genug? Welcher Vater tat so etwas?
 

Er ging jedoch nicht weiter darauf ein, sondern fuhr fort: „Trotzdem erwarte ich, dass du mir in einem solchen Fall Bescheid sagst. Glanville hätte dich auch gefahren und du musst ihn nicht mit einer Nachricht über deine Freunde abspeisen.“ Sein Tonfall sagte eindeutig, was er von ihren Freunden hielt, und wieder einmal wurde ihr deutlich, wie viel lieber er sie in anderen gesellschaftlichen Kreisen sehen würde. Über Loke sprach er nie auf diese Weise.
 

Lucy senkte den Kopf, damit er den Ärger in ihren Augen nicht sah. „Ja, Papa.“, antwortete sie folgsam. „Ich werde daran denken.“
 

Jude schwieg einen Moment. „Deine Lehrer sind sehr zufrieden mit dir und den Zusatzarbeiten, die du in den letzten Wochen gemacht hast. Darum werde ich diesmal ein Auge zudrücken und deinen Hausarrest nicht verlängern. Ich werde solchen Ungehorsam allerdings nicht noch einmal dulden.“
 

Lucy schluckte ihren Ärger hinunter. „Ja, Papa.“
 

Er hatte offensichtlich in der Schule angerufen oder war sogar vorbeigefahren, um das zu wissen. Er hatte sie nicht einmal darüber informiert oder sie vorher gefragt, wie ihr Standpunkt dazu war. Er hatte es einfach getan und sie dabei komplett übergangen, als würde es nicht um sie gehen, um ihr Leben und ihre Zukunft.
 

Sie mochte noch nicht volljährig sein, aber war sie inzwischen nicht alt genug, dass sie bei einem solchen Gespräch mit einbezogen werden konnte? Oder zumindest darüber informiert? Ärger stieg in ihr hoch und sie ballte die Hände zu Fäusten, um sich zu beherrschen, doch ihr Vater bemerkte das nicht einmal.
 

Er war bereit wieder halb ein seine Arbeit vertieft, noch während er weitersprach: „Behalte das bei. Nächstes Jahr machst du deinen Abschluss und du solltest dich darum vollständig auf die Schule konzentrieren.“
 

Übersetzung: Trenn dich endlich von Natsu und ignorier am besten auch deine sogenannten Freunde. Lucy sagte nichts darauf, denn eine ehrliche Antwort wäre ein resolutes Nein gewesen. Ihre Freunde waren wie eine zweite Familie für sie, sie hatte bei ihnen Anschluss gefunden, Liebe und Geborgenheit – alles, was sie zuhause so oft vermisste, seit Layla nicht mehr da war. Sie konnte das nicht aufgeben.
 

Außerdem würden ihre Freunde und vor allem Natsu das nicht verstehen – oder zulassen.
 

„Ich möchte nicht, dass du dir deine Zukunft verbaust. Du kannst jetzt gehen.“ Jude hatte seinen Standpunkt klargemacht und war jetzt fertig, ohne ihre Meinung ebenfalls zu hören. Auf diese Weise von ihrem eigenen Vater entlassen und weggeschickt zu werden, als wäre sie eine einfache Angestellte oder seine Sekretärin, war nichts Neues für sie.
 

Warum aber tat es jedes Mal aufs Neue so weh?
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Am Sonntagmorgen setzte die berühmt-berüchtigte Schwangerschaftsübelkeit ein, vor der sie sich schon gefürchtet hatte. Warum konnte sie nicht eine der Glücklichen sein, die damit nicht zu kämpfen hatten? Was, wenn es jemandem auffiel und er zwei und zwei zusammenzählte? Wenn er ihrem Vater Bescheid gab?
 

Den Morgen verbrachte sie entweder auf der Toilette über der Kloschüssel hängend oder leidend auf dem Diwan im Wintergarten, wo sie mit Loke und Gray chattete, diverse Blumen skizzierte und sich allgemein schlecht fühlte. Am Mittag ging es ihr wieder besser, doch am Montagmorgen fing es von vorne an. Nur dass sie nicht für die nächsten paar Wochen zuhause bleiben und Schule schwänzen konnte, um auf dem Sofa herumzulümmeln.
 

Also schleppte sie sich ins Bad und durch ihre Morgenroutine, wobei sie sich zweimal übergab und nur einen Tee trinken konnte, weil ihr von dem Geruch von allem anderen übel wurde. Sie war dankbar darum, dass Glanville sie zur Schule fuhr. Oft hatte sie sich gewünscht, wie alle anderen mit dem Bus oder dem Fahrrad zu fahren, doch manchmal war es praktisch, einen privaten Chauffeur zu haben.
 

„Geht es dir nicht gut?“, wollte Gray wissen, als er sich neben ihr auf seinen Stuhl fallen ließ. Seine dunklen Haare standen in alle Richtungen ab, als hätte er vergessen sich zu kämmen, und er sah übernächtigt aus.
 

Sie lachte und versuchte, die Sache herunterzuspielen. Auf keinen Fall wollte sie jetzt unangenehme Fragen beantworten. „Mir ist nur etwas schlecht. Hattest du auch so Probleme mit der Mathehausaufgabe?“
 

„Das war ein fieser kleiner Trick.“ Er nickte, aber wirkte noch immer nicht ganz beruhigt. Mit scharfem Blick musterte er sie eingehend, trotzdem drang er nicht weiter in sie ein. Stattdessen winkte er Natsu und Erza, die gerade gemeinsam zur Tür hereinkamen. Sie wohnten nicht weit voneinander entfernt, weswegen die Rothaarige in der Regel von ihm mitgenommen wurde.
 

Lucy sprang auf, um ihren Freund mit einem Kuss zu begrüßen, der danach den Arm um ihre Schultern legte und sie nicht mehr losließ. Seine Nähe tat ihr einfach gut, auch wenn es ihr vor dem Gedanken grauste, ihm davon zu erzählen. Rational wusste sie, dass Natsu die Nachricht nicht negativ aufnehmen oder zumindest nicht sie beschuldigen würde, aber das hinderte ihre Gedanken nicht daran, im Kreis zu rennen und auf das gefürchtete Aber was, wenn doch…? zurückzufallen.
 

Erza hatte sich derweil zu Gray gesellt und blickte auf, als sie näher kamen. „Na, Hausarrest überstanden?“, wollte sie wissen und Lucy nickte. „Endlich. Freiheit!“
 

„Ehrlich?“, warf Natsu aufgeregt ein. „Haben die Qualen endlich ein Ende?!“ Er warf die Arme um sie und presste ihr einen übertriebenen Kuss auf die Wange. Lucy ließ es sich lachend gefallen.
 

Gray trat ihn leicht gegen das Schienbein. „Na hör mal, du warst es nicht, der fünf Wochen im Haus eingesperrt war.“
 

„Er wäre verrückt geworden.“, bestätigte Erza, die Arme vor der Brust verschränkt. „Könnt ihr euch das vorstellen?“
 

„Oh Gott, lieber nicht!“, stöhnte Gray auf.
 

„Mein Vater hat mir noch nie Hausarrest gegeben.“, erklärte Natsu überheblich.
 

„Vermutlich weil er weiß, dass du ihm die Bude abfackeln würdest, du Pyromane!“
 

„Dann wäre es wenigstens nicht mehr langweilig, Eisklotz!“
 

Lucy verdrehte die Augen und stellte sich neben Erza, während Gray und Natsu sich anfunkelten und ihren verbalen Schlagabtausch weiterführten. „Hast du es ihm schon gesagt?“, flüsterte die Freundin ihr zu, kaum dass sie nah genug nebeneinander standen.
 

Lucy schüttelte den Kopf. „Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit.“
 

„Du musst es so bald wie möglich tun. Er hat ein Recht darauf, es zu erfahren. Außerdem wird er dir die größte Stütze sein.“
 

Zweifelnd sah Lucy sie an. „Meinst du wirklich?“ Das war ihre größte Sorge, so bescheuert sie auch war: dass Natsu abweisend reagieren würde oder sogar wütend und… Was würde sie dann tun? Sie konnte das nicht ohne ihn tun, ganz egal, was es war.
 

Erza schlug ihr etwas zu hart auf die Schulter, so dass sie nach vorne stolperte, und riss sie damit aus den Gedanken. „Es ist Natsu!“, sagte sie nachdrücklich. „Natürlich wird er hinter dir stehen! So wie Gray und ich auch. Aber denkst du wirklich, dass Natsu dich im Stich lassen würde?“
 

Lucy hob die Schultern. Sie wusste es ja und wenn man es so ausdrückte, klang es wirklich lächerlich. Er würde ihr nie einfach so den Rücken kehren, schon gar nicht in einer so schweren Zeit! Er war eben Natsu, loyal und zuverlässig, zumindest wenn es um solche Themen ging.
 

„Du hast Recht.“, erklärte sie und Erza warf sich in die Brust. „Natürlich! Weißt du schon, wie du es ihm sagen willst?“
 

„Nun ja… ich werde es ihm halt sagen…“, murmelte Lucy abschwenkend und wurde vor einer weiteren bohrenden Frage von einem lauten „Gray-Schatz!“, das von der Tür herüberdrang, gerettet.
 

Die beiden Freundinnen schauten in die Richtung eines hübschen, brünetten Mädchens, das gerade ins Klassenzimmer trat, Louise die Langweilige. Auch Gray blickte auf, von wo er Natsu gerade in einem Schwitzkasten hatte. Die Unachtsamkeit wurde ihm zum Verhängnis, als der Pinkhaarige sich befreite und den Spieß umdrehte. Louise verzog unwillig das Gesicht über dieses Schauspiel; sie hatte von den harmlosen Reibereien zwischen den beiden Jungs nie viel gehalten und machte ein viel zu großes Aufheben darum.
 

Doch Lucy rettete den Dunkelhaarigen, indem sie ihren Freund von ihm wegzog. „Hast du heute Abend Zeit?“ Sie rieb sich nervös die Hände. Besser, sie brachte diese Beichte schnell hinter sich.
 

„Ja, klar! Willst du rüberkommen?“ Natsu grinste sie erfreut an und achtete nicht mehr auf Gray, der ging um seine Freundin zu begrüßen, die mit verkniffenem Gesicht etwas entfernt gewartet hatte. Niemand geriet gern in die Schusslinie zwischen Gray und Natsu, auch Lucy tat es nur manchmal. Einzig Erza wagte sich jedes Mal ohne Probleme in die Kampfzone und beendete den Streit, wenn er zu heftig wurde, wenn nötig mit Gewalt.
 

Lucy nickte. „Ich muss etwas mit dir besprechen.“
 

Etwas in ihrer Stimme musste ihm sagen, dass es sich um etwas sehr Ernstes handelte, denn er verlor den fröhlichen Gesichtsausdruck und runzelte die Stirn. „Dein Vater will, dass du mit mir Schluss machst, oder?“, fragte er misstrauisch, als ob er befürchtete, dass sie genau das tun würde.
 

„Was?! Nein, natürlich nicht!“, wehrte sie reflexartig ab. Dann ruderte sie zurück. Natsu kannte Jude besser, als dass er ihr das jetzt abkaufen würde. „Okay, er will das, aber ich werde das ganz sicher nicht tun.“ Sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn zu küssen und ihm auf diese Weise zu zeigen, dass zwischen ihnen alles in Ordnung war. „Okay? Darum geht es nicht, im Gegenteil.“
 

Diesmal wirkte er eher verwirrt, also tätschelte sie seinen Arm und lächelte ihn beruhigend zu. „Ich werde ganz sicher nicht mit dir Schluss machen, versprochen. Wir besprechen das heute Abend, okay?“
 

Natsu nickte und wollte etwas sagen, doch die Lehrerin unterbrach ihn, als sie mit einem lauten „Hallo, alle zusammen. Wenn ihr wohl die Güte hättet, euch hinzusetzen.“ in den Raum gestürmt kam.
 

„Also gut. Aber heute Abend darfst du keinen Rückzieher machen!“, verlangte er, als er sich von ihr löste und zu seinem Platz hinüberging. Auch Lucy ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. Unruhig spielte sie mit ihren Stiften und wippte mit den Füßen, erleichtert, diesen Schritt zumindest hinter sich gebracht zu haben, auch wenn das Schlimmste noch auf sie zukam.
 

Gray warf ihr wieder einen Blick zu, der auf Außenstehende wohl kühl und abweisend gewirkt hätte, aber in dem Lucy ehrliche Sorge lesen konnte. „Und bei dir ist wirklich alles in Ordnung?“
 

Lucy antwortete nur mit einem bitteren Lächeln und konzentrierte sich auf die Lehrerin.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Natsu wohnte mit seinem Vater knapp außerhalb der Innenstadt, aber noch nicht in einem der adretten Wohnviertel, sondern an der Grenze zwischen dem Kardia-Park, dem Gewerbegebiet und der City. Das Zweifamilienhaus gehörte den Dragneels und stand auf einem gigantischen Gelände, das ursprünglich Natsus Mutter gehört hatte und inzwischen größtenteils als Schrottplatz diente. Es wurde verdeckt von den zusammenhängenden Gebäuden der Dragon’s Garage, der Autowerkstatt, die im Vordergrund des Geländes errichtet worden war.
 

Drei dunkelrot lackierte Metalltore nahmen den Großteil der Vorderfront des Baus ein, in dem die eigentlichen Werkstätten untergebracht waren. Die Büros sowie ein Teil des Lagers befanden sich in einem Nebenhaus, das den Mittelpunkt der Werkstatt darstellte. Der Hof wurde auf der anderen Seite von einem weiteren, langgezogenen Gebäude begrenzt, das als Garage diente und in dem Igneel seine künstlerischen Anwandlungen auslebte.
 

Diese manifestierten sich in zumeist ziemlich großen Figuren aus Altmetall und ähnlichem Schrott. Sein Lieblingsmotiv dabei waren Drachen wie jener in der Galerie und der bekannteste davon, ein gigantisches Monstrum in Rot und Gold, stand im Rathaus. Das Material davon kam vom hauseigenen Schrottplatz, auf dem größtenteils alte Autos landeten.
 

Das Wohnhaus erhob sich von der Straße nicht einsehbar etwas entfernt und hatte eine eigene Einfahrt sowie einen großzügigen, wenn auch extrem verwilderten Garten. Dieser war von einer hohen Hecke aus verschiedenen Beerensträuchern, Rosen, Schneeball und ähnlichem Gewächs umgeben, so dass keinen Zweifel entstand, was Privatbesitz und was noch zum Betrieb gehörte.
 

Hinter all dem befand sich das, das Lucy nur als Autofriedhof bezeichnen konnte, auch wenn Vater und Sohn beide schworen, dass es sich dabei zumindest teilweise um zukünftige Projekte handelte. Diese waren meistens beinahe schrottreife Oldtimer, die Igneel zu günstigen Preisen erwarb. Manche erstanden tatsächlich neu, wie ein Phönix aus der Asche, und wurden von den beiden restauriert, um dann zu erstaunlichen Preisen an Sammler und Liebhaber verkauft zu werden.
 

Die meisten Wracks allerdings rosteten langsam vor sich hin und wurden höchstens noch als Ersatzteillager oder – wahrscheinlicher – Material für Igneels Kunstwerke verwendet. Dabei handelte es sich meist um all jene Autos, die tatsächlich kaum mehr als Schrott waren, hier ausgeschlachtet wurden und dann weitergeschickt wurden.
 

In dem Zweifamilienhaus befanden sich zwei Wohnungen; jene im Erdgeschoss bewohnten die Dragneels und über ihnen lebte ein junges Pärchen, das stets freundlich grüßte, aber dem Lucy nur selten begegnete. Meistens lag es daran, dass die beiden von früh bis spät arbeiteten; anscheinend wollten sie gemeinsam eine Weltreise machen, die ein Jahr dauern sollte. Im Gegensatz zu den Kreisen, in denen Lucy sonst so verkehrte, musste ein Normalbürger jedoch für sowas hart arbeiten.
 

Als Natsu seinen flammendroten, selbstrestaurierten Mustang auf den Hof lenkte, stand Igneel gerade mit einem Kunden vor der Werkstatt. Er war ein hochgewachsener Mann, dem man die Verwandtschaft zu Natsu mit einem Blick ansah. Er hatte einen ähnlichen Körperbau und wildes Haar, das nur ein paar Töne dunkler war als das seines Sohnes, der ihm obendrein wie aus dem Gesicht geschnitten war.
 

Natsu brüllte ihm einen Gruß zu, als er mit Lucy über den Hof marschierte, aber sein Vater winkte ihnen nur kurz, noch mit dem Kunden beschäftigt, der aussah, als würde er jeden Moment explodieren, so rot war sein Kopf. Doch Lucy achtete nicht weiter auf die beiden, Igneel kam mit solchen Leuten bewundernswert gut klar, ohne dass sich jemand einmischte. Er hatte eine Art an sich, ein Gespräch dorthin zu bringen, dass jeder zufrieden davon wegging, obwohl er keinen Zentimeter von seinem Standpunkt abgewichen war.
 

Außerdem hatte sie ihre eigenen Probleme, um die sie sich kümmern musste und die sie gerade wieder fast in Panik ausbrechen ließen. Am Morgen hatte sie Erza großspurig verkündet, es Natsu einfach zu sagen, aber jetzt war sie nicht mehr so sicher, dass das der richtige Weg war. Vielleicht hätte sie sich doch ein paar Gedanken darum machen sollen, wie sie es formulieren sollte.
 

Natsu jedenfalls bemerkte nichts von ihrem Dilemma, sondern schob sie ohne weitere Verzögerung gut gelaunt in sein Zimmer. Er ahnte noch nichts von der Bombe, die sie gleich platzen lassen würde. Es sah nicht sehr anders aus als vor fünf Wochen, als sie das letzte Mal hier gewesen war, unordentlich und durcheinander wie immer – wie auch nach der Nacht, in der sie miteinander geschlafen hatten.
 

Das erinnerte sie erneut daran, warum sie darauf bestanden hatte, unbedingt heute mit ihm zu kommen. Er hatte keine Einwände dagegen, danach zu urteilen, wie leidenschaftlich er sie gerade gegen die Tür presste und küsste, doch Lucy fühlte sich nicht so energetisch und erwiderte den Kuss nur halbherzig. Natsu bemerkte es sehr schnell und ließ von ihr ab.
 

„Was ist?“, wollte er wissen, die Augenbrauen besorgt zusammengezogen. „Ist etwas passiert? Hast du doch noch länger Hausarrest?“
 

Lucy fummelte nervös am Saum ihres T-Shirts herum. „Ich hab dir doch gesagt, dass wir miteinander sprechen müssen?“
 

Er grinste. „Ja. Aber du hast auch gesagt, dass es nicht ist, weil du dich von mir trennen willst. Können wir also vorher nicht noch ein bisschen rummachen?“
 

Lucy war sehr gewillt das Angebot anzunehmen und das Problem für heute einfach fallen zu lassen. Aber wenn sie das tun würde, würden sie es das nächste Mal auch machen und danach erneut und vielleicht nicht wieder den Mut finden, es überhaupt anzugehen.
 

Außerdem waren es ja diese Handlungen, die ihnen den ganzen Schlamassel erst eingebracht hatten. Nun ja, vielleicht nicht das Fummeln, aber was danach folgen konnte – und vermutlich auch würde, wenn sie das Funkeln in Natsus Augen richtig deutete. Warum konnte er nicht einmal im Leben ernst sein?
 

Sie schob ihn von sich und drehte das Gesicht zur Seite. „Nein. Wir müssen wirklich reden.“
 

Unsicher trat er von ihr zurück. Er wusste offensichtlich überhaupt nicht, was er mit ihrem Verhalten anfangen sollte und worauf sie hinauswollte. Wie konnte er es auch ahnen? Sie hatte ja nicht einmal Andeutungen gemacht! Sie hatte sich sehr bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.
 

Lucy steuerte den Schreibtischstuhl an und fegte einige alte Kleidungsstücke hinunter, ehe sie sich darauf niederließ. „Könntest du dich bitte setzen?“
 

Natsu starrte sie für einen Moment wortlos an, dann ließ er sich langsam auf sein ungemachtes Bett sinken. „Ist etwas passiert? Du machst mir echt Angst… Du bist nicht ernsthaft krank oder so, wie deine Mutter? Oder will dein Vater dich wegschicken für das nächste Jahr oder ist mit ihm etwas?“
 

Lucy starrte ihn an und fragte sich, warum sie verwundert über die Fragen war und die ehrliche Sorge dahinter. Natsu war weit scharfsinniger, als man ihm zugestehen wollte, und sie wusste das. Trotzdem war es anscheinend leicht, das zu vergessen, denn sie hätte nicht geglaubt, dass er sich solche Gedanken machte. „Nein, nichts von alledem.“, versicherte sie ihm rasch.
 

Er warf frustriert die Arme in die Luft. „Ja, was denn dann! Du machst mir echt Angst hier.“
 

Sie holte tief Luft. Ihn noch länger warten zu lassen, wäre unfair. „Erinnerst du dich an Grays Geburtstag?“
 

„Ja, natürlich. Was hat das damit zu tun?“ Plötzlich wurden seine Augen schmal. „Du hast nicht mit jemand anderem rumgemacht oder so?“ Dann runzelte er die Stirn und schüttelte den Kopf, als würde ihm selbst auffallen, was für eine blöde Frage das war. Als ob sie ihn jemals betrügen könnte!
 

„Nein! Natürlich nicht!“, entrüstete sie sich. Wie kam er ausgerechnet auf diese Idee?
 

Er wirkte immer verwirrter und sie musste es ihm jetzt sagen! Jetzt gab es kein Zurück mehr. „Ich…“ Sie hätte es sich wirklich überlegen sollen, wie sie es ihm sagte. Es ihm so einfach ins Gesicht zu schleudern, schien ihr mit einem Mal unsensibel.
 

Allerdings war Natsu selbst nicht gerade der taktvolle Typ, er würde das vermutlich nicht einmal so sehen. Also beendete sie den Satz einfach: „…bin schwanger.“
 

Er starrte sie an, als würde sie in einer fremden Sprache sprechen.
 

Lucy starrte zurück, unsicher, ob sie vielleicht zu undeutlich oder zu leise geredet hatte. Sollte sie es wiederholen?
 

„Schwanger?“ Seine Stimme war nur ein heiseres Krächzen und er starrte sie an, als wäre ihr spontan ein zweiter Kopf gewachsen.
 

Sie nickte. „Ja. Du weißt schon. In anderen Umständen. Braten in der Röhre. Kind unter dem Herzen. Betriebsunfall.“ Das Lachen, das sie hinterherschickte, klang so unecht, wie es war. Ihr war gerade eher nach Heulen zumute oder nach Schreien.
 

Natsu starrte sie weiterhin an, dann stand er auf und ging ein paar Schritte, ehe er stehen blieb und sich fahrig durch die Haare fuhr. „Wie konnte das denn passieren?“
 

„Wenn ich dir das jetzt erklären muss…“, begann sie drohend, doch er hob abwehrend die Hände. „Das meine ich nicht. Ich bin doch kein Idiot! Ich meine… ich meine, wir haben es doch nur ein einziges Mal gemacht!“
 

„Das reicht doch schon!“, fauchte sie zurück. Warum machte er sie jetzt so blöd an?! Es war doch nicht allein ihre Schuld! Er war ebenso beteiligt und zu sowas gehörten sowieso immer zwei! Sie starrte ihn wütend an, die Hände zu Fäusten geballt. Unter ihrem Fuß lag ein Stift oder so und sie hatte noch nicht einmal gemerkt, wie sie aufgesprungen war.
 

Natsu erwiderte ihren zornigen Blick mit so weit aufgerissenen Augen, dass es schon beinahe komisch wirkte. Dann hob er abwehrend die Hände und tat einen vorsichtigen Schritt auf sie zu, als wäre sie ein wildes Tier, das er beruhigen musste. Ausnahmsweise schien er mal nicht aufgelegt für einen Streit zu sein. „Ich… Lucy…“, begann er, sichtlich bemüht darum, die Stimme gleichmäßig klingen zu lassen. „Komm erstmal ru…“
 

„Ich bin nicht die einzige Verantwortliche hier!“, fauchte sie, unwillig sich zu beruhigen, und es war wie ein Damm, der losbrach. Sie hatte das so lange für sich behalten und mit niemandem darüber gesprochen, hatte sich Sorgen gemacht und war nachts wach gelegen, während in ihrem Kopf sich immer die gleichen, negativen Gedanken im Kreis gedreht hatten und sie darum gekämpft hatte, nicht in Tränen auszubrechen.
 

Und jetzt war sie die Dumme hier! Nicht mit ihr! „Zu sowas gehören zwei und du bist genauso beteiligt und wage es nicht, alles auf mich abzuschieben!“
 

„Lucy! Beruhige dich! Ich will doch gar ni-“
 

Und war es nicht ironisch, dass ausgerechnet er es war, der sie jetzt zur Ruhe aufrief? Eigentlich spielten sie dieses Spiel anders herum. Aber jetzt hatte sie einfach keine Lust, sich zu beruhigen.
 

Sie stampfte mit den Fuß auf. „Nein! Ich bin hier die, die sich damit herumschlagen muss, und das nur, weil du ihn nicht in der Hose lassen konntest! Du wirst gefälligst Verantwortung übernehmen!“ Sie schniefte, als ihr plötzlich Tränen in die Augen schossen, und drehte sich um, dass er sie nicht sehen konnte. Beim Hinausgehen schnappte sie sich ihre Tasche. „Und wenn du bereit dazu bist, können wir ja miteinander reden!“ Damit knallte sie die Tür so heftig hinter sich zu, dass sie sofort wieder aufsprang, und stapfte wütend nach draußen.
 

Hinter sich konnte sie ihn nur noch rufen hören. „Lucy!“

6. Kapitel, in dem Lucy eine Entscheidung trifft und eine zweite vertagt

wo bist du

lucy bitte antworte mir

ich weiß ich hab ein wenig überreagiert aber das kam alles so überraschend

lucy ich hab’s nicht so gemeint bitte antworte mir

du hast das in den völlig falschen hals gekriegt. du weißt dass ich nicht so gut mit worten bin
 

Lucy, du musst mit ihm reden. Diese Nachricht kam von Erza. Lucy runzelte die Stirn. Warum musste Erza sich jetzt auch noch einmischen? Das ging sie gar nichts an!
 

Wütend schaltete sie ihr Handy aus und stopfte es in ihre Tasche. Sie war sauer auf Natsu. Und jetzt war sie auch sauer auf Erza. Sie war auch sauer auf den strahlend schönen Sommertag, der ihr erlaubte, in Top und kurzem Rock herumzulaufen, und der einen prächtigen, blauen Himmel zeigte, aber trotzdem nicht zu heiß war. Sie war sauer auf den schön angelegten Kardia-Park, in den sie sich geflüchtet hatte, mit seinen geschwungenen Kieswegen und altmodischen Straßenlampen und den kunstvoll angeordneten Blumen und Bäumen. Sie war auch sauer auf all die fröhlichen Passanten, die ihn bevölkerten und anscheinend keine Sorgen kannten, die Jogger, die Eisverkäufer, die Spaziergänger und vor allem die jungen Familien mit den lachenden Eltern, zwischen fünf und zehn Jahren älter als sie selbst, und ihren kleinen Kindern.
 

Sie war einfach sauer auf die ganze Welt.
 

Wütend stapfte sie voran, so dass ihre Schritte kleine Gruben im Kies hinterließen und die anderen Passanten wichen ihr aus, als hätte sie die Plage. Vermutlich war ihr ihre Stimmung deutlich anzusehen und niemand wollte sich die Laune verderben, nur weil er sich mit einer unleidigen Zicke anlegte.
 

So gelangte sie rasch an einen abgelegenen Platz, einen kleinen, halb mit Efeu überwachsenen Pavillon aus hellem Stein, dessen Kupferdach bereits komplett mit grüner Patina überzogen war. Bäume und Büsche sowie eine alte Mauer umgaben den kleinen Platz, auf dem er stand, wie einen Wall, der diesen verborgenen, nahezu magischen Ort vor der Außenwelt geheim hielt und abschirmte.
 

Zwei, drei Meter von den drei Stufen, die zu der überdachten Fläche hinaufführten, entfernt befand sich ein ausgetrockneter Brunnen. Er war geformt wie eine große Schale, in deren Mitte sich ein Podest erhob, auf dem eine tanzende Fee stand, nur auf einem Bein und die Arme in die Höhe gereckt, als wolle sie sich in den Himmel erheben.
 

Hier hatte Lucy sich oft mit Natsu getroffen; der Ort war nicht weit entfernt von der Dragon’s Garage. Für einen Moment starrte sie den Brunnen mit seiner Tänzerin einfach nur an und wünschte sich, sie könnte einfach davonfliegen wie diese kleine Fee. Dann seufzte sie laut und ließ Kopf und Arme hängen. Es half alles nichts, sie konnte nicht einfach vor ihren Problemen davonlaufen.
 

Denn letzten Endes war sie nur sauer auf sich selbst.
 

Sie wollte, dass Natsu kam und da war, sie in die Arme nahm und sie tröstete. Sie wusste, dass sie völlig irrational war, genauso, wie sie vorhin irrational gewesen war, als sie ihn angeschrien hatte wegen etwas, für das er gar nichts konnte. Und jetzt konnte sie ihm noch nicht einmal zurückschreiben oder gar ihn anrufen. Sie schämte sich zutiefst, ihn so behandelt zu haben und dass sie so getan hatte, als sei alles seine Schuld. Es brauchte immer zwei zum Tanzen.
 

Doch es war einfach aus ihr herausgebrochen, all der Stress und die Sorgen und der vernünftig denkende Teil ihres Hirns hatte sich einfach ausgeschaltet und die aufgestauten Emotionen waren freigesetzt worden. Der arme Natsu hatte alles abgekriegt, weil er da gewesen war und weil er ein treuer Idiot war, der die Beschimpfungen einfach so über sich entgehen ließ. Er verdiente die größte Entschuldigung der Welt.
 

Sie ließ ihre Tasche auf den Boden fallen und setzte sich auf eine der Bänke, die den Pavillon säumten. An eine der Säulen gelehnt zog sie ihre Beine an, schlang die Arme darum und legte den Kopf auf den Knien ab. Sie würde jetzt hier sitzen und warten, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
 

Danach konnte sie zurück zur Werkstatt gehen und mit ihrem Freund reden. Vernünftig diesmal. Nachdem sie sich entschuldigt hatte, vielleicht auf Knien. So ließ es sich am besten um Verzeihung flehen, hatte sie gehört. Vielleicht sollte sie sich schon einmal ein paar Worte zurechtlegen, aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie bekam kaum einen klaren Gedanken zusammen, denn alles wirbelte durcheinander, so dass sie von einem Thema zum nächsten sprang und zu keinem Ergebnis kam.
 

„Lucy! Du bist wirklich hier!“
 

Natsus Stimme riss sie aus den Gedanken, so dass sie heftig zusammenzuckte und erschrocken aufsah. Er stand am Eingang zum Pavillon und blickte sie geradeaus an. Ein erleichtertes Grinsen umspielte seine Lippen und er hatte die Hände in die Taschen seiner Shorts geschoben.
 

„Erza macht sich Sorgen.“, bemerkte er, als wäre das keine große Sache, und ließ sich neben ihr auf die Bank fallen. Auch das noch. Lucy fühlte sich elend, am liebsten wollte sie einfach in Tränen ausbrechen. Stattdessen schniefte sie nur und rieb sich kurz die Nase.
 

„Es tut mir leid.“, erklärte sie und merkte selbst, wie jämmerlich sie klang. Dabei wollte sie einmal – einmal nur! – Würde zeigen. Stattdessen brach sie beinahe in Tränen aus und stellte sich selbst schon wieder in den Mittelpunkt. Aber sie hatte sich ja noch nicht einmal überlegt, was sie sagen wollte! Wenn er auch so unerwartet hier auftauchte und ihr komplett den Wind aus den Segeln nahm! „Ich hätte dich nicht so anschreien dürfen. Das wollte ich nicht.“
 

Natsu winkte ab. „Schwamm drüber.“
 

Beinahe hätte sie gelacht. Sie hätte wissen müssen, dass er so reagierte und seine Worte genau so meinte. Aber Natsu war nun einmal einer der am wenigsten nachtragenden Menschen, die sie kannte, und wenn er jemandem etwas wirklich übelnahm, musste dieser Jemand sich schon extrem dafür angestrengt haben. Also widersprach sie ihm nicht, auch wenn sie nicht zufrieden mit ihrer eigenen Entschuldigung war. Sie nahm sich vor, in Zukunft besonders aufmerksam zu sein.
 

Für eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Es war schon dämmrig, der Himmel färbte sich bereits leicht rosa. Die Blätter der sie umgebenden Pflanzen waren golden gefärbt von den Sonnenstrahlen des Abends. Lucy bemerkte es erstaunt. Wie lange hatte sie hier gesessen?
 

Natsu neben ihr wirkte nervös. Er rutschte unruhig hin und her, spielte mit dem Saum seiner Shorts und federte unruhig mit dem Knie. „Ist es etwas Gutes?“, fragte er schließlich vorsichtig und brauchte nicht zu spezifizieren, was genau er damit meinte.
 

„Ja.“, antwortete Lucy im Reflex. Wie konnte es etwas Schlechtes sein? Aber dann fiel ihr ein, dass es auch nicht unbedingt positiv für sie aussah, darum fügte sie hinzu: „Nein. Ich weiß auch nicht.“ Sie seufzte. „Es macht die Sache nicht einfacher.“
 

Für einen Moment blieb es still. Dann informierte er sie: „Mein Vater wird mich umbringen.“
 

Sie stieß ein hartes Lachen aus, das gar nicht glücklich klang. „Was denkst du, was mein Vater mit mir tun wird?“
 

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Natsu blass wurde. Denn sie wussten beide, während Igneel nicht sehr begeistert davon sein würde, jetzt schon Großvater zu werden, Judes Reaktion würde hundert Mal schlimmer sein. Noch konnte sie sich nicht genau ausmalen, wie sie aussehen würde, aber sie hatte schon ein paar Ideen – und keine war äußerst rosig.
 

Natsu drehte sich zu ihr und seine Stimme war außergewöhnlich ernst: „Wenn etwas ist, versprich mir, dass du mich sofort anrufen wirst.“
 

Sie lächelte schwach und tätschelte sein Bein. „Keine Sorge, das werde ich tun. Aber ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.“ Sie war sich nicht so sicher, wie sie klang, ob letzteres tatsächlich stimmte, darum lenkte sie das Gespräch von diesem unerfreulichen Thema weg: „Wir müssen besprechen, was wir jetzt tun.“
 

Verwirrt blickte er sie an und sie konnte die Fragezeichen über seinem Kopf geradezu sehen. Ungläubig starrte sie zurück, doch er schien wirklich nicht zu wissen, worauf sie hinauswollte. Manchmal fiel ihr siedend heiß auf, dass er klüger war, als die meisten ihm zutrauten. Manchmal dachte sie, dass er genauso begriffsstutzig war, wie alle Leute stets dachten. Dies war einer der Momente, die in die zweite Kategorie fielen.
 

Was dachte er denn, was jetzt geschah? Dass sie das Kind austragen und in die Welt setzen konnte und alles schon irgendwie gut werden würde?
 

„Wie wir weiter vorgehen. Natsu, wir sind noch nicht einmal mit der Schule fertig! Ich wollte studieren und du willst die Ausbildung machen und Erfahrung sammeln, ehe du die Werkstatt übernehmen kannst und… Wir sind doch selbst noch halbe Kinder! Wie sollen wir dann mit einem eigenen Kind zurechtkommen? Weißt du, wie viel Arbeit und Verantwortung das ist und wie teuer und zeitaufwendig das wird?! Das ist eine Verpflichtung fürs Leben, wenn wir das tun, können wir irgendwann nicht einfach entscheiden, dass wir jetzt keine Lust mehr haben und…!“
 

Er unterbrach ihren Redeschwall, indem er sie einfach in die Arme nahm und sanft küsste. „Du machst dir echt zu viele Gedanken.“, erklärte er überzeugt, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte. Seine Hände lagen noch immer auf ihren Schultern, warm und stark, aber so behutsam, als wäre sie aus Glas und könnte bei einer falschen Bewegung zerbrechen.
 

Sie blinzelte überrumpelt, aber dann schob sie ihn unwillig wieder von sich. Sie wollte jetzt wirklich nicht schon wieder vom Thema abkommen! Das war viel zu wichtig. „Und du dir zu wenig. Ich meine das ernst.“
 

„Was willst du denn tun?“
 

Lucy seufzte schwer. Diese Frage klang so einfach. Aber sie wusste das auch nicht genau. Sie wusste nur, was sie ganz sicher nicht wollte. „Ich will nicht, dass mein Vater davon erfährt.“ Aber darum gab es kein Drumherum, wenn sie nicht… Sie führte den Gedanken nicht zu Ende. Es gab noch mehr, das sie nicht wollte, und diese Wünsche widersprachen sich. Also musste sie herausfinden, was schwerer wog, in den sauren Apfel beißen und den anderen Weg wählen.
 

Natsu antwortete nicht darauf, er kannte sie inzwischen gut genug um zu wissen, dass hinter ihrer Antwort noch mehr steckte, und wenn er nur lange genug wartete, würde sie es ihm sagen. Dummerweise war er nicht der geduldigste Mensch, also platzte er schon nach einem Moment heraus: „Wir werden das schon hinkriegen, ja? Du und ich.“ Er schenkte ihr sein strahlendes Lächeln und sie konnte in seiner Stimme hören, dass er es völlig ernst meinte. Da war kein Zweifel, kein Zögern in seinem Tonfall. „Es wird alles gut werden. Du wirst schon sehen!“
 

Seinen Optimismus wollte sie haben. Sie rutschte näher an ihn heran, als könnte sie auf diese Weise etwas davon abkriegen, und kuschelte sich unter seinen Arm. Stattdessen fand sie nur den Mut, um endlich auszusprechen, was ihr schon auf dem Herzen lag, seit sie die beiden kleinen Striche auf dem ersten Schwangerschaftstest gesehen hatte. Sie starrte die tanzende Fee an, um Natsu dabei nicht ansehen zu müssen.
 

„Ich… ich möchte nicht abtreiben.“
 

Es könnte alles so einfach sein, wenn sie sorglos genau das tun würde. Jude müsste nichts davon erfahren. Sie konnte weitermachen wie bisher und die Pläne verwirklichen, die sie schon seit einiger Zeit ausheckte – die Schule beenden, an die Uni ihrer Wahl gehen, studieren und in ein paar Jahren nochmal über das Thema ‚Kinder‘ nachdenken, vielleicht sogar Jude an Natsu gewöhnen, so dass ihr Vater ihren Freund akzeptierte. Immerhin enthielt jeder einzelne ihrer Pläne Natsu.
 

„Dann tu’s nicht.“ Er sagte das, als wäre es so einfach. Aber das war es nicht. Und er wusste das genauso gut, wie seine nächsten Worte bewiesen: „Hör mal, wenn ich sage, wir kriegen das hin, dann kriegen wir das hin, ja? Ich meine das ernst. Das haben schon ganz andere Leute vor uns gemacht. Und wir sind ja auch nicht allein. Mein Vater wird uns unterstützen. Unsere Freunde werden uns unterstützen. Wir haben also eine tatkräftige Familie, die uns helfen wird. Das wird schon!“
 

Wäre da nicht noch ein kleines Detail… „Und mein Vater?“
 

„Das wird ihm überlassen sein, oder?“ Seine Stimme war plötzlich hart und seine Lippen entschlossen zusammengepresst. „Wenn er es nicht akzeptieren will, dann ist es sein Problem.“
 

Lucy starrte ihn von unten her an und wollte heftig widersprechen. Das war ihr Vater, über den Natsu hier sprach. Der Rest ihrer Familie, der ihr noch geblieben war. Sie liebte Jude und auch wenn er manchmal etwas schwierig war, so änderte es nichts daran, wer sie füreinander waren und was sie einander bedeuteten.
 

Aber im Moment fehlte ihr die Kraft zum Kämpfen. Außerdem… Hatte Natsu nicht recht? Jude war kein einfacher Mensch und er litt noch immer unter Laylas Tod. Aber sie war auch Lucys Mutter gewesen und auch für sie war es ebenfalls schwer gewesen, ebenfalls noch immer schwer.
 

Und dies war Lucys Leben, um das es hier ging.
 

Sie mochte noch nicht volljährig sein, aber sie war alt genug, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Diesmal würde sie ihm nicht den Gefallen tun und sich ducken. Alles vertuschen und totschweigen, nur weil er es wollte oder weil es einfacher für sie alle war. Nein, diesmal nicht. Diesmal stand zu viel auf dem Spiel, als dass sie einfach klein beigeben würde.
 

Dankbar schlang sie die Arme um Natsus Körper, der sie als Antwort automatisch enger an sich zog. Dann reckte sie sich hoch und presste ihm einen Kuss auf den Mundwinkel, ehe sie den Kopf gegen seine Schulter legte. Plötzlich sah nicht mehr alles so fürchterlich und düster aus und ein Gefühl von Gelassenheit und Klarheit breitete sich in ihr aus. Sie war nicht glücklich oder erfreut über den Verlauf der Dinge, aber wenigstens erschien ihr jetzt alles nur noch halb so wild.
 

Um sie herum wurde es langsam dunkel, als auch der Rest eines spektakulären Sonnenuntergangs, den sie nicht mitbekommen hatten, vom Himmel verschwand. Irgendwo zirpten Zikaden und der leichte Wind rauschte in den Bäumen und es war herrlich friedlich. Wenn sie nur nicht das Gefühl hätte, dies wäre die Ruhe vor dem Sturm…
 

„Hast du es eigentlich sonst noch jemandem erzählt?“, unterbrach Natsu schließlich, als es beinahe ganz dunkel war. Hoffentlich hatte er eine Taschenlampe dabei, ansonsten würde der Rückweg echt kompliziert werden.
 

„Nur… nur Erza.“, gestand sie. Würde er ihr böse sein, dass sie zuerst zur Freundin gegangen war anstatt zu ihm? „Und Dr. Marvell natürlich. Und das sollte vorerst so bleiben.“
 

„Warum?“ Erstaunt blickte er auf sie herunter und fragte nicht einmal danach, warum nicht er ihr erster Ansprechpartner gewesen war.
 

Sie zuckte mit den Schultern. „Bis zur zwölften Woche ist es noch relativ gut möglich, dass es zu einem Abgang kommt.“ Auch das würde alle ihre Probleme lösen. Aber jetzt, als der Widerstreit der Gefühle über die Schwangerschaft aufgeklärt und Natsu bei ihr war, wurde ihr eines klar: sie wollte das nicht.
 

Sie wollte nicht, dass das Kind einfach wieder verschwand, ohne dass es überhaupt das Licht der Welt erblickt hatte.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Trotzdem war Lucy noch immer nicht wirklich klar, was genau sie wollte. Es gab immer noch mehrere Wege, die ihnen jetzt offenstanden, auch wenn sie sich dazu entschlossen hatte, das Baby auszutragen, ein Gedanke, der sie noch immer in Panik versetzte, die nicht mit ihrem Vater zusammenhingen. Zumindest nicht nur.
 

Doch das Thema einer Adoption, das ihr echte Magenschmerzen bereitete, hatte sie noch nicht mit Natsu besprochen; sie wollte ihn nicht überfordern. Immerhin hatte er erst an diesem Tag überhaupt von der Schwangerschaft erfahren, während sie selbst schon über eine Woche Zeit gehabt hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
 

Also hatten sie sich schließlich aufgemacht und sich im Dunkeln durch die wild wuchernden Pflanzen des Kardia-Parks gekämpft, ehe sie einen der beleuchteten Wege erreicht hatten. Natsu hatte sie dann sofort nach Hause gefahren, wo sie zum Glück nicht Jude über den Weg gelaufen war.
 

Spetto, die nicht erfreut über die späte Heimkehr gewesen war, vor allem nicht an einem Schultag, hatte erzählt, dass er durch die Layla-Heartphilia-Stiftung aufgehalten worden war, und Lucy hatte sich erleichtert in ihr Zimmer begeben. Jude hätte es fertig gebracht, ihr gleich noch mehr Hausarrest aufzudrücken.
 

So hatte sie auch gleich Zeit, von einem Problem zum nächsten zu springen. Die Abtreibung war zwar vom Tisch, eine Adoption aber noch nicht, denn je mehr sie sich den Kopf darüber zerbrach – und während der Woche und vor allem am Wochenende hatte sie absolut zu viel Zeit dafür, dabei hatte sie nicht einmal mehr Hausarrest! – desto weniger bereit fühlte sie sich für die Aufgabe, die da auf sie zukommen konnte.
 

Wäre es nicht viel leichter, wenn sie sich einfach jemanden vermitteln ließ, der ein Baby haben wollte, aber keines bekommen konnte? Dann wären all die anderen Probleme auf einen Schlag gelöst. Sie bräuchte die Verantwortung nicht zu übernehmen, sie könnte ihre Schule beenden und studieren, wie geplant, und vielleicht eine kleine Karriere hinlegen, ehe sie später dann mit ihrem Freund eine Familie gründete…
 

All ihre so sorgfältig geschmiedeten und durchdachten Pläne konnten also doch noch aufgehen, auch wenn sie jetzt vielleicht erstmal Zoff mit ihrem Vater bekam. Auf der anderen Seite, wollte sie das überhaupt? Könnte sie es ertragen, ihr Kind wegzugeben, an jemand völlig fremden, jemand, den sie nicht kannte? Oder überhaupt?
 

Aber vielleicht hatte Natsu Recht. Vielleicht machte sie sich wirklich zu viele Gedanken. Noch hatte sie ja Zeit, zwar keine neun Monate mehr, aber bis zum 24. Januar, den Grandine ihr als Geburtstermin ausgerechnet hatte, war es noch eine Weile hin. Sie hatte also noch viel Zeit, das zu besprechen – mit Natsu, mit Erza, mit Grandine, vielleicht sogar mit der Frau in der Beratungsstelle.
 

Also kein Grund zur Panik.
 

Dass sie tatsächlich Unterstützung von anderen bekam, wie Nasu ihr versichert hatte, wenn auch aus eher unerwarteten Richtungen, zeigte sich bereits am nächsten Montag. Gray schob ihr wortlos eine einfache, weiße Pappschachtel über den Tisch, die einen aromatischen Duft verströmte. „Was ist das?“, wollte sie von ihm wissen und schnupperte leicht daran. Es roch gut, zart und leicht blumig.
 

Gray wurde rot. „Tee. Gegen…“ Er senkte die Stimme, so dass sie ihn kaum verstehen konnte. Offensichtlich war es ihm peinlich, über das Thema zu sprechen. „…du weißt schon. Morgenübelkeit.“
 

„Was?! Woher…?“ Woher wusste er das!? Es … es störte sie nicht wirklich, dass er es tat, immerhin war er einer ihrer engsten Freunde. Es war nur fair, dass er unterrichtet worden war, nachdem alle anderen ihres Vierergespanns schon Bescheid wussten. Aber in diesem Moment überrumpelte es sie einfach.
 

Vielleicht hätte sie es ihm einfach selbst sagen sollen.
 

„Natsu hat’s mir erzählt. Er … er brauchte jemandem zum Reden, auch wenn ich nicht glaube, dass er das wirklich geplant hat.“ Gray grinste schief und zuckte mit den Schultern. Okay. Das klang nach Natsu. Vermutlich hatte er gar nicht nachgedacht und es war einfach aus ihm herausgeplatzt.
 

Aber sie konnte es ihm kaum verübeln.
 

Sie hatten zwar abgemacht, es niemandem zu sagen, aber Erza wusste auch schon davon und sie war Lucy eine unentbehrliche Stütze. Mit ihr konnte sie über alles sprechen, das sie selbst gegenüber Natsu nicht zu äußern wagte. Er brauchte vermutlich auch jemanden, mit dem er reden konnte, der eben nicht Lucy war. Da Igneel wegfiel, blieb offensichtlich nur noch Gray, dem er genug vertraute. Allerdings… „Woher kommt der Tee?“ Gray war ganz sicher nicht bewandert mit diesem Thema. Also musste das Geschenk von jemand anderem stammen.
 

Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und sah zur Seite. „… Ur.“, gab er dann zu.
 

„WAS?!“ Lucy starrte ihn entgeistert an. Nicht nur, dass er selbst davon wusste, er hatte es auch gleich weitergetratscht?! Es war ihr Geheimnis, ihre Sache! Nun ja, Natsus auch, aber… ganz sicher nicht Grays! Er hatte kein Recht…
 

„Ich schwöre, ich wollte es ihr nicht erzählen!“ Sein Gesicht war knallrot und er hob abwehrend die Hände. „Aber du kennst sie ja. Sie hat es halt rausgefunden, kaum dass Natsu weg war.“
 

Lucy schnaufte, beruhigte sich aber wieder. Ur hatte eine Art an sich, jedem noch die geheimsten Geheimnisse zu entlocken, vor allem, wenn sie mit Sorgen einhergingen. „Stimmt.“ Trotzdem war sie nicht glücklich mit der Situation.
 

„Sie wird es nicht weitererzählen.“, versprach Gray und sah immer noch verschreckt aus. „Aber sie hat mir das gegeben und gesagt, wenn du jemanden zum Reden oder sonst irgendwie Unterstützung brauchst, kannst du zu ihr kommen.“
 

Lucy blickte ihm einen Moment schweigend an, dann seufzte sie und sackte zusammen, so dass sie das Kinn auf die Tischplatte legen konnte. Irgendwie … war das sogar eine Erleichterung, stellte sie nach einem Moment fest. Und vielleicht konnte Ur ihr tatsächlich helfen.
 

Sie war Grays Stiefmutter und ein wirklich außergewöhnlicher, unkonventioneller Mensch, dem es leichtfiel, andere Leute zu akzeptieren ohne über sie und ihre Macken zu richten. Vielleicht lag es daran, dass sie selbst Künstlerin war, deren Werke sich inzwischen ganz gut verkauften, aber die lange genug darum gekämpft hatte, anerkannt zu werden. Lucy hatte sie immer für ihre selbstsichere Stärke und ihre natürliche Furchtlosigkeit bewundert. Layla hätte sie ganz sicher gemocht. Jude dagegen kam überhaupt nicht mit ihr aus.
 

Ur hatte Grays Vater Silver erst vor ein paar Jahren geheiratet und einen Pflegesohn mit in die Ehe gebracht, Lyon, der dieses Jahr seinen Schulabschluss gemacht hatte. Anscheinend hatte sie auch eine leibliche Tochter, doch was mit dieser geschehen war, wusste nicht einmal Gray, denn Ur sprach nie über sie. Vielleicht war sie tot.
 

Lucy konnte sich leicht vorstellen, wie Ur sofort bemerkt hatte, dass Gray sich über etwas Ernsthaftes Gedanken machte, und es ihm entlockt hatte. Auch konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Frau das Geheimnis an irgendwen weitertratschen würde; das war einfach nicht ihre Art.
 

Also konnte sie beruhigt sein, ja, sie fühlte sich sehr erleichtert, da sie wusste, dass sie nun von einer erwachsenen Person Unterstützung hatte, die kein Theater aus der Schwangerschaft machen würde. Dass sie sich an jemanden wenden konnte, der ihr wirklich helfen würde, wenn sie es benötigte. So gesehen war diese Wendung nicht so schlimm…
 

Sie warf Gray ein Lächeln zu. „Danke.“, sagte sie nur und ließ die Packung in ihrer Tasche verschwinden, gerade als ihre Klassenlehrerin hereinkam. Gray blickte sie noch einen Moment an und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Dann schüttelte er den Kopf und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Aber Lucy verstand ihn auch so. Auf ihn konnte sie ebenfalls zählen.
 

Warum hatte sie sich eigentlich solche Sorgen gemacht, alles allein stemmen zu müssen? Ihr Vater war eine Sache, aber das hieß nicht, dass sie nicht noch mehr Familie hatte.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Die Fullbusters lebten in einem einfachen Reihenhaus, das schon ein paar Jahre auf den Buckel hatte und ganz am Ende der Straße lag. Trotzdem sah es gepflegt und gut erhalten aus und die Fenster waren neu. Hinter dem großzügigen Grundstück erstreckte sich der Kardia-Park, sodass man den Weg zwischen ihm und der Dragon’s Garage bequem zu Fuß laufen konnte.
 

Die große, abstrakte Statue im Vorgarten gab dem Besitz allerdings einen außergewöhnlichen Touch, der nicht jedem in der Gegend gefiel, wie Gray immer wieder berichtete, meist einhergehend mit lustigen Anekdoten über aufgebrachte Nachbarn. Lucy hatte sie immer gemocht, erinnerte die Figur sie doch an einen nach oben strebenden Engel, sanfte geschwungene Kurven und nahezu zarte Linien aus Stein, Metall und sanft eingefärbtem Glas, das die Sonne fing. Ur selbst hatte sie geschaffen.
 

Die in das Haus eingebaute Garage stand offen und gab den Blick frei auf ein weiteres Werk Urs, das jedoch erst halb fertig war. Trotzdem juckte es Lucy geradezu unter den Fingern, die weiße Steinstatue näher anzusehen und sich an der lebensechten Detailfreudigkeit zu ergötzen.
 

In der Auffahrt stand nur Urs Harley; Silver war vermutlich noch arbeiten – kein Wunder, immerhin war Donnerstagnachmittag. Der Unterricht war überraschend ausgefallen und während ihre Freunde beschlossen hatten, die unerwartete Freizeit damit zu verbringen, sich gegenseitig zu verprügeln, war Lucy kurzentschlossen hierher gekommen, auch wenn sich in ihrem Magen ein Knoten zusammengeballt hatte, der mit jedem Schritt größer und schwerer geworden war.
 

Doch anstatt Ur öffnete Lyon ihr die Tür, Überraschung auf dem klassisch gutgeschnittenen Gesicht, als er sie erkannte. Sein weißes Haar stand in alle Richtungen ab, als sei er eben erst aus dem Bett gekrochen, doch seine schwarzen Augen blickten wach auf sie hinunter. Er trug nur Jogginghosen und ein einfaches, wenn auch ein bisschen zu enges Tank Top, das seine muskulösen Arme gut zur Geltung brachte, und sie halfen nicht, den Ich-bin-gerade-eben-aufgestanden-Look abzuschwächen.
 

„Hi, Lucy.“, begrüßte er sie und trat beiseite, damit sie eintreten konnte. Allerdings schob er gleich hinterher: „Gray ist nicht da. Er ist in der Schule – oder sollte dort sein.“
 

„Ich weiß.“, gab sie zu und versuchte ein Lächeln, das etwas zu gezwungen wirkte. Inzwischen war ihr schlecht. Vielleicht sollte sie einfach wieder gehen. „Der Nachmittagsunterricht ist ausgefallen. Ich habe gehofft, ich könnte mit Ur sprechen.“
 

Er verstand offensichtlich nur Bahnhof, aber trotzdem drehte er sich um und brüllte: „Ma! Lucy möchte mit dir sprechen!“ Diese zuckte zusammen ob der plötzlichen Lautstärke und widmete sich ihren Schuhen, um den kleinen Schock zu überspielen.
 

„Einen Moment!“, schrie Ur aus den Tiefen des Hauses zurück und Lucy ließ sich von Lyon in die gemütliche Küche bugsieren, die hellrot und orange gestrichen war, was sich schön mit den Schränken aus Echtholz ergänzte. Unter dem Fenster, das auf den Hof hinausging, stand eine Eckbank und durch die Durchreiche und die offene Tür konnte man in den großen Wohnraum sowie den blühenden Garten dahinter sehen.
 

„Kaffee?“, bot Lyon ihr an und angelte nach seiner eigenen Tasse. Dann schnitt er eine Grimasse. „Sorry, ich hatte Nachtschicht und bin grad erst aufgestanden. Willst du etwas anderes trinken?“
 

Erst wollte sie ablehnen, doch dann entschied sie sich um. Es wäre praktisch, wenn sie etwas zum Festhalten hätte. „Hast du Wasser da?“ Vielleicht würde das ihren Magen etwas beruhigen. Oder sie fragte gleich nach dem Tee?
 

Nachdem er ihr etwas gerichtet hatte, setzten sie sich an den Tisch und plauderten. Lyon war immer in interessanter Gesprächspartner und sie war jedes Mal erstaunt, wie unterschiedlich er und Gray waren. Natürlich waren die beiden nicht einmal verwandt und tatsächlich kannten sie sich noch keine zehn Jahre, aber sie waren eine Familie. Streiten jedenfalls konnten sie sich wie echte Brüder.
 

Lyon würde im Herbst an die Uni gehen, was für Lucy natürlich besonders interessant war, und arbeitete im Moment in einer Fabrik, um sich ein kleines, finanzielles Polster zu schaffen. Natürlich konnte er ihr noch nicht sagen, wie das Leben als Student so war, doch vorher musste sie ja selbst noch an einer Universität angenommen werden und das war ein Thema für sich.
 

Mitten im Gespräch fiel ihr noch etwas auf: Lyon war nicht Urs biologischer Sohn. Bis jetzt hatte das noch nie eine Rolle gespielt, aber jetzt war noch ein anderer Faktor hinzugekommen. Vielleicht … vielleicht konnte Ur ihr einen Rat bei ihrem Dilemma geben, kannte sie die Sachlage von der anderen Seite. Hierher zu kommen war eher ein spontaner Entschluss gewesen, auch wenn sie mit dem Gedanken gespielt hatte, seit Gray ihr das Angebot überbracht hatte.
 

„Ah, Lucy!“, unterbrach eine dunkle Stimme das stockende Gespräch und sie blickte auf. Ur war eine schlanke, jung gebliebene Frau mit kurz geschnittenem, dunklem Haar und schwarzen Augen, die nur wenig größer war als Lucy. Trotzdem nahm sie sie metaphorisch gesprochen viel Platz ein, sie wirkte überlebensgroß allein durch ihre furchtlose, energische Präsenz. Sie war stets forsch und etwas übermütig und sie nahm niemals ein Blatt vor den Mund.
 

„Oh, ähm… Hi.“, druckste die Angesprochene herum und erhob sich, die Finger fest um ihr Glas geschlossen, um nicht nervös mit ihrem T-Shirt-Saum zu spielen. Plötzlich war sie nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee gewesen war. Bis jetzt war sie stets gut mit Ur klar gekommen, doch sehr nahe standen sie sich nicht. Sie war eben die Stiefmutter eines ihrer besten Freunde.
 

Außer natürlich, wenn es um Kunst ging – Ur als Künstlerin hatte natürlich viel über dieses Thema zu sagen. Lucy genoss jegliche Gespräche mit ihr, ihren trockenen Humor und ihre innere Stärke und geradlinige Selbstsicherheit, die in ihr so deutlich waren, dass Lucys stets das Gefühl hatte, etwas davon abzubekommen, wenn sie nur in ihrer Nähe war.
 

„Ich … ich wollte …Gray hat gesagt…“, begann Lucy stammelnd und hätte sich am liebsten selbst geschlagen. Warum war das so schwer?
 

„Ich verstehe.“, unterbrach Ur das hilflose Stottern. „Komm, wir gehen ins Studio rüber.“
 

Lucy warf Lyon einen entschuldigen Blick zu, doch der winkte nur ab. Also folgte sie der Frau durch das Wohnzimmer hinüber in einen hellen Anbau, in dem Ur sich ihre Werkstatt eingerichtet hatte. Der Raum war ziemlich groß und sehr, sehr unordentlich.
 

Direkt neben der Tür stand eine kleine, metallene Sitzgruppe und an den Wänden standen kunterbunt zusammengewürfelte Regale und Schränke, die vollgestopft waren mit allen möglichen Dingen, die Ur für ihre Arbeit brauchte – Werkzeug, Rohmaterial, Farben, Zeichenblöcke für Entwürfe und und und.
 

Der Boden war bedeckt mit feinem Steinstaub und in einigen herumstehenden Kisten stapelten sich Reste und Gestein. Sie arbeitete größtenteils plastisch und in der Mitte des Raumes stand ein Block Alabaster, in dem schon die Grundformen des Endergebnisses zu sehen waren, ein steigendes Pferd, die Vorderbeine hochgeworfen.
 

Über dem Tisch hingen Fotos an den Wänden, offensichtlich Familienbilder – Gray und Lyon, dazu Silver. Auch das Hochzeitsbild des Paares war darunter und ein kleines Mädchen in einem dunklen Kleid, mit zwei Rattenschwänzchen über den Ohren, das aussah wie Ur und das gleiche Grinsen hatte. Ob das Urs Tochter war, über die niemand sprach?
 

„Setz dich doch.“, wies Ur sie an und deutete auf den einzigen freien Stuhl im Raum; die anderen waren belagert mit weiterem Kram. Lucy kam der Aufforderung nach, während die Frau einen zweiten Stuhl freiräumte und sich darauf niederließ. Auffordernd sah sie das junge Mädchen an und schenkte diesem ihre völlige Aufmerksamkeit.
 

Lucy holte tief Luft und wenn sie geglaubt hatte, keine Worte zu finden, so hatte sie sich getäuscht, denn sie platzte sofort hinaus: „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Und ich weiß nicht, mit wem ich darüber sprechen kann. Ich … tut mir leid. Ich sollte dich damit nicht belasten, du hast damit nicht zu tun, aber ich… ich weiß nicht, wo sich sonst hingehen soll…“ Ihre Stimme wurde immer leiser und verklang schließlich kläglich.
 

Ur legte ihr eine tröstende Hand auf den Arm und lächelte ihr zu. „Du belastest mich gar nicht. Ich hätte dieses Angebot nicht gemacht, wenn ich es nicht ernst gemeint hätte, okay?“ Sie setzte sich wieder gerade hin und verschränkte die Hände auf dem Tisch. „Ich weiß, dass du nicht sehr viele weibliche Ansprechpartner hast, die auch noch erwachsen sind und keinen Aufstand machen werden. Sowas ist manchmal ganz nützlich. Es tut mir übrigens leid, dass ich dein Geheimnis auf diese Weise erfahren habe. Ich dachte, Gray wäre es, der sich in die Nesseln gesetzt hat, auch wenn ich sicher gegangen bin, dass er sich mit Verhütung auskennt.“
 

Lucy stieß ein abgehacktes Lachen aus. So oft wie Gray seine Freundinnen wechselte, wäre es für einen Außenstehenden nicht verwunderlich, wenn er eine davon schwängern würde. Aber er war tatsächlich beinahe paranoid, was Verhütung anging, und jetzt hatte Lucy den Verdacht, dass das stark mit Ur zusammenhing. Auch wenn es natürlich keine Garantie gegen Schwangerschaft war, wenn man über das Thema Bescheid wusste – Lucy selbst war das beste Beispiel dafür. „Danke für den Tee. Er hilft mir sehr.“
 

„Dachte ich mir fast, für mich hat er Wunder getan.“ Sie lehnte sich zurück und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die begonnene Statue, auch wenn Lucy sicher war, dass sie ganz auf ihre junge Gesprächspartnerin achtete. Doch die war froh um diese kleine Pause, die ihr Gelegenheit gab, sich zu sammeln.
 

„Natsu und ich haben beschlossen, dass wir keine Abtreibung machen wollen.“, sagte sie schließlich. „Aber ich weiß trotzdem nicht, wie das jetzt weitergehen soll. Ich … wir sind … Ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon kann, ein Kind großziehen.“ Sie drehte ihr Glas zwischen den Händen.
 

„Diese Frage stellen sich alle werdenden Eltern irgendwann, egal ob das Kind geplant war oder nicht.“ Ur verstummte für einen Moment und ihr Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Doch das war keine erfreute Geste. „Oder fast alle zumindest.“ Dann zuckte sie die Schultern. „Allein, dass du dir solche Gedanken machst, zeigt doch schon, dass du bereit bist, Verantwortung zu übernehmen, und dass du das Richtige tun willst. Außerdem kenne ich dich. Wenn du es willst, packst du alles.“
 

Lucy lächelte dankbar. Es war eine Sache, so etwas von Erza oder Natsu zu hören, aber eine ganz andere, wenn eine Person mit mehr Lebenserfahrung es ihr versicherte, noch dazu eine, die selbst persönliche Erfahrung mit dem entsprechenden Thema gemacht hatte. Und Ur hatte zwei wundervolle junge Männer großgezogen.
 

Trotzdem platzte sie erneut heraus, als hätte sie heute keinen Verstand-Mund-Filter: „Lyon ist adoptiert, nicht wahr? Ich … kannst du … mir etwas mehr darüber sagen? Über das Verfahren, meine ich und so?“ Sie wollte der Frau nicht zu nahe treten, nachdem diese ihr schon dieses großzügige Angebot zum Reden gemacht hatte.
 

Ur presste die Lippen zusammen. „Lyon ist mein Pflegesohn, das ist etwas anderes als eine richtige Adoption. Außerdem lief das mit ihm nicht ganz so ab wie es das normal tut.“, gab sie zu. „Ich kannte ihn schon, bevor er zum Pflegekind wurde. Er lebte mit seinen Eltern direkt neben mir, früher, noch ehe ich Silver kannte. Er… Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich ihn mit blauen Flecken und Veilchen gesehen habe oder einem Arm in einem Gips.“
 

Lucy schluckte und schlug sich eine Hand vor den Mund. Das hatte sie nicht gewusst; das hatte sie nicht einmal geahnt, ansonsten hätte sie diese doch sehr persönliche Frage nicht gestellt. Wusste Gray überhaupt davon?
 

Ur blickte sie nicht an, ihre Züge waren niedergeschlagen, ein trauriges Lächeln auf den Lippen. „Er hat immer die Äpfel von meinem Baum im Garten gestohlen, um sie in sich hineinzuschlingen. Aber wenn ein Kind vier, fünf unreife Äpfel auf einmal isst, dann ist das nicht normal. Also hatte ich immer etwas im Kühlschrank, das ich für ihn aufwärmen konnte.“ Sie zuckte mit den Schultern und ihre Stimme klang bitter, als sie weitersprach: „Irgendwann hatte ich genug Beweise zusammen, damit das Jugendamt endlich in die Gänge kam. Und dann ist er irgendwie bei mir gelandet.“
 

Für einen Moment senkte sich Stille zwischen sie und Lucy war es unangenehm, überhaupt nachgebohrt zu haben. Aber wer hätte gedacht, dass ihre Frage solche Untiefen auftat? Doch Ur schien es ihr nicht übel zu nehmen, denn sie wandte sich ihr wieder zu und machte eine wegwischende Handbewegung.
 

„Lassen wir das, das ist zu deprimierend und schon lange vorbei.“, erklärte sie resolut. „Ich kann dir allerdings versichern, dass ich eine ganze Reihe Überprüfungen über mich habe ergehen lassen müssen, ehe Lyon endlich zu mir kommen konnte, falls es dieser Aspekt ist, worüber du dir Sorgen machst. Und nebenher habe ich ein paar Dinge über die Abläufe einer Adoption mitgekriegt. Für ein Baby findet sich immer sehr schnell eine Familie, die es liebt und wie ein eigenes Kind aufzieht. In deinem Fall vermutlich sogar, noch ehe es geboren ist. Es sind immer Leute, die finanziell gut genug gestellt sind und ein Kind versorgen können, stabile Verhältnisse, keine zwielichtigen Hintergründe, kein gar nichts. Die sind da wirklich streng und sehr gründlich.“
 

Lucy nickte langsam. Tatsächlich hatte sie viel darüber nahgedacht – es war ihre größte Sorge bei dem Gedanken an eine Adoption. Was, wenn dieses ihr Baby in eine schlechte Familie kam? Vorher würde sie alles andere aufgeben. Natürlich gab es niemals eine Garantie, doch man schien alles dafür zu tun, dass dem nicht so war.
 

„Denk daran, dass du dich noch nicht jetzt entscheiden musst. Du hast noch Monate dafür Zeit.“, wies Ur auf. „Wenn du willst, kann ich dich mit einem Bekannten in Verbindung bringen, der mir damals geholfen hat. Er kann dir mehr darüber erzählen.“
 

„Oh… Nein. Ich … ich weiß es einfach nicht.“ Lucy seufzte schwer und in ihrem Magen breitete sich erneut dieses schlechte Gefühl aus, schwer und anklagend. „Auf der einen Seite will ich es einfach tun, verstehst du? Dann kann ich da weitermachen, wo ich aufgehört habe, als sei alles nie geschehen, und muss die Verantwortung nicht übernehmen und kann einfach so tun, als hätte ich mir dieses Problem niemals eingebrockt. Ich kann sogar sagen, dass ich einem kinderlosen Ehepaar eine große Freude gemacht habe. Auf der anderen Seite… Ich … ich komme mir vor wie ein herzloses Monster, das nur an sich selbst denkt, selbstsüchtig und egoistisch.“
 

Ur nahm ihre Hände und drückte sie tröstend. „Selbst wenn du es aus diesem Grund tun würdest, macht dich das noch lange nicht zu einem Monster.“, versicherte sie. „Aber hier geht es nicht mehr allein nur um dich, das darfst du auch niemals vergessen. Du musst jetzt Entscheidungen für zwei treffen. Das tun, was das Beste für das Baby ist.“
 

„Aber ist ein Kind nicht immer bei den Eltern am besten aufgehoben?“ Schon während sie die Worte dachte, erkannte sie, wie blöd sie waren – hatten sie nicht eben darüber gesprochen, dass dem nicht immer so war?
 

„Nein, ist es nicht und es ist keine Schande darin, sich das einzugestehen.“, versicherte Ur ihr sofort. „Im Gegenteil, es zeugt von großer Stärke, seine eigenen Schwächen zu erkennen und sie zuzugeben, Hilfe anderswo zu suchen. Wenn du wirklich das Gefühl hast, dass du der Aufgabe nicht gewachsen bist, wäre es vielleicht doch das Beste, wenn du sie abgibst.“
 

Lucy nickte langsam. Hilfe holen und annehmen, das war keine Schwäche. Ein Baby war bei ihr sicher nicht so gut aufgehoben wie bei einem liebenden, gut situierten Ehepaar, das sich schon seit Jahren ein Kind wünschte, das mehr Lebenserfahrung hatte und im allgemeinen weniger … jung war wie sie und Natsu, verantwortungsbewusster und einfach bereiter für diese gigantische Aufgabe, die Lucy im Moment so unmöglich erschien.
 

Wieso kam sie sich trotzdem vor, als würde sie diese Entscheidung trotzdem für ihren eigenen Nutzen herbeiziehen wollen?
 

„Womit ich nicht sagen will, dass du in diesem Fall diese Hilfe brauchst.“, erklärte Ur und drückte noch einmal ermutigend ihre Hände, ehe sie sie losließ. „Denke darüber nach. Schreib deine Gedanken auf, mach Listen, die dafür und dagegen sprechen. Überstürze nichts. Ich bin sicher, du wirst zu einem Ergebnis kommen, das dich zufrieden stellt. Und vergiss nicht, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du reden willst.“
 

Lucy atmete tief ein und nickte. „Danke.“, murmelte sie, auch wenn sie eigentlich noch keinen Schritt weiter war. Aber sie fühlte sich nicht mehr ganz so aufgewühlt und durcheinander und der Knoten in ihrem Magen hatte sich beinahe aufgelöst.
 

Darum wandte sie das Gespräch einem anderen Thema zu und richtete den Blick auf das begonnene Kunstwerk in der Mitte des Raumes. „Soll das ein Pferd werden?“

1. Special, in dem Natsu den Mund nicht halten kann

Ohne den Blick von der Mattscheibe zu nehmen, auf dem sein Charakter gerade geduldig auf Lauer lag, griff Natsu in die Schüssel mit den Gummibärchen und stopfte sich eine Handvoll davon in den Mund. Tatsächlich wartete sein futuristisch ausgestatteter Soldat nur, weil er selbst nebenher essen konnte, während Gray seinen eigenen Mann in Stellung brachte.
 

„Fresssack.“, knurrte der Dunkelhaarige, den Blick konzentriert auf den Fernseher gerichtet, um seinen Soldaten lautlos durch unwirtliches Gelände zu manövrieren.
 

Natsu grinste ihn nur an und nahm sich mehr von den Süßigkeiten. „Du bist ja nur neidisch.“
 

„Auf was? Deine Fähigkeiten, allen möglichen Scheiß zu verschlingen, ohne, dass dir schlecht wird? Nein, danke, ich bin Genießer.“
 

„Rede dir das nur selber ein.“
 

„Bei deinem Fressverhalten ist es ein Wunder, dass du nicht dreimal so fett bist.“
 

„Das liegt nur daran, weil ich dich im Training immer schön fertigmachen kann. Wart’s nur ab.“
 

Tatsächlich würden sie nachher in die Trainingshalle gehen und schlugen im Moment nur ein bisschen Zeit tot. Bei Gray stimmte das im gewissen Sinne sogar wortwörtlich, weil sein Charakter lautlos an einen Feind herangeschlichen war und diesen jetzt hinterrücks erstach.
 

Sie hatten es sich auf dem durchgesessenen Sofa in seinem Zimmer gemütlich gemacht und die Spielekonsole noch für ein paar Minuten angeschaltet. Die Sonne fiel in Streifen durch die heruntergelassene Jalousie, was den Raum in ein angenehmes Dämmerlicht tauchte, und in der Ecke brummte ein Ventilator, um die stickige Luft etwas aufzulockern.
 

Gray öffnete den Mund zu einer Antwort, als sein Handy mit irgendeinem kitschigen Liebeslied loslegte. Er stöhnte genervt auf und schaute nicht einmal auf den kleinen Bildschirm, ehe er den Anrufer wegdrückte. Natsu grinste süffisant; er war so froh, dass Lucy nicht auf so einen bescheuerten, personalisierten Klingelton bestand.
 

„Willst du nicht drangehen, Gray-Schatz?“, frotzelte er.
 

„Halt die Fresse.“, war die grobe Antwort und selbst Natsu erkannte, dass die Trennung von Gray und Louise nur noch eine Frage der Zeit war, obwohl er nicht gerade ein Held war, was solche Vorhersagen betraf.
 

Ihm war es nur recht; er hatte diese verwöhnte Zicke, die Gray ständig vorschreiben wollte, wie er sich zu verhalten hatte, eh nie leiden können. Spätestens, nachdem sie ihn so blöd angemacht hatte, als er und Gray das erste Mal vor ihren Augen in eine kleine Rauferei geraten waren, hatte er sie gefressen. Es war ja noch nicht einmal etwas kaputt gegangen! Lucy ermahnte ihn zwar immer, zivilisiert zu bleiben, aber was ging Louise seine und Grays Freundschaft an? Was fand Gray an der eigentlich?
 

„Was denn, Gray-Schatz? Schon genug, Gray-Schatz? Wie hältst du es überhaupt so lange mit der aus, Gray-Schatz?“, stichelte er grinsend.
 

„Manchmal frage ich mich, wie ich es so lange mit dir aushalte, Feuerhirn.“, knurrte der zurück und ließ seinen Soldaten an die nächste Wache heranschleichen.
 

„Ich bin eben unwiderstehlich.“ Natsus Grinsen wurde breiter und er stopfte sich noch mehr Gummibärchen in den Mund.
 

„Mit diesen Fressmanieren? Das glaubst auch nur du selbst.“
 

Natsu öffnete den Mund um zu erklären, dass zumindest Lucy dies ebenfalls so sah und Gray sich doch jemanden so Tolles und Außergewöhnliches wie sie besorgen sollte – ein Ding der Unmöglichkeit, denn Lucy war einzigartig. Doch was stattdessen herauskam, war: „Lucy ist schwanger.“
 

Für einen Moment blieb es still und Natsu verfluchte sich innerlich, den Blick starr auf den Fernseher gerichtet, wo Grays Soldat gerade zum Angriff übergegangen war. Dabei hatte er doch mit seiner Freundin ausgemacht, es vorerst geheim zu halten. Aber es war einfach aus ihm herausgebrochen und er hatte keine Ahnung, wo die Worte überhaupt hergekommen waren.
 

Denn eigentlich befand er sich noch immer in dem Status, die Neuigkeit noch nicht glauben zu können, dabei war es schon ein paar Tage her, seit Lucy es ihm eröffnet hatte. Vier Tage, um genau zu sein, vier Tage, an denen er die Worte in sich aufgestaut hatte, an denen er mit niemandem darüber gesprochen hatte.
 

Vier Tage, an denen er versucht hatte, die Worte zu begreifen. Vier Tage, in denen er versucht hatte, sich nicht von Beklemmung überwältigen zu lassen. Ein Baby. Lucy und er? Wenn das nur mal gut ging…
 

„Was.“, sagte Gray dann und auf dem Bildschirm wurde sein regloser Charakter gnadenlos niedergemacht. Einen Moment später flimmerte das Game Over über den Fernseher und Gray sagte: „Wiederhol das nochmal.“
 

Natsu warf ihm einen bösen Blick zu. „Hast du was auf den Ohren?“
 

„Willst du mich verarschen?!“, war die heftige Gegenfrage und Natsu warf seinen Controller beiseite. Wenn er es schon ausgeplaudert hatte, konnte er seinem besten Freund auch die ganze Geschichte erzählen. Vielleicht hatte Gray einen Rat für ihn, wie er mit der Situation fertig wurde, obwohl er ganz sicher niemals zugeben würde, auch nur daran gedacht zu haben. „Nein. Ich…. Es ist an deinem Geburtstag passiert. Sie hat es mir am Montag gesagt und ist dann erstmal durchgedreht und … ich schätze, sie macht sich echt viele Sorgen.“
 

Gray warf ihm einen abschätzigen Blick zu. „Und du nicht?!“ Er schleuderte seinen Controller in den Sessel und warf sich zurück. „Schwanger. Scheiße.“ Mit der Hand fuhr er sich durch das Gesicht. „Wenn das mir passieren würde, würde Ur mich auf der Stelle umbringen.“ Dann warf er Natsu noch einmal einen misstrauischen Seitenblick zu und fragte: „Und du willst mich hier wirklich nicht auf den Arm nehmen?“
 

Der warf die Arme hoch. Als ob er über so ein Thema Witze machen würde! „Nein, wenn ich’s doch sage! Ich kann’s selbst noch kaum glauben!“ Er griff nach mehr Gummibärchen, inzwischen waren nur noch wenige in der Schüssel. Doch anstatt sie zu essen, hielt er sie nur in der Hand. „Ich weiß gar nicht, was ich denken soll.“
 

Gray seufzte einmal laut und als Natsu aufsah, rieb er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Was sagt Igneel denn dazu?“
 

Sein Vater würde ihn umbringen, davon war Natsu noch immer fest überzeugt. „Wir haben’s ihm noch nicht gesagt.“, murmelte er dumpf und sankt tiefer in die Polster der alten Couch. Doch sein Vater war noch harmlos, im Gegensatz zu… „Jude auch nicht.“ Jude würde ihm den Kopf abreißen und ihn dann rädern und vierteilen und das war noch nicht mal übertrieben. Nicht sehr zumindest. Igneel würde schon darüber hinwegkommen.
 

Gray schnaubte und lehnte sich zurück. „Daran zweifel ich nicht, ansonsten wärest du schon tot.“ Anscheinend teilte er Natsus Meinung über Lucys Gruselvater.
 

„Danke für die Blumen.“, knurrte Natsu, aber er musste sich insgeheim eingestehen, dass er davor am meisten Bammel hatte. Jude kam schon so nicht mit ihm klar und dann sowas noch oben drauf? Scheiße, wenn er das nur Lucy hätte ersparen können…
 

Nur, um Gray nicht ansehen zu müssen, reihte er seine Gummibären auf seinem Bein auf, um sie nacheinander aufzuessen. Es waren noch drei übrig, als Gray schließlich fragte: „Was werdet ihr jetzt tun?“
 

Natsu zuckte mit den Schultern. Darüber hatten sie noch nicht wirklich gesprochen, nachdem sie dieses eine Thema vom Tisch geschafft hatten, worüber er sehr erleichtert war. Eine Abtreibung hätte er nicht verwinden können – das war sein … sein Kind, seine Familie –, aber Lucy zu etwas zu zwingen, das ihr zuwider war, war ebenso schlimm. Zum Glück war es nicht zu dieser Entscheidung gekommen.
 

Er futterte die drei Bären, ehe er antwortete: „Lucy will das Baby bekommen.“, erzählte er. „Und dann…“ Er zuckte mit den Schultern. „Und dann werden wir schon ausknobeln, wie es danach weitergeht. Ich meine, früher oder später werden wir eh zusammenziehen. Lucy hat schon öfter erwähnt, dass sie eine kleine Wohnung auch toll findet, sie muss nicht unbedingt in ein Studentenwohnheim. Und mir ist das eh egal. Wir kriegen das schon hin.“
 

Davon war er überzeugt, auch wenn er schon etwas Bammel davor hatte. Es war einfach so… so früh und so plötzlich. Er dachte nicht oft über die Zukunft nach, aber wenn er es tat, dann war stets Lucy an seiner Seite und natürlich ihrer Beider Kinder. Denn dass er mit seiner Traumfrau zusammenblieb und eine Familie mit ihr gründete, stand für ihn außer Frage. Vielleicht hatte er manchmal Probleme, es auszudrücken, aber er liebte Lucy und dass sie seine Gefühle erwiderte, war für ihn klar und deutlich.
 

Auch wenn er nicht ganz verstand, warum sie gerade ihn ausgewählt hatte oder was er getan hatte, um so jemanden wie sie zu verdienen. Aber das hinderte ihn nicht daran, dieses Geschenk anzunehmen und festzuhalten. Jetzt hatten sie halt etwas früher angefangen, na und? Sie würden diese Hürde schon nehmen.
 

Gray schnaubte erneut. „Du hast keine Ahnung, was da auf dich zukommt.“, erklärte er spöttisch. „Das Baby wird da sein, ehe ihr mit der Schule fertig seid, wie wollt ihr damit zurecht kommen? Was wird aus Lucys Studium? Und ein Kind ist teuer und das Ausbildungsgehalt ist ein Witz, selbst wenn du es von deinem Vater bekommst. Und nebenher müsst ihr das Baby versorgen. Natürlich nur, wenn Jude euch bis dahin nicht umgebracht hat.“
 

„Jude wird sich damit einrichten müssen.“, knurrte Natsu gereizt. Der alte Sack konnte ihn mal. Dann gab er kleinlaut zu: „Wir haben noch nicht darüber gesprochen.“
 

Gray verfiel wieder in Schweigen und Natsu fragte sich, ob er die Gummibären bis auf den letzten Mann vernichten sollte. Dann musste er seinen Freund zumindest nicht ansehen. Oder sich genauer darüber Gedanken machen, dass er absolut keine Ahnung hatte, was man mit Babys so anstellte. Er würde das schon noch lernen!
 

Doch statt nach den Gummibären zu greifen, setzte er sich wieder auf. „Eigentlich wollten wir es noch geheim halten. Verrat’s also niemandem, okay?“
 

„Kein Problem.“, antwortete Gray. Nach einem Moment fügte er hinzu: „Ich bin froh, dass du’s mir erzählt hast.“
 

„Bild dir bloß nichts darauf ein.“ Selbst für Natsus Verhältnisse war das ein ausgesprochen schwaches Comeback und Gray quittierte es nur mit einem mitleidigen Feixen, das sich aber bald in ein aufrichtiges Lächeln verwandelte. „Ein Baby, huh?“
 

Natsu grinste zurück, plötzlich aufgedreht. „Shit, ich werde Vater.“ Und die Aussicht darauf fühlte sich plötzlich gar nicht mehr erschreckend an. Im Gegenteil, irgendwie freute er sich auf einmal.
 

Sie würden das schon hinkriegen, Lucy und er.

7. Kapitel, in dem sich die Wogen wieder glätten

Die nächsten Wochen wurde die reinste Hölle für Lucy, auch wenn es im Laufe der Zeit zu einer Art Normalzustand wurde. Nicht nur, dass sie sich jeden Morgen übergab und allein der Geruch von Essen Übelkeit in ihr hochsteigen ließ, bis sie endlich eine Tasse von Urs speziellem Tee getrunken hatte, und sie es niemals ganz schaffte, ihre Sorgen und Ängste über die Schwangerschaft und das Baby und alles in den Hintergrund zu schieben, nein, jetzt fing auch noch der Lernstress an. Denn anscheinend wollte jeder Lehrer noch eine oder gar zwei Arbeiten vor dem nahenden Abschluss des Schuljahres schreiben.
 

Also verbrachte sie ihre Abende und den größten Teil ihrer Wochenenden über ihren Büchern. Etwas, dass sie auf keinen Fall wollte, war, dass ihre Schulnoten unter der Schwangerschaft litten, also strengte sie sich doppelt an und brachte sogar ihre eher schwachen Fächer in Höchstform.
 

Oft kamen Erza und ein paar andere Mädchen aus der Klasse zum Lernen vorbei, manchmal auch Gray, der hin und wieder sogar Natsu mitschleppte. Mit letzterem lernte Lucy allerdings lieber bei ihm Zuhause, denn dort warf Jude ihm keine giftigen Blicke zu, wann immer er ihn sah.
 

War sie nicht in die Bücher vertieft, trainierte sie für das Reitturnier, das Ende Juni kam und ging und von dem sie einen dritten Platz mit nach Hause brachte. Nicht schlecht für jemanden, der gerade komplett anderes im Kopf hatte. (Jude war allerdings enttäuscht, dass ihre Siegerserie unterbrochen worden war und gab ihr eine Woche Hausarrest, weil sie sich nicht genug angestrengt hätte.) In den Tests, die sich in der Woche danach häuften, räumte sie allerdings nur Bestnoten ab, was sie und ihren Vater sehr zufriedenstellte.
 

Nebenher bekam sie den berühmt-berüchtigten Heißhunger auf allen möglichen Blödsinn. Nur hatte sie keinen Freund oder Ehemann, den sie mitten in der Nacht zum Supermarkt schicken und der ihr Eis mit sauren Gurken besorgen konnte oder auf was sie sonst gerade so Lust hatte, wie man es im Fernsehen immer sah. Aed, der Koch, und seine Leute wunderten sich jedenfalls über ihre seltsamen Anfragen, da war sie sich sicher.
 

Außerdem hatte sie sich ein Notizbuch besorgt, das so klein war, dass sie es überall hin mitschleppen konnte. Entsprechend trug sie es, wo sie ging und stand, mit sich herum und trug Punkte für und gegen eine Adoption ein, wann immer ihr etwas zu dem Thema einfiel. Dabei achtete sie streng darauf, dass niemand anderes einen Blick hineinwerfen konnte, nicht einmal Erza.
 

Ihr Grausen wegen der Schwangerschaft schien zu einem Dauerzustand geworden zu sein, eine Art Basislinie, die ständig da war, wenn sie daran dachte, aber ansonsten ganz gut zu ignorieren war. (Zumindest redete Lucy sich das ein, denn ihre Gedanken rutschen gefühlt alle fünf Minuten in diese Richtung ab.)
 

Wenn ihre Panik mal zu schlimm wurde, schrieb sie einfach ihre eigenen Gedankengänge nieder, was oft in wirres Geschwafel ausartete. Wenn sie es hinterher wieder las, so war sie selbst oft genug verwirrt über das chaotische Gebrabbel auf dem Blatt, in dem sie sich in Kleinigkeiten verzettelte.
 

Dazu kamen immer mehr und mehr Fragen, die immer tiefer in die Materie eindrangen, und viele davon stellte sie Ur, die gemeinsam mit Erza als ihre Kummerkastentante herhielt. Beide trugen es mit Humor. Wenn Silver und Lyon sich wunderten, warum sie in letzter Zeit so oft bei ihnen anzutreffen war, so sagten sie nichts. Vielleicht nahmen sie an, dass sie mit Gray lernte.
 

Was sie allerdings nicht wagte, war, das das Thema auch mit Natsu anzusprechen. Dafür war sie noch nicht bereit. Vielleicht, weil sie ihm gegenüber nicht zugeben wollte, dass sie wie ein Feigling den einfachen Weg wählen und das Kind einfach weggeben wollte. Die Ohren verschließen, dichtmachen und jemand anderen den schweren Teil überlassen. Für ihn stand niemals zur Debatte, das Einfachere zu tun, nur weil es bequemer war. Er tat immer das Richtige.
 

Stattdessen ließ sie zu, dass Natsu so tat, als hätte sich rein gar nichts verändert. Oder vielleicht tat er nicht einmal so, vielleicht hatte sich für ihn wirklich nichts verändert – oder zumindest nicht viel. Er war noch immer der gleiche, gedankenlose Optimist, den sie so sehr liebte, der ihre stärkste Stütze war und der ihr immer und immer wieder versicherte, dass sie das hinbekommen und alles gut werden würde.
 

Allerdings vertraute Gray ihr einmal an, dass Natsu sich sehr wohl Gedanken machte und nur nicht mit ihr darüber sprach, um sie nicht weiter zu belasten. Dafür redete er mit seinem besten Freund darüber und Lucy war unglaublich erleichtert, dass er es tat.
 

Nicht nur, weil er so jemanden zum Reden hatte, sondern auch, dass er überhaupt die Notwendigkeit darin sah, mit jemandem zu sprechen. Sie hätte ihm glatt zugetraut, das Baby auf die leichte Schulter zu nehmen und leichtfertig zu glauben, dass alles schon irgendwie zum Happy End führen würde, als wäre dies ein Film und nicht das echte Leben.
 

Was Gray ihr jedoch ebenfalls versicherte, war, dass Natsu mit jeder Faser seines Seins daran glaubte, dass alles gut werden würde. Und das machte ihr beinahe Angst. Wie könnte sie verantworten, wenn es doch nach hinten losging?
 

Lucy wusste, dass sie früher oder später nicht umhin kamen, miteinander zu sprechen, aber vorerst war sie froh, dass sie erst ihre eigenen Gedanken ordnen konnte, denn sie fühlte sich immer noch hin und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, alles so schnell wie möglich wieder in normale Bahnen zu lenken, der Befürchtung, an der vor ihr stehenden Aufgabe zu scheitern, und es darum nicht einmal versuchen zu wollen, und dem heimlichen Wunsch, all ihre Sorgen in den Wind zu schießen und das Baby einfach anzunehmen und mit ganzem Herzen zu lieben, wie es das verdiente.
 

Dafür bekam sie nur am Rande mit, wie Erza einen rigorosen Lernplan für Natsu aufstellte, der sogar Wirkung zeigte, Gray sich von seiner Freundin trennte, weil sie ihn ‚zu sehr einengte‘, Loke ausnahmsweise ganze fünf Mal mit dem gleichen Mädchen ausging, diverse Urlaubspläne geschmiedet wurden und Natsu am Schluss sogar ein paar anständige Noten nach Hause brachte, vermutlich weil er Erzas Zorn fürchtete, falls dies nicht geschah. Jude dagegen sagte die Reise ab, die er bereits letztes Jahr für sich und seine Tochter geplant hatte, und Lucy war ausnahmsweise einmal mehr als nur froh darum. Das letzte, was sie jetzt brauchen konnte, waren zwei Wochen, die sie allein mit ihrem Vater in irgendeiner fremden Stadt verbrachte.
 

Außerdem begannen ihre Brüste empfindlich zu werden und sogar zu schmerzen und jede kleinste Berührung fühlte sich gefühlte hundert Mal schlimmer an als vorher. Außerdem bereiteten ihr diverse Gerüche Übelkeit und Dauermüdigkeit überfiel sie wie ein Raubtier. Das Internet sagte ihr, dass das alles ganz normal war, aber das half ihr trotzdem nicht, damit fertig zu werden.
 

Am letzten Abend vor der Zeugnisausgabe saß sie auf ihrem Balkon und starrte in den klaren Sternenhimmel hinauf. Das Heartphiliaanwesen lag beinahe vollständig im Dunkeln, darum konnte man ohne Probleme Dutzende Sterne sehen, die hell und winzig im Firmament funkelten, wie glänzende Perlen auf schwarzem Samt.
 

Lucy erinnerte sich noch gut an die Abende mit Layla, die sie gemeinsam hier oder auf einem der anderen Balkone verbracht hatten, oft genug mit einem Teleskop neben sich. Die Wärme der lauen Sommernacht, der leichte Wind, der die Hitze des Tages vertrieb, das Zirpen der Insekten und hin und wieder ein Käuzchenruf, das weite dunkle Himmelszelt über ihr und in der Ferne die Lichter der Innenstadt – all das vermischte sich zu einer nahezu magischen Atmosphäre und Lucy sog tief die frische Nachtluft ein.
 

Sie hatte ein paar Kissen und Decken mit herausgebracht, aus denen sie sich eine Art Nest gebaut hatte, in das sie sich bequem kuscheln konnte. Die Arme um eines der Kissen geschlungen starrte sie nach oben und fragte sich, was die Zukunft so bringen würde. Die Wege, die sie vor sich sah, waren so unterschiedlich und sie war einfach so ratlos, welche der Bessere war – der Richtige.
 

Nächste Woche hatte sie erneut einen Termin bei Grandine und sie hatte Erza gebeten, sie zu begleiten, da die Gegenwart der Älteren sie vermutlich beruhigen würde – im Gegensatz zu Natsus, der wohl eher etwas durchdrehen und sie damit voll auf die Palme bringen würde. Sie konnte ihn nächstes Mal mitnehmen.
 

Außerdem hatte sie beschlossen, Jude nichts davon zu sagen, solange sie konnte und erst recht nicht, bevor die zwölf Wochen um waren und damit das Zeitfenster, in dem eine Abtreibung möglich war. Sie wollte zwar nicht schlecht über ihren eigenen Vater denken, aber sie würde ihm zutrauen, dass er sie dazu zwang oder es zumindest versuchen würde. Auf diese Weise konnte sie dieses Thema gleich unterbinden.
 

Außerdem hatte sie so zumindest Ruhe bis zu den Sommerferien.
 

Danach hatte sie Wochen an freier Zeit, um all diese Probleme zu lösen. Das änderte natürlich nichts daran, dass der Geburtstermin Ende Januar war. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie es sein würde, mit dickem Babybauch in die Schule zu gehen. Das Gerede würde nicht aufhören. Zum Glück konnte sie auf die Unterstützung ihrer Freunde und natürlich Natsus zählen.
 

Sie senkte den Blick. Im Moment war natürlich noch nichts zu erkennen, immerhin war sie erst in der zehnten Woche vom Tag der Empfängnis gerechnet. Das würde auch noch ein paar Wochen dauern, wie die Internetrecherchen ihr gezeigt hatten und sie war unendlich froh darum. Solange noch nichts zu sehen war, brauchte Jude noch nichts zu erfahren. Doch wie würde es aussehen?
 

Plötzlich neugierig legte sie das Kissen beiseite, mit dem sie gekuschelt hatte, und zog das dünne T-Shirt von ihrem Bauch weg. Natürlich sah das nicht im Entferntesten so aus, als wäre sie schwanger, also ließ sie es wieder los und starrte nachdenklich ihr Kissen an. Eigentlich fand sie solche Szenen, wenn sie sie im Film sah, immer lächerlich. Nur eine dumme Spielerei, die einfach nur doof aussah.
 

Aber jetzt konnte sie nicht anders, auch wenn sie wusste, dass sie, wenn sie dabei erwischt wurde, ein paar unangenehme Fragen beantworten müsste. Aber wer kam um diese Zeit noch zu ihr? Außer Jude und den paar Bediensteten, die in einem der Nebenhäuser wohnten, war sowieso niemand mehr anwesend und ihr Vater arbeitete sicher noch oder gönnte sich gerade einen Drink.
 

Amüsiert über sich selbst nahm sie das Kissen wieder auf und stopfte es sich unter das T-Shirt, bis so viel wie möglich darunter verschwunden war. Es beulte den Stoff zu einer beachtlichen, glatten Rundung aus und war viel zu breit. Das dünne Oberteil spannte so, dass sie das Muster des Bezuges hindurchsehen konnte.
 

Lucy rappelte sich umständlich auf, raffte ihr Nest zusammen, und ging nach drinnen. Ihr dicker ‚Bauch‘ machte das Tragen der Kissen und Decken umständlich und sie verlor auf dem Weg zwei oder drei Teile ihrer Last, die sie gleich neben der Eingangstür auf den Boden fallen ließ. Danach ging sie noch einmal zurück und stellte fest, dass Bücken ebenfalls nur noch möglich war, weil das Kissen weich und nachgiebig war. Ob ein echter Babybauch das auch zugelassen hätte? Vermutlich eher nicht…
 

Sie ging ins Bad und stellte sich vor den großen Spiegel, der von Fußboden zur Decke reichte und in dem sie sich bequem anschauen konnte. Die Ecken des Kissens blickten unter ihrem T-Shirt hervor und es war etwas zu breit, um dem echten Ding tatsächlich zu gleichen. Außerdem war es ganz sicher leichter. Ansonsten befürchtete sie allerdings, dass es nicht weit von der Wahrheit entfernt war.
 

Sie stützte die Hände in die Hüften und reckte den Bauch hinaus. Auf was hatte sie sich da bloß eingelassen?
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Zufrieden ließ Lucy erneut den Blick erneut über ihre Noten gleiten. Einen so perfekten Durchschnitt hatte sie noch nie gehabt. Blieb nur zu hoffen, dass sie das nächstes Jahr auch hinkriegen würde, wenn es wirklich zählte. Damit würde sie eigentlich jedes Fach an jeder Uni studieren können, vermutlich sogar das eine oder andere Stipendium einfahren.
 

Erza neben ihr zog ein finsteres Gesicht. Sie konnte sich zwar auch nicht über ihren Notendurchschnitt beklagen, aber sie war Perfektionistin. Außerdem hatte sie das hochgesteckte Ziel, an Magnolias Universität Jura zu studieren – eine der besten Unis von Fiore in diesem Fach und entsprechend hoch angesetzt war der Numerus Clausus.
 

„Selbst mit diesem Durchschnitt würdest du angenommen werden.“, versuchte Lucy sie zu trösten, doch der Gesichtsausdruck ihrer Freundin verdunkelte sich noch ein bisschen mehr.
 

„Aber so habe ich kaum mehr Luft für einen Fehler. Was, wenn ich eine Arbeit verhaue oder sogar die Prüfung?!“, erklärte die Rothaarige theatralisch. „Ich muss mich nächstes Jahr mehr anstrengen!“
 

Sie schien bereits jetzt Feuer und Flamme dafür zu sein, während Lucy erst einmal froh war, der Schule für ein paar Wochen entkommen zu sein – sie hatte im Moment ganz andere Probleme. Allerdings hatte sie sich allerdings vorgenommen, diese bis zum Ende der Ferien zu lösen, damit sie sich dann ganz auf ihr letztes Schuljahr konzentrieren konnte.
 

Die Zeugnisse von Gray und vor allem Natsu waren schlechter ausgefallen. Allerdings hatte Gray nur das vage Ziel, ebenfalls studieren zu gehen, ohne sich schon ein Fach ausgeschaut zu haben, und Natsu hatte seine Ausbildungsstelle schon sicher, auch wenn Igneel auf ein halbwegs gutes Zeugnis bestand. Es hatte doch seine Vorteile, wenn man in die Fußstapfen des eigenen Vaters treten konnte. Allerdings überlegten die beiden gerade, ob es nicht besser wäre, wenn Natsu seine Ausbildung in einem anderen Betrieb ablieferte, doch sie hatten noch etwas Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.
 

„Endlich! Freiheit!“, dröhnte er gerade hinter den beiden Mädchen. „Das muss gefeiert werden. Wir könnten Zeug zum Grillen einpacken und hoch an den See fahren, was sagt ihr?“
 

„Gute Idee.“, stimmte Gray zu. „Ich muss aber erst kurz zuhause vorbei.“
 

„Ich auch.“, schloss sich Erza an, aber ihr finsterer Gesichtsausdruck wich einem Lächeln.
 

„Wir können uns ja in zwei Stunden an der Werkstatt treffen.“, schlug Lucy vor und sah sich suchend nach Glanville und der Limousine um. „Ich schau, ob ich Fleisch und einen Salat von Aed kriegen kann. Mein Vater kommt erst morgen wieder, sollte also kein Problem sein.“ Zum Glück hatte die Morgenübelkeit letzte Woche nachgelassen und war inzwischen ganz verschwunden, so dass sie wieder essen konnte, was sie wollte.
 

„Der Tag wird immer besser!“, freute sich Natsu mit breitem Grinsen und Lucy entdeckte endlich ihren Chauffeur und winkte ihm zu. „Bis später dann!“, verabschiedete sie sich von ihren Freunden, die ihr zuwinkten und in eine andere Richtung davonbummelten.
 

„Ich sollte einen Kasten Bier abstauben können.“, hörte sie Gray sagen, während sie noch wegging, und Erza fügte hinzu: „Denk daran, auch noch Wasser oder so mitzubringen. Ich werde einen Erdbeerkuchen besorgen.“ Lucy konnte sich das begeisterte Funkeln in den Augen ihrer Freundin gut vorstellen, auch wenn es recht spät im Jahr war für diese Früchte. Die Antwort der Jungs ging in der allgemeinen Vorfreude unter, die die Schüler um sie herum verbreiteten, aber Lucy konnte sich die stichelnden Worte auch so vorstellen.
 

Glanville begrüßte sie mit einem Lächeln und öffnete ihr zuvorkommend die Tür. Die Heimfahrt verbrachten sie in freundlicher Konversation und der Chauffeur versprach, sich bereitzuhalten, um sie rechtzeitig zur Werkstatt zu fahren. Auch Aed war begeistert von ihrer Anfrage und versprach, ihr etwas zu zaubern.
 

Danach klopfte sie an die Bürotür ihres Vaters, doch wie erwartet antwortete niemand; Jude war wohl noch unterwegs und wenn sie Glück hatte, kam er erst morgen oder sogar noch später wieder. Also schob sie die Tür auf und ging zum Schreibtisch hinüber, um ihr Zeugnis gut sichtbar auf der aufgeräumten Oberfläche zu positionieren.
 

Sie hoffte, dass es ihn gnädig stimmen und ihr etwas Nachsicht einbringen würde, wenn der richtige Ärger dann anfing. Jedes Bisschen Gefälligkeit würden ihr helfen, dachte sie und tastete mit der Hand nach ihrem noch flachen Bauch. Trotzdem konnte sie einfach nicht vorhersagen, wie ihr Vater auf die Eröffnung reagieren würde. Ihre Spekulationen gingen in jegliche Richtungen, weswegen sie vermied, darüber nachzudenken, vor allem, so lange sie selbst noch nicht entschieden hatte, was sie mit dem Baby tun wollte.
 

Nachdenklich kehrte sie in ihr Zimmer zurück, um in ihren Bikini an schlüpfen, ehe sie einen kurzen Rock und ein einfaches rosa Tank Top überzog. Ihre Tasche war schnell gerichtet und den Rest der Zeit vertrödelte sie im Wintergarten und auf der Terrasse, ehe sie hinunter in den Hof lief, wo Glanville bereits mit dem Wagen wartete.
 

Aeds Helfer hatten bereits einige Behälter voller Essen im Kofferraum untergebracht, in die sie jetzt ihre Bade- und die Kameratasche stellte. Nachher mussten sie etwas Geschick aufbringen, um alles in Natsus rotem Mustang unterzubringen, aber irgendwie klappte es, auch wenn Lucy sich auf dem Vordersitz etwas eingeengt fühlte.
 

Sie waren nicht die einzigen, die auf die gute Idee gekommen waren, den Beginn der Ferien am See zu feiern, trotzdem ergatterten sie ein gutes Plätzchen unter ein paar Kastanien, wo sie auch den glücklicherweise mitgebrachten Grill feuersicher aufbauen konnten. Sie packten ihr Essen in den Schatten und deckten es ab, ehe sie sich erstmal in den See begaben, um ausgelassen herumzutoben und etwas zu schwimmen.
 

Lucy kehrte allerdings nach einer halben Stunde wieder unter die Kastanien zurück und rollte sich auf ihrem Handtuch zusammen, um etwas zu schlafen. Die Schwangerschaftsmüdigkeit hatte noch nicht nachgelassen und heute konnte sie ihr ausnahmsweise nachgeben. Zufrieden schloss sie die Augen und war trotz den Geräuschen um sich herum rasch eingeschlafen.
 

Natsu war es, der sie weckte, indem er ihr eine Schüssel voll Wasser über das Gesicht leerte. Mit einem erschrockenen Aufschrei fuhr sie auf und jagte ihn erstmal in den See, wo sie versuchte, ihn ins Wasser zu schubsen, dabei aber selbst unter die Wellen geriet. Prustend und lachend tauchten sie wieder auf und Natsu half ihr fürsorglich wieder ans Ufer.
 

Er grinste über das ganze Gesicht, als sei das alles ein großer Spaß und sie boxte ihm gegen die Schulter. „Man, du spinnst!“, fauchte sie ihn an, aber sie konnte das Lächeln nicht ganz unterdrücken. „Andere Jungs wecken ihre Freundin mit einem Kuss, aber nicht du, du Spinner!“
 

„Da siehst du mal, was du an mir hast.“, erklärte Natsu und sie schlugen einen Bogen um eine junge, vollgepackte Familie mit einem Kleinkind, das gerade Laufen lernte, und einem Säugling auf den Armen seines Vaters.
 

„Danke, darauf könnte ich auch gerne verzichten.“, erklärte Lucy und schmollte. Mit einem Kuss würde sie wirklich lieber geweckt werden! Doch Natsu hörte ihr gar nicht mehr zu, sondern schaute über die Schulter zurück. „Was ist?“, wollte sie wissen und folgte seinem Blick zu der Familie hinüber.
 

„Nichts.“ Er zuckte leichtfertig mit den Schultern. „Komm, wir müssen aufpassen, dass die anderen mein mühsam entfachtes Feuer nicht mehr löschen und endlich anfangen, etwas auf den Grill zu legen. Ich habe Hunger.“ Er zog sie zielstrebig auf die Kastanien zu.
 

Gray und Erza saßen in der Nähe und stritten sich freundschaftlich darüber, was zuerst auf den Grill kam – das köstlich gewürzte Fleisch, das zu liebevollen Happen hingerichtete Gemüse, die gefüllten Champignons oder das eingepackte Kräuterbaguette. Aber Lucy hatte jetzt keinen Kopf für essen.
 

„Nein, sag’s mir.“, verlangte sie und blieb stehen, so dass er ebenfalls innehalten musste.
 

Doch statt einer wie gewohnt forschen Antwort rieb er sich verlegen den Hinterkopf und zuckte mit den Schultern, als wäre es nur eine unwichtige Kleinigkeit. Der Rotschimmer auf seinen Wangen verstärkte den Eindruck von Verlegenheit. „Ach, ich dachte nur, dass … naja, das könnten wir sein, nächstes Jahr. Oder so. Nur halt ohne, du weißt schon, Kleinkind.“
 

Überrascht huschte ihr Blick noch einmal zu der Familie hinüber, die ihren Weg langsam durch die Ansammlung an Menschen zu einer freien Fläche suchte. „Oh.“, machte Lucy und fragte sich, was sie darauf antworten sollte.
 

Natsu macht sich bereits Gedanken über solche Dinge, während sie selbst noch nicht einmal wusste, ob sie das Kind wirklich behalten wollte! Aber wenn er es wollte und sie nicht, was würde dann aus ihnen werden? Konnten sie dann überhaupt noch ein Paar bleiben? Der Gedanke durchfuhr sie wie ein Blitz.
 

Musste sie sich entscheiden, was ihr wichtiger war, Natsu oder ihre … ihre Freiheit oder ihre Zukunft oder wie sollte sie das benennen? Aber sie konnte ja noch nicht einmal definitiv sagen, dass sie das Baby nicht wollte und wie sollte sie sich entscheiden mit diesem zusätzlichen Druck und…!
 

„Lucy?“, schnitt Natsus verwirrte Stimme durch ihre sich überschlagenden Gedanken und er spähte besorgt in ihr Gesicht. „Du warst einen Moment komplett weggetreten.“
 

„I…ich muss grad nur über eine Menge nachdenken, ist alles in Ordnung.“, wehrte sie ab, nicht bereit, den schönen Nachmittag zu verderben. Außerdem war das hier wohl nicht der richtige Ort für ein solches Gespräch. Aber sie mussten wirklich langsam darüber sprechen! So konnte das nicht weitergehen.
 

„Hey, man, kommt ihr endlich!“, riss Grays Stimme sie aus der Unterhaltung und Natsu antwortete sofort: „Jaja, esst uns nicht alles weg!“ Doch statt sofort hinüberzustürzen und sich etwas von dem Essen zu sichern, wandte er sich wieder an Lucy und blickte sie aus besorgten Augen an. „Bist du sicher?“
 

Sie rang sich ein Lächeln ab und nickte. „Mach dir keine Sorgen, ich sag es dir schon, wenn es etwas Schlimmes ist.“ Spielerisch schubste sie ihn voran, so dass er sich in Bewegung setzte und mit Elan zu ihren Freunden lief, um sich etwas vom Grill zu erkämpfen.
 

Lucy folgte ihm langsamer, immer noch gedanklich bei dem Gespräch. Aber… Ihr Blick wanderte wieder zu der Familie hinüber, die inzwischen einen Liegeplatz gefunden hatten und nun ihre Handtücher darüber ausbreiteten. Wäre das denn so schlimm? Wenn sie ihr Studium aufschieben müsste und erstmal Mutter sein würde? Oder selbst wenn sie niemals studieren würde? War das nicht ein guter Tausch?
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

„Ah, da bist du!“, begrüßte Erza sie und schob den Träger ihrer Handtasche höher über die Schulter.
 

Lächelnd eilte Lucy auf sie zu. „Hey. Danke, dass du mich begleitest.“, sagte sie, als sie bei ihrer rothaarigen Freundin angelangt war.
 

Erza schlang einen Arm um ihre Schulter. „Ich wäre enttäuscht, wenn du nicht gefragt hättest. Ich werde dich natürlich nicht im Stich lassen, du kannst immer auf mich zählen.“
 

Lucy hatte gewusst, dass ihre Freundin ihre Bitte nicht ausschlagen würde, trotzdem war sie unglaublich erleichtert gewesen, als diese zugestimmt hatte, mit ihr zur ersten Ultraschalluntersuchung zu gehen. Sie hatte Natsu nichts davon gesagt, ansonsten hätte er darauf bestehen, sie zu begleiten. Da sie selbst schon aufgeregt genug war und nicht auch noch einen aufgedrehten Natsu handhaben konnte, hatte sie beschlossen, ihm erst hinterher davon zu erzählen.
 

Das war vielleicht nicht besonders fair ihm gegenüber, aber es war viel einfacher so und dieses eine Mal hatte sie beschlossen, den leichteren Weg zu wählen. Außerdem hatten sie noch immer nicht miteinander gesprochen hatten und waren nicht auf demselben Blatt, was das Baby anging…
 

Das schlechte Gewissen beiseite schiebend hakte sie sich bei Erza an und die beiden Mädchen bummelten durch in die Innenstadt. In der Praxis war nicht viel los, nur eine ältere, elegant gekleidete Dame war anwesend, die sich kaum um die beiden Mädchen kümmerte und beinahe sofort in das Besprechungszimmer der Ärztin gebeten wurde, die die Praxis mit Dr. Marvell teilte.
 

Lucy angelte nach einer Illustrierten, doch sie schaffte es kaum, zwei aneinanderhängende Worte zu lesen. Immer wieder irrte ihr Blick hinüber zur Tür und sie wippte nervös mit ihrem Knie. Dabei wusste sie nicht einmal, warum sie so unruhig war. Das war nicht ihr erster Besuch bei Grandine, sie hatte diesmal sogar Unterstützung mitgebracht. Trotzdem konnte sie nicht stillsitzen, als würde ihr ein bedeutender Moment bevorstehen.
 

Erza blätterte in ihrer eigenen Zeitschrift, warf ihr aber immer wieder Blicke zu. Schließlich seufzte sie auf und ließ das Magazin sinken. „Wenn du nicht bald stillhältst, fessle ich dich an den Stuhl.“, erklärte sie. „Was bist du so aufgeregt?“
 

Lucy zuckte mit den Schultern und lächelte entschuldigend. Die Arzthelferin, die ihren Kopf zur Tür hereinsteckte, rettete sie glücklicherweise vor einer Antwort, die sie sowieso nicht in Worte hätte fassen können.
 

Niemand sagte etwas, als Erza sie in das Besprechungszimmer hereinbegleitete und Dr. Marvell begrüßte sie beide herzlich, während Lucy ihre Freundin vorstellte. Als Grandine aufstand, um ihnen die Hand zu geben, wurde unter ihrer weinroten Bluse ein kleines Bäuchlein sichtbar.
 

„Du bist auch schwanger?!“, rief Lucy verdutzt aus und wurde dann sofort rot. Das war unhöflich und sie wollte ihrer Ärztin nicht zu nahe treten.
 

Aber diese lächelte nur. „Ja. Deswegen tut es mir leid, dass ich dich nicht bis zum Ende deiner Schwangerschaft begleiten kann. Mein Termin ist bereits im November. Aber bis dahin werde ich dich so gut unterstützen, wie ich kann, Lucy, und du kannst mich natürlich immer um Rat fragen.“
 

„Öh… j…ja.“, murmelte diese, völlig aus der Bahn geworfen. Was sollte sie dazu auch sagen?
 

Dr. Marvell tat, als bemerke sie das gar nicht, sondern sprach weiter: „Du hast dich entschieden, dass du das Kind austragen willst?“
 

Lucy nickte. „Ja. Ich bin … ich möchte nicht abtreiben. Ich weiß … ich weiß aber noch nicht, ob ich es behalten will. Oder kann.“
 

„Das kannst du dir noch in Ruhe überlegen. In der Beratungsstelle, die ich dir empfohlen habe, kann man dir helfen, egal für welche Möglichkeit du dich entscheidest.“ Grandine warf Erza ein freundliches Lächeln zu. „Und wie ich sehe, hast du Unterstützung, das ist gut und wichtig. Hast du dem Vater schon bescheid gesagt?“
 

„Nein. Ich wollte das meinem Vater erst sagen, wenn…“
 

„Ich meinte, dem Vater des Kindes.“, unterbrach Grandine mit einem nachsichtigen Lächeln.
 

Lucy wurde rot. Ihre Gedanken waren sofort zu dem größten Problem in dieser ganzen Gleichung gesprungen. „Ja. Ja, Natsu weiß auch schon bescheid. Ich wollte ihn nur jetzt noch nicht mitbringen, er hätte mich nur noch nervöser gemacht. Nächstes Mal.“ Vielleicht.
 

Die Ärztin nickte und blätterte in ihren Unterlagen. „Du bist jetzt in der elften Woche, wenn ich das richtig sehe? Dann sollten wir jetzt einen Ultraschall machen. Du musst dies natürlich nicht tun, aber ich würde es empfehlen.“
 

Lucy nickte und erhob sich. „Ich will das schon alles richtig machen. Wenn schon, denn schon.“ Ihre Handflächen fühlten sich plötzlich feucht an. Warum hatte sie jetzt auf einmal das Gefühl, dass ihr alles über den Kopf stieg? „Teenagerschwangerschaften haben doch ein höheres Risiko, oder?“
 

„Jein. Du bist gesund und dein Körper ist voll entwickelt, also hast du eigentlich keinen Grund zur Sorge. Das wäre jetzt etwas anderes, wenn du erst fünfzehn wärst und noch mitten in der Pubertät stecken würdest. Aber wir wollen jetzt nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Hier lang.“ Grandine führte sie in den nahezu gemütlichen Behandlungsraum hinüber. Jemand hatte sich sehr viel Mühe gegeben, dass es nicht nach einem sterilen Ärztezimmer aussah, auch wenn er es nicht hatte ganz verhindern können.
 

Die Wände waren in einem freundlichen Beige gestrichen und mit Bildern von Bäumen und Blumenwiesen verschönert worden. Vor einer Wand standen eine Reihe Schränke und ein Schreibtisch und durch die Fenster fiel helles Sonnenlicht. In der Mitte stand eine Untersuchungsliege, daneben wartete bereits das Ultraschallgerät.
 

Lucy kletterte auf die Liege, während Erza auf dem Stuhl daneben Platz nahm und dann nach ihrer Hand girff, um sie beruhigend zu tätscheln. Grandine ließ sich auf einem Schreibtischstuhl nieder und zog das Ultraschallgerät näher heran, um mit der Vorbereitung zu beginnen.
 

Das Gel war kühl auf Lucys Haut und die Sonde zu spüren war ein seltsames Gefühl. Die Ärztin hatte den Bildschirm so hingestellt, dass die beiden Mädchen keine Probleme hatten, hineinzuschauen, allerdings konnten sie nicht viel erkennen. Das Bild war ziemlich körnig und da war nichts von irgendwelchen babyähnlichen Umrissen zu sehen.
 

„Ah, da ist es.“, bemerkte Dr. Marvell plötzlich und deutete auf den Bildschirm. „Es ist noch sehr klein, etwa wie eine Pflaume. Hier, seht ihr?“ Sie deutete mit dem Zeigefinger auf eine Stelle auf dem Bildschirm und dann erkannte auch Lucy es und es … es war noch ein wenig unförmig, aber es sah schon aus wie ein Mensch und es war so winzig und Lucy traten die Tränen in die Augen.
 

Das ist mein Baby., fuhr es ihr durch den Kopf und sie presste sich die Hände vor den Mund, als es sich bewegte. Plötzlich war ihre Kehle eng und in ihrem Brustkorb zog sich etwas zusammen, um den überwältigenden Gefühlen Platz zu machen, die plötzlich da waren. Sie blinzelte heftig, um die Tränen aus ihren Augen zu vertreiben, aber sie konnte nicht sagen, ob sie damit Erfolg hatte oder ob sie gerade losheulte wie das sprichwörtliche Baby.
 

Vorher war der Gedanke an die Schwangerschaft, an ein Baby und alles, was dazu gehörte, eher eine abstrakte Wahrheit für sie gewesen, etwas, das nicht greifbar für sie war. Aber jetzt konnte sie es sehen. Jetzt wurde es plötzlich real und wirklich und echt und alles veränderte sich und sie schluckte heftig, ohne jedoch den Kloß vertreiben zu können, der in ihrem Hals saß.
 

Grandine bewegte die Sonde etwas, so dass sie es besser erkennen konnten. „Es ist nur eines, du musst dir also keine Sorge um eventuelle Zwillinge machen.“, sagte sie in ruhigem Tonfall, ohne auf Lucys Ergriffenheit einzugehen. Vermutlich bekam sie so etwas alle naselang mit. „Und der Herzschlag ist kräftig zu sein. Ich werde dir einen Ausdruck mitgeben.“
 

Danach führte sie noch einige Messungen durch, aber Lucy bekam das nur noch am Rande mit, da sie ihre Augen nicht von dem Bildschirm und der winzigen Gestalt darauf lösen konnte. Der winzigen Gestalt, die sich bewegte, als ob sie wüsste, dass sie Zuschauer hatte. Erza stellte nebenbei noch ein paar Fragen, aber auch das ging an Lucy vorbei.
 

Das Einzige, das noch wichtig zu sein schien, war dieses kleine Wesen auf dem Bildschirm, das so tiefe Gefühle in ihr wach rief, dass sie sie nicht einmal benennen konnte und sie ihr Tränen in die Augen trieben.
 

Sie bedankte sich gefühlte tausend Mal für die beiden Bilder, die die Ärztin ihr am Anschluss der Untersuchung in die Hand drückte, nachdem sie ihr versichert hatte, dass alles normal zu verlaufen schien. Auch das ließ Lucy einen schweren Stein vom Herzen fallen, den sie bis dahin immer ignoriert hatte. Das war ein Problem gewesen, das sie bis jetzt einfach ignoriert hatte, weil es schlichtweg zu viel für sie geworden wäre. Sie hatte einfach schon genug auf dem Teller. Gut zu wissen, dass es völlig umsonst gewesen wäre, sich darüber Sorgen zu machen.
 

„Bis nächstes Mal kannst du dir überlegen, ob du das Geschlecht wissen willst.“, erklärte Grandine mit einem Lächeln, als sie sich verabschiedeten und Lucy fühlte sich aus irgendeinem Grund wieder guter Dinge.
 

Doch sie konnte es nicht bleiben lassen, immer wieder einen Blick auf die Bilder zu werfen.

8. Kapitel, in dem es knallt

„…und Erza hat den Kerl nur angegrinst. Dann ging es los und der Kampf hat keine Minute gedauert, ehe sie ihm den Garaus gemacht hat. Der hat hinterher ganz schön blöd aus der Wäsche geglotzt…“ Natsus Stimme lullte sie in einen dösigen Dämmerzustand und ihre Gedanken waren träge und dumpf.
 

Die sommerliche Hitze lag jetzt Ende Juli unerträglich schwer über Magnolia und die Sonne knallte mit voller Wucht vom wolkenlosen, strahlend blauen Himmel hinunter. Die Luft war stickig und es regte sich kein Lüftchen, so dass man schon in Schweißausbrüche verfiel, wenn man einfach nur im Schatten saß und nichts tat.
 

Lucy hatte den Kopf auf der Hand abgelegt, die sie mit dem Ellbogen auf der Tischplatte abgestützt hielt und lächelte ihn an. Seine Hände wedelten weit ausgreifend in der Luft herum und sie war froh, dass sie sich einen Platz abseits von den anderen besetzten Tischen ausgesucht hatten, ansonsten würde er auf diese Art vermutlich jemandem die Nase brechen.
 

„… Gray hat den Kampf natürlich gewonnen. Der Kerl mag vielleicht ein Idiot sein und kann mir niemals das Wasser reichen, aber…“
 

Das Eis, das er vor sich stehen hatte, zerfloss derweil zu einer Soße, während Lucy an ihrer Eisschokolade nippte. Ihr Freund erzählte ihr gerade von dem Kampfturnier, das er, Gray und Erza am letzten Freitag bestritten und mit ihrer Gruppe natürlich gewonnen hatten. Vermutlich gab es kein Turnier, dass sie verloren hatten, seit Erza ihrem Verein beigetreten war.
 

Sie bedauerte es sehr, nicht dabei gewesen zu sein, wie sie es eigentlich stets versuchte, auch wenn sie sich nicht sonderlich für den Sport interessierte. Doch Jude hatte sie unbedingt auf ein Geschäftsessen mitnehmen wollen, von dem sie sich nicht hatte loseisen können. Er hatte etwas von einer ‚wertvollen Erfahrung für die Zukunft‘ gesprochen und davon, dass sie nicht die einzige war, die aus diesem Grund dabei sein würde.
 

Das hatte sie rasch gemerkt, als der Geschäftspartner seinen hoffnungsvollen Sohn vorgestellt hatte – ein junger Wirtschaftsstudent, nur drei Jahre älter als sie, mit einem blassen Gesicht und etwas zu viel Appetit. Sie hatte ihrem Vater einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen und den Sohn freundlich-distanziert behandelt, so dass jede Hoffnung auf ein weiteres Treffen, unter welchem Vorwand auch immer, im Keim erstickt wurde.
 

Das war nicht das erste Mal, dass Jude so etwas versucht hatte, doch die Typen, die er ihr vorstellte, ließen zu wünschen übrig, vor allem, wenn sie sie mit Natsu vergleich. Außerdem hatte sie jetzt echt keine Lust auf solche Komplikationen und sowieso etwas ganz anderes im Kopf!
 

Ein Baby zum Beispiel, das ihr mehr und mehr ans Herz wuchs, obwohl es noch nicht einmal so groß war wie ein Apfel. Ein Baby, das sie zur Adoption freigeben wollte, damit sich alle damit verbundenen Komplikationen in Luft auflösten – zumindest fast alle. Ein Baby, das ihr gesamtes Leben durcheinanderbrachte und sie in solche Dilemmas warf.
 

Ein Baby, von dem sie weniger und weniger dachte, dass es anderswo besser aufgehoben war als bei den eigenen Eltern.
 

„… hab den Kerl ziemlich schnell auf die Matte geschickt. Er war ganz gut, aber das reicht nun mal nicht…“
 

Gewaltsam riss sie sich wieder in die Gegenwart zurück und konzentrierte sich wieder auf ihren Freund. Seine Augen funkelten lebendig und schienen Funken zu sprühen, so begeistert war er von den Ereignissen, über die er berichtete. Mit den Händen machte er Bewegungen und Kampfabläufe nach und einmal war er sogar aufgesprungen, um seinen Punkt klar zu verdeutlichen.
 

„… und dann habe ich so zugeschlagen, siehst du, und danach…“
 

Dabei drohte ein breites Grinsen sein Gesicht in zwei Hälften zu teilen und sie fragte sich, ob ihm die Wangen nicht schon schmerzten. Er war so niedlich, wenn er sich für etwas begeisterte. Am liebsten wollte sie ihn in die Arme nehmen und abküssen, wenn er sich so verhielt. Auf ihr Gesicht schlich sich jedes Mal ein Lächeln, mal mehr, mal weniger auffällig, wenn sie ihm zusah, wie er sich immer mehr in seine Begeisterung hineinsteigerte.
 

Erza nannte es ihr Ich in so verliebt, dass ich hirntot bin-Lächeln und auch wenn Lucy jedes Mal heftig dagegen protestierte, musste sie ihrer Freundin insgeheim doch zustimmen. Natsu machte sie manchmal ein wenig blöd.
 

Lucy konnte sich schon jetzt vorstellen, was für ein guter Vater er sein würde. Begeistert, liebevoll, sanft, immer für sein Kind da, niemals unfair, beschützend, stark, unterstützend, etwas verrückt…
 

„… er hatte vier Beine und fünf Arme und seine Haut war grün. Als ich ihm gegenübergetreten bin, sagte er…“
 

Dieser plötzliche Gedanke schockte sie in die Gegenwart zurück und unwillkürlich setzte sie sich gerader auf und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf Natsu. Es war nicht so, dass sie ihm nicht zuhören wollte. Doch sie konnte sich einfach nicht konzentrieren, ihre Gedanken rutschten immer wieder ins Leere ab und durchliefen seltsame Kurven. Also beschränkte sie sich darauf, ihn anzusehen, verliebt zu lächeln und an den richtigen Stellen zu nicken.
 

„…war ganz schön kompliziert, gegen all diese Arme anzukommen, wo ich selbst ja nur zwei habe…“
 

Sie hatte es immer noch nicht geschafft, vernünftig mit ihm über das Baby und die Zukunft zu sprechen. Sie hatte es nicht einmal hingekriegt, ihm die Ultraschallbilder zu zeigen, die er doch ein Recht hatte zu sehen und die er auch sicher sehen wollte. Doch jedes Mal hatte sie wieder den Schwanz eingezogen, dabei sah sie ihn jeden Tag und der Termin bei Grandine lag schon fast eine Woche zurück. Die Bilder, die sie in ihrer Handtasche mit herumschleppte, schienen ihr ein Loch in die Tasche zu brennen.
 

Immer wieder dachte sie an diesen Moment zurück, an dem sie ihr Baby, dieses kleine Würmchen in ihrem Bauch, zum ersten Mal gesehen hatte. Die überwältigenden Gefühle, die sie überkommen hatten und ihr noch immer die Tränen in die Augen trieben, wenn sie zu lange daran dachte oder selbst die Ultraschallbilder herauszog.
 

Ihr Entschluss, eine Adoption durchzuziehen, geriet dadurch doch gehörig ins Wanken. Aber wie sollte sie jemals eine logische, vernünftige Entscheidung treffen, wenn sowas sie immer durcheinander brachte und ihr einen Knüppel zwischen die Beine warf?!
 

„…und dann sagte das Alien, dass ich der beste Kämpfer im Universum bin und sie haben mich glatt zum König ernannt.“
 

„Klingt gut.“
 

„Ich weiß! Ich meine, ich komme jetzt echt weit herum und kann total verschiedene Aliens bekämpfen! Leider muss ich Earthland verlassen und kann dich darum nicht mehr so oft sehen. Aber ich bemühe mich, dich und unser Kind so oft zu besuchen wie möglich.“
 

„Hört sich toll a… Was, warte!“ Entsetzt riss sie die Augen auf. Natsu würde weggehen?! Wohin denn?!
 

Doch er grinste sie nur frech an. „Hörst du mir jetzt wieder zu? Ich habe dir in den zehn Minuten erzählt, wie ich die Krieger vom Planeten Arcia nacheinander besiegt habe.“
 

„Ich… oh…“ Sie lächelte entschuldigend und rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Es ist nur so heiß…“, versuchte sie sich herauszureden. „Und ich hab letzte Nacht schlecht geschlafen.“ Das zumindest war keine Lüge. Obwohl sie tagsüber weiterhin müde war und sich angewöhnt hatte, mittags ein kleines Schläfchen zu halten, wachte sie nachts immer wieder auf und hatte Probleme beim Einschlafen. Vielleicht hing das zusammen, aber da sie Ferien hatte, versuchte sie so gut, die Schläfrigkeit ging zu ignorieren.
 

Aber Natsu war natürlich sofort besorgt. „Geht es dir gut? Isst du genug?“
 

Sie hätte beinahe gelacht; natürlich dachte er sofort ans Essen. „Jaja.“, beruhigte sie ihn. „Das ist ganz normal, dass lässt irgendwann von alleine wieder nach. Hoffentlich, bevor die Schule wieder anfängt.“ Dann konnte sie sowas echt nicht mehr gebrauchen.
 

„War ja klar, dass du dir ausgerechnet darum Sogen machst.“, neckte er sie und stand auf, um sich auf die Bank neben sie zu setzen und sie in die Arme zu ziehen. Er küsste sie erst auf die Schläfe, dann auf die Nase und schließlich auf den Mund und Lucy schloss die Augen und genoss die Zuneigungsbekundungen einfach. Sie ließ die Finger durch seine weichen Haare gleiten und fühlte sich sicher und geborgen in seinen Armen. Auch wenn es etwas heiß war.
 

Er war schon immer süß gewesen, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Etwas gedankenlos und sehr unromantisch und manchmal etwas begriffsstutzig, aber niemals unaufmerksam ihr gegenüber. Außerdem hatte er keine Probleme damit, Zärtlichkeiten auch in der Öffentlichkeit zu zeigen und sie hatte jemanden wie ihn gar nicht verdient.
 

Sie presste ihm noch einen kurzen Kuss auf die Lippen und schob ihn dann von sich. Verwirrt ließ er sich gegen die Lehne zurücksinken, aber sie schenkte ihm nur ein beruhigendes Lächeln. „Ich habe noch etwas für dich.“, erklärte sie ihm und angelte nach ihrer Handtasche, die neben der Bank auf dem Boden stand.
 

Sofort breitete sich wieder ein Grinsen über sein Gesicht aus. „Was denn?“
 

Sie zog den einfachen Briefumschlag hervor, in dem sie die Bilder untergebracht hatte. Dies war der beste Augenblick, den sie sich dafür erhoffen konnte, und wenn sie es jetzt nicht tat, konnte sie sie gleich wegwerfen. „Ich hab den richtigen Moment gesucht.“, erklärte sie, auch wenn das nur die halbe Wahrheit war. „Letzte Woche war ich wieder bei Dr. Marvell.“
 

Noch immer wirkte er verwirrt, nahm den Umschlag aber entgegen und öffnete ihn erwartungsvoll. Er warf ihr einen verwirrten Blick zu, während er die Papiere herauszog; offenbar hatte er keine Ahnung, worum es sich dabei handelte. Gespannt faltete er sie auseinander und sie konnte den Moment, an dem er begriff, was das war, genau sehen.
 

Sein Gesicht wechselte von dem verwirrt-erwartungsvollen Ausdruck zu etwas Anderem, etwas … so liebevollen, sehnsüchtigen, hoffnungsvollem, das sich ihr Herz in ihrer Brust zusammenzog. Plötzlich hatte sie einen schweren Stein im Magen, ein ungutes Gefühl, das mit jeder Sekunde, die sie ihn beobachtete, zunahm.
 

Über Natsus Gesicht breitete sich jetzt ein Lächeln aus, nicht das übermütige Grinsen, das er so freizügig verschenkte, sondern diese Geste, die sonst nur für sie selbst und ganz besondere Momente vorbehalten war, zärtlich, sanft und voller Liebe. Seine Augen schienen zu strahlen und waren das etwa Tränen, die er wegblinzelte? Der Knoten in ihrem Magen vergrößerte sich und sie versuchte, ihn zu ignorieren und nicht daran zu denken, was er bedeutete.
 

„Ist das…?“, begann er, aber er schien den Satz nicht vollständig aussprechen zu wollen.
 

Sie rang sich ein Lächeln ab, das erstaunlich einfach zu ihr kam, und nickte. „Ja.“, sagte sie und spielte nervös mit dem Saum ihres Tops. „Tut mir leid, ich hab ein wenig lange gewa-“
 

Ungestüm zog er sie erneut in die Arme und presste er ihr die Lippen auf den Mund. Er küsste sie mit aller Macht und einer solchen Intensität und Innigkeit, dass ihr angst und bange wurde. Sie erwiderte die Geste, doch sie kam sich mit einem Mal unzulänglich vor, als könnte sie mit ihm und seinen Gefühlen nicht mehr mithalten.
 

Mit einem leisen Seufzen schloss sie die Arme um seinen Nacken und versuchte, den Kuss mit der gleichen Stärke zu erwidern, doch sie fürchtete, dass sie ihm nicht gerecht wurde. Hinter ihrem Rücken konnte sie das Papier knistern hören und sie hoffte sie würden in diesem Anfall von Begeisterung nicht zu sehr zerknittert werden.
 

Sie wusste nicht, wie lang sie sich küssten, doch als sie sich endlich wieder voneinander trennten, war ihre Schokolade lauwarm und in Natsus Eisschale befand sich nur noch eine völlig zerschmolzene Suppe. Doch er schien das nicht einmal zu bemerken, denn sein Blick kehrte immer wieder zu den Bildern zurück und hafteten daran, während ein Lächeln seine Lippen umspielte.
 

Nein, heute konnte und wollte sie nicht mit ihm dieses ernste Gespräch über die Zukunft führen. Selbst wenn sie sich bereits entschieden hätte, selbst dann würde sie es verschieben. Natsu würde heute zu nichts mehr zu gebrauchen sein und sie wollte ihm die Freude nicht verderben.
 

Stattdessen kam ihr eine wichtige Erkenntnis und sie fragte sich, ob es das für sie selbst einfacher machen würde. Denn vielleicht war das keine Entscheidung, die man Vernunft und Logik überlassen konnte. Vielleicht ging es hier um reine Emotionen.
 

Und die steuerten sie im Moment in eine ganz bestimmte Richtung.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

„Natsuuuuu.“, jammerte sie in ihr Handy, kaum dass er abgenommen hatte. „Bring mir Eis.“
 

„Was?“ Seine Stimme klang verschlafen, was daran liegen mochte, dass sie ihn geweckt hatte. Es war mitten in der Nacht, drei Uhr vierundzwanzig, wie ihr Funkwecker ihr mitteilte. Vor ihren Fenstern herrschte stockdunkle Finsternis, nur durchbrochen von den fernen Sternen und dem Mond. Sie konnte das Sternbild des Löwen von ihrem Bett aus erkennen.
 

„Ich will Eis.“, wiederholte sie klagend und tief theatralisch. „Schokolade und Erdbeere.“
 

„Lucy…“, begann Natsu und dann konnte sie ihn gähnen hören. Im Hintergrund konnte sie Stoff rascheln hören. „Aber es ist schon so spät!“
 

„Es ist deine Schuld, dass ich jetzt Eis will.“, versicherte sie ihm überzeugt. So ganz fehlerfrei war diese Logik natürlich nicht, aber das interessierte sie jetzt nicht. Sie wollte, dass er kam und mit ihr kuschelte und ihr Eis brachte.
 

„Und bei euch im Haus gibt es keines?“ Er klang jetzt viel wacher.
 

„Nein. Vielleicht.“, schmollte sie. „Ich weiß aber nicht, wo. Bring mir welches?“
 

„Aber…“ Er unterbrach sich. „Also gut. Bin gleich da. Bis dann.“ Damit legt er auf.
 

Verdutzt starrte sie auf ihr Smartphone, das ihr mitteilte, dass das Gespräch beendet war. Sie hatte gedacht, er würde sehr viel länger protestieren. Aber sie wollte nicht darüber jammern, dass etwas nach ihrem Willen ging, darum legte sie ihr Handy auf den Nachttisch und rollte sich auf den Rücken. Sie rutschte ein wenig herum, bis sie eine bequeme Position gefunden hatte und starrte nach oben an die Decke.
 

Viel konnte sie nicht erkennen, da sie kein Licht angemacht hatte. Nur das sanfte, aber klare Licht des Vollmondes erhellte den Raum. Sie fühlte sich gut, ruhig und zufrieden. Zwar hatte sie gelernt, den Heißhunger auf seltsame Sachen in geordnete Bahnen zu lenken, doch weg war er deswegen nicht.
 

Als Resultat davon nahm sie zu, sehr zu ihrem Verdruss. Es war nicht viel, aber sie bemerkte es, wenn sie auf ihre Waage stieg. Natürlich war ihr klar, dass das nicht nur auf ihre Essgewohnheiten zurückzuführen war, aber trotzdem störte es sie. Sie versuchte, die Gewichtszunahmen, die in den nächsten Monaten eh nur noch größer werden würde, zu verdrängen und wog sich einfach nicht mehr. Sie war immer stolz auf ihre schlanke Figur gewesen. Aber das schien ihr im Moment nur ein kleines Opfer zu sein.
 

Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie an den wahren Grund dachte, warum sie zunahm. Das zu große Shirt, das sie für die Nacht trug, war bei ihren Verdrehungen hochgerutscht, so dass sie ihre Hände einfach auf den nackten Bauch legen konnte. Man konnte schon etwas sehen, wenn auch nicht viel. Eigentlich war es kaum bemerkbar und vermutlich glaube jeder, der es doch tat, dass sie in letzter Zeit einfach zu viel aß.
 

Immerhin war sie schon in der zwölften Woche und damit schon fast am Ende des ersten Trimesters. Im Internet hatte sie gelesen, dass das in Ordnung war und auch wenn bei vielen Frauen vor allem in der ersten Schwangerschaft erst später etwas bemerkbar war, war es doch nicht ungewöhnlich. Glücklicherweise konnte sie die kleine Wölbung noch leicht unter ihrer Kleidung verbergen.
 

Aber sie war da und das machte alles sehr real, realer noch als vorher. Es machte sie glücklich auf eine Art, die sie vorher noch nicht gekannt hatte. Und es machte ihr unendliche Angst. Was, wenn doch noch etwas schieflief? Was, wenn sie es nicht hinbekamen? Was, wenn sie einfach zu jung waren, um gute Eltern zu sein? Was, wenn Igneel es auch nicht gut aufnehmen würde, so wie Jude? Was, wenn sie nachher auf der Straße stand, nur mit dem Baby? Was, wenn das Geld fehlte? Was würde ihr Vater tun, wenn sie ihm davon erzählte?
 

Und warum tat ihr Hirn gerade so, als hätte sie sich bereits dafür entschieden, das Baby zu behalten?
 

Aber in Momenten wie diesen war es leicht, diese negativen Gedanken beiseite zu schieben und sich nur auf das Gute zu konzentrieren. Sie würden die Probleme schon irgendwie überwinden. Das war das, was sie immer taten. In solchen Momenten konnte sie sich einfach nur freuen und so tun, als würden keine Probleme auf sie zukommen, keine schweren Entscheidungen und kein Krach mit ihrem Vater.
 

Ihr Handy pfiff und riss sie aus den Gedanken. Ich bin gleich da, lässt du mich rein?, sagte der Text, den Natsu ihr geschickt hatte. Lucy legte das Gerät wieder ab und kletterte aus dem Bett um in den Wintergarten hinüber zu huschen. Die Terrasse hatte eine Treppe, die in den Garten hinunterführte, was ihr schon mehr als einmal zu Gute gekommen war.
 

Jetzt zog sie den Riegel zurück, der die Glastür geschlossen hielt, und trat hinaus. Ihre Augen brauchten eine Weile, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch trotz des hellen Mondlichtes konnte sie im Garten kaum etwas erkennen, da er tief im Schatten lag.
 

Darum bemerkte sie Natsu auch erst, als er die Treppe heraufkam. Er grinste ihr entgegen, in T-Shirt und Shorts gekleidet, mit einer Tüte vom 24-Stunden-Supermarkt unter den Arm. „Hey.“, begrüßte er sie zärtlich und nahm sie in die Arme.
 

Lucy erwiderte den Kuss. „Tut mir leid, dass ich dich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt habe.“, sagte sie schuldbewusst, während sie hineingingen. Oder zumindest versuchte sie, diese Empfindung in ihre Stimme zu legen.
 

„Nein, tut es dir nicht.“, widersprach Natsu, aber sein breites Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht, also war er ihr wohl kaum böse. „Ich habe dir dein Eis mitgebracht, wie gewünscht.“ Triumphierend zeigte er seine Tüte vor und Lucy jauchzte erfreut auf.
 

Sie holten sich Löffel aus ihrer kleinen Küche und gingen dann ins Schlafzimmer hinüber, wo Lucy sofort wieder unter ihre dünne Decke kroch. Es war zwar nicht kalt, aber außer dem T-Shirt und einem Höschen trug sie nichts und die Gemütlichkeit des Bettes war nicht zu überbieten.
 

Natsu entledigte sich seiner Schuhe und seiner Hose, so dass er nur in Boxershorts und Shirt auf das Bett kletterte. Er setzte sich im Schneidersitz vor sie auf das Laken und öffnete die Tüte. „Wie gewünscht“, begann er und holte mit großer Geste die erste Packung hervor. „Schokolade und Erdbeere.“
 

Lucy warf die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen heftigen Kuss auf die Wange. „Du bist der Beste!“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung und riss ihm beinahe einen der Kartons in der Hand, um ihn ungeduldig aufzureißen.
 

„Du hast es aber eilig.“, lachte Natsu, während er ihrem Beispiel folgte und die andere Packung öffnete. Lucy schnappte sich einen Löffel und griff zu. Das Eis sah aber auch zu köstlich aus mit den Schokosplittern oben drauf. Es war so cremig, dass es auf der Zunge geradezu zerging, und Lucy stöhnte genießerisch auf.
 

Nach ein paar Löffeln streckte sie die Hände aus. „Gib mir von dem anderen.“, verlangte sie und Natsu reichte ihr beinahe hastig die Packung, damit sie auch dabei zulangen konnte. Eine Weile genossen sie ihr Eis und die Zweisamkeit, während Natsu über seinen Tag in der Werkstatt erzählte und sie mit einigen Anekdoten über Spetto und Aed aufwarten konnte, die heute einige seltsame Aktionen veranstaltet hatten, bei denen es angeblich darum gegangen war die Küche gründlich zu säubern.
 

Manchmal beneidete sie ihn darum, dass er bereits genau wusste, was er mit seinem Leben tun würde – und das schon, bevor dieses andere kleine Problem dazugekommen war. Seit er klein war und gerade mal ein Radkreuz tragen konnte, hatte er festgelegt, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde. Er hatte schon damals Begeisterung für diese Arbeit aufgebracht und sie hatte nicht nachgelassen. Im Gegenteil, je mehr er sich hineinvertiefte, desto größer wurde seine Leidenschaft.
 

Seit er fünfzehn war, half er ganz offiziell aus, inzwischen wusste er beinahe genug, um die praktische Prüfung zum Kfz-Mechaniker ohne große Vorbereitung zu bestehen. (Mit der theoretischen sah das natürlich anders aus.) Auch dieses Jahr in den Sommerferien war er meist in der Werkstatt zu finden, wenn man ihn suchte und er nicht bei seinen Freunden oder beim Training zu finden war. Dort verdiente er sich etwas Geld dazu oder bastelte an einem der Oldtimer-Projekte, wie er die Restaurationen alter Autos nannte.
 

Lucy hörte ihm aufmerksam zu, auch wenn sie nur die Hälfte von dem, was er ihr erzählte, verstand, da all diese Fachsimpeleien über ihr Wissen gingen. Außerdem genoss sie seine Nähe, die nächtliche Ruhe, das friedliche Gefühl und die innere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit, die sie seit ein paar Tagen gepackt hatte. Dann erinnerte sie sich an etwas, auf das Grandine sie hingewiesen hatte.
 

„Hey.“, fiel sie Natsu ins Wort, der sich nicht davon stören ließ, sondern einfach verstummte. „Meine zweite Ultraschalluntersuchung steht bald an. Wollen wir das Geschlecht des Kindes wissen?“ Dabei strich sie sich leicht mit der Hand über den Bauch.
 

Natsu, der sich lang auf dem Bett ausgestreckt hatte, blickte zu ihr hoch. Dann wanderte sein Blick zu ihrer Leibesmitte hinunter und blieb auf der sanften Wölbung hängen, auf der ihre Hand lag. Sie konnte den Ausdruck, der auf seinem Gesicht lag, nicht genau deuten – liebevoll, zärtlich, sehnsüchtig? Erneut zog sich der Knoten in ihrem Magen zusammen, den sie jedes Mal spürte, wenn sie mit ihm über das Baby sprach.
 

Er öffnete den Mund und holte tief Luft und die nächsten Worte waren offensichtlich gut überlegt: „Willst du es denn?“
 

Lucy zog sich eine der Eispackungen heran und schob sich einen besonders vollen Löffel in den Mund, um nicht sofort antworten zu müssen. Sie war berührt von seiner Rücksichtnahme ihr gegenüber, aber sie hatte sich noch keine Gedanken über dieses Thema gemacht und warum hatte sie es überhaupt angesprochen?
 

Die drängendere Frage war doch wirklich, ob sie das Kind überhaupt behalten wollten.
 

Würde es nicht viel schwieriger sein, es wegzugeben, wenn sie wussten, ob es in Junge oder ein Mädchen war? Oder würden sie es nicht ertragen zu wissen, dass dort ein Kind von ihnen herumlief, ohne es zu kennen, ohne zu wissen, ob sie eine Tochter oder einen Sohn hatten? Außerdem… außerdem war sie schlichtweg neugierig. Sie wollte es wissen.
 

„Ich will es wissen.“, erklärte sie darum bestimmt.
 

Natsu strahlte sie an. „Ich auch. Ich bin … ziemlich aufgeregt.“ Er fuhr sich durch die Haare und sah genauso ruhelos aus, wie er sagte. Doch er sah auch glücklich aus, stolz und erwartungsvoll und plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr. Sie legte den Löffel weg und suchte angestrengt nach einem anderen Thema.
 

„Hier, schau.“ Sie zog ihr Shirt hoch. „Man kann schon ein kleines bisschen sehen.“
 

Er starrte erst sie an, dann ihren Bauch und die kleine Wölbung. Auf seinem Gesicht breitete sich ein solch offensichtlicher Ausdruck von bezaubertem Staunen und Verwunderung aus, dass sich ihr Herz schmerzhaft zusammenzog. Als er sich aufrichtete und vor sie kauerte und dann einen vorsichtigen, schmetterlingszarten Kuss auf ihren gerundeten Bauch drückte, stiegen ihr beinahe die Tränen in die Augen.
 

Ganz unabhängig von ihr, würde Natsu es ertragen, das Baby wegzugeben?
 

Wenn sie ihn sich jetzt so ansah und wie er sie – nein, nicht sie, das Baby und sie – behandelte, als würden sie zerbrechen, wenn er zu grob wurde, dann glaubte sie das nicht. Natsu würde es niemals ertragen, sich von dem Kind zu trennen, das er bereits jetzt mit einer solchen Intensität liebte und da, endlich hatte sie den Gedanken in Worte gefasst, der sie schon bedrängte, seit sie ihm die Ultraschallbilder gezeigt hatte.
 

Aber konnten sie beide das wirklich hinkriegen? Natsu war nicht gerade der verantwortungsbewussteste Typ auf dem Planeten… Und sie selbst… Wäre ein Kind in einer anderen Familie nicht besser aufgehoben? Aber wie sollte sie ihrem Freund das erklären? Plötzlich fühlte sie sich unendlich müde und wie konnte sie dieses Problem je lösen? Sie wollte sich jetzt keine Gedanken um dieses Thema machen.
 

„Lass uns schlafen gehen, ja?“ Sie stand auf, um das bereits halb geschmolzene Eis in das Kühlfach zu stellen. Natsu saß auf der Bett kannte, als sie zurückkam, seine Hose bereits in der Hand, als erwartete er, dass sie ihn wieder wegschickte. Aber das würde sie jetzt nicht übers Herz bringen, nicht um seinetwillen und nicht für sie.
 

Er kroch bereitwillig unter die Decke, als sie einladend neben sich auf die Matratze klopfte. „Wir müssen nur schauen, wie wir dich morgen rausschmuggeln, ohne dass mein Vater davon erfährt.“, murmelte sie schläfrig, als er sie an sich zog.
 

„Das kriegen wir schon hin.“, lenkte er ab. „Notfalls versteck ich mich unter dem Bett.“
 

Lucy grinste müde und kuschelte sich noch enger an ihn. Seine Brust presste sich beruhigend an ihren Rücken und seine Hand lag beschützend auf ihrem Bauch und diese Geste brach ihr fast das Herz.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

„Lucy!“ Judes laute Stimme riss sie rüde aus ihren Träumen. Schlaftrunken setzte sie sich auf und blickte sich verwirrt um. Natsu lag neben ihr und schlief noch, auch wenn er sehr unruhig wirkte und mürrisch die Stirn runzelte, weil jemand seinen Schlummer störte.
 

„Lucy!“ Schwere Schritte näherten sich der Tür. „Du wirst doch wohl um diese Zeit nicht mehr schlafen?“
 

Plötzliche Panik packte sie. Wenn ihr Vater sie und Natsu zusammen im Bett erwischen würde, selbst komplett bekleidet (naja, halb bekleidet), war es aus! Verzweifelt rüttelte sie die Schulter ihres Freundes, der davon aufwachte. Er wirkte für einen Moment völlig orientierungslos, doch als er sie erkannte, warf er ihr ein erfreutes Lächeln zu.
 

„Hey, Luce…“, nuschelte er, aber sie ließ ihm keine Zeit.
 

„Mein Vater ist hier!“, zischte sie und Natsu starrte sie verwirrt an, als wären ihre Worte nicht zu ihm durchgedrungen. „Steh auf! Beeil dich!“
 

Es klopfte an der Tür, laut und heftig. Sie warf einen Blick auf die Uhr – halb Zwölf. Kein Wunder, dass Jude bei ihr auf der Matte stand. Normalerweise war sie spätestens um neun auf und wollte er sie heute irgendwohin mitnehmen? Was hatte sie vergessen? Panik machte sich in ihr breit und sie fuhr sich fahrig durch die Haare.
 

„Wir wollten doch zum Stiftungsessen gehen.“, erklang Judes Stimme von draußen und ihr fiel siedend heiß ein, dass sie tatsächlich danach gefragt hatte, etwas mehr mit der Layla-Heartphilia-Stiftung zu tun zu haben. „Bist du angezogen?“
 

„I…ich bin gleich da!“, rief sie. „Ich muss wohl verschlafen haben!“ Sie kletterte aus dem Bett und schnappte sich ihren Morgenmantel von dem kleinen Hocker, auf den sie ihn letzte Nacht achtlos geworfen hatte. „Beeil dich!“, fauchte sie Natsu leise an, der langsam aus dem Bett rollte.
 

„Ich…“, begann er, aber er hatte keine Chance mehr, den Satz fertig zu sprechen, denn Jude rief von draußen. „Ich komme jetzt rein.“ und öffnete im selben Moment die Tür.
 

Lucy erstarrte mitten in der Bewegung, ihren Mantel zu schließen. „Nein! Du ka…“, begann sie gerade aufgebracht, aber weiter kam sie nicht, denn der Blick ihres Vaters fiel auf Natsu. Lucy konnte fühlen, wie die Stimmung umschwenkte und plötzlich schien es sehr viel frostiger im Raum zu sein.
 

Jude musterte den Pinkhaarigen mit eiskaltem Blick, dann wandte er sich zu seiner Tochter. In seinem Gesicht war deutlich zu lesen, was er von der Situation hielt – gar nichts. „Was soll das?!“, donnerte er. „Was hat der in deinem Schlafzimmer verloren?!“
 

„Meine Hose.“, antwortete Natsu frech und Jude lief rot an vor Zorn.
 

Lucy wurde blass. Schlimm genug, dass sie verschlafen und Jude sie erwischt hatte, aber jetzt wurde Natsu auch noch unverschämt. Am liebsten hätte sie letzteren angepflaumt, aber vielleicht sollte sie sich erst einmal mit dem dringenderen Problem beschäftigen. Ihr Vater wurde auch schon ungeduldig und sein Zorn schien mit jeder Sekunde mehr zu wachsen.
 

„Nun?“, verlangte er und sie hob begütigend die Hände.
 

„Er hat mir gestern Abend noch etwas vorbeigebracht.“, erklärte sie betont ruhig. Das war ja sogar die Wahrheit. „Und weil es schon so spät war, hab ich ihn gebeten zu bleiben. Wir haben nur geschlafen.“ Sie war froh, dass man den Kragen ihres Shirts unter dem Morgenmantel erkennen konnte und Natsu nur die Hose ausgezogen hatte.
 

„Und gekuschelt.“, fügte Natsu hinzu und Lucy hätte ihm am liebsten ein Kissen an den Kopf geworfen. Konnte er nicht einmal im Leben die Klappe halten?!
 

Auf Judes Stirn begann eine Ader zu pochen, aber seine Stimme blieb ruhig, als er sprach, ein eindeutiges Anzeichen dafür, wie zornig er tatsächlich war. „Ich habe dir gesagt, dass du dich nicht mehr mit diesem ... Jungen abgeben sollst.“, erklärte er beherrscht. „Und ich erwarte, dass du meinen Wünschen Folge leistest.“
 

Lucy öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Ton drang über ihre Lippen. Natsu war es, der die unangenehme Stille durchbrach, indem er nach seiner Hose angelte und hineinschlüpfte. Wenigstens einmal hatte er jetzt nichts zu sagen.
 

Jude wandte sich mit einem enttäuschten Herunterziehen seiner Lippen von ihr ab und bestimmte in die Richtung des Pinkhaarigen: „Du verschwindest jetzt von hier. Ich möchte dich hier nicht wiedersehen. Und von meiner Tochter hältst du dich auch fern.“
 

Der Angesprochene runzelte die Stirn und seine Augen funkelten zornig. „Das ist ja wohl Lucys Entscheidung. Und solange sie mir nicht sagt, dass ich Leine ziehen soll, werd‘ ich sie nicht einfach im Stich lassen.“ Das hätte Lucy auch niemals angenommen, aber hätte er das nicht trotzdem für sich behalten können?
 

Jude drehte sich prompt wieder zu ihr. „Nun? Sag es ihm.“
 

Sie starrte ihn an, wie er da so stand, das Gesicht beherrscht und in voller Erwartung, dass sie seiner Aufforderung Folge leistete. Natsu stand neben ihm, mit funkelnden Augen und wütend zusammengezogenen Augenbrauen. Er erwartete jetzt sicher, dass sie ihrem Vater erklärte, dass sie ihn niemals verlassen würde.
 

Aber Lucy konnte das beides nicht.
 

Sie konnte Natsu nicht aufgeben und sie konnte sich nicht direkt gegen Jude stellen. Das hatte sie noch nie getan und er war doch ihr Vater! Sie senkte den Kopf und kämpfte mit den Tränen. Warum stellten sie sie vor so eine Entscheidung?! Wie konnte sie einen von ihnen wählen?
 

„WA...!“, begann Jude lautstark, dann unterbrach er sich selbst und fuhr in gemäßigter Lautstärke, aber nicht weniger heftig fort: „Lucy! Was soll das? Wirst du wohl endlich einsehen, dass dieser Kerl nicht der Richtige für dich ist?! Du hast etwas Besseres verdient, als einen ... einen Automechaniker! Für dich steht die Welt offen und du wirst alle Möglichkeiten haben, wenn du es jetzt nur schaffst, dich von diesen Kindereien und wirren Teenagerphantasien zu befreien und dich nicht von deinen Hormonen leiten zu lassen! Du musst dich nicht mit Leuten wie ihm abgeben. Nimm endlich Vernunft an!“
 

„A...aber...“, stotterte Lucy, überrascht und wütend und etwas furchtsam. Was sollte sie nur tun? Natsu wegzuschicken stand außer Frage, aber sie konnte doch Jude nicht einfach so widersprechen!
 

„Lucy kann ja wohl ihre eigenen Entscheidungen treffen! Sie ist erwachsen!“, schnappte Natsu wütend, die Hände zu Fäusten geballt. Er schien zu vibrieren vor Zorn und seine dunklen Augen funkelten. „Und sie ist einer der vernünftigsten, klügsten Menschen, die ich kenne!“
 

„Das erstaunt mich nicht.“, höhne Jude schneidend. „Allzu viele werden es wohl kaum sein.“
 

Diesmal war es Natsu, der rot anlief. „Sie haben kein Recht, so über mich zu sprechen. Woher wollen Sie wissen, wer ich bin und wen ich kenne? Sie machen sich überhaupt nicht die Mühe, mich kennenzulernen, sondern erlauben sich, über mich zu urteilen, nur weil Sie reicher sind als wir anderen! Ficken Sie sich!“ Die rüde Geste, die er hinterher schickte, half nicht, aber sie machte die Sache auch nicht schlimmer.
 

Die Sache konnte nicht mehr schlimmer gemacht werden.
 

Jude blickte ihn unbeeindruckt an und wandte sich dann an Lucy, die ob Natsus Worten blass geworden war. „Oh ja, ich sehe, warum du seine Gegenwart genießt.“, bemerkte Jude trocken. „Welch gewählte Ausdrucksweise. Intellektuelle Gesellschaft wie wir sie uns wünschen. Bist du auch schon so tief gesunken?“
 

Natsu explodierte. „Sie haben auch kein Recht, so mit Lucy zu sprechen! Was wissen sie schon von uns? Von ihr? Sie kennen sie ja überhaupt nicht mehr! Sie sind so verbohrt in Ihre Firma und Ihren Ruf und Ihr Geld, dass Sie Ihre eigene Tochter vergess-“
 

Das Klatschen von Judes Hand auf Natsus Wange war so laut, dass Lucy erschrocken zusammenfuhr. Natsus Kopf wurde herumgerissen und seine wütende Tirade verstummte abrupt.
 

Fassungslos starrte er den älteren Mann an, während sein Finger nach seinem Gesicht tasteten, wo er ihn getroffen hatte. Es lief langsam rot an und Natsu schien nicht ganz zu begreifen, was eben geschehen war. Was auch immer er erwartet hatte, Tätlichkeiten waren es nicht, weswegen er nur den Mund öffnete, aber keinen Ton herausbrachte.
 

Jude starrte ihn unter zusammengezogenen Augenbrauen und bebenden Nasenflügeln an, die Hand noch zum Schlag erhoben. Er war offensichtlich ebenfalls erstaunt über seine Tat, aber nicht gewillt, sich davon aus der Bahn werfen zu lassen, auch wenn er eben absolut die Kontrolle verloren hatte. Noch nie hatte Lucy ihn in diesem Zustand gesehen.
 

„Nein.“, sagte er, die Stimme vorsichtig beherrscht. Er richtete sein Jackett und wandte sich mit kalter Stimme an seine Tochter: „Ich erwarte, dass er innerhalb einer Minute von hier verschwunden ist, sonst lasse ich ihn vom Sicherheitspersonal entfernen. Wir sprechen uns noch. Das Essen ist damit abgesagt.“
 

Dann drehte er sich um und stolzierte aus dem Zimmer, ohne ihr Gelegenheit zu einer Antwort zu geben. Die beiden Jugendlichen blickten ihm nach, Natsu noch immer vor Wut bebend, Lucy betreten und ängstlich und sehr, sehr zornig. Doch worüber, konnte sie nicht sagen – Jude, weil er Natsu geschlagen hatte? Oder Natsu, weil er Jude so provoziert hatte?
 

„Du gehst jetzt besser.“, sagte sie, ehe ihr Freund den Mund öffnen konnte, und dann senkte die Stimme, damit wirklich nur er sie verstand. „Ich treffe dich gleich am üblichen Ort.“
 

Natsu verzog unwillig das Gesicht, antwortete aber nichts, sondern folgte ihrer Aufforderung. Mit heftigen Schritten verließ er ihr Schlafzimmer und sie hatte das Gefühl, dass er nicht nur auf Jude zornig war.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Natsu schickte ihr eine Nachricht, dass er im Mustang auf sie wartete, also blieb sie im Zimmer, bis das Hausmädchen ihr Frühstück gebracht hatte, und verschwand dann durch den Wintergarten nach draußen. Ohne Zweifel hatte Jude den Sicherheitsdienst bereits angewiesen, sie nicht hinauszulassen, also versuchte sie es gar nicht erst durch den Vorderausgang, sondern steuerte gleich die Stele der Mauer an, über die sie klettern konnte. Das war auch der Weg, den Natsu in der letzten Nacht genommen hatte – die Wachmänner hätten ihn kaum hereingelassen.
 

Jetzt schwang Lucy sich mit geübter Leichtigkeit auf die Bäume und auf der anderen Seite in dem kleinen Wäldchen wieder hinunter. Den roten Mustang konnte sie schon von weitem zwischen den Stämmen sehen und sie beschleunigte ihre Schritte.
 

Natsu lehnte mit vor der Brust überkreuzten Armen an der Kühlerhaube und blickte ihr entgegen. Sie fühlte, wie sich bei seinem Anblick ein erleichtertes Lächeln über ihr Gesicht ausbreitete und sie winkte ihm entgegen, während sie sich für die letzten Meter in leichten Trab versetzte.
 

Doch er erwiderte die Gesten nicht, also blieb sie verwirrt stehen, als sie ihn erreichte, ohne ihm um den Hals zu fallen. Seine Haltung hatte sich nicht gelockert, als sie ihn erreichte, und er wirkte unnahbar und abweisend und keines seiner üblichen erfreuten Begrüßungsgrinsen zierte sein Gesicht.
 

Die kurze Zeit, die sie gebraucht hatte, um den richtigen Augenblick abzupassen und hierher zu kommen, hatte gereicht, damit seine Wange deutlich rot wurde und bereit begann, anzuschwellen. Sie riss die Augen auf und streckte im Reflex die Hand danach aus. „Mein Gott, das sieht ja schlimm aus!“, rief sie aus, aber er drehte unwillig den Kopf weg.
 

„Was sollte das?“, wollte er wissen und seine Stimme bebte vor unterdrücktem Zorn. „Du hättest ruhig auch etwas sagen können oder brauchst du erst eine schriftliche Einladung?“
 

Lucy wich zurück. „Was willst du damit sagen? Es ist doch klar, dass mein Vater so reagiert, wenn er uns zusammen im Bett findet!“ Normalerweise lenkte er ein, wenn es um Jude ging. Er wusste, dass Familien nicht immer einfach waren und Lucys Lage war kompliziert. Also ging er dem Heartphilia-Patriarchen so gut wie möglich aus dem Weg und vertraute ihr, wenn sie sagte, dass alles okay war.
 

Heute jedoch schien er nicht in Stimmung zu sein, die Sache auf sich beruhen zu lassen. „Und? Ist das ein Grund, ihm nicht zu sagen, wie die Lage aussieht? Warum hast du diesem Arsch nicht gesagt, wie das zwischen uns aussieht!? Ich habe nicht vor, dich einfach ohne Kampf gehen zu lassen. Vorher nicht und jetzt erst recht nicht!“
 

„Ich will dich ja auch nicht verlieren. Und solange ich noch mitbestimmen kann, werd ich das auch nicht tun!“ Das war ein Versprechen, dass sie ihm aus tiefstem Herzen geben konnte.
 

Doch Natsu blieb unerbittlich. „Weißt du, was ich befürchte? Dass er dich nicht mehr lange mitbestimmen lässt, sondern einfach entscheidet. Und was wirst du dann tun, hm? Nicken und Ja sagen wie immer und brav tun, was er von dir verlangt?“
 

„Ich tue nicht immer, was er will!“, fauchte sie zurück, langsam wurde sie selbst wütend. Was bildete er sich eigentlich ein?! Nur weil er keine Probleme mit Igneel hatte, bedeutete das nicht, dass andere genauso viel Glück hatten! „Und was soll ich bitte schön tun?! Er ist mein Vater! Ich kann ihm nicht sagen, dass er sich nicht in mein Leben einmischen darf!“
 

„Und warum zum Teufel nicht? Mein Vater schreibt mir auch nicht vor, mit wem ich abhängen oder ausgehen darf! Er wirft mir höchstens Kondome an den Kopf!“
 

„Wäre schön, wenn du dich an einem gewissen Tag daran erinnert hättest, dann säßen wir jetzt nicht in diesem Schlamassel! Was interessiert dich das überhaupt! Er ist mein Vater! Ich muss mit ihm zurechtkommen! Und das ist auch schon schwer genug, ohne dass du ihm sagst, dass er sich ficken soll oder ich ihm nichts bedeute!“
 

Für einen Moment starrte Natsu sie verständnislos an, als könnte er nicht begreifen, was sie eben gesagt hatte. „Lucy, er hat mich geschlagen!“, brüllte er. „Was denkst du, wie lange es noch dauert, bis er dich schlägt?“
 

Sie wich zurück. Zuerst wollte sie zurückschreien und alles abwehren, aber dann merkte sie, dass das keinen Zweck hatte. Natsu würde nicht von seinem Standpunkt abweichen, nicht, solange er so zornig war und nicht klar denken konnte.
 

Aber er hatte Unrecht. Ihr Vater würde niemals Hand an sie legen.
 

Also bemühte sie sich um einen möglichst ruhigen Tonfall, als sie antwortete: „Er wird mich nicht schlagen. Und es tut mir leid, dass er dir eine Ohrfeige gegeben hat, das hätte er nicht tun dürfen. Aber du hättest ihn auch nicht so provozieren dürfen!“
 

„Ach ja, also bin ich jetzt Schuld dafür, dass er sich nicht beherrschen kann?! Nein, Lucy, du darfst keine Entschuldigungen für ihn machen! Das hat er sich selbst zuzuschreiben!“
 

Sie presste die Lippen wütend aufeinander, um sich einen Moment zu verschaffen, in dem sie sich zusammenreißen konnte. „Ich mache keine Entschuldigungen für ihn. Er ist einfach nur besorgt um mich und versteht nicht, dass das unnötig ist.“
 

„Nein, er macht sich nur Sorgen um deinen Ruf! Oder besser, um seinen Ruf! Und was wird er wohl tun, wenn du ihm das sagen wirst?!“ Mit beiden Händen deutete Natsu auf ihren Bauch und sie legte reflexartig ihre Hand darüber. „Außerdem ist es seine Schuld, dass er keine Ahnung von mir hat! Oder uns. Oder dir! Merkst du nicht, dass du ihm als Mensch völlig egal bist und er dich nur als einen weiteren Teil seines Besitzes ansieht, über den er bestimmen kann, wie er will?! Den er benutzen kann, wie es ihm gerade passt?!“
 

Diesmal war es Lucy, die rot sah, und losschrie, ehe er mit seiner Tirade fortfahren konnte: „Natsu! Jetzt gehst du zu weit!“ Sie stieß ihn mit dem ausgestreckten Zeigefinger vor die Brust und gestikulierte wild. „Mein Vater ist vielleicht selber schuld, dass er dich nicht kennt, aber du kennst ihn auch nicht! Wie kannst du nur so etwas über ihn sagen?! Ich liebe meinen Vater und er liebt mich!“
 

Natsu war ihren heftigen Handbewegungen ausgewichen, in dem er einen Schritt zurückgewichen war. Jetzt warf er die eigenen Hände in die Luft und gab auf. „Fein!“, raunzte er. „Wenn du das so siehst, dann müssen wir gar nicht mehr darüber reden! Du kannst mich ja anrufen, wenn du zur Vernunft gekommen bist!“ Damit riss er etwas zu heftig die Autotür auf und stieg ein.
 

Fassungslos schaute Lucy ihm zu. So etwas hatte er noch nie getan! „Natsu, ich…“, begann sie, aber das Knallen der Autotür schnitt ihr das Wort ab. Noch ehe sie etwas tun konnte (was, hätte sie eh nicht gewusst, sie war nicht bereit, von ihrem Standpunkt abzuweichen), heulte der Motor auf und der Mustang machte einen Satz, so schnell beschleunigte er. Sie konnte dem davonrasenden Wagen nur noch nachschauen und ihr stiegen Tränen der Wut in die Augen.
 

„Schön!“, brüllte sie ihm hinterher, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt und vor Anspannung vibrierend. „Wenn du es so willst!“

9. Kapitel, in dem Lucy sich fragt, ob es das alles wert ist

Noch immer sauer kehrte Lucy zur Villa zurück und marschierte durch den Hintereingang, der direkt in das große Wohnzimmer führte, das am häufigsten benutzt wurde. Es sah noch genauso aus wie zu den Lebzeiten ihrer Mutter, die es geschmackvoll und überaus gemütlich eingerichtet hatte.
 

Layla hatte schon immer ein Auge für Stil, Schönheit und Heimeligkeit gehabt, eine echte Künstlerin eben. Lucy beneidete sie darum – sie selbst war lange nicht so talentiert und ihre Ergebnisse waren selten das, was sie sich vorstellte, wenn sie an ein Projekt heranging. Manchmal, wenn Lucy in diesem Wohnzimmer war, versetzte es ihr einen Stich, wann immer sie sich an ihre Mutter erinnerte. Manchmal kam sie aus genau diesem Grund hierher.
 

Im Moment hatte sie jedoch kein Auge dafür, sondern stürmte auf die doppelte Glastür zu, die in die große Halle mit der Galerie führte, über die man in alle Teile des Hauses kam. Sie vibrierte vor unterdrückter Wut und würde am liebsten schreien oder auf etwas einschlagen. Stattdessen kniff sie die Lippen zusammen und stapfte sauer zur Eingangshalle hinüber.
 

„Wo warst du?“, wollte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihr wissen und sie wirbelte erschrocken herum. Es war ihr Vater, der in seinem Ohrensessel saß, einem monströsen, uralten Teil, das so hässlich wie bequem war. Er sah wieder völlig gefasst aus und nichts wies darauf hin, dass er eben in einen heftigen Streit verwickelt gewesen war. Nichts bis auf den verkniffen wirkenden Mund und den subtilen Zorn in seinen Augen.
 

„Draußen.“, antwortete sie knapp, jetzt nicht für ein Gespräch aufgelegt. Außerdem war sie wütend auf ihn; er hatte Natsu wie den letzten Dreck behandelt und ihn dann auch noch geohrfeigt. Und jetzt tat er so, als wäre er im Recht! Wenn sie noch lange in seiner Gegenwart war, würde sie ihm an die Gurgel springen, da war sie sich sicher.
 

Jude betrachtete sie einen Moment mit leichtem Stirnrunzeln, als könnte er auf diese Art herausfinden, was geschehen war. Sie fragte sich, ob er ihr jetzt weitere Vorhaltungen machen würde und fragte sich, wie sie darauf reagieren würde. Ihn anschreien? Wütend davongehen? Ihm alle Schuld zuweisen? Doch vielleicht hatte irgendetwas in ihrem Gesicht ihn gewarnt, denn er nickte nur und sagte süffisant: „Also gut, ich werde dich vorerst in Ruhe lassen. Du hast allerdings Hausarrest. Eine Woche und jedes Mal, wenn ich dich wieder mit ihm erwische, eine weitere Woche.“
 

Letzteres interessierte Lucy derzeit herzlich wenig, auch wenn sie wusste, dass es sie sehr stören würde, sobald sie sich wieder mit Natsu versöhnt hatte. Aber im Moment war es ihr so egal, dass sie ihrem Vater entgegenschleuderte: „Keine Sorge, wir haben uns gestritten. Bist du jetzt zufrieden?!“ Und es war doch seine Schuld! Hätte er nicht gleich so überreagiert, hätte er nicht Natsu geschlagen, wäre das alles nicht passiert! Sie war drauf und dran, vor Wut und Frust in Tränen auszubrechen.
 

Jude jedoch wirkte nur selbstgefällig. „Merkst du jetzt, dass er kein Umgang für dich ist? Eines Tages wirst du mir dankbar sein.“
 

Sie warf die Arme hoch. „Ach, lasst mich doch alle zufrieden.“ Damit marschierte sie fußstampfend die Treppe nach oben und schmiss die Tür zu ihrer Zimmerflucht hinter sich zu, dass es krachte. Einen Moment stand sie einfach nur da und starrte geradeaus, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
 

Sie war es gewohnt, mit ihrem Vater aneinanderzugeraten und immer und immer wieder einen Weg finden zu müssen, seine Regeln und Verbote zu umgehen, ohne sie wirklich zu brechen. Bis jetzt hatte das ganz gut geklappt. Doch dies war der schlimmste Streit gewesen, den sie je mit Natsu gehabt hatte.
 

Natürlich, sie hatten sich schon vorher gestritten, oft über triviale Dinge, die am Ende nicht wichtig und schnell wieder vergessen waren. Aber beinahe jedes Mal hatten sie sich noch am selben Tag entschuldigt und alles wieder ins Reine gebracht. Ein Beispiel dafür war der kleine Zoff gewesen, den sie selbst vor wenigen Wochen angezettelt hatte, als sie Natsu von der Schwangerschaft hatte berichten wollen.
 

Doch diesmal hatte sie nicht das Gefühl, dass sich das so schnell erledigen würde.
 

Natsu, der normalerweise so wenig nachtragend war wie ein freundlicher Hund, würde sich diesmal nicht entschuldigen. Er würde nicht einmal zu ihr kommen, bereitwillig und offen, damit es ihr leichter fiel, sich selbst zu entschuldigen. Aber Lucy dachte gar nicht daran.
 

Sie war einfach noch immer so wütend…! Was dachte Natsu eigentlich, wer er war, dass er sich so in die Beziehung zwischen ihr und ihrem Vater einmischte?! Dazu hatte er nicht das Recht! Das ging ihn rein gar nichts an! Das war allein ihre Sache und sie hatte sich ganz gut damit eingerichtet!
 

Sauer und gleichzeitig todunglücklich stapfte sie mit energischen Schritten in ihr Schlafzimmer hinüber und warf sich zum Bett um erst einmal ausgiebig eine Runde zu heulen. Dabei versuchte sie sich einzureden, dass es Tränen der Wut waren und nicht solche des Selbstmitleids und der Traurigkeit, aber die wusste es besser.
 

Sie behielt Recht – die nächsten Tage waren ätzend. Nicht nur, dass sie in ihrem Zimmer eingesperrt war (nicht wortwörtlich, aber sie verließ sie höchstens, um auf ihren Balkon zu gehen), ihr fehlte auch jegliche Unterhaltung und sie fühlte sich zu lustlos und uninspiriert, um etwas zu zeichnen oder sich um ihre Pflanzen zu kümmern und für die Schule gab es im Moment nichts zu tun.
 

Selbst ihr Notizbuch rührte sie kaum an, als wäre durch den Streit die Schwangerschaft plötzlich auf Stand-By gestellt worden. Sie hatte einfach nicht die Energie, sich damit zu beschäftigen oder auch nur, um sich Sorgen zu machen. Im Internet hatte sie gelesen, dass das zweite Trimester die angenehmste Zeit einer Schwangerschaft war, aber sie begann es auf diese Weise.
 

Loke war nicht zu greifen, da er in den ersten Wochen der Sommerferien immer mit seinem Vater wandern ging – komplett ohne Handys und Computer, etwas, über das er jedes Mal jammerte, obwohl sie alle wussten, wie sehr er den Ausflug genoss. Aber auf diese Weise war er für sie unerreichbar.
 

Mit Erza und Gray schrieb sie nur manchmal, aber von Natsu hörte sie kein Sterbenswörtchen. Erst jetzt, als er nicht mehr da war, merkte sie, wie sehr sie seine willkürlichen und beiläufigen Nachrichten und Bilder vermisste. Er hatte es offensichtlich ernst gemeint damit, dass er erst wieder mit ihr reden würde, wenn sie ‚Vernunft angenommen hatte‘.
 

Da konnte er lange warten! Er könnte sich ja auch entschuldigen dafür, wie er über ihren Vater gesprochen hatte! Sie versuchte darum auch nicht, mit ihm in Kontakt zu treten, obwohl sie ihn vermisste. Das ließ ihr Stolz nicht zu.
 

Da Jude ihr (schon wieder, hörte das auch mal auf?) Hausarrest erteilt hatte, konnte sie sich nicht einmal mit Erza oder Gray irgendwo treffen und etwas unternehmen. Erza hatte zwar viel zu tun mit all ihren Sommerkursen, aber sie hatte davon gesprochen, ins Museum zu gehen und einen Kurztrip nach Hargeon zu machen. Doch da beide ihr erklärten, dass sie wirklich ein ruhiges Gespräch mit Natsu führen und die Sache klären musste, hätte sie das sowieso nicht getan. Was ging die beiden das an?! Sie fühlte sich sehr allein gelassen.
 

Also saß sie so trübsinnig in ihrem Zimmer herum und die Tage zogen so zäh an ihr vorbei wie Kaugummi, dass es selbst ihren Vater erweichte, denn er stürmte zwei Tage später in ihr Zimmer. Er war offensichtlich bester Laune, denn er konnte das Schmunzeln nicht von seinem sonst so strengen Gesicht fernhalten. „Lucy, pack deine Sachen, wir fahren morgen nach Crocus!“
 

Erschrocken fuhr sie von ihrem Platz auf dem Sofa auf, wo sie gedankenverloren versucht hatte, ein Buch zu lesen. „Wa… was ist passiert?“, fragte sie verwirrt und schwang die Beine von den Polstern. Zweifelnd und beinahe erschrocken starrte sie ihren Vater an, dessen Lächeln immer breiter wurde.
 

„Nichts. Ich dachte nur…“ Er räusperte sich und brachte seine Gesichtszüge unter Kontrolle. „Ich muss morgen auf eine längere Geschäftsreise nach Crocus und da unser Urlaub leider ins Wasser fiel, dachte ich, du willst mich vielleicht begleiten? Leider habe ich nicht die Zeit, dass wir viel gemeinsam unternehmen können, aber dir wird ein Tapetenwechsel sicher guttun.“
 

Lucy blieb der Mund offenstehen. So etwas hatte es noch nie gegeben! „Für wie lange?“, brachte sie das erste heraus, was ihr in den Sinn kam.
 

„Nur bis Sonntag. Es ist leider etwas sehr Dringendes in der Crocusfiliale angefallen, um das ich mich persönlich kümmern muss. Aber bis Donnerstag oder höchstens Freitag wird sich das erledigt haben.“, erklärte Jude. „Ich dachte, wir können vielleicht noch in den Zoo gehen? Den hast du als Kind doch immer so gemocht? Und einen Abend kann ich mir sicher auch freischaufeln, damit wir gemeinsam ein Ballett oder eine Oper ansehen können.“
 

Ihr Erstaunen nahm noch immer noch nicht ab, im Gegensatz, es wuchs. Klar, den wundervollen Zoo in Crocus hatte sie früher immer sehr gerne gemocht und sie hatte ihn oft mit Layla und, wenn er es einrichten konnte, auch Jude, besucht. Es rührte sie, dass er sich daran erinnerte, auch wenn sie schon lange kein Kind mehr war. Aber Zoos waren nicht nur für Kinder, oder? Sie fühlte, wie die Freude bereits jetzt in ihr hochstieg.
 

„Ich dachte, ich habe Hausarrest?“, rutschte es ihr heraus und am liebsten hätte sie sich selbst geschlagen. Jetzt machte er ihr so ein Angebot und sie erinnerte ihn an diese Sache! War sie denn ganz bescheuert?
 

Aber Jude schien blendende Laune zu haben und machte eine wegwischende Handbewegung. „Ich denke, du hattest dieses Jahr schon genug Hausarrest. Also? Was sagst du? Crocus?“
 

Lucy brauchte nicht lange zu überlegen. Plötzlich überschäumend vor Freude sprang sie auf, ohne darauf zu achten, dass ihr Buch auf den Boden kullerte, und fiel ihm um den Hals. Sie drückte ihm einen überschwänglichen Kuss auf die Wange. „Danke! Danke! Danke! Natürlich komme ich mit!“
 

Judes antwortendes Lächeln bekräftigte noch einmal, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte. „Hervorragend! Wir fahren morgen schon um acht Uhr, sieh also zu, dass du fertig bist. Ich schicke dir Spetto, damit sie dir beim Packen helfen kann.“
 

Sie sah ihm nach, wie er das Zimmer verließ, und warf erfreut die Arme in die Luft, als sie realisierte, was das bedeutete. Endlich hier rauskommen, nicht mehr nur hier im Zimmer hocken, versauern und nichts tun, mal was anderes sehen. Das würde sie auf andere Gedanken bringen.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Vorsichtig drehte Lucy ihre Füße so, dass sie einen festen Stand hatte, obwohl sie unerlaubt auf der Spitze eines kleinen Felsens stand. Von hier konnte sie über die Bäume des malerischen Schlossparks hinwegsehen, über die geschwungenen, mit weißem Kies bedeckten Wege, die zahlreichen, bunten Blumen und den kleinen Fluss, der sich durch das Grün der Wiesen schlängelte.
 

Im Hintergrund erhob sich das Mercurius, das Königliche Schloss von Fiore, wegen dem sie erst diese kleine Kletterpartie unternommen hatte. Die nach oben strebenden Türme und die schlanken, hohen Fenster, die violettblauen Dächer und die kunstvollen Stuckarbeiten wirkten elegant und ewig wie immer. Von hier hatte sie einen überaus tollen Blick auf den alten, märchenhaften Palast, der nur verstärkt wurde durch den idyllischen Park, der das Bild davor füllte.
 

Lucy hob ihre Kamera vor ihr Gesicht und knipste ein paar Fotos, ehe sie das Zoom einstellte und Detailaufnahmen schoss. So eine schöne Gelegenheit gekoppelt mit einem so tollen Standpunkt hatte sie noch nie gehabt. Der Himmel war strahlend blau, die Sonne hell und strahlend, aber hinter ihr und alles schien zu glänzen.
 

Sie überlegte, ob sie ein paar Stunden damit auf den Kopf hauen konnte, das Schloss zu besichtigen. Natürlich wurde es noch immer bewohnt, aber ein Flügel war der Öffentlichkeit freigegeben worden und jedes Jahr wurden neue, interessante Ausstellungen darin aufgebaut, so dass sich auch wiederholte Besuche lohnten. Vielleicht sollte sie nachschauen, was es dieses Mal so zu sehen gab. Letztes Jahr war es eine sehr interessante Sammlung prähistorischer Artefakte gewesen, die man in der Nähe gefunden hatte.
 

Auf der anderen Seite war sie vorhin schon shoppen gewesen und eigentlich hatte sie keine Lust, die Tüten quer durch den doch recht großen Park hinüber zum Mercurius zu schleppen. Sie konnte morgen noch ins Schloss gehen und außerdem hätte sie dann mehr Zeit als die paar Stunden, die sie jetzt noch hatte.
 

Inzwischen war Donnerstag und sie war bereits fünf Tage in Fiores Hauptstadt, eine alte Metropole mit einem malerischen Kern, der noch aus vergangenen Jahrhunderten stammte und an den sich modernere Vierteln schlossen, sowie einer starken Industrie weiter draußen. Sie hatte bereits einen entspannenden Wellnesstag hinter sich, den Vergnügungspark Ryuzetsu Land besucht und das Domus Flau, eine antike Arena, die von vier gigantischen Statuen bewacht wurde, und weitere Sehenswürdigkeiten besichtigt, die in dessen Nähe lagen. Zwei Tage hatte sie in verschiedenen Museen verbracht und für heute hatte sie sich eigentlich vorgenommen, nichts weiter zu tun als zu shoppen und so viel Geld zu verprassen, wie sie es noch nie vorher getan hatte. Jude würde es vermutlich nicht einmal bemerken.
 

Sie seufzte und ließ ihre Kamera sinken. Dieser spontane Urlaub tat ihr definitiv gut und ihre Laune hatte sich bereits gebessert, allerdings schwankte sie zwischen flüchtiger Zufriedenheit und der stets darunter lauernden Frustration und Niedergeschlagenheit hin und her. Ihre Probleme verschwanden nun mal nicht, nur weil sie vor ihnen davonlief.
 

Viel von ihrem Vater hatte sie während der letzten Tage nicht gesehen, da er das Crocus Gardens verließ, ehe sie erwachte, und oft erst spät abends heimkam, nachdem sie selbst schon ins Bett gekrochen war. Sie fragte sich, wie er das machte, ohne tagsüber vor Müdigkeit umzukippen.
 

Zweimal hatten sie sich zum Mittagessen getroffen und natürlich waren sie wie versprochen ins Königliche Staatsballett gegangen, das Lucy sehr genossen hatte. Doch eigentlich war sie ganz froh, ihn nicht sehen und sich mit ihm auseinandersetzen zu müssen. Auf diese Art konnte sie erst einmal ihre eigenen aufgewühlten Gefühle wieder unter Kontrolle bringen und musste nicht befürchten, ihm etwas an den Kopf zu werfen, das sie nicht mehr zurücknehmen konnte.
 

Sie war immer noch wütend, auf sich selbst, dass sie nicht besser aufgepasst hatte, auf Jude, weil er die Liebe ihres Lebens einfach nicht akzeptieren konnte, aber vor allem auf Natsu. Dabei konnte sie noch nicht einmal sagen, warum. Weil er sich in ihre Sachen eingemischt hatte, in einen Teil ihres Lebens, der ihn nichts anging. Weil er sich weigerte ihre Seite zu sehen. Weil er nicht den Mund hatte halten können; ohne seine Worte wäre diese Sache nie so explodiert.
 

Weil er alles so kompliziert gemacht hatte.

Vorher war alles gut gewesen, aber jetzt war alles so ein Chaos und sie konnte es einfach nicht mehr ordnen.
 

Sie senkte die Kamera und starrte darüber hinweg zum Schloss hinüber, ohne es wirklich zu sehen, noch in Gedanken versunken. Dann riss sie sich in die Gegenwart zurück und zückte ihr Handy für ein Panoramabild, das sie an ihre Freunde schickte, ehe sie sich an den Abstieg machte. Sie wollte ja nicht, dass irgendwer die Polizei rief, nur weil sie auf den Felsen herumkletterte.
 

Unten sammelte sie ihre Tüten ein, die sie hinter einem Busch versteckt hatte, und dann machte sie sich auf den Weg zurück zur Einkaufszeile. War der Park selbst schon sehr geschäftig gewesen, explodierte das Gedränge in den geschwungenen Straßen, wo die Geschäfte sich aneinanderreihten und Kaufhäuser erhoben. Manche von ihnen waren untergebracht in den alten Gebäuden, andere in modernen Bauwerken mit Fronten aus Stahl und Glas.
 

Lucy hatte bereits den Rest des Tages hier verbracht, also hatte sie viele Läden, die sie interessierten, bereits hineingeschaut und viel zu viel Geld für Schmuck und Designerklamotten liegen lassen, die sie letzten Endes doch nicht brauchte. Außerdem hatte sie sich mit ein paar neuen Büchern eingedeckt, die jetzt schwer an ihrer Schulter hingen.
 

Jetzt bummelte sie an den Schaufenstern vorbei und versuchte krampfhaft, ihre Gedanken nicht abgleiten zu lassen. Es gab einen guten Grund, warum ihre Woche so angefüllt gewesen war mit Touristenattraktionen und Veranstaltungen. So war sie abgelenkt und abends müde genug, um ins Bett zu fallen und sofort zu schlafen.
 

Auf diese Weise musste sie nicht an die Großen Katastrophe denken, wie sie den Vorfall in ihrem Kopf nannte, und daran, wie sie diese Situation am besten wieder geradebog. Denn ihr war klar, dass etwas geschehen und eine Lösung hermusste und zwar bald. Jude durfte auf keinen Fall von allein dahinter steigen und mit Natsu musste sie noch klären, wie das alles überhaupt weiterging.
 

In ihrem Bauch wuchs etwas heran, das sie im Moment nur als Problem ansehen konnte, als ein Störfaktor, der ihr vorher so geordnetes Leben aus der Bahn geworfen hatte. Wäre sie niemals schwanger geworden, wäre das alles nie passiert. All der Stress, all der Streit, all die bösen Worte… Wäre es nicht besser, sie hätte sich niemals darauf eingelassen?
 

War es das alles überhaupt wert?
 

Vielleicht hätte sie doch einfach abtreiben sollen. Vielleicht hätte sie Natsu niemals davon erzählen sollen und auch nicht Erza. Vielleicht hätte sie nur dieses eine Mal in den sauren Apfel beißen müssen. Vielleicht hätte sie von Anfang an das Vernünftige tun sollen. Ein kurzer Eingriff und all das wäre nicht geschehen.
 

Aber sie wusste, tief im Inneren, dass diese Gedanken falsch und giftig waren und auch nicht die Wahrheit. Dass sie niemals einen anderen Weg hätte wählen können. Nicht, wenn sie sich selbst noch offen ins Gesicht sehen oder ihre eigenen Ideale nicht verraten wollte. Nicht, wenn sie Natsu gegenüber so ehrlich und fair bleiben wollte, wie er es verdiente.
 

Wie hätte sie ihm noch in die Augen sehen können, wenn sie ihn derartig angelogen hätte?
 

Trotzdem konnte sie diese hässlichen Gedanken im Moment nicht unterdrücken, ebenso wenig wie die Aussicht auf den noch größeren Krach mit ihrem Vater, der ihr noch bevorstand und den sie nicht umgehen konnte. Früher oder später musste sie Jude gestehen, dass sie schwanger war, denn ein Zurück gab es nicht mehr. Sie hatte fürchterliche Angst davor und sie wusste einfach nicht, wie sie damit umgehen sollte.
 

Sie seufzte und blinzelte, um sich wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Nach einem Moment bemerkte sie, dass sie auf eine Auslage winziger Schühchen starrte. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück und ihr Blick wanderte zu dem Schild hinauf, das über den Schaufenstern hin. BabyBear stand darauf, abgerundet mit dem Logo eines niedlichen, lachenden Teddybären – Fiores größte Kette an Zubehör für Babys und Kleinkinder.
 

Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, und blickte sich hastig um, um zu sehen, ob jemand bemerkt hatte, wie sie viel zu lang auf die Auslage gestarrt hatte. Doch niemand achtete auf sie und sie rief sich energisch zur Raison – nur, weil sie Babysachen ansah, hieß das noch lange nicht, dass sie sie selbst brauchte (bis dahin war es noch eine Weile, sie hatte also noch etwas Zeit). Immerhin konnte man immer für andere Leute etwas besorgen und sowieso…
 

Und warum rechtfertigte sie sich in ihren eigenen Gedanken und warum zum Teufel war sie gerade automatisch davon ausgegangen, dass sie bald überhaupt so etwas brauchte?
 

Sie atmete tief ein und brachte ihre panischen Gedanken wieder unter Kontrolle. Erstens – niemand konnte jetzt schon sehen, dass sie schwanger war. Zweitens – noch hatte sie sich nicht entschieden, was sie mit dem Baby machen würde. (Oder doch?) Drittens – sie würde jetzt da reingehen und sich umsehen.
 

Wenn sie schon mal hier war, konnte sie etwas für Grandine besorgen. Natürlich war deren Geburtstermin erst Ende Oktober, aber es konnte ja trotzdem nicht schaden, schon einmal etwas zu haben. Und Babypartys waren traditionell sowieso ein paar Wochen früher.
 

Sich selbst darüber im Klaren, wie fadenscheinig die Ausrede war, schob Lucy die Tür auf und trat ein. Über ihr klingelte sanft ein kleines Glockenspiel, das beinahe in der ruhigen Hintergrundmusik umging, die die Räume erfüllte. Der Laden war hell und freundlich, die Wände beige gestrichen und mit kindlichen Motiven versehen, die Regale waren aus weißem Holz gefertigt und alle Ecken abgerundet und der Boden bestand aus echten Dielen, die teilweise mit Teppichen bedeckt waren. Dafür, dass das Geschäft eigentlich die Hauptfiliale einer riesigen Kette war, wirkte es sehr familiär und heimelig.
 

Eine ältere Verkäuferin mit verkniffenem Gesicht und kundenfreundlichem Lächeln blickte zu ihr herüber, doch Lucy winkte ab und sah sich erstmal selbst um. Und was es da alles zu sehen gab – Regale voller Kleidung vor allem für das Kind, aber auch die werdende Mutter, Spielsachen, Babysitze, Bettwäsche, Handtücher, Geschirr, Möbel und Kinderwägen und und und. Wie konnte man sich bei der Auswahl für die Dinge entscheiden, die man wollte und brauchte?
 

Beiläufig schnappte sie sich einen Korb und packte hinein, was ihr passend erschien – ein Satz niedlicher Holztiere, eine weiße Plüschkatze, ein Paar niedlicher, rosa Schuhe, an denen sie einfach nicht vorbeigehen konnte. Vor den Kinderwägen blieb sie eine Weile stehen, sie konnte kaum glauben, was es da für eine Auswahl an unterschiedlichen Modellen gab und in welch horrende Höhen die Preise wuchsen.
 

Als sie schließlich bei dem Regal voller Strampler ankam, hielt sie einen Moment inne und blickte auf die Uhr. Kurz vor sechs, teilte diese ihr mit und Lucy blinzelte einmal und vergewisserte sich ein zweites Mal. So spät schon?! Aber… Sie wusste nicht auf die Minute genau, wann sie hereingekommen war, doch es war noch keine Vier gewesen, dass wusste sie mit Sicherheit! Vielleicht halb vier.
 

Hieß das etwa, dass sie jetzt schon über zwei Stunden hier war und sich Babysachen ansah?!
 

Und jetzt konnte sie sich noch nicht einmal richtig darüber ärgern, dass sie hier so viel Zeit vertrödelt hatte, denn es fühlte sich gar nicht so an. Es hatte ihr viel zu viel Spaß gemacht und sie fühlte sich so gut wie seit Tagen nicht mehr. Es war, als hätte diese Wanderung durch dieses Geschäft alles weggewischt, ihren Stress, ihre Zweifel, ihren Ärger, besser als die Wellnessbehandlung vor ein paar Tagen.
 

Wollte sie jetzt darüber nachdenken, was das bedeutete?
 

Skeptisch blickte sie auf ihre für diese lange Zeit doch recht magere Ausbeute hinunter und überlegte, was sie noch brauchte. Es erschien ihr noch so wenig. Einen Strampler sollte auf jeden Fall noch dazu. Vielleicht auch eine Babyflasche oder eine Schnullerkette? Es war nicht so, als ob sie geizen musste und sie hatte sich ja sowieso vorgenommen, ihren Vater etwas zu schröpfen.
 

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“, erkundigte sich auf einmal eine freundliche Stimme neben ihr und Lucy zuckte zusammen. „Oh, entschuldigen Sie.“ Die Verkäuferin, die so plötzlich neben ihr aufgetaucht war, als wäre sie aus dem Boden gewachsen, lächelte sie entschuldigend an. Es war eine junge Frau, nur wenige Jahre älter als Lucy selbst, in einer blauen Bluse, über die sich kastanienbraune Locken ringelten, und mit einem hübschen, offenen Gesicht.
 

„Oh… Nichts passiert.“, beruhigte Lucy die Frau, deren Lächeln daraufhin noch etwas breiter wurde. „Ich … äh… Ich suche ein Geschenk für eine Freundin.“, erklärte sie und fühlte sich, als würde sie lügen. Sie verdrängte den Gedanken, um auf etwas Praktischeres zurückzukommen. „Wie groß muss so ein Strampler für ein Neugeborenes denn sein?“
 

„Ich würde etwas in Größe 56 empfehlen.“, erklärte die Verkäuferin und ging mit geschäftigen Schritten an ihr vorbei. „Hier haben wir eine schöne Auswahl.“ Sie ließ ihre Hand über drei niedrige Stapel von Kleidungsstücken streichen, hinter denen die Markennamen der Hersteller an den Regalen angebracht waren.
 

Dann blickte sie sich kurz um, ob auch niemand in der Nähe stand, und beugte sich verschwörerisch vor. „Diese sind schön und gut, aber wenn Sie wirklich etwas qualitativ Hochwertiges für Ihr Geld wollen, nehmen Sie diese hier.“ Sie ging zwei Schritte weiter zu den weniger sorgfältig ausgelegten Kleidern. „Hier, ich schwöre auf diese. Den habe ich für meine Nichte gekauft.“ Damit hielt sie einen einfachen blauen Strampler hoch, auf den süße, weiße Häschen gedruckt waren.
 

„Der ist sehr niedlich.“, stimmte Lucy zu und stellte ihre anderen Lasten ab, ehe sie ihn entgegennahm. Der Stoff fühlte sich kuschelig weich und warm unter ihren Händen an und bestand aus reiner Baumwolle, wie ein kurzer Blick zeigte.
 

„Er stammt von einer noch jungen Firma, umweltbewusst und aufstrebend. Wir haben ihn natürlich auch in anderen Ausführungen.“, erklärte die Verkäuferin und hielt ein grünes Exemplar mit orangeroten Füchsen hoch und ein weiteres in Gelb, auf dem braune Hühnchen zu sehen waren. „Die sehen nicht nur toll aus, sie sind auch noch echt robust und halten einiges aus.“ Sie senkte erneut die Stimme. „Mehr als diese da auf jeden Fall.“ Dabei deutete sie auf die teureren, die sie zuerst gezeigt hatte.
 

„Danke.“ Lucy grinste die Frau an, die ihr hier offensichtlich das aufschwatzen wollte, von dem sie überzeugt war, und nicht unbedingt das, was am meisten Gewinn brachte. „Dann nehme ich diese.“ Sie nahm nach kurzer Überlegung den mit den Füchsen – Natsu konnte mit Hühnern nicht so viel anfangen – und ließ ihn gemeinsam mit dem blauen in ihren Korb fallen.
 

Die Verkäuferin grinste und zwinkerte ihr zu. „Wenn Sie noch etwas suchen, würde ich ein Handtuch mit Kapuze empfehlen, das ist immer sehr praktisch und wir haben da auch eine sehr schöne Auswahl da. Oder Sie packen etwas für die Mama hinein, das kommt immer gut an.“
 

„Das ist eine gute Idee, aber ich weiß nicht, ob ich hier etwas finde.“ Trotzdem nahm Lucy sich vor, nachher noch in eine Drogerie zu gehen und etwas zu besorgen, zumindest ein Gutschein sollte dazu. „Aber vielleicht so ein Handtuch, das klingt gut.“
 

Plaudernd führte die Verkäuferin sie in eine andere Abteilung hinüber, wo sie nicht nur die kuscheligsten Handtücher fand, sondern auch eine ganze Reihe in Tierform. „Die sind ja süß!“, rief sie aus, als die Verkäuferin eines davon hochhielt, mit dem niedlichen Gesicht und den Öhrchen eines Bären.
 

„Sie sind sehr beliebt.“, stimmte die Frau zu. „Und ich kann sie nur empfehlen. Auch in verschiedenen Farben und der Ausfertigung Hase, Eule, Hund, Katze und Drache vorhanden.“
 

„Drache?“ Interessiert trat Lucy näher und ließ sie Finger über die weichen, flauschigen Handtücher gleiten. Schließlich wählte sie ein knallrotes und ein grasgrünes aus und ließ sich zur Kasse führen, endlich zufrieden mit ihrer Ausbeute. Grandine würde sich sicher freuen!
 

Erst, als sie – viel zu spät, wie ihr erneut auffiel – auf die Straße trat, die sich inzwischen ziemlich geleert hatte, obwohl noch immer viel los war, fiel ihr auf, dass sie fast alles in zweifacher Ausfertigung gekauft hatte.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

„Du siehst schon viel weniger gestresst aus, wenn ich das so sagen darf.“, bemerkte Jude hinter ihr und Lucy drehte sich um, die Kamera noch immer erhoben.
 

„Der kleine Urlaub hat wirklich Wunder getan.“, stimmte sie zu und konzentrierte sich wieder auf die Pinguine, die nur wenige Meter entfernt über das künstliche Eis marschierten, als wollten sie für ihre Kamera posieren. Ein paar von diesen Fotos würde sie zuhause auf jeden Fall auf Leinwand oder zumindest ein großes Blatt Papier übertragen. Diese kleinen, schwarzweißen Gesellen waren ein dankbares und sehr niedliches Motiv.
 

Schade, dass sie keine Zeit dafür hatte, sich hier ins Gras zu setzen und zu skizzieren. Aber das konnte sie ihrem Vater (oder sonst jemandem) kaum zumuten. Sie ging auf die Knie, um zwischen die Gitterstäbe des Geländers hindurch noch ein paar Fotos zu schießen und schloss sich dann wieder Jude an, der sie zum Eisbärengehege führte.
 

Sie fühlte sich gut, ruhig sogar, auch wenn sie sich noch nicht als zufrieden oder gar glücklich bezeichnen würde. Dazu lag noch zu viel auf ihrem Herzen. Doch ihr Ärger auf Jude und Natsu war abgeklungen. Sie hatte zwar noch immer keine Lösung für ihre verschiedenen Probleme gefunden, aber jetzt konnte sie wenigstens kühlen Kopfes darüber nachdenken.
 

Am nächsten Tag würde sie mit ihrem Vater nach Magnolia zurückkehren und sie konnte über Erza und Gray vorsichtige Fühler ausstrecken, was Natsu anging. Außerdem wollte sie mal wieder Ur besuchen; der Rat der Frau war unbezahlbar und vielleicht hatte sie einen Einblick auf die Situation, der sich Lucy versperrte. Und wenn nicht, würde es auf jeden Fall guttun, sich bei einer neutralen Partei alles von der Seele zu reden.
 

„Das freut mich für dich.“, erklärte Jude. „Nächstes Jahr kommen einige große Veränderungen auf dich zu, da musst du vorbereitet sein.“
 

„Keine Sorge, die Herausforderungen werd ich schon meistern.“, erklärte sie grinsend. Als ob sie nicht selbst wüsste, dass da viel auf sie zukommen würde – viel mehr, als Jude jetzt ahnte. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Was würde er tun, wenn sie es ihm sagte, hier und jetzt? Würde er es akzeptieren? Oder sie auf der Stelle enterben und allein in Crocus zurücklassen? Aber nein, so herzlos würde er niemals sein!
 

Außerdem hatte sie nicht vor, es ihm jetzt zu sagen, zuerst musste sie sich wieder mit Natsu versöhnen. Sie beschloss, etwas anderes auszutesten. „Ich hab mir schon Unis angesehen.“, erklärte sie darum. „Hier in Crocus haben sie einen sehr guten Studiengang für mich, Journalismus und Business Communication. Und es würde mich schon reizen, hierher zu kommen.“
 

Allerdings wäre sie dann von Natsu getrennt. Der wollte sich zwar gerade eine Ausbildungsstelle in einer anderen Werkstatt besorgen, aber dafür würde er wohl kaum Magnolia verlassen. Oder doch? Wenn er hier etwas Tolles fand? Crocus war eine herrliche Stadt und sie hätten hier sicher viel Spaß zusammen. Das mit dem Kind würden sie schon irgendwie auf die Reihe kriegen. Gray und Erza würden vielleicht sowieso hierherkommen.
 

Auf der anderen Seite… „Aber die Uni in Magnolia hat auch einen tollen Studiengang für mich, Medienkommunikation und Journalismus. Und sie hat sogar fast einen besseren Ruf als Crocus. Ich bin also noch am Überlegen.“
 

„Hängst du also noch immer an diesem kindischen Traum fest?“, wollte Jude wissen und seine kühle Stimme ließ sie aufblicken. Mit strengem Gesicht sah er auf sie hinunter und er wirkte hart und unerbittlich.
 

Für einen Moment wusste sie gar nicht, was sie darauf antworten sollte. „Wa…was meinst du damit?“
 

„Ich meine, dass deine Zukunftsaussichten als Journalistin nicht sehr toll sind“, antwortete er mit betont ebenmäßiger Stimme, „und du Business studieren solltest oder etwas im Finanzwesen, damit deine Aufstiegschancen gut sind. Ich kann dich natürlich nicht sofort in einer höheren Position anfangen lassen, aber nichts spricht dagegen, dich rasch aufsteigen zu lassen. Du musst diese Chance nur ergreifen! Es gibt nur wenige, die sie bekommen. Ich weiß eine Menge Leute, die dafür neidisch auf dich wären.“
 

Ihr Gesicht wurde bei jedem seiner Worte länger. Gerade hatte sie sich wieder mit ihm ausgesöhnt und er brachte sowas! Wieso begriff er einfach nicht, dass sie kein Interesse daran hatte, im Heartphilia Konzern einzusteigen oder gar, irgendwann einmal seine Nachfolgerin zu werden? Das einzige, was sie für ihn tun würde, wenn überhaupt, wäre irgendwo bei einer der Stiftungen mitzuhelfen, doch das schien er nicht einmal in Betracht zu ziehen!
 

Aber sie hatte es ja wissen wollen.
 

„Und warum gibst du diesen Job dann nicht diesen Leuten?“, antwortete sie pampig und hängte sich den Riemen ihrer Kamera über ihre Schulter. „Ich will ihn nämlich nicht! Ich will meinen eigenen Job und mein eigenes Leben und meinen eigenen Weg schaffen!“ Ärgerlich beschleunigte sie ihre Schritte und sie hörte ihn hinter sich geplagt seufzten.
 

„Lucy. Nun nimm doch Vernunft an.“ Er schloss zu ihr auf und dank seiner längeren Beine hatte er keine Probleme, mit ihr Schritt zu halten, egal, wie wütend sie voranstapfte. „Warum siehst du nicht, dass dies deine beste Chance ist? Nur wenige haben eine solch helle Zukunft vor sich und du wirfst alles einfach so weg.“
 

Abrupt blieb sie stehen und drehte sich zu ihm um. „Aber vielleicht will ich das ja gar nicht!“, antwortete sie viel zu laut, so dass sich Leute zu ihnen umdrehten. Aber sie war viel zu aufgewühlt, um sich jetzt zusammenzureißen. „Vielleicht habe ich keine Lust auf diese perfekte Zukunft, die du für mich ausgesucht hast! Ich will nur das machen, was mir Spaß macht, und wenn das nicht ganz so perfekt und toll ist, dann ist das halt so! Na und? Wenigstens bin ich dann glücklich!“ Sie schnaufte und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.
 

Eine Szene wollte sie hier eigentlich nicht veranstalten. Nicht, weil sie Angst hatte, dass die Öffentlichkeit sich über sie das Maul zerreißen würde, sondern eher, weil sie der Meinung war, dass solche privaten Probleme nicht unter aller Augen besprochen werden mussten. Das ging nur sie und ihren Vater etwas an und nicht all diese Fremden, die jetzt zu ihnen starrten und die Hälse reckten.
 

Jude rieb sich die Nasenwurzel und blickte geplagt auf sie hinunter, als wäre sie plötzlich eine Last – oder zumindest, als wäre ihre Einstellung etwas, das völlig überflüssige Mühen bereitete. Dann nickte er. „Also gut. Ich hatte eigentlich nicht vor, mich heute mit dir zu streiten.“, erklärte er beschwichtigend und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Also verspreche ich, mir das ebenfalls durch den Kopf gehen zu lassen. Wir sprechen ein andermal darüber. Deal?“
 

Lucy blickte mit gerunzelter Stirn misstrauisch zu ihm hoch. Er gab viel zu einfach nach! Das hatte sie ja noch nie gesehen. Trotzdem nickte sie. Darauf konnte sie sich einlassen, auch wenn er vermutlich erwartete, dass sie sich das ebenfalls nochmal überlegte. Aber sie hatte ihre Entscheidung längst getroffen.
 

Ein erleichtertes Lächeln huschte über sein Gesicht und er deutete zu einer Verkaufsbude hinüber, die auf einem kleinen Platz in der Nähe stand. „Dort gibt es Eis. Lass uns eins holen gehen.“ Damit setzte er sich auch schon in Bewegung, offensichtlich erfreut danach, dass alles nach seinem Willen ging.
 

Sie blickte ihm nach und fragte sich, ob er die Worte ernst gemeint hatte. Aber, erkannte sie und ihre Hand stahl sich unwillkürlich zu ihrem Bauch, wo sie beschützend liegen blieb, letzten Endes würde das keine Rolle spielen. Denn Jude kannte das Gesamtbild noch nicht.

2. Special, in dem Natsu guten Rat findet, auch wenn er ihn nicht wirklich gesucht hat

Zum wiederholten Male rutschte Natsu der Schraubenzieher ab, weil er einfach zu hastig und unkonzentriert an die Sache heranging. Wütend starrte er auf die starrköpfige Radmutter, die sich einfach nicht lösen lassen wollte, dann fuhr er herum und schleuderte den schweren Schraubenzieher in die Ecke. „Verdammte Scheiße!“
 

Klirrend und polternd sprang das Werkzeug zweimal vom Betonboden ab, ehe es noch ein, zwei Meter schlitterte und dann zum Liegen kam. Um noch einen drauf zu setzen, trat Natsu heftig gegen den knallroten Eimer, der in der Nähe stand und jetzt davonsprang, während er seinen Inhalt hinausschleuderte. Ein Regen von Staub, Dreck und Materialresten ging über den Boden nieder.
 

„Pass nur auf, dass du hier nicht zur Arbeitsgefährdung beiträgst.“, bemerkte eine tiefe Stimme hinter ihm, der Tonfall so trocken wie die Wüste. „Außerdem wirst du das alles wieder aufkehren müssen.“
 

Natsu zog einen Flunsch und drehte sich zu dem Sprecher um, einem großen, schwarzen Mann mit breiten Schultern und einem fragenden Lächeln auf den sonst so grimmig wirkenden Gesichtszügen. Neben seinem linken Auge zog sich eine halbmondförmige Narbe entlang, das ihm etwas Draufgängerisches verlieh. Er hatte kurzgeschnittenes, schwarzes Haar und scharfe, bernsteinfarbene Augen, denen wenig entging.
 

Unter seinem Arbeitsoverall, mit dem Logo der Dragon’s Garage auf der Brusttasche, zeichneten sich beeindruckende Muskeln ab und der Stoff spannte über seinen breiten Schultern. In seinen riesigen Pranken hielt er einen Löffel und eine halbierte Kiwi, die wohl einen Snack für Zwischendurch darstellen sollte.
 

Pantherlily war nur ein paar Jahre älter als Natsu und studierte halbtags an der Magnolia Universität irgendwas Soziales. Während der anderen Hälfte seiner Zeit arbeitete er für Igneel, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen – er hatte niemanden, der ihn unterstützte, und die staatliche Finanzspritze reichte hinten und vorne nicht.
 

„Hey.“, grüßte Natsu nach einem viel zu langen Moment und starrte betrübt auf die Sauerei, die er angerichtet hatte. Lily hatte natürlich recht – sein Vater würde ihm das Fell über die Ohren ziehen, wenn er diesen Saustall sehen würde. Igneel achtete zumindest in seiner geheiligten Werkstatt darauf, dass alles zumindest halbwegs sauber war.
 

Mit einem schweren Seufzen stellte er den Eimer wieder aufrecht hin, ehe er sich nach Kehrschaufel und Besen umsah. Pantherlily stand schweigend daneben und löffelte seine Kiwi aus. Allerdings war es eine Art wartendes, geduldiges Schweigen, nicht, als wäre er nur noch aus Schaulustigkeit oder Gehässigkeit hier.
 

„Willst du reden?“, fragte er dann ins Blaue hinein und Natsu dachte an den Grund für seine miese Laune, die schon seit Tagen anhielt – außergewöhnlich für ihn, das musste er selbst zugeben.
 

„Nein.“, antwortete er trotzdem und fügte hinzu: „Ich hab mich mit Lucy gestritten.“ Lily sagte nichts, also führte Natsu weiter aus: „Ziemlich heftig, so schlimm war es noch nie.“
 

Absolut nicht. Meistens war es Lucy selbst, die ein paar Stunden nach einem Streit zu ihm kam, um allen Ärger wieder mit einem vernünftigen Gespräch aus der Welt zu schaffen und Natsu hatte nie ein Problem damit, sich darauf einzulassen. Er war jedes Mal selbst froh, wenn sie den Zwist aus der Welt schaffen konnten.
 

Aber diesmal war es anders und Lucy war so bockig und halsstarrig, dass er seinen Kopf aus lauter Frust gegen die Wand knallen wollte. Stattdessen schlurfte er los um Kehrschaufel und Besen zu holen. Als er zurückkam, hatte Lily den Schraubenzieher auf der Motorhaube abgelegt und hockte seine Kiwi löffelnd auf dem umgedrehten Eimer.
 

„Komm, setzt dich. Das ist ja nicht mit anzusehen.“, forderte er den Jugendlichen auf und deutete auf die geschlossene Werkzeugkiste, neben die er seinen improvisierten Hocker gestellt hatte.
 

Natsu verzog das Gesicht; er wusste, was das zu bedeuten hatte. Trotzdem kam er der Aufforderung nach und ließ sich neben dem Älteren auf die Kiste fallen. Dann musste er zumindest noch nicht kehren; das hasste er.
 

„Worum geht’s?“, hakte Lily dann nach, sein Tonfall neutral, damit Natsu die Wahl hatte, ob er antworten wollte. „Vielleicht kann ich dir helfen.“
 

„Das bezweifle ich.“, murmelte der Schüler und fuhr sich frustriert durch die Haare. Selbst Lily würde sich an Lucy in ihrer jetzigen Haltung die Zähne ausbeißen. „Es ist nur… Wir… Lucy…“, druckste er herum, ehe er völlig verstummte.
 

Von dem Baby wollte er Lily eigentlich nichts erzählen. Bis jetzt wussten tatsächlich nur Gray und Erza Bescheid und vielleicht Loke, je nachdem, wie viel Lucy ihm erzählt hatte. Nicht einmal sein Vater hatte eine Ahnung! Er mochte Lily, würde ihn sogar als Freund bezeichnen, aber so nah standen sie sich dann doch wieder nicht.
 

„Du kannst auch um das drumrum reden, was du für dich behalten willst.“, half der Student ihm aus und Natsu kratzte sich an der Stirn.
 

Dann zuckte er mit den Schultern und begann: „Ich war vor ein paar Tagen mal in der Villa, um ihr … Naja, halt so. Es war mitten in der Nacht und es war so gemütlich, also hat sie erlaubt, dass ich bleibe. Am nächsten Morgen hat ihr Vater uns erwischt und er ist komplett aus der Haut gefahren. Er hat mich sogar geohrfeigt.“
 

Natsu runzelte die Stirn bei der Erinnerung daran und rieb sich unwillkürlich die Wange. Tatsächlich war der Schock über die Tat das Schlimmste daran gewesen, der Schmerz war rasch wieder verklungen. Während diverser Kampftrainings und -turniere hatte er schon weit härtere Schläge eingesteckt und hin und wieder sogar gegen den Kopf.
 

Aber dass Jude ihn überhaupt geschlagen hatte…
 

Lucy war nicht er. Er wusste, dass sie zäh war und auch einstecken konnte, wenn es sein musste. Sie würde alles aushalten, was das Leben ihr entgegenschleuderte, davon war Natsu überzeugt. Es war einfach ihre Art, auf den ersten Blick so liebenswürdig und herzlich, aber darunter lag etwas Unerbittliches, hart wie Stahl, das man ihr gar nicht zutraute.
 

Aber Natsu wollte eigentlich gar nicht, dass es sein musste. Er wollte sie beschützen und vor allem Übel bewahren. Zwar hatte sie ihm deutlich erklärt, dass Jude sie nicht anrühren würde, aber schlussendlich war ihr Urteilsvermögen getrübt. Sie hatte öfter Tomaten auf den Augen, wenn es um ihren Vater ging, als es Natsu lieb war.
 

Was, wenn sie sich irrte?
 

Und warum nahm sie eigentlich nur Jude in Schutz und nie ihn? Das war auch so ein Ding, dass er ihr im Moment übelnahm. Immer hieß es, dass sie aufpassen mussten, damit Jude sie nicht sah, dass Jude das nie erlauben würde, dass Jude etwas dagegen hätte, dass Jude nicht es nur gut meinte, dass Jude… Die Liste war endlos und sie fand immer einen Weg, ihn zu beschützen. Aber wenn er und Natsu sich doch einmal trafen und die Fetzen flogen, war sie verdächtig still.
 

Und Natsu war nicht dumm, er bemerkte sehr wohl, wenn er beleidigt wurde, auch wenn Jude so tat, als wären seine Worte zu groß für den dummen, geistlosen Bengel aus der Arbeiterschicht. Was wiederum eine weitere Beleidigung war. Natsu war schon klar, dass er kein Genie war, niemals Doktor oder sowas werden würde und sich in der Schule mehr anstrengen könnte, aber deswegen war er noch lange kein Trottel!
 

Aber das Schlimmste war immer, dass Lucy stets stumm danebenstand und ihn nicht in Schutz nahm. Wäre es umgekehrt, wüsste Natsu schon, was für Worte er für die Person übrighätte, die Lucy so angriff, Vater hin oder her!
 

Er öffnete den Mund, um Pantherlily im Brustton der Überzeugung zu erklären, was für ein Arsch Jude war, der seine Tochter nicht verdient hatte, als alles andere auch aus ihm herausplatzte. Es war wie ein Damm, der geöffnet worden war und den er jetzt nicht mehr schließen konnte.
 

Aber es tat gut, sich alles von der Seele zu reden. Zudem es auch noch Pantherlily war, der ihm ein offenes Ohr schenkte. Er hatte eine Art an sich, die einfach Vertrauen, Gelassenheit und Souveränität ausstrahlte und das Gefühl vermittelte, dass man schon irgendwie alles hinkriegen würde, und besaß eine konzentrierte Aufmerksamkeit, die ihn einfach nur zuhören ließ, ohne Fragen, ohne Urteil, bis ans Ende der Geschichte.
 

Igneel gegenüber hätte Natsu sich nicht so geöffnet, nicht mit der Gefahr, dass ihm das andere Geheimnis auch entschlüpfte, und Gray und Erza waren auch Lucys Freunde. Er wollte sie nicht damit hineinziehen und sie damit zwingen, eine Seite zu wählen. Das wäre nicht fair.
 

„Das klingt ganz schön kompliziert.“, bemerkte Lily, als Natsu geendet hatte, und verschränkte die Arme vor der Brust, den Kopf nachdenklich schief gelegt. Die Reste der Kiwi und der Löffel lagen inzwischen neben ihm auf dem Boden. Ansonsten sagte er jedoch nichts weiter. Natsu ließ enttäuscht die Schultern sinken. Er hatte gehofft, Lily hätte einen Rat für ihn.
 

„Schon klar.“, gab er zu. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Auf der einen Seite vermisse ich sie jetzt schon und es sind nur ein paar Tage vergangen. Auf der anderen Seite habe ich keine Lust, sie zu sehen. Außerdem bin ich immer noch sauer auf sie.“ Missmutig stützte er das Kinn auf seine Hände, die Ellbogen auf den überkreuzten Beinen abgestellt.
 

Lily antwortete nicht, sondern runzelte nachdenklich die Stirn und Natsu verzog das Gesicht, ehe er ebenfalls in brütendes Schweigen verfiel. Er wusste einfach nicht, wie er das wieder geraderücken sollte und Geduld war noch nie seine Stärke gewesen.
 

„Weißt du, du und Lucy seid euch in dieser Hinsicht erstaunlich ähnlich.“, erklärte Lily unvermittelt.
 

Überrascht blickte Natsu auf. „Häh?“ Von was redete er?
 

„Euer Vater ist alles, was euch jeweils noch von eurer Familie geblieben ist, und darum klammert ihr euch mit aller Macht an ihn. Nur sind Igneel und Jude sehr unterschiedliche Menschen mit sehr verschiedenen Weltbildern, Erziehungsmethoden und Wünschen.“
 

„Oh.“, machte Natsu betroffen. Wenn man es so betrachtete… Er verstand durchaus, wie es war, wenn nur noch so wenig übrig war, wenn man so viel schon verloren hatte… Vielleicht war das der Grund, warum das Baby ihm jetzt schon so wichtig war. Ein weiterer Teil seiner Familie, ein Puzzlestück in seinem Leben, das einfach hineinpasste, etwas von ihm und Lucy, das sie für immer verbinden würde.
 

Er dachte an seine Mutter und ihre seidigen, himmelblauen Haare und ihr strahlendes, aber so seltenes Lächeln und der Schatten in ihren dunklen Augen. Er dachte an ihre eiskalte Hand an jenem Tag, als er sie in ihrem Bett gefunden hatte und sie aufwecken wollte. Nur hatte sie nie wieder die Augen geöffnet.
 

Wenn er auch noch seinen Vater verlieren würde, würde seine Welt zusammenbrechen. Klar, sein Onkel war auch noch da, aber das war etwas völlig anderes und außerdem trieb er sich sowieso immer mit Ärzte ohne Grenzen im Ausland herum.
 

Wie mochte es für Lucy sein? Sie hatte ihre Mutter auf eine andere, aber nicht weniger grausame Weise verloren und nun war auch für sie nur noch ihr Vater da. Ihre Eltern waren selbst bereits Waisen gewesen, als sie sich getroffen hatten, ohne Geschwister oder erweiterte Familie.
 

Natsu hatte Layla Heartphilia nie gekannt, aber nach allem, was Lucy erzählte, musste sie eine wunderbare, liebenswerte, lebensfreudige Person gewesen sein, die viel zu früh gestorben war. Manchmal fragte er sich, was wohl geworden wäre, wenn sie nicht dieser Krankheit erlegen wäre. Wäre Jude umgänglicher? Hätte sie Natsu akzeptiert und ihren sturen Bock von einem Mann ebenfalls überzeugen können? Oder hätte Natsu Lucy überhaupt niemals kennen gelernt, weil sie nie auf seine Schule gekommen wäre?
 

„Aber ich verstehe deinen Ärger durchaus und auch wenn ich glaube, dass noch mehr hinter eurem Streit steht, scheint der Frust mit Jude schon eine Weile da zu sein und ein ziemlicher Kernpunkt eures Problems.“, riss Pantherlilys Stimme ihn aus den Gedanken.
 

„Das kannst du laut sagen!“, knurrte Natsu. Im Grunde seit dem Tag, an dem er den strengen Firmenchef zum ersten Mal getroffen hatte. Diese Begegnung war … nicht so gut verlaufen.
 

„Aber du bist auch noch sauer auf sie?“
 

„Und wie.“ Erneut verzog Natsu das Gesicht und knirschte mit den Zähnen. Manchmal konnte er sich nicht einmal vorstellen, auf Lucy wütend zu sein. Momentan wusste er nicht, wie er damit aufhören konnte, auch wenn es wollte. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich vermisse sie.“
 

„Wenn man jemanden liebt, dann ist es schwer, von ihm getrennt zu sein.“, antwortete Lily weise. „Aber ich würde dir trotzdem vorschlagen, nicht mit ihr zu sprechen, bevor du dich nicht etwas beruhigt hast. Ansonsten könnte das den Streit zwischen euch vertiefen.“
 

„Außerdem ist sie eh abgehauen!“ Erza hatte es ihm vorhin gesagt, als sie Lucy nicht in der Villa vorgefunden hatte. Anscheinend hatte sie sich einfach nach Crocus verzogen. Mit ihrem Vater!
 

Was wurde jetzt aus allen ihren schönen Plänen? Hargeon, die Ausflüge an den See, die gemeinsamen Touren und diverse andere Veranstaltungen, auf die er sich schon gefreut hatte? Und dann hatte Gray ihm auch noch eröffnet, dass er demnächst für ein paar Wochen auf so ein beschissenes Sommercamp ging!
 

Das waren die miesesten Sommerferien, die er je gehabt hatte! Heftigster Streit mit der Freundin, sein bester Freund ließ ihn sitzen, alle tollen Pläne fielen ins Wasser und am Horizont tauchte das letzte Schuljahr auf, an dessen Ende die Prüfungen drohten.
 

„Dann hast du ja Zeit, dir darüber klar zu werden, wie du die Themen mit ihr ansprichst – und welche überhaupt.“, sah Lily die Sache von der praktischen Seite, aber das hob Natsus Stimmung natürlich nicht besonders. Tolle Aussichten!
 

„Wenn du einen Tipp willst, dann schreib dir alles auf, denn eines ist ganz wichtig.“ Eindringlich sah der Student auf ihn herunter, wie um zu sehen, ob Natsu ihm auch tatsächlich zuhörte und alle Worte auch verstand. „Du musst mit Lucy reden und dich mit ihr aussprechen. Ansonsten wird das immer zwischen euch stehen und sowas macht die beste Beziehung kaputt.“
 

Natsu schluckte und dachte an seine Lucy, ihre freundlichen braunen Augen, ihr liebenswürdiges Lächeln, ihre einnehmende, fröhliche Art, ihr goldenes Herz, in dem sie für so viele Leute Platz fand und insbesondere auch für ihn. Und wenn er eines wusste dann, dass er sie auf keinen Fall verlieren wollte.
 

„Na schön.“, sagte er und irgendwie rollte ihm doch gerade ein Stein vom Herzen. Das war zumindest eine Richtung, etwas, dass er tun konnte, anstatt nur hier herumzusitzen und Trübsal zu blasen, auch wenn er noch nicht genau wusste, wie er das Ganze angehen sollte. Aber er würde schon einen Weg finden, das tat er immer.
 

Trotzdem fügte er bockig hinzu: „Aber sie muss sich zuerst entschuldigen.“ Das würde ganz sicher nicht er sein! Nicht nach allem, was vorgefallen war!
 

Pantherlily grinste, sammelte die Kiwischalen und den Löffel ein und klopfte ihm auf die Schulter, ehe er sich hochstemmte. „Ihr kriegt das schon gebacken. Vertraut euch einfach gegenseitig und redet miteinander.“

10. Kapitel, in dem Lucy der Wahrheit ins Auge sehen muss

Natsu lässt übermitteln, dass Igneel anfragt, was du dir zum Geburtstag wünschst, las Grays Nachricht und dahinter waren ein paar Geschenk- und Blumenemojis.
 

Lucy runzelte die Stirn und verzog übellaunig den Mund. Der war ja auch schon in ein paar Wochen! Sie hatte das Ereignis völlig verdrängt und sich entsprechend wenig Gedanken darüber gemacht. Im Moment hatte sie ganz andere Dinge im Kopf! Andere Leute mochten für ihren Geburtstag aufgeregt sein, vor allem wegen dem achtzehnten, der jetzt bei Lucy anstand, doch bei ihr kam nicht so recht Freude auf.
 

Sag ihm, er soll kreativ werden und sich selbst Gedanken machen., antwortete sie missgelaunt und folgte Erza abgelenkt durch die langen Flure des Kunstmuseums, bis sie zum nächsten Ausstellungsraum kamen. Dann schob sie ihr Handy in die Tasche zurück und reagierte auch nicht, als es erneut klingelte und zeigte, dass sie eine Antwort bekommen hatte. Sie hatte jetzt echt keine Lust, sich damit auseinanderzusetzen.
 

Die Rothaarige vor ihr drängte sich währenddessen energisch durch ein paar Leute hindurch, so dass sie sich das nächste Bild ansehen konnten, und Lucy folgte in ihrem Fahrwasser. Manchmal war es ganz praktisch, so eine nachdrückliche, autoritäre Freundin zu haben, der die Menschen automatisch aus dem Weg gingen.
 

„So…“, begann Erza und ließ den Blick beinahe andächtig über das gigantische, wunderschöne und sehr detailreiche Gemälde wandern, vor dem sie inzwischen standen. „Hast du inzwischen mit Natsu geredet?“
 

Das Bild zeigte eine von einem Sonnenstrahl angeleuchtete Heldin, eine gerüstete Kriegerin inmitten eines Sturms von Schwertern, den sie selbst gegen die am Bildrand angedeuteten Feinde führte. Durch ihre roten Haare, die entschlossene, nach vorne strebende Haltung und den kämpferisch-leidenschaftlichen Blick erinnerte sie Lucy an Erza, die gerade stirnrunzelnd den Kopf neigte, als versuche sie zu erforschen, was ihr so bekannt vorkam an diesem Bild. Natürlich bemerkte sie nicht, dass sie selbst dafür Modell hätte stehen können. Der Paladin stand als Titel auf der kleinen Plakette daneben, erneut ein äußerst treffender Begriff für Erza selbst.
 

„Hey, das könntest d…“, begann sie, um von der Frage abzulenken, aber Erza ließ das nicht gelten.
 

Sie warf Lucy einen strengen Blick zu, die darunter zusammenschrumpfte. „Das geht jetzt schon über eine Woche so!“, fauchte sie etwas zu laut. „Natsu ist unerträglich und du bist auch ungl-“
 

„Pssscht!“, fauchte eine andere Museumsbesucherin sie an, die ebenfalls den Paladin ansah, gemeinsam mit einer Traube weiterer Menschen, die sich jetzt missbilligend umsahen. Erza warf der Frau einen solch vernichtenden Blick zu, dass diese sich schnell hinter zwei älteren Herren versteckte, die so vertieft in das Bild waren, dass sie die Unruhe um sich herum gar nicht bemerkten.
 

Trotzdem sah die Rothaarige ein, dass es keinen Sinn hatte, sich inmitten einer Gruppe Kunstliebhaber zu unterhalten, also packte sie Lucy am Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. Dieser bliebt nichts anderes übrig, als sie mitschleifen zu lassen, aber sie sah ein, dass sie jetzt wohl nicht mehr darum herum kam.
 

Erza marschierte direkt in den Innenhof, der wunderschön und den Museumsbesuchern geöffnet worden war. Hecken und Natursteinmauern unterteilten ihn in kleinere Bereiche, aus Blauregen und Clematis geschaffene Bogengänge zogen sich an den Längsseiten entlang und meisterhaft angerichtete Beete bildeten eine ganz eigene Kunst.
 

Ein paar andere Leute trieben sich bereits hier herum, doch es waren wenig genug, dass sie leicht eine steinerne Bank vor ein paar Rosenhecken in voller Blüte fanden. Der beinahe zu süße Duft hing schwer in der Luft und Lucy nießte, protestierte aber nicht, als Erza sie auf die Bank drückte und sich neben sie auf den Stein fallen ließ. Das hätte ihr nur noch mehr Ärger eingebracht. Stattdessen überkreuzte sie die Arme vor der Brust und drehte den Kopf weg. Sie war hierher gekommen, um sich etwas von ihren Problemen abzulenken und die neue Ausstellung zu sehen, und nicht, um sich noch mehr Stress zu machen! Warum mischte sich jetzt auch noch Erza ein?
 

„Du musst mit ihm reden!“, bestimmte diese und ihr Ton war energisch. „Das kann so nicht weitergehen!“
 

„Und was geht dich das an?!“, schnappte Lucy zurück und fuhr herum, um ihre Freundin anzufunkeln. „Ich habe es satt, dass alle versuchen, sich in meine Angelegenheiten einzumischen! Haltet euch da raus!“
 

Doch Erza wich nicht zurück, sondern zog nur die Augenbrauen zusammen. „Deine Angelegenheiten wirken sich auf alle in deinem Umkreis aus! Vielleicht haben wir es satt, ständig Vermittler für euch zu spielen! Und tu jetzt nicht so, als ob Gray dir nicht gerade eben wieder eine Nachricht von Natsu übermittelt hätte! Außerdem hatten wir Vier so viel geplant für die Ferien und das wird jetzt wohl auch alles ins Wasser fallen, weil ihr so bockig seid! Wenn du und Natsu – aber vor allem du! – euch so verhalten wollt wie kleine Kinder, können wir sicher nicht zusammen nach Hargeon fahren. Nicht, dass dich das stört, du hast dich ja eh schon eine Woche verkrümelt. Wie war Crocus so?“
 

„Schön!“, fauchte Lucy zurück und drehte sich entschieden wieder weg, obwohl das nur die halbe Wahrheit war. Der ganze Urlaub in der Hauptstadt war von ihren Problemen und der Großen Katastrophe überschattet gewesen. Außerdem war sowas sowieso nicht zu vergleichen damit, ein Wochenende gemeinsam mit ihren Freunden irgendwo zu verbringen, sei es nun Hargeon, eine Hütte im Wald oder auch nur ein Besuch im Café. Aber das würde sie jetzt ganz sicher nicht zugeben! Trotzdem begann das schlechte Gewissen an ihr zu nagen. Verdarb sie gerade wirklich allen die letzten Sommerferien ihres Lebens?
 

Für einen Moment blieb es neben ihr still. „Okay.“, sagte Erza dann, ihr Tonfall wesentlich ruhiger als vorhin. „Das freut mich für dich. Aber jetzt bist du wieder hier und du kannst nicht so tun, als hätten deine Probleme sich in Luft aufgelöst. Ich verstehe, dass es im Moment ziemlich stressig für dich ist und…“
 

„Du verstehst es?!“, fuhr Lucy auf und sprang auf die Beine. „Hast du etwa einen Riesenkrach mit deinem Freund? Mischt sich jeder in dein Leben ein? Hast du Angst davor, deinem Vater die Wahrheit zu sagen? Hast du dieses Problem?!“ Bei ihren letzten Worten deutete sie auf ihren Bauch. Ihre geballten Fäuste zitterten und sie wusste nicht, ob sie lieber schreien, sich irgendwo verkriechen oder in Tränen ausbrechen wollte.
 

Erza sah sie einen Moment stumm an, prüfend und taxierend, dann erhob sie sich ebenfalls. Sie legte beide Hände auf Lucys Schultern und schaute ihr mit ernstem Gesichtsausdruck in die Augen. Diese wollte sie wieder abschütteln, doch Erza ließ es nicht zu und zog sie in die Arme. „Es wird alles wieder gut werden.“, tröstete sie und tätschelte Lucys Kopf. Diese wollte sich erst wütend wieder losmachen, doch Erza hielt sie nur fester und es war, als würde aller Ärger aus ihr entweichen. Für den Moment wollte sie einfach nur in die Arme genommen werden, auch wenn sie das nicht verdient hatte. Gemeinsam sanken sie langsam wieder auf die Bank zurück.
 

„Wir sind da für dich. Natsu ist auch da für dich, wenn du ihn nur lassen würdest.“, versicherte Erza ihr mit sanfter Stimme. „Ich weiß, es gab da einige böse Worte zwischen euch, aber sieh das ganze mal von seiner Warte aus. Dein Vater kann ihn nicht leiden und es sieht nicht so aus, als würde Jude jemals seine Meinung über ihn ändern. Ihm wäre es am liebsten, wenn du einfach mit Natsu Schluss machen würdest. Das ging ja noch, als es nur um euch beide ging, aber jetzt ist da noch dieser andere Faktor, den ihr nicht ignorieren könnt und der jeden Tag größer wird. Denk nicht, ich würde das Bäuchlein nicht bemerken, dass du inzwischen mit dir herumschleppst. Und irgendwann wird auch dein Vater davon erfahren, davor kannst du nicht weglaufen. Natsu weiß das auch ganz genau; er macht sich wirklich Sorgen um dich. Und es ist Natsu, über den wir hier sprechen! Er macht sich sonst niemals Sorgen um irgendetwas.“
 

Lucy stieß ein abgehacktes Lachen aus, das von Erzas T-Shirt gedämpft wurde. Wie recht die Rothaarige damit hatte! Aber mit Natsu zu sprechen würde auch bedeuten, sich noch mit einem ganz anderen Thema auseinanderzusetzen und im Moment wünschte sie sich nur, dass alles nie geschehen war.
 

„Und dann dieser Streit zwischen euch. Er wollte mir nicht einmal sagen, worum es ging!“ Erza klang empört. „Sagte nur etwas darüber, dass Jude ein Arsch ist und dich dein Leben leben lassen soll. Und dann hast auch noch du dich mit ihm gestritten. Er kaut wirklich daran.“ Sie seufzte. „Und du offensichtlich auch.“
 

Dann schob sie Lucy wieder von sich, die die Nase hochzog und sich abwandte. Sie würde jetzt sicher nicht schon wieder in Tränen ausbrechen!
 

„Ihr müsst wirklich miteinander reden. Das geht nicht einfach weg, nur weil ihr so tut, als wäre es nicht geschehen.“
 

„Natsu hat sich in meine Angelegenheiten eingemischt.“, brummte Lucy mürrisch, aber sie merkte selbst, wie kleinlaut sie klang und wie dumm diese Ausrede.
 

Erza schlug ihr auf die Schulter, hart genug, dass sie beinahe von der Bank fiel. „Vielleicht, weil es nicht mehr nur deine Angelegenheiten sind. Und wie gesagt, er macht sich Sorgen um dich. Vielleicht solltest du ihn einfach einbeziehen. Das gehört zu einer Beziehung dazu.“ Sie warf einen vielsagenden Blick auf Lucys Bauch. „Das da macht euch zu einer Familie und ich weiß, dass du das auch willst, auch wenn du es selbst noch nicht bemerkt hast. Aber das bedeutet nun mal, dass man Entscheidungen gemeinsam trifft und Angelegenheiten kein Privatbesitz mehr sind. Er will nur helfen. Lass ihn.“
 

Lucy warf ihr noch einen Seitenblick zu und kramte dann ein Taschentuch aus der Handtasche, nur um sich zu beschäftigen. Sie unterdrückte den Drang, eine trotzige Antwort zu geben, nur um bockig zu sein. „Vielleicht hast du Recht.“, gestand sie und schnäuzte sich kurz.
 

Erza schenkte ihr ein überzeugtes Grinsen. „Natürlich habe ich das!“ Damit stand sie auf und zog Lucy auf die Füße. „Und jetzt lass uns den Rest der Ausstellung sehen. Mir gefällt sie wirklich und ich möchte nichts verpassen!“
 

Lucy war dankbar, dass sie das Thema fürs erste fallen ließ und gemeinsam bummelten sie über die Plattenwege zurück zu der Tür, durch die sie hinausgetreten waren. Dort hielt Erza noch einen Moment inne, die Hand schon auf der Klinke. „Denk zumindest darüber nach, was ich gesagt habe, okay?“
 

Lucy nickte. „Versprochen.“ Sie nahm sich fest vor, es auch zu tun.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

„Du siehst aus, als hättest du etwas auf dem Herzen.“, bemerkte Ur und ließ sich auf einen tiefen Gartenstuhl fallen. Er und sein Zwilling standen unter einem Apfelbaum mit weit ausladenden Ästen, dessen Blätter so dicht waren, dass sie den Blick auf den Himmel versperrten. Ganze Büschel von Äpfeln hingen bereits daran, grün und unreif, was sie erneut daran erinnerte, wie schnell die Zeit bereits verging. An Grays Geburtstag – der Tag, an dem sie sich all den Ärger eingebrockt hatte – hatte sie das letzte Mal unter diesem Baum gesessen und er hatte in voller Blüte gestanden.
 

„Ich… ähm…“, begann Lucy und setzte sich auf. Die Stühle waren toll dafür, sich hineinzulümmeln und zurückzulehnen, aber nicht so sehr dafür, wieder aufzustehen oder auch nur, sich aufrecht hinzusetzen. „Ich habe mich mit Natsu gestritten.“, gab sie dann zu. „Und mein Vater will, dass ich Business studiere oder so ein Quark und akzeptiert nicht, dass ich andere Träume habe, und ich habe Angst, was passiert, wenn ich ihm von dem Baby berichte, und ich weiß immer noch nicht, was ich damit tun soll!“ Sie stützte die Arme auf ihre Knie und den Kopf auf ihre Hände.
 

„Klingt nach einer anstrengenden Zeit.“, bemerkte Ur neutral und fügte dann hinzu: „Gray beschwert sich, dass er Bote für Natsu und dich spielen muss, sogar noch mehr als darüber, dass er in dieses Sommercamp muss.“
 

Jetzt klang sie belustigt und Lucy warf ihr einen Seitenblick zu. „Das ist kindisch von uns, oder?“
 

Ur lachte, aber Lucy fuhr fort: „Erza hat mir auch schon den Kopf gewaschen deswegen. Du brauchst mir gar nicht zu erzählen, dass wir uns unmöglich verhalten.“
 

„Hin und wieder darf man kindisch sein.“, beruhigte Ur sie. „Ich hab auch so meine Tage, an denen ich nicht mit Silver sprechen möchte und meinem Mann geht es nicht anders. Manchmal braucht man einfach etwas Abstand.“ Sie lehnte sich zurück in ihren Schult. „Nachdem ich das gesagt habe, muss ich aber noch hinzufügen: man darf es nicht Überhand nehmen lassen.“
 

„Und wir tun das im Moment?“, wollte Lucy wissen, bereits ein halbes Eingeständnis. Ur neigte nur unbestimmt den Kopf und überließ es ihr selbst, das endgültige Urteil zu fällen.
 

Lucy seufzte. Sie hatten ja alle Recht. Sie musste endlich mit Natsu sprechen, aber im Moment fühlte sie sich noch nicht in der Lage dazu. Außerdem erwartete er sicher eine Entschuldigung und sie… Sie seufzte erneut und beschloss, das Thema zu wechseln. Über dieses hatte sie ja bereits mit Erza gesprochen.
 

„Ich muss es Papa bald sagen, sonst bemerkt er noch etwas.“ Sie blickte auf ihren Bauch hinunter, der inzwischen ziemlich deutlich war. Jude mochte es nicht auffallen, andere Leute denken, sie würde einfach zunehmen, aber sie selbst wusste, was dahintersteckte. Und irgendwann würde selbst ihr Vater mit seinem Tunnelblick auf die richtige Idee kommen. „Aber ich habe einfach Angst davor. Was, wenn er es nicht akzeptiert und mich? Wenn er will, dass ich es weggebe?“
 

Neben ihr knarrte der Stuhl und dann spürte sie, wie Ur ihr eine warme, starke Hand tröstend auf die Schulter legte. „Hast du dich also dazu entschieden, es zu behalten?“
 

Lucy seufze und verzog das Gesicht. Sie drehte den Kopf, um die ältere Frau ansehen zu können, die ihren Blick nur fragend erwiderte. „Nein. Ja. Ach, ich weiß immer noch nicht. Aber … ich will, dass es meine Entscheidung ist, verstehst du? Meine und Natsus, nicht die meines Vaters.“
 

„Das kann ich gut verstehen. Aber was hält dich denn ab, eine Entscheidung zu treffen? Außer natürlich, dass du im Moment nicht mit Natsu sprichst?“
 

Lucy senkte die Lider und wandte sich wieder nach vorn. „Was, wenn wir es verhauen? Was, wenn wir noch nicht bereit dafür sind?“ Das waren ihre größten Zweifeln, doch nicht die einzigen…
 

„Niemand ist bereit für das erste Kind, oft genug nicht einmal für das zweite und alle, die darauf folgen. Da spreche ich aus Erfahrung. Mir ging es so, als ich schwanger war und als ich mich darauf vorbereitet habe, Lyon zu mir zu holen, und selbst, als ich bei Silver eingezogen bin und dann plötzlich einen zweiten halbwüchsigen Jungen hatte, um den ich mich kümmern musste. Aber ich glaube, in solchen Fällen setzt das eigene Urteilsvermögen schlichtweg aus. Man muss da auf die Stimmen hören, die einen umgeben.“
 

Lucy konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören, als sie fortfuhr: „Ich kenne dich inzwischen ziemlich gut und ich bin mir hundertprozentig sicher, dass du eine wundervolle Mutter wärst.“ Ur drückte noch einmal ihre Schulter und zog dann die Hand zurück.
 

Lucy rang sich währenddessen ein bitteres Lächeln ab; sie war sich da nicht so sicher. „Letzte Woche…“, begann sie. „Als ich … als ich in Crocus war, konnte ich nur daran denken, wie es wäre, wenn das alles nicht passiert wäre. Oder wenn ich einfach abgetrieben hätte, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Dann hätte es all den Ärger nie gegeben, oder? Und … dass das Baby … nur ein Problem ist, eine Last, mit der ich mich herumschlagen muss…“ Ihre Stimme wurde immer leiser und sie fragte sich, ob Ur sie überhaupt verstanden hatte.
 

Sie hatte dies noch zu niemandem gesagt, ihr persönliches, dunkles Geheimnis, und sie schämte sich für diese Überlegungen. Doch jetzt war der Damm gebrochen, all diese schändlichen, bösen Gedanken über ein Wesen, das sie bedingungslos lieben sollte – all das brach jetzt einfach aus ihr heraus. „Was, wenn ich es nicht lieben kann, wie es das verdient? Oder wenn ich irgendwann zurückblicke und die Entscheidung bedauere, die ich getroffen habe? Wenn ich anfange, einen Groll zu hegen gegen mein eigenes Kind, weil es mir Chancen versperrt hat? Was, wenn ich anfange, es zu hassen? Was, wenn ich irgendwann aufwache und denke, dass es das nicht wert war?“
 

Sie hatte es nicht gewagt, Ur während dieses Redeschwalls anzusehen, und auch jetzt starrte sie stur geradeaus, auf das grüne Gras, das den Boden vor ihrem Stuhl bedeckte. Was würde Ur jetzt von ihr denken? Sie hasste sich ja selbst für diese Überlegungen, aber sie gingen einfach nicht weg.
 

Dann hörte sie, wie Ur sich erhob. Doch ehe Lucys Angst, dass die Frau sie jetzt verabscheute, größer werden konnte, legte sich kurz eine Hand auf ihre Schulter. „Warte einen Moment.“ Damit eilte die Künstlerin davon. Lucy konnte hören, wie sie durch das Gras ging, und kurz darauf klappte die Tür zu ihrem Atelier.
 

Ein paar Momente später ging diese erneut und als Lucy aufblickte, kam Ur zurück. Sie schenkt ihr ein knappes Lächeln und hielt etwas in den Händen, das sie an die Brust gedrückt hielt. Als sie bei ihrer jungen Freundin ankam, zögerte sie einen Moment. „Es ist ein wenig eine andere Situation, aber… Hier.“
 

Es war ein Bilderrahmen, erkannte Lucy, als sie den Gegenstand entgegennahm. Auf dem schon älteren Foto darin war ein Mädchen zu sehen, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Sie war ein wenig dürr und trug ein weißes Sommerkleid. Ein Bein hatte sie in die Höhe gestreckt wie eine Ballerina, die Arme über dem Kopf erhoben, und ihre schwarzen Haare waren über ihren Ohren zu zwei Rattenschwänzchen gebunden. Sie lachte über das ganze, hübsche Antlitz, das Ur wie aus dem Gesicht geschnitten war.
 

Diese hatte sich währenddessen wieder in ihrem Stuhl niedergelassen und das Lächeln, das sie Lucy schenkte, als diese fragend aufblickte, war traurig. „Das ist meine Tochter, Urtear.“, erzählte sie. „Ihr Vater war ein Taugenichts, ein Künstlerkollege, mit dem ich an einem Projekt gearbeitet habe. Wir und ein paar Freunde planten, auf eine Weltreise zu gehen und daraus ein großes Kunstprojekt zu machen. Als ich ihm sagte, dass ich schwanger war, hat er erklärt, dass er für eine solche Verantwortung zu jung sei und sich erst selbst finden müsse. Unsere Freunde stimmten ihm zu und erklärten, dass mir die Welt offen stünde, wenn ich mich jetzt nicht ablenken lassen würde.
 

Na gut, hab ich mir gesagt, ihm den Laufpass gegeben, sie alle aus meinem Leben geschmissen und beschlossen, das Kind alleine groß zu ziehen. Wofür brauchte ich einen solchen Nichtsnutz dazu und irgendwelche Freunde, die nicht verstehen können, dass Träume sich ändern können? Ich war freilich etwas älter als du jetzt und meine Werke brachten mir bereits gutes Geld ein und meine Aussichten waren noch besser.“
 

Lucy nickte, doch das klang für sie, als hätte Ur alles unter Kontrolle gehabt. Nicht vergleichbar mit ihrer eigenen Situation, auch wenn sie die Frau etwas beneidete. Es musste schön sein, alles so klar vor sich zu sehen und kein bisschen für die Meinungen anderer zu geben. Aber was hatte das mit ihr zu tun?
 

„Die nächsten Jahre gehören zu den glücklichsten in meinem Leben. Ganz egal, was danach geschah, ich möchte sie nicht missen und bereue keine einzige Sekunde. Ich könnte dir tagelang von meiner Urtear erzählen, was sie mag, ihre Marotten, die kleinen Dinge, die ich an ihr liebe… Sie wollte Ballerina werden und hat niemals gelbe Gummibärchen gegessen und liebte Rührei. Sie ist meine kleine Hexe.“
 

Wieder nickte Lucy, auch wenn sie noch immer nicht verstand. Aber Ur hatte offensichtlich ein Ziel und sie konnte noch ein paar Augenblicke warten. Die Frau sah sie dabei nicht an, starrte gerade aus, als müsste sie sich auf einen einzelnen Punkt konzentrieren, um über etwas zu sprechen, das sie offensichtlich viel Kraft kostete.
 

„Urtear hatte eine Freundin, die ganz bei uns in der Nähe lebte, nur die Straße runter. Das waren vielleicht vierhundert Meter in einer Wohnsiedlung, in der jeder jeden kannte. An einem Tag Ende September, kurz nachdem dieses Foto geschossen wurde, ging sie ihre Freundin besuchen. Ich habe sie allein gehen lassen, warum auch nicht? Es war ja nur ein Katzensprung, an einem Sonntag gab es nicht mal richtig Verkehr und sie war ja schon acht.“
 

Ur atmete tief ein und ihre Stimme zitterte, als sie weitersprach. „Ich habe sie seitdem nie wieder gesehen. Es ist, als hätte sie sich einfach in Luft aufgelöst und sie kam nie bei ihrer Freundin an. Vierhundert Meter und irgendwo dazwischen ist sie einfach verschwunden, ohne Spur, ohne Hinweise, ohne, dass jemand irgendetwas bemerkt hat. Die Polizei hat irgendwann aufgehört, nach ihr zu suchen.“
 

Entsetzt starrte Lucy das Bild an, das sie noch immer in den Händen hielt – das lachende Gesicht des Mädchens, ihre elegante Haltung, ihre blitzenden dunklen Augen. Ur ließ die Finger darüber gleiten und Lucy reichte ihr das Bild hinüber. Sie griff danach wie nach einem Rettungsanker, doch sie weinte nicht. Vielleicht hatte sie alle Tränen schon vergossen.
 

Das musste der schlimmste Albtraum von Eltern sein, schlimmer noch als der endgültige Verlust – die Ungewissheit, die Frage, ob man das Kind schon verloren hatte oder ob es noch immer da draußen war, ängstlich, vielleicht gequält oder misshandelt. Lucy wollte sich das gar nicht vorstellen und ihre Hand legte sich automatisch beschützend auf ihren Bauch.
 

„Sie lebt noch.“, erklärte Ur voller Überzeugung. „Etwas anderes darf ich nicht glauben. Sie ist noch irgendwo da draußen und… ich weiß nicht, aber ich wünschte, ich könnte sie beschützen, ihr helfen… Irgendwann werde ich sie wiedersehen, das glaube ich ganz fest. Irgendwann…“
 

Sie räusperte sich. „Aber was ich dir eigentlich damit sagen wollte – ich bereue keine einzige Sekunde, die ich mit ihr verbringen durfte. Jede einzelne war ein Geschenk, an dem ich bis heute festhalte. Auch wenn es mir eine Menge Schmerz erspart hätte, wenn ich damals auf meine Freunde gehört und sie niemals geboren hätte. Aber das kann und will ich mir nicht einmal vorstellen, weil es einen solchen unbezahlbaren Schatz aus meinem Leben entfernen würde. Und auch wenn ich jetzt zwei wundervolle Söhne habe, Urtear ist nicht ersetzbar. Niemals.“ Mit einem weiteren, traurigen, aber gleichzeitig hoffnungsvollen Lächeln fuhr Ur über das Gesicht auf dem Foto.
 

Dann blickte sie wieder auf. „Es wird nicht immer einfach werden. Es gibt immer Streit und Stress und Hürden, die es zu überwinden gilt, aber so ist nun mal das Leben. Die schönen Zeiten werden alles wieder aufwiegen“, erklärte sie. „Darum verspreche ich dir, es wird es immer wert sein!“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Zwei Tage nach ihrem Gespräch mit Ur, das ihr noch mehr zu denken gegeben hatte als das mit Erza, stand plötzlich Gray bei ihr auf der Matte und verlangte Hilfe beim Mathestoff. Sie hätte ihm die Ausrede, sich auf das nächste Jahr vorbereiten zu wollen, damit er die Prüfung nicht in den Sand setzte, abgenommen, hätte sie nicht ganz genau gewusst, dass er in dem Fach besser war als sie. Hätte er nicht wenigstens mit einem Thema kommen können, in dem er tatsächlich Schwierigkeiten hatte? So eine unverhohlene Lüge war ihr beinahe peinlich.
 

Doch er hatte sogar seine Unterlagen mitgebracht und zog ein Buch aus seinem Rucksack hervor, noch während sie ihn die Treppe zu ihren Zimmern hochführte. Ein Hausmädchen folgte ihnen bis in Lucys Wohnzimmertisch, wo es fragte, ob es ihnen etwas bringen sollte. Lucy schickte sie verwirrt weg und ließ sich Gray gegenüber in den Sessel fallen.
 

„Was willst du?“, wollte sie misstrauisch wissen.
 

Er warf einen Blick zur Tür hinüber, die die Angestellte gerade hinter sich zuzog. Dann ließ er die Scharade fallen, warf Buch und Rucksack neben den Sessel und erklärte: „Du musst dich mit Natsu versöhnen.“ Seine Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Und mit deinem Vater sprechen.“
 

Trotzdem sprang sie wütend auf. Dass Natsu sich einmischte war eine Sache, aber Gray ging das überhaupt nichts an! „Wenn du nur deswegen hier bist, kannst du gleich wieder verschwinden!“ Sie deutete so heftig auf die Tür, dass ihr Ellbogen knackte.
 

Gray bewegte sich nicht vom Fleck. „Er ist unerträglich und unglücklich und du bist es offensichtlich auch. Ich weiß, dass Erza mit dir gesprochen hat, aber das hat offensichtlich nicht gewirkt, darum dachte ich, ich versuch es mal.“ Er hob dabei nicht einmal die Stimme an, offensichtlich hatte er sich ganz genau festgelegt, was er sagen wollte.
 

„Warum denkst du, du könntest mehr ausrichten?!“ Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Außerdem geht dich das überhaupt nichts an! Und mein Vater hat dich schon gleich gar nicht zu interessieren!“
 

„Setz dich hin!“, fauchte er so plötzlich, dass sie verdutzt dem Befehl nachkam. „Erza und ich haben euch lange genug Zeit gelassen, aber da offensichtlich keiner von euch bereit ist, den ersten Schritt zu tun, muss es jemand anderes machen. Darum bin ich hier. Ich hab übrigens auch mit Natsu gesprochen, aber er ist so verbohrt wie du und will dir deinen Platz lassen, was auch immer das bedeuten soll.“
 

Sie zog einen Flunsch und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

„Er hat mir bei der Gelegenheit erzählt, was passiert ist.“
 

„Ach ja?“, antwortete sie schnippisch. „Dann weißt du ja, was er über meinen Vater gesagt hat und wie unverschämt er sich vorher verhalten hat. Oder hat er das etwa ausgelassen?“
 

Gray ließ sich nicht von ihrem schlechten Benehmen beeindrucken. „Ich kenne Natsu, ich kenne dich und ich kenne auch deinen Vater gut genug, darum kann ich mir in etwa zusammenreimen, was wirklich geschehen ist. Viel kann es übrigens nicht, dass er weggelassen hat. Und auch wenn ich eigentlich in euren Streits keine Partei ergreifen will, muss ich sagen, dass ich denke, dass er recht hat.“
 

Lucy starrte ihn einen Moment überrascht an, dann wandte sie den Kopf zur Seite und stieß etwas aus, das nach „Hmpf.“ klang. Weder er noch Natsu kannten ihren Vater wirklich und auch nicht das, was sie und Jude gemeinsam durchgemacht hatten. Wie konnten sie es sich erlauben, ein Urteil über ihn zu fällen?
 

Gray ließ sich nicht dazu herab, darauf einzugehen. „Über Natsu will ich jetzt nicht mit dir reden, das hat Erza schon getan und du bist klug genug, um dir zumindest Gedanken darüber zu machen. Aber das wirkliche Problem hier ist nicht Natsu, oder? Es ist dein Vater.“
 

Lucy funkelte ihn wütend an. Wie konnte er es wagen, so etwas zu sagen?! Jude liebte sie! Sie mochten ihre Meinungsverschiedenheiten haben, aber war das nicht in jeder Familie so? Was würde Gray tun, wenn sie sich in einen Streit zwischen ihm und seinem Vater einmischen würde?!
 

„Schau mich nicht so an.“ Gray erwiderte ihren Blick fest und geradezu gelassen, was sie nur noch mehr aufregte. „Und tu nicht so, als hätte ich nicht Recht. Wenn du offen mit Jude reden könntest, wie das in einer normalen Familie der Fall wäre, dann gäbe es dieses große Problem nicht, das wie ein Elefant hier im Raum steht.
 

Normale Väter akzeptieren übrigens auch wenn sich ihre Tochter verliebt, solange der Kerl nicht gerade ein absoluter Klogriff war – und Natsu ist das trotz aller Schwächen ganz sicher nicht! Stattdessen lässt du dich von deinem Vater herumschubsen, als hättest du keine eigene Meinung, und hast sogar Angst davor, ihm die Wahrheit zu sagen.“
 

„Ich habe keine Angst vor meinem Vater.“, widersprach sie mit zusammengebissenen Zähnen. Doch gleichzeitig meldete sich eine kleine, zweifelnde Stimme in ihrem Hinterkopf – wenn das die Wahrheit war, warum wusste Jude dann nicht, dass er bald Großvater wurde?
 

Gray schenkte ihr nur ein mitleidiges Lächeln. Manchmal konnte er echt grausam sein, wenn er dachte, dass dies seinen Standpunkt klarmachen würde. „Ach ja? Glaubst du das etwa immer noch selbst?“
 

Lucy zog die Schultern hoch, weigerte sich aber, einen Schritt zurückzuweichen und zuzugeben, dass er vielleicht recht haben konnte. Was ging ihn das an? Und warum hörte sie sich das immer noch an?
 

Gray legte den Kopf schief und zuckte mit dann mit den Schultern, als sie nicht antwortete. „Lucy, ich bewundere dich. Du bist eine willensstarke, junge Frau, die genau weiß, was sie von ihrem Leben will und auch bereit ist, dafür zu arbeiten. Ich gebe zu, am Anfang hielt ich dich für eine verwöhnte Tusse, die sich von ihrem Herrn Papa verhätscheln lässt und erwartet, dass die Welt ihr alles auf dem Silbertablett reicht. Das stimmt nicht, das habe ich schnell gesehen. Aber genau darum verstehe ich dich manchmal einfach nicht. Warum lässt du das mit dir machen? Warum lässt du dir so viele wichtige Dinge vorschreiben? Warum bist du so anders, wenn es um deinen Vater geht?“
 

Er verstummte einen Moment, doch sie hatte ihm noch immer nichts zu sagen. Sie wünschte nur, er würde endlich still sein und gehen und sie in Ruhe darüber nachdenken lassen, was er ihr da gerade auftischte. Doch er tat ihr nicht den Gefallen.
 

„Du verletzt Natsu damit, weißt du. Er würde das niemals zugeben und tut immer so, als wäre alles in Ordnung. Aber ich kenne ihn gut, besser als du oder Erza oder irgendwer sonst außer Igneel. Ich kann das sehen. Natsu ist kein unverletzbarer Superman ohne Gefühle, verstehst du. Und dass du dich auf der einen Seite so abkanzeln lässt und auf der anderen Seite zulässt, dass dein Vater ihn so behandelt wie ein Mensch zweiter Klasse… Das tut ihm weh. Ersteres sogar noch weit mehr als alles, was Jude ihm je antun könnte. So ein Mensch ist er und manchmal hab ich meine Zweifel, dass du ihn überhaupt verdienst.“
 

Sie blinzelte die Tränen weg, die ihr auf einmal in die Augen schossen. So dachte Gray also über sie? Und warum hatte sie plötzlich das Gefühl, dass er Recht hatte mit dieser Meinung? „Ich denke nicht so über Natsu! Ich liebe ihn!“
 

Gray hob die Hände. „Daran zweifele ich nicht, aber denk mal einen Moment darüber nach, was dein Verhalten ihm sagt. Du lässt es einfach zu, dass Jude über ihn herzieht und selbst, wenn du ihm nicht direkt zustimmst – Schweigen ist Zustimmung genug.“
 

Lucy senkte den Kopf und konnte sich nicht einmal eine Antwort abringen. Sie fühlte sich elend.
 

„Hey.“ Grays Stimme klang plötzlich viel sanfter und er kam um den Tisch herum, um ihr die Hände auf die Schultern zu legen. „Du bist meine Freundin und ich denke keinen Augenblick, dass du Natsu schaden willst oder ein schlechter Mensch bist. Nur, dass du manchmal nicht nachdenkst und dass dein Vater dein großer blinder Fleck ist.
 

Wir machen uns alle Sorgen um dich, vor allem Natsu. Dass irgendwann einmal der Punkt kommt, an dem dein Vater etwas von dir will, mit dem du nicht leben kannst, aber du ihn trotzdem gewähren lässt, bis es zu spät ist. Bis er dich zu etwas zwingt, das du überhaupt nicht willst und mit dem du bis zum Ende deines Lebens unglücklich sein wirst.
 

Natsu will keinen Keil zwischen dich und deinen Vater treiben. Er will nur, dass du bemerkst, in was für einer ungesunden Beziehung ihr zueinander steht, weil du es von allein anscheinend nicht begreifst. Das ist nicht normal. Das ist… Das ist alles falsch und … und giftig für dich.“
 

Lucy starrte auf den Boden und atmete tief ein und aus, um sich selbst unter Kontrolle zu halten und nicht einfach in Tränen auszubrechen. Das konnte … wollte sie jetzt nicht, nicht hier, nicht vor Gray, nicht unter seinen Worten.
 

Aber hatte er Recht? Stand es wirklich so um sie? Sah die Beziehung zwischen ihr und ihrem Vater für Außenstehende tatsächlich so … so … so giftig aus? Ungesund und dysfunktional, wie Gray es sagte? War ihr Vater tatsächlich ein so … schlechter Mensch, dass er das mit ihr tat?
 

„Ich bin kein Experte oder so, aber ich hab ein wenig nachgelesen und das, was Jude mit dir macht, würde ich als emotionalen Missbrauch bezeichnen. Ich glaube nicht, dass es ihm selbst bewusst ist, dass er dich auf diese Art behandelt und was er mit dir tut. Aber er manipuliert dich, wie es ihm gerade passt, verlangt, dass du ohne Widerspruch seinen Anweisungen folgst, setzt dich herab, übergeht deine Wünsche und hätte am liebsten, dass du allen Kontakt zu deinen Freunden abbrichst.
 

Dass du das ohne Widersprüche mit dir tun lässt, obwohl du bei jedem anderen längst explodiert wärst, sagt mehr als alles andere. Das passt überhaupt nicht zu dir. Lucy, ich weiß nicht… ich weiß nicht, ob du das mit deinem Vater ohne professionelle Hilfe reparieren kannst, aber du musst endlich etwas tun. Bitte? Um Natsus Willen und um des Kindes willen? Bitte?
 

Endlich blickte sie auf und sie konnte die echte Sorge in seinem Blick lesen, um sie, um Natsu, vielleicht sogar um dieses Kind, das sie trug. Das Kind, von dem sie fürchtete, dass Jude es nicht akzeptieren würde. Wegen dem sie Angst hatte, ihrem Vater die Wahrheit zu sagen. „Denkst du wirklich?“, fragte sie und dachte gleichzeitig, dass Erza, Gray und auch Natsu niemals so lange gezögert hätten. Igneel wusste es nur noch nicht, weil sie selbst sich nicht dazu durchringen konnte.
 

Gray seufzte. „Ja. Ich bin nicht einfach so aus einer Laune heraus hierher gekommen, um dir das aufzutischen und dir weh zu tun. Vielleicht wäre das unter anderen Umständen gut gegangen, bis du ausgezogen wärst. Vielleicht nicht. Das interessiert auch nicht mehr, weil dir etwas anderes dazwischen gekommen ist.
 

Aber glaubst du wirklich immer noch, er lässt dich ohne weiteres Literatur oder Journalismus studieren und nicht das, was auch immer er will? Dass er dich deine Träume leben lässt und dich unterstützt, wie normale Eltern das tun? Mach dir doch nichts vor.“
 

Sie schniefte. Auch wenn sie das nicht einmal vor Ur ausgesprochen hatte, so wusste sie doch, dass Grays Einschätzung nicht falsch war. Dass Jude niemals daran gedacht hatte, dieses Versprechen, das er ihr im Zoo gegeben hatte, zu halten und über ihre Worte nachzudenken. Für ihn war das alles nur eine Nebensächlichkeit, die er wegwischen konnte, um sich ein weiteres Mal über ihre Wünsche hinwegzusetzen.
 

„Aber jetzt hast du noch eine andere Verantwortung.“ Gray warf einen vielsagenden Blick auf ihren Bauch. „Du stehst vor einer schweren Entscheidung und ich habe gerade den Eindruck, dass du das noch nicht einmal merkst, wie schwer sie eigentlich ist. Vielleicht würde etwas Abstand von Jude dir guttun. Denk darüber mal nach.“
 

Damit drückte er noch einmal ihre Schultern und wandte sich ab, um seine Sachen wieder zusammenzupacken. Lucy sah ihm schweigend dabei zu und versuchte nicht einmal, ihm zu helfen. Wenn sie jetzt auch nur einen Schritt tun würde, wäre es mit ihrer Selbstbeherrschung vorbei. Nach allem, was sie in dieser Woche zu hören bekommen hatte, war dies das Schlimmste.
 

Er hatte ihr gerade einen harten Brocken zu kauen gegeben und im Moment stand noch zur Frage, ob sie ihn schlucken konnte oder ihn wieder erbrach.
 

„Wie auch immer. Wenn du nichts weiter zu sagen hast, geh ich jetzt.“ Gray stand auf und schwang seinen Rucksack über die Schulter. „Lass es dir einmal durch den Kopf gehen. Ich bin ab morgen für drei Wochen in diesem beschissenen Sommercamp, in dem mein Vater mich als Jugendleiter gemeldet hat, aber du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du mit mir sprechen willst, Ur hat die Nummer. Erza ist auch für dich da, wenn dir das lieber ist, das kann ich verstehen. Und ich kenne Loke zwar nicht so gut, aber er ganz sicher auch.“
 

Lucy nickte mechanisch und sagte nichts.
 

Gray rang sich noch ein ermutigendes Lächeln ab. „Du kriegst das schon irgendwie hin, ja? Wir sind für dich da.“
 

Sie nickte erneut stumm.
 

Er schien einen Moment nicht zu wissen, was er tun sollte, aber sie war froh, dass er ohne weitere Worte oder Gesten auf die Tür zuging und sie öffnete. Doch ehe er sie wieder hinter sich schloss, warf er ihr noch einen Blick zu. „Mach’s gut.“

11. Kapitel, in dem Lucy endlich herausfindet, was sie wirklich will

Lucy hatte sich auf dem runden Korbsessel im großen Wohnzimmer zusammengerollt und las. Sie wollte jetzt nicht alleine sein, darum war sie nicht auf ihrem Zimmer, sondern hier, wo hin und wieder einer der Angestellten vorbeikam. Sie wechselte dann manchmal ein paar Worte mit ihnen, meistens jedoch blieb sie still. Es reichte ihr, wenn sie die Schritte und die Stimmen von anderen Leuten hörte, die ihr schon seit Jahren vertraut waren.
 

Spetto, die am Morgen noch um sie herumgeschwirrt war wie ein aufgeregtes Huhn, besorgt, dass ihr ehemaliger Schützling vielleicht krank werden würde, ließ sie jetzt glücklicherweise in Ruhe. Tatsächlich reden wollte Lucy nämlich mit niemandem, sondern einfach nur nicht allein sein, sondern unter Leuten.
 

Normalerweise hätte sie sich in so einer Stimmung zu Natsu verkrümelt, aber natürlich hatten sie sich noch immer nicht vertragen, auch wenn der Streit tatsächlich schon über zwei Wochen her war. Inzwischen vermisste sie ihn so sehr, dass es ihr körperlich wehtat. Seine Nähe, seine Stimme, seine verrückten Ideen, sein breites Grinsen. Es war einfach schon viel zu lang her, dass sie ihn gesehen oder überhaupt von ihm gehört hatte.
 

Trotzdem brachte sie es nicht über sich, ihn anzurufen oder gar bei ihm vorbeizugehen. Nicht nur, dass sie nicht wusste, wie sie eine Versöhnung anpacken wollte, nein, sie wusste nicht einmal, wo genau sie im Moment stand. All die Vorwürfe ihrer Freunde hatten sie unsicher gemacht und vielleicht (naja, tatsächlich war es definitiv so) traute sie sich einfach nicht, ihm unter die Augen zu treten.
 

Vielleicht hatte Gray doch nicht so recht mit der Aussage, dass sie genau wusste, was sie von ihrem Leben wollte und wo es hinführen würde.
 

Er hatte ihr einiges zu denken gegeben, mehr als alle anderen, und bis jetzt hatte sie es noch nicht einmal geschafft, wirklich ihre Gedanken zu ordnen, geschweige denn auf ein Ergebnis zu kommen. Sie befand sich offensichtlich noch immer in einem Stadium der Verleugnung. Es schmerzte zu sehr, der Wahrheit ins Gesicht blicken zu müssen.
 

Aber sie musste sich bald darüber klar werden, das wusste sie, nicht nur um ihre Beziehung zu retten, etwas, das sie auf keinen Fall verlieren wollte – das würde sie brechen. Denn langsam musste sie sich wirklich überlegen, wie sie ihrem Vater das mit dem Baby beibrachte. Langsam wurde es wirklich drängend.
 

Es wuchs und inzwischen war es auch recht deutlich zu sehen. Eines der Hausmädchen hatte schon gescherzt, dass der viele Hausarrest ihr nicht guttat und sie durch die fehlende Bewegung Fett ansetzte. Darum versuchte Lucy, den Bauch mit weiten T-Shirts und Jogginghosen zu kaschieren, was so weit von ihrem gewöhnlichen Kleidungsstil abwich, dass es jedem auffallen musste, selbst ihrem Vater.
 

Zum Glück hatte sie eine gute Entschuldigung, warum sie schlechte Laune hatte und Trübsal blies und konnte alles auf ihre angebliche Trennung von Natsu schieben. Jude schien jedenfalls wie selbstverständlich davon auszugehen, dass sie tatsächlich mit dem optimistischen, pinkhaarigen Schüler Schluss gemacht hatte und sie ließ ihn in diesem Glauben.
 

„Ah, da bist du ja.“ Judes Stimme riss sie aus den Gedanken und sie richtete sich hastig auf, damit ihm auch ja nicht die Wölbung unter ihrem T-Shirt auffiel, die in ihrer zusammengekauerten Haltung ziemlich deutlich gewesen war. Das wäre ja noch schöner, wenn Jude auf die richtige Idee kam, ehe sie mit Natsu gesprochen hatte!
 

Während der letzten Tage war der Ton zwischen ihnen sehr freundlich gewesen und sie hatten sogar einen gemütlichen Spieleabend über Monopoly und Mensch-ärgere-dich-nicht verbracht. Wenn es nur immer so wäre...!
 

Sie erinnerte sich noch gut an ähnliche Stunden, früher, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Da hatten sie viele Abende auf diese Art verbracht und sie sehnte sie zurück. Darum hatte sie keinen Moment gezögert, als er sie gefragt hatte, ob sie dafür Zeit hätte. Natürlich hatte sie die! Viel zu tun hatte sie im Moment eh nicht – das waren die bescheuertsten Sommerferien seit denen nach Laylas Tod.
 

Allerdings – während der ganzen Zeit waren ihr Grays Worte nicht aus dem Kopf gegangen. Er manipuliert dich., hatte Gray gesagt. Das würde ich als emotionalen Missbrauch bezeichnen. Aber war ihr Vater wirklich so berechnend, dass er sie auf diese Weise dafür ‚belohnte‘, dass sie (anscheinend) seinen Wünschen folgte?
 

Das konnte sie nicht glauben.
 

Das war immerhin ihr Vater, der mit ihr Pferd und kleines Reiterlein gespielt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, der ihre Mutter zu einem albernen Lied über den Tanzboden gewirbelt hatte, und der mit ihr die wunderbarsten Kekse gebacken hatte. Ihr Vater, der den Kindern seiner Angestellten eine Chance gab, auf die Uni zu gehen und Künstler und Galerien förderte, einfach, weil er es konnte.
 

Das war ihr Vater.
 

Sie konnte, wollte einfach nicht glauben, dass er ihr so etwas antat. „Hi, Papa. Ist was passiert?“
 

„Passiert?“ Jude schüttelte den Kopf und kam von der Tür zu ihr herüber. Allerdings setzte er sich nicht in das Sofa ihr gegenüber, vermutlich würde er gleich wieder verschwinden, zu irgendeinem wichtigen Termin hetzen. „Was sollte passiert sein? Es ist alles in Ordnung, Prinzessin.“ Seine Augen funkelten erfreut.
 

Sie musste über den Spitznamen lächeln, den Layla ihr noch gegeben und den sie schon lange nicht mehr gehört hatte. „Nein, ich meine etwas Gutes? Du siehst so ... zufrieden aus.“
 

„Oh, das meinst du.“ Er schenkte ihr ein Lächeln. „In der Tat. Ich kann dir jetzt mitteilen, dass ich dich, obwohl die Anmeldezeiten längst vorbei sind, erfolgreich auf dem St. Claires Institut für Höhere Töchter anmelden konnte.“
 

Ruckartig fuhr Lucy auf, so dass ihr Buch auf den Boden polterte, und das Lächeln rutschte ihr aus dem Gesicht. „Was?!“ Aber … er hatte ihr versprochen, dass sie auf der normalen Schule in Mangolia bleiben konnte! Dass sie dort ihren Abschluss machen, gemeinsam mit ihren Freunden!
 

Und jetzt kam er plötzlich an und erklärte ihr, sie sollte auf dieses bescheuerte Feine-Mädchen-Internat gehen, von dem er schon früher gesprochen hatte? Nicht nur das, er stellte sie vor vollendete Tatsachen und erklärte, er habe schon alles dafür in die Wege geleitet, ohne ihr überhaupt eine Wahl zu lassen oder ein Mitspracherecht?!
 

Sie wusste nicht einmal, was sie darauf sagen konnte. Sie konnte ihren Vater nur mit offenem Mund anstarren, während ihre Gedanken sich im Kreis drehten und ihre Gefühle sich wie ein Knoten in ihrem Hals festsetzten. Plötzlich fühlte sie sich, als würde sie gleich losheulen, doch sie hielt die Tränen mit aller Macht zurück.
 

Es fühlte sich wie Verrat an.
 

Als wäre er ihr in den Rücken gefallen.
 

Jude dagegen schien von ihrer plötzlichen Beunruhigung nichts zu bemerken, denn er fuhr fort: „Du musst nicht mehr auf deine alte Schule hier in der Stadt zurück und kannst dich ganz auf deine Prüfung konzentrieren. St. Claires ist eine der besten Schulen des Landes. Dort haben sie hervorragende Vorbereitungsprogramme für die Prüfung und die Universitäten und du wirst mit diesen Referenzen auch keine Probleme haben, an eine Eliteuni angenommen zu werden. Außerdem werden die Schülerinnen auf ihren Debütantinnenball vorbereitet, auch das steht bald für dich an. Alle Wege werden dir offenstehen. Du solltest mir dankbar sein.“
 

Lucy öffnete ein paar Mal stumm den Mund wie ein Fisch, ehe sie sich zusammenriss und ein paar Worte fand. „Aber ich will die Schule nicht wechseln! Alle meine Freunde sind hier. Außerdem ist es eh nur noch ein Jahr!“
 

„Ein überaus wichtiges Jahr. Mit deinen Freunden kannst du auch anders Kontakt halten. Und deinen Ex-Freund brauchst du auf diese Weise auch nicht mehr zu sehen.“, winkte Jude nachlässig ab, als würde das alles keine Rolle spielen.
 

„Aber...“, versuchte sie es erneut.
 

„Keine Widerrede!“ Judes Stimme war streng. „Ich hatte einige Mühe, dich noch auf die Schule zu kriegen, ich werde mich nicht umstimmen lassen. Du wirst sehen, dir wird es gefallen. Sehen wir uns beim Abendessen?“
 

„J...ja.“, stotterte Lucy verwirrt, auch wenn sie am liebsten mit dem Fuß aufgestampft und NEIN! gebrüllt hätte. Aber Jude ließ ihr nicht einmal Zeit, sich noch ein paar Argumente auszudenken, warum sie nicht auf dieses Internat konnte, denn er drehte sich gleich wieder um und verschwand in Richtung seines Arbeitszimmers.
 

Sie starrte ihm wortlos nach. Was jetzt? Auf gar keinen Fall wollte sie die Schule wechseln, ganz egal, wie gut die andere war oder wen sie dort traf oder was sie dort alles tun konnte. Außerdem hatte sie sich nur mit Natsu gestritten und sich nicht von ihm getrennt, auch wenn man in der letzten Zeit einen anderen Eindruck hätte gewinnen können, was natürlich ihre Absicht gewesen war. Und sie konnte wohl kaum mit kleinem Kind im Arm Debütantin und in die höhere Gesellschaft eingeführt werden!
 

Mit einem Seufzen angelte sie ihr Buch vom Boden auf, um es auf den Tisch zu legen. Sie brachte es noch nicht einmal über sich, die richtige Stelle zu suchen, sondern legte ihr Lesezeichen einfach darauf.
 

Vielleicht sollte sie einen Spaziergang machen; die frische Luft würde ihr guttun und sie hätte ihre Ruhe. Dann konnte sie endlich richtig über all das nachdenken, was man ihr in der letzten Woche alles gesagt hatte – angefangen bei Erza über Gray und jetzt auch noch ihr Vater. Sie alle hatten ihr einiges zu kauen gegeben, zu viel, als dass sie es auf einmal herunterschlucken konnte.
 

Aber die Zeit des Weglaufens vor ihren Gefühlen war wohl vorbei und wenn sie jetzt nicht handelte, dann wäre es zu spät.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Im hintersten Winkel des Heartphilia-Anwesens hatte Layla einen Garten. Er war von einer hohen Steinmauer umgeben und älter als das Gebäude selbst. Man konnte ihn durch einen zerbrochenen Torbogen betreten und es war, als käme man in eine andere, wunderbare, verzauberte Welt.
 

Früher einmal hatte der Garten Struktur gehabt und Ordnung, denn Layla hatte sich darum gekümmert wie um ein lebendiges Wesen und ihn geliebt wie keinen anderen Ort auf der Welt. Lucy erinnerte sich nur gut daran, über die Steinplatten der Wege und die kleinen Wiesen zu rennen, an bunten Blumen und Büschen vorbei und unter Ästen hinweg.
 

Inzwischen war er völlig verwildert, da Jude nicht wollte, dass jemand etwas daran veränderte, ein letztes Denkmal, das allein Layla galt, der großen Liebe seines Lebens. Wildblumen und Gras überwucherten die Wege, die kaum mehr zu erkennen waren, die Bäume waren alt und knorrig geworden und einige sogar umgestürzt und dann einfach liegen geblieben.
 

Von den Beeten war absolut gar nichts mehr zu erkennen, nur manchmal stolperte man über einen großen Stein, die die Ränder begrenzt hatten. Eichhörnchen huschten durch das hohe Gras und die Stämme hinauf und Vögel saßen in den Ästen und blickten auf sie hinunter. Ein großes Vogelhaus lag zusammengefallen auf einem kleinen Platz und auch den niedrigen Mauern und Zäunen, die den Garten unterteilt hatten, sah man die Jahre der Vernachlässigung an.
 

Im Mittelpunkt befand sich ein Brunnen, den Jude noch immer jeden Frühling anstellte, auch wenn niemand ihn sah. Die Statue einer Meerjungfrau mit einer Amphore, aus der das Wasser floss, erhob sich über dem muschelförmigen Becken und der ehemals weiße Marmor war inzwischen grau und grün.
 

Wann immer Lucy ihrer Mutter besonders nah sein wollte, kam sie hierher und setzte sich auf die alte Steinbank gegenüber der Meerjungfrau, die bereits Sprünge hatte. In den letzten Tagen war sie sehr, sehr oft hier gewesen und wenn es ihr gelang, brachte sie sogar ihr Essen mit, damit sie ihn erst verlassen musste, wenn es dunkel wurde.
 

Der Garten half ihr nicht nur, die Gegenwart Laylas zu spüren, sondern bot auch noch einen hervorragenden Platz zum Verstecken. Denn Jude ließ zwar nicht zu, dass jemand sich um ihn kümmerte und ihn pflegte, kam aber selbst niemals her. Also war es der perfekte Ort, um abzutauchen und ganz für sich zu sein.
 

Lucy nahm ihren Zeichenblock mit, um eine Ausrede zu haben – gerade jetzt im Spätsommer gab es viele wunderbare kleine Sachen hier, die ein herrliches Motiv abgaben. Die Vögel in den Bäumen, das Eichhörnchen, das sie immer neugierig anstarrte und hin und wieder sogar zu ihr herüberkam, zahlreiche Blumen und Gräser, die Bank ihrer eigenen gegenüber, die zerbrochen war und langsam überwucherte, die Meerjungfrau selbst, die schwarze Katze, die den Garten als ihr eigenes Jagdrevier anzusehen schien.
 

Auch jetzt war das schöne Tier hier und lag auf der Decke, die Lucy sich auf einem freien Flecken ausgebreitet hatte, in der Sonne. Inzwischen hatte sie das Tier soweit, dass es sich von ihr streicheln ließ und manchmal sogar ganz von selbst zum Kuscheln kam, das kleine Köpfen an ihrer Hand reibend.
 

Ob Natsu etwas dagegen hätte, wenn sie sich eine zulegen würden? Jetzt natürlich noch nicht, aber in drei, vier Jahren vielleicht?
 

Lucy seufzte und legte ihren Zeichenblock weg, auf dem sie mit Bleistift die faule Katze skizziert hatte. Solche Gedanken kamen still und unaufgefordert, aber sie konnte sie nicht unterdrücken und sie wollte es auch gar nicht. Aber im Moment war die unschuldige Frage nach einem Haustier in der Zukunft einfach beladen mit allem anderen.
 

Wie söhnte sie sich mit Natsu wieder aus?

Würden sie dieses Kind behalten, das da in ihr heranwuchs und immer größer und auffälliger wurde?

Würden sie das hinkriegen, ein Baby zu haben und nebenher ihr eigenes Lebens zu meistern, das ja gerade erst anfing, auch wenn das bedeutete, dass sie in so vielen Dingen, die für andere in ihrem Alter normal waren, zurückstecken mussten?
 

Und das wichtigste: würde sie mit dem ins Reine kommen, was Gray ihr bereits vor über einer Woche vorgeworfen hatte?
 

Sie schaffte es noch immer kaum, an die harten Worte zurückzudenken ohne sofort zu Leugnen und in eine ablehnende Haltung zu fallen. Und das war kontraproduktiv zu dem, was sie eigentlich tun sollte, nämlich darüber nachdenken und sie sich zu Herzen nehmen.
 

Grays Worte hatten sie verletzt.
 

Aber je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr musste sie sich eingestehen, dass er nicht ganz Unrecht hatte. Nein, dass er sogar Recht hatte und das war eine bittere Pille zu schlucken. Sie liebte Natsu mit jeder Faser ihres Körpers und ihr war schlichtweg nicht aufgefallen, wie sehr er darunter litt, wie Jude seine Umwelt behandelte. Wie viele Sorgen er sich um sie machte, auch wenn das, wie Erza schon gesagt hatte, gar nicht seine Art war. Wie es bei ihm ankommen musste, dass Lucy es nicht wagte, bei Jude ein gutes Wort für ihn einzulegen.
 

Das machte ihr am meisten Probleme. Hatte sie tatsächlich Angst vor ihrem Vater?
 

Vielleicht war es das, das sie so blockierte und sie nicht weiterkommen ließ. Schon seit Tagen zerbrach sie sich den Kopf, damit sie mit sich ins Reine kam, denn sie wollte nicht Natsu gegenübertreten, wenn sie es nicht schaffte, eine anständige Entschuldigung auf die Reihe zu kriegen. So viel verdiente er.
 

Vor Judes Eröffnung, dass er sie nächstes Jahr auf eine andere Schule schicken würde, hatte sie kaum gewagt, darüber nachzudenken. Danach hatten sich ihre Gedanken im Kreis gedreht und als sie am nächsten Tag das erste Mal hier im Garten gesessen hatte, hatte sie sich erfolgreich mit ihrem Zeichenblock abgelenkt. Dann hatte sie gefühlt einen Tag lang geheult und sich selbst bemitleidet.
 

Seitdem allerdings versuchte sie, ihre Gefühle einzustellen und alles objektiv zu betrachten, damit sie eine möglichst fundierte Entscheidung treffen konnte. Natürlich war ihr klar, dass sie niemals ihre Gefühle ganz aus dem Spiel lassen konnte. Aber sie wollte es zumindest versuchen.
 

Mit einem leisen „Uff!“ ließ sie sich nach hinten fallen und starrte in den Himmel hinauf, die Hände auf dem Bauch ruhend. Er war strahlend blau und die Sonne war ein heller und blendender Fleck inmitten des endlos weiten Azurblau, eine wunderbare Farbe, von der sie wünschte, dass sie sie reproduzieren konnte. Ein paar Wolken zogen von dem kühlen Wind getrieben rasch darüber hinweg und ein Apfelbaum reckte seine Äste in ihr Blickfeld.
 

Sie dachte an den Mittwoch zurück und Judes Mitteilung über den Schulwechsel – und ihre Unfähigkeit, etwas dagegen zu sagen. Sie hatte es nicht einmal richtig versucht, nur ein wenig vor sich hin protestiert, was bei ihrem Vater offensichtlich wenig Eindruck hinterlassen hatte. Warum? Weil sie überrumpelt gewesen war, ja, aber das war nur ein kleiner Teil davon.
 

Tatsächlich musste sie sich eingestehen, dass der wahre Grund dieser gewesen war: weil sie Angst vor Judes Reaktion gehabt hatte.
 

Das war auch, warum ihr Vater noch nichts von ihrem kleinen Untermieter wusste, warum sie es einfach nicht schaffte, zu ihm zu gehen und es zu sagen – dabei blieb ihr nicht mehr viel Zeit, es zu tun, bevor er es selbst herausfand. Ewig ließ es sich auch mit weiten T-Shirts nicht mehr verstecken.
 

Gray hatte Recht und sie war ein dummer, kleiner Feigling, dem das noch nicht einmal aufgefallen war. Ihre Freunde hatten alle recht und sie musste mit ihrem Vater darüber sprechen. Vielleicht sogar mit einem Profi als Vermittler, als Hilfe, jemand, der sie auf dem richtigen Pfad halten und nicht zulassen würde, dass die Lage eskalierte. Wenn es dafür nicht sowieso schon zu spät war.
 

Aber sie wusste eines mit absoluter Klarheit: Jude würde sich niemals darauf einlassen. An diesem Punkt in seinem Leben war es ihm unmöglich, dazu war er zu verbohrt und von der Richtigkeit seines eigenen Weges überzeugt. Sie hatte bereits Tränen darüber vergossen, in welchen Ruinen ihre Beziehung mit ihrem Vater lag – und sie hatte es nicht einmal gemerkt.
 

Sie fragte sich, was er stattdessen tun würde, wenn sie ihm die Dinge vorwarf, die Gray kritisiert hatte. Wenn sie ihm von dem Baby erzählte. Er würde nicht Hand an sie legen, dessen war sie sich hundertprozentig sicher. Aber ihm standen noch andere Wege offen, um sie zu bestrafen und inzwischen musste sie sich eingestehen, dass er diese nutzen würde.
 

Vielleicht würde er sie gleich ins Ausland schicken. Oder sie hinauswerfen ohne Wenn und Aber. Oder ihr Hausarrest erteilen, bis sie von allein auszog, so dass niemand sie zu Gesicht bekam als die Angestellten. Auf jeden Fall würde er ihr den Umgang mit Natsu und ihren Freunden verbieten. Um dieses Internat würde sie wohl nicht mehr herumkommen.
 

Beziehungsweise, das wäre so, wenn sie nicht schwanger wäre. Er würde die Schande, eine Teenagertochter in anderen Umständen zu haben, niemals über sich ergehen lassen. Die höhere Gesellschaft würde sich das Maul über sie zerreißen, das war ihr schon klar. Aber auf deren Meinung hatte sie nie viel gegeben, unter anderem auch deshalb, weil sie nie viel mit ihnen zu tun gehabt hatte.
 

Als sie alt genug war, an Laylas Galas und Festen teilzunehmen, war ihre Mutter längst krank und dann tot und sie selbst hatte es verpasst, sich deswegen rechtzeitig genug an Jude zu hängen. Vielleicht war das auch ein Grund, warum sie sich hier in Magnolia, an ihrer normalen Schule unter ihren normalen Klassenkameraden so wohl fühlte und allein der Gedanke an das St. Claires Institut für Höhere Töchter ein unbehagliches Gefühl in ihr wach rief.
 

Hin und wieder kam sie nicht darum herum, ihren Vater doch auf eine solche Veranstaltung zu begleiten und jedes Mal hatte sie gemerkt, dass sie dort nicht hingehörte. Es war einfach eine andere Welt und manche dieser Leute – vor allem die in ihrem Alter – hatten einfach keine Ahnung, wie es Menschen erging, die eben nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden waren.
 

Sie seufzte erneut und schob ihre Hände unter ihr T-Shirt, um über ihren leicht gewölbten Bauch streicheln zu können. „Weißt du“, begann sie und kam sich ein wenig bescheuert vor, mit jemandem zu reden, der noch gar nicht da war und tatsächlich noch gar nicht hören konnte. Aber hier war niemand, der ihr zuhören konnte außer einer Katze und ein paar Vögeln. „am Anfang habe ich gedacht, dass du das Problem bist, aber das stimmt gar nicht. Tut mir leid, dass ich so blöd gewesen bin. Das eigentliche Problem ist … mein Vater.“
 

Da, sie hatte es ausgesprochen und es war, als wäre eine gigantische Last von ihr genommen worden. Es war wohl doch etwas dran an dem Sprichwort, dass das Eingeständnis der erste Schritt zur Besserung war. Trotzdem hatte sich eigentlich nichts verändert und sie fühlte sich noch immer niedergeschlagen und bedrückt.
 

Sie strich weiter mit sanfter Hand über ihren Bauch. „Ich weiß jetzt nur nicht, was ich tun soll.“, gestand sie. „Mit Papa zu reden scheint mir nicht sehr produktiv zu werden. Er wird mir niemals zuhören oder ernsthaft über meine Worte nachdenken.“
 

Ihre Stimme klang bitter selbst in ihren eigenen Ohren. Hatte Jude ihr an dem Tag im Zoo nicht versprochen, ernsthaft über ihren Wunsch und ihr Studium nachzudenken? Und jetzt sowas! Vermutlich hatte er bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem St. Claires in Kontakt gestanden. Vielleicht hatte er das Internat in dieser Woche sogar besucht, um es anzusehen!
 

Sie blinzelte die plötzlichen Tränen weg. „So ein Arsch.“, grummelte sie, aber tatsächlich war sie nicht wütend, nur traurig. Sie setzte sich auf, um sich die Tränen mit dem Handrücken wegzuwischen, und tätschelte ihren Bauch. „Naja, du verstehst davon eh noch nichts. Ich verspreche dir, Natsu und ich werden so etwas niemals von dir abverlangen, sondern dich akzeptieren wie du bist und versuchen, dir deine Wünsche zu erfüllen.“
 

Sie lächelte und schniefte leise und die Katze neben ihr hob fragend den Kopf, während ihr Schwanz unruhig zuckte. Ihre goldenen Augen schimmerten in ihrem schwarzen Gesicht. „Du auch nicht.“, erklärte Lucy ihr. „Dein Leben ist viel einfacher als meins.“ Sie seufzte erneut und ließ sich wieder auf ihre Decke sinken.
 

„Zuerst einmal muss ich mit Natsu sprechen.“, erklärte sie der Welt und ihrem Baby und der Katze nach einigen langen Momenten des Schweigens. „Auch wenn ich wirklich noch nicht genau weiß, was ich ihm sagen soll außer Entschuldigung, ich bin die miesteste Freundin auf der ganzen Welt.“
 

Aber da stand noch ein viel größerer Elefant im Raum, einer, der Natsu viel wichtiger war, so viel wusste sie. So gut kannte sie ihren Freund. Denn auch wenn er sich jetzt so lange nicht gemeldet hatte, war er doch absolut nicht nachtragend. Vermutlich würde sie kaum mehr sagen müssen als Tut mir leid und er würde es einfach so akzeptieren. Aber das würde sie nicht tun. Er verdiente besseres und sie hatte nicht vor, ihn noch einmal zu enttäuschen.
 

„Aber wir werden das schon hinkriegen, du und ich, oder?“, sagte sie in die Luft und presste ihre Hände fest auf ihren Bauch.
 

Und dann flatterte etwas in ihr.
 

Es war nur eine zarte Berührung, wie Schmetterlingsflügel auf ihrer Haut, ein zartes Klopfen in ihrem Inneren.
 

Lucy riss die Augen auf und schlug sich eine Hand vor den Mund. Abrupt setzte sie sich auf, die Hände noch immer auf ihren Bauch gepresst, das T-Shirt verkrumpelt unter ihren Handgelenken. „Mach das nochmal?“, fragte sie und wie eine Antwort konnte sie es erneut spüren, ein leichtes Flattern, kaum bemerkbar.
 

Ihre Sicht war plötzlich verschwommen und sie zog geräuschvoll die Nase hoch, aber sie konnte nicht aufhören zu grinsen und lachte unter ihren Tränen. Da war Leben in ihr und sie konnte es fühlen.
 

„Oh mein Gott.“, sagte sie zu niemandem bestimmten und noch nie hatte sie sich so überwältigt gefühlt, so voller Liebe und Glück. Das war ein kleines Wunder, etwas Unbegreifliches und so, so Schönes. Sie konnte es kaum in Worte fassen und es war, als würde alles andere keine Rolle mehr spielen.
 

Sie hatte zum ersten Mal ihr Kind gespürt.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Vorsichtig schob sie das Blatt in die Klarsichthülle und strich es glatt. In den letzten Tagen hatte sie so viele Zeichnungen produziert, dass sie beschlossen hatte, ein kleines Album daraus zu machen, eine Art Bilderset. Vielleicht gefiel es jemandem. Ein Garten im Sommer konnte sie es nennen oder Sommereindrücke.
 

Als ihr Smartphone pfiff es, um eine neue Nachricht anzukündigen, zuckte sie zusammen. Sie warf einen Blick auf den Bildschirm; eigentlich wollte sie ihre Arbeit jetzt nicht unterbrechen um zu telefonieren. Doch es war Loke und sie griff automatisch nach dem Gerät, um die Nachricht zu lesen. Hey, Löwenbändigerin! Bin wieder zurück in der Zivilisation! :D Ist irgendwas aufregendes passiert? Sie hatte schon ewig nicht mehr mit ihm gesprochen und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Es war gut, mal wieder von ihm zu hören!
 

Lucy zögerte einen Moment, dann schrieb sie: Mein Vater will mich auf ein Internat schicken. Er hat schon alles geklärt und so. :( Einen Moment, nachdem sie die Nachricht abgeschickt hatte, hätte sie am liebsten den Kopf gegen den Tisch geknallt. Sie hätte ihn erstmal nach seinem Urlaub fragen sollen und wie es ihm ging, anstatt ihn gleich mit ihren eigenen Problemen zu überfallen!
 

Das klingt problematisch. :/ Warum?
 

Er und Natsu hatten einen fürchterlichen Krach. Dann hatten Natsu und ich einen. Jetzt denkt Papa, wir hätten uns getrennt. Das war die Kurzzusammenfassung…
 

Und jetzt glaubt er, du würdest widerspruchslos auf ein Internat gehen.
 

So schaut's aus. Außerdem fiel ihr etwas auf: vor ein paar Wochen hätte sie es vermutlich mit sich machen lassen, nach Toben und Reden und Schmollen. Aber sie hätte Natsu vertröstet, es sei ja nur ein Jahr und eine wirklich gute Chance für sie und überhaupt… Immer mehr musste sie erkennen, dass Gray den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Ließ sie ihrem Vater wirklich alles durch?
 

Und Jude wird natürlich nicht so einfach einlenken., fuhr Loke fort und erneut fiel ihr auf, was für ein toller Freund er war. Sie wünschte, er würde neben ihr sitzen. Vielleicht würde er noch ein paar Tage vorbeikommen können?
 

Nein. T__T, gab sie zu, würde er nicht, egal was sie wollte.
 

Dann fiel ihr ein, dass Loke von ihren engsten Freunden als einziger noch nicht von ihrem anderen kleinen Problem wusste, das langsam größer wurde. Also nahm sie ihr Handy wieder hoch und schrieb: und ich bin schwanger
 

Diesmal musste sie länger auf ihre Antwort warten. Aber das war eigentlich auch nicht verwunderlich… Für Loke kam diese kleine Nachricht wie aus heiterem Himmel. Er hatte ja keine Ahnung von all dem, was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte. Es war doch von großem Nachteil, dass er nicht in der Nähe und so einfach zu greifen war wie Gray oder Erza.
 

Sie zuckte zusammen, als ihr Handy klingelte – diesmal richtig. Nach kurzem Zögern nahm sie ab, aber sie kam gar nicht dazu, etwas zu sagen. Lokes dunkle, warme Stimme, im Moment allerdings angespannt, schnitt ihr ohne weiteres das Wort ab: „Ist das ein Witz? Das ist nämlich nicht witzig.“
 

Sie seufzte. Wäre es nicht toll, wenn es so wäre? „Auch hallo zu dir. Nein, das ist kein Witz.“, gab sie zu und strich sich liebevoll über den Bauch. Dann sah sie sich hastig um, um zu sehen, ob jemand die Geste bemerkt hatte, auch wenn sie natürlich allein in ihrem Zimmer war. „Seit Gray Geburtstag und… Naja.“ Sie vollendete den Satz nicht und überließ es Loke, die Lücke zu füllen.
 

„Okay. Scheiße.“, war die Antwort und Lucy lachte abgehackt. Für einige Augenblicke blieb es still, dann fügte er fragend hinzu: „Gratulation? Oder nicht?“
 

Mit einem Seufzen ließ sie ihren Blick auf das Bild des Eichhörnchens sinken, das vor ein paar Tagen frech versucht hatte, von ihrem Mittagessen zu stehlen. „Ich weiß nicht. Im Moment sieht es nicht so gut aus. Und ich habe es Papa noch nicht gesagt.“
 

„Bei dem Gespräch möchte ich nicht dabei sein.“, gestand Loke und fügte nach einem Moment hinzu: „Ich meine… scheiße.“
 

Sie lachte bitter. „Keine Sorge, ich verstehe das, ich würde das am liebsten auch nicht führen wollen. Aber langsam wird es deutlich und selbst meinem Vater wird es früher oder später auffallen.“
 

„Wenigstens musst du dann nicht auf das Internat?“ Sie konnte das entschuldigende Grinsen in seiner Stimme hören.
 

„Das hilft mir jetzt auch nicht!“, schmollte sie, auch wenn er natürlich recht damit hatte. „Ich weiß gar nicht, was ich tun soll. Er wird durchdrehen und das Kind auf keinen Fall akzeptieren. Ich… Die letzten Wochen haben mir einiges zu denken gegeben und ich denke nicht, dass ich so weitermachen kann, wie bisher, mit oder ohne Baby.“ Es ging schon lange nicht mehr nur darum.
 

Loke antwortete nicht, vermutlich überlegte er, was er sagen sollte. Aber Lucy war auch noch nicht fertig. Er war unter ihren Freunden in der einzigartigen Position, dass er Natsu nicht sehr nahe stand – tatsächlich kannten die beiden sich kaum, da Loke so selten die Möglichkeit bekam, sie zu besuchen.
 

Und ihr wurde eines klar: da es schon lange zu spät für eine Abtreibung war, blieb nur noch eine Möglichkeit… „Er wird wollen, dass ich es weggebe.“ Ihr wurde mit einem Mal eiskalt. Weggeben? Ihr Kind? Das kleine Wesen, das sie vor ein paar Tagen das erste Mal gespürt hatte?
 

Außer natürlich, er schaffte sie außer Landes oder bestach einen Arzt, um doch noch eine Abtreibung durchführen zu lassen. Übelkeit stieg in ihr hoch. Aber dazu konnte er sie nicht zwingen, versuchte sie sich selbst zu beruhingen, und sie würde das auf keinen Fall zulassen! Niemals!
 

„Was sagte denn Natsu zu all dem?“, unterbrach Loke ihre Gedanken. „Oder ist euer Streit so schlimm, dass du noch nicht mit ihm darüber gesprochen hast?“
 

Sie schluchzte auf und rieb sich wütend über ihre Augen. „Ja.“, gestand sie kläglich. „So sieht’s aus. Ich … ich weiß noch nicht genau, wie ich mich am besten entschuldige.“
 

„Kauf dir sexy Dessous und er wird dir wieder zu Füßen liegen.“, antwortete ihr bester Freund leichthin und sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.
 

„Loke!“ Sie konnte die Empörung in ihrer Stimme kaum verbergen. „Wa-Was soll das!“
 

„Glaub mir, sowas zieht immer.“, grinste er und jetzt war sie froh, dass er nicht da war. Ihr Kopf glich vermutlich einer Tomate.
 

„Aber das hilft mir eigentlich auch nicht bei meinem richtigen Problem.“, lenkte sie hastig ab und sie konnte ihn nach einem Moment zustimmend brummen hören.
 

„Das ist wahr. Aber es ist zumindest ein Anfang, der dir einige Türen öffnet und deinen Freund sehr gnädig stimmen wird.“ Er kicherte, doch dann wurde er wieder ernst. „Mal eine andere Frage, was ist mit dir?“, fragte Loke. „Wie sieht es bei dir aus? Hier geht es um dich. Also, was willst du?“
 

Diese unschuldigen kleinen Worte trafen sie bis ins Mark.
 

War die Lösung für ihre Probleme wirklich so einfach, musste sie nur die Antwort darauf finden? Aber war es wirklich so leicht, diese eine Frage zu beantworten? Denn was genau wollte sie? Außerdem spielten da noch mehr Faktoren eine Rolle, sie konnte nicht einfach alle anderen Schwierigkeiten ignorieren, die auf sie zukommen würden, egal, welche Antwort sie fand und Natsu hatte ein Mitspracherecht und was würde ihr Vater tun…
 

Loke kannte viel zu gut, denn er merkte sofort, dass sie sich mal wieder in ihren eigenen Gedanken verzettelte. Er unterbrach sie mit ruhiger Stimme. „Vergiss mal alle Probleme, die auf dich zukommen könnten, wenn du dich mit Jude streitest. Vergiss Natsu. Vergiss die Äußerlichkeiten. Und denk scharf nach.“ Einige Augenblicke später schickte er hinterher: „Oh, und denke nicht, dass Natsu dich auch nur eine Sekunde im Stich lassen würde.“
 

Sie schloss die Augen und holte tief Luft. Sie würde Lokes Frage hier und jetzt beantworten, denn eigentlich war die die Antwort ganz einfach und plötzlich wusste sie sie, als hätte es niemals eine andere Möglichkeit gegeben. Und hatte nicht schon Erza von Anfang an gewusst, wie sie sich entscheiden würde?
 

Sie wollte ihren Vater nicht vor den Kopf stoßen.

Sie wollte auf keinen Fall Natsu verlieren.

Aber mehr als alles andere wünschte sie sich, ihr Kind in den Armen halten zu können.
 

Das war ihr Baby.
 

Sie wollte es nicht verlieren. Und Natsu wäre bei jedem Schritt des Weges an ihrer Seite. Zwei von dreien war doch auch nicht schlecht, oder?
 

„Du hast mir sehr geholfen. Danke.“ Sie schniefte, aber die Tränen, die ihr über das Gesicht rannen, wirkten, als würden sie alle Lasten und Sorgen mit sich nehmen, die sie seit Wochen plagten. Plötzlich fühlte sie sich ruhig und ausgeglichen. Manchmal brauchte es doch nur ein Gespräch mit der richtigen Person, um zu einer Antwort zu kommen.
 

Oder eine Verkettung von Gesprächen mit den richtigen Personen. Sie wusste gar nicht, was sie getan hatte, um solche Freunde zu verdienen.
 

„Super-Loke zur Rettung!“, kam es triumphierend aus ihrem Handy und sie grinste. „Wann sprichst du mit Natsu?“
 

Jetzt lachte sie laut heraus; auch Loke hatte anscheinend nie einen Zweifel gehabt, welchen Weg sie wählen würde. Und das machte ihr Mut. „Sobald wie möglich.“, versprach sie. „aber jetzt erzähl mir erstmal von deinem Urlaub. Viel erlebt?“ Grinsend fügte sie hinzu: „Viele hübsche Mädchen getroffen?“ Damit lehnte sie sich zurück, während sie den Lautsprecher anschaltete, und machte sich bereit, ihm eine Weile zuzuhören.
 

Aber so gut wie jetzt hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Das einzige, was ihr noch fehlte, war Natsu an ihrer Seite – aber das würde sie gleich am nächsten Tag klären.

12. Kapitel, in dem Bewegung in die Sache kommt

Der nächste Tag war ein Freitag und Lucy, beflügelt von frischer Energie und mit einem Schwung, den sie irgendwann verloren hatte, ohne es überhaupt zu merken, machte sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg zur Dragon’s Garage. In ihrem Bauch rumorte es wild vor lauter Nervosität, so dass ihr übel war, so dass sie kaum etwas hatte frühstücken können.
 

Sie ließ sich von Glanville in der Stadt absetzen ließ, wo sie kurz beim Bankautomaten vorbeischaute. Den Rest des Weges fuhr sie mit dem Bus, damit Jude nicht aus Versehen hinten herum mitkriegte, dass sie sich wieder mit ihrem Freund traf. Aber das bedeutete natürlich nur ein kleiner Umweg auf ihrer persönlichen Mission, sich wieder mit Natsu zu vertragen. Nichts und niemand würde sie heute aufhalten, das schwor sie sich!
 

Außer natürlich der Tatsache, dass Natsu gar nicht in der Stadt war
 

„Was?“ Mit offenem Mund starrte sie Pantherlily an, einer von Igneels Mitarbeitern, nachdem er ihr mitgeteilt hatte, dass ihr Freund heute mit Abwesenheit glänzte. Der Overall mit dem Logo der Werkstatt spannte sich über seinen breiten Schultern, beeindruckende Muskelberge, die noch zu seiner imponierenden Erscheinung beitrugen.
 

Er schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln, so dass seine Zähne hell in seinem dunklen Gesicht aufblitzten. „Sorry, Lucy. Er ist mit Igneel auf eine Messe in Dawn City gefahren. Sie kommen erst am Sonntag wieder. Warum rufst du nicht einfach an?“
 

Lucy sackte in sich zusammen. Das zog all ihren Plänen den Boden unter den Füßen weg. „Ich muss das persönlich besprechen. Aber danke für die Info.“ Diese Entschuldigung würde sie sicher nicht über das Telefon abwickeln! Allerdings hieß das, dass sie diese Aufgabe noch ein paar Tage mit sich herumschleppen würde, was ihrem Magen sicher nicht guttun würde. Nun gut, das hatte sie sich letzten Endes doch alles selbst eingebrockt, sie würde das schon durchstehen.
 

Sie winkte Lily noch einmal zu und verließ den Hof wieder, um die Straße hinunter zu bummeln. Leise vor sich hin schimpfend kramte sie ihr Handy aus der Tasche und warf einen vergeblichen Blick darauf. Natsu hatte ihr nicht einmal Bescheid gesagt, dass er über das Wochenende nicht da sein würde. Auf der anderen Seite – er war vermutlich immer noch sauer auf sie, also warum sollte er?
 

Sie seufzte und schob das Gerät wieder in die Tasche zurück. Was sollte sie jetzt tun? Unvermittelter Dinge umkehren? Und dann…? Noch länger in der Villa herumzusitzen würde sie nicht ertragen, dort fiel ihr schon die Decke auf den Kopf. Aber was konnte sie sonst tun?
 

Zum Reitstall fahren? Dann würde man sie aber nur wegen dem Weihnachtsturnier ansprechen und sie hatte keine passende Ausrede parat, warum sie nicht mitmachen konnte. Normalerweise ließ sie sich diesen Spaß nicht nehmen, aber dieses Jahr würde sie um diese Zeit hochschwanger sein. Auf einem Pferd hatte sie dann jedenfalls nichts mehr verloren. Und sowieso, wer wusste überhaupt, wie lange sie überhaupt noch dorthin ging?
 

Sie konnte auch jemand anderen besuchen. Gray war auch noch nicht aus dem Camp zurück, also fiel er weg, aber Erza war vielleicht zuhause. Womöglich besuchte sie gerade einen ihrer vielen Collegevorbereitungskurse, aber nachsehen kostete nichts. Die Rothaarige hatte hochgesteckte Ziele und würde alles dafür tun. Inzwischen hatte sie auch jemanden, der bereit war, sie darin zu unterstützen. Makarov Dreyar war nach einer langen Reihe mehr oder weniger schlechter Pflegeeltern der einzige, bei dem sie sich wohl fühlte.
 

„Was soll’s.“ Lucy grüßte auf dem Rückweg zur Bushaltestelle die alte Dame, die neben den Dragneels wohnte und immer für eine Plauderei zu haben war, und erwischte gerade noch den Bus, der zur Siedlung hinüberfuhr, in der Erza wohnte. Fünfzehn Minuten später klingelte sie an der Haustür, die die Rothaarige einige Minuten später aufriss.
 

Ihr Lächeln wich einem Stirnrunzeln, als sie den Besucher erkannte, und sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Und, hast du dich mit Natsu versöhnt?“, wollte sie statt einer Begrüßung wissen.
 

Lucy schrumpfte unter dem strengen Blick zusammen. Dann straffte sie die Schultern; sie hatte sich jetzt nichts mehr vorzuwerfen. „Nein, ich…“
 

Erza zeigte mit ausgestrecktem Arm in die Richtung, in der die Werkstatt lag. „Dann tu’s, marsch, marsch.“
 

Lucy schmunzelte – das war typisch für ihre beste Freundin! Sie würde kein Vielleicht und Aber gelten lassen. Dann wurde sie wieder ernst. „Erza, ich komme gerade von der Werkstatt. Sie sind auf dieser Messe. Ich wollte das mit ihm persönlich klären und nicht übers Telefon, darum gehe ich Montag nochmal hin.“
 

Die Rothaarige musterte sie einen Moment streng, dann entspannte sie sich und nickte. „Ich bin froh, dass du es endlich erkannt hast.“ Sie lächelte breit und machte eine einladende Geste. „Willst du reinkommen?“
 

Lucy schüttelte den Kopf. „Ich habe gehofft, dass wir vielleicht in die Stadt gehen könnten oder so. Tee trinken, brunchen, shoppen? Einfach nur spazieren? Ich war in den letzten Tagen nur Zuhause.“ Sie lächelte verlegen. Letzteres war natürlich ihre eigene Schuld, aber sie bemerkte immer mehr, wie sehr sie jetzt einen Ausflug brauchte und Zeit abseits der Villa.
 

„Gute Idee! Ich sag nur schnell Bescheid.“ Erza flitzte wieder nach drinnen und kam kurz darauf wieder heraus, die Handtasche über der Schulter und auf einem Bein hüpfend, während sie versuchte, sich ein Paar Sandalen überzustreifen, ohne stehen zu bleiben.
 

„Du weißt, dass wir genug Zeit haben, ja?“, grinste Lucy sie an. „Oder musst du nachher irgendwohin? Du brauchst dir nicht den Hals zu brechen, während du dir die Schuhe anziehst.“
 

Die Rothaarige zuckte nur mit den Schultern und zog die Schnallen zu. „Wir nehmen mein Auto.“, bestimmte sie. „Dann kann ich dich nachher auch wieder nach Hause fahren.“ Dazu sagte Lucy natürlich nicht nein und steuerte die uralte Karre an, die am Straßenrand stand.
 

Freitagmorgens war es in der Innenstadt zum Glück relativ ruhig, trotz dass Sommerferien waren. Die Touristen und Schüler würden erst später am Tag darüber herfallen und die meisten Einheimischen arbeiteten noch. Die Morgensonne war warm und eine kühle Brise zog durch die altertümlichen Gassen.
 

„Wo sollen wir zuerst hin?“, fragte Lucy, als sie in die Fußgängerzone abbogen. „Einen Kaffee trinken?“
 

„Du solltest kein Koffein zu dir nehmen.“, belehrte Erza sie mit einem vielsagenden Blick auf Lucys Bauch, der von einem lockeren T-Shirt gut kaschiert wurde.
 

Lucy winkte ab. „Ich kann auch Tee trinken. Also, Kardia Café? Oder sollen wir erst woanders hingehen? Eigentlich hab ich erst gefrühstückt.“
 

„Ich auch.“, stimmte Erza zu und deutete die Straße hinunter. „Lass uns erst shoppen gehen. Ich habe letztens so ein niedliches Kleid gesehen, drüben bei G&I, und brauche eine zweite Meinung.“ Damit packte sie ihre Freundin am Handgelenk und zog sie hinter sich her. „Willst du irgendwo bestimmtes hin?“, fragte sie, während sie im Laufschritt durch die Straßen eilte.
 

Lucy musste rennen, um hinterher zu kommen. Wo nahm Erza nur immer diese Energie her und waren sie nicht zum Bummeln hier? Das war ganz sicher kein Bummeln… „Ähm, ich wollte…“ Sie wurde rot und verstummte, so dass sogar Erza langsamer wurde. „Ja?“
 

„Naja, zum BabyBear.“, gab sie dann kleinlaut zu. Eigentlich hätte ja Natsu der sein sollen, der zuerst von ihrer Entscheidung erfuhr. Aber Erza war auch die, die zuerst überhaupt von der Schwangerschaft erfahren hatte. Und sie wollte jetzt keine Zeit mehr verlieren, davon hatte sie schon genug verplempert.
 

Abrupt blieb die Rothaarige stehen, so dass Lucy ungeschickt in sie hineinlief. Doch Erza kümmerte sich gar nicht darum, sondern packte sie an den Oberarmen und grinste sie mit funkelnden Augen an: „Du hast dich entschieden, es zu behalten?!“ Ihre Stimme war zu laut und sie standen mitten im Weg, also zog die Blonde sie beiseite.
 

„Ja. Einer der Gründe, warum ich mit Natsu sprechen wollte. Ich … kann das nicht allein.“
 

„Aber er wird für dich da sein.“ Erza nickte und nahm ihre Hände, um sie bestärkend zu drücken. „Und wir auch, mach dir keine Sorgen darum! Ich kann ja wohl kaum mein Patenkind im Stich lassen, noch ehe es geboren ist! Ich bin froh, dass du deine Entscheidung endlich getroffen hast.“
 

Ein warmes Gefühl stieg in Lucy auf und sie war mit einem Mal so dankbar, ihre Freundin zu haben, dass sie Tränen wegblinzeln musste. Sie erwiderte das breite Lächeln. „Danke.“ Sie schluckte ihre Rührung herunter und fuhr rasch fort, um sie zu überspielen: „Jedenfalls dachte ich, dass ich es ausnutzen muss, solange ich noch Zugriff auf mein Konto habe.“ Sie klopfte auf ihre Tasche. „Ich war schon auf der Bank.“
 

Die Rothaarige warf die Arme um sie. „Ich freue mich so für dich!“, erklärte sie und Lucy war sich ziemlich sicher, nicht nur zu der Entscheidung beglückwünscht zu werden, sondern auch dazu, mit sich selbst und der Welt im Reinen zu sein, zumindest im Moment.
 

„Okay, lass uns zuerst dorthin gehen.“ So abrupt, wie Erza stehen geblieben war, marschierte sie auch schon wieder los, diesmal in eine andere Richtung. Kurz darauf erreichten sie das große Geschäft für Baby- und Kleinkindersachen, das fast noch größer war als die Hauptfiliale in Crocus.
 

Die Schaufenster waren in blassblau und rosa dekoriert, dazu ein paar Bilder von Säuglingen und ihren glücklichen Müttern. Innen sah es ähnlich niedlich-süßlich aus, mit langen Reihen an Regalen, Wühlkisten und Kleiderständern. In einer Ecke gab es Möbel – Wiegen, Wickeltische, kleine Bettchen, winzige Stühle.
 

Während Lucy sich noch etwas hilflos umsah (wie kam es, dass der letzte Besuch in einem BabyBear ihr so viel leichter gefallen war?), hatte Erza nicht solche Hemmungen. Die Rothaarige ging das Ganze an wie eine Schlacht und marschierte mit stolzgeschwellter Brust wie ein Feldherr voran, so dass ihr jeder erschrocken auswich.
 

„Was brauchen wir zuerst?“ Sie kaperte den letzten Einkaufswagen vor einer jungen, schlanken Frau in hochhackigen Sandalen, die ihr einen bösen Blick hinterher warf, den Erza gar nicht bemerkte. „Eine Wiege, Wickeltisch?“
 

Lucy warf der Frau einen entschuldigenden Blick zu und schloss eilig zu ihrer Freundin auf. „Lass es uns erstmal klein angehen, ja? Ich weiß gar nicht, wo ich das Zeug alles unterbringen soll, damit Papa es nicht sieht.“
 

„Kein Problem, du kannst es bei mir zwischenlagern, aber Möbel wären vielleicht doch zu viel des Guten.“, gab Erza zu, aber das nahm ihr nichts von ihrem Enthusiasmus. „Also Kleider und so!“ Sie hätte beinahe einen anderen Wagen gerammt, so begeistert warf sie sich in die Schlacht. Mit einer knappen Entschuldigung an das erschrockene Paar stürmte sie den Flur hinunter.
 

Einige Schritte später hielt sie nochmal an. „Weißt du eigentlich inzwischen, was es wird?“
 

„Nein. Ich hab meinen nächsten Termin bei Grandine erst nächste Woche und letztes Mal ließ sich das noch nicht feststellen.“ Wie Erza wusste, immerhin war sie dabei gewesen. „Wenn ich Pech habe, werd ich’s erst erfahren, wenn es da ist. Aber ich würde diesmal gerne Natsu mitnehmen. Jetzt müssen wir uns erstmal auf geschlechtsneutrale Sachen einigen.“ Lucy hob die Schultern. Das war ihr eh lieber als kitschiges Zeug in Hellblau oder Rosa.
 

„Also gut.“ Erza ließ sich von dem kleinen Dämpfer kaum beirren und stürmte erneut los.
 

Lucy bedauerte es schon fast, ausgerechnet mit ihr hergekommen zu sein. Aber von ihren anderen Freundinnen wusste noch keine Bescheid, auch wenn das nur eine Frage der Zeit war – früher oder später würde auch das weiteste Kleidungsstück ihren Bauch nicht mehr verbergen. Sie erschauderte jetzt schon an den Gedanken, was ihre Mitschüler dazu zu sagen hatten.
 

Außerdem war es Erza, ihre beste Freundin, ihre Unterstützung, die, die ihr den Kopf geradegerückt hatte, die voll und ganz hinter ihr stand, die sie von Anfang an begleitete. Wer war eine bessere Wahl für sowas?
 

Außerdem würde Erza sie umbringen, wenn sie ohne sie Babykleider kaufen gehen würde.
 

Das zeigte sich schon an dem Enthusiasmus, mit dem sie sich in die Aufgabe stürzte. Mal fischte sie ein winziges Hemdchen aus einem Wühltisch, mal einen Body, mal einen zuckersüßen Strampler. Es war leicht, sich von ihr mitreißen zu lassen und die niedlichsten Dinge im Laden herauszusuchen.
 

Am letzten Abend, nachdem sie sich von Loke verabschiedet hatte, hatte Lucy sich erstmal ihren Laptop geschnappt und sie dankte allen höheren Mächten dafür. Sie hatte bereits während des Gesprächs begonnen, Pläne zu machen, wie es jetzt weitergehen würde, und sofort beschlossen, voll und ganz ihr momentan noch gut gefülltes Bankkonto auszunutzen. Sie versuchte, den Gedanken zu verdrängen, aber sie befürchtete, dass das nicht mehr lange der Fall sein würde.
 

Aber damit sie Natsu und Igneel (von dem sie jetzt einfach mal annahm, dass er mitspielte, auch wenn er natürlich auch noch nicht zugesagt hatte) nicht zu sehr auf der Tasche liegen würde, würde sie jetzt schon kaufen, was sie konnte. Und hilfreiche Listen im Internet halfen ihr, um alles zusammenzusuchen, was sie so brauchen würde, wenn das Baby erstmal da war.
 

Lucy genoss den Shoppingausflug vollen Zügen. Sie fühlte sich frei und leicht und auch wenn sie wusste, dass noch schwere Hürden auf sie zukommen würden und sie sich zudem auch noch mit Natsu aussprechen musste. Aber jetzt, da ihre Entscheidung stand, da sie wusste, was sie wollte, war die Angst verschwunden.
 

Es fühlte sich einfach gut an. Sich auf das Baby freuen, auf Natsus Gesicht, über Erza, die so begeistert an die Sache heranging, und einfach nur die Situation genießen. Das hatte sie sich nach all den emotionalen Strapazen der letzten Wochen verdient. Dieses Gefühl würde auch nicht ewig halten, darum hatte sie vor, es auszunutzen. Noch wusste Jude nichts von ihrem stetig wachsenden Geheimnis.
 

Als sie schließlich mit einem schwer beladenen Einkaufswagen zur Kasse eierten, war die Mittagszeit schon vorbei und ihr Magen knurrte. Sie ging schon die Restaurants durch, in die sie ihre Freundin einladen konnte, der jedoch keinerlei Spuren von Erschöpfung anzusehen waren.
 

Erza bestand auch darauf, einen putzigen Schlafsack mit tanzenden Erdbeeren darauf zu kaufen, auch wenn Lucy protestierte, sie könnte es alles selbst bezahlen. Aber die Rothaarige ließ sich nicht beirren, denn „immerhin darf ich mein Patenkind verwöhnen, wie ich will, oder nicht?“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Pünktlich um kurz vor Neun traf Lucy am folgenden Montag wieder in der Werkstatt ein. Igneel sah sie zuerst und über sein Gesicht breitete sich ein freudiges Grinsen aus, das keinen Zweifel daran ließ, woher Natsu sein unwiderstehliches Lächeln hatte. „Lucy! Wie schön, dich wieder mal zu sehen.“ Er zog sie in eine feste Umarmung, die sie freudig erwiderte, und seine tiefblauen Augen funkelten.
 

Wie anders war da ihr Vater! Wie lange hatte sie Jude nicht mehr umarmt? War es seit dem Tod ihrer Mutter? Warum fielen ihr die Dinge jetzt alle nacheinander auf, diese kleinen Dinge, die ihr vor Augen führten, wie sehr sich ihre Beziehung zu ihrem Vater verändert hatte? Als hätte sie früher einfach ihre Augen davor verschlossen…
 

„Ich hoffe, du bist da, um die Sache mit dir und meinem Sohn wieder ins Reine zu bringen.“, erklärte Igneel, als er sie losließ und scharf von oben bis unten musterte. „Er hat jetzt seit fast vier Wochen schlechte Laune und selbst die Woche, die er mit Erza in Hargeon war, hat nicht geholfen.“
 

Vater und Sohn waren heute beinahe allein, da die Mitarbeiter fast alle im Urlaub waren. Nur Pantherlily schraubte etwas entfernt an einem schicken Mercedes herum; er studierte und arbeitete jetzt in den Semesterferien doppelt so viel wie normal. Außerdem war vermutlich ein Mann für den Abschleppdienst abkommandiert worden und durch die Scheibe konnte sie undeutlich den dunklen Schopf einer Sekretärin erkennen. Aus dem Büro drang das Gedudel des Radios und am anderen Ende der Halle konnte sie Natsu werkeln hören.
 

Lucy lächelte Igneel an. „Ja, das bin ich, keine Sorge. Darf ich ihn entführen?“
 

„Nimm ihn nur mit.“ Die Erleichterung in Igneels Stimme war nicht zu überhören. „Aber behalt ihn nicht zu lange, ja? Ich muss hier noch was fertigkriegen und außer ihn ist grad nur Lily da.“
 

„Ich sehe, was ich tun kann.“ Sie winkte ihm zu, als sie sich auf die Suche nach ihrem Freund machte. Sie fand ihn am hintersten Ende der Halle unter einem aufgebockten, rotzgrünen Opel, dem alle Räder fehlten und der hässlicher nicht sein könnte. Nur Natsus Beine, die in einem schwarzen Overall steckten, ragten unter dem alten Auto hervor, und sie beugte sich hinunter, um ihn zu begrüßen.
 

Mit den Kopfhörern seines MP3-Players in den Ohren und auf seine Arbeit konzentriert bemerkte er sie allerdings gar nicht. Nicht einmal, dass sie ihm den Schraubenschlüssel reichte, nach dem er tastete, fiel ihm auf. Erst, als er die Mutter gelöst hatte, starrte er das Werkzeug einen Moment lang verwirrt an und drehte dann den Kopf, während er schon die Ohrenstöpsel abnahm. Laute Rockmusik drang aus den winzigen Lautsprechern, kein Wunder, dass er sie nicht gehört hatte.
 

„Lucy!“ Ein strahlendes Grinsen breitete sich über sein Gesicht aus und er ließ den Schraubenschlüssel fallen, um sich unter dem Auto hervorzurollen. Noch im Aufstehen riss er sich die Handschuhe von den Händen, um sie anständig begrüßen zu können. Einige Momente genoss sie seinen Kuss und die Umarmung, die sie kräftig erwiderte. Sie presste ihr Gesicht gegen seine Schulter und genoss es einfach, ihm wieder so nah sein zu können. Anspannung, von der sie gar nicht gemerkt hatte, dass sie da war, fiel von ihr ab und die Sehnsucht nach ihm verflog einfach, als wäre sie nie da gewesen.
 

Nach einigen Augenblicken schob sie ihn mit einem Lächeln von sich. „Ich dachte, du bist sauer auf mich.“ Vielleicht war das kein guter Einstieg, aber es war immerhin einer. Und sie gedachte ja, das Problem sofort aus der Welt zu schaffen.
 

Er stutzte, dann rieb er sich den Hinterkopf. „Eigentlich schon. Aber ich hab dich vermisst, da hab ich das darüber einfach vergessen. Ich kann jetzt wieder sauer sein?“ Da er allerdings nicht klang, als ob er das für eine gute Idee halten würde, lachte sie und knuffte ihm spielerisch in die Seite. „Nein, lieber nicht. Komm, wir müssen reden.“
 

Er warf einen kurzen Blick nach vorne, wo sein Vater inzwischen halb in einem Pickup steckte, aber Lucy zog ihn am Arm mit sich. „Ich hab schon mit ihm gesprochen, komm jetzt.“
 

„Also gut, also gut.“ Lachend hob er besiegt die Hände und ließ sich von ihr davonziehen. Sie setzten sich auf die kleine Terrasse mit den gesprungenen Fliesen, die von einem kleinen, komplett verwilderten Garten umgeben war. Weder Natsu noch Igneel hatten das Interesse, das Talent oder die Zeit, sich darum zu kümmern, auch wenn er einmal sehr schön gewesen sein musste, als Natsus verstorbene Mutter sich darum gekümmert hatte. Lucy tat es von Herzen leid und manchmal juckte es sie richtig in den Fingern, ein wenig Ordnung hineinzubringen. Aber das wäre wohl ein Langzeitprojekt.
 

Lucy riss die Gedanken davon los und wandte sich ihrem Freund zu. Sie blickte ihn einen Moment nur an, sein attraktives Gesicht mit dem fragenden Lächeln und den funkelnden, dunklen Augen, in denen sie stets so viel Liebe, Freude und Lebenslust erkennen konnte. Plötzlich war ihr Mund trocken und all die gut überlegten Worte waren wie weggewischt. Das einzige, das ihr durch den Kopf ging, war ich hoffe, unser Kind hat seine Augen.
 

Sie schluckte und gab sich einen Ruck, während sie Natsus Hände nahm. Seine Finger waren schwielig und kräftig, aber er erwiderte den Druck zart, als hätte er Angst, ihr wehzutun. „Es tut mir leid.“, erklärte sie dann. „Ich … ich hätte dich nicht so anschreien dürfen und dir besser zuhören müssen. Es tut mir auch leid, dass ich dich nie meinem Vater gegenüber verteidigt habe, und du bist das Beste, das mir je passiert ist. Mir tut es auch leid, dass diese Situation sich so verfahren hat und ich habe es noch nicht einmal gemerkt und…“
 

Warme Lippen pressten sich auf ihre und unterbrachen den Redeschwall. Der Kuss dauerte nur einen Moment, dann richtete Natsu sich wieder auf und wischte ihre Worte mit einer Handbewegung beiseite. „Schwamm drüber. Ich hab es nicht so gemeint und wollte dich nicht so unter Druck setzen und…“
 

„Nein, hör zu.“, fiel sie ihm ins Wort. Es war wichtig, dass er hörte, was sie ihm zu sagen hatte und er hatte verdient, es zu hören. „Es tut mir wirklich leid. Du hast das nicht verdient, aber ich verspreche, mich zu bessern.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Und du hattest recht.“
 

Verdutzt starrte er sie an, dann hob sich unwillkürlich einer seiner Mundwinkel, obwohl er immer noch verwirrt aussah. „Ehrlich?“ Er klang so erstaunt darüber, dass es beinahe komisch war.
 

Aber Lucy hatte schon immer gewusst, dass er weit klüger war, als alle ihm zutrauten. „Ja.“, sagte sie nachdrücklich. „Es hat eine Weile gedauert und auch ein paar… ähm … unangenehme Gespräche gebraucht, bis ich es erkannt habe, aber es stimmt, was du gesagt hast.“ Sie seufzte und ließ ihn los, um sich gerader hinzusetzen. Ihr Blick rutschte auf den Boden, zu einem Sprung in einer Bodenplatte, aus dem Vergissmeinnicht wuchs.
 

Sie holte tief Luft, ehe sie weitersprach. Es war einfach nicht leicht, darüber zu sprechen, aber wenn nicht mit Natsu, mit wem denn dann? „Mein Vater … ist kein einfacher Mensch und der Tod meiner Mutter hat ihn schwer getroffen. Er ist immer noch nicht darüber hinweg. Aber das ist keine Entschuldigung für sein Verhalten. Und ich kann jetzt nicht nur noch an mich denken.“ Sie blickte auf ihre im Schoß zusammengefalteten Hände. „Erza hat ein ernstes Gespräch mit mir geführt, Gray war vor einiger Zeit bei mir, um mir einige Sachen an den Kopf zu werfen, und vor ein paar Tagen hat mein Vater mir mitgeteilt, dass er mich für das letzte Schuljahr an einem Internat in Crocus angemeldet hat und dann hab ich auch noch mit Loke gesprochen.“
 

„Was, du gehst weg?!“, rief Natsu entsetzt aus und sprang aufgebracht auf. Warum verwunderte es sie eigentlich, dass dies das einzige war, das er wahrgenommen hatte? „Aber du kannst nicht weg! Was mache ich denn ohne dicht?“
 

Sie schmunzelte zu ihm hoch und klopfte auf den Stein neben sich, damit er sich wieder setzte. „Dummerchen. Denkst du wirklich, er lässt mich an diese Schule gehen mit einem dicken Babybauch?“
 

Verdutzt hielt Natsu inne. „Oh.“, machte er dann und kam ihrer Aufforderung nach. „Vermutlich nicht…“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und grinste schief.
 

„Genau.“ Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu und rutschte dann näher an ihn heran. Automatisch schlang er einen Arm um ihre Schultern und seine Wärme drang durch ihre Kleidung, als sie sich an ihn kuschelte. Trotzdem ließ sie sich nicht von dem Thema abbringen. „Wir müssen echt besprechen, wie wir weiter vorgehen. Ich muss es meinem Vater bald beibringen und deinem müssen wir es auch noch sagen. Und die Zeit drängt, ich meine, ewig werde ich das nicht kaschieren können.“ Sie deutete auf ihren Bauch, der sich durch ihre Position deutlich unter ihrem lockeren Sommerkleid abhob.
 

Ehe sie den Stoff etwas wegzupfen konnte, damit es nicht mehr ganz so sichtbar war, legte sich Natsus Hand darüber, zart, aber doch fest, und er küsste ihre Schläfe. „Ich liebe dich.“ Seine Stimme klang belegt.
 

Sie erstarrte. „Wa…was?“ Heftig blinzelnd vertrieb sie die Tränen, die sich so ungebeten in ihre Augen schlichen (warum war sie so emotional? Wenn er fragte, würde sie es auf die Schwangerschaft schieben!), und schaute zu ihm auf. Doch sein Blick ruhte auf ihrem Bauch und seine Augen waren so voller Liebe und Glück, dass sie leuchteten.
 

Dann sah er auf und ein verlegenes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. „Ich liebe dich.“ Er küsste sie erneut auf die Schläfe. „Ich liebe dich.“ Ein weiterer Kuss, diesmal auf die Stirn. „Ich liebe dich.“ Und noch mehr, überall auf ihr Gesicht verteilt.
 

Kichernd versuchte sie ihn von sich zu schieben, aber er gab erst nach, als sie ihn für einen Moment zu sich zog, um ihn anständig zu küssen, ehe sie ihn etwas bedauernd von sich schob. „Okay, okay, ich habe verstanden!“, gab sie zu und jetzt war es an ihr, sich vorzubeugen und ihn sanft auf die Lippen zu küssen.
 

„Ich liebe dich auch.“, erklärte sie ihm und legte alle Gefühle in die Worte, die sie aufbringen konnte. „Aber jetzt müssen wir wirklich erst einmal klären, was mir mit dem Baby machen wollen, wenn es erst einmal da ist.“
 

Lucy hatte ihre Entscheidung getroffen und sie bezweifelte, dass seine anders aussah, ja sogar, dass sie jemals anders ausgesehen hatte, aber sie wollte trotzdem sichergehen, dass sie auf der gleichen Linie waren. Und war er sich überhaupt darüber im Klaren, was dies für eine Verantwortung bedeuten würde?
 

„Was meinst du?“ Verwirrt blickte er auf sie hinunter und war ihm noch nicht einmal die Idee gekommen, dass sie noch andere Möglichkeiten hatten als diese eine?
 

„Naja… Weißt du, was das für uns bedeutet, wenn wir es behalten? Ich meine, wir könnten es auch zu Adoption freigeben.“ Dann begann sie, die Dinge aufzuzählen, die auf sie zukommen würden, angefangen damit, dass sie sich jeden Tag, jede Minute darum kümmern mussten, über den ernüchternden Fakt, dass sie noch nicht einmal mit der Schule fertig waren und ihre eigenen Pläne hinten anstellen mussten, bis hin zu der Tatsache, dass ein Kind ein Leben lang viel Geld kostete, nicht nur die ersten paar Jahre. Keiner von ihnen hatte einen richtigen Job und ob Jude sie unterstützen würde, war äußerst fragwürdig.
 

Natsu hörte ihr schweigend zu, sein Gesicht unleserlich und seine Augen unergründlich und dunkel. Als sie zu einem weiteren Punkt ausholte, fing er ihre gestikulierenden Hände ein und erklärte mit ernster Stimme: „Ich weiß das alles. Ich habe mir auch Gedanken gemacht. Es wird nicht leicht werden. Aber ich will es nicht weggeben. Auf keinen Fall. Das ist mein Kind. Unser Kind. Ich werde es auf keinen Fall weggeben. Warum redest du so?“ Er zog die Nase hoch und sein Blick irrte an ihr vorbei, als könnte er sie jetzt nicht direkt ansehen.
 

„Meine … Meine Mutter hat mich verlassen, ich weiß, wie sich das anfühlt, wenn da jemand sein sollte, der einfach nicht da ist. Ich werde dasselbe niemand anderem antun, schon gar nicht meinem eigenen Kind. Außerdem gehört es zu uns. Ich liebe es schon jetzt und ich habe es noch nicht einmal gesehen, das ist so verrückt!“ Er lachte kurz, als könnte er das Ausmaß seiner eigenen Gefühle nicht verstehen. „Wenn du es nicht willst, dann mache ich das alleine!“ Jetzt sah er sie wieder direkt an und seine Augen waren voller Emotionen – Zorn, Unglaube, Verwirrung, als könnte er nicht ganz verstehen, warum sie ihm diesen Vortrag hielt.
 

Erschrocken starrte sie zurück. „Oh, Natsu.“ Sie drehte ihre Hände, so dass sie ihre Finger mit seinen verschränken konnte. „Ich… So habe ich das nicht gemeint. Ich wollte einfach nur, dass wir beide wissen, worauf wir uns da einlassen. Ich… Ich habe nämlich viel nachgedacht und … und ich sehe das genauso.“ Sie nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn vorsichtig. „Okay?“
 

Sie schenkte ihm ein wackeliges Lächeln und statt einer Antwort zog er sie an sich, um den Kuss zu vertiefen. Das sagte mehr als tausend Worte und ein Stein fiel von ihrem Herzen. Sie wollte sich schon wieder streiten, nicht, nachdem sie sich erst versöhnt hatten, schon gar nicht über so ein dummes Thema.
 

„Was unsere Väter angeht…“, fuhr sie fort, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten. „Da habe ich mir am Wochenende auch schon so meine Gedanken gemacht. Mein Vorschlag wäre, wir weihen Igneel so schnell wie möglich ein. Am besten heute noch. Ich meine, eigentlich sind wir ja richtig spät dran. Normal Eltern wissen schon viel früher, dass sie Großeltern werden.“
 

Natsu dachte einen Moment nach, dann nickte er. „So machen wir das. Wir machen um vier Schluss, bring einen Kuchen mit, dann können wir ihn gnädiger stimmen.“
 

„In Ordnung.“ Wenn Jude auch nur so einfach zu bestechen wäre, wäre das toll. Aber er war ein ganz anderes Paar Schuhe.
 

„Und dein Vater?“, fragte Natsu jetzt vorsichtig nach. Natürlich bemerkte auch er diesen riesigen Elefanten, der im Zimmer stand. Der, wegen dem erst alles so ausgeartet war.
 

Sie seufzte. „Das wird schwerer. Aber ich denke, dass ich es auch noch in dieser Woche machen muss. Wenn er von allein drauf kommt, dann wird die ganze Sache nur noch viel schlimmer und die Hausmädchen tratschen schon. Und ich werde das allein machen.“ Das war ein Punkt, bei dem sie nicht mit sich verhandeln lassen würde.
 

„Aber…!“, begann er natürlich sofort seinen Widerspruch, doch sie schnitt ihm das Wort ab.
 

„Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht.“, erklärte sie mit entschlossener Stimme und blickte ihm fest in die Augen: „Glaubst du, das hat irgendeine Chance auf ein gutes Ergebnis, wenn du dabei bist? Nach allem, was vorgefallen ist und wie er dich immer behandelt hat?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss und will das alleine durchziehen. Es geht nicht nur um das Baby oder um dich, es geht in diesem Gespräch vor allem um mich selbst. Um mein Leben. Und dieses eine Mal muss ich mich ihm allein stellen.“
 

Natsu verzog unwillig den Mund und zog die Augenbrauen zusammen, nickte aber nach einem Moment. Zumindest schien er ihre Gründe einzusehen, auch wenn er nicht erfreut darüber war.
 

Sie fuhr fort, als hätte er gar nicht reagiert: „Keine Sorge, er wird … er wird keine Hand an mich legen. Das verspreche ich dir.“
 

„Okay. Wenn du meinst…“ Er klang noch nicht ganz überzeugt.
 

„Es gibt zwei mögliche Arten, wie dieses Gespräch ausgehen kann. Erstens, er sieht ein, dass ich nicht von meiner Entscheidung abweichen werde, dass ich hier in Magnolia bleibe und mein Kind behalte und mich auf keinen Fall von dir trenne. Er akzeptiert mich, wie ich bin. Das wäre natürlich das Optimum. Oder zweitens, und das halte ich für wahrscheinlicher.“ Sie holte tief Luft. „Er wird mich rauswerfen.“
 

Da, sie hatte auch das endlich ausgesprochen. Sie hatte der bitteren Wahrheit ins Gesicht gesehen und es tat nicht einmal so sehr weh, wie sie es gedacht hatte. Vielleicht war der ganze Schmerz schon draußen, weil sie es schon so lange mit sich herumtrug.
 

„Und wenn das passiert, muss ich wissen, wo ich hinkann.“
 

„Na, du kommst natürlich hierher!“, erklärte Natsu mit der größten Selbstverständlichkeit. „Wir kriegen das schon irgendwie hin.“
 

Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. Manchmal wünschte sie sich seinen Optimismus. Wenn das Leben doch nur so einfach wäre, wie er es sich machte! „Denkst du nicht, dein Vater könnte etwas dagegen haben?“, wollte sie wissen. Sie konnte es zwar auch nicht glauben, Igneel war einer der besten, großzügigsten und freundlichen Menschen, die sie kannte. Aber dieser spitze Stachel des Zweifels ließ sich einfach nicht abschütteln und er hatte sie sogar so weit gebracht, sich nach Alternativen umzusehen und Möglichkeiten, die ihr offen standen, wenn es zum Schlimmsten kam. „Immerhin ist es seine Wohnung.“ Und sein Geld und seine Zeit und sein Leben.
 

Natsu lachte. Es war nicht gehässig oder gar bösartig, sondern eher erleichtert und voller ehrlicher Freude. Dann stand er auf, zog sie hoch und nahm sie in die Arme. „Denkst du wirklich, er lässt dich einfach auf der Straße sitzen? Oder mich oder sein Enkelkind? Da kennst du ihn aber schlecht!“ Er küsste sie auf sie Schläfe. „Außerdem liebt er dich wie eine Tochter. Mach dir keine Sorgen. Nachher sprechen wir mit ihm und dann kommt schon alles in Ordnung.“
 

Sie hoffte nur, dass er recht hatte.

13. Kapitel, in dem Igneel geschockt wird

Kurz nach vier kehrte Lucy in die Werkstatt zurück. Sie trug dabei vorsichtig den scheinbar immer schwerer werdenden Karton in elegantem Dunkelblau vor sich her, in dem sich der himmlische Schokoladenkuchen aus der teuren Konditorei befand, den Igneel besonders liebte. Nicht, dass Natsu und sie selbst ihn nicht auch gerne aßen, aber Igneel war der Grund gewesen, warum sie gerade diese Torte ausgewählt hatte. Sie war sich nicht erhaben über ein paar schmutzige Tricks, um ihren zukünftigen Schwiegervater gnädig zu stimmen. (Nicht, dass sie ihn jemals laut so nannte! Sie würde es vor jedem verneinen, dass sie auch nur daran dachte. Trotzdem… Es hatte einen schönen Klang.)
 

Natsu war im Moment damit beschäftigt, die Werkstatt zu kehren, wobei er damit auch beinahe fertig war. Igneel stand in der Tür zum Büro und sprach in sein Handy. „… schade.“, sagte er gerade. „Aber ich verstehe dich. Pass nur auf dich auf, in Ordnung. Ich hoffe, dich dann spätestens an Weihnachten zu sehen!“
 

Nachdem sein Gesprächspartner geantwortet hatte, grinste er wie ein kleiner Junge. „Und diese Tradition dürfen wir nicht brechen.“ Sein Blick fiel auf Lucy und sein Gesicht hellte sich noch weiter auf, als er die unverkennbare Box in ihren Armen bemerkte. Sie winkte ihm lächelnd zu und richtete die Box auf ihren Armen. „Hör mal, Brüderchen, ich muss jetzt Schluss machen. Wir bekommen gerade Besuch.“
 

Für ein paar Momente sagte er nichts weiter, dann nickte er und schimpfte spielerisch: „Tu nicht so, als ob du nicht selbst etwas zu tun hättest.“ Er schnaubte und lachte dann. „Okay, aber vergiss nicht, dich zwischendurch mal zu melden, du bist immer so schwer zu erreichen. Bis dann. Tschüss.“
 

Sein Handy piepste leise, als er den Anruf beendete und dann wandte er sich Lucy zu. „So sieht man sich wieder.“, begrüßte er sie und fragte mit einem vielsagenden Blick auf den Karton: „Was ist der Anlass?“
 

„Mir war einfach danach.“, gestand Lucy gespielt verlegen. Sie würde das Geständnis sicher nicht hier bringen und schon gar nicht, ehe Igneel sich nicht mindestens ein Stück dieses Kuchens einverleibt hatte! „Und Natsu hat gesagt, ich soll zum Kaffee voreikommen.“
 

„Nicht, dass ich mich beschweren will… Ich bin übrigens froh, dass ihr euch wieder vertragen habt.“, begann Igneel, doch sein Sohn wurde endlich auf sie aufmerksam.
 

„Hey, Luce!“ Natsu warf seinen Besen von sich und stürmte auf sie zu, um sie zu küssen, wobei er darauf achtete, ihren schokoladenen Schatz nicht zu zerquetschen. „Geh schon mal hoch, wir kommen gleich nach. Kannst ja schon mal einen Kaffee aufsetzen!“
 

Igneel nickte ihr zu und begann, noch etwas herumliegendes Werkzeug einzusammeln. Lucy folgte dem Vorschlag mit einem leichten Winken in die vage Richtung der beiden, während sie den Weg zur Haustür einschlug. Diese war nicht abgeschlossen, ebenso wenig die Wohnungstür, und sie stellte ihren Karton auf dem Esstisch in der unordentlichen Küche ab.
 

Der Unterschied der kleinen, unaufgeräumten, aber immer behaglichen Wohnung der Dragneels zur Heartphiliavilla könnte nicht größer sein. In letzterer war alles größer und schöner und besser, alles war stets sauber und an seinem Platz. Es roch konstant frisch und helles Licht fiel durch die beträchtlichen Fenster in die großzügigen Räume. Eigentlich war die Villa perfekt, wer träumte denn nicht, in einem solchen Domizil zu leben?
 

Trotzdem fühlte sie sich seit Jahren in diesem kleinen Apartment wohler als Zuhause. Hier war sie jedenfalls immer willkommen gewesen, fand Gesellschaft, Trost und Zustimmung ohne Bedingungen und Vorbehalte, während die ignorierten Probleme und Streitfragen mit ihrem Vater stets zugenommen hatten, auch wenn sie sie sich nicht eingestanden hatte.
 

Mit geübten Handgriffen schaufelte sie Kaffeepulver in die Maschine und schaltete sie an, nachdem sie das Wasser aufgefüllt hatte. Natsu war es gewesen, der ihr das beigebracht hatte – Zuhause musste sie dafür nur ein Dienstmädchen fragen oder wenn sie sich besonders entgegenkommend fühlte, den Koch.
 

Dies war ihr erst aufgefallen, als ihre Freundschaft mit Natsu und den anderen enger geworden war. Ihr fehlten so viele grundlegende Fähigkeiten, die man für das Leben brauchte, die ihre Freunde bereits hatten. Aber wie konnte sie solche alltäglichen Dinge lernen, wenn sie stets für sie erledigt wurden?
 

Dieser Gedanke fuhr er jetzt erneut durch den Kopf. Sie hatte schon lange nicht mehr daran gedacht; vielleicht lag es daran, dass ihr jetzt drohte, all das zu verlieren, was sie früher als selbstverständlich erachtet hatte und ihr Leben sich grundlegend ändern würde, in mehr als nur einer Hinsicht.
 

Dann schüttelte sie den Gedanken ab und begann, den Tisch zu decken, wobei sie das genutzte Geschirr, das noch darauf stand, in der Spülmaschine verstaute. Die Dragneels führten einen echten Junggesellenhaushalt und keinen von beiden interessierte es, ob die Frühstücksteller noch am Abend auf dem Tisch standen. In dieser Küche, fiel ihr dabei auf, kannte sie sich besser aus als in ihrer eigenen.
 

Als Natsu und Ingeel hereinkamen, gewaschen und umgezogen, schüttete sie gerade den Kaffee in die Kanne um und die Torte war bereits angeschnitten. „Du verwöhnst uns, Lucy.“, bemerkte Igneel, während er sich setzte.
 

Lucy lächelte nur, wohl wissend, dass hier gar nichts einfach so und ohne einen Anlass geschah, und glitt neben Natsu auf die Bank, der sich bereits den ersten Bissen in den Mund schob. „Ich mache das gern.“, antwortete sie und griff ihrerseits nach der Gabel.
 

Die kleine Kaffeepause wurde zu einem gemütlichen Beisammensein, mit einem lockeren Gespräch über den Tag, das letzte Wochenende und den Pontiac Firebird, den Natsu sich gerade ausgesucht hatte, um ihn auf Vordermann zu bringen. Lucy schaffte es, sich zu entspannen und die Angst vor dem Gespräch, das gleich kommen würde, zurückzudrängen. Der Knoten, der in ihrem Magen saß, verschwand jedoch nicht.
 

Nach dem zweiten Stück Kuchen und mit der dritten Tasse Kaffee in der Hand lehnte Igneel sich zurück, sah sie an und fragte: „So, und jetzt, da ich gestärkt und ausgeruht bin, wollt ihr mir verraten, was ihr ausgefressen habt?“
 

Schlagartig wurde es Still und die beiden Teenager wechselten einen ertappten Blick. Sie hätten es sich echt denken können, dass Igneel etwas merkte! Der Mann war nicht dumm und äußerst aufmerksam. Außerdem kannte er sie beide in- und auswendig. Kein Wunder, dass er ihre Ausreden sofort durchschaut hatte.
 

Er räusperte sich, als sie nach einer gefühlten Ewigkeit noch immer nicht antworteten, und zog fragend eine Augenbraue hoch, als sie ihn wieder ansahen. „Nun?“
 

„Also…“, begann Lucy und ihre Hände schwitzten auf einmal. Sie stellte ihre Teetasse auf den Tisch ab und sie krampfte die Finger in dem Saum ihres leichten Pullovers, der lang genug war, dass er ihr fast als Minikleid reichte.
 

Natsu fing beinahe gleichzeitig an: „Ich… Wir…“
 

Sie verstummten wieder und blickten sich erneut an.
 

„Sag du’s.“, drängte sie ihn, immerhin war das sein Vater, während er gleichzeitig im selben Moment meinte: „Du kannst das viel besser als ich.“
 

„Denke nicht, du kannst es auf mich abzuschieben!“ Außerdem stand ihr das noch einmal bevor! Und Natsu würde dann nicht bei ihr sein um sie zu unterstützen! Geflissentlich ignorierte sie die Tatsache, dass sie selbst darum gebeten hatte, dass er nicht dabei sein würde, wenn sie mit Jude sprach.
 

„Nein, ich meine das ernst!“, protestierte er weinerlich. „Du…“
 

„Natsu.“, unterbrach Igneel die aufkommende Diskussion und blickte seinen Sohn eindringlich an. „Raus mit der Sprache.“
 

Natsu schluckte deutlich und wandte sich von seiner Freundin ab. Er holte tief Luft und- „Lushiischschwanger.“, nuschelte er dann so schnell, dass die Worte verwischten. Wenn Lucy nicht gewusst hätte, was er sagen wollte, hätte sie jedenfalls gar nichts verstanden.
 

Igneel ging es ähnlich, denn er blinzelte nur. Dann setzte er sich auf und stellte seine Tasse ab. „Wiederhole das. Aber langsamer.“
 

Natsu tastete nach Lucys Hand, so dass sie seinen Händedruck erwidern konnte, und sagte erneut, wenn auch diesmal weit deutlicher: „Lucy ist schwanger.“
 

Keine Chance, da etwas zu missverstehen. Man könnte eine Stecknadel fallen hören, so still war es. Igneel starrte seinen Sohn an, als hätte dieser etwas im wahrsten Sinne des Wortes Unglaubliches gesagt. Dann stützte er das Gesicht in die Hände und murmelte etwas, das wie „Oh, Natsu…“ klang.
 

Sein Gesichtsausdruck war noch immer unleserlich, als er wieder aufblickte. „Ich…“, begann er, dann schüttelte er den Kopf. „Entschuldigt mich einen Moment.“ Damit stand er auf und verließ den Raum.
 

Die beiden Teenager sahen sich betreten und geschockt an an. Lucy hätte wirklich gedacht, dass Igneel diese Nachricht besser aufnehmen würde. Was, wenn er es auch nicht akzeptieren würde? Was würden sie dann tun? Wenn Jude und Igneel sie beide dafür … verstoßen würden, dann…
 

Ja, was dann?
 

Lucys so fein säuberlich ausgearbeiteter Plan beruhte darauf, dass Igneel zumindest sich auf die Situation einstellen würde. Auf einmal hatte sie Angst. Ihre Situation würde um ein vielfaches schwieriger sein, wenn sie ganz auf sich gestellt wären, ohne die Unterstützung eines Erwachsenen. Sie brauchten Igneel. Ihr war plötzlich zum Heulen zumute.
 

„Lucy, ich…“, begann Natsu hilflos und nahm sie in die Arme. Für eine Weile saßen sie in betretenem Schweigen zusammen und hielten sich gegenseitig fest. Sie spürte, wie Natsu nach Worten suchte, doch ausnahmsweise war selbst er einmal darum verlegen. Trotzdem versuchte er es: „Wir kriegen das schon hin. Wir…“
 

Er wurde unterbrochen, als sein Vater zurückkam. „Okay. Entschuldigt.“, sagte Igneel, als er sich wieder setzte. Er wirkte immer noch überwältigt von der Nachricht und sein Haar stand wild in alle Richtungen ab, als hätte er es gerauft. „Ich musste das erst einmal verarbeiten.“
 

Lucy stieß ein kurzes Lachen aus und zog die Nase hoch. Als ob sie das nicht selbst wüsste.
 

Igneel griff über den Tisch und nahm ihre Hand in seine. „Ich wollte euch nicht erschrecken.“, erklärte er und seine Stimme nahm einen so liebevollen Tonfall an, dass ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen stiegen. Sie erwiderte Igneels Händedruck und wischte sich mit dem Handballen der anderen Hand die Tränen aus den Augen.
 

Igneel tätschelte ihre Hand und Natsu reichte ihr ein Taschentuch, einen hilflosen Ausdruck im Gesicht. „Lucy…“, begann er, doch sie wehrte ihn ab und holte tief Luft, um sich unter Kontrolle zu bringen. Sie wollte jetzt nicht zu einem plärrenden Häufchen Elend verkommen.
 

Nachdem sie sich geschnäuzt und die Augen getrocknet hatte, holte sie tief Luft und nickte. Sie schaffte es sogar wackelig, Igneels ermunterndes Lächeln zu erwidern. Zwar fühlte sie sich noch immer aufgewühlt, doch dieses Verhalten seinerseits konnte nur bedeuten, dass er sie nicht vor die Tür setzen würde.
 

„Diesem Geständnis und eurer Haltung nach zu urteilen, wisst ihr schon ganz genau, was ihr machen wollt?“, begann er langsam und blickte sie nacheinander forschend an.
 

Lucy rutsche näher zu ihrem Freund und verschränkte ihre Finger mit seinen, während sie nickte. „Wir haben darüber gesprochen.“, kam Natsu ihr zuvor, das Gesicht ernst und entschlossen. Er nahm den Arm nicht von ihren Schultern weg. „Und wir werden das Baby nicht weggeben. Auf keinen Fall! Ich werde niemanden aufgeben, wie Ma es mit uns getan hat.“
 

Igneel sah aus, als hätte jemand ihn geschlagen. Für einen Moment war es still. „Oh, Natsu.“, murmelte er dann erneut, doch sein Tonfall war komplett anders als vorher. „Sie hat nicht…“
 

„Nein, komm mir jetzt nicht damit!“ Zornig starrte Natsu seinen Vater geradeaus an. „Ich weiß, dass die Situation komplizierter war, aber sie ist nicht mehr da und sie hat sich dafür entschieden, also hat sie uns verlassen. Ich werde das nicht auch tun! Niemals! Und Lucy sieht das auch so. Ganz egal, was wir dafür aufgeben müssen.“ In seiner Stimme schwangen Zorn und Trauer mit und wilde Entschlossenheit.
 

Ingeel sah ihn lange schweigend an, doch da war kein Zorn in seinem Gesicht, nur Trauer. Natsu wich seinem Blick nicht aus, sondern erwiderte ihn fest. Lucy nahm seine Hand wieder in ihre und sie fühlte sich so erleichtert. Natsu mochte zwar noch nicht genau wissen, worauf er sich da einließ, aber er würde eher sterben, als seine Familie allein zu lassen. Und wenn diese Familie auf diese Weise wuchs, so unbeabsichtigt es auch war, dann würde er sich darauf eben einstellen. So war er nun mal, diese Loyalität war einer der Gründe, warum sie ihn so liebte.
 

Igneels Blick wanderte zu ihr und sie brauchte einen Moment, um es überhaupt zu bemerken. Dann erwiderte auch sie ihn mit aller Entschlossenheit, die sie aufbringen konnte, während sie versuchte, ihm zu vermitteln, dass sie sich nicht Hals über Kopf in diese Sache hineinstürzte. Auch sie war wild entschlossen, für ihr Kind die Mutter zu sein, die es verdiente, und es nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
 

„Glaub mir.“, sagte sie mit fester Stimme, in die sie so viel Überzeugung legte, wie sie nur konnte. „Ich weiß, worauf ich mich hier einlasse und ich habe es mir überlegt. Auch wenn es bedeutet, dass ich nicht studieren gehe, wie ich es wollte. Dann suche ich mir halt einen anderen Job. Auch wenn es bedeutet, dass ich nicht reisen oder auf Partys gehen kann, wie ich das möchte, dann ist das halt so.“ Sie hielt einen Moment inne. „Und wenn es bedeutet, dass mein Vater nicht mehr mit mir spricht, dann kann ich das auch nicht ändern.“
 

Igneel blickte auch sie eine lange Zeit an, schließlich nickte er. „Natsu… Schau mich nicht so an. Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Ich habe sie auch geliebt.“ Er holte tief Luft. „Und ich verlange auf keinen Fall von dir, etwas zu tun, was du nicht willst, wofür hältst du mich?“ Er klang gleichmäßig und ruhig, doch Lucy konnte den mühsam beherrschten Unterton heraushören. Natsu allerdings entspannte sich neben ihr langsam und atmete dann tief auf.
 

Igneel nickte ihm kurz zu und wandte sich dann wieder an Lucy. „Ihr habt wohl noch nicht mit Jude gesprochen?“
 

Sie schüttelte den Kopf und Natsu drückte ihre Hand und sie war ihm so dankbar für diese schweigende Unterstützung. Sie hatte sich zwar bereits auf das möglichste Ergebnis eingestellt, doch das machte es nicht einfacher. „Es ist so“, begann sie vorsichtig nach Worten suchend, „dass er … meine Entscheidung vermutlich nicht akzeptieren wird. Er möchte mich sowieso schon auf ein Internat schicken, damit ich nicht mehr mit Natsu zusammen sein und mich stattdessen ganz auf meine Rolle als seine Tochter vorbereiten kann. Dabei bemerkt er gar nicht, dass ich das gar nicht will. Oder vielleicht ist es ihm auch egal.“ Sie blickte auf die hölzerne Tischplatte mit ihren Kratzern und Verfärbungen, die von dem Alter des Tisches sprachen. Jude hätte ein solch abgenutztes Möbelstück niemals in der Villa geduldet, aber hier passte es perfekt herein. Ob sie hier in Zukunft öfter essen würde?
 

„Und was macht ihr, wenn das so ist?“
 

„Dann kommt sie hierher.“, bestimmte Natsu aufmüpfig. Wollte er seinen Vater unbedingt absichtlich provozieren oder worauf legte er es gerade an?
 

Lucy warf ihm einen scheltenden Blick zu, plötzlich nicht mehr so sicher, dass das alles so laufen konnte, wie sie sich das im Moment vorstellten. Noch vor einer Stunde hatte sich dies alles toll angehört, einfach, als wäre es keine riesige Umstellung für sie alle, aber vor allem für sie selbst.
 

Denn jetzt, da sie direkt Igneel gegenüber saß, zweifelte sie.
 

Es war leicht zu sagen, dass sie wohnen würde, aber in Wahrheit war Igneel nicht Jude und hatte auch nicht seinen Reichtum. Die Wohnung war gemütlich und klein, er schwamm nicht in Geld und eine zusätzliche Person und ein kleines Baby, das war teuer und anstrengend und sowieso, vielleicht wollte er das gar nicht und Lucy wusste nicht einmal, ob sie in solchen Verhältnissen leben konnte, sie hatte es noch nie getan, und was, wenn Igneel schlichtweg nicht wollte und…
 

„Ich möchte mich nicht aufdrängen.“, erklärte sie hastig. „Ich würde auch eine andere Lösung finden.“
 

Igneel schnaubte belustigt. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich so alleine im Regen stehen lassen würde, oder? Dich und diesen kleinen Dummkopf, der sich mein Sohn schimpft?“ Er stand auf und kam um den Tisch herum, um sie auf die Füße zu ziehen. Seine Hände lagen auf ihren Schultern, sicher und fest, und sein Lächeln war warm, als er sagte: „Und mein Enkelkind?“ In seiner Stimme lag so viel Wärme und Liebe, dass sie erneut schniefte. Sie fühlte sich glücklich, dass er sie einfach so annahm, und gleichzeitig brach ihr das Herz, weil sie an ihren eigenen Vater dachte.
 

Er zog sie in eine herzliche Umarmung, die sie mit aller Macht erwiderte, die sie hatte, und lehnte die Stirn an seine Brust. „Nicht weinen, Lucy.“ Seine tiefe Stimme vibrierte in seiner Brust und er roch nach Motoröl und seinem Aftershave.
 

Was hab ich dir gesagt?“, hackte Natsu gut gelaunt nach, der ebenfalls aufgestanden war und sich zu ihnen gesellt hatte.
 

Lucy lachte und weinte und streckte die Hand nach ihm aus, so dass er sich ihnen anschließen konnte. Igneel schlang einen Arm auch um seine Schultern und ließ sie eine ganze Weile nicht los.
 

Ihr war das ganz recht so. Sie wollte nicht lügen – sie hatte Angst vor dem Gespräch mit ihrem Vater. Aber im Moment schien es ihr nicht so schlimm zu sein, sie fühlte sich sicher und geborgen.
 

Hier würde sie immer Unterstützung finden.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Drei Tage nach dem Gespräch mit Igneel hatte sie ihre zweite Ultraschalluntersuchung und diesmal nahm sie Natsu mit. Er sollte dabei sein und sein Kind auch einmal auf dem Monitor anschauen können. Dort würde er sehen können, wie es sich bewegte, wenn er es auch noch nicht spüren konnte – aus irgendeinem Grund trat das kleine Würmchen in ihrem Bauch stets in die falsche Richtung, das hieß, gegen ihre Organe. Das erste Ultraschallbild hing inzwischen in der dragneelschen Küche am Kühlschrank.
 

Inzwischen wurde es schwerer, den Babybauch zu verbergen und die Blicke, die sie bekam, rangierten zwischen verwirrt über schockiert bis hin zu verächtlich. Ein paar Leute hatten auch diesen ‚Aw, Baby!‘-Blick, den Lucy schnell zu erkennen lernte. Allerdings war sie froh, dass all diese Blicke noch nicht sehr zahlreich waren. Noch funktionierten ihre Kaschierversuche ganz gut.
 

Grandine begrüßte die beiden Teenager mit einem freundlichen Lächeln und einem Händedruck. Unter ihrer Bluse zeichnete sich inzwischen ein sehr viel deutlicherer Babybauch aus, lange würde es nicht mehr dauern, bis sie in Mutterschutz kam. Lucy bedauerte dies, auch wenn sie sich von ganzem Herzen für ihre Freundin freute.
 

„Du bist also Natsu?“, begrüßte die Ärztin diesen mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen. „Ich freue mich, endlich die Person kennenzulernen, die Lucy so in Schwierigkeiten gebracht hat.“
 

Natsu wurde knallrot und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.
 

Die Ärztin grinste und führte sie in den Untersuchungsraum. Sie hieß Lucy auf dem Untersuchungsstuhl Platz zu nehmen und ihr langes T-Shirt hochzuziehen. Während sie Lucy für den Ultraschall fertig machte, erklärte sie die Prozedur, die gleich folgen würde, und welche Möglichkeiten sie danach hatten, um eventuelle Krankheiten und Fehlentwicklungen jetzt schon feststellen zu können.
 

„Und, habt ihr euch entschieden, ob ihr das Geschlecht wissen wollt?“, schloss sie ihren kurzen Vortrag. „Ich kann euch nicht versprechen, dass wir tatsächlich etwas sehen, manchmal ist es verdeckt. Außerdem gibt es natürlich keine hundertprozentige Garantie, dass es auch stimmt, was wir jetzt sehen. Aber ich will nicht mit der Information herausplatzen, wenn ihr euch eigentlich überraschen lassen wollt.“
 

„Auf jeden Fall wollen wir es wissen!“, erklärte Natsu lautstark. Er schrumpfte leicht unter dem tadelnden Blick der Ärztin zusammen.
 

Aber Lucy griff nach seiner Hand und nickte ebenfalls zustimmend. „Wir haben beschlossen, dass die Schwangerschaft selbst schon genug Aufregung ist, da brauchen wir das nicht auch noch.“ Außerdem würde Erza ihnen vermutlich ewig in den Ohren liegen, wenn sie es jetzt nicht erfragten.
 

Grandine lächelte nachsichtig und drehte den Bildschirm so, dass sie beide gut hineinsehen konnten. „Das kann ich verstehen. Also gut. Ich erkläre euch, was ihr seht.“ Damit zückte sie ihre Sonde.
 

Aufgeregt griff Lucy nach Natsus Hand und drückte sie. Er lächelte ihr von seinem Platz neben der Liege aus zu, noch viel aufgeregter als sie selbst. Gleich würden sie wissen, ob sie einen Sohn oder eine Tochter bekamen und Lucys Gedanken überschlugen sich. Sie wusste gar nicht, was ihr lieber wäre, aber am Ende spielte das auch keine Rolle.
 

Grandine setzte die Sonde auf und fuhr vorsichtig durch das kühle Gel auf ihrem Bauch, während sich auf dem Bildschirm ein Bild aufbaute. Und dann verkleinerte sicht Lucys Universum auf die winzige, winzige Gestalt, die sich darauf abzeichnete. Da waren sie, die kleinen Ärmchen und Beinchen und der übergroße Kopf und…
 

Ihre Augen fühlten sich plötzlich seltsam an, ihr Blickfeld etwas verschwommen, aber sie registrierte das nur am Rande. Sie bemerkte auch nicht, wie Natsu sich vorbeugte und sein Griff so stark wurde, dass er ihr beinahe die Finger zerquetschte.
 

Das alles spielte keine Rolle mehr, nur noch das kleine Würmchen, das sie jetzt zum ersten Mal richtig sehen konnte, viel besser als beim letzten Mal. Ein Gefühl des Staunens überkam sie, so tief und so mächtig, dass die Zeit selbst anzuhalten schien. Sie konnte nur durch den Mund atmen, zwang sich zu gleichmäßigen Atemzügen und zuckte heftig zusammen, als jemand sie zart am Arm berührte.
 

„Lucy, du weinst ja.“ Natsus Stimme riss sie aus ihrer gebannten Träumerei und dann wischte sein Daumen zart über ihre Wangen.
 

„Nein, tue ich gar nicht.“, protestierte sie, aber ihre Stimme klang belegt und als sie nach ihrem Gesicht tastete, bemerkte sie selbst die Feuchtigkeit darauf. „Es ist nichts.“, versicherte sie ihrem Freund, der sie besorgt und etwas hilflos anstarrte. „Es ist nur … Ich bin nur so gerührt!“ Damit brach sie wieder in Tränen aus.
 

„Keine Sorge, das ist ganz normal.“, erklärte die Ärztin Natsu, der von seinem Stuhl aufgesprungen war und jetzt ihre Hand hielt. „Ich wundere mich, dass das noch nicht früher oder öfter passiert ist.“
 

„Wie, das passiert öfter?!“ Natsu klang so entsetzt, dass Lucy unter ihren Tränen lachen musste und dankbar nahm sie die Packung mit den Taschentüchern entgegen, die Grandine ihr reichte.
 

Diese hob die Schultern. „Die Hormone. Keine Sorge, das geht vorbei.“ Sie warf einen Blick auf den Bildschirm. „Ich werde euch Ausdrucke machen und dann mit der Untersuchung beginnen. Wollt ihr, dass ich eine erweiterte Untersuchung durchführe? Das gehört schon zur Pränataldiagnostik, nicht jeder möchte dies wissen.“
 

„Aber wir.“, bestimmte Lucy ohne nachzudenken. Natürlich wollte sie es wissen. Alles, das schief gehen konnte, sollte ausgeschlossen werden. Sie hatte wahrlich schon genug Probleme.
 

„Können wir erst einmal das Geschlecht wissen?“, schaltete Natsu sich ein und setzte sich wieder. „Bitte?“
 

Lucy war erstaunt zu sehen, wie sich Grandines Wangen über ihren Faux Pas leicht rot färbten. Dabei war sie sonst immer so beherrscht! Aber offensichtlich hatte sie dieses kleine Detail komplett vergessen. „Natürlich, Verzeihung.“ Sie räusperte sich. „Das hätte ich sofort tun sollen.“
 

Sie veränderte die Position der Sonde etwas, um ein besseres Bild zu bekommen und starrte angestrengt auf den Bildschirm. „Ihr habt Glück, es ist deutlich zu erkennen. Hier, seht ihr?“ Sie deutete auf den Monitor. „Es ist ein Junge.“
 

Lucy wechselte einen freudigen Blick mit ihrem Freund und griff nach seiner Hand und diesmal war sie es, die zu fest zudrückte. Nicht, dass ihre Reaktion bei einem Mädchen anders ausgefallen wäre, aber …
 

Ein Junge! Sie bekamen seinen Sohn!
 

Sie hoffte immer noch, dass er Natsus Augen haben und sein unwiderstehliches Grinsen, das ihm so leicht auf die Lippen trat und dem sie niemals widerstehen konnte. So wie jetzt auch. Er beugte sich vor und küsste ihre Schläfe und er hielt ihre Hand ganz fest. Für den Moment fühlte sie sich einfach glücklich, voller Vorfreude und Erwartung.
 

Grandine war es, die sich nach einigen Minuten wieder einmischte: „So ungern ich euch störe, ich habe nur begrenzt Zeit, also fange ihc mit der Untersuchung an. Hast du dich schon an einem Geburtsvorbereitungskurs angemeldet?“ Sie öffnete die Patientenakte, die neben ihr auf dem kleinen Tisch lag, der zum Ultraschallgerät gehörte, um ihre ersten Ergebnisse zu notieren. „Es gibt übrigens auch Kurse, an denen die Väter teilnehmen können. Ihr solltet euch bald darum kümmern, ansonsten sind alle Plätze belegt.“
 

Lucy schüttelte den Kopf. „Nein. Ich … war ziemlich beschäftigt während der letzten Zeit.“ Erst der Streit und die Entscheidung, dann das Gespräch mit Igneel… Ruhe war ihr anscheinend nicht mehr vergönnt. Aber war das nicht nur ein Ausblick darauf, was noch folgen würde? Sie konnte nur hoffen, dass es nicht ganz so anstrengend werden würde, ein Kind großzuziehen. Auf jeden Fall würde es nicht so … so emotional schmerzhaft sein. Dabei hatte sie noch nicht einmal mit Jude gesprochen!
 

Grandine tätschelte ihr beruhigend den Arm. „Keine Sorge, es ist noch nicht zu spät. Ich schreibe dir das Zentrum auf, an dem auch ich meinen Kurs mache. Die haben ein tolles Angebot und du findest sicher einen Kurs, der für dich auch zeitlich passt.“
 

Lucy nickte dankbar. Das hatte sie völlig vergessen! Zum Glück konnte sie sich auf Grandine verlassen, die ihr zur Seite stand.
 

„Muss ich da mit?“, wollte Natsu wissen und Lucy warf ihm einen so bösen Blick zu, dass er geschlagen die Hände hob und zurückwich. Wenn der glaubte, er würde da drumrum kommen, hatte er sich aber geschnitten!
 

„Manche Dinge sollte man einfach hinnehmen.“, erklärte ihm die Ärztin jovial und grinste.
 

Die nächste halbe Stunde führte sie ihre Untersuchungen und Messungen durch und erklärte dabei genau, was sie tat, was jenes war und was dieses brachte. Dabei versicherte sie jedes Mal, dass sie nichts Auffälliges entdecken konnte und alles in Ordnung schien. Lucy hatte nicht wirklich die Zeit gehabt, sich darum auch noch Sorgen zu machen, ob das Kind sich vielleicht falsch entwickelte, doch es erleichterte sie trotzdem zu hören, dass alles so verlief, wie es sollte.
 

Im Anschluss überreichte Dr. Marvell Lucy einige Unterlagen sowie fünf Ultraschallbilder in einem Umschlag, über den die werdenden Eltern sich mehr freuten, als sie je zugeben würden, und verabschiedete sich. Allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die dritte Ultraschalluntersuchung von ihrer Kollegin durchgeführt werden müsste. Sie wäre zu dem Termin selbst im Mutterschutz. „Ein Mädchen.“, erklärte sie stolz und Lucy freute sich für sie.
 

Aber sie würde das schon schaffen. Sie hatte Natsu an ihrer Seite, Igneels Unterstützung und den Beistand ihrer Freunde. Mit dieser Hilfe könnte sie Berge versetzen. Ein Kind auf die Welt zu bringen und es großzuziehen, würde dagegen ein Klacks sein.
 

Sie hoffte inständig, dass sie mit dieser Einschätzung recht hatte.

3. Special, in dem Natsu etwas Wichtiges vergessen hat

Unruhig auf den Füßen wippend versuchte Natsu, seine Beunruhigung in Zaum zu halten, während er darauf wartete, dass sich die Tür öffnete. Er rieb sich die klammen Hände an der Hose und versuchte, sich unter Kontrolle zu bringen. Leider hatte er damit wenig Erfolg – wie auch, wenn sein gesamtes Leben davon abhing!
 

Erza war seine letzte Hoffnung! Wenn sie ihm nicht helfen konnte, dann war er verloren.
 

Erneut betätigte er die Klingel und wich dann einen halben Schritt zurück, während er den Blick durch den Garten schweifen ließ. Es war ein schöner Vorgarten, gepflegt, aber nicht zu sehr, doch er hatte kaum Aufmerksamkeit dafür übrig. Ein paar Spatzen plantschen in dem Vogelbad, das einige Meter entfernt stand, und eine rot getigerte Katze marschierte auf dem Zaun entlang, der das Grundstück von dem der Nachbarn trennte.
 

Natsu wollte gerade wieder klingeln, als die Tür geöffnet wurde. „Jaja, ein alter Mann ist doch kein D-Zug, du Knirps.“, beschwerte sich Makarov, doch seine vergnügt funkelnden Augen und das freundliche Lächeln straften der Worte Lügen. „Guten Abend, mein Junge.“
 

„Hey, Opa.“, grüßte Natsu zurück und spähte über den alten Mann hinweg den Flur entlang. Das bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten, denn trotz der großspurigen Worte war Makarov winzig. „Ist Erza nicht da?“
 

„Sie ist im Dojo.“, war die ruhige Antwort, die all seine Hoffnungen in sich zusammenstürtzen ließ. Das war das Ende! „Silver hat sie gebeten, bei den Kleinen für ihn einzuspringen.“
 

„Oh!“, machte Natsu bodenlos enttäuscht und sackte zusammen. Dabei war das so ein Notfall! Was sollte er denn jetzt tun? Er konnte sie jetzt noch nicht einmal stören, denn Erza nahm ihre Pflichten sehr ernst. Sie würde ihm vermutlich vor einer versammelten Mannschaft voller Knirpse den Kopf dafür abreißen, falls er es wagen sollte.
 

„Du siehst aus, als würde gleich die Welt untergehen.“, bemerkte Makarov freundlich. „Willst du nicht reinkommen? Vielleicht kann ich dir helfen. Ich habe auch den einen oder anderen Rat zu geben.“
 

Natsu zögerte nur einen Moment, dann folgte er dem alten Mann den Flur hinunter in ein helles, adrett eingerichtetes Wohnzimmer. „Setz dich doch.“, bot sein Gastgeber ihm an und verschwand dann in der Küche.
 

Natsu ließ sich schwer auf das Sofa fallen und betete zu allen Göttern, die ihm einfielen, dass Makarov ihm vielleicht helfen konnte. Zu wem sollte er sonst gehen? Gray wäre genauso aufgeschmissen wie er und morgen war schon Samstag und dann war keine Zeit mehr und dann würde Lucy ihn verlassen…! Und was würde er ohne sie tun?!
 

Sein Blick irrte unruhig durch den Raum, an dem alles sauber war und sich an seinem Platz befand. Auf den niedrigen Fensterbrettern drängten sich üppige Zimmerpflanzen und ein alter Plattenspieler dudelte leise Klassikmusik. Die Feenfiguren in ihrer Vitrine, die Makarovs verstorbener Frau gehört hatten, wirkten wie frisch poliert und schienen ihn vorwurfsvoll anzustarren. Aber das half ihm alles auch nicht weiter! Helfen würden sie ihm nicht.
 

„Also, worum geht es?“, schreckte Makarov ihn aus seinen Gedanken auf, als er mit einem Teller Kekse wieder das Wohnzimmer betrat.
 

„Cookies!“, freute sich Natsu sofort, einen Moment von seinem drängenden Problem abgelenkt, und griff begeistert zu.
 

„Na, darum sicher nicht.“, grinste Makarov und Natsu wurde rot.
 

„Nein.“, mampfte er und verschluckte sich beinahe an seinem Bissen. Er kaute hastig, um den Mund wieder freizukriegen, und erklärte: „Lucy hat bald Geburtstag. Am Montag um genau zu sein.“
 

Er erhielt ein Nicken als Antwort. „Sie hat uns bereits eingeladen.“ Wer auch immer uns war? Erza natürlich, Makarov und … etwa Laxus?
 

„Oh. Okay.“ Einen Moment den Wind aus den Segeln genommen blinzelte Natsu sein Gegenüber an, der es sich inzwischen auf dem Sessel bequem gemacht hatte. Dann erinnerte er sich wieder an den Grund für seine Panik und platzte heraus: „Ich habe noch kein Geschenk für sie! In den letzten Wochen ging alles so drunter und drüber und da hab ich es einfach vergessen! Sie wird mich hassen!“
 

Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, so dass sie in alle Richtungen abstanden, und hätte am liebsten geschrien. Wie konnte er dieses überaus wichtige Datum vergessen?! Und das, nachdem sie sich erst vor kurzem wieder vertragen hatten! Lucy würde ihn verlassen!
 

„Du hast doch noch ein paar Tage Zeit.“, tröstete Makarov und beugte sich vor, um ihm das Knie zu tätscheln. „Und Lucy ist nun wirklich nicht der Typ, der dich dafür gleich umbringt. Sie wird dich nur einen Kopf kürzer machen und dann darüber hinwegkommen.“ Das half nun wirklich nicht!
 

„Aber ich habe noch gar keine Idee!“, beklagte Natsu sich tief verzweifelt. „Und es soll etwas Romantisches sein! Sie steht doch auf solche Sachen. Dabei bin ich gar nicht gut damit!“
 

„Und darum wolltest du mit Erza sprechen.“, schlussfolgerte der alte Mann und Natsu nickte bekräftigend. „Sie weiß über Romantik Bescheid, auch wenn sie immer so tut wie ein echtes Mannsweib. Ich hab auch schon ein bisschen im Internet geschaut, aber ich weiß nicht so recht… Hundert rote Rosen oder ein romantisches Dinner oder irgendeinen kitschigen Liebesfilm erscheinen mir … blöd.“
 

Außerdem war das alles so klischeehaft. Er wollte etwas, das Lucy zeigte, wie viel sie ihm bedeutete. Etwas persönliches, nicht irgendso ein 08/15-Ding, das konnte doch jeder. Aber leider fiel ihm auf Teufel komm raus nichts ein und er zerbrach sich schon seit Tagen den Kopf darüber.
 

Am Ende würde er doch auf ein Dinner mit anschließendem Kinobesuch ausweichen müssen. Darüber würde sie sich zwar auch freuen, aber er wollte etwas Tolleres, Besseres, Einzigartiges… Außerdem würde sie ihn dann vermutlich darüber verlassen, weil er dann vermutlich im Kino einschlief.
 

„Zusätzlich… Was schenkt man jemandem, der sich alles selbst kaufen kann?“, grummelte er miesepetrig. Lucy hatte einfach viel mehr Geld als alle seine anderen Freunde zusammen. Das machte alles noch schwerer. Wie fanden sie bloß Jahr um Jahr trotzdem immer wieder etwas?
 

„Was mag Lucy denn besonders gerne?“, wollte Makarov wissen. „Was ist ihr wichtig und was genau spiel in ihrem Leben im Moment eine besondere Rolle? Ich weiß, ihr beide geht gerade durch eine schwere Zeit. Ich frage nicht, worum es geht, aber eine solche Zeit eignet sich immer besonders, um herauszufinden, was man wirklich will und den anderen zu zeigen, wie gut man sie trotz allem kennt. Das sind die Fragen, die du dir stellen musst und dann fragst du dich, was zu deiner Antwort passt.“
 

Natsu verzog nachdenklich das Gesicht. Eigentlich waren diese Fragen einfach zu beantworten. Natürlich hatte Lucy all ihre Hobbys und Liebhabereien, die ihr wichtig waren, doch er hatte so das Gefühl, dass Makarov nicht darauf anspielte, sondern auf die anderen Dinge – die großen, wirklich wichtigen Dinge im Leben.
 

Und das, was im Moment die größte Rolle spielte? Auch einfach zu sehen.
 

Im Grunde waren die Antworten auf beide Fragen ein und dasselbe – Familie und Freunde. Das Baby, Natsu, Gray und Erza, Auch Igneel und zu guter Letzt natürlich Jude.
 

Der war ein Thema für sich und Natsu hätte kein Problem damit, ihn nie wieder zu sehen. Doch Pantherlily hatte ihm zu denken gegeben und er hatte auch schon vorher gewusst, wie sehr Lucy an ihrem Vater hing.
 

Er befürchtete das Schlimmste, wenn er an das noch bevorstehende Gespräch zwischen Jude und dessen Tochter dachte, doch Lucy hatte die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Sie klammerte sich mit aller Macht daran, als könnte ihr Glaube allein Jude irgendwie umstimmen oder verändern. Natürlich wusste sie, wie gering die Chance für ein positives Endergebnis war, doch letzten Endes trug sie noch immer diese irrationale Hoffnung tief in ihrem Herzen.
 

Was, wenn doch…?
 

Natsu wusste, dass dies vergebene Liebesmüh war, und nahm sich einmal mehr vor, für sie da zu sein, wenn es zum endgültigen Bruch zwischen Vater und Tochter kam. Aber er konnte ihr nicht Judes Einverständnis schenken und wie packte er die anderen Erkenntnisse in ein Geschenk?
 

Eines, das er bezahlen konnte…? Er hatte in den letzten Monaten zwar ziemlich viel gespart und die Hargeontour hatte nicht halb so viel gekostet wie gedacht, aber das hieß noch lange nicht, dass er in Geld schwamm.
 

„Weißt du“, begann Makarov und drehte den Ehering an seinem Finger „manchmal ist man froh, wenn man von seinen Lieben etwas hat, das man mit sich herumtragen kann. Und wenn es nur eine winzige Kleinigkeit ist.“
 

„Ich soll ihr einen Ring schenken?“, platzte es aus Natsu heraus. Also, er liebte Lucy ja von Herzen und konnte sich nicht vorstellen, sie jemals zu verlassen, aber für diesen Schritt war er einfach noch nicht bereit!
 

Makarov stand auf, kam zu ihm herüber und versetzte ihm einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. „Aua!“, protestierte Natsu und rieb sich die Stelle.
 

Marakov kehrte seelenruhig zu seinem Sessel zurück. „Tu nicht so zimperlich, du bist nicht aus Zucker!“, rügte der alte Mann ihn streng. „Und ich rede nicht von einem Ring! Ich rede von etwas, das sie an dich spezifisch erinnert. Etwas, das sie immer mit sich tragen kann, zum Beispiel an einer Kette oder im Geldbeutel.“
 

„Ein Foto!“
 

„Zum Beispiel.“ Makarovs Tonfall zeigte, dass er ein wenig mehr erwartete als ein schnödes Foto, aber Natsu schon auf dem richtigen Weg war. Auch dieser musste zugeben, dass da was dran war. Lucy verdiente mehr als das.
 

„Ein Foto an einer Kette?“, versuchte er den Hinweis zu entschlüsseln, den Makarov ihm gegeben hatte. Wie sollte das denn funktionieren? Außer… Blitzartig fuhr er auf. Das war die Idee! „Genau das mache ich! Kennst du einen guten Juwelier in der Nähe?“
 

Amüsiert grinste der Alte vor sich hin und zwinkerte ihm zu. „Auf dem Kardia Platz ist einer. Nicht zu übersehen und die haben eine große Auswahl. Du wirst dort sicher etwas finden.“
 

Natsu verlor keine Zeit und sprang auf. „Danke, Opa!“, brüllte er, schon halb aus der Tür. Er war ekstatisch und wollte am liebsten sofort in die Stadt rennen um seine tolle Idee in Tat umzusetzen. Doch dann müsste er einbrechen, denn um diese Uhrzeit waren alle Geschäfte bereits geschlossen.
 

Trotzdem. Er hatte ein tolles, romantisches, brauchbares, wahrscheinlich (hoffentlich) bezahlbares Geschenk für Lucy, über das sie sich wie blöde freuen würde! Wenn das nicht mal eine gute Nachricht war! Sie würde ihn doch nicht verlassen!
 

„Und lass dich gut beraten, Natsu!“, rief Makarov hinter ihm her. „Lucy verdient besseres als billigen Tand!“

14. Kapitel, in dem Lucy erwachsen wird (offiziell zumindest)

Lucy hatte ein fließendes, lavendelfarbenes Kleid gewählt, das direkt unter ihrer Brust mit einem dunkelvioletten, breiten Satinband geschnürt wurde. Der Rock fiel ihr bis zu den Knien hinunter und auch wenn der Stoff leicht war und um ihren Körper flatterte, war es unmöglich, die leichte Wölbung ihres Bauches darunter auszumachen. Das hatte letztendlich den Ausschlag dafür gegeben, genau dieses Kleid zu wählen. Eine Weile musste sie noch ausharren und es verstecken.
 

Es war Punkt sechs Uhr abends, als Glanville sie vor dem Pearl & Rose ablieferte, dem schicksten Restaurant der Stadt. Hier würde sie ihren Vater treffen, um ihren Geburtstag zu feiern. Erst danach würde sie mit ihm sprechen, über sich, ihre Zukunft, ihre Träume und ihr Baby – und über ihn. Was danach geschehen würde, lag allein in Judes Hand.
 

Aus irgendeinem Grund sah sie dieser Unterredung ruhig entgegen. Vielleicht, weil sie ihre Entscheidung getroffen hatte und darin nicht mehr wanken würde. Sie hatte ihre Richtung und sie würde versuchen, ihre Beziehung mit ihrem Vater zu retten, aber er würde sie und ihre Entscheidungen respektieren müssen.
 

Igneel hielt es für das Beste, bis nach ihrem Geburtstag zu warten. Immerhin wurde sie achtzehn und war damit erwachsen, konnte über sich selbst bestimmen und war offiziell eigenständig. Ihr Vater würde kein Schlupfloch finden können, sie zu etwas zu zwingen, das sie nicht wollte.
 

Außerdem hatten sie so noch eine knappe Woche gehabt, noch ein paar Dinge vorbereiten und schon einige von Lucys Sachen unauffällig in die Wohnung der Dragneels umzuziehen. Sollte das Gespräch mit ihrem Vater nicht den befürchteten Verlauf nehmen, wären diese Dinge schnell wieder in der Villa und Jude würde nicht einmal etwas merken.
 

Wenn sie mit ihren schlimmsten Befürchtungen allerdings Recht behielt, dann würde sie froh sein, nicht mit fünf Koffern umziehen zu müssen – sie musste sowieso den größten Teil ihres Besitzes zurücklassen müssen. Nicht nur, dass es zu umständlich und geradezu unmöglich war, einige Dinge mitzunehmen, es war auch schlichtweg zu viel. Ihre persönliche Zimmerflucht war beinahe größer als die gesamte Wohnung der Dragneels.
 

Nächste Woche würde die Schule wieder anfangen und Gray war auch wieder zurück, wenn auch erst seit ein paar Stunden. Sie sah der Begegnung mit ihm mit gemischten Gefühlen entgegen – einerseits freute sie sich darauf, ihn wiederzusehen, war er doch drei volle Wochen weg gewesen und auch davor hatte sie nicht viel von ihm gehabt. Andererseits hatte sie seine Worte nicht vergessen.
 

Aber, entschied sie, diese Aussprache würde noch kommen. Jetzt wollte sie aber erstmal ihren Geburtstag genießen! Man wurde nur einmal achtzehn und sie hatte sich dagegen entschieden, eine große Party zu schmeißen. Nach dem Abendessen mit ihrem Vater würde sie für eine kleine Feier zu den Dragneels hinübergehen, nur im engsten Kreis ihrer Familie und Freunde.
 

Aber eins nach dem anderen.
 

Sie straffte die Schultern und marschierte durch die blitzblanken Glastüren in das Restaurant. Es war sehr geschmackvoll und schick, in modernem Weiß und Schwarz gehalten mit viel Glas und Chrom. Sattgrüne Pflanzen – teilweise mit großen, bunten Blüten – brachten etwas Farbe hinein, genauso wie blasse, edle Bilder von Rosen in Pastellfarben.
 

Die Empfangsdame in einem eleganten schwarzen Kleid schenkte ihr ein warmes Lächeln, als sie eintrat. „Herzlich Willkommen im Pearl & Rose, Miss Heartphilia.“, begrüßte sie sie. „Bitte folgen Sie mir, ich werde Sie zu Ihrem Tisch führen.“ Ihre hochhackigen Schuhe klackerten auf dem Marmorboden, als sie Lucy die Treppe hinauf auf eine kleine Terrasse führte, auf der nur wenige Tische verteilt waren. Sie wurden mit Raumteilern und Pflanzen voneinander getrennt, so dass die Illusion von Privatsphäre entstand.
 

Jude wartete schon an einem Tisch nahe der Brüstung, von dem man eine fantastische Aussicht über die Stadt hatte. Es war noch früh, also konnte man gut über die Dächer sehen, bis hin zum Hafen und dem Meer dahinter, dem sich gerade die Sonne zuneigte. Der Himmel in der entgegengesetzten Richtung färbte sich bereits dunkelblau und schwarz und es waren schon zahlreiche Fenster beleuchtet.
 

Jude stand auf, als er sie kommen sah, und nahm ihre Hände, um sie zu begrüßen. „Du siehst wunderschön aus, Lucy. Eine richtige Dame schon.“ Stolz und Zuneigung schwangen in seiner Stimme mit und sie wurde plötzlich von einem wilden Gefühl der Liebe gepackt.
 

Sie erwiderte sein Lächeln und seinen Händedruck und dann fühlte sie sich schlecht. Morgen oder spätestens übermorgen würde sie vermutlich den Rest von dem brechen, was von seinem Herzen noch übrig war. Sie würde ihm zeigen, dass sie nicht die perfekte Tochter war, für die er sie im Moment behielt.
 

Nein, erinnerte sie sich selbst, er hat die Wahl. Wenn er sie nicht so akzeptierte, wie sie war, und ihre Wünsche nicht anerkennen konnte, hatte er sich das selbst zuzuschreiben. Sie würde keinen Schritt weichen.
 

Die Empfangsdame entfernte sich mit einem dezenten: „Ihr Essen wird sofort serviert.“
 

Jude drückte noch einmal ihre Hand. „Alles Gute zum Geburtstag, meine kleine Prinzessin.“
 

Dann führte er sie zu ihrem Platz, wobei er als ein Gentleman ihren Stuhl zurückzog. Lucy ließ es sich ohne ein Wort gefallen, ebenfalls die Tatsache, dass er offensichtlich bereits beschlossen hatte, was sie essen würden. Genauso, wie er ihr am Morgen durch das Hausmädchen hatte mitteilen lassen, dass sie um diese Uhrzeit im Pearl & Rose essen würden, um ihren Geburtstag zu feiern.
 

Er hatte nicht einmal gefragt, ob sie schon etwas vorhatte! Er hatte es einfach beschlossen, davon ausgehend, dass sie seinen Anordnungen folgen würde. Vielleicht hätte sie ja eine große Party feiern wollen, immerhin war es ihr Achtzehnter! War er schon immer so beherrschend gewesen? Warum war ihr das nie aufgefallen? Und warum stürzte ausgerechnet dieser Abend sie in ein solches Auf und Ab?
 

„Wie war dein Tag?“, erkundigte er sich, während er seine Serviette entfaltete.
 

„Gut.“, antwortete Lucy und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas, das bereits an ihrem Platz stand. Tatsächlich hatte sie nicht viel mehr gemacht als die Geschenke auszupacken, die die Hausmädchen ihr mit dem Frühstück gebracht hatten. Ein paar davon waren von Jude gewesen, andere aus dem weiten Kreis von Bekannten und Bewunderern der Familie Heartphilia. Ziemlich wenig davon hatte wirklich ihren Geschmack getroffen.
 

„Es tut mir leid, dass ich heute nicht länger mit dir etwas unternehmen kann, aber ich hatte einige wichtige Besprechungen.“, erklärte Jude seine Abwesenheit.
 

Lucy enthielt sich eines Kommentars – wann bitte hatte er die denn nicht? – sondern lächelte ihn nur nichtssagend an.
 

„Aus dem gleichen Grund muss ich in eineinhalb Stunden schon wieder ins Büro. Zeitverschiebung, du verstehst?“
 

„In Ordnung.“ Tatsächlich hatte sie darauf gebaut, dass er nach dem Essen keine Zeit für sie haben würde, ansonsten könnte sie die kleine Party vergessen. Entsprechend hatte sie sowieso nicht vor, ihn mit zu den Dragneels zu nehmen. Allein der Gedanke war so lächerlich, dass sie beinahe gekichert hätte. Doch sie konnte sich gerade noch beherrschen und räusperte sich, um das kleine Geräusch zu überspielen, das ihr dennoch entschlüpft war.
 

„Ich hoffe, wir können trotzdem einen angenehmen Abend miteinander verbringen.“, beendete Jude seine kleine Rede und dann hellte sich sein Gesicht auf. „Ah, da kommt unsere Vorspeise.“
 

Tatsächlich war es nur ein Hors d’œuvre auf einem winzigen Tellerchen. Natürlich waren die kleinen, mit Frischkäse gefüllten Tomaten so zart, dass sie auf der Zunge zergingen. Den Serranoschinken dagegen ließ sie liegen – sie hatte ihn auf einer Liste von Lebensmitteln gefunden, die man in der Schwangerschaft vermeiden sollte.
 

„Mir ist nicht danach.“, erklärte sie auf Judes verwunderten Blick und hoffte inständig, dass nicht noch mehr serviert wurde, dass auf der selben Liste gestanden hatte. Einmal schluckte Jude diese Ausrede, aber häufte sie sich, würde er nachhaken. Bis jetzt war ihm ihre selektierte Nahrung nicht aufgefallen, da sie entweder für sich selbst bestellt hatte oder sie schlichtweg nicht miteinander gegessen hatten. Letzteres hatte eindeutig häufiger stattgefunden.
 

Zum Glück dauerte es nicht lange, bis die Kellner den Salat brachte, der schon angerichtet war wie ein Kunstwerk und auch so schmeckte. Auch er war kaum mehr als ein Happen, aber trotzdem war sie froh, den Appetit nicht vortäuschen zu müssen. Sie schlang das Essen so rasch in sich hinein, wie es gerade noch schicklich war.
 

Eigentlich konnte sie ganz froh sein, dass Natsu und ihr Vater nicht gut genug miteinander auskamen, denn ihr Freund wäre mit solchen Portionen nicht einverstanden. Sie konnte seinen traurigen Blick vor dem inneren Auge sehen, den er den einzelnen Gängen jeweils schenken würde, ehe er darauf bestand, das nächste Geburtstagsessen in einem Etablissement zu verbringen, das wenigstens anständige Portionen brachte.
 

Ihr Vater aß langsamer und erzählte nebenher von seinem Tag im Büro, was Lucy zu Tode langweilte. Sie hatte einfach kein Interesse an all den Zahlen und Kursen und Diagrammen. Ob Gray recht hatte mit der Vermutung, dass Jude sie als seine Nachfolgerin wollte? Eigentlich hatte sie gedacht, er würde irgendwann einfach jemanden auswählen und ihn ausbilden, doch bis jetzt machte er keinerlei Anstalten dazu. Allerdings war er auch noch nicht alt, was brauchte er jetzt schon einen Nachfolger?
 

Zum Glück ließen die Angestellten des Pearl & Rose sie auf die folgenden Gänge nicht warten. Kaum waren sie mit einem Gang fertig, tauchte aus dem Nichts ein unauffälliger Kellner auf, der das benutzte Geschirr abräumte, kurz darauf gefolgt von zwei weiteren, die die nächsten Teller auftrugen und die Gläser auswechselten oder nachschenkten. Lucy dankte allen höheren Mächten, dass Jude offensichtlich entschieden hatte, dass sie trotz Erwachsenenstatus noch nicht bereit war für Alkohol. Da hätte sie sich nicht herausreden können…
 

Allerdings war die Schnelligkeit und Effizienz der Kellner auch kein Wunder – jeder in dieser Stadt wusste, wer Jude Heartphilia war (immerhin besaß er gefühlt die Hälfte davon und war in der Lage, den Rest zu kaufen, ohne sich groß in Unkosten zu stürzen, außerdem war er ein bekannter Mäzen für diverse Angelegenheiten) und niemand wollte ihn verärgern. Man behandelte sie beide mit ausgesprochener Höflichkeit und Respekt und Lucy fragte sich, wie viel davon ehrlich war und was gespielt.
 

Während des Essens redete größtenteils er – über die Firma, über St. Claires und die Chancen, die sich ihr darüber erboten, über die Töchter von Bekannten und Kollegen, die dorthin gingen, über die Söhne von Bekannten und Kollegen, die sich sehr freuen würden Lucy kennenzulernen, darüber, dass er sich freute, dass sie Vernunft angenommen hatte und sich nun nicht mehr unter ihrem Wert verkaufte und sich nicht mehr mit Leuten abgab, die unter ihrer Würde waren.
 

Lucy bemerkte selbst, dass ihre eigenen Antworten kurz und einsilbig ausfielen. Jude dagegen fiel es anscheinend nicht auf, er blickte nur hin und wieder von seinem Teller auf, um sich zu vergewissern, dass sie zuhörte. Wie oft hatte er ihr in den letzten Jahren tatsächlich zugehört? Oder kam ihr das jetzt nur so vor, weil sie überall nach Anzeichen und Fehlern in seinem Verhalten suchte?
 

Außerdem wuchs bei jeder Bemerkung über neue Freundinnen mit ähnlichem Hintergrund wie sie (die jedoch niemals jemand Einzigartigen wie Erza ersetzen könnten), über Verehrer, die ihr etwas bieten konnten (und die niemals auch nur annähernd so wunderbar und liebenswert wie Natsu sein könnten), und eine großartige Zukunft, in der ihr alle Wege hoffen standen (und die keinen einzigen ihrer eigenen Träume beinhaltete, weder ein Literatur- und Journalismusstudium noch Natsu noch ihr Baby) ihr Zorn.
 

Natsu hatte Recht.

Jude kannte sie gar nicht mehr.
 

Er wusste weder, was sie wollte, noch was sie sich wünschte, stattdessen projizierte er seine eigenen Anliegen auf sie ohne zu fragen, ob sie sich damit einrichten konnte, und duldete keine Abweichung. Wenn er nur etwas auf sie zugekommen wäre, wenn er Natsu und das Baby akzeptieren würde, wenn er nur erkennen würde, dass sie ein eigenes Individuum mit eigenen Wünschen und Träumen war, dann könnte sie sich vorstellen, auch ihm entgegenzukommen. Vielleicht doch ihren Traum vom Schreiben aufgeben und in der Firma anfangen.
 

Für ihren Vater würde sie Kompromisse machen – wenn er es auch tat.
 

Aber wenn sie ihn sich so ansah, würde Jude nicht von seinen eigenen Plänen abweichen. Nun ja – es würde sich ja bald herausstellen. Sie konnte es nur noch auf sich zukommen lassen. Lucy musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuatmen, als Jude der Kellnerin endlich seine Kreditkarte reichte, die damit zur Kasse marschierte.
 

„Glanville wird dich gleich nach Hause fahren.“, erklärte er ihr, nachdem die Frau sich entfernt hatte. „Aber bevor du gehst, habe ich natürlich noch etwas für dich. Immerhin bist du heute meine Geburtstagsprinzessin!“ Damit bückte er sich und nahm eine edle, weiße Papiertüte hoch, aus der er eine Reihe kleiner, sauber verpackter Päckchen zauberte, die er vor ihr aufreihte.
 

Sie blinzelte ihn erstaunt an. Hatte er ihr die Geschenke nicht schon heute Morgen bringen lassen, wie jedes Jahr? Warum dieses jetzt? Doch Jude lächelte nur verschmitzt und mchte eine leichte Handbewegung. „Bitte, nur zu.“
 

Lucy erwiderte das Lächeln verwirrt, aber erfreut (endlich konnte sie mal in seiner Gegenwart auspacken!) und nahm zögerlich eines der Pakete hoch, das in dunkelblaues Papier eigeschlagen worden war. Vorsichtig löste sie das unauffällig angebrachte Klebeband, um es zu entfernen. Darin kam eine flache, schwarze Schmuckbox zum Vorschein, die das Logo von Infinity Heart trug, dem teuersten Juwelier von ganz Fiore.
 

Lucy warf ihrem Vater einen überraschten Blick zu. Er hatte ihr schon öfter Schmuck geschenkt, aber niemals von diesem Laden! Seine Antwort war nur ein sanftes Lächeln. Vorsichtig klappte sie den kleinen Kasten auf und ihre Augen weiteten sich erstaunt.
 

Darin lag, gebettet auf schwarzem Samt, eine wunderschöne Kette aus sanft schimmerndem Gold und selbst in dem schwachen Licht gleißenden Diamanten und Rubinen. Einige der Kettenglieder hatten die Form von winzigen, filigranen Schlüsseln und ein großer Anhänger in Form von einem Paar Engelsflügeln aus Weißgold hing prominent daran.
 

Beinahe andächtig ließ sie die Fingerspitzen über das herrliche Schmuckstück gleiten. „Papa!“, rief sie erstaunt und erfreut aus und blickte auf. „Das ist wunderschön!“
 

Judes Lächeln wurde breiter und in ihr stieg die plötzliche, wilde Hoffnung hoch, dass sie sich in ihm getäuscht hatte. Dass er sie vielleicht etwas vergessen hatte über seiner Arbeit, aber sie ihm noch immer das Wichtigste war. Sie könnte ihm alles verzeihen!
 

„Nur das Beste für dich.“, versicherte Jude ihr. „Mach die anderen auf.“ Seine Stimme klang aufgeregt wie die eines kleinen Kindes.
 

Vorsichtig schloss sie das Schmuckkästchen wieder und stellte es beiseite. Das nächste Geschenk befand sich in einer einfacheren Box – Autoschlüssel. Sie blickte überrascht auf. Er hatte nie gewollt, dass sie eines der Autos nahm (auch wenn sie es natürlich trotzdem getan hatte) und jetzt plötzlich. Den Führerscheint hatte sie natürlich so früh gemacht, wie es ging, nachdem er ihr zum siebzehnten Geburtstag die Stunden dafür spendiert hatte.
 

„Du bist alt genug um zu wissen, was du tust.“, erklärte Jude. „Ich vertraue dir. Es steht in der Garage – Glanville wird es dir sicher zeigen. Keine Sorge, es ist ein Auto, das dir gefallen wird und deiner angemessen ist.“
 

Sie wurde rot vor Freude, packte den Schlüssel in ihre Clutch (gleich morgen würde sie es ausprobieren!) und wandte sich dem letzten Päckchen zu. Es war größer und verbarg, wie sie gleich darauf feststellte, ein wunderschönes Holzkästchen, das mit den Schnitzereien von Sternen und Rosen verziert war. Es wirkte schon etwas mitgenommen und kam ihr bekannt vor.
 

Mit gerunzelter Stirn blickte sie erneut zu ihrem Vater auf, der äußerst gespannt wirkte und ihre eine Mach weiter!-Geste zukommen ließ. Also löste sie den Verschluss und klappte den Deckel hoch. Darin lag noch mehr Schmuck, doch dieser war älter und teilweise sogar relativ billig, wie sie auf den ersten Blick feststellen konnte.
 

Ganz oben drauf lag eine Haarnadel, auf der ein filigraner Schmetterling aus Silber saß, verziert mit winzigen Saphiren und Diamanten. Er mochte nicht ein Viertel so viel wert sein wie die andere Kette, doch er bedeutete ihr unendlich viel mehr, so dass ihr die Tränen in die Augen schossen.
 

Denn sie kannte ihn.
 

„Das … das ist Mamas.“, flüsterte sie leise und Jude nickte. Über seine Augen hatte sich ein Schatten gelegt, doch trotzdem lächelte er leicht.
 

„Ich … konnte mich lange nicht davon trennen.“, gestand er und seine Stimme klang belegt. „Es erinnerte mich so sehr an sie… Aber sie hätte gewollt, dass du es bekommt. Sie hat sogar schon davon gesprochen, als du noch ganz klein warst.“ Er lachte erstickt. „Sie hätte gewollt, dass du ihren Schmuck trägst. Und jetzt bist du achtzehn und damit fast erwachsen und du sollst ihn jetzt haben.“
 

Spontan sprang Lucy auf und warf sich ihrem Vater um den Hals, so dass der Tisch bedenklich ins Wanken geriet. „Danke, Papa! Danke!“ Sie lachte und weinte gleichzeitig, auch wenn es ihr Makeup verschmierte. „Etwas Besseres hättest du mir nicht schenken können!“ Etwas, das sie so sehr an ihre Mutter erinnerte… Diesmal hatte er sich selbst übertroffen.
 

Jude lachte und schob sie dann sanft von sich, um aufstehen zu können. „Das freut mich.“ Er wollte noch etwas sagen, aber dann kam die Kellnerin zurück, um ihm die Rechnung und die Kreditkarte zurückzugeben. Jude bat sie, den Fahrern Bescheid zu geben, dass sie jetzt gehen würden und Lucy wandte sich enttäuscht ab.
 

Anscheinend war ihr Abend mit ihrem Vater jetzt beendet und gerade, als es angenehm wurde! Sie wandte sich ab, um ihre beiden Schmuckkästchen in die Tüte zurückzupacken, jedoch nicht ohne die Finger über die filigranen Flügel des Schmetterlings streichen zu lassen. Sie konnte ihn nachher tragen, fuhr es ihr durch den Kopf. Dann wäre es so, als ob ihre Mutter bei ihr war.
 

Jude bot ihr den Arm, um sie zur Tür zu geleiten. „Ich versuche, uns Karten für eine Oper zu besorgen.“, schlug er ihr vor. „Was hältst du davon? Oder Theater? Nur wir beide?“
 

Lucy lächelte zu ihm hoch. „Klingt toll, Papa.“ Und das tat es wirklich. Solche Abende genoss sie immer, nicht nur wegen der guten Unterhaltung.
 

„Schön.“ Jemand hielt ihnen die Tür auf und die beiden Autos standen schon wartend vor dem Entree, die Fahrer neben den offen stehenden Hintertüren. „Gute Nacht, Geburtstagsprinzessin.“ Jude strich ihr kurz über das Haar. „Deine Mutter wäre stolz auf dich.“
 

„Gute Nacht, Papa.“ Lucy stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange, ehe er sich von ihr löste. Sie blickte ihm einen Moment hinterher, aber er hatte schon sein Handy aus der Tasche gezogen und löste die Sperre. Er blickte nicht einmal zu ihr zurück, also wandte sie sich ab und schlüpfte ihrerseits in das Auto. In ihrem Magen saß ein hohles Gefühl und sie versuchte, nicht zu sehr enttäuscht zu sein. Hatte sie nicht sowieso geplant, den Rest des Abends ohne ihn zu verbringen?
 

Glanville schlug die Tür zu und setzte sich dann hinter das Steuer. Als sie vom Parkplatz des Restaurants in die Straße einbogen, fragte Lucy: „Kannst du mich zur Werkstatt fahren?“
 

Überrascht blickte der Chauffeur sie durch den Rückspiegel an. „Ich dachte, Sie hätten sich von Ihrem Freund getrennt, Miss Lucy.“ Sein Tonfall war vorsichtig, als wüsste er nicht, ob er in der Position war, sie darauf anzusprechen.
 

Sie schnitt eine Grimasse. „Das hätte mein Vater bloß gerne.“
 

Glanville blickte sie durchdringend an, sagte aber nichts weiter. Er würde sie nicht verraten, da war sie sich sicher. Allerdings spielte das sowieso bald keine Rolle mehr.
 

„Bitte?“ Sie versuchte es mit einem Lächeln, doch es geriet nicht so breit, wie sie es gerne gehabt hätte. „Die anderen schmeißen dort eine Party für mich. Immerhin werde ich achtzehn!“
 

„Ich weiß nicht, Miss Lucy.“, begann er entschuldigend. „Ihr Vater…“
 

„…wird es nie erfahren, das verspreche ich! Aber es ist doch Unsinn, dass du mich jetzt zur Villa fährst, nur dass ich sofort wieder losfahre und wir beide fast den gleichen Weg zurück nehmen. Und du bist schneller Zuhause! Irgendwer wird mich hinterher schon nach Hause fahren.“
 

Glanville lächelte leicht. „Also gut. Aber wenn Ihr Vater es trotzdem irgendwie herausfindet…“
 

„…dann habe ich dich mit vorgehaltener Waffe gezwungen.“ Sie zwinkerte ihm zu und Glanville konzentrierte sich schmunzelnd wieder auf die Straße.
 

Etwa fünfzehn Minuten später hielt die Limousine erneut. „Bleib ruhig sitzen, ich kann meine Tür selbst aufmachen.“, winkte Lucy ab, als ihr Chauffeur Anstalten machte, auszusteigen und tat genau dies. „Schönen Abend noch!“
 

„Danke, gleichfalls, Miss Lucy! Feiern Sie noch schön.“ Sie winkte ihm zu, während sie die Autotür wieder ins Schloss fallen ließ und blickte ihm kurz nach, als er das Auto wieder in den Verkehr zurücklenkte. Da um diese Uhrzeit hier nicht mehr viel los war, war er rasch verschwunden.
 

„Hey, Lucy!“ Natsus laute, fröhliche Stimme riss sie aus der Träumerei und sie blickte auf.
 

Er kam mit breitem Grinsen winkend auf sie zugelaufen und sie konnte nicht anders, als ihm entgegenzustürzen. Er fing sie auf und schwang sie im Kreis, dass ihre Beine flogen. Lucy legte die Arme um seinen Hals und strahlte ihn an.
 

„Alles, alles Gute zum Geburtstag!“ Er musste sich recken, um sie zu küssen, da er sie noch nicht wieder auf dem Boden abgesetzt hatte. Nachdem er sie genug geküsst hatte, erklärte er in ernstem Tonfall: „Ich liebe dich, Lucy.“
 

Sie spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und beugte sich vor, um ihn langsam und zärtlich zu küssen, so dass er wusste, wie sehr sie diese Gefühle erwiderte. Als sie sich wieder von ihm löste, lächelte sie ihn an und meinte zu platzen vor all den zärtlichen Gefühlen, die in ihr aufstiegen, wenn sie ihn ansah. „Ich lie-“
 

„Hey, Natsu, wo bleibst du!“, brüllte Gray aus dem Hintergrund und der Pinkhaarige verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. „Dass der auch immer unsere Momente kaputt machen muss – kein Feingefühl.“
 

Lucy musste lachen – es war ja nicht so, dass Natsu immer wusste, wann sie einen Moment hatten. „Lass uns zu den anderen gehen.“ Der Augenblick war vorbei, der Zauber gebrochen.
 

Sie schlug ihm leicht aufs Schlüsselbein, um anzudeuten, dass er sie absetzen konnte, aber Natsu hatte andere Pläne. Ohne sie loszulassen marschierte er los, um ein paar alte Autos herum zu dem kleinen Platz hinüber, wo sie Tische und Bänke und einen Grill, von dem es bereits köstlich duftete, aufgestellt hatten. Leuchtende Lampions und bunte Girlanden waren quer darüber gespannt und einige Kerzen und Fackeln spendeten noch weiteres Licht. Sogar ein paar Blumen waren auf den Tischen verteilt worden.
 

„Schaut mal, wer angekommen ist!“, rief Natsu laut, was alle Anwesenden auf das Paar aufmerksam machte. Das waren, soweit Lucy das von ihrer begrenzten Position aus sehen konnte, waren das nicht viele – so, wie sie es gewünscht hatte. Über all dem Stress der letzten Wochen und dem, der, wie sie fürchtete, noch auf sie zukam, wollte sie keine laute, wilde Party mit Tanzen, Disko und Besäufnis (letzteres fiel für sie eh flach). Ihr reichte es, ihre engsten Freunde sowie noch ein paar mehr Vertraute einzuladen. Anscheinend waren die meisten gekommen.
 

„Lucy!“ Igneel war der erste, der bei ihr war und er nahm sie seinem Sohn einfach ab, um sie ebenfalls zu umarmen, was sie erfreut erwiderte. Im Gegensatz zu Natsu stellte er sie danach freundlicherweise wieder auf die Füße. „Alles Gute.“, wünschte er ihr. „Viel Freude und vor allem wenig Stress für das nächste Jahr.“
 

Danach drängten sich ihr alle entgegen, ein paar Freunde aus der Schule, zwei oder drei, die Kinder von alten Geschäftskollegen ihres Vaters waren und sie schon fast so lange kannten wie Loke, Lyon, mit dem sie, seit sie so oft Ur besuchte, ein engeres Band geknüpft hatte, Erza, die alle gewaltsam aus dem Weg drängte und sie mindestens eine Minute in die Arme nahm, und danach an Makarov und Laxus übergab (letzteren hatte sie spontan eingeladen, da er gerade da gewesen war, als sie seinem Großvater die Einladung ausgesprochen hatte).
 

„Hey, Löwenbändigerin.“, begrüßte Loke sie und sie warf sich freudestrahlend um seinen Hals und küsste ihn überschwänglich auf die Wangen – sie hatte ihn ewig nicht gesehen und er hatte nicht gewusst, ob er überhaupt kommen konnte. Dass er jetzt dennoch hier war, machte alles nur noch besser. Loke war nicht weniger begeistert, sie zu sehen, und wollte sie kaum wieder loslassen.
 

Gray schob ihn schließlich kurzerhand beiseite. „Herzlichen Glückwunsch.“ Auch er umarmte sie und stellte sie dann einem hübschen Mädchen mit schwarzen Pixiehaaren vor; seine neue Freundin, die er im Camp kennen gelernt hatte. Lucy mochte Amanda auf Anhieb und ließ sich auch von ihr beglückwünschen – aber ohne Umarmung.
 

„Lucy.“, wollte Gray dann leise wissen. „Warum sind meine Eltern hier?“
 

Sie grinste ihn frech an. „Weil ich sie eingeladen habe. Silver! Ur!“ Sie ging mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zu.
 

„Hey, Lucy!“, rief die Künstlierin und lachte über das ganze hübsche Gesicht. „Alles Liebe für dich.“ Sie umarmte Lucy herzlich. „Geht es dir gut?“, wollte sie dann mit einem kurzen Blick auf ihren Bauch wissen und lächelte verschmitzt. „Du siehst sehr ausgeglichen aus.“
 

„Danke.“, antwortete Lucy. „Mir geht es auch gut. Ich bin so glücklich.“ Tatsächlich entsprachen diese Worte der Wahrheit. Ihre schlechte Laune und das hohle Gefühl von vorhin waren wie weggeblasen, einfach weggewischt durch so viele herzliche Umarmungen und Menschen, die sich um sie versammelt hatten. Die Kluft zwischen Jude und ihr selbst hatte sie nie als tiefer empfunden als jetzt in diesem Moment.
 

Aber ein Vater zumindest hatte sie heute umarmt und dafür gesorgt, dass sie sich geborgen und sicher fühlte.
 

„Das freut mich für dich.“, erwiderte Ur und Lucy ließ sich noch einmal umarmen.
 

Silver klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Auch von mir alles Gute. Lass dich nicht unterkriegen.“
 

Gray sah ihm unglaublich ähnlich, auch wenn Silver ein schmaleres Gesicht und schon mit grau durchschossene Haare hatte. Unter seiner legeren Kleidung zeichnete sich ein durchtrainierter Körper ab; Silver war wie sein Sohn aktiver Kampfsportler und leitete dazu noch die Schwertkampfgruppe im örtlichen Verein, wo er auch als Trainer tätig war.
 

Nach der großen Begrüßungsrunde siedelte die hungrige Gesellschaft an die Tische über. Es gab neben Wasser und Säften auch Bier und Wein zu trinken und zwei Flaschen Champagner zum Anstoßen – wobei Ur geschickt ihr eigenes mit Wasser gefülltes Glas gegen Lucys austauschte, ohne dass es jemand anderes merkte – und eine gigantische Geburtstagstorte, die allein optisch etwas hermachte.
 

Silver bediente derweil den bereits vorbereiteten Grill und auch wenn Lucy die Lebensmittel hatte besorgen lassen, war dies eher zugunsten der Gäste geschehen, da sie selbst noch von ihrem Abendessen mit Jude satt war. Einzig ein Stück der hervorragenden Erdbeersahnetorte (die natürlich Erza mitgebracht hatte, wobei es ihr Geheimnis blieb, wo sie die zu dieser Jahreszeit herbekam) gestattete sie sich.
 

Um sie herum schwirrten fröhliche Gespräche, irgendwer hatte eine kleine Anlage aufgebaut und spielte leise Musik und die Feuer knisterten vor sich hin. Es roch nach Holzrauch, Grillfleisch und Sommernacht und Lucy fühlte sich rundum zufrieden. Der katastrophale Beginn des Abends mit seiner Achterbahnfahrt der Gefühle war wie vergessen.
 

Sie redete mit Leuten, die sie schon länger nicht mehr gesehen geschweige denn mit ihnen gesprochen hatte. Für eine lange Zeit verzog sie sich mit Loke auf die überwachsene Terrasse und sie brachten sich gegenseitig auf den laufenden Stand. Das war auch der einzige Zeitpunkt, zu dem Natsu sie aus den Augen ließ (außer, wenn sie aufs Klo ging, dahin musste er sie nun wirklich nicht begleiten) und las ihr jeden Wunsch von den Lippen ab, noch ehe sie ihn äußern konnte.
 

Gegen zehn Uhr setzte man sie an einen Tisch und reichte ihr Geschenke – von Büchern über Kleider bis hin zu kleinen Accessoires war alles Mögliche dabei. Von Loke bekam sie drei wunderschöne, handgemachte Silberarmreifen aus der Gegend, in der er Urlaub gemacht hatte. Gray und Erza hatten sich zusammengesetzt für eine gigantische Collage mit Fotoraphien von ihr und ihren besten Freunden, die über die Jahre entstanden waren. Selbst von Loke hatten sie einige Bilder mit dazu genommen, wie sie begeistert feststellte.
 

Von Natsu bekam sie ein Goldkettchen, an dessen unteren Ende ein Herz hing, das man aufklappen konnte. Darin befand sich ein Bild von ihnen, Wange an Wange und bis über beide Ohren grinsend. Sie hatten dieses Selfie auf dem letzten Schulausflug gemacht. Die zweite Fläche war frei.
 

„Für das Baby.“, flüsterte er ihr ins Ohr, so dass nur sie ihn hörte, und sie küsste ihn dankbar. Dies war eine Kette, die sie sehr viel öfter tragen würde als jene, die Jude ihr geschenkt hatte. Auf diese Weise konnte sie stets ein Bild von den beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben mit sich führen.
 

Als Ur sie schließlich nach Hause fuhr, war es schon weit nach zwei Uhr in der Nacht, weit später, als sie es sich hätte vorstellen können. Von dem Hausmädchen erfuhr sie, dass ihr Vater noch nicht zurückgekehrt war, aber Lucy interessierte das nicht. Sie würde ihm noch früh genug gegenübertreten müssen und im Moment war sie einfach froh, dass er nicht da war.
 

Sie stellte die weiße Tüte, die Judes Geschenke beinhalteten, auf ihren Schreibtisch (alle anderen waren bei den Dragneels geblieben) und fiel wenige Minuten später todmüde ins Bett. Innerhalb von Sekunden war sie eingeschlafen, noch ein Lächeln im Gesicht.

15. Kapitel, in dem Lucy sich ihren Dämonen stellt

Die dunkle, gemaserte Tür zum Arbeitszimmer ihres Vaters war größer als eine normale Zimmertür und sah darum sehr viel imponierender aus, wie das Tor in den Thronsaal eines Königs – oder in das Zimmer eines Richters. Lucy fühlte sich jedenfalls so, als würde sie gleich ihrem Henker gegenübertreten.
 

Ihre Hände waren nass vor Schweiß und ihr Herz schlug in einem viel zu schnellen Rhythmus. Nervös leckte sie sich über die Lippen und versuchte, sich zu beruhigen. Du bist keine Bittstellerin, erinnerte sie sich selbst streng und tastete mit einer Hand nach der Goldkette mit dem Herzanhänger, die Natsu ihr geschenkt hatte. Sie war es, die ihren Vater vor vollendete Tatsachen stellen und ihn damit völlig kalt erwischen würde. Sie war es, die bereits alles vorbereitet und die Entscheidung getroffen hatte. Sie war es, die hier alle Karten in der Hand hielt.
 

Also straffte sie die Schultern, holte tief Luft und klopfte energisch an die Holztür. Sie wartete kaum auf das Herein, das dumpf herausschallte, sondern öffnete die Tür nach einigen Augenblicken einfach. Ihr Vater saß am Schreibtisch, die Morgensonne im Rücken und einige Blätter in der Hand. Auf der ganzen Tischplatte waren Ordner und noch mehr Papiere verteilt und der Computerbildschirm leuchtete mit einem kalten blauen Licht.
 

„Lucy!“ Jude wirkte verwirrt, als er sie erkannte. „Was führt dich hierher? Eigentlich weißt du es besser, als mich bei der Arbeit zu stören. Ist etwas passiert?“
 

„Ich muss mit dir reden.“, erklärte sie, ohne auf seine Worte einzugehen.
 

Er runzelte missbilligend die Stirn, offensichtlich nicht sehr erfreut über ihre Eröffnung. „Kann das bis heute Abend warten? Ich bin gerade ziemlich beschäftigt.“
 

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, wir müssen das jetzt besprechen.“ Jetzt würde sie sich ganz sicher nicht mehr abwimmeln lassen, egal ob es ihm gelegener kam, wenn sie erst abends mit ihm sprach. Es ging hier nicht mehr um ihn.
 

Er musterte sie kurz, nahm ihre gerade Haltung und ihr ernstes, beherrschtes Gesicht auf, den entschlossenen Blick in ihren Augen, und nickte dann. „Wie du wünschst. Setz dich doch. Aber das ist besser wichtig, wenn du mich damit bei der Arbeit störst.“
 

Oh, an der Wichtigkeit ihres Anliegens hatte sie keinen Zweifel. Beinahe hätte sie gelacht.
 

Sie folgte der Aufforderung und ließ sich auf dem bequemen Stuhl nieder, der ihrem Vater gegenüberstand. Trotz allem Unmut und aller Verstimmung wollte sie dies so zivilisiert wie möglich machen, wollte zeigen, dass sie bereit dafür war, auf ihn zuzugehen, wenn er nur auch bereit war, ihr entgegenzukommen.
 

„Ich werde nicht nach St. Claires gehen.“, erklärte sie mit fester Stimme und die Furchen in Judes Stirn wurden tiefer. Er wollte etwas sagen, aber sie war noch nicht fertig und sprach einfach weiter: „Ich werde auch nicht mit Natsu Schluss machen. Oder BWL oder ähnliches studieren. Ich kann und will mein Leben nicht nach deinen Wünschen richten. Ich werde ni…“
 

Judes Hand kam mit einem so lauten Knall auf der Tischplatte auf, dass sie heftig zusammenzuckte. „Was soll das, Lucy!“
 

Es war keine Frage. Es war ein Punkt, den er machte, der sie unterbrach und ihren Satz mitten im Wort abschnitt und ihr den Mund verbot.
 

„Jetzt ist ein äußerst schlechter Zeitpunkt, in die rebellische Phase zu kommen! Das nächste Jahr ist dein wichtigstes Schuljahr, also wirst du nicht jetzt damit anfangen, aufsässig zu werden.“
 

„Das ist keine Phase!“, antwortete sie heftig und zu laut, aber seine Worte ließen sie rotsehen und wütend aufspringen. Eigentlich hatte sie das Gespräch ruhig und beherrscht führen wollen, aber er hatte einfach eine herablassende Art an sich, die sie die Beherrschung verlieren ließ. Endlich verstand sie, warum Natsu und Ur und alle anderen so heftig auf ihn reagierten. „Und ich…“
 

„Hast du nicht längst von diesem Jungen getrennt?“, redete Jude einfach über ihre Proteste hinweg und sie hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm an die Gurgel zu springen. Konnte er sie nicht einmal ausreden lassen?! „Ich dachte, diese Sache wäre erledigt.“
 

„Diese ‚Sache‘“, fauchte Lucy und ihre Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. Sie wollte toben und auf den Tisch schlagen, doch stattdessen hielt sie sich vor Wut zitternd zurück. „ist die Liebe meines Lebens! Wie kannst du nur so darüber sprechen?! Über ihn?“
 

„Du bist noch etwas jung um zu wissen, wer die ‚Liebe deines Lebens‘ ist.“, erklärte Jude ihr überheblich und sie konnte die Anführungszeichen in dem Satz geradezuhören. „Warte noch ein paar Jahre, dann wirst du klüger sein – und mir dankbar, dass ich dich jetzt vor einer Dummheit bewahre. Denn wie sagt man so schön? Gleich und gleich gesellt sich gern und du hast definitiv nichts mit diesem Tagelöhner gemein. Bis es soweit ist, konzentriere dich auf die Schule und das Studium, über das wir jetzt noch nicht reden wollen.“
 

Die Worte Aber ganz sicher noch werden. hingen unausgesprochen in der Luft. Offensichtlich war er auch nicht einverstanden mit ihrer Entscheidung, alle Zweige der Wirtschaft von sich zu weisen, egal ob sie wollte oder nicht. Warum konnte er einfach nicht einsehen, dass das nicht der richtige Weg für sie war?
 

Zornig starrte Lucy ihren Vater an, wie er da hinter seinem großen Schreibtisch thronte und sie streng anblickte. Nichts in seinem beherrschten Gesicht zeigte, wie aufgebracht er war. Nur seine Lippen waren leicht in Verachtung verzogen und Lucy stellte fassungslos fest, dass er jedes einzelne Wort ernst meinte. Wie konnte er nur so über sie und ihre Gefühle reden, so wegwerfend und abwertend, als ob sie nichts bedeuteten? Natürlich war sie noch jung, aber das nahm ihren Emotionen nichts von ihrer Intensität, ihrer Wahrheit und ihrer Beständigkeit!
 

Unter Anstrengung zwang sie sich dazu, die Fäuste zu lockern. Sie wollte jetzt keinen Streit mit ihrem Vater, im Gegenteil. Sie hatte ihre Entscheidung bereits gefällt und sich auf das Schlimmste eingestellt, den Fall der Fälle, der jetzt zuzutreffen schien. Sie hatte keinen Grund dazu, jetzt auszurasten – war es nicht das, was er wollte, nur um sie als unvernünftig und zu impulsiv hinzustellen?
 

Doch sie war noch nicht fertig, sie musste es zumindest noch einmal versuchen. Trotz allem war er ihr Vater und sie liebte ihn und wollte ihn nicht verlieren. Aber noch weniger wollte sie sich selbst, Natsu und ihr Baby verlieren. Du kannst das, feuerte sie sich selbst an. Du hast bereits alles geklärt, wenn – weil – das hier alles den Bach runtergeht.
 

„Man sagt auch Gegensätze ziehen sich an.“, antwortete sie darum bestimmt, aber ruhig. „Und es ist mir egal, dass du denkst, Natsu ist nicht der Richtige für mich. Ich weiß, dass es doch so ist, und ich werde mir nicht mehr von dir in meine Beziehung reinreden lassen. Oder in sonst irgendetwas. Ich will mein Leben nicht fremdbestimmt leben, sondern nach meinen eigenen Wünschen und Vorstellungen. Nein, jetzt rede ich!“, fuhr sie ihn an, als er ihr wieder ins Wort fallen wollte. „Ich habe das schon zu lange zugelassen, dass du mir alle möglichen Dinge vorschreibst, aber das werde ich nicht mehr hinnehmen – erst recht nicht bei so wichtigen Sachen, die mich den Rest meines Lebens begleiten werden. Meines Lebens! Das ist mir während der letzten Wochen klargeworden, genauso wie einige andere Dinge und ich habe Konsequenzen daraus gezogen. Darum rede ich jetzt mit dir, um dich darüber zu informieren. Wenn du das nicht akzeptierst, ist das deine Sache.“
 

Während sie sprach, hatte Jude sich zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Seinem Gesichtsausdruck konnte sie ablesen, dass er sie nicht ernst nahm und alles für einen kindischen Wutanfall hielt. Das kleine, spöttische Lächeln auf seinen Lippen, unter dem Schnauzer kaum wahrzunehmen, brachte sie beinahe erneut auf die Palme, aber sie mahnte sich zur Ruhe.
 

Er würde sie nie für voll nehmen, wenn sie schrie und tobte. Also würde sie ruhig bleiben, ihre Tatsachen darlegen und ihn reagieren lassen. Und die richtige Bombe hatte sie noch immer nicht platzen lassen. Das behielt sie sich für das große Finale.
 

„Darum werde ich nicht nach St. Claires gehen, sondern weiterhin auf die Magnolia High – keine Sorge, ich habe die Abmeldung dort bereits wieder zurückgenommen, du brauchst dich also darum nicht zu kümmern – und ich werde mich nicht von Natsu trennen, ganz egal, wie viele deiner Businesspartner Söhne in meinem Alter haben, die mich gerne kennen lernen würden, und ich werde auch nicht aufhören, meine Freunde zu treffen, auch wenn du mich lieber in anderen Kreisen sehen würdest. Und, wenn ich die Gelegenheit dazu bekomme, werde ich Journalismus und Literatur studieren und nicht das Fach deiner Wahl. Das sind meine Entscheidungen und sie sind bereits gefällt. Es gibt nichts, dass du sagen kannst, was mich umstimmen würde.“
 

Sie verstummte und atmete erst einmal heftig ein und aus. Diese kleine Rede – obwohl vorbereitet und geübt – hatte sie mehr Kraft gekostet, als sie gedacht hatte. Aber dafür fühlte sie sich jetzt befreit und stark und selbstbewusst. Erwachsen.
 

Sie konnte das tun. Ob mit oder ohne seine Unterstützung, die größte, schwerste Hürde hatte sie eben überwunden. Der Rest würde sich ergeben, irgendwie würde sie das alles schaffen! Sie hatte Natsu und Igneel und ihre Freunde. Allein der Gedanke füllte sie mit Kraft und Sicherheit, genug, dass sie Jude weiterhin offen ins Gesicht sehen konnte.
 

Und kein Wort über das Baby – sie war richtig stolz auf sich. Denn während sie sprach, hatte sie festgestellt, dass die Schwangerschaft vielleicht der Katalysator gewesen war, der sie zum Nachdenken gebracht hatte. Aber all dies, was sie aufgezählt hatte, war mindestens ebenso wichtig. Es ging hier nicht um das Baby, zumindest nicht nur, es ging hier um sie.
 

Um ihr Leben.
 

Wenn sie Kompromisse einging – für ihren Sohn, für ihren Natsu, für ihre Freunde, für den Rest ihrer Familie – dann, weil sie es wollte, weil sie ihnen entgegenkommen wollte. Aber auch diese Entscheidungen lagen bei ihr, kamen von ihr und niemandem sonst. Wenn zwei Menschen und zwei Meinungen aufeinanderstießen, kam es nun mal zu Konflikt und wenn man nicht bereit war, aufeinander zuzugehen, das war ein Problem. Doch anscheinend hatte ihr Vater noch nicht erkannt, dass seine Meinung nicht wichtiger war als ihre.
 

Judes Gesichtsausdruck hatte sich auch während der letzten Sätze nicht verändert. Jetzt seufzte er, als wäre dies alles eine große Mühsal, aber nicht weiter der Rede wert, und zog eine Augenbraue hoch. „Bist du fertig mit deinem kleinen Rappel?“
 

Sie schnaufte, aber er ignorierte sie und stand auf. Obwohl er über einen Meter von ihr entfernt stand, musste sie nach oben blicken, denn er überragte sie um eine ganze Haupteslänge. Sie weigerte sich, sich davon einschüchtern zu lassen und starrte ihm entschlossen ins Gesicht, die Brauen zusammengezogen.
 

„Über dein Studium werden wir uns noch einmal unterhalten, wenn du deine schriftlichen Prüfungen hinter dir hast. Alles andere ist inakzeptabel und steht nicht zur Debatte.“, erklärte Jude und sein betont vernünftiger Tonfall machte deutlich, dass er keinen Widerstand dulden würde. Zu dumm für ihn, dass Lucy es trotzdem absolut tun würde.
 

„Vertrau mir, ich weiß, wovon ich spreche und ich will nur dein Bestes. Du hast eine glänzende Zukunft vor dir, wenn du dir jetzt nicht alles verbaust. Ich hatte diese Chancen in meiner Kindheit nicht und werde nicht zulassen, dass du sie dir selbst wegnimmst. Glanville wird dich am Montag nach St. Claires fahren. Ich erwarte, dass du deine Koffer gepackt hast und bereitstehst, damit du pünktlich ankommst. Du wirst mir dankbar sein, wenn du erst einmal eine erfolgreiche Karriere gemacht hast. Wenn ich dich noch einmal mit diesem Kerl erwische, werde ich eine einstweilige Verfügung anfordern, dass er sich gefälligst von dir fern zu halten hat. Ansonsten wird es weitreichende Konsequenzen haben.“
 

Entsetzt starrte Lucy ihn an. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er einen Richter finden würde, der seinen Wünschen entsprach auch ohne einen definitiven Grund für eine solche Verordnung. Oder er würde einfach etwas erfinden und die Wahrheit so verdrehen, dass Natsu wie ein Verbrecher dastehen würde. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er jede mögliche Strafe durchpressen würde, wenn Natsu sich nicht daranhielt.
 

„Du… du meinst das nicht ernst!“, protestierte sie fassungslos.
 

„Natürlich tue ich das.“, erklärte Jude und schüttelte den Kopf über sie wie über ein kleines Kind. „Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist eine Fernhalteverfügung genau das Richtige.“
 

Sie wich einen Schritt zurück, ihren Ohren nicht trauend. Er würde tatsächlich hingehen und Natsus Zukunft zerstören, nur um seinen Willen durchzusetzen. Er würde sie zwangsweise auseinanderhalten. Er würde ihr seine Wünsche einfach aufzwingen, ganz egal, ob er ihr Glück dabei zerstörte.
 

Sie verlor gerade ihren Vater, das wurde ihr plötzlich mit einer kalten Deutlichkeit klar.
 

Dann holte sie tief Luft, um ihre aufgewühlten Gefühle unter Kontrolle zu bringen, und nickte. Sie hätte das niemals von ihrem Vater geglaubt. Nicht wirklich. Nicht, dass er so weit gehen würde. Doch jetzt gab es keinen Zweifel mehr daran, wie er auf ihre nächste Ankündigung reagieren würde. Irgendwie war es eine Erleichterung. Jetzt stand der restliche Verlauf des Gespräches schon fest und auch der des restlichen Tages.
 

„In Ordnung. Ich habe dir noch etwas zu sagen.“ Sie fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen. Nur, weil sie ihren Weg deutlich vor sich sah, wurde das nicht einfacher. Doch all die Fragen und Zweifel und aufgewirbelten Gefühle waren verschwunden und auch, wenn sie wusste, wie sehr es später schmerzen würde, jetzt hatte sie sich unter Kontrolle. Sie blickte ihren Vater offen entgegen, der sie nur mit zusammengezogenen Brauen von oben herab ansah, und sagte: „Ich bin schwanger.“
 

Wenn die Lage nicht so ernst wäre, wäre sie in Gelächter ausgebrochen bei der Art, wie Judes Gesicht entgleiste, nachdem er begriffen hatte, dass sie keine Witze machte. „Was soll das heißen?!“, begann er, fassungslos und so entsetzt, dass ihr ein Schauer über den Rücken jagte. Er sah so bestürzt aus, gab so ein anderes Bild ab als der beherrschte, kalte Geschäftsmann, den er vorhin gegeben hatte.
 

Aber der Moment hielt nicht lange, dann legte sich wieder die abgeklärte, kühle Maske über sein Gesicht, die inzwischen er zu neunzig Prozent der Zeit trug. „Gut.“, sagte er dann und seine Stimme klang angestrengt. „Ich mache dir einen Termin mit Dr. Lundberg, er wird sich darum kümmern und es wird nie jemand davon erfahren. Und dein sogenannter Freund kann sich auf eine Klage gefasst machen.“
 

„Ich bin in der achtzehnten Woche.“, unterbrach Lucy ihn und ignorierte die Drohung gegen Natsu erstmal. Das spielte jetzt keine Rolle mehr. War das nicht der Grund, warum sie noch gewartet hatten, bis sie volljährig war?
 

Judes Blick wanderte zu ihrem Bauch hinunter, der von ihrem hellblauen Babydollshirt herrlich kaschiert wurde. Keinen Zweifel erinnerte er sich daran, dass man zu diesem Zeitpunkt schon etwas sah, wenn auch noch nicht viel. „Gut. In Bosco kann man das auch später noch durchführen, du kannst in unser Ferienhaus, bis die Sache erledigt ist.“
 

„Du wirst mich auf keinen Fall zu einer Abtreibung zwingen.“
 

Er wedelte mit der Hand, als wäre dieser Einwand unwichtig. „Dann wirst du halt dortbleiben und das Kind bekommen und erst nächstes Jahr nach St. Claires gehen. Man wird dort sicher Einsehen mit dir haben.“
 

„Ich werde mein Kind auch nicht weggeben.“
 

Jude starrte sie wieder wortlos an. Seine Kiefermuskeln bewegten sich, als er sie anspannte und wieder lockerte. Dann schüttelte er den Kopf. „Hörst du dich eigentlich selbst reden! Wie willst du das denn tun? Du bist doch noch selber ein Kind! Was würde deine Mutter jetzt bloß von dir denken?!“
 

Sie zuckte zusammen, dann runzelte sie ärgerlich die Stirn. „Das weiß ich nicht, aber sie würde mich nicht zu etwas zwingen, das ich nicht will! Sie würde mich nicht dazu zwingen wollen, mein Baby loszuwerden, sie würde mich nicht auf eine Schule schicken, auf die ich nicht will, sie würde mir nicht ihre Träume aufzwingen und sie würde meine Freunde und Natsu lieben!“ Ihre Stimme war lauter geworden und die letzten Worte brüllte sie ihm ins Gesicht.
 

Wie konnte er es wagen, ihre Mutter gegen sie zu benutzen!
 

„Es ist mir scheißegal, was du willst! Ich war bereit, Kompromisse einzugehen, aber du bist so verbohrt und bewegst dich keinen Schritt in meine Richtung und verlangst, dass ich deine brave Tochter bin, wie eine Maschine, die genau das tut, was du von ihr willst! Aber stell dir vor! Ich bin kein Roboter und ich habe mich lange genug deinen Wünschen gebeugt und hier treffe ich die Entscheidungen, weil sie zu wichtig sind, um die falsche zu treffen!“ Sie schluchzte auf und merkte erst jetzt, dass ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
 

Ärgerlich wischte sie sie mit dem Handrücken weg, auch wenn sie erstaunt war, dass sie nicht schon früher angefangen hatte zu heulen. „Ich war bereit, dir entgegen zu kommen, aber da ich dir offensichtlich egal bin, spielt das auch keine Rolle.“
 

Sein Gesicht war eine Maske der Geringschätzung. „Du bist emotional und kannst nicht klar denken. Das sind die Hormone. Geh jetzt und überlege dir das noch einmal, nachdem du dich wieder beruhigt hast. Am Sonntag erwarte ich, dass du eine vernünftige Entscheidung getroffen hast. Ansonsten kannst du sehen, wo du bleibst.“
 

So, jetzt hatte er es gesagt. Sie war nicht einmal mehr überrascht oder hatte die Energie, darauf zu reagieren. Sie nahm es einfach so hin. Nur… „Ist das dein letztes Wort?“, fragte sie und schon seiner Haltung konnte sie entnehmen, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Aber sie schuldete es sich selber, es zumindest noch ein letztes Mal zu versuchen.
 

„Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.“, erklärte er kalt und Lucy nickte, drehte sich steif um und stakste aus dem Büro.
 

Sie schloss leise die Tür hinter sich und angelte nach ihrem Handy, noch während sie die Treppe zu ihren Zimmern hinaufstieg. Jude erwartete von ihr, dass sie die Entscheidung noch einmal überdachte, aber sie hatte sich lange genug den Kopf darüber zerbrochen. Damit schickte sie eine Nachricht an Natsu. Es schmerzte sie, aber sie würde nicht zögern, nicht bei allem, was auf dem Spiel stand.
 

Hol mich in zwei Stunden ab. Ich gehe jetzt meine Sachen packen.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Lucy verbot sich jeden Gedanken daran, warum sie dies machte, und packte die beiden großen Reisetaschen beinahe mechanisch. Sie hatte jetzt zu tun und konnte nachher einen emotionalen Zusammenbruch haben. Jetzt gab es wichtigere Dinge zu erledigen.
 

In die eine kamen Kleider, Kosmetikkoffer und Kulturtasche, ihren Laptop und ähnliche lebenswichtige Sachen. In die andere, weit kleinere packte sie die anderen Dinge, ohne die sie nicht leben konnte – allen voran die Box mit dem Schmuck ihrer Mutter, ihre Fotographien, ein paar besondere Bücher und CDs, ein alter, beinahe voller Zeichenblock noch von Layla… Da sie während der letzten Woche schon einige Dinge in die Wohnung der Dragneels gebracht und sogar ein paar Listen gemacht hatte und ihr Verstand seltsam kühl und klar, ging das alles zügig und sehr organisiert vonstatten.
 

Die Box mit der schönen Kette, die Jude ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, ließ sie gut sichtbar auf ihrem aufgeräumten Schreibtisch stehen. Nachdem sie ihre Listen abgearbeitet hatte, rannte sie eine Weile ziemlich kopflos in ihren Zimmern umher, nahm dies mit, erinnerte sich an das, sah jenes herumstehen. Sie zog alle ihre Schubladen auf und öffnete jeden einzelnen der Schränke und schaute in jede Box hinein.
 

Was sie hier ließ, sah sie nicht wieder, so einfach war das. Zurückkommen würde sie vorerst wohl nicht. Das einzige, was sie wirklich bedauerte, war, dass sie ihre Pflanzen zurücklassen musste. Wer würde sich wohl jetzt um sie kümmern? Würde es überhaupt jemand tun? Jude wusste, wie sehr sie sie liebte und wie intensiv sie sich darum gekümmert hatte. Im Moment würde sie es ihm zutrauen, sie vor die Hunde gehen zu lassen, nur um Lucy zu bestrafen, auch wenn diese es nie erfahren würde. Aber vielleicht wäre es ihm auch egal und eines der Hausmädchen würde es übernehmen, wie es auch mit dem Rest der Blumen in der Villa geschah.
 

Lucy würde sich einen neuen Garten aufbauen.
 

Die Dragneels hatten nur ein paar dauergrüne, unverwüstliche Fensterbankblumen, die nicht viel Pflege benötigten, was vermutlich der einzige Grund war, warum sie noch lebten. Das konnte sie ändern. Und Kräuter für die Küche. Und den schnuckeligen kleinen Garten vor der Terrasse – die beiden hätten sicher nichts dagegen.
 

Sie schniefte und wischte sich wütend die Tränen weg. Sie wollte jetzt nicht weinen. Sie wollte erhobenen Hauptes dieses Haus verlassen, denn auch wenn Jude sie so leicht aus dem Gleichgewicht brachte, zumindest diesmal war sie sich sicher, dass sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ihr Vater sollte nicht sehen, wie sehr es sie mitnahm.
 

Nachdem sie alles eingesammelt hatte, wanderte sie noch einmal durch die Räume und sah sich alles noch einmal genau an. Sie fühlte leichten Abschiedsschmerz; diese hellen Zimmer waren so lange ihr Zuhause gewesen, ihr Rückzugsort, ihr Reich – ein kleines Heiligtum, das sie sich in der großen, nach dem Tod ihrer Mutter immer kälter gewordenen Villa errichtet hatte. Die Bilder an den Wänden, der Nippes, den sie über die Jahre angesammelt hatte und der dem Ganzen ihre persönliche Note verlieh, ihre Möbel, das Bett, in dem sie so lange geschlafen hatte.
 

Doch das wurde überschattet von dem größeren Schmerz – der Verlust ihres Vaters und ihr quälender Zorn darüber, dass alles, was sie versucht hatte, einfach nutzlos gewesen war und er sich kein Stück auf sie zubewegt hatte. Aber was hätte sie tun sollen? Er war einfach so … so verbohrt!
 

Etwa zehn Minuten verbrachte sie auf ihrem Diwan im Wintergarten. Sie saß einfach da, mit geschlossenen Augen, lauschte dem plätschernden Wasser im Brunnen und atmete tief die Luft ein, die nach feuchter Erde, Blumen und Pflanzen duftete. Sie wünschte, sie könnte das Bild mitnehmen, das an der Wand hing, aber das wäre zu viel. Stattdessen kramte sie eine Mappe heraus, in dem sie einige Aquarelle aufbewahrte, die Layla noch mit leichtem Strich gefertigt hatte. Sie konnte sich ein paar davon rahmen lassen und sie dann an die Wand hängen.
 

Nach einigem Herumfummeln brachte sie die Mappe noch in ihrem bereits vollgepackten Schulrucksack unter, ehe sie ihre Gepäckstücke zusammenraffte und mit einem letzten Blick zurück in den Flur hinaustrat. Natsu würde bald da sein.
 

Auf dem Weg nach unten kamen ihr zwei Hausmädchen entgegen, die ihr verwirrte Blicke zuwarfen. Aber da Lucy sie mit verbissenem Gesicht ignorierte, fragten sie nicht nach. Sie konnte sie noch miteinander flüstern hören. Aber vielleicht gingen sie auch nur davon aus, dass sie schon früher nach St. Claires reiste – auch das würde die gepackten Koffer erklären.
 

Sie stellte ihr Gepäck neben die große Eingangstür, just in dem Moment, als Natsu ihr eine Nachricht schickte, die besagte, dass er vor dem Tor stand, die Wachmänner ihn aber nicht hereinließen. Nach einem kurzen Disput mit eben jenen war dieses Problem zumindest gelöst – sie hatte keine Lust, den ganzen Weg bis zum Haupttor zu Fuß zu laufen, nicht mit dem ganzen Gepäck. Ein Glück, dass die Angestellten sie mochten und ihr ungern etwas abschlugen.
 

Aber statt sofort hinauszugehen, trat sie noch einmal an die hohe Tür, vor der sie vor nicht allzu langer Zeit gestanden und nervös ihren Mut, ihre Entschlossenheit und ihre Argumente zusammengerafft hatte. Diesmal zögerte sie nicht und sie klopfte auch nicht an, sondern trat einfach ein.
 

Ihr Vater schien es nicht einmal zu bemerken. Er hob erst den Kopf, als sie nur noch ein paar Schritte von dem Besucherstuhl entfernt war. Mit strengem, abweisendem Blick sah er sie an, ganz offensichtlich nicht darauf erpicht, mit ihr zu sprechen. „Was soll das? Habe ich mich vorhin nicht klar genug ausgedrückt?“
 

„Doch.“, antwortete Lucy. „Sehr sogar. Darum bin ich hier.“
 

Er zog erstaunt eine Augenbraue hoch. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell Vernunft annimmst.“, gab er zu. „So sehr ich deine Mutter liebte, sie war eine starrköpfige Frau und du hast diesen Zug von ihr geerbt.“
 

Lucy hätte beinahe gelacht, aber sie beherrschte sich. Natürlich ging er wie selbstverständlich davon aus, dass sie Vernunft annahm und sich seinem Willen beugte. „Ich wollte nur auf Wiedersehen sagen, Papa.“, antwortete sie. Das war das zweite Mal an diesem Tag, dass sie ihn völlig kalt erwischte und seine Überraschung spiegelte sich auch jetzt auf seinem Gesicht wider.
 

„Ich kann unter diesen Bedingungen nicht hierbleiben.“, fuhr sie fort, ehe er sich von seinem Schock erholen konnte. „Aber ich wollte dir noch sagen, dass du mich jederzeit kontaktieren kannst, wenn du bereit bist, mir entgegen zu kommen. Du ahnst vermutlich, wo du mich finden wirst. Und … ich wollte mich verabschieden. Mama würde es nicht toll finden, wenn ich einfach so verschwinden würde. Also. Auf Wiedersehen. Das hoffe ich wirklich.“
 

Damit drehte sie sich um und ging zur Tür zurück. Sie atmete tief und gleichmäßig, um nicht in Tränen auszubrechen. Hinter sich hörte sie, wie ihr Vater so heftig aufstand, dass sein Stuhl nach hinten rollte. „Lucy!“, rief er hinter ihr und da lag etwas beinahe Verzweifeltes in seiner Stimme, etwas das ihr sagte, dass er jetzt begriff, was er zu verlieren drohte. Doch statt einzulenken, vergrub er sich nur tiefer in seine Denkweise. „Lucy, wenn du da jetzt rausgehst, dann kannst du nicht so einfach mir nichts, dir nichts wieder zurückkommen! Glaub ja nicht, dass du dann von mir noch irgendetwas erwarten kannst! Hörst du? Keine Kontakte, kein Geld, keine Unterstützung!“
 

Sie hielt inne, die Hand auf der Türklinke und atmete tief durch, ehe sie sich wieder umdrehte. Er stand da hinter seinem großen Schreibtisch und wirkte seltsam verloren, trotz seiner Größe und seiner eigentlich so einnehmenden, autoritären Ausstrahlung. „Du verstehst es einfach nicht.“ Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Lebe wohl, Papa.“ Damit wandte sie sich wieder ab und musste jetzt doch heftig blinzeln, um die Tränen aus den Augen zu bekommen. Aber sie hielt nicht inne, sondern drückte die Klinke hinunter und verließ den Raum. Mit raschen Schritten eilte sie durch die Eingangshalle und öffnete auch die Haustüre.
 

Natsu wartete am Fuße der breiten, eindrucksvollen Freitreppe auf sie und er blickte ihre besorgt entgegen, als sie im Eingangsportal auftauchte. Lucy schüttelte nur den Kopf und ließ sich von ihm helfen, ihre Taschen in den roten Mustang zu packen. Sie wollte jetzt nicht reden.
 

Gerade, als sie die Beifahrertür öffnete, kam Jude aus dem Haus gestürzt. Auf dem oberen Absatz der Freitreppe blieb er stehen und starrte mit steinernem Gesicht zu ihr hinunter. Dann wanderte sein verächtlicher Blick zu Natsu hinüber, der ihn unerschrocken erwiderte. Natsu hatte noch nie Angst vor ihm gehabt.
 

„Lucy, sei vernünftig. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass der dir bieten kannst, was du brauchst?“ Jude schnaubte abfällig. Hätte er nicht so gute Manieren, hätte er vermutlich verächtlich auf den Boden gespuckt. „Pass nur auf, in ein paar Monaten kommst du zurückgekrochen, spätestens dann, wenn du merkst, dass er dir deinen Studienwunsch nicht erfüllen kann.“
 

Lucy war sich klar, dass sich für sie einiges ändern und es nicht leicht werden würde. Aber was war das Leben ohne Herausforderungen? Sie konnte sich darauf einstellen. Die wirklichen Linien, die sie nicht überschreiten würde, waren die, die Jude ihr vorschreiben wollte. „Auf Wiedersehen, Papa. Du weißt, wo du mich findest, falls du es dir anders überlegst.“
 

Damit kletterte sie in das Auto und Natsu tat es ihr ohne ein Wort gleich. Ausnahmsweise hielt er sich zurück und sie war ihm unglaublich dankbar dafür. Sie wollte jetzt nicht auch noch einen Streit zwischen ihm und ihrem Vater, nicht nach alldem, was heute schon geschehen war!
 

Der Motor des Mustangs heulte auf und Natsu beschleunigte so schnell, dass die Reifen tiefe Spuren in dem Kies hinterließen und kleine Steinchen gegen die Karosserie spickten. Sie konnte im Rückspiegel ihren Vater sehen, der ihr wütend und wortlos hinterher starrte, eine erstarrte, einsame Gestalt vor einem riesengroßen Haus, der eben die größte Niederlage seines Lebens eingesteckt hatte.
 

Während der Fahrt starrte Lucy wortlos aus dem Fenster und antwortete auch nicht, als ihr Freund versuchte mit ihr zu sprechen. Natsu gab es schnell wieder auf und bald waren sie an der Werkstatt angekommen, wo er den Mustang in der Nähe der Haustür parkte, entfernt von der Geschäftigkeit des Betriebes.
 

Igneel blickte von seiner Arbeit auf, als sie ausstiegen, doch er kam nicht herüber und Lucy war dankbar dafür. Sie würde es jetzt nicht ertragen, mit jemandem zu reden. Beladen mit ihren Taschen gingen Natsu und sie die Treppen zum Apartment hinauf und in das ehemalige Gästezimmer, das die beiden ihr freigeräumt hatten. Igneel hatte darauf bestanden, dass sie ihren eigenen Platz bekam, auch wenn er mit einem Augenzwinkern hinzugefügt hatte, dass es ihm egal war, ob sie die Nächte bei Natsu verbrachte, solange sie nur leise genug waren. Damals war sie rot geworden und hatte peinlich berührt gelacht, begleitet von den lautstarken Protesten ihres Freundes.
 

Jetzt war sie froh darum. Sie rollte sich auf dem Bett zusammen und weinte so lange, bis sie erschöpft einschlief und nicht einmal Natsus tröstende Umarmung konnte sie beruhigen. Für Außenstehende mochte es so aussehen, als ob sie diesen Krieg gewonnen hatte, aber konnte sie bei diesem Preis wirklich von einem Sieg sprechen?

16. Kapitel, in dem Lucy ein neues Leben beginnt

Am nächsten Tag hatte Lucy eine Erkältung und pochende Kopfschmerzen. Sie rollte sich unter ihrer Decke zusammen und ließ sich von Natsu Frühstück ans Bett bringen. Doch als er versuchte, mit ihr zu reden, blockte sie ihn ab mit der Bitte, dass er ihr eine Weile Zeit ließ, die Sache zu verarbeiten. Natsu war sichtlich nicht begeistert davon, aber er ließ ihr ihren Willen, wofür sie ihm unglaublich dankbar war.
 

Trotz ihrer Unwilligkeit zu Reden ertrug sie es nicht, allein zu sein und rollte sich auf dem Sofa im Wohnzimmer zusammen. Es war nicht ständig jemand da – ein normaler Wochentag bedeutete, dass die Werkstatt normalen Betrieb hatte und Igneel dort voll eingespannt war. Natsu allerdings geisterte immer wieder durch die Räume, fragte, ob sie etwas brauchte, und verschwand dann zwischendurch wieder. Lucy konnte nur vermuten, dass sein Vater ihn freigestellt hatte, um nach ihr zu sehen.
 

Zudem war das Baby den ganzen Tag unruhig und es verging nicht eine Stunde, da es ihr nicht gegen das eine oder andere Organ trat. Vermutlich spürte es ihren eigenen Stress und ihr aufgewühlten Gefühle, mit denen sie nichts anfangen konnte. Was auch immer es war, sie war unglaublich dankbar darum – ein weiteres Zeichen dafür, dass sie nicht alleine war.
 

Auch Erza und Gray kamen vorbei und erkundigten sich, ob sie etwas für sie tun konnten. Natsu musste ihnen gesagt haben, was geschehen war, auch wenn er selbst nur die Grundzüge kannte. Sie hatte es einfach nicht über sich gebracht, mehr als für ein paar Worte auf einmal den Mund aufzumachen.
 

Erza brachte einen Stapel Brettspiele mit und sie, Gray und Natsu erfüllten das Wohnzimmer am Nachmittag mit lebhaftem Geplauder, während Lucy daneben saß, mitspielte und größtenteils zuhörte. Niemand war ihr böse, als sie sich nach dem dritten Spiel auf einen Sessel im Hintergrund verzog und gar nichts mehr tat.
 

Sie versuchte, sich einen Reim auf ihre Gefühle zu machen, die gleichzeitig aufgewühlt und dumpf zu sein schienen. Eigentlich sollte das nicht so schwer werden. Immerhin hatte sie sich darauf vorbereitet, damit gerechnet. Warum fühlte es sich trotzdem beinahe so an, wie damals als Layla gestorben war? Sie hatte hier keinen Trauerfall zu beklagen, verdammt noch mal! Ihr Vater war selbst schuld an all dem! Aber warum tat es trotzdem so weh?
 

Sie wusste, dass es nicht lange so weitergehen konnte, immerhin fing in ein paar Tagen die Schule wieder an. Dort würde sie mit genug Problemen zu kämpfen haben, für die sie auch noch keine Lösung wusste – all das Gerede und Geflüster, das ihr durch die Gänge folgen würde, sobald die Schülerschaft von ihrer Schwangerschaft erfuhr, das Problem mit dem Unterricht und den Prüfungen, sobald das Baby da war, die Prüfungen selbst, die im Hintergrund aufragten und die sie auf keinen Fall verhauen, sondern mit Bravour bestehen wollte.
 

Aber im Moment konnte sie es kaum über sich bringen, auch nur mit jemandem zu reden.
 

Allerdings sagte sie sich immer wieder, ganz egal, was geschah, zumindest auf drei Personen konnte sie zählen, denn Natsu, Erza und Gray standen hinter ihr und dann natürlich auch so viele andere – Loke, Igneel, Ur, Grandine und noch so viele andere. Das brachte ihr jedes Mal Erleichterung und nahm etwas von der Angst, wenn sie sich zu sehr in ihre Gedanken hineinsteigerte.
 

Sie bekam kaum mit, wie Erza und Gray sich wieder verabschiedeten und Natsu sich bis zum Feierabend wieder in die Werkstatt verzog. Allerdings schreckte sie auf, als jemand in der Küche mit Töpfen und Pfannen hantierte und schloss sich dann Igneel an, der eine kleine Mahlzeit zubereitete.
 

Nach dem Essen half sie auch beim Abwasch – sie wollte keinen Moment den Eindruck erwecken, dass sie sich als Schmarotzer hier eingenistet hatte. Sie wollte unbedingt ihren Teil der Arbeit tun, denn auch wenn sie noch nicht wusste, wie es genau weiterging, bis zum Ende ihrer Schulzeit würde sie auf jeden Fall hier leben.
 

Danach verzog sich dann mit ihrem Zeichenblock auf die Terrasse in einen der alten, klapprigen Stühle. Doch sie klappte den Block nicht einmal auf, stattdessen spielte sie nervös mit dem goldenen Anhänger ihrer Kette. Ihre Hand hatte im Laufe des Tages immer wieder dorthin gefunden, das kleine Herz war wie ein Anker, an dem sie sich festhalten konnte. Eine Versicherung – Du bist nicht allein – ich bin hier. Wir sind hier.
 

Es war still, nur von der Ferne drang Verkehrslärm an ihr Ohr und das Geräusch eines Rasenmähers. In der Tiefe des Gartens zwitscherten Amseln und ein paar Spatzen stritten sich um einen besonderen Leckerbissen. Hin und wieder raschelte der Wind durch die Bäume, doch ansonsten war es überraschend still. Vielleicht verstarb der Betrieb hier nach Feierabend, immerhin befanden sie sich hier am Rande des Industrieviertels.
 

Der Himmel war bedeckt von fluffigen Wolken, doch er färbte sich langsam golden und orange. Bald würden sie den Anblick eines farbenfrohen, spektakulären Sonnenuntergangs genießen können. Sie sollte aufstehen und ihre Buntstifte holen, damit sie ihn einfangen konnte, doch sie brachte es einfach nicht über sich, sich aufzuraffen.
 

Sie zuckte heftig zusammen, als jemand sich hinter ihr räusperte, und blickte auf. Doch es war nur Igneel, der im Rahmen der offenen Glastür stand. „Darf ich mich setzen?“ Er deutete auf den Stuhl, der neben ihrem stand.
 

Sie nickte hastig. Es war immer noch sein Haus und sie fühlte sich ein wenig ungelenk. Er hatte nicht viel Wahlmöglichkeiten in dieser Angelegenheit gehabt, denn sie hatten einfach die Bombe auf ihn fallen lassen. Aber Igneel schien das nicht zu stören und hatte sich keinen Moment weniger als hundert prozentig unterstützend gezeigt, tatsächlich übertraf er ihre kühnsten Erwartungen.
 

Jetzt setzte er sich still neben sie, faltete die Hände und sagte gar nichts. Es war, als wollte er ihr einfach nur Gesellschaft leisten oder den Abend mit ihr genießen. Die Wolken färbten sich inzwischen rosa, was einen wunderschönen Kontrast zu dem Blau abgab, das dahinter noch durchschimmerte. Lucy wandte sich wieder ab und spielte nervös mit ihrem Bleistift.
 

„Es wird besser werden, weißt du.“, sagte er plötzlich.
 

Überrascht blickte sie auf.
 

Igneel sah sie kurz an, ehe er wieder über seinen verwilderten Garten schaute und sich dann zurücklehnte. Vielleicht wünschte er sich, ein Bier mit herausgebracht zu haben. „Ich weiß, wie es ist, jemanden zu verlieren, der … eine andere Wahl gehabt hat.“
 

Lucys Atem stockte für einen Moment. Sie wusste nicht viel über diese Sache, nur was Natsu ihr in einer mondhellen Nacht unter wütenden Trauertränen erzählt hatte. Aber sie wusste, dass Carolina Dragneel sich umgebracht hatte, als ihr Sohn sieben Jahre alt gewesen war. Anscheinend war sie schwer depressiv gewesen, aber wie genau das verlaufen war, hatte Natsu ihr nicht erzählt. Vielleicht wusste er es selbst nicht genau. Lucy wollte gar nicht wissen, wie es war, auf diese Weise eine geliebte Person zu verlieren.
 

Igneel schien damit Frieden geschlossen zu haben, auch wenn seine Worte zeigten, dass es nicht einfach gewesen sein konnte. Natsu jedenfalls war noch nicht an diesem Punkt angelangt, das wusste Lucy genau. Aber hier ging es nicht um Carolina, auch das konnte sie erkennen.
 

„Ich vermisse ihn.“, sagte sie leise. „Aber ich bin immer noch so wütend und … und … enttäuscht und traurig, dass er mich lieber hat gehen lassen, als mich und das Baby und Natsu zu akzeptieren. Bin ich ihm nur so wenig wert?“ Sie schniefte und wischte sich ärgerlich die Tränen weg. Vielleicht war es doch Trauer, die sie so aus der Bahn warf. „Und ich habe ein schlechtes Gewissen. Was würde Mama nur sagen?“
 

Igneel wandte sich ihr zu und nahm ihre Hand. Sein Händedruck war fest und sicher. „Ich weiß, es ist schwer zu glauben und ich weiß nicht, wie lange ich selbst gebraucht habe, um zu diesem Punkt zu gelangen, aber du hast dir rein gar nichts zuzuschreiben. Du hast alles richtig gemacht. Dein Vater war es, der dich nicht aufgehalten hat und die Herausforderungen nicht mit dir bestehen will. Aber du bist nicht Schuld.“
 

Lucy wusste, dass er Recht hatte.
 

Sie sagte sich das selbst schon seit dem Tag an dem sie den Entschluss gefasst hatte, Jude vor diese Entscheidung zu stellen. Aber das half ihr nicht, mit den Gefühlen zurecht zu kommen und dem verräterischen Gedanken, dass sie es war, diese Entscheidung heraufgezwungen hatte.
 

Sie hatte mit Jude gesprochen, ihn vor die Wahl gestellt und diesen Entschluss forciert, in dem sie auf ihren Standpunkt beharrt hatte. Dann war sie es gewesen, die ihre Sachen gepackt und ihn verlassen hatte. Aber was hätte sie anderes tun sollen? Hier ging es nun mal nicht um ihn und auch wenn die Entscheidung hart gewesen war, es war die Richtige gewesen.
 

„Und wer weiß?“, fügte Igneel nach einem Moment hinzu. „Du und dein Vater, ihr mögt noch eine zweite Chance bekommen.“ Anders als er und Carolina – ihre Lösung war sehr viel endgültiger gewesen.
 

Lucy schenkte ihm ein kleines Lächeln. Trotzdem fühlte sie sich jetzt schon ein kleines Bisschen besser als vorhin. Vielleicht hatte es einfach geholfen, von jemandem wie Igneel zu hören, dass sie nichts falsch gemacht hatte, jemandem, der verantwortungsvoll und dem man vertrauen konnte. „Ich hoffe es. Bis dahin muss ich aber damit zurechtkommen und ich weiß nicht, wie.“
 

Er lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Es ist okay, dich niedergeschlagen zu fühlen. Sogar, dass du trauerst. Du hast gestern deinen Vater verloren und auch wenn er noch lebt, im Moment ist er nicht mehr Teil deines Lebens. Das ist auch ein Verlust.“
 

Lucy gab ein unbestimmtes Geräusch von sich und wandte sich auch wieder nach vorn. Sie hoffte nur, dass sie sich schnell mit diesem neuen Leben abfinden konnte, damit, dass Jude nicht mehr da war.
 

Sie hatte an anderes zu denken als an ihren Vater! Am Montag ging die Schule wieder los und für die damit zusammenhängenden Probleme musste sie noch eine Lösung finden. Ende Januar stand noch eine weitere, große Veränderung an, immerhin stand dann die Geburt des Babys an. Und dann hatte sie ganz sicher keine Zeit mehr, sich mit Jude auseinanderzusetzen, der ihr klipp und klar gesagt hatte, dass er sie nicht wiedersehen wollte!
 

Sie gab sich nicht irgendwelchen Illusionen hin, dass es nach der Geburt einfacher oder weniger stressig werden würde, ganz im Gegenteil. Dann würde alles erst anfangen und auch wenn sie im Moment noch nicht wusste, wie sie mit all dem zurechtkommen würde, irgendwie musste sie es schaffen. Sie hatte gar keine Zeit, jemandem nachzutrauern, der nicht über seinen Schatten springen konnte, um ihr ein kleines Stück entgegen zu kommen.
 

Nicht einmal, wenn dieser Jemand ihr eigener Vater war.
 

Doch Bestätigung zu haben, dass ihre Gefühle und ihr Kummer nicht völlig unbegründet waren, tat gut. Zudem war es tröstlich zu wissen, dass jemand sie verstand, auch wenn sie wusste, dass Igneels Lage so völlig anders war als ihre. Sie schniefte erneut und zog die Nase hoch.
 

„Dieser Garten sieht scheußlich aus.“, knurrte Igneel plötzlich und unterbrach damit ihre Gedanken.
 

„Ein wenig überwachsen.“, gab Lucy amüsiert zu und versuchte, ihre Tränen wegzublinzeln, die ihr plötzlich in die Augen stiegen. „Aber gar nicht so schlimm.“ Sie stand auf und trat an den Rand der Terrasse. Igneel hatte nicht übertrieben. Von einer Wiese war nicht viel zu sehen, die Beete waren nicht mehr zu erkennen und Unkraut hatte sich überall breitgemacht. Eine ganze Ecke war von Brennnesseln eingenommen und die Hecken wuchsen unkontrolliert in alle Richtungen. Es war offensichtlich, dass sich schon lange niemand mehr darum gekümmert hatte.
 

Er schnaubte. „Carolina rotiert sicher in ihrem Grab. Sie hat diesen Garten geliebt, er war ihr Zufluchtsort. Sie konnte Stunden hier verbringen.“
 

Lucy wurde plötzlich getroffen von den Parallelen zu ihrer eigenen Mutter – auch für Layla war der Garten etwas Besonderes gewesen. Wie seltsam, dass zwei so verschiedene Menschen, die zwei so verschiedenen Hintergründen und Lebenseinstellungen gehabt hatten, so etwas geteilt hatten. Sie fragte sich, ob die beiden Frauen Freundinnen hätten werden können, wenn sie noch leben würden.
 

Sie lachte, etwas unsicher und erstickt, weil die Tränen einfach nicht aufhören wollten und immer wiederkommen, so dass ihre Augen überflossen. „Es ist wirklich nicht so schlimm.“, versuchte sie es erneut, obwohl das eine glatte Lüge war.
 

Igneel stand plötzlich neben ihr. „Dann macht es dir sicher nichts aus, ihn wieder auf Vordermann zu bringen.“
 

Sie wollte ihm antworten, dass es kein Problem sei, dass sie das gerne machte, dass ihr dieses Angebot sogar entgegenkam und sie ihn auch danach hatte fragen wollen. Stattdessen schluchzte sie laut aus und ließ ihren Tränen endlich freien Lauf. Als er sie in eine tröstende Umarmung zog, schlang sie die Arme um ihn, so fest sie konnte, presste das Gesicht gegen sein T-Shirt und weinte.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

„Du siehst aus, als würde es dir schon wieder bessergehen.“
 

Grays dunkle Stimme schreckte Lucy aus ihrer Arbeit hoch und sie blickte auf. Er stand in der Tür, einen Arm gegen den Rahmen gelehnt, und schaute auf sie hinunter, wie sie da inmitten von einem Berg Designerkleidung auf dem Boden saß.
 

„Brauchst du Hilfe?“, wollte er wissen und sie blickte kurz demonstrativ um, eine Augenbraue hochgezogen. Sie kauerte vor dem Schrank und um sie herum waren Stapel an Klamotten verteilt, die nach Art und teilweise auch Farbe sortiert waren. Auf einer Seite stand ihr Koffer, der noch nicht vollständig leer war.
 

Während der letzten Tage hatte sie sich nicht dazu aufraffen können, Ordnung in ihr Zimmer zu bringen und im Grunde aus ihrem Reisegepäck gelebt. Aber die Arbeit erledigte sich nicht von allein (nicht wie in der Hearphiliavilla, wo Scharen von Bediensteten ihr alle Arbeit abnahmen, wenn sie dies denn wollte, und das war etwas, an das sie sich auch erst noch gewöhnen musste – dabei hatte sie gedacht, selbstständig zu sein und das meiste allein zu machen!) und morgen fing die Schule wieder an. Dann wollte sie sich eigentlich nicht mehr mit solchen Kleinigkeiten wie Umzugsgepäck herumschlagen.
 

Also hatte sie sich hingesetzt und räumte nun ihr Zimmer ein, so dass es wohnlich war und sie nicht mehr alle drei Schritte über eine Kiste oder Tasche stolperte. Dass Gray ihr helfen wollte, war zwar eine süße Geste, aber… Sie schnappte sich einen BH aus einem Stapel und hob ihn grinsend hoch. „Wirklich?“
 

Gray schaute peinlich berührt weg und seine Ohren glühten rot. „Ich sehe, dir geht es besser.“
 

Lucy lachte, warf das Kleidungsstück auf den Haufen zurück und erhob sich. „Man sollte meinen, du hast schon genug Mädchenunterwäsche gesehen.“, zog sie ihn auf und diesmal färbten sich auch seine Wangen rot. Er hatte wirklich genug Freundinnen gehabt und sie wusste mit absoluter Sicherheit, dass sein Sexleben schon länger sehr viel lebendiger war als ihres.
 

„Aber nicht die von einer guten Freundin, die auch noch mit meinem besten Freund zusammen ist!“, protestierte er ohne sie anzusehen und stopfte die Hände in die Hosentaschen.
 

Lucy grinste, wurde aber rasch wieder ernst. „Gibt es etwas, das du wolltest?“
 

Er räusperte sich und nickte dann. „Hast du einen Moment Zeit?“
 

Sie gestikulierte zu dem Sofa, das gegenüber den großen Glastüren stand, die auf einen kleinen Balkon hinausführten. Dieser befand sich zwar nur etwa einen Meter über dem Erdboden, aber nichtsdestotrotz nahm sie sich vor, ihn zu nutzen und ein paar Pflanzen darauf zu ziehen – Tomaten vielleicht, da er überdacht war durch einen zweiten Balkon im oberen Stock. Von hier hatte man einen überaus tollen Blick über den Schrottplatz hinter dem Haus. Aber Bettler konnten nicht wählen und sowieso konnte sie nicht verlangen, dass der Ausblick ihres neuen Heims ebenso schön war wie der von ihren Zimmern in der Villa.
 

Sie hatte eine Kiste auf dem Sofa abgestellt und daneben lag die geöffnete Zeichenmappe mit Laylas Bildern, doch das war schnell beiseite geräumt und sie ließen sich auf die bequemen Polster fallen. „Also.“, begann Gray, der offensichtlich nicht genau wusste, wie er anfangen konnte.
 

Lucy faltete die Hände über ihrem inzwischen schon gut bemerkbaren Bauch und wartete geduldig. Man musste ihm nur etwas Zeit lassen, dann würde er schon die richtigen Worte finden.
 

„Es tut mir leid.“, erklärte er schließlich rundheraus und sie blickte ihn erstaunt an. Von was redete er? „Dass ich dir das alles an den Kopf geworfen habe, du weißt schon, bevor ich ins Sommercamp bin.“ Er verzog das Gesicht. „Ich hätte nicht so harsch sein dürfen.“
 

„Aber du hast jedes Wort so gemeint, wie du es gesagt hast, nicht wahr?“, wollte Lucy wissen. „Und du meinst sie immer noch so.“
 

„Ich…“ Gray verstummte und errötete, was ihr genug Antwort war. Er nahm seine Worte nicht wirklich zurück, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Trotzdem versuchte er, sich herauszureden: „Aber ich hätte dich trotzdem nicht so anfahren und dir diese Vorwürfe machen dürfen. Ich hätte einen anderen Weg finden müssen, dir das zu sagen, ohne dich so herunterzuputzen und dir zu erklären, du hättest Natsu nicht verdient.“
 

Sie dachte an den Moment zurück, als er ihr dies gesagt hatte, und den Schmerz, den sie darüber verspürt hatte. Und ihre Unfähigkeit, sich selbst mit diesen Worten zu konfrontieren. Denn jetzt im Nachhinein konnte sie sagen, all das stammte nur daher, dass sie der Wahrheit entsprochen hatten. Wenn sie sich selbst gegenüber glaubhaft alles von sich hätte weisen können, hätte sie Gray damals einfach ins Gesicht gelacht. Doch ihre eigenen Zweifel waren es, die alles so schmerzhaft und schwierig für sie gemacht hatten. Und darum wusste sie heute, dass es für sie absolut notwendig gewesen war, diese Worte zu hören.
 

Außerdem, hatte er ihr nicht im gleichen Augenblick versichert, dass sie eine teure Freundin für ihn war und er sie bewunderte? Gray hatte absolut nichts falsch gemacht, im Gegenteil, heute war sie froh darum, dass er zu ihr gekommen war um ihr dies alles zu sagen.
 

Für eine Weile war es still zwischen ihnen und Lucy spürte, wie er sich immer mehr versteifte, während sie fieberhaft nach den richtigen Worten suchte, um ihm zu antworten, ihm diese Last zu nehmen und gleichzeitig den letzten Rest Spannung zu entfernen. Sie nahm seine Hand und versuchte es einfach: „Gray, ich bin dir ehrlich gesagt dankbar, dass du mir an diesem Tag den Kopf gewaschen hast. Das hat mir einen neuen Blickwinkel gegeben. Einen, den ich bitter nötig hatte. Also. Wenn du wieder mal etwas siehst, worüber du mich zur Rede stellen willst, dann tu das. Vielleicht bin ich dir im ersten Moment böse, aber wenn du Recht hast, dann werde ich dir zustimmen. Ich baue darauf, auf dich zählen zu können. Manchmal … manchmal sehe ich es einfach nicht und ich will nicht die Leute, die mir am wichtigsten sind, verletzen, weil ich zu verbohrt war.“
 

Er drückte ihre Hand und sie fühlte, wie die Anspannung von ihm wich. „Ich werde mich bemühen. Ich wollte nur nicht, dass das zwischen uns steht.“
 

„Keine Sorge, das tut es nicht. Tatsächlich wollte ich auch noch mit dir reden, um alle Missverständnisse aufzuklären.“ Sie grinste ihn an. „Und denke daran, ich werde nicht zögern, das gleiche auch mit dir zu tun, wenn ich denke, dass du dich falsch verhältst und jemanden verletzt!“ Sie drohte ihm spielerisch mit dem Finger und Gray lachte erleichtert.
 

„Deal.“, erklärte er und schlang einen Arm um ihre Schultern, um sie in einer Art Halbumarmung an sich zu ziehen. Lucy erwiderte die Geste und lehnte sich gegen ihn. Für einige Augenblicke saßen sie einfach so da und sie war froh, diese Sache zwischen ihnen endlich bereinigt zu haben.
 

„Ich war trotzdem ziemlich hart zu dir.“, murmelte Gray schließlich und fuhr sich durch die Haare.
 

„Vielleicht ein bisschen.“, gab sie verschmitzt zu. „Denke also nicht, dass ich Gnade mit dir haben werde, wenn deine Zeit kommt, und glaube mir, sie wird es tun.“
 

„Ich mache mir schon in die Hosen.“, war die spöttische Antwort und sie blickte zu ihm hoch und hielt ihm eine Faust unter die Nase. „Gray Fullbuster, machst du dich etwa lustig über mich? Glaub mir, wenn es so weit ist, wirst du hoffen, dass ich mich gnädig erweisen werde.“
 

„Ich habe keinen Zweifel daran.“ So ganz war sie sich nicht einig, ob er sie aufzog oder es ernst meinte.
 

„Hey, man, das ist meine Freundin, such dir eine eigene!“, mischte Natsu sich gespielt beleidigt ein. Er stand in der Tür und grinste sie an. „Es gibt übrigens Essen.“
 

Gray feixte herausfordernd und zog Lucy demonstrativ näher an sich. „Jetzt gehört sie mir, geh weg, damit wir durchbrennen können.“ Er wedelte mit der freien Hand, wie um Natsu wegzuscheuchen.
 

Lucy boxte ihm gegen die Rippen. „Ich glaube, ich habe da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und jetzt lass mich los, ich habe Hunger.“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Die erste Schulwoche war noch ziemlich ruhig. Man musste sich schließlich erst einmal wieder einleben nach den langen Ferien, sich auf die neuen Lehrer und Räume einstellen und den neuen Schulstoff, vielleicht auch auf neue Gesichter in den Reihen der Mitschüler. Die ersten paar Tage galten sowieso der Organisation und den ersten Versuchen, sich wieder in das Arbeiten einzufühlen.
 

Lucys Gespräch mit der Rektorin ihrer Schwangerschaft bezüglich war gut verlaufen, auch wenn die Frau erst einmal ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut hatte. Aber dann war sie erstaunlich offen und erstaunlich verständnisvoll, was Lucy einen großen Stein vom Herzen fallen ließ. Die anderen Lehrer, die von der Rektorin benachrichtigt wurden, ließen sie nur wissen, dass sie Bescheid wussten und schwiegen ansonsten darüber.
 

Wie es mit ihrer schulischen Laufbahn nach der Geburt weitergehen würde und das mit den Prüfungen ablaufen würde, musste allerdings noch geklärt werden. Die Rektorin hatte keine handliche Lösung parat, erklärte aber, dass ein Baby im Unterricht nichts zu suchen hatte. Lucy allerdings hatte auch nicht vor, ein Schuljahr auszusetzen und erst weiterzumachen, wenn ihr Sohn alt genug war. Vielleicht würde sie ausgewählte Stunden aussetzen oder nachholen können, wenn ihre Noten dabei nicht absackten?
 

Über Lucy wurde jedoch auch in dieser ersten Woche geredet, allerdings nicht über das Baby, sondern über ihren plötzlichen Auszug bei ihrem Vater. Anscheinend kochte die Gerüchteküche über, weil niemand den genauen Grund wusste, aber natürlich hatte weder ihr Vater noch sie verbergen können, dass es einen Bruch zwischen ihnen gegeben hatte. Und Jude war nun einmal eine stadtbekannte Persönlichkeit, den eigentlich jeder in Magnolia kannte.
 

Sie direkt darauf anzusprechen wagte allerdings niemand. Ihr war klar, dass dies nicht ewig so bleiben würde – spätestens, wenn ihr Bauch größer wurde, so dass einfache T-Shirts ihn nicht mehr verdecken würden, wäre es soweit. Sie hoffte, diesen Moment so lange herauszuzögern, wie nur möglich, um noch eine Weile Ruhe vor all dem Gerede zu haben, das damit einher gehen würde.
 

Zwei Wochen ging das gut, dann fand es irgendwer doch heraus. Vielleicht hatte ein Lehrer unvorsichtig geplaudert, vielleicht hatte jemand ihren Babybauch gesehen und zwei und zwei zusammengezählt, vielleicht kam es von außerhalb der Schule über die Firma oder von den Bediensteten in der Villa. Auf jeden Fall explodierte die Schule vor Aufregung und die Luft schien zu Summen vor Gerüchten.
 

Weil aber Natsu ständig an ihrer Seite war, wagte es niemand, zu laut über sie zu lästern oder sie direkt anzusprechen. War es nicht Natsu, war Erza da und feuerte wütende Blicke in die Richtung von allen ab, die auch nur den Anschein machten, eine negative Bemerkung fallen lassen zu wollen. An sie traute man sich noch weniger heran, also bekam Lucy eher weniger von dem ganzen Trara mit.
 

Hin und wieder fing sie ein paar böse Worte auf, die teilweise sehr wenig Sinn machten (warum sollte sie Natsu mit einem Kind an sich binden wollen wenn sie – objektiv gesehen – ohne ihn eine weit bessere Stellung hätte? Hallo! Sie hatte in einer Villa gewohnt und mehr Geld gehabt, als sie jemals hätte ausgeben können!) Ein paar Leute waren jedoch so freundlich, ihnen zögerlich zu gratulieren. Einen Jungen ohrfeigte sie, nachdem er angedeutet hatte, dass das Baby vielleicht nicht von Natsu war. Grays neue Freundin Amanda (die nicht an ihre Schule ging) schickte ihr eine niedliche Glückwunschkarte, über die Lucy sich sehr freute.
 

Sie war jedenfalls sehr froh, dass sie von alledem nicht viel mitbekam und ziemlich zuversichtlich, dass das ganze Gerede bald wieder aufhören würde. Irgendwann würde es schon zur Normalität werden und die Schülerschaft sich auf die neueste Sensation stürzen, über die man sich das Maul zerreißen konnte.
 

Sie hatte auch den Verdacht, dass Natsu, Erza und Gray sie absichtlich abschirmten und ausnahmsweise war sie ihnen nicht böse über diese Gluckenhaftigkeit. Klar, sie wäre auch ohne diese Hilfe allein damit zurechtgekommen, aber so konnte sie sich auf andere Dinge konzentrieren.
 

Alles in allem verlief die Zeit in der Schule eigentlich ganz gesittet und angenehm, so dass Lucy sich drauf konzentrieren konnte, ihre Noten zu halten und Punkte bei den Lehrern zu sammeln. Sie hatte schon einen vagen Plan, wie sie die Zeit zwischen der Geburt und den Prüfungen zu überbrücken, aber das hing stark von dem Zuspruch ihrer Lehrer ab und davon, ob diese ihr zutrauten, den erforderlichen Stoff alleine durchzupauken. So könnte sie für den Nachmittag oder ausgewählte Stunden Zuhause bei ihrem Sohn sein, ohne das Jahr aussetzen zu müssen.
 

Das einzige, was ihr im Bezug auf die Schule wirklich Sorgen machte, war Natsu. Er sprach nicht darüber, aber sie konnte sehen, dass etwas an ihm nagte. Doch wenn sie ihn darauf ansprach, wehrte er unwillig ab und er ließ auch nicht zu, dass sie einen Blick auf seine Arbeiten warf. Sie hoffte nur, dass er von alleine zu einer Lösung kam oder irgendwer anderes ihm helfen konnte, wenn er sie schon nicht mit einbezog.
 

Die nächsten Wochen vergingen ohne weitere Zwischenfälle. Oder zumindest fanden keine größeren Tragödien statt, wenn man von den üblichen Schuldramen absah, die in jedem Jahr so stattfanden und nach zwei, drei Wochen wieder vergessen waren.
 

Erza kämpfte mit zwei Verehrern, die neu in die Klasse gekommen waren und einfach nicht glauben wollten, dass man sie wirklich besser in Ruhe ließ. Irgendwann machte sie einen auf Red Sonja und versprach den beiden ein Date, wenn sie es schafften, sie im Zweikampf zu besiegen. Natürlich rammte sie beide unangespitzt in den Boden, was die Jungs allerdings nicht abhielt, sie weiterhin anzuhimmeln.
 

Das Gerede um Lucy erstarb, wie sie es vorhergesehen hatte, als man sich anderen Sensationen zuwandte. Hin und wieder erkundigte sich jemand nach dem Verlauf der Schwangerschaft und nachdem Erza stolz hatte verlauten lassen, dass es ein Junge wurde, nahm das Interesse noch einmal zu, wenn auch auf eine positive Art und Weise.
 

Die Rothaarige selbst war sehr aufgeregt über ihr zukünftiges Patenkind, was jetzt immer mehr zunahm. Hin und wieder brachte sie Geschenke, mal war es ein Album, mal ein paar kleiner Schühchen, mal irgendein Spielzeug, und stritt sich gutmütig mit Gray um die Rolle des Paten. Im Grunde war sie noch begeisterter als Lucy und diese wollte sich gar nicht vorstellen, wie das werden würde, wenn Erza einmal selbst Kinder bekam.
 

Gray dagegen nahm die Sache ernst, beinahe zu sehr. Ernster noch als Natsu, der jedoch von Natur aus optimistisch und zuversichtlich war, während sein bester Freund dazu tendierte, die Dinge realistischer zu sehen und sich Sorgen zu machen. Amanda schien ihm in dieser Hinsicht gut zu tun und schaffte es, ihn auf andere Gedanken zu bringen.
 

Auch Loke verlange regelmäßig eigene Updates über die Schwangerschaft und sein zukünftiges Patenkind. Lucy hoffte, dass die drei es geregelt bekamen, und vor der Geburt entschieden, wer in den sauren Apfel beißen würde und diesen Wunsch aufgeben musste. (Erza, da war sie sich sicher, würde es nicht sein.) Aber mehr als zwei Paten gingen einfach nicht.
 

Das Baby selbst wurde immer lebendiger und aktiver und Lucy lag nicht selten abends noch eine Weile wach, während Natsu neben ihr schon längst schlief, und fühlte einfach, wie sich da eine winzige Person in ihrem Inneren bewegte. Das war ein Zeichen, beschloss sie, ein Zeichen, dass alles so lief, wie es sollte, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte und alles gut werden würde.
 

Nebenbei führte Lucy Krieg gegen den Haushalt. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, auch ihren Teil der Arbeit in ihrer kleinen Familie zu übernehmen. Da Igneel und Natsu sie aufgenommen hatten und Igneel in der Werkstatt einiges zu tun hatte, übernahm sie das, was übrig blieb und darum würde sie einfach das erledigen, was im Haushalt anfiel.
 

Von einfach konnte allerdings keine Rede sein.
 

Sie hätte nie gedacht, dass es so kompliziert war. Beide Dragneels mussten ihr – vor allem zu Beginn – oft genug Schützenhilfe leisten. Natürlich konnte sie den Abwasch übernehmen. Und die Küche sauber halten. Und auch ein wenig alles aufräumen. Aber ihr wurde schon ganz anders, als sie das erste Mal mit der festen Absicht, es zu putzen, im Badezimmer stand und nicht wusste, wo sie anfangen sollte und wie man so etwas überhaupt tat. Schließlich rief sie Natsu zur Hilfe, er sie mächtig dabei aufzog.
 

Außerdem war es gar nicht so leicht, alles unter einen Hut zu bringen, was so anfiel – Wäsche waschen, aufräumen, einkaufen, staubsaugen, kochen… Sie hätte nie gedacht, dass ein Haushalt so viel Arbeit war, und erst jetzt lernte sie richtig zu schätzen, was die Hausmädchen so alles für sie gemacht hatten! Es hatte doch etwas für sich, Leute zu haben, die ihr diese lästigen Arbeiten abnahmen…
 

Vermutlich wäre sie im Büro doch besser aufgehoben, denn obwohl sie sich nie groß dafür interessiert hatte, sie hatte doch einiges von ihrem Vater aufgeschnappt. Aber das war es nun mal nicht, wo ihre Hilfe gebraucht wurde. Also biss sie die Zähne zusammen, hielt sich ihren Laptop in der Nähe (Google wusste alles und konnte ihr immer weiterhelfen) und machte Erfahrungen.
 

Hin und wieder kam sie sich fürchterlich dumm vor – wenn sie mal wieder den Zucker mit dem Salz verwechselte, wenn sie zu viel Waschmittel in die Maschine gab, wenn sie den Wäscheständer auf der Terrasse stehen ließ und ein plötzlicher Regenguss die beinahe trockene Wäsche wieder völlig durchnässte, wenn ihr die Nudeln verkochten und ähnliche Missgeschicke.
 

Igneel und Natsu ertrugen ihre ersten Haushaltsversuche mit großer Geduld und noch größerem Humor, auch wenn sie ihr ständig versicherten, dass alles halb so wild wäre. Auch wenn sie Natsus Gesicht ablesen konnte, dass er ganz und gar nicht einverstanden mit dem misslungenen Essen war, während er ihr gleichzeitig versicherte, dass es hervorragend schmeckte. (Als hätte sie keine eigenen Geschmacksnerven, die ihr versicherten, dass es absolut fürchterlich war.)
 

Aber Lucy hatte trotzdem regelmäßig ein schlechtes Gewissen und nahm sich vor, solche dummen Fehler nie wieder zu machen. Tatsächlich merkte sie, wie sich alles langsam einpendelte und besser wurde und Mitte Oktober war sie inzwischen ganz zufrieden mit ihren haushälterischen Fähigkeiten.
 

Auch gegen das Unkraut im Garten führte sie einen Feldzug an, wenn auch wesentlich erfolgreicher. Auf diesem Gebiet hatte sie immerhin Erfahrung und auch wenn es zu spät war, jetzt noch viel anzupflanzen, zu tun gab es genug. Ein paar Beete mit Spätsommerpflanzen und Herbstblumen konnte sie zumindest anlegen, zu mehr reichte ihr Geld sowieso nicht. (Wie angenommen hatte Jude ihr Konto gesperrt, aber damit hatte sie ja gerechnet.)
 

Nachts schlief sie meistens bei Natsu. (Sie hatten sich extra ein größeres Bett besorgt.) Ihr eigenes Zimmer blieb beinahe ungenutzt, auch wenn ihre Sachen dort untergebracht waren. Nur hin und wieder, wenn sie alleine sein wollte (oder sich mit ihrem Freund gestritten hatte) zog sie sich dorthin zurück.
 

Die Wohnung der Dragneels war erstaunlich groß – drei Schlafzimmer, eine große offene Wohnfläche mit Küche sowie ein geräumiges Badezimmer und eine Extratoilette. Dazu kamen eine Abstellkammer und noch ein zusätzlicher kleiner Raum, der nichts Halbes und nichts Ganzes darstellte.
 

Igneel hatte gemeint, er wäre perfekt für ein Kinderzimmer und jetzt waren sie hier und renovierten ihn. Später, wenn das Kind dann größer war, konnte es ein eigenes Zimmer haben, aber vorerst würde es sowieso in Lucys Nähe schlafen. Darum würde der kleine Raum voll und ganz ausreichen. Lucy zweifelte allerdings ein wenig an der Eignung der Kammer für ein Baby, nachdem sie einen Blick hineingeworfen hatte, denn sie schien dunkel und eng.
 

Renovieren war vielleicht ein hochgestochenes Wort, aber er passte ganz gut, wenn Lucy an all die Spinnweben und Wasserflecken und den Dreck dachte, der sich hier unter all den Kisten und Kartons angesammelt hatte. Natsu hatte ihr verboten, beim Ausräumen zu helfen und nachdem sie eine halbe Stunde zugesehen hatte, wie er eine Box nach der anderen heraustrug, war sie ganz froh darum – es war erstaunlich, wie viel in so einen kleinen Raum tatsächlich hineinpasste.
 

Wenigstens ließ er sie beim Auseinandernehmen der Regale helfen, wenn sie auch nur Bretter halten und nachher die Schrauben einsammeln durfte. Das ganze Zeug wurde in Igneels Kunstwerkstatt zwischengelagert, bis die beiden Dragneels die Kisten durchgehen und aussortieren konnten. Vermutlich würde einiges davon entweder im Müll oder auf Ebay landen.
 

Ein großes Fenster, das vorher hinter Kisten verborgen gewesen war, ließ helles Licht herein, was den gesamten Raum völlig veränderte. Jetzt konnte sie sich sogar vorstellen, dass hier jemand wohnen konnte. Im Laufe der folgenden Wochenenden verlegten sie einen neuen, hellen Holzboden und strichen die Wände in einem freundlichen Hellgrün.
 

Schließlich kam der Freitag an dem sie das Kinderzimmer einrichten konnten. Natsu stand natürlich neben ihr und auch Igneel ließ es sich nicht nehmen, ein Wörtchen mitzureden, also standen sie gemeinsam in der Tür und blickten sich um.
 

„Die Wände sind noch etwas kahl.“, begann Igneel schließlich, als offensichtlich wurde, dass weder Natsu und Lucy den Anfang machen wollten. „Auf die eine Seite könnt ihr Regale hängen, die sind immer gut. Aber gegenüber fehlt noch ein Bild.“
 

„Vielleicht kann Lucy etwas malen.“, schlug Natsu sofort vor und warf ihr einen Blick an. „Was meinst du?“
 

Nachdenklich musterte die Angesprochene die Wände und nickte dann. „Sollte sich machen lassen.“ Sie tätschelte ihren Bauch, der inzwischen nicht mehr zu übersehen war. „Du wirst dich hier wohl fühlen, nicht wahr?“ Danach machten sie noch weitere Vorschläge, wo sie was hinstellen konnten, aber dadurch, dass der Raum und die Möbel eingeschränkt waren, artete die Diskussion nicht aus.
 

Am Abend setzte sie sich gleich hin und begann mit den Skizzen für ein großes Wandbild (was sicher nicht das war, an das Natsu gedacht hatte, als er den Vorschlag machte), das sie über die nächsten Wochen fertigzustellen gedachte. Bis Weihnachten sollte sie es hinkriegen. Sie hoffte nur, dass sie ihre Beweglichkeit nicht überschätzte, denn sie merkte schon jetzt, dass ihr Gleichgewicht sich verschob. (Der Sportunterricht fiel jedenfalls schon eine Weile flach.)
 

Am nächsten Tag zog Igneel mit ihnen los, um Möbel abzuholen und zu kaufen, was noch fehlte. Silver und Ur spendeten einen alten Wickeltisch mit praktischem Stauraum, der einen altertümlichen Charme hatte, trotz der vielen Macken. Von Igneels Bruder bekamen sie eine geräumige Kommode aus dunklem Mahagoniholz, die antik aussah, und einige lange Regalbretter mit verschnörkelten, schmiedeeisernen Halterungen, die er irgendwo eingelagert hatte. Makarov schenkte Lucy einen schönen Schaukelstuhl, der, wie er versprach, Wunder bewirkte, wenn der kleine Racker einmal nicht einschlafen will.
 

Nur die Wiege mussten sie im Geschäft besorgen. Wenigstens, dachte Lucy, hatte sie sich schon mit einer Grundausstattung eingedeckt. Die Tüten aus dem Shoppingtrip vor ein paar Wochen waren längst aus Erzas Wohnung in die der Dragneels umgezogen, die immer mehr auch zu ihrem Zuhause wurde. Während der nächsten Tage konnte sie alles in die Kommode und den Wickeltisch einräumen. Jetzt mussten sie erstmal alles aufstellen.
 

„Habt ihr euch eigentlich schon Gedanken um den Namen gemacht?“, wollte Igneel wissen, als er eine kurze Pause mit der Bohrmaschine machte, mit der er Löcher für die Regalbretter vorbereitete. Er stand auf einem Hocker und blickte jetzt zu ihnen herunter, Staub in den Haaren.
 

„Einen Namen?“, echote Natsu verständnislos und Lucy schlug sich gegen die Stirn. Einen Moment fragte sie sich, warum ihr das nicht schon vorher gekommen war. Sie konnten ihr Baby schließlich nicht namenlos lassen. Aber es war so viel anderes los gewesen und das Thema niemals drängend, darum war es wohl einfach unter gegangen.
 

„Nein.“, gab sie betreten zu. „Wir könnten ein Buch ausl…“
 

„Luigi!“, trompetete Natsu grinsend dazwischen und Ingeel stieß ein bellendes Lachen aus. Er kannte – wie jeder andere auch – die Geschichte von Natsus und Lucys erster Begegnung, bei der der Junge ihren Namen missverstanden hatte. Lucy war noch nicht ganz überzeugt davon, ob das nicht doch absichtlich geschehen war. Sie würde es ihrem Freund eindeutig zutrauen!
 

„Nein!“, erklärte sie bestimmt und stimmte die Hände in die Hüften. „Niemals! Luigi ist ein bescheuerter Name!“
 

Natsu lachte und hob beschwichtigend die Hände. „Okay, okay. Was hältst du von … Tsubasa?“
 

„Nö.“
 

„Mike.“
 

„Nö.“
 

„Rodolphus?“
 

„Sicher nicht!“ Wo zog er nur all diese schrecklichen Namen her?
 

„Aragorn.“
 

„Ich werde meinen Sohn nicht nach einem Charakter aus einem Buch benennen!“
 

„Buch?“, fragte Natsu für einen Moment verwirrt nach, dann schüttelte er den Kopf und argumentierte: „Aber Aragorn ist cool! Er ist ein König und so.“
 

Lucy fuchtelte mit dem Zeigefinger in seine Richtung. „Mir egal. Kein Herr der Ringe.“
 

„Okay.“ Natsu grinste. „Edward.“
 

Lucy starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Ew. Keine Bücher!“
 

Igneel lachte und machte sich wieder an die Arbeit, so dass der nächste Vorschlag seines Sohnes in dem lauten Geräusch der Bohrmaschine unterging. Lucy funkelte ihren Freund an, als könnte sie ihn damit zwingen, endlich ernst zu werden und einen anständigen Vorschlag zu machen. Ihr fiel im Moment absolut nichts ein. Wenn es ein Mädchen wäre, ja, dann… Sie würde liebend gerne ihr Kind nach ihrer Mutter benennen, aber eine männliche Form von Layla gab es schlichtweg nicht.
 

„Okay, dann was anderes Cooles.“, brüllte Natsu über den Lärm hinweg. „Was hältst du von Rocky?“
 

„Nein!“ Natsu hatte offensichtlich ebenso wenig richtige Ideen wie sie, doch anstatt die Sache auf sich beruhen zu lassen, warf er mit den lächerlichsten Vorschlägen um sich, die ihm einfielen.
 

„Wie wär’s mit Harry, dann kann er Zauberer werden.“
 

Lucy zeigte ihm den Vogel; inzwischen war ihr klar, dass er sie nur aufzog. Natsu lachte so lange, bis sie unwillkürlich einfallen musste. Zum Glück hatten sie noch etwas Zeit dafür, denn heute würde das sicher nichts mehr werden.
 

Igneel grinste nur und setzte endlich seine Bohrmaschine ab. „Wenn ihr euch dann wieder beruhigt habt, kann einer mir die Regalbretter halten? Schließlich wollen wir heute noch fertig werden.“
 

Natsu griff bereitwillig zu und Lucy blieb nichts anderes übrig als zuzusehen. Dabei streichelte sie mit ruhigen Bewegungen über ihren Bauch, knapp davor dem Baby zuzuflüstern, dass sie einen anständigen Namen für ihn aussuchen würden, für den er nicht gehänselt werden würde.
 

Die Streicheleinheiten waren inzwischen zur Gewohnheit geworden und sie tat es immer, wenn sie Zeit dafür hatte. Innerlich hoffte sie, bald eine Reaktion zu bekommen, die nicht gegen ihre eigenen Organe ging. Sie wollte, dass Natsu ihn auch endlich spüren konnte! Aber bis jetzt hatte er sich noch nicht beschwert.
 

„Ich schlage vor, wir besorgen ein Buch mit Namen aus der Bibliothek.“, meinte sie schließlich, nachdem die letzte Schraube fest saß.
 

„Ihr könnt Listen von Namen machen, die euch gefallen, gemeinsam und unabhängig voneinander und diese dann vergleichen.“, warf Igneel ein und setzte den Akkuschrauber an. „Oder vielleicht hat noch jemand anderes eine nette Idee. Allerdings würde ich vorschlagen, gut zu überlegen, wen ihr fragen wollt.“
 

Lucy schnaubte belustigt. „Wetten, dass Erza schon den perfekten Namen herausgesucht hat?“ Die Rothaarige hatte sie zwar noch nicht auf das Thema angesprochen, aber wie konnte es anders sein…?
 

Natsu jedoch wurde auf ihre Worte blass. „Wir dürfen sie nicht fragen, sonst bringt sie uns um, wenn wir ihn nicht nehmen! Und Erza hat einen fürchterlichen Geschmack, was Namen angeht! Sprich dieses Thema niemals in ihrem Beisein an, hörst du?!“ Seine Stimme klang beinahe beschwörend.
 

„Du meinst, so wie du?“, konnte Lucy sich nicht nehmen, gutmütig zu sticheln.
 

Natsu warf ihr einen Blick zu und schauderte. „Du hast ja keine Ahnung! Pa, erinnerst du dich noch an ihr Kaninchen?“
 

Igneel lachte. „Du meinst Monsieur Killer von und zu Hoppel?“
 

Lucy blinzelte. „Sie hat ihren Hasen Killer von Hoppel genannt?!“, wollte sie ungläubig wissen. Das … klang erstaunlich treffend, auch wenn sie niemals auf diese Idee gekommen wäre. Hoffentlich fand Erza einen Mann, der ihr da einen Riegel vorschieben konnte, wenn es bei ihr soweit war!
 

„Nein.“, widersprach Natsu und schauderte. „Sie hat ihn Monsieur Killer von und zu Hoppel genannt und ist jedes Mal ausgeflippt, wenn man ihn nicht bei seinem vollen Namen genannt hat.“ Er rieb sich den Hinterkopf, als würde er sich an die Schläge erinnern, die er dadurch eingefangen hatte, es nicht getan zu haben. Igneel lachte laut, offensichtlich war er dabei gewesen.
 

Natsu packte Lucy an den Armen und starrte sie an. „Wir können ihr nicht den Namen unseres Kindes überlassen.“, erklärte er eindringlich. „Wer weiß, mit was sie ankommt.“
 

„In Ordnung, du hast mich überzeugt.“ Nicht, dass sie je vorgehabt hatte, Erza zu fragen… Sowieso würde sie sich nicht nach anderen Leuten richten, wenn es um den Namen des Babys gehen würde. Wer war es, der neun Monate damit herumlaufen würde? Wer war es, der immer dicker und dicker wurde? Wer war es, der nachts nicht schlafen konnte, weil er ständig getreten wurde? Einzig Natsu würde eine Stimme bekommen.
 

„Ich gehe morgen ein Buch besorgen.“, schloss sie das Thema vorerst ab. „Wer hilft mir mit der Wiege?“

17. Kapitel, in dem sich das Leben wieder einpendelt

Lucy steckte den Kopf durch die Zimmertür, die Hand noch auf der Klinke. „Hey, Natsu, ich gehe dann mit Erza in die Stadt.“
 

Natsu schreckte von seinem Platz am Schreibtisch zu und klappte ertappt das Buch zu, das vor ihm auf der Tischplatte lag, als wollte er so tun, als hätte er sich nicht gerade damit beschäftigt. Seine Haare waren noch wirrer als sonst und zwischen den Brauen hatte er noch eine steile Falte, als ob er gar nicht bemerken würde, dass er die Stirn runzelte.
 

Das war das Mathebuch, erkannte Lucy und dann fuhr ihr wie seltsam durch den Kopf. Außerhalb von den Hausaufgaben beschäftigte er sich nie mit irgendwelchen schulischen Themen. Dass er auch noch so schuldbewusst aussah, als hätte sie ihn mit der Hand in der sprichwörtlichen Keksdose erwischt, half nicht gerade.
 

„Äh…“, machte er abgelenkt. „Ja. Viel Spaß…“ Seine Stimme verklang und er winkte kurz in ihre Richtung, als hätte er ihr überhaupt nicht richtig zugehört. Das war jetzt wirklich besorgniserregend…! Schon seit zwei, drei Wochen verhielt Natsu sich so. Meistens war er sein völlig normales, sorgloses Selbst, aber manchmal war es ihr, als würde er sich den Kopf über etwas zerbrechen, das ihn stark belastete und er ihr nicht anvertraute – aber leider auch niemand anderem sonst.
 

Sie trat ins Zimmer. „Natsu, ist was passiert?“ Jetzt war vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Gespräch, aber die Gelegenheit war so günstig wie nie.
 

„Hä? Nein, ganz und gar nicht, alles okay!“, war die forsche Antwort und er wirkte plötzlich viel aufmerksamer. „Habt ihr irgendetwas bestimmtes vor?“
 

„Äh…“ Jetzt war es an Lucy zu stottern. Sie blickte an sich herunter, auf ihren Pullover, der schon mächtig über ihrem Bauch spannte, und sie dachte an die Tatsache, dass ihre Hosen ihr schon eine Weile nicht mehr richtig passten und sie sie nicht mehr schließen konnte. Irgendwie hatte es doch geklappt, aber jetzt war sie am Ende jeglicher Toleranz angekommen. Es war jetzt wirklich an der Zeit für neue Kleider, aber zwei Dinge hatten sie davon abgehalten.
 

Erstens war da ihr Stolz. Sie wusste selbst nur zu gut, dass sie etwas eitel war, und ihre zierliche und gleichzeitig kurvige Figur war immer etwas gewesen, für das sie viele Komplimente eingefahren hatte. Jetzt änderte sich das rasant und sie konnte noch nicht einmal was dagegen tun. Natürlich war ihr klar, dass neue Kleider wegen einer Schwangerschaft etwas anderes waren als neue Kleider deswegen, weil sie schlichtweg zunahm. Trotzdem… Sie kam nicht umhin, es als eine Niederlage wahrzunehmen. Nur gegen wen, das wusste sie nicht genau. Vielleicht sich selbst?
 

Und zweitens war da noch ein anderes Thema und das war das liebe Geld. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich darum Gedanken machen müssen und das Gefühl, zu Igneel zu gehen und ihn darum zu bitten, war nichts anderes als erniedrigend, darum hatte sie es einfach nicht über sich gebracht. Schließlich war er es selbst gewesen, der sie darauf angesprochen hatte und er hatte auch sein Bestes getan, um die Situation so wenig unangenehm wie möglich zu machen. Doch das hatte nicht viel geholfen.
 

Trotzdem war ihr schon eine Weile klar gewesen, dass der Tag kommen musste, und dann war am letzten Dienstag auch noch der Knopf ihrer weitesten Hose abgerissen. Spätestens dann hatte sie der Tatsache ins Auge sehen müssen, dass es so nicht weiterging. Trotzdem hatte sie über die Woche alle Versuche, die Sache anzugehen, wieder abgebrochen.
 

Igneel hatte ihr versichert, dass es ihm nichts ausmachte, dass sie zu ihm kommen könnte, wenn sie etwas brauchte, und hatte ihr auch gleich ein paar Scheine in die Hand gedrückt. Trotzdem hatte sie es kaum über sich gebracht, mit ihm überhaupt über dieses Thema zu sprechen, und das Gefühl, das sie begleitet hatte, saß ihr noch immer im Magen, schwer und hart.
 

Vielleicht sollte sie sich einen Nebenjob suchen. Aber sie wusste, dass das sinnlos war. In ihrem Zustand würde vermutlich niemand mehr sie einstellen und außerdem müsste sie den Job in ein paar Wochen sowieso wieder einstellen. So lange war es nicht mehr hin bis zur Geburt. Aber vielleicht konnte sie etwas in der Werkstatt tun…?
 

„Lucy?“, riss Natsus Stimme sie in die Gegenwart zurück und sie schreckte aus ihren Gedanken aus, während sie fühlte, wie Blut in ihr Gesicht schoss. „Wir wollen nur ein paar Kleider kaufen.“
 

„Oh, okay. Viel Spaß!“ Er versuchte fröhlich zu klingen, aber trotzdem konnte sie ihm ansehen, dass da etwas nicht stimmte.
 

„Ist etwas mit dir…?“, wollte sie vorsichtig wissen und ihr Blick senkte sich wieder auf das Mathebuch, das er jetzt nahm und auf den Stapel seiner Schulsachen fallen ließ.
 

„Nein, nein, ich hab nur was nachgesehen, alles klar!“, wehrte er etwas zu forsch ab und stand auf. „Ich schau mal, was Pa so macht.“
 

Sie runzelte die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften. „Natsu, wenn dich etwas bedrückt, da-“
 

„Was sollte mich bedrücken?“, unterbrach er sie gröber als er vermutlich gewollt hatte. „Geh schon, Erza wartet nicht gerne, du weißt doch, wie sie ist.“
 

„Lucy, kommst du?“, drang Erzas Stimme durch den Gang zu ihr herüber und sie seufzte. „Ich komme gleich!“, rief sie über ihre Schulter zurück und fasste ihren Freund noch einmal ins Auge. Der würde jetzt eh nicht mit der Sprache herausrücken, dafür brauchte sie mehr Ruhe. „In Ordnung, ich lass das jetzt mal darauf beruhen. Aber wir reden noch darüber!“ Sie wandte sich um und ging durch den Flur hinunter zur Haustür. Ihr fiel auf, dass er ihr nicht folgte, sondern nur die Tür hinter ihr wieder schloss.
 

Besorgt, weil etwas im Busch war, und traurig, da er sie nicht mit einbezog, schlüpfte sie in ihre Stiefel und die Jacke. Diese wurde ihr ebenfalls langsam zu eng und ließ sich schon eine Weile nicht mehr schließen, was bei den fallenden Temperaturen natürlich sehr unpraktisch war.
 

Erza stand vor der Tür und wippte aufgeregt auf ihren Füßen. Sie trug einen eleganten, violetten Mantel, unter dem der Rock verschwand, und hohe Stiefel. Die roten Haare steckten unter einer gestrickten, blauen Baskenmütze mit Schleife an der Seite. Neben ihr kam Lucy sich noch schäbiger vor in ihrer Kleidung, die ihr nicht mehr passte.
 

„Okay, bereit?“, fragte ihre Freundin und hakte sich bei ihr unter, um sie aus dem Haus zu ziehen. Lucy hatte kaum mehr Zeit, ihre Handtasche zu schnappen.
 

Auf der Fahrt in die Innenstadt kramte sie ihren Einkaufszettel hervor. „Ich braue ein Paar Hosen und einige Pullover.“, erklärte sie. „Und T-Shirts. Vielleicht ein Kleid oder so.“
 

Erza nickte und wollte wissen: „Was ist mit einer Jacke?“ Sie warf einen vielsagenden Blick auf Lucys Mantel.
 

Die wurde rot. „Oh… Sowas auch…“ Das wurde ja immer mehr! Reichte dafür das Geld überhaupt, dass Igneel ihr mitgegeben hatte? Sie hatte gelesen, dass Umstandsmode mehr kostete als normale Sachen. Zudem würde sie das alles nur für kurze Zeit tragen können, das lohnte sich eigentlich kaum. Aber darum herum kam sie einfach nicht. Sie hätte schon danach schauen sollen, als sie noch Zugang zu ihrem Konto gehabt hatte, aber zu dieser Zeit war das eines der vielen Dinge gewesen, die einfach untergegangen waren.
 

Sie stellten Erzas altes Auto im Parkhaus ab und bummelten plaudernd die wenigen Meter in die Einkaufspassage. Wie früher hatte sie keinen eigenen Wagen – sie war nicht einmal dazu gekommen den auszufahren, den Jude ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Sie war auch nicht so vermessen es mitzunehmen, nachdem sie ausgezogen war, obwohl ihr Name auf dem Fahrzeugbrief stand. Zum Glück hatte sie Übung darin, mit Hilfe von Bus, S-Bahn und ihren Freunden überall hinzukommen, wo sie sein musste.
 

Jetzt wanderte sie automatisch zu den Boutiquen hinüber, in denen sie gewohnt war, ihre Kleider zu kaufen. Erst, als sie davorstand und sehnsüchtig einen süßen Rock im Schaufenster betrachtete, fiel ihr auf, dass sie hier nicht mehr so bald shoppen gehen würde. Nicht nur, dass dieser Rock ihr mit ihrem Bauch eh nicht passen würde, er überstieg auch ihr komplettes Budget.
 

„Richtig.“, murmelte sie errötend und wandte sich ab. Erza war so freundlich, nicht auf ihren Fauxpas einzugehen, sondern lenkte sie auf das große Gebäude von G&I zu, eine Kette von Kleidergeschäften, in denen man billig relativ gute Stücke bekam und in denen der normale Mensch seine Garderobe so herbekam.
 

„Ich habe Grandine am Montag besucht.“, versuchte Lucy sich von der Tatsache abzuwenden, dass es sich wie eine Demütigung anfühlte, hier einkaufen zu müssen. Dabei hatte es sie nie wirklich interessiert, wo ihre Kleider herkamen, und sie blickte auch nicht auf Leute hinunter, sich nichts Besseres leisten konnten. Zumindest hatte sie das gedacht. Aber warum fühlte es sich jetzt doch so beschämend an?
 

Erza war das beste Beispiel, dass man auch in diesen Kleidern eine gute Figur abgeben konnte, sogar mehr als das. Vielleicht, überlegte sie, war es, weil sie es einfach nicht gewohnt war. Weil es ein sehr großer Schritt nach unten war und nicht das, was für sie Normalität darstellte. Ihr Vater würde es ihr bestimmt vorhalten und sie süffisant fragen Na? So weit geht es also mit deinem Entschluss, ein einfaches Leben zu führen? Schon genug? Sie verzog verbittert den Mund, aber so leicht würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Dann ging sie halt bei G&I einkaufen, was war schon dabei?!
 

„Wie geht es ihr?“, wollte die Rothaarige wissen. „Sie ist in Mutterschutz, richtig? Wann kriegt sie denn ihr Baby?“
 

„Eigentlich sollte es schon da sein, der Geburtstermin war letzte Woche. Grandine grummelt etwas vor sich hin, aber sie sieht auch so aus, als würde sie jeden Moment platzen.“ Lucy kicherte. Dann räusperte sie sich und versuchte, wieder ernst zu werden. Das kam auch alles noch auf sie zu. „Tatsächlich hat mir das klargemacht, dass ich jetzt doch dringend neue Kleider brauche.“
 

„Wurde aber auch Zeit.“, neckte Erza sie, doch statt sie über den schlechten Sitz ihres Pullovers aufmerksam zu machen oder die Tatsache, dass ihre Jacke nicht mehr zuging, erklärte die Rothaarige: „Ich warte schon die ganze Zeit gewartet, mit dir neue Kleider auszusuchen!“ Ihre Stimme nahm einen leicht quietschenden Tonfall an und sie beschleunigte ihre Schritte.
 

Lucy beinahe grob durch die Schwingtüren schiebend steuerte sie sofort in eine bestimmte Richtung. Anscheinend wusste sie genau, wo die Abteilung mit der Umstandsmode war. Lucy schüttelte lächelnd den Kopf über das Gebaren ihrer Freundin. Das hätte sie sich denken können!
 

Kurz darauf standen sie im Obergeschoss in einem im Hintergrund gelegenen Bereich und schauten durch die dort hängenden Kleider. Erza ging die Sache mit ihrem üblichen Enthusiasmus an, aber Lucy war eher gehemmt. Immer wieder warf sie einen Blick auf die Preise, die ihr trotz allem noch zu hoch vorkamen. Wie sollte sie das bloß überleben?
 

„Hier, schau mal!“ Erza war so unvermittelt neben ihr aufgetaucht, dass sie in erschrockenes Quieken ausstieß.
 

„Erschreck mich doch nicht so!“, schimpfte sie, doch ihre Freundin ging nicht einmal darauf ein, sondern hielt ihr einen Parka unter die Nase. „Der ist doch toll, oder?!“ Er war dunkelblau und hatte einen Pelzbesatz an der Kapuze. Vorne waren zwei große Taschen aufgenäht und er sah trotz des einfachen Schnitts sehr elegant aus.
 

Lucy nahm ihn entgegen. „Der gefällt mir.“, erklärte sie und schlüpfte hinein.
 

Erza hielt währenddessen ihre Jacke und grinste. „Man kann einen Einsatz dranmachen, in dem man das Baby unterbringen kann.“, erklärte sie und fummelte einen Pappanhänger mit Bildern aus der Jackentasche, während Lucy mit dem Reißverschluss kämpfte. „Schau, so. Auf diese Weise kann man ihn auch noch gut nach der Schwangerschaft anziehen!“
 

Das war wirklich praktisch, musste auch Lucy zugeben. Und allein der Gedanke, ihren kleinen Sohn auf diese Weise bei sich zu tragen, erfüllte sie mit einem warmen Gefühl. Doch dann fiel ihr Blick auf das Preisschild, das direkt daneben angebracht war, und sie wurde blass. „Das kann ich mir nicht leisten.“, bestimmte sie und wollte den Parka schon wieder ausziehen. „Das ist die Hälfte von meinem Budget! Mit was soll ich all die anderen Sachen kaufen?“
 

„Papperlapapp!“, wehrte Erza ab und zog ihren Reißverschluss mit einer Bewegung hoch. Er glitt wunderbar über ihren dicken Bauch und spannte auch gar nicht, es war sogar noch Luft. Lucy hatte beinahe vergessen wie es war, passende Klamotten zu tragen.
 

„Der ist wirklich toll.“, gestand sie bedauerlich und ging zum nächsten Spiegel hinüber. Der Parka war warm und sah wirklich gut aus. Vielleicht ein wenig anders als ihr üblicher Stil, aber das mochte daran liegen, dass sie eigentlich Designerkleidung trug und nichts von der Stange. Aber das würde sich jetzt ändern.
 

Vielleicht konnte sie einige ihrer Stücke auf Ebay verkaufen und mit Billigerem ersetzen, ein paar davon brachten sicher noch was! Sie ging ja auch sorgsam mit ihren Kleidern um und früher hatte sie so viel gehabt, dass sie vieles nur selten getragen hatte. Dann würde sie Igneel auch nicht so auf der Tasche liegen.
 

Sie knöpfte den Mantel bis zum Hals zu und zog zögerlich die Kapuze über den Kopf. Am liebsten würde sie ihn mitnehmen. Vor drei Monaten hätte sie noch keine Sekunde gezögert. Aber jetzt hatte sich ihre Situation so grundlegend verändert und ihr wurde dieser Aspekt ihrer Entscheidung wohl erst jetzt so richtig klar.
 

In den letzten Wochen hatte sie nicht viel benötigt – Essen und sonstige Notwendigkeiten hatte sie immer für drei gekauft, wenn sie in den Supermarkt oder die Drogerie gefahren war (was in letzter Zeit beinahe nur noch sie übernahm), fehlende Schulsachen für sie hatte Natsu einfach ihr mitgebracht, als er seine eigenen besorgt hatte, und die Dinge für das Babyzimmer sowie den Kinderwagen hatte ebenfalls nicht sie bezahlt. Selbst die Farben für das Wandgemälde, das schon gut voranschritt, hatte Igneel bei einem seiner Trips zum Baumarkt mitgebracht.
 

Aber jetzt stand sie hier in diesem Verkaufsraum und suchte sich etwas aus, das nur für sie selbst war, auch wenn es etwas durchaus Notwendiges war, und zögerte. Als sie ihre Verbindung zu Jude gekappt hatte, war ihr einfach nicht klar gewesen, was das alles für Folgen haben würde.
 

Oh, sie hatte geglaubt, sie hätte an alles gedacht, alles abgewogen und richtig eingeschätzt, um zu einem zumindest halbwegs realistischen Ergebnis zu kommen. Aber die Wirklichkeit war immer härter als die Vorstellung und die Realität hatte so ihre Art, Pläne durcheinander zu bringen.
 

„Ich weiß was.“, erklärte Erza und legte ihr die Hände auf die Schultern. Ihre Augen fanden Lucys im Spiegel und sie lächelte aufmunternd. „Du nimmst jetzt diese mit. Die ist praktisch und ihr Geld wert und du wirst sie auch noch nach der Geburt benutzen können. Und für den Rest der Sachen besuchen wir die Second-Hand-Läden drüben hinter der Kathedrale. Was sagst du?“
 

Lucy holte tief Luft. Ein Second-Hand-Geschäft? Das war etwas ganz Neues für sie, denn ihr Vater hätte sie nicht zugelassen, dass man sie tot in Kleidern aus zweiter Hand aufgefunden hätte.
 

Aber warum nicht! Jude konnte sie mal! War es nicht gerade sowieso in, in solchen Läden einzukaufen? „Lass uns das so machen.“, beschloss sie.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Mit ihrem vorbereiteten Geschenkkorb im Arm wanderte Lucy die Straße hinunter. Es war eine schicke Gegend, voll mit modernen Einfamilienhäusern, die kleinen Villen ähnelten, mit Vorgärten, teuren Autos in den Einfahrten und großen Grundstücken hinten raus. Neureich nannte man die Leute hier in Lucys ehemaligen Kreisen abfällig, aber tatsächlich lebte hier die gehobene Mittelschicht – Besitzer von kleinen, aber gutgehenden Firmen, höhere Studierte wie Anwälte, freischaffende Architekten und eben Ärzte wie Grandine.
 

Diese wohnte mit ihrem Mann in einem sehr kantigen Gebäude, dessen gesamtes Dach eine Terrasse war und das Lucy überhaupt nicht gefiel. Aber das war dieser ganze eckige Stil mit seinen geraden Linien und modernen Formen. Das war einfach nicht ihr Ding. Vielleicht lag es daran, dass sie in einer wirklich grandiosen Villa aufgewachsen war, die bereits vierhundert Jahre auf dem Buckel hatte. Vielleicht war es einfach ihr Auge für Schönheit und Kunst, das sich so gar nicht auf diese Bauklotzformen einstellen wollte, die gerade so in waren.
 

Das einzige attraktive Charakteristikum des Hauses war der Garten, der im Frühling und Sommer wild und wuchernd sein musste und selbst jetzt noch sehr schön. Gewollt ungezähmt, mit der halb versteckten Statue eines Drachen unter einem Apfelbaum mit tief hängenden Ästen, einem Zaun aus Schwemmholz und einem Touch von Bauerngarten. Er wollte so gar nicht zum Haus passen und Lucy unterdrückte ein Schmunzeln, als sie über den gekiesten Weg zur Haustür hinunterlief.
 

Sie musste zweimal klingeln, obwohl sie wirklich lange genug wartete mit dem Gedanken daran, dass sie kein Baby aufwecken wollte. Grandine öffnete ihr, das lange weiße Haar in einem unordentlichen Zopf über ihre Schulter hängend. Sie lächelte herzlich, als sie Lucy erkannte, und trat zurück, um sie einzulassen.
 

Unter einer langen Strickjacke trug sie nur einen einfachen Pullover sowie eine Jogginghose und sie wirkte noch etwas erschöpft. Aber kein Wunder, wenn man erst vor wenigen Tagen entbunden hatte. Denn während Lucy mit Erza einkaufen gegangen war, war Grandines kleine Tochter auf die Welt gekommen.
 

Allerdings schien sie gleichzeitig zu strahlen, das Lächeln wollte nicht aus ihrem Gesicht weichen und ihre Augen leuchteten. Ihr ging es offensichtlich mehr als nur gut. Vermutlich konnte das Leben für sie gerade nicht besser sein. „Hey, schön dich zu sehen.“, begrüßte die junge Mutter sie und die beiden umarmten sich kurz.
 

„Wie geht es dir?“, wollte Lucy wissen, während sie ihren neuen Parka auszog und dann die Stiefel von den Füßen streifte.
 

„Gut, den Umständen entsprechend.“, antwortete die Ärztin mit einem Lächeln. „Komm doch rein.“
 

Sie führte ihren jungen Gast durch eine Tür in einen großen Wohnraum. Durch eine regelrechte Fensterfront, die hinten hinausführte, flutete die Sonne ihn mit Licht. Auf der rechten Seite befand sich eine hochwertige Küche mit Kochinsel, davor war ein Tisch mit hochlehnigen Stühlen für acht Personen aufgestellt.
 

In der anderen Richtung befand sich eine großzügige, rotgemusterte Sitzgruppe. Der Wohnzimmerlook auf dieser Seite wurde vervollständigt durch ein Regal voller Musik und Filme, in dem sich auch ein großer Fernseher und diverse dazugehörige Geräte befanden. Das war das einzige, was Lucy diesen modernen Häusern abgewinnen konnte – die großen, offenen Räume, die Fenster, die viel Licht hereinließen und einen schönen Blick über den Garten boten, und der Versuch, im Inneren alles so licht wie möglich zu gestalten.
 

Direkt vor den großen Fenstern stand eine hölzerne Wiege auf einem flauschigen Teppich und Lucys Aufmerksamkeit wurde sofort auf sie gelenkt. „Darf ich sie sehen?“, wollte sie sofort aufgeregt wissen und stellte ihren Korb auf die Seite. Dafür war nachher noch genug Zeit. „Oder schläft sie im Moment? Ich wollte sie mit der Klingelei nicht wecken.“
 

„Vorhin war sie noch wach, also keine Sorge.“, winkte Grandine ab.
 

Gemeinsam traten sie zu der weiß gestrichenen Wiege hinüber und Lucy spähte hinein. Zugedeckt mit einer blauen Decke, auf die kleine, weiße Kätzchen aufgedruckt waren, lag sie, Grandines kleine, nigelnagelneue Tochter.
 

Sie war noch so winzig, dass Lucy unwillkürlich ein entzückter Laut entschlüpfte. Aber sie war ja auch erst vier Tage alt. Sie hatte einen feinen Schopf dunkelblauer Haare und große, echt babyblaue Augen, die diese Farbe vermutlich nicht behalten würden. Außerdem war sie sehr still, guckte nur in der Gegend herum, als wollte sie alles aufnehmen, was um sie herum geschah, all das Neue und Aufregende, nur um auch ja nichts zu verpassen.
 

Und dann lachte sie und wedelte mit ihrem kleinen Ärmchen in der Luft herum. Vielleicht hatte sie ihre Mutter erkannt, die ihr jetzt einen Finger zum Halten hinhielt? In Grandines Augen konnte man deutlich Stolz erkennen.
 

„Wie heißt sie?“, wollte Lucy wissen und streichelte vorsichtig das kleine Köpfchen. Der Flaum war ganz weich und fein und sie seufzte hingerissen. Für einen Moment konnte sie es kaum erwarten, ihren eigenen Sohn im Arm zu halten. Ein paar wenige Monate musste sie sich allerdings noch gedulden, also konzentrierte sie sich wieder auf das Baby, das bereits da war.
 

„Wendy.“, antwortete Grandine mit einem weiteren Lächeln und löste ihren Finger vorsichtig, um das winzige Mädchen aus der Wiege zu nehmen. „Willst du sie mal halten?“
 

„Gerne!“, stimme Lucy sofort zu und ließ sich von Grandine erklären, wie sie das am besten anfing. Auf das Köpfchen achten! war natürlich stets die erste Devise, doch so einfach war der Rest auch nicht und sie wollte die Kleine auf keinen Fall fallen lassen.
 

Wendy ließ alles still und schweigend mit sich machen und blickte mit großen Augen nach oben, während Lucy sie sanft wiegte. „Sie ist so süß.“, stellte sie fest und lächelte zu dem kleinen Mädchen hinunter. Dessen Aufmerksamkeit war inzwischen von den blonden Haaren angezogen worden, die auf seinen Strampler gefallen waren, und sie griff danach, um daran zu ziehen. Sie war zu schwach, als dass es wehtun würde, also grinste Lucy nur.
 

„Wer ist das süßeste Baby auf der Welt? Ja, du bist das.“, gurrte sie und Grandine lachte.
 

„Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem der da sich entschließt, auf die Welt zu kommen.“, scherzte sie und deutete auf Lucys Bauch. „Ich bin überzeugt, so geht das jeder Mutter. Aber bei dir läuft alles wie es soll?“ Ihr Ton wechselte ins leicht Besorgte.
 

Lucy schmunzelte. „Du kannst aufhören, mich das jedes Mal zu fragen, wenn wir uns treffen. Ich sage dir schon bescheid, wenn etwas nicht stimmt.“
 

Grandines Wangen färbten sich rot, was bei ihrer blassen Haut besonders deutlich hervorstach. „Scheint, als würde ich nie verlernen, Ärztin zu sein.“
 

Lucy blickte von Wendys kleinem Gesicht auf. „Vermisst du deinen Job?“, wollte sie wissen. Für sie würde das anders sein, da sie ja noch nicht einmal gearbeitet hatte. Apropos, sie musste jetzt wirklich mal anfangen, sich Gedanken um die Zuschüsse zu machen, die sie als junge Mutter bekommen konnte. Zumindest das würde ihr etwas helfen und ihr stand sicher etwas zu, so als Schülerin.
 

„Ein wenig schon, aber im Moment kann ich mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu sein als bei diesem kleinen Schatz hier.“ Vorsichtig nahm Grandine ihre Tochter aus Lucys Armen. Das Baby schmiegte sich sofort an die vertraute Schulter, schloss die Augen und schien gleich einzuschlafen.
 

„Sie ist sehr still.“, stellte Lucy fest und schnappte ihren Korb, ehe sie Grandine hinüber zum Esstisch folgte.
 

„Ja, da haben wir echt Glück gehabt. Wobei sie ja schreien kann wie ein Weltmeister, wenn sie etwas will.“ Die Weißhaarige schmunzelte. „Aber meistens ist sie zufrieden. Ich bin gespannt, wie lange das anhält. Willst du etwas trinken? Saft? Wasser? Tee? Ich habe gerade einen aufgesetzt.“
 

„Gerne, danke!“ Lucy stellte ihren Korb auf dem Tisch ab, während die Ärztin eine zweite Tasse neben die stellte, die bereits auf der Kochinsel stand. „Hier, ich habe dir etwas mitgebracht. Du willst gar nicht wissen, wie lange das schon bei mir herumsteht.“
 

Grandine lächelte und drückte sie mit einem Arm an sich. „Danke. Ich hoffe, du hast dich dafür nicht zu sehr in Unkosten gestürzt.“
 

Lucy wurde rot. Anscheinend war auch hier niemandem nicht entgangen, wie es um sie und das liebe Geld stand. „Nein, sicher nicht.“, haspelte sie. „Wie gesagt, das habe ich schon vor einer Weile besorgt. Ich hoffe, es gefällt dir.“
 

Nachdem Grandine den Tee eingeschenkt hatte, trug Lucy die Tassen zum Tisch hinüber und dann durfte sie erneut Wendy halten, die von dem Positionswechsel gar nicht mitbekam. Während die Weißhaarige sich dem Korb widmete, streichelte Lucy vorsichtig über den kleinen Kopf und fragte sich, wie es wohl wäre, ihren eigenen Sohn in den Armen zu halten.
 

Würde er auch so winzig und niedlich und bezaubernd sein? Würde er auch schon Haare haben oder ohne zur Welt kommen? Auch so still und leise oder wäre er ein lauter Säugling? Eines von jenen Babys, die ihre Eltern nicht schlafen ließen und auf diese Art langsam in den Wahnsinn trieben? Solche Horrorstorys hatte sie nur zu genüge gehört…
 

Würde er auch so süß lachen und nach ihr greifen, sobald sie in seinem Blickfeld auftauchte? Sie hoffte immer noch, dass er Natsus dunkle Augen bekommen würde, mit denen er wach in die Welt schauen würde, aufmerksam, bereit für das große Abenteuer, das das Leben darstellte.
 

Und sie, wie würde sie selbst mit dieser Unternehmung Erstes Kind zurechtkommen? Auch das war eine große Herausforderung, aber im Moment schien sie ihr einfach nur aufregend und spannend und sie freute sich mit ganzem Herzen darauf!
 

„Lucy?“ Grandines Stimme riss sie aus den Gedanken und sie blickte ertappt auf. „Ja?”
 

Ihr Gegenüber lächelte sanft. „Du warst einen Moment weggetreten und hast gar nicht gehört, was ich gesagt habe. An was hast du gedacht?“
 

„Oh, ni-nichts Besonderes. Nur… Wie das wird, wenn er erst einmal da ist.“ Würde sie nicht Wendy halten, würde sie jetzt ihren Bauch tätscheln, aber ihre Freundin verstand auch so, was sie meinte.
 

„Im Moment sieht es so aus, als würdest du dir darum keine Sorgen machen.“
 

„Naja, wie könnte ich?“, gab Lucy zu und blickte wieder auf das Baby herab. „Wenn das Beispiel, das ich gerade vor Augen habe, dieser süße, kleine Knopf ist?“ Wendy verzog ihr kleines Gesichtchen im Schlaf und ballte die winzigen Hände zu Fäusten. Was sie wohl träumte?
 

Grandine strich ihrer Tochter über die Wange. „Ja, sie ist wirklich sehr brav.“
 

„Ich weiß gar nicht, wovor ich so Angst gehabt habe.“, erklärte Lucy aufrichtig, wobei ihr klar war, dass auf jeden Fall auch ein paar harte Zeiten auf sie zukommen würden. Auch aus einem braven Baby wurde ein Kleinkind und dann ein Kind werden und schließlich ein Teenager, die ihre berühmten Phasen hatten.
 

Und über eines war sie sich klar: kein Kind von Natsu würde einfach sein und von ihr selbst konnte auch eine gehörige Portion Temperament kommen! Das würden sicher zu ein paar aufregenden Momente führen!
 

Aber, schalt sie sich selbst, da waren auch viele andere Eigenschaften, die das ausgleichen würden – Optimismus, Entschlossenheit, Freundlichkeit, Großherzigkeit… Aufgezogen in einer so liebevollen Familie, wie Lucy sie besaß, mit diesem Großvater, diesen Onkeln und der Tante, die zwar nicht blutsverwandt waren, aber schon jetzt so viel Anteil nahmen, so vielen anderen wunderbaren Leuten, die hinter ihnen standen, und so einem tollen Vater würde aus diesen kleinen Jungen auf jeden Fall eine wunderbare Person werden. Da konnte ja gar nichts schiefgehen!
 

Abrupt riss sie sich aus ihren sentimentalen Gedanken und blickte erwartungsvoll auf. „Und, wie gefällt es dir? Habe ich gut gewählt oder ist das alles überflüssig?“ Mit dem Kopf deutete sie auf die Geschenke, die inzwischen auf dem Tisch lagen – der Strampler, ein Paar Schühchen, die weiße Plüschkatze und all das andere.
 

Grandine hielt das Handtuch mit der Drachenkapuze hoch und ihre aufrichtige Freude war ihr deutlich anzusehen. „Und wie toll das ist! Das ist so niedlich!“
 

Als sie Lucy nach einem Tee, etwas Gebäck, viel Plauderei und einer Babyfütterung schließlich zur Tür brachte, damit diese den nächsten Bus auch erwischte, war es bereits dunkel. Auf der kleinen Treppe, die zum Kiesweg hinunterführte, umarmte die Weißhaarige sie für einen Moment und Lucy erwiderte die Geste herzlich. Sie war froh, auch auf diese Freundin zählen zu können!
 

Grandine drückte ihr noch einmal die Hand. „Es mag zwar noch eine Weile gehen, aber wenn dieser Kleine da ist und sich ein wenig an diese große, neue Welt gewöhnt hat, müssen wir einen Termin finden, uns regelmäßig zu treffen und ihn und Wendy miteinander spielen lassen. Ich bin sicher, sie werden gute Freunde!“
 

Lucy atmete tief ein. „Das fände ich sehr schön.“

18. Kapitel, in dem Natsu erwachsen wird

Ich habe euch etwas mitgebracht.“, sagte Erza anstatt einer Begrüßung, als Lucy ihr die Tür öffnete. Sie trug eine ziemlich volle Stofftasche mit sich, in der es klapperte, wenn sie sie bewegte, und war bis zum Hals eingepackt in warme Kleidung. Die Temperaturen befanden sich zurzeit im freien Fall.
 

„Guten Morgen auch dir.“, antwortete Lucy und gähnte. Sie hatte die Nacht schlecht geschlafen, dank des Vollmondes und einer gewissen, ungeborenen, noch immer namenlosen Person in ihrem Bauch. Dass Natsu neben ihr geschlummert hatte wie das sprichwörtliche Baby, hatte die Sache nicht besser gemacht. Hastig winkte sie Erza herein und fröstelte durch die eisige Luft, die durch die offene Haustür hereindrang.
 

Wenigstens war Samstag, so dass sie sich nachher noch einmal hinlegen oder sich zumindest auf dem Sofa in eine warme Decke mummeln konnte. Zumindest, wenn sie den Morgen mit Erza überlebte, die sehr wach und putzmunter wirkte. Ihre Wangen waren rosig von der Kälte und sie entledigte sich diverser Schals und Kopfbedeckungen. Es war echt unfair, wie gut sie selbst in diesem Zustand aussah, während Lucy das Gefühl hatte, immer mehr einem Wal zu gleichen. Im Moment hüpfte Erza zudem auf der Willkommensmatte vor der Haustür auf und nieder, als hätte sie zu viel Energie.
 

Vermutlich war das auch so – Lucy hatte keine Ahnung, wie ihre beste Freundin alles unter einen Hut brachte, die Schule, ihr Kampfsporttraining, die Schwertkampfgruppe für Kinder, die sie leitete, und die gefühlt tausend Vorbereitungskurse auf die Uni, die sie dieses Schuljahr belegte. Dass sie zwischendurch auch noch Zeit fand, Natsu und Gray in Schranken zu weisen und regelmäßig mit ihnen trainierte, und bei Lucy vorbeizuschauen, um ihr ein wenig unter die Arme zu greifen, grenzte eigentlich an ein Wunder. Vielleicht hatte Erzas Tag einfach mehr Stunden als der von normalen Leuten.
 

Mit etwas Verspätung besann Lucy sich, da sie noch immer vor der Tür standen, und schlurfte in die Küche zurück. Aus dem Wohnzimmer konnte sie die dumpfen Stimmen von Natsu und Igneel hören, aber sie ignorierte die beiden; sie verstand durch die geschlossene Tür sowieso kein Wort. Sollte es sie betreffen oder sie etwas beitragen können, würde man sie schon rufen.
 

„Willst du einen Kaffee?“, bot sie Erza an, während sie sich gleichzeitig dafür schalt. Als wäre die andere nicht schon aufgekratzt genug, da musste sie nicht auch noch Öl ins Feuer gießen.
 

Doch glücklicherweise lehnte Erza das Angebot ab und stapelte ein paar Teller aufeinander, die noch vom Frühstück auf dem Tisch standen, um etwas Platz zu schaffen. Lucy rettete rasch ihre noch halb volle Teetasse, damit ihre Freundin sie nicht in ihrer Begeisterung vom Tisch fegte, als sie mit Schwung ihre Tasche darauf ablegte.
 

„Hier!“ Triumphierend zauberte Erza ein paar abgegriffene CDs daraus hervor und hielt sie Lucy unter die Nase.
 

Diese schielte einen Moment darauf, ehe sie zurückwich, um sie anständig anzusehen. „Äh… Mozart?“ Nicht dass sie etwas gegen den großen Meister der Musik hatte, aber … das war eine seltsame Wahl, selbst für jemanden wie Erza. Sie blickte mit fragend hochgezogener Augenbraue auf.
 

„Ich habe gelesen, wenn ein Baby seine Musik noch im Mutterleib hört, wird es klüger. Weil sich das Hirn besser entwickelt oder so.“, erläuterte sie ihren Gedankengang und wedelte mit den Plastikhüllen in der Luft herum.
 

„Das ist eine längst überholte Theorie.“, wies Lucy auf und Erza funkelte sie an. „Das habe ich auch gelesen. Aber es wird nicht schaden, oder?“
 

Lucy wusste, wann sie sich geschlagen geben musste. Manchmal war es besser, einfach nachzugeben und zu nicken. Außerdem war es eine sehr umsichtige Geste. Also nahm sie die CDs mit einem Lächeln an. „Danke. Ich kann damit wenigstens Natsu in den Wahnsinn treiben, wenn er mich mal wieder stört.“
 

Erza grinste verschmitzt. „Auch eine Möglichkeit. Aber ich bin noch nicht fertig!“ Sie griff wieder in die Tasche und zog … einen Strampler hervor, hellblau und mit kleinen Drachen darauf. „Ist der nicht niedlich? Ich habe ihn im Angebot gesehen und konnte einfach nicht wiederstehen.“
 

„Der ist echt süß.“, bestätigte Lucy vorsichtig und hob das Kleidungsstück hoch, um es sich genauer anzusehen. „Aber, Erza, wenn du so weitermachst, kann ich ihm jeden Strampler einmal anziehen und wenn ich dann mit allen einmal durch bin, ist er aus ihnen herausgewachsen.“
 

Erschrocken blickte die Rothaarige sie an. „Soll ich die Sachen lieber eine Nummer größer besorgen? Das ist kein Problem, ich kann ihn sicher noch umtauschen, sie hatten noch mehr.“
 

„Das meinte ich nicht.“, wehrte Lucy ab und zog einen Stuhl vom Tisch weg, um sich darauf setzen zu können. Vor ein paar Monaten hätte sie sich einfach darauf niederlassen können, doch die Kugel, die sie inzwischen vor sich herschob, machte das unmöglich. Auch einige andere Dinge wurden dadurch erschwert, Schnürsenkel binden oder von Treppenstufen aufstehen, nachdem man sich dummerweise auf die niedrigste gesetzt hatte. Ihre Schuhe hatte sie ebenfalls austauschen müssen – es war ihr einfach zu unsicher, auf High Heels durch die Weltgeschichte zu taumeln.
 

Ganz zu schweigen von den Partys, die manchmal darin gefeiert wurden – zumindest fühlte es sich für sie so an. An Schlaf war in manchen Nächten dadurch einfach nicht zu denken.
 

Es war schon seltsam – so lange hatte man gar nichts oder kaum etwas gesehen und plötzlich war da so ein riesiger Ballon, der immer noch größer wurde. Übersehen konnte man jetzt beim besten Willen nichts mehr, selbst wenn sie den Parka trug. Zum Glück würde es nur noch ein paar Wochen dauern, dann war sie dieses Problem zumindest los.
 

Dann stünde sie zwar vor einer ganz anderen Aufgabe, aber darüber wollte sie sich jetzt noch keine Gedanken machen. Sowieso musste sie erstmal hochschwanger Weihnachten überstehen. Das war aus irgendeinem Grund sowieso eine stressige Zeit, aber für sie gab es neben der Schwangerschaft noch etwas anderes: das war das erste Mal außerhalb ihres elterlichen Hauses.
 

Das erste Mal ohne ihren Vater.
 

Egal, welche Tage und Termine Jude sonst verpasst hatte, von Weihnachten bis Neujahr hatte er sich die Zeit immer für seine Familie freigeschaufelt. Das war schon so gewesen, als Layla noch gelebt hatte, und er hatte damit nach ihrem Tod nicht aufgehört, tatsächlich war nur eine neue Tradition hinzugekommen. Der Gedanke rief ein wehmütiges Gefühl in Lucy wach und auch wenn sie gedacht hatte, sich inzwischen an die Trennung gewöhnt zu haben, sie vermisse ihn.
 

Aber es war auch das erste Mal mit ihrer neuen Familie, ermahnte sie sich selbst. Sie wollte nicht immer nur die negativen Aspekte sehen. Und Weihnachten im Hause Dragneel versprach, eine lustige Angelegenheit zu werden. Wie konnte es anders sein bei diesen Beteiligten? Dann schufen sie sich einfach neue Traditionen!
 

Sie riss sich in die Gegenwart zurück und versuchte in Worte zu fassen, was sie Erza vermitteln wollte. „Ich meinte, du musst mir nicht immer neue Sachen mitbringen, die du ‚zufällig‘ irgendwo siehst und gleich mitnehmen musst. Das ist ja sehr lieb von dir, aber du kannst nicht dein ganzes Geld für uns ausgeben und was wir unbedingt brauchen, haben wir schon.“
 

„Aber wie soll ich mein Patenkind denn sonst verwöhnen?“, wischte Erza den Einwand beiseite und wedelte mit der Hand. Sie klang regelrecht empört. „Außerdem verdient ihr nur das Beste.“ Erneut griff sie in ihre Tasche. „Eine Schnullerkette. Niedliche kleine Schühchen, fühl mal, wie weich die sind. Stoffwindeln.“, zählte sie auf. „Weil ich gehört habe, das ist besser als diese Wegwerfteile. Holzelefanten, schau mal. Handgemacht und garantiert ungiftig.“
 

Nacheinander reihte sie die niedlichen Tiere auf dem Tisch auf wie eine kleine Parade und Lucy gab es auf, ihr ins Gewissen reden zu wollen. Was Erza nicht tun wollte, tat sie nicht – oder beziehungsweise, was sie tun wollte, das tat sie, und keine Macht der Welt würde sie aufhalten.
 

„Gray und Loke wollen auch Pate werden.“, widersprach sie stattdessen und hoffte, dass dieses Thema ihre Freundin auf andere Gedanken brachte.
 

Erza zuckte jedoch nur unbeeindruckt mit den Schultern. „Sie können gerne im Ring gegen mich antreten, meinetwegen auch beide gleichzeitig. Wir werden schon sehen, wer siegreich aus diesem Kampf hervorgehen wird und den Preis am meisten verdient hat.“
 

„Mein Kind ist kein Preis für ein … ein … einen Gladiatorenkampf!“, protestierte Lucy entrüstet. Sie wusste nicht einmal so recht, was sie auf diese Aussage antworten sollte! „Musst du immer gleich all-“
 

„Aber wenn es einfach nicht funktioniert!“, brauste Natsu im Nebenzimmer so heftig auf, dass Lucy erschrocken zusammenzuckte und beinahe ihren Tee über sich verschüttete. Einen Moment starrte sie stumm die verschlossene Türe an, denn er hatte sich wirklich aufgewühlt angehört und gleichzeitig … niedergedrückt?
 

„Natsu, beruhig dich doch!“, klang Igneels gefasstere Stimme dagegen an, doch ebenfalls laut genug, dass sie ihn auch durch die geschlossene Tür gut verstehen konnten. Danach senkte sie sich wieder zu einem undeutlichen Gemurmel. Da war doch eindeutig etwas im Busch und vielleicht warf es Licht auf die Sorgen, die Natsu seit einiger Zeit mit sich herumschleppte.
 

Lucy stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und wuchtete sich hoch, um ins Wohnzimmer hinüberzugehen. „Was ist…?“, begann sie, als ihr Blick auf den niedrigen Tisch fiel. Darauf lagen die beiden Schularbeiten, die sie in der letzten Woche zurückgekriegt hatten, oder besser, Natsus.
 

Er hatte sie nicht einmal ihr zeigen wollen, doch er war danach so untypisch still und gedämpft gewesen, dass sie nicht weiter in ihn hatte dringen wollen. Aber dem vielen über den Blättern verteilten Rot nach zu urteilen, waren sie nicht sehr gut verlaufen. Hatte er denn wieder alles vergessen, das Erza vor den Ferien mit ihm durchgegangen war?
 

Allerdings war es ziemlich untypisch für Igneel, Natsu wegen ein paar schlechter Noten in die Mangel zu nehmen. Das waren immerhin nicht die ersten, die er nach Hause brachte, und er hatte nie auch nur angedeutet, dass sein Vater sich sehr darum scherte.
 

„… nun einmal nicht weitergehen.“, beendete Igneel gerade seinen Satz. Die beiden hatten kaum auf ihr Eintreten reagiert. „Ich weiß nicht, was ich noch versuchen soll, das durch deinen dicken Schädel zu kriegen.“ Er fuhr sich frustriert durch die Haare, dann bemerkte er, dass sie nicht mehr allein waren.
 

Doch statt sich zu erklären oder sie in das Gespräch mit einzubeziehen, packte er seinen Sohn an den Schultern und drehte ihn so, dass er Lucy ansehen konnte. Natsu sah ziemlich erschrocken darüber aus, so plötzlich mit ihr konfrontiert zu werden.
 

Doch sie starrte nur verwirrt zurück, erst recht, als Igneel zu sprechen begann: „Schau sie dir an. Das ist dein Mädchen und sie ist schwanger mit deinem Kind. Sie hat ihr ganzes Leben aufgegeben, damit ihr zusammen sein könnt.
 

Ich weiß, Lucy kann sich um sich selbst kümmern, aber ich glaube nicht, dass du das willst. Ich glaube, dass du ein Partner für sie sein willst, der sich um sie kümmern kann, wenn es sein muss und einfach, weil er es kann, nicht der Loser, um den sie sich auch noch kümmern muss.
 

Aber wie willst du ihr etwas bieten, wenn du es nicht einmal versuchst!?
 

Ihr habt gesagt, ihr schafft das, aber bis jetzt ging alle Arbeit nur von ihr aus. Du kannst jetzt nicht einfach die Waffen strecken und die Finger in die Ohren stecken, als hätte das alles keine Auswirkungen!
 

Nein, die Situation ist nicht leicht für dich, aber für sie auch nicht und auch nicht für jemand anderen. Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als du damals kamst? Trotzdem haben wir es irgendwie geschafft und ihr werdet es auch irgendwie schaffen, aber nur, wenn du dich endlich zusammenreißt, dich endlich auf deinen Hosenboden setzt und etwas dafür tust!“
 

Natsus Blick aus weit aufgerissenen Augen verlor nichts an dem Erschrecken, doch Lucy konnte die Erkenntnis darin erkennen, als sei ihm gerade jetzt etwas wichtiges klargeworden. Allerdings etwas, das ihm in seiner jetzigen Situation nicht half, sondern im Gegenteil, alles nur noch schlimmer zu machen schien.
 

„Aber…“, begann er und klang in diesem Moment gar nicht wie Natsu. Seine Stimme war leer und flach und ohne die übliche Energie und den Enthusiasmus, die für gewöhnlich darin mitschwangen. Auch sein Gesichtsausdruck schien einem Fremden zu gehören, hoffnungslos und niedergeschlagen. „Ich… ich hab es ja versucht. Aber du siehst selbst, was dabei rausgekommen ist. Ich bin einfach zu dumm dafür.“
 

Sein bedrückter Tonfall brach Lucy das Herz. Gleichzeitig fühlte sie sich selbstsüchtig und egoistisch. Wie hatte sie nicht merken können, wie schlecht es ihm tatsächlich ging? Wie hatte sie übersehen können, mit was für Gedanken er sich quälte? Warum hatte sie ihn nicht nach den Tests gefragt oder noch besser, davor, als sie dafür gelernt hatte? Warum hatte sie ihn nicht mehr dazu gedrängt, sich ihr zu öffnen?
 

Und die wichtigste Frage, was sollte sie jetzt tun?
 

Sie musste die richtigen Worte finden, jene, die Natsu aufbauten und ihn aus diesem Loch holten, ohne einen Zweifel daran zu lassen, dass er da gerade absoluten Schwachsinn von sich gegeben hatte. Doch das würde eine Gradwanderung sein und wenn sie daneben trat, würde alles noch schlimmer werden.
 

Erza hatte keine solche Bedenken. Sie marschierte einfach quer durch den Raum und verpasste ihm einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. „Du bist nicht dumm.“, erklärte sie in einem nachdrücklichen Tonfall, der keinen Zweifel zuließ, und fuhr ebenso entschieden fort: „Du bist manchmal nur etwas unaufmerksam und schnell abgelenkt und hin und wieder brauchst du einen Anstoß, bis du die feineren Nuancen der Mathematik oder was auch immer verstehst. Aber du bist auf keinen Fall dumm. Wenn du das nochmal sagst, wenn du das auch nur denkst, prügel ich dich windelweich. Verstanden?!“
 

Natsu war bei ihrer Rede immer kleiner geworden und hatte versucht, zurückzuweichen, doch dadurch, dass sein Vater noch immer hinter ihm stand, hatte er nicht viel Spielraum. Mit weit aufgerissenen Augen nickte er langsam. „Verstanden, Chef.“ Er versuchte es sogar mit einem halbherzigen Salut.
 

Erza beugte sich drohen vor, so dass ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt waren. „Ach ja? Warum glaube ich dir nicht…?“
 

Natsu schluckte. „A…aber es ist die Wahrheit…?“, versuchte er sich herauszureden.
 

„Ängstige den Jungen nicht zu Tode, Erza.“, schaltete Igneel sich ein und legte Natsu beistehend beide Hände auf die Schultern. „Wir brauchen ihn noch.“
 

Damit riss sich Lucy endlich aus ihrer Starre und durchquerte den Raum mit großen Schritten, um ihren Freund in die Arme zu nehmen. Auch das wurde durch ihren dicken Bauch erschwert, allerdings dachte sie bei sich immer, dass sie das Kind einfach in die Umarmung miteinschlossen.
 

„Erza hat recht.“, erklärte sie im Brustton der Überzeugung. „Du bist nicht dumm. Das akademische Zeug ist einfach nicht deine Stärke und du wirst vieles auch nie wieder brauchen. Aber ich bin sicher, wenn wir drei und Gray uns zusammensetzen und einen Lehrplan für dich erstellen, kommst du mit fliegenden Fahnen durch die Prüfungen. Alles andere zählt nicht.“
 

Natsu erwiderte die Umarmung und schnaubte abfällig. Seine Laune schien jedenfalls schon viel besser und er wirkte auch nicht mehr so erledigt. Stattdessen schwang in seiner Stimme die unerschütterliche Entschlossenheit mit, die sie so an ihm liebte. „Das glaube ich kaum. Aber schaffen muss ich es. Mein Kind soll keinen Loser als Vater haben.“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Natsu schien seinen Entschluss jedenfalls ernst zu nehmen. Gleich am Nachmittag setzten sie sich hin und arbeiteten einen detaillierten Lernplan aus, der ihn auf der einen Seite fordern, aber auf der anderen Seite nicht überfordern sollte und ihm gleichzeitig noch genug Zeit ließ, seinem Vater in der Werkstatt zu helfen, wenn auch nicht mehr so viel wie vorher.
 

Dass er dafür sein Kampftraining auf einmal die Woche zurückfahren musste, schien ihn dabei am meisten zu stören. Aber es half alles nichts und er beklagte sich auch nur minimal. Viel mehr schien es ihn zu ärgern, dass Gray als sein Mathetutor agieren würde. Lucy würde ihn in dem mit Sprachen verbundenen Fächern helfen und Erza übernahm den ganzen Rest.
 

Es blieb abzuwarten, wie viel tatsächlich hängen bleiben würde, denn sein Verhalten im Unterricht selbst änderte sich vorerst nicht sehr, auch wenn Erza ihn wiederholt ermahnte, dass auch der mündliche Teil in die Abschlussnote einspielen würde. Aber Lucy beschloss, ihn damit nicht zu sehr zu piesacken oder zumindest noch nicht. Der gesamte Lehrplan war ziemlich stramm, also verdiente er zumindest in einer Sache Nachsicht. Außerdem war sie davon überzeugt, dass das von ganz allein kommen würde, wenn er selbst merkte, dass er die Fragen der Lehrer richtig beantworten konnte.
 

Allerdings schaffte er es, mit ihr den Schwangerschaftsvorbereitungskurs zu besuchen, den sie sich herausgesucht hatte und in dem sie bei weitem die jüngsten Teilnehmer waren. Das nächste Pärchen war über fünf Jahre älter als sie und Lucy schrumpfte jedes Mal unter den verurteilenden Blicken zusammen, die sie geschenkt bekam, wenn sie den Turnraum betrat – oder es auch nur meinte. So ganz sicher war sie sich nicht darüber.
 

Natsu dagegen schien sich nichts daraus zu machen und tat sein bestes, sie von den paranoiden Gedanken und den realen Blicken abzulenken. Nach den ersten paar Malen wurden letztere auch weniger, als die Leute sich an ihren Anblick gewöhnten. Dann wurde sie halt schon mit achtzehn Mutter, na und?
 

Auch ansonsten normalisierte sich ihr Leben weiter. Oder genauer gesagt: es nahm eine neue Normalität ein. Denn ihr jetziges Leben hatte nichts mehr mit dem gemeinsam, dass sie vor ihrem Bruch mit ihrem Vater gehabt hatte, aber darauf hatte sie sich ja schon eingestellt.
 

Langsam gewann sie sogar ihren Krieg gegen den Haushalt und inzwischen fuhr sie sogar Lob für ihr Essen ein und begann, mit neuen Rezepten herumzuspielen. Es machte ihr weit mehr Spaß, als sie es jemals für möglich gehalten hatte und sie strahlte jedes Mal vor Stolz, wenn sie sah, mit wie viel Appetit Natsu und Igneel zulangten.
 

(Sie ärgerte sich auch gar nicht (sehr) über die Hausmütterchen-Kommentare, die sie dadurch in der Schule einfuhr. Aber diese Idioten hatten gar keine Ahnung, wie schwer es war, einen Haushalt zu führen, immerhin ließen sie sich Zuhause immer noch von Mama umsorgen. Und an dieser Arbeitseinteilung war überhaupt nichts sexistisch – Lucy war einfach in der Werkstatt komplett aufgeschmissen, also konnte sie kaum dort mit anpacken.)
 

Den Feldzug im Garten musste sie dagegen zwangsweise einstellen. Erstens ließ ihr immer dicker werdender Bauch es nicht zu, dass sie allzu viel herumturnte – es war eine sehr demütigende Erfahrung, im Dreck zu sitzen und nach Hilfe schreien zu müssen, weil man nicht mehr hochkam – und zweitens war sowieso November und da konnte sie im Garten nicht mehr viel tun.
 

Sie war allerdings ziemlich zufrieden mit dem Fortschritt, den sie bereits geschafft hatte, also trat sie klaglos den Rücktritt an und versprach sich, im Frühling wieder weiterzumachen. (Vorausgesetzt, ihr eigener Lernplan würde das zulassen, immerhin musste sie sich dann auch auf die Prüfungen vorbereiten.)
 

Auch in der Schule nahm das Gerede Gott sei Dank größtenteils ab und der Anblick einer schwangeren Schülerin war kein Novum mehr. Es gab auch nicht mehr ganz so viele Leute, die danach fragten, ob sie ihren Bauch antatschen konnten, um zu sehen, ob sie das Baby fühlen konnten. Konnten sie eh nicht, denn sehr zu Natsus Missfallen schien ihr noch immer ungeborener Sohn kein Interesse daran zu haben, etwas anderes zu treten als die Organe seiner Mutter.
 

Das einzige, was Lucy noch Sorgen bereitete, war, dass sich Ende November Natsus Geburtstag näherte und ihr wollte einfach nicht einfallen, was sie ihm schenken sollte. Früher war das kein Problem gewesen. Sie hatte sich einfach umgesehen, ob er etwas brauchte, bei Igneel angefragt oder Natsus Wünsche aufmerksam zugehört und es besorgt.
 

Heutzutage hatte sie kein Geld mehr. Da fielen teure Ersatzteile für einen Oldtimer, neue Möbel oder Markenklamotten schon mal unter den Tisch. Schließlich setzte sie sich aufgebrezelt vor den Spiegel, machte ein paar Fotos und fertigte ein Selbstportrait an.
 

Die Arbeit daran war seltsam. Auf der einen Seite fühlte sie sich ziemlich bescheuert, schon als sie die Fotos machte. Dabei war sie nicht sonderlich schüchtern, was ihr Aussehen anging, und war es auch nie gewesen. Aber die Veränderungen in der letzten Zeit, die ihr Körper durchgemacht hatte, der dicke, runde Bauch, die gigantischen Glocken, die sich ihre Brüste nannten…
 

Natsu versicherte zwar immer, dass er sie wunderschön fand, aber Natsu hatte keine Ahnung. Er fand sie selbst schön, nachdem sie sich im Matsch herumgewälzt und sich das Mascara aus den Augen geheult hatte.
 

Auf der anderen Seite hatte es einen seltsamen kathartischen Effekt, sich selbst zu zeichnen. Sie fühlte sich ruhiger, sicherer, besser und auch wenn es nur war, weil sie ihrem Abbild ein paar kleine Schönheitsfehler wegradieren konnte. Sie hoffte nur, dass es Natsu gefallen würde.
 

Außerdem fand sie ein günstiges Set von sieben Oldtimermodellautos, garantiert kindergeeignet, das sie kurzerhand mitnahm. Nicht nur, dass Natsu die Dinger sowieso liebte, in ein, zwei Jahren würde er sogar einen guten Grund haben, damit zu spielen.
 

Natsu wurde an einem Samstag achtzehn, was sie damit einleitete, dass sie sich früher als sonst aus dem Bett schlich. Sie konnte sowieso nicht mehr schlafen, weil eine gewisse Person die ganze Zeit gegen ihre Nieren trat. Im Stehen war es etwas besser, also ging sie erstmal frische Brötchen holen. Danach verkrümelte sie sich in die Küche und bereitete ein kleines Frühstück vor. Ihr Rührei konnte sich inzwischen sehen lassen, obwohl der Bacon noch etwas labberig wurde.
 

Das überließ sie lieber Igneel, der kurz nach ihr mit verpenntem Gesicht und einem echten Bedhead in die Küche gestolpert kam. Wie sein Sohn war er kein sonderlicher Morgenmensch, zumindest nicht vor einer Tasse Kaffee oder etwas Anständigem zu essen. Also warf sie ihm ein breites Lächeln zu und beließ es dabei als Begrüßung.
 

Igneel antwortete mit einem Grunzen, nahm aber dankbar die Kaffeetasse entgegen, die sie ihm reichte, und sah mit zombieartigem Gesicht zu, wie sie durch die Küche wuselte, den Tisch deckte und die Eier in eine Schüssel schaufelte. Während sie ging um seinen Sohn zu wecken, stellte er sich allerdings – inzwischen halbwegs aufgewacht – an den Herd und kümmerte sich um den Speck.
 

Natsu lag inzwischen wie ein Seestern ausgebreitet auf dem Bett, Arme und Beine von sich gestreckt, und sabberte in das Kissen. Für einen Moment dachte sie daran, ein Foto zu machen, entschied sich dann aber dagegen. Nicht heute, immerhin hatte er Geburtstag, da konnte man ihn etwas schonen.
 

Also beugte sie sich über ihn und küsste ihn auf die Wange. „Natsu. Aufwachen.“
 

Doch statt einer Antwort brummte er nur und drehte sich auf die Seite. Er war in dieser Hinsicht bemerkenswert resistent.
 

„Natsuuuu.“, versuchte sie es erneut und piekte ihm in die Seite. „Ich hab schon Frühstück gemacht. Die Eier werden kalt.“
 

Diesmal murmelte er etwas Unverständliches.
 

Sie versuchte es noch einmal mit einem liebevollen Kuss. „Hey! Hast du keinen Hunger? Es gibt frische Brötchen und Bacon und weißt du was noch, Geschenke. Aufwachen, Geburtstagskind!“
 

„Huh…? Was…?“, murmelte er verschlafen und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. „Hast du was gesagt?“ Verpennt blinzelte er zu ihr hoch, die Haare in alle Richtungen abstehend und einen verwirrten Ausdruck im Gesicht. Manchmal war er einfach zu niedlich. Sie wünschte, sie hätte ein Foto davon, ganz für sie allein.
 

Sie schenkte ihm ein Lächeln. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Erneut beugte sie sich vor und presste ein Küsschen auf seinen Mundwinkel.
 

„Oh… Oh yeah!“ Er sprang auf und umarmte sie enthusiastisch, ehe er sie richtig küsste.
 

Lucy ließ es sich einen Moment gefallen, ehe sie ihn sanft von sich schob. „Komm schon, sonst sind die Eier wirklich kalt.“, wehrte sie lachend ab und zog ihn an der Hand hinter sich her in die Küche.
 

Sie verbrachten einen gemütlichen Morgen beim Brunch und Lucy bereute es, dass sie nicht früher daran gedacht und zumindest Erza und Gray eingeladen hatte. Aber die beiden würden zum Nachmittag kommen und bis zur Party am Abend bleiben. Es würde keine große Feier werden, allerdings würde trotzdem ein Haufen Leute aufkreuzen. Gray und Erza (und Lucy) mochten seine engsten Freunde sein, aber Natsu war durch seine freundliche, stets aufbauende Art in weiten Kreisen beliebt.
 

Direkt nach dem Frühstück durfte er seine Geschenke auspacken, weil er sonst den ganzen Tag herumgequengelt hätte wie ein kleines Kind. Er freute sich wie wahnsinnig über das Bild, das sie ihm gezeichnet hatte, so dass sie ganz rot wurde vor Verlegenheit, und ebenso sehr über die kleinen Modellautos, die sofort ausprobiert werden mussten und zwischen Schüsseln und Tellern herumrasten. Von seinem Vater bekam er eher praktische Dinge und einen neuen Laptop.
 

Der Rest des Tages war damit angefüllt, die letzten Vorbereitungen für die Party zu treffen, die sie in einer der leeren Lagerhallen abhalten würden. Erza und Gray kamen zum Helfen vorbei und erstere brachte eine Erdbeertorte mit sich (woher sie die auch immer hatte – Erza zauberte zu jeder Jahreszeit Erdbeeren her), die sie zum Nachmittagskaffee anschnitten. Zum Glück hielt der kleine Plagegeist in Lucys Bauch für den Moment still, so dass selbst sie den Kuchen rundum genießen konnte.
 

„Hier, ein kleines Geschenk von mir.“, grinste Gray, als er seinem besten Freund ein offensichtlich im Laden verpacktes Packet überreichte. Lucy erkannte sofort, dass es sich um ein Buch handelte, auch ohne das Logo zu sehen. Und wenn sie Gray richtig einschätzte, war es vermutlich ein Lehrbuch.
 

Die beiden alten Freunde schenkten sich nie etwas Anständiges, sondern stets etwas, worüber der andere ein langes Gesicht ziehen würde – und das, obwohl er es immer gebrauchen konnte. Natsu jedenfalls schien sich nicht an diese Tradition zu erinnern, denn er riss das Papier mit Begeisterung weg.
 

Es waren sogar zwei Bücher, nicht nur eines, stellte Lucy gleich darauf fest, und Natsus geschocktes Gesicht enttäuschte nicht. „Waa…?“, begann er und ihm blieb der Mund offen stehen. Das Papa-Buch stand auf dem Buchrücken und darunter las eine Zeile: Ein Ratgeber für alle, die das erste Mal Vater werden. Das andere Buch hatte ein ähnliches Thema und hieß Scheiße, ich werde Vater! (K)ein Grund zur Panik!.
 

„Die wurden mir wärmstens empfohlen.“, erklärte Gray mit einem breiten Grinsen. „Anscheinend sind sie das Beste, was man auf diesem Gebiet so findet. Du kannst das sicher gebrauchen.“ Erza griente in ihren Erdbeerkuchen, Igneel platzte laut lachend heraus und auch Lucy konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
 

Natsu zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich kriege das schon ohne Hilfe hin, danke!“, motzte er, doch das hielt er nur gefühlte zwei Sekunden durch. Danach lachte er ebenfalls. Auch er konnte sich denken, dass er diese Bücher mehr als einmal zu Rate ziehen würde.
 

Kurz darauf räumten sie den Tisch ab; es gab noch viel zu tun. Lucy blieb auf dem Sofa sitzen und fragte sich, ob sie es sich leisten konnte, sich für eine Weile hinzulegen. Jetzt, da das letzte Stück ihrer Schwangerschaft angebrochen war, fühlte sie sich oft müde und erschöpft und legte sich hin, wann immer sie konnte. Außerdem hatte sie die Hoffnung, die Ruhe des Babys noch etwas ausnutzen und tatsächlich ein wenig Schlaf abzubekommen.
 

Abwesend streichelte sie sich über den Bauch. In ein paar wenigen Wochen würde es so weit sein, das waren keine zwei Monate mehr und das Gefühl, das dieser Gedanke in ihr wachrief, schwankte zwischen Endlich ist es soweit! Warum geht das nicht schneller? zu Oh mein Gott, dann ist ein Baby da und was mache ich damit bloß!? Ich bin noch nicht bereit!.
 

Sie hätte die Schwangerschaft dann zumindest endlich überstanden, sie würde nicht mehr herumwatscheln oder sich fühlen wie ein angeschwemmter Wal. Und das wichtigste: sie konnte endlich ihr Baby im Arm halten. Das war das größte Glück, versicherten ihr alle, die Leute im Internet, diverse andere Menschen, die sie im realen Leben traf, Ur, und auch Grandine, also musste wohl etwas daran sein.
 

An die Geburt selbst wollte sie lieber nicht denken – sie hatte die eine oder andere Horrorstory darüber gelesen und auch wenn Ur sie beruhigte, dass es das alles wert war, wenn sie danach ihr Baby im Arm hielt, so ganz glauben konnte sie das noch nicht. Aber irgendwie würde sie das schon überstehen, das hatten schon tausende und abertausende vor ihr hingekriegt.
 

Als sie die Bewegung unter ihrer Handfläche spürte, erstarrte sie reflexartig. Jetzt fing er doch schon wieder an! Das war’s wohl mit dem ruhigen Mittagsschlaf. Aber endlich waren es nicht mehr ihre Organe, die all diese Tritte zu spüren bekamen, was bedeutete…
 

„Natsu!“, rief sie aufgeregt und wedelte wild mit der freien Hand, den Blick auf ihren gewölbten Bauch gerichtet. „Natsu, komm schnell her!“
 

Er kam sofort ins Wohnzimmer gestürzt, einen erschreckten Ausdruck im Gesicht. „Ist etwas passiert? Ist alles in Ordnung?! Soll ich einen Krankenwagen rufen?!“
 

Aber sie wedelte nur mit den Händen, damit er endlich herkam. Sonst würde er seine Chance vielleicht verpassen und das wollte er sicher nicht! Was brauchte er nur so lange! Was, wenn sich dieser kleine Bengel in ihrem Bauch jetzt wieder dafür entschied, dass die andere Richtung sich doch besser eignete?
 

Kaum war Natsu in Reichweite, schnappte sie sich seine Hand und drücke sie auf die Stelle, an der sie das Baby vorhin gespürt hatte. Für einen Moment geschah nichts und Natsu starrte sie verwirrt an. Seine seltsam verrenkte Haltung sah ziemlich lustig aus, aber sie verschwendete kaum einen Gedanken daran.
 

Dann folgte ein weiterer Tritt und Natsus Gesicht entgleiste. Verwundert und staunend starrte er sie an. Dann ließ er sich schwer vor ihr auf den Boden fallen, so dass er neben dem Sofa kniete, die Hand immer noch auf ihrem Bauch gepresst. Als ein zweiter Tritt folgte, breitete sich ein breites, beglücktes Lächeln über sein Gesicht aus und waren das etwa Tränen in seinen Augen?
 

„Er wünscht dir auch alles Gute zum Geburtstag.“, erklärte Lucy ihm und fühlte sich wahnsinnig kitschig.
 

Natsus Grinsen schien sein Gesicht sprengen zu wollen, als er von der Stelle, wo seine Hand lag, zu ihrem Gesicht hochblickte: „Ich liebe dich. Ich liebe euch beide.“ Er küsste erst ihren Bauch und danach sie und weigerte sich eine ganze Zeit, sie loszulassen, obwohl das Baby sich nicht mehr rührte.
 

Erst als Igneel, Gray und Erza wieder hereinkamen, nachdem sie in der Halle Tische und Bänke aufgebaut hatten, schob sie ihn lachend von sich mit der Ermahnung, dass sie noch einiges zu tun hatten. Diese Aussage traf auf einige Zustimmung, die allerdings rasch in Aufregung umschlug, als sie erfuhren, warum Natsu sich die Pause gegönnt hatte. Dass jetzt erstmal alle sie begrabbeln wollten, hätte Lucy sich denken sollen, auch nach der mehrmaligen Versicherung, dass jetzt alles wieder ruhig war. Trotzdem ließ sie es lachend und glücklich über sich ergehen.
 

Immerhin, stellte sie in diesem erleuchteten Moment fest, war das hier ihre Familie.

19. Kapitel, in dem es langsam ernst wird

„…nicht so viel Ärger machen.“, drang eine leise Stimme zu ihr hindurch. Lucy runzelte die Stirn und presste ihre Wange tiefer in den weichen Untergrund, während die Stimme fortfuhr: „Sie hat es im Moment echt nicht leicht. Sie hat eine ganze Menge durchmachen müssen, um hierher zu kommen, und ich weiß, dass vieles davon sie unglücklich gemacht hat. Aber das hat sie nicht verdient, darum musst du ganz lieb sein, okay? Und nicht erst, wenn du da bist, sondern auch jetzt schon, damit sie schlafen kann.“
 

Lucy fragte sich, was das für ein seltsamer Traum war. Wer sprach denn da bitte und mit wem? Dabei war ihr die Stimme so vertraut, der Tonfall, die Worte…
 

„Sie braucht ihre Kraft, weißt du, vor allem jetzt, wo es in den Endspurt geht. Und danach sowieso.“ Ein leises Lachen folgte, ein Lachen, das sie kannte und liebte. „In Grays schlauen Büchern steht, dass danach erst alles anfängt. Da müssen wir uns ja gehörig auf etwas gefasst machen, nach allem, was wir schon hinter uns haben! Aber ich brenne schon richtig drauf. Du wirst sehen, das wird toll. Wir werden gemeinsam jede Menge Spaß haben, du und ich und deine Mama.“
 

Sie schlief gar nicht, fiel Lucy plötzlich auf. Stattdessen lag sie wach in dem Bett, das nicht das ihre war, aber ihr inzwischen genauso so vertraut war, dass es sich wie ihres anfühlte, und starrte das Kissen an, das ihr Blickfeld ausfüllte. Sie konnte sogar das Muster darauf erkennen, die verschnörkelte weiße Borte, die sich hell von dem dunklen Stoff abhob, denn der Mond schien hell in das Zimmer. Eine von Natsus großen Händen lag auf ihrer Hüfte und sie konnte sanft seinen Atem auf ihrem nackten Bauch spüren, während er bereits weitersprach.
 

„Sie wird eine ganz tolle Mama sein, darum brauchst du dir keine Sorgen zu machen! Die beste Mama der Welt, das versprech‘ ich dir. Sie tut ja jetzt schon alles, was sie kann, obwohl sie dadurch so viele Verluste einstecken muss. Und ich werd schon einen Weg finden, ein guter Papa für dich zu sein. Das wird schon, immerhin hab ich vom besten gelernt!“ Vorsichtig tätschelte er ihren Bauch, sachte genug, um sie nicht zu wecken, und in seinem Tonfall war deutlich ein breites Grinsen zu hören. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über Lucys Gesicht, wobei sie keinen Zweifel daran hatte, dass Natsu ein guter Vater sein würde. Quatsch, der Beste!
 

„Opa Igneel ist übrigens auch schon ganz aufgeregt, dich zu treffen. Auch wenn er es nicht sonderlich mag, wenn wir ihn Opa nennen, dann beschwert er sich immer, dass er doch noch gar nicht so alt ist.“ Natsu lachte erneut und jedes Mal konnte sie einen leichten Hauch auf ihrer Haut spüren. „Er geht das allerdings mit mehr Ruhe an als wir anderen. Vermutlich, weil er das schon mal durchgemacht hat. Das ist auch ganz gut so, sonst würden wir hier alle am Rad drehen. Aber erzähl ihm nicht, dass ich das gesagt habe.“
 

Natsu verfiel einen Moment in Schweigen, ehe ihm etwas Neues einfiel und er mit lebhafter Stimme weitersprach: „Wir sind übrigens nicht die einzigen, die sich so sehr auf dich freuen. Du hast noch mehr Familie, auch wenn wir nicht wirklich verwandt sind. Aber darum geht es bei Familien nicht, oder? Nein, es geht um Zusammenhalt und Vertrauen und Liebe und darum ist unsere Familie viel größer. Deine Tante Erza ist vermutlich die, die am aufgeregtesten von uns allen ist. Sie wird uns noch alle in den Wahnsinn treiben.
 

Und deine Onkel Gray und Loke wissen auch noch nicht ganz, wer von ihnen dein Patenonkel sein darf, neben Erza natürlich. Niemand wird sie von dieser Stellung vertreiben. Lucy sagt, das sollen sie unter sich ausmachen und dass sie schon zu einer Einigung kommen. Sie kann das sicher besser beurteilen als ich. Denk daran, bei solchen Sachen musst du immer deiner Mama glauben, die weiß da schon Bescheid und kann dir immer Rat geben.“ Er bewegte sich, rieb sich den Hinterkopf. „Ich bin in sowas nicht so gut. Aber ich verspreche, du wirst dich bei uns wohl fühlen. Wir lieben dich bereits jetzt. Bei uns wirst du immer eine Familie haben, versprochen! Wir lassen dich niemals alleine.“
 

Lucy konnte den Schwur in seiner Stimme hören, laut und deutlich, und die absolute Entschlossenheit, ihn zu halten und wenn er dafür durch die Hölle gehen musste. Das Herz wurde ihr warm bei dieser Gewissheit – Natsu würde nie sein wie Jude, egal, was geschah.
 

Etwas verspätet bemerkte sie endlich, dass sie einem (vielleicht etwas einseitigen) Gespräch lauschte, von dem Natsu vermutlich gar nicht wollte, dass sie es mitbekam. Aber jetzt war es schon zu spät. Also reckte sie sich leicht und drehte sich etwas, damit sie ihn richtig ansehen konnte.
 

„Hey.“, krächzte sie, ihre Stimme noch rau vom Schlaf und Natsu setzte sich abrupt auf. Im Halbdunkeln des Zimmers konnte sie sehen, wie er sich verlegen am Hinterkopf kratzte. Vermutlich wurde er auch rot, doch da sie kaum seine Züge ausmachen konnte, weswegen sie nicht sicher sein konnte.
 

„Wie lange bist du schon wach?“, wollte er nach einem Moment wissen, die Stimme befangen.
 

„Eine Weile.“, antwortete sie und stemmte sich auf ihre Ellbogen hoch.
 

„Oh.“, machte er und sie ahnte, dass sein Kopf vor Verlegenheit rot glühen musste, auch wenn sie es nicht sah. Es war wohl selbst ihm etwas peinlich, dabei erwischt zu werden, mit einem Bauch zu sprechen. Dabei war das sehr typisch für ihn, also hatte er vielleicht ein anderes Problem?
 

„Ich wollte nicht lauschen.“, erklärte sie darum ernst und suchte sich im Schneidersitz eine bequemere Position. Unwillkürlich streichelte sie dabei über ihren noch immer entblößten Bauch. Nur noch ein paar wenige Wochen…! Da es im Zimmer warm war, machte sie nicht die Mühe, Natsus alte T-Shirt herunterzuziehen, das sie zum Schlafen trug. „Hast du Angst, dass wir die falsche Wahl getroffen haben?“ Sie wusste wirklich nicht, was sie tun würde, wenn er jetzt einen Rückzieher machte. Wenn er entschied, dass dies doch zu viel für sie beide war – für ihn. Wenn er…
 

„Was?!“, fuhr er entrüstet auf und alle ihre Zweifel waren wie weggeblasen. „Natürlich nicht!“ Die Sicherheit in seiner Stimme ließ sie gleichzeitig lächeln und erleichtert aufatmen. „Auf keinen Fall!“, versicherte er. „Ich… Es ist vielleicht etwas früh, aber das ist das, wovon ich geträumt habe. Du und ich und eine Familie. Das ist das Beste, was ich mir vorstellen kann!“
 

Lucy spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, und jetzt war sie froh um die Dunkelheit, die nun ihre Verlegenheit verbarg. Sie wusste, dass Natsu sie liebte. Aber sie hätte nie gedacht, dass er so … so tief und so viel fühlte und dass er sich solche Gedanken über die Zukunft gemacht hatte. Wieder einmal hatte sie ihn unterschätzt, auch wenn sie immer wieder damit konfrontiert wurde.
 

Er griff nach ihren Händen und drückte sie. „Es ist etwas früh.“, gab er zu, leiser als vorhin. „Und ich hätte wirklich gern noch ein wenig Erfahrung und … Weisheit gesammelt. Und Geld.“ Er schnaubte belustigt. „Aber … wir kriegen das schon hin, du und ich. Du wirst die beste Mutter der Welt. Und ich … naja, ich finde schon einen Weg.“
 

Sie lächelte sanft und hoffte, dass er zumindest eine Ahnung davon erkennen konnte, während sie den Händedruck erwiderte. „Du wirst ein guter Vater werden, Natsu. Du bist es ja jetzt schon.“
 

„Auch wenn ich mit Leuten spreche, die mich weder hören noch verstehen können?“
 

Sie lachte leise und presste seine Hände auf ihren Bauch, in dem sich jetzt das Baby regte und leicht gegen ihre Bauchdecke trat. Vermutlich hatte sie ihn aufgeweckt mit ihrer eigenen Unruhe. „Er weiß vielleicht noch nicht, was du ihm da genau erzählst. Aber er kann den Sinn dahinter verstehen, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher. Dass er geliebt wird. Und das reicht doch, oder?“
 

Natsus Blick war ihren Gesten gefolgt und er blickte ihre verschlungenen Hände an. Dann schaute er auf und grinste. „Den Rest versteht er schon noch.“ Er beugte sich vor und küsste sie, sanft und zart, aber mit so viel Gefühl und Liebe, dass ihr Herz für einen Moment aussetzte. Sie erwiderte den Kuss, ohne ihn zu vertiefen, zufrieden damit, einfach seine Zuneigung und sein Glück, seine Freude zu fühlen und sie zu genießen, und damit, diese Gefühle auf gleiche Weise zurückzugeben, wie sie sie entgegengebracht bekam.
 

Als sie sich schließlich voneinander lösten, war ihr ruhiger Atem das einzige, was sie hören konnte. Natsu lehnte seine Stirn an ihre, sich kein Stück weiter von ihr wegbewegend, als unbedingt nötig, und sie konnte sein strahlendes Lächeln sehen, dass das Zwielicht um sie herum aufzuhellen schien.
 

„Ich liebe dich.“, flüsterte er gegen ihre Lippen und sie spürte die unumstößliche Unwiderlegbarkeit darin, sein Versprechen für ihrer beider Zukunft und die grundlegende Richtigkeit der Worte, die sie aus tiefstem Herzen erwidern konnte.
 

„Ich liebe dich auch.“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Die nächsten zwei Wochen waren angefüllt mit Arbeit, Stress und Terminen. Der letzte große Ultraschall kam und ging ohne aufregende Befunde. Es lief alles so, wie es sollte, erklärte die Ärztin ihr, die sie untersuchte, Grandines Partnerin in der Praxis. Trotzdem rief sie hinterher nochmal ihre Doktorfreundin an und fragte nach. Es fiel ihr einfach leichter, mit Grandine über diese Dinge zu sprechen als mit einer völlig Fremden.
 

Auch der Geburtsvorbereitungskurs stahl ihr Zeit, dazu kamen der Vorstellungstermin im Krankenhaus, Gespräche mit der Vertrauenslehrerin und der Rektorin der Schule – immerhin war der Geburtstermin mitten in der Unterrichtszeit, oh Gott! – die Klausurenphase, die jetzt über sie hereinbrach, Termine mit diversen Ämtern, die sie wegen Elterngeld und ähnlichen Dingen abklappern musste, Natsus Nachhilfeunterricht und eben der übliche Weihnachtstress, der den Dezember so mit sich brachte. Das bedeutete Geschenke, Weihnachtschmuck, Weihnachtsmärkte, die Vorbereitungen auf das Fest, die sie das erste Mal richtig miterlebte, weil sie selbst Hand mit anlegen musste, und vieles mehr…
 

Erneut sah sie sich mit dem Problem konfrontiert, was sie verschenken sollte, nur dass sie diesmal nicht nur für Natsu etwas finden musste, sondern auch für eine ganze Reihe anderer Leute – Igneel, ihre Freunde, Ur, als ein Zeichen der Dankbarkeit für die Hilfe in den vergangenen Monaten, und auch Grandine, für die sie ein Windspiel auf dem magnolischen Weihnachtsmarkt fand. Babysachen bekam sie in letzter Zeit genug, darüber hatte sie sich schon beschwert, wenn auch nur gegenüber Lucy.
 

Außerdem hatte sich Igneels Bruder angekündigt, der die Feiertage wie immer bei dem Rest der Dragneels verbringen würde, der einzigen Familie, die er noch hatte. Lucy war ihm noch nicht oft begegnet, da er sich die meiste Zeit mit Ärzte Ohne Grenzen im Ausland herumtrieb und Gutes tat. Glücklicherweise brauchte sie für ihn nichts zu Weihnachten zu besorgen, aber alle anderen gaben ihr genug Kopfzerbrechen auf.
 

Nachdenklich kaute sie an ihrem Stift und starrte auf die Tafel, an die die Lehrerin gerade eine Reihe Zahlen schrieb. Lucy hatte den Faden längst verloren, aber zum Glück war das nur eine Wiederholungsstunde drei Tage vor den Ferien und ein Blick auf die Aufgabe zeigte ihr, dass sie sie ohne Schwierigkeiten lösen konnten.
 

Erneut schweiften ihre Gedanken zu den wichtigeren Problemen in ihrem Leben ab. Vielleicht sollte sie einfach mal unauffällig herumfragen, was ihre Freunde sich so wünschten. Oder auffällig, das spielte ja auch keine Rolle, auch wenn es inzwischen kurz vor knapp war und Weihnachten gar nicht mehr weit entfernt.
 

Vielleicht sollte sie noch einen Shoppingtag mit Erza dazwischenschieben… Auch wenn die ihr vermutlich den Kopf waschen würde, dass sie das so lange vor sich hergeschoben hatte. Die Rothaarige hatte schon vor ein paar Tagen verkündet, dass sie alle Geschenke besorgt und verpackt hatte und sich alle gefälligst darüber zu freuen hatten.
 

Lucy hatte sich etwas Geld zurückgelegt von dem, was Igneel ihr für die Büroarbeiten gab, die sie inzwischen regelmäßig für ihn erledigte. (Auch wenn er sich weigerte, Geld für Notwendigkeiten wie Essen, Kleidung und solche Dinge zu nehmen und sie argwöhnte, dass er sie überbezahlte.) Das würde zwar nicht sehr weit reichen – zumindest nicht nach ihrem Standard – aber es wäre zumindest ein Anfang. Sie würde sich aufschreiben, wie viel sie für wen brauchte und erstmal rechnen. Sie konnte auch mit den anderen zusammenlegen, zum Beispiel mit Gray und Natsu, damit sie ein neues Übungsschwert für Erza kaufen konnten, oder…
 

„Lucy, wenn du so freundlich wärst, dem Unterricht zu folgen, wäre ich dir sehr verbunden.“ Die Stimme der Lehrerin riss sie aus den Gedanken und sie fuhr auf, um zu der Frau aufzublicken.
 

„Wa…? Ja, ich höre zu!“, posaunte sie, obwohl es offensichtlich war, dass sie nichts dergleichen tat.
 

Die Lehrerin stand direkt vor ihrem Tisch und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf sie herunter. „Wenn das so ist, wirst du wohl kein Problem haben, deinen Mitschülern zu erklären, wie man diese Aufgabe löst, richtig?“, war die spitze Antwort und ein Stück Kreide wurde ihr vor die Nase gehalten.
 

Lucy beugte sich zur Seite, um an ihr vorbeizusehen und einen Blick auf die Tafel zu werfen. Inzwischen waren sie eine Aufgabe weiter, aber mit diesem Problem hatten Natsu und sie sich erst am letzten Abend beschäftigt. Sie warf der Frau ein freundliches Lächeln zu, schnappte sich die Kreide und wuchtete sich aus ihrem Stuhl.
 

Im Vorbeigehen warf sie einen kurzen Blick zu ihrem Freund hinüber, der ihr ein verschmitztes Lächeln zuwarf und ihr den ausgestreckten Daumen zeigte. Vor ihm auf dem Pult lag das aufgeschlagene Matheheft, vollgekritzelt mit seiner krakeligen Schrift. Am Rand schaute ein Bogen liniertes Papier heraus, ebenso unordentlich beschrieben, aber mit dem Unterricht hatte es offensichtlich nichts zu tun. Er wurde hoffentlich nicht nachlässig mit seinen Studien?
 

Die letzten Wochen hatten so gut geklappt und die Lehrer waren echt erstaunt gewesen über seine plötzliche Aufmerksamkeit, die etwas nachträglich eingesetzt hatte, wie sie es vorausgesehen hatte. Es wäre schade, wenn das wieder nachlassen würde, jetzt, wo er so kurz vor dem Ziel stand. Nur noch ein paar Monate…!
 

Lucy ging, oder besser, sie watschelte nach vorne und hinter ihr ertönten Gekicher und ein paar flüsternden Stimmen. Das begleitete sie ständig, seit ihr Bauch so groß und sichtbar geworden war – anscheinend gab es im Moment nichts anderes, über das man lästern konnte – und sie konnte sich gut vorstellen, was da gesagt wurde.
 

Doch inzwischen interessierte sie das gar nicht mehr. Sollten die anderen Schüler doch reden, wenn sie lustig waren. Nichts würde sie davon abhalten, sich auf das Baby zu freuen und auf ihre Zukunft mit dem Mann, den sie liebte und der sie liebte. Die hatten ja alle keine Ahnung oder vielleicht waren sie auch neidisch.
 

Sie löste die Aufgabe an der Tafel mit Bravour und die Lehrerin nickte, ermahnte sie aber, trotzdem weiterhin aufzupassen. Lucy lächelte sie entschuldigend an und fragte sich einen Moment, ob sie weiter über Geschenke und Geld nachdenken sollte. Mit einem Seufzen beschloss sie, sich besser auf den Unterricht zu konzentrieren. Immerhin kamen die Prüfungen nicht nur auf Natsu zu und sie hatte auch Respekt davor, auch wenn sie ihr Zeugnis wohl nicht für eine Bewerbung bei der Uni brauchen würde, zumindest noch nicht so bald.
 

Sie zuckte zusammen, als ein zusammengefalteter Zettel vor ihr auf dem Heft landete. Als sie sich suchend umsah, die flache Hand auf die Nachricht gelegt, grinste ihr Natsu entgegen und machte eine aufmunternde Geste. Sie warf ihm einen bösen Blick zu und deutete auf seine Bücher, aber sein Grinsen wurde nur breiter und er wiederholte die Gebärde.
 

Sie schnaubte amüsiert und kam der Aufforderung endlich nach. Auf dem Zettel stand eine Liste mit Namen. Einige davon waren unterstrichen, um zu zeigen, dass Natsu sie besser gefielen, andere standen in Klammern, die sollten wohl eher eine Notlösung darstellen, und ein einzelner war eingekreist.
 

Während der letzten Wochen hatten sie viele solcher Zettel getauscht, nicht nur in der Schule, auch zuhause, denn irgendwie kamen sie nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Es hatte schon heftige Diskussionen gegeben, die mehr als einmal damit geendet hatten, dass Lucy in ihrem eigenen Zimmer geschlafen hatte. (Igneel amüsierte sich jedes Mal königlich darüber.)
 

Darum waren sie auf diese Listen umgestiegen, in die sie allerdings nicht einmal den zukünftigen Opa einsehen ließen. Der nahm es mit Humor, Erza hatte ein viel größeres Problem damit, auch wenn Lucy sie jedes Mal vom Thema ablenken konnte. Sie hatte Natsus Warnung über Erzas Namensgeschmack nicht vergessen.
 

Trotzdem waren sie noch nicht auf ein Ergebnis gekommen.
 

Doch jetzt huschte ihr unwillkürlich ein Lächeln über die Lippen, als sie den eingekreisten Namen las. Sie mochte ihn. Sie mochte ihn sogar sehr. Und Natsu gefiel er offensichtlich ebenso gut, also…
 

Mit einem kurzen Blick auf die abgelenkte Lehrerin griff sie nach einem Rotstift und malte zwei Ausrufezeichen und ein Herzchen daneben, um auch keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, wie sehr er ihr gefiel. Dann ließ sie den Zettel zurückgeben. Das erfreute Lächeln, als Natsu ihre Antwort aufnahm, ließ sie grinsen.
 

Zumindest diesen Schritt waren sie jetzt auch weiter.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

„Onkel Weiß! Onkel Weiß!“ Natsu wedelte mit beiden Armen in der Luft herum und grinste so breit, dass sein Gesicht drohte, sich in zwei Hälften zu spalten. Es fehlte nicht viel und er würde auf der Stelle auf und ab hüpfen wie ein kleines Kind. Stattdessen stürmte er los und drängte sich ohne Rücksicht auf Verluste durch die Menschenmenge am Check-out, die in Richtung der Gepäckausgabe strebte.
 

Lucy folgte ihm langsamer, nicht nur, weil ihr körperlicher Zustand es nicht mehr zuließ, dass sie rannte. Dazu kam, dass sie Weißlogia Dragneel bis jetzt auch nur eine Handvoll Mal begegnet war und ihn entsprechend kaum kannte. Allerdings war er ihr sehr sympathisch, bodenständig und beherrscht in Erinnerung geblieben.
 

Er war ein hochgewachsener, jung gebliebener Mann mit trotz der winterlichen Jahreszeit sonnengebräunter Hautfarbe und demselben ansteckenden Lachen, wie Igneel und Natsu es besaßen. Das schien ihnen in den Genen zu liegen und ihre Hoffnung, dass auch ihr Sohn es erben würde, wurde mit jedem Tag größer.
 

Tatsächlich konnte man ihm die Familienähnlichkeit zu den beiden nicht absprechen. Er hatte den gleichen, athletischen Körperbau und sehr ähnliche Gesichtszüge wie sein älterer Bruder und dieselben dunkelblauen Augen. Dazu kam allerdings eine wahre Mähne weißblonden Haares, die er sich im Nacken zu einem kurzen Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, so dann nur noch ein paar Ponysträhnen ihm verwegen in das Gesicht fielen.
 

Er begrüßte seinen Neffen mit einer herzlichen Umarmung und die beiden unterhielten sich angeregt. Seine Gestik war allerdings sehr viel beherrschter und weniger ausschweifend als Natsus, bemerkte Lucy und auch sonst hielt er sich mit stiller Gelassenheit. Er war wohl das ausgleichende Element in der Familie. Igneel ähnelte eher seinem Sohn.
 

Sie tätschelte ihren nur von dem Pullover bedeckten Bauch, der sich unter ihren Händen ungewöhnlich hart anfühlte. Seit ein paar Tagen ging das in unregelmäßigen Abständen immer wieder so und wenn es nicht langsam besser wurde, würde sie bald Grandine anrufen. Das war doch nicht mehr normal! Allerdings war es bis jetzt noch nicht so häufig vorgekommen, dass sie dies noch nicht getan hatte. Sie wollte nicht überreagieren.
 

Dazu kamen jedoch noch leichte Schmerzen im Rücken, die in ihrem Kreuz anfingen und nach oben abstrahlten. Rückenschmerzen waren allerdings nichts Neues und in der Regel half es, wenn sie sich ein wenig hinlegte oder zumindest ihre Position veränderte. Außerdem, und das machte ihr am meisten Sorgen, verspürte sie hin und wieder ein heftiges Ziehen im Unterleib.
 

Jedes Mal erstarrte sie und ihre Hand wanderte automatisch zu ihrem Bauch, um sich schützend darüber zu legen. Sie hatte nicht mit Natsu darüber geredet, denn während der letzten Tage hatte er sich so auf den Besuch seines Onkels gefreut, dass nicht einmal die regelmäßigen Nachhilfestunden, mit denen sie auch jetzt in den Ferien nicht aufhörten, ihm die gute Laune verderben konnte. Da wollte sie nicht mit so etwas kommen.
 

Es ist sicher nichts, versuchte sie sich einzureden das ist ganz normal. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was es wirklich ist. Auch jetzt fühlte sie es wieder, ein unangenehmes Ziehen in ihrem Unterleib, dass in den Rücken strahlte, so dass sie stehen blieb und sich das Kreuz rieb.
 

Man, würde sie froh sein, wenn sie das alles endlich hinter sich hatte! Aber der Geburtstermin war keine fünf Wochen mehr entfernt und auch wenn Grandine sie davor gewarnt hatte, dass Erstgebärende meist etwas darüberlegen, waren das keine zwei Monate mehr! Sie konnte es kaum mehr erwarten, nicht nur, weil sie dann diese Schmerzen loswurde, sondern größtenteils, weil sie dann endlich ihren Sohn in den Armen halten, ihn ansehen und ihn wiegen und lieben konnte und…
 

Weil er dann endlich da war.
 

„Lucy, wo bleibst du…?“, drang Natsus Stimme zu ihr durch und sie blickte auf. „Hey, da bist du!“, rief er und winkte sie herüber. „Warum so schüchtern? Du bist doch sonst nicht so?“ Er unterbrach sich und runzelte besorgt die Stirn. „Ist etwas passiert?“
 

„Nein, nein.“, beruhigte Lucy ihn und versuchte sich an einem Lächeln. „Ich habe nur ein bisschen Rückenschmerzen.“ Demonstrativ rieb sie sich die schmerzende Stelle. Das war ja noch nicht einmal eine Lüge. Wobei natürlich auch nicht die volle Wahrheit… Sie schob ihr schlechtes Gewissen mit dem Versprechen beiseite, nachher gleich Grandine anzurufen und trat zu den beiden wartenden Männern, um Weißlogia die Hand hinzustrecken.
 

Der erwiderte die Begrüßung mit einem ehrlichen Lächeln. „Schön, dich mal wieder zu sehen.“, erklärte er und zwinkerte ihr zu. „Ich hätte schon bei der ersten Begegnung wissen sollen, dass du gekommen bist, um zu bleiben. Natsu war vorher noch nie so begeistert von jemandem.“
 

„Wobei diese Art sicher nicht geplant war.“, gab Lucy mit einem reuigen Lächeln zu und tätschelte ihren Bauch, hoffend, dass sich ihre Gedanken, dass er sich unter ihren Fingern immer noch seltsam anfühlte, nicht auf ihrem Gesicht abzeichneten.
 

Während Natsu grinsend danebenstand, musterte Weißlogia sie nur kurz und sein Blick war scharf, doch statt etwas zu sagen, ließ er einfach nur ihre Hand wieder los. „Lasst uns noch kurz mein Gepäck holen, damit wir nicht noch ewig hier am Flughafen herumstehen müssen.“
 

Erleichtert atmete Lucy auf und folgte den anderen beiden auf die Gepäckausgabe zu, froh, den Fragen entkommen zu sein. Doch da hatte sie ihre Rechnung ohne Natsu gemacht, der nach ein paar Worten mit seinem Onkel zu ihr zurückfiel und sie besorgt anblickte. „Ist etwas los? Du bist schon seit ein paar Tagen so seltsam.“
 

„Wa…?“ Und sie hatte gedacht, sie hätte ihre Sorgen gut überspielt! „Nein!“, versicherte sie etwas zu hastig, was ihn die Stirn runzeln ließ. „Alles ist normal.“, erklärte sie und versuchte, soviel Überzeugungskraft wie möglich in ihre Worte zu legen. Aber dass sie gleichzeitig dachte, dass es ganz und gar nicht normal war, musste ihnen an Sicherheit nehmen, denn er wirkte kein Stück beruhigter.
 

„Lucy, wenn etwas nicht stimmt, musst du es sagen! Ich mache mir sonst Sorgen.“
 

„Es ist nichts.“, versuchte sie es erneut. „Die Rückenschmerzen sind nur etwas größer als sonst.“
 

Inzwischen waren sie am Gepäckband angekommen, an dem das größte Gedränge sich bereits aufgelöst hatte. Natsu verzog unwillig das Gesicht, offensichtlich glaubte er ihr nicht. Zumindest ahnte er, dass sie ihm nicht alles erzählte. Sie war nun mal noch nie ein guter Lügner gewesen!
 

Sie seufzte auf und rieb sich mit beiden Händen den Bauch. „Es ist wirklich nichts. Nur ein leichtes Ziehen hier, das ganz schnell wieder weggeht.“
 

Sein Gesicht entgleiste entsetzt und er starrte sie mit weit aufgerissenen Augen geschockt an. Wäre die Situation nicht so ernst, wäre dieser Ausdruck ziemlich komisch gewesen, aber jetzt konnte sie sich kaum ein Lächeln abringen. Trotzdem versuchte sie es und nahm beruhigend seine Hand. „Es ist nicht so schlimm.“, versuchte sie nicht nur sich zu überzeugen.
 

„Aber… aber, was wenn da gerade etwas schief läuft…!“ Natsus Stimme überschlug sich. „Und… und…“
 

„Das klingt nach Übungswehen.“, mischte sich Weißlogia von der Seite ein und seine ruhige, nüchterne Stimme stand ganz im Gegensatz zu Natsus Panik. „Die sind ganz normal.“
 

Sie drehten sich zu ihm und Lucy blinzelte verdutzt. Auch Natsu öffnete den Mund. „Woher willst du das wissen? Was, wenn es doch irgendwas Schlimmes ist?“
 

„Ich bin Arzt, erinnert ihr euch?“, half er ihr amüsiert auf die Sprünge. „Und auch wenn ich eigentlich Chirurg bin, da wo ich normalerweise eingesetzt bin, decke ich alle möglichen Gebiete und Schwangerschaften gehören sehr häufig dazu.“ Er verließ seinen Platz am Gepäckband und zog sie ein paar Schritte beiseite.
 

„Tut es sehr weh?“, wollte er wissen und Lucy schüttelte den Kopf. „Es ist eher ein unangenehmes Ziehen.“ Sie zeigte mit der Hand, wo in etwa. „Und es strahlt in den Rücken ab.“
 

„Sind sie sehr regelmäßig?“, fragte Weißlogia weiter und machte eine Geste zu ihrem Bauch. „Darf ich?“
 

Sie nickte und er tastete sie kurz ab. Natürlich trug sie noch ihren Pullover, aber das schien ihn nicht zu stören. Also antwortete sie auf seine Frage: „Nein, sie kommen hin und wieder und klingen dann rasch wieder ab. Sie kommen auch nur ein paar Mal am Tag.“
 

Sie warf Natsu einen kurzen Blick zu, aber er runzelte noch immer die Stirn, wenn er auch nichts mehr sagte. Allerdings war er noch immer beunruhigt und spielte nervös mit den Enden seines Schals.
 

„Was ich so auf die Schnelle sagen kann, ist, dass es kein Grund zur Beunruhigung ist.“, versicherte Weißlogia ihnen. „Das dürften nur Übungswehen sein. Sollten sie öfter kommen als drei Mal die Stunde, solltest du deinen Gynäkologen aufsuchen, aber ansonsten gibt es keinen Grund zur Sorge. Hast du sie bis jetzt noch nicht gespürt? In der Regel treten sie das erste Mal etwa zwischen der zwanzigsten und der fünfundzwanzigsten Woche auf.“
 

Sie schüttelte den Kopf. „Ist das schlimm?“
 

„Manche spüren überhaupt nichts davon.“, beruhigte er sie und trat wieder einen Schritt von ihr zurück. „Sie sind nur eine Art Training zur Geburt. Wärme hilft, du solltest dir zuhause ein Bad gönnen. Danach entspannen, lass dir von Natsu die Füße massieren.“ Er warf seinem Neffen einen Blick zu.
 

„Oh…“ Erleichterung durchflutete sie. Dann waren die Sorgen der letzten Tage wohl doch umsonst gewesen. Warum hatte sie nicht gleich Grandine gefragt! „Danke.“
 

Weißlogia nickte ihr zu. „Falls du noch Fragen hast, stehe ich dir gerne zur Verfügung. Und ich glaube, da kommt mein Gepäck.“ Abgelenkt ging er zum Fließband herüber, während Natsu sofort zu ihr trat und sie in die Arme nahm. „Mach das nie wieder, okay?“
 

„Wa…? Natsu, ich mache das nicht mit Absicht!“ Sie drehte sich in seiner Umarmung, so dass sie ihn ansehen konnte, und runzelte verwirrt die Stirn.
 

„Ich meine nicht diese Übungswehen oder so.“, verbesserte er sie. „Ich rede davon, dass du mir nichts davon gesagt hast, obwohl du dir solche Sorgen machst! Wie kann ich dir helfen, wenn du dich nicht rührst?“
 

„Oh… I-ich…“, begann sie und fühlte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Was sollte sie dazu sagen? „Ich wollte dich nicht beunruhigen.“, gab sie schließlich kleinlaut zu.
 

Natsu wirkte gar nicht glücklich mit ihr, doch er beugte sich vor und küsste sie zärtlich. „Aber ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nichts sagst“, wiederholte er „und ich bin lieber beunruhigt, als dich das alles allein stemmen zu lassen. Wir stecken beide in der Sache drin, also teile das mit mir.“
 

Lucy blickte ihn einen Moment aus großen Augen an, dann fühlte sie, wie die Anspannung aus ihrem Körper wich und sie legte den Kopf auf seine Schulter, während sie ihre Arme um seine Mitte gleiten ließ. Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit durchdrang sie. Was hatte sie nur getan, um jemanden wie Natsu zu verdienen? Sie konnte sich niemand besseren vorstellen, den sie für dieses Abenteuer an ihrer Seite haben konnte!
 

„Kommt, ihr zwei Turteltauben.“, riss Weißlogias Stimme sie schließlich aus dem Moment und sie lösten sich hastig voneinander. Vermutlich war ihr Gesicht genauso rot wie Natsus, aber Weißlogia ging nicht weiter auf diese intime Umarmung mitten in der Eingangshalle des Flughafens ein. Er grinste nur. „Opa Igneel wartet sicher schon auf uns.“

20. Kapitel, in dem es eine unerwartete Begegnung gibt

Der Duft von frisch gebackenen Plätzchen erfüllte die Wohnung und Lucy knabberte an einem der selbstgemachten Kekse, die vor ihr auf dem Gitterrost abkühlten. Während der letzten Wochen hatte sie sich immer wieder an dem einen oder anderen Rezept versucht, um die Weihnachtszeit nicht ganz ohne den süßen Leckereien überstehen zu müssen. (Okay, das war eine Lüge, ganz ohne wären sie nicht. Igneel brachte hin und wieder welche vom Bäcker mit und Erza, die den ersten Advent stets mit Makarov in der Küche verbrachte und Unmengen Plätzchen produzierte, hatte ebenfalls eine ganze Dose davon vorbeigebracht.)
 

Aber während das Kochen inzwischen ganz gut funktionierte, mit dem Backen stand sie auf Kriegsfuß. Also waren die meisten ihrer eigenen Plätzchen misslungen. Sehr misslungen wie in schwarz verbrannt und kaum mehr von Kohle zu unterscheiden. Heute war allerdings der dreiundzwanzigste Dezember und damit war dies die letzte Chance, die Lucy hatte. Diese erste Ladung war ein bisschen hart, aber nicht ungenießbar, was sie mit unglaublichem Stolz erfüllte. Sie würde aufpassen wie ein Luchs, damit der Rest nicht auch noch verbrannte.
 

Das kleine Radio, das auf der Fensterbank stand, spielte Weihnachtsmusik, ansonsten war es still in der Wohnung. Die restlichen Vorbereitungen waren alle getroffen, die Geschenke verpackt (sie hatte tatsächlich für alle etwas gefunden!) und alles Benötigte eingekauft, so dass sie sich jetzt zurücklehnen konnten.
 

Das einzige, da jetzt noch fehlte, war der Baum, den Igneel und Natsu in diesem Moment besorgten. Im Wohnzimmer war bereits ein Platz dafür freigemacht worden und die Kisten mit dem Schmuck standen schon bereit. Sie würden sich zwar erst am nächsten Tag darum kümmern, aber niemand hatte es über das Herz gebracht sie davon abzuhalten, alles schon dafür vorzubereiten.
 

Lucy freute sich schon wie wahnsinnig darauf – Jude ließ seit Jahren einen bereits fertigen Weihnachtsbaum kommen, an dem nichts mehr getan werden musste. Sie vermisste es, die Tanne selbst zu schmücken, wie sie es mit Layla stets getan hatte. Am liebsten hätte sie ein wenig des selbstgemachten Baumschmucks oder die edlen Glaskugeln, die Layla von ihrer Mutter geerbt hatte, um damit ihren diesjährigen Weihnachtsbaum zu dekorieren.
 

Doch natürlich hatte sie bei ihrem Auszug kein solch frivoles Zeug mitnehmen können – ganz zu schweigen davon, dass sie nicht einmal wusste, wo sich die Dinger befanden. Aber sie erinnerte sich noch daran, an den Zauber des Weihnachtsabends, den nur kleine Kinder spüren konnten, an den glitzernden, funkelnden Baum, den Berg der in glänzendes Papier gewickelten Geschenke und Laylas breites Lächeln, als sie ihr geholfen hatte, den Engel auf die Spitze zu setzen…
 

Mit einem Mal vermisste sie ihre Mutter wieder, als wäre es das erste Jahr nach ihrem Tod.
 

Sie vermisste auch ihren Vater, jenen Vater, der Jude gewesen war, als Layla noch lebte, sein tiefes Lachen und die großen, erstaunlich kräftigen Hände, nach denen sie immer gegriffen hatte, um sich daran festzuhalten wie an einer Rettungsleine. Sie vermisste sogar ein kleines bisschen jenen Jude, den sie verlassen hatte.
 

Sie bereute nicht, gegangen zu sein, sie wünschte nur, dass es nicht nötig gewesen wäre. Dies war das erste Weihnachten, das sie ohne ihn verbringen würde – und er ohne sie. Wie er wohl den nächsten Abend verbringen würde und die beiden folgenden Feiertage? Würde er der kleinen Tradition folgen, die er und Lucy in den letzten Jahren aufgenommen hatten, wie sie selbst es auch vorhatte?
 

Die meisten der Bediensteten hatten traditionell über die Tage frei, außer ihm würde nur Spetto im Haus sein, die keine eigene Familie hatte. Es würde einsam sein, stellte sie fest, und niemand wäre für ihn da. Vielleicht würde er einfach arbeiten, als wäre es ein Tag wie jeder andere… Der Gedanke stimmte sie traurig. War da noch etwas in seinem Leben außer der Arbeit? Vielleicht sollte sie ihm einige ihrer ersten, selbstgemachten Plätzchen vorbeibringen…
 

Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken und sie blickte auf. „Wenn du nicht aufpasst, verbrennen deine Plätzchen.“, erklärte Weißlogia mit einem kleinen Lächeln und deutete auf den Ofen.
 

Entsetzt sprang Lucy auf und riss die Ofenklappe auf. Beinahe hätte sie ihren Einsatz verpasst und dabei saß sie direkt daneben, damit dies nicht geschah! Sie warf ihm ein dankbares Lächeln zu und ließ sich von ihm helfen, die etwas zu braunen Plätzchen auf die inzwischen abgekühlte erste Ladung zu schieben.
 

„Das ist ja gerade noch gut gegangen.“, bemerkte er, als Lucy das nächste vorbereitete Blech in den Ofen schob.
 

„Danke für die Warnung.“, bemerkte sie und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. „Ich war in Gedanken.“
 

„Das habe ich gemerkt.“, war die amüsierte Antwort.
 

Dann senkte sich eine unbeholfene Stille über die Küche. Es war nicht so, dass sie Weißlogia nicht mochte – im Gegenteil, er war eine angenehme Gesellschaft, ruhig auf eine Art, die auch auf alle Umstehenden überging, besonnen und mit einer natürlichen Freundlichkeit und Gelassenheit. Aber sie kannte ihn kaum.
 

Glücklicherweise schien es ihm ähnlich zu gehen wie ihr, denn er räusperte sich nach einem Moment. „Als Igneel mir erzählt hat, dass er Großvater wird, hab ich gedacht, ich hör nicht recht. Und mir dann die Frage gestellt, ob Natsu wohl damit zurecht kommt.“
 

„Die Frage stell ich mir manchmal immer noch.“, gestand sie. Und nicht nur Natsu. War sie dem ebenfalls gewachsen? Meistens würde sie diese Frage mit Ja beantworten, schon aus dem Grund, weil sie zu stur war, etwas anderes zu akzeptieren. Manchmal zweifelte sie.
 

Weißlogia grinste schief. „Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, müsst ihr euch keine Sorgen machen. Ihr schafft das schon. Hier.“ Er zog etwas hervor, dass er sich unter den Arm geklemmt hatte. Nach einem Moment erkannte sie einen kleinen, weißen Plüschdrachen mit flauschigen Flügeln und aufgestickten, schwarzen Augen.
 

„Eigentlich bin ich nicht so für Geschenke zu haben, aber für so einen Anlass konnte ich nicht wiederstehen. Echte pergrandische Handarbeit.“
 

Überrascht nahm sie das niedliche Plüschtier entgegen. „Danke. Der ist wirklich süß.“ Und er war weich und flauschig in ihren Händen, perfekt für ein winziges Baby.
 

„Ich hab ihn zufällig gesehen.“ Weißlogia zuckte mit den Schultern und grinste verlegen. „Ich hätte eine andere Farbe genommen, wenn es eine gegeben hätte, aber außer dem waren keine Drachen mehr da. Und Teddys sind langweilig.“
 

„Ihr Dragneels und eure Drachen.“, lachte Lucy und blickte dem Plüschtier in sein niedliches Gesicht. Nicht, dass sie etwas gegen Abwechslung hatte – Bären hatte sie schon zwei im noch unbenutzten Kinderzimmer sitzen. „Ich hoffe, er ist waschbar.“
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Der Morgen des vierundzwanzigsten Dezembers war trüb und kalt, der Himmel bedeckt von tiefhängenden Wolken, die schwer an ihrer Last trugen. Hoffentlich würde es bald wieder schneien, so wie es in der Nacht geschehen war. Die ganze Welt war von einen Tag auf den anderen in helles Weiß gekleidet und Lucy freute sich auf eine echte, weiße Weihnacht, wenn es schon keinen Sonnenschein gab.
 

Die Straßen waren bereits geräumt, die Gehwege ebenfalls frei, wobei sich inzwischen grauer und zuweilen sogar schwarzer Schneematsch an den Bordsteinen angesammelt hatte, der einen Wall zwischen dem Bürgersteig und der Fahrbahn bildete. Auf dem Friedhof jedoch war die Schneedecke beinahe ungebrochen, nur die Hauptwege waren freigeschippt worden und eine Handvoll Fußspuren führten zu einzelnen Gräbern.
 

Lucy hatte den Bus genommen, der sie bis vor die eisernen Gitter gebracht hatte, die nachts das Friedhofsgelände verschlossen. Die Luft stach in ihren Lungen, obwohl sie ihren gestrickten Schal bis über die Nase hochgezogen hatte, und ihre Stiefel wirbelten Schnee auf, als sie den vertrauten Weg hinunterstapfte, der sie in einen ruhigeren Bereich des Friedhofs führte. Hier war der Schnee noch völlig ungebrochen, Bäume breiteten ihre Äste über den gepflegten Gräbern aus und es war still.
 

Lucy blickte erst auf, als sie vor dem Grab ankam, die Finger fest um den Strauß aus weißen Lilien und Callas und den Griff der kleinen rosa Laterne geschlungen. Das Kind in ihrem Bauch war unruhig, immer wieder spürte sie Tritte und leichte Bewegungen, als ob es jetzt schon herauswollte. Sie tätschelte leicht die Wölbung, die ihren Parka ausbeulte.
 

„Ein wenig musst du dich noch gedulden.“, erklärte sie dem ungeborenen Jungen. „Du hast wohl Natsus Ungeduld geerbt.“ Dann blickte sie endlich auf.
 

Das Grab war großflächiger als die anderen um es herum. Jude war es verboten worden, ein echtes Mausoleum zu bauen, darum erhob sich nur die große Marmorstatue eines Engels über der Stätte, eine androgyne Gestalt mit schützend ausgebreiteten Schwingen, die Arme bittend ausgebreitet. Zu seinen Füßen lag ein zu einem Buch geschlagener Stein, auf dem der Name und die Daten des Toten eingeschlagen waren sowie ein kurzer Spruch.
 

Lucy ignorierte die Buchstaben, die sie sowieso nie wieder würde vergessen können, und sagte: „Hallo, Mama.“
 

Seit Laylas Tod gehörte ein kleiner Ausflug hierher zu den Weihnachtstraditionen in der Familie Heartphilia. Der erste Besuch war ein Versuch von Seiten Judes gewesen, eine untröstliche Tochter über ein Weihnachtsfest hinwegzuhelfen, das sie plötzlich nur noch zu zweit feiern mussten. Danach waren sie jedes Jahr hierhergekommen, nur Vater und Tochter, um ein wenig Trost zu finden.
 

„Ich hätte dich schon viel früher besuchen sollen, aber irgendwie habe ich es nie hingekriegt. Dabei habe ich dir so viel zu erzählen.“ Sie seufzte und wünschte sich, all diese Dinge sagen und dabei ihrer Mutter direkt in die Augen sehen zu können und nicht einem Grab gegenüberzustehen. Aber dass dies nicht mehr möglich war, damit hatte sie sich schon vor langer Zeit abgefunden. Nur machte es das nicht unbedingt leichter.
 

Sie rang sich ein Lächeln ab und hob die Blumen. „Ich habe dir etwas mitgebracht.“, erklärte sie und legte den Strauß vorsichtig auf das steinerne Buch. „Und das hier, das hab ich zufällig gesehen und dachte, es würde dir gefallen. Ein kleines Licht zur Weihnachtszeit.“ Sie hängte die Laterne an der extra daran befestigten Kordel über einen der Arme des Engels und öffnete das kleine Türchen, damit sie eine Kerze hineinstellen und anzünden konnte. Dann schloss sie das Windlicht wieder und wuchtete sie sich aus der kauernden Stellung hoch.
 

„Das wird auch immer schwerer.“, murrte sie, nachdem sie es endlich geschafft hatte. „Hattest du mit mir auch solche Probleme?“, wollte sie dann von dem Grab wissen und legte beide Hände auf den Bauch. „Das ist dein Enkelsohn, Mama. Ich weiß, du hast jetzt sicher noch nicht damit gerechnet, aber es kommt, wie es kommt. Am Anfang hab ich auch meine Probleme gehabt, es zu akzeptieren, aber jetzt freue ich mich wie blöd darauf. Natsu natürlich auch, er kann es kaum erwarten.“
 

Sie lächelte bei dem Gedanken an ihren Freund, der mit jedem Tag aufgeregter wurde und die Tage bis zum Geburtstermin schon zählte. Er kreuzte die vergangenen Tage sogar im Kalender ab. Lucy sah dem Ereignis mit gemischten Gefühlen entgegen, aber sie hatte ja noch ein paar Wochen.
 

„Igneel auch und Erza und Gray. Und Loke natürlich und…“ Sie verstummte und holte tief Luft, um die plötzlich aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Nur Papa nicht. Wir hatten einen Riesenkrach und jetzt ist alles vorbei und ich hab ihn seit Anfang September nicht mehr gesehen. Es tut mir Leid, Mama, du wärst sicher so enttäuscht von uns beiden, weil wir die Differenzen nicht beiseitelegen können. Aber ich kann nicht mehr zurück, ich habe die richtige Entscheidung getroffen.“
 

Sie holte tief Luft und zog geräuschvoll die Nase hoch. Hatte sie ein Taschentuch dabei? Die Jackentaschen abklopfend richtete sie den Blick in den Himmel und versuchte, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu kriegen. Was hatte dieser Ort nur an sich, das sie immer aus dem Gleichgewicht brachte? Sie schnäuzte sich und holte tief und zitternd Luft. „Aber ich will eigentlich gar nicht über solche Sachen reden. Das ist jetzt vorbei. Ich wollte dich nur besuchen kommen, wie jedes Jahr.“
 

Damit zerrt sie sich einen Handschuh von den Fingern, um einen Kuss darauf zu pressen, den sie auf dem in Stein geschlagenen Namen ihrer Mutter ablegen konnte. „Ich liebe dich. Ich vermisse dich so sehr.“ Damit rappelte sie sich wieder auf und schob die Hände in die Jackentaschen. „Schöne Weihnachten, Mama. Ich komme dann vorbei, wenn der kleine Racker da ist, damit du ihn auch kennenlernen kannst. Er macht gerade ganz schön Radau da drin.“ Sie lächelte und horchte in sich hinein, obwohl das Baby im Moment Ruhe gab. Dann gab sie sich einen Ruck. „Also, bis … bis dann.“
 

Doch anstatt den Weg wieder zurückzugehen, starrte sie das Grab noch eine Weile an; die elegante Schrift im Stein, die weißen Blumen darauf, das kleine Licht in seiner Laterne, der Engel, der einen Schatten über alles warf. Wie sehr wünschte sie, dass das nicht nötig war, dass Layla noch am Leben war, dass alles anders war.
 

Wie sehr wäre das letzte Jahr wohl anders abgelaufen…?
 

Ein Geräusch von der Seite ließ sie aufschrecken und den Kopf wenden. Ihr lag bereits eine nichtssagende Begrüßung auf den Lippen, als sie die Gestalt erkannte, die dort aufgetaucht war, und die Worte blieben ihr im Halse stecken.
 

Dort stand ihr Vater, ein großes Bouquet Rosen in den Händen, ganz in rosa und weiß, wie Layla sie geliebt hatte.
 

Er starrte sie an, offensichtlich ebenso überrascht wie sie, sie hier zu treffen. Normalerweise fand ihr traditioneller Friedhofsbesuch kurz vor dem Kaffee statt, weswegen Lucy extra bereits am Morgen gekommen war. Sie hatte nicht vorgehabt, Jude hier zu treffen. Auf diese Konfrontation hatte sie sich nicht einlassen wollen.
 

Aber anscheinend hatte er den gleichen Gedanken gehabt und jetzt waren sie beide hier und Lucy wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Gerade noch hatte sie ihrer Mutter erzählt, ihn seit Monaten nicht mehr gesehen zu haben und jetzt stand er ihr plötzlich gegenüber. Wie verrückt war das denn?
 

Auf den ersten Blick wirkte er, als hätte er sich kein Stück verändert, unnahbar und kühl. Ein beherrschter Geschäftsmann, der über das Schicksal von tausenden entschied und mit Geld in solchen Mengen hantierte, dass ein normaler Mensch sie sich nicht einmal vorstellen könnte. Ein disziplinierter, besonnener Familienvater, der die Zügel eisern in der Hand hielt.
 

Auf den zweiten jedoch erkannte sie, dass das nicht stimmte. Tiefe Linien hatten sich in sein Gesicht gegraben, das verschlossen und verbittert wirkte, seine Haare waren eher grau statt braunblond und er hatte dunkle Ringe unter den Augen. Er bemühte sich um eine gerade Haltung, doch sie durchschaute ihn, er schien gebeugt unter einer unsichtbaren Last.
 

In dem langen Wintermantel, unter dem Anzughosen und teure, lederne Halbschuhe zu sehen waren, sah er äußerst elegant aus. Das Haar war streng zurückgekämmt, der Schnauzer wie immer akkurat und einwandfrei. Jemand, der ihn nicht kannte, würde die Veränderung, die er in den letzten Wochen durchgemacht hatte, kaum erkennen.
 

Aber auf sie wirkte er einfach nur … einsam.
 

Verloren und verlassen stand er da, vor dem Hintergrund des verschneiten Friedhofs und dem grauen Himmel, und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Wie er mit seinem einzigen Kind sprechen oder umgehen sollte.
 

Sie holte tief Luft. Es gab keinen Grund, ihn unzivilisiert oder unfreundlich zu behandeln, im Gegenteil. Vielleicht würde es ihm den letzten Stoß geben, dass er nachgab, dass er bereit dazu war, seine Meinung zu ändern, wenn sie ihm entgegenkam, ihm eine Gelegenheit dazu gab. Also versuchte sie sich an einem breiten Lächeln. „Guten Morgen, Papa. Ich … Schöne Weihnachten.“
 

Die Worte rissen Jude aus der Starre und er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Stattdessen huschte ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht, den sie nicht deuten konnte. Schließlich sagte er nur: „Lucy. Ich… ich habe dich um diese Zeit nicht hier erwartet.“ Was so offensichtlich war, dass er es nicht einmal hätte aussprechen müssen.
 

„Wir haben heute Mittag etwas vor.“, antwortete sie in leutseligem Tonfall, was nicht einmal gelogen war. Erza und Gray würden zum gemütlichen Kaffee vorbeikommen und Loke wollte auch noch anrufen. In ihr bewegte sich das Baby rastlos, offensichtlich fühlte es sich gestört durch Lucys eigene Unruhe. Unwillkürlich legte sie eine Hand auf ihren Bauch und Jude folgte der Bewegung mit dem Blick.
 

Da stand etwas in seinen Augen – Hoffnung, Sehnsucht, der Wunsch, doch noch teilzuhaben an all dem?
 

„Es ist ein Junge.“, erklärte sie in der Erwartung, ihn etwas näher an das Kind heranzubringen, an die Idee, bald Großvater zu werden. „Ende Januar ist der Termin. Das wird zwar etwas kompliziert mit der Schule, aber wir kriegen das schon hin. Die Rektorin ist sehr entgegenkommend.“
 

Jude runzelte die Stirn und nickte, seine Hände hatte er so fest um den Blumenstrauß geschlossen, dass die Blätter zerknickten. Noch immer war sein Gesicht verschlossen, aber sie konnte sehen, wie er über etwas nachdachte. „Ich verstehe dich nicht.“, platzte es dann ungewollt aus ihm heraus. „Ich… Du hattest alles, Geld, einen guten Namen und die dazugehörige Familie, eine hervorragende Zukunft… Und dann wirfst du alles weg und wofür?“
 

„Es gibt nun mal wichtigere Dinge im Leben!“, antwortete sie scharf. Dann zügelte sie sich. Sie wollte ihm keine Vorwürfe machen, keinen Streit heraufbeschwören, nicht heute und erst recht nicht hier am Grab ihrer Mutter. Dann warf sie einen vielsagenden Blick auf die so liebevoll ausgewählten Rosen. „Warum fragst du das? Du wusstest das doch selbst einmal. Wann hast du das vergessen?“
 

Jude kniff die Lippen zusammen. „Das war etwas anderes. Layla und ich… Wir waren älter, kannten uns schon länger und unsere Eltern haben schon seit Jahren Geschäfte miteinander gemacht. Es gab keinen Grund, der gegen eine Verbindung gesprochen hätte, nicht so wie bei dir und…“ Er verstummte, ehe er etwas sagte, dass Lucy ihm nicht verziehen hätte.
 

Aber jetzt hob sie nur die Schultern. „Es kommt, wie es kommt.“, wiederholte sie die Worte, die sie vorhin bereits an Layla gerichtet hatte. „Manchmal kann man sich sowas nicht aussuchen, sondern muss es nehmen, wie es kommt. Ich…“ Sie blickte ihn an, nach den richtigen Worten suchend, nach etwas, um eine Brücke zu ihm zu schlagen. Anscheinend hatte sie ihn noch nicht losgelassen, noch nicht abgeschlossen mit diesem Teil ihres Lebens. Aber er war Familie – konnte man damit jemals wirklich abschließen?
 

„Ich liebe dich.“, sagte sie schließlich schlicht. „Du bist mein Vater und ich werde niemals aufhören, dich zu lieben. Du bist mir unglaublich wichtig. Du weißt das, richtig?“
 

Jude sah einen Moment aus, als hätte sie ihn geschlagen, seine Gefühle offen auf seinem Gesicht ablesbar. In diesem Moment konnte sie ganz genau sehen, wie sehr ihn ihr Abschied tatsächlich mitnahm, die lange Trennung und der Verlust der Tochter, die er liebte, und sie erkannte, wie sehr er sie vermisste.
 

Vielleicht war es, weil er inzwischen Zeit gehabt hatte, herunterzukommen und sich mit den neuen Tatsachen, die sie ihm so plötzlich und ohne Vorwarnung ins Gesicht geschleudert hatte, auseinanderzusetzen. Vielleicht waren es die Monate, die sie ihn nicht gesehen hatte, die ihm klargemacht hatten, wie viel ihm wirklich an ihr lag. Vielleicht war es, weil er Weihnachten vor sich sah, das ihm einsam und traurig vorkommen musste, so ganz allein. Vielleicht alles davon.
 

In ihr flammte plötzlich eine wilde Hoffnung auf, dass er einlenkte, dass er auf sie zukam, dass er ihre Wünsche akzeptierte und dass er Natsu und das Baby annahm ohne weitere Bedingungen. „Papa. Ich… Du musst es nur sagen. Du musst mich nur fragen. Ich habe dir versprochen, ich bin da, wenn du dich um entscheidest. Ich habe das auch so gemeint. Bitte, Papa.“
 

Sie könnten doch noch zusammen Weihnachten feiern. Natürlich hätten sie noch viel an sich und ihrer Beziehung zu arbeiten und vielleicht würde ein Familientherapeut helfen und…
 

Doch dann verschloss sich sein Gesicht wieder, es war wie eine steinerne Maske, die sich über seine Züge legte, und verzog verächtlich den Mund. „Du hast deine Entscheidung getroffen und ich werde meine nicht zurücknehmen.“ Seine Worte waren hart und kalt, sein Tonfall flach und abweisend und die Verbitterung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
 

Lucy wich einen Schritt zurück und blinzelte heftig, um die neuen Tränen zurückzutreiben. Sie würde jetzt nicht weinen. Sie hatte schon genug Tränen vergossen. Also biss sie die Zähne zusammen, bis ihre Kiefernmuskeln schmerzten. Es bereitete ihr Mühe, den Mund zu öffnen, doch schließlich schaffte sie es. „In Ordnung. Wenn es das ist, was du willst. Mein Versprechen steht noch, wenn du also jemals eine Meinung änderst…“
 

„Geh jetzt.“, verlangte er und er sah sie dabei nicht einmal mehr an, den Blick fest auf den Engel gerichtet, der sich hinter ihr erhob. Für einen Moment fühlte sie Wut in sich aufsteigen – das war das Grab ihrer Mutter, er konnte sie hier nicht einfach wegschicken!
 

Dann riss sie sich zusammen. Es würde nichts helfen, einen Streit vom Zaun zu brechen und sie war sowieso schon im Aufbruch gewesen, als er angekommen war. „Also gut. Ich hoffe, du hast trotzdem ein frohes Fest.“ Sie setzte sich würdevoll wie möglich in Bewegung, was durch ihren Zustand leider nicht mehr allzu würdevoll war, und watschelte an ihm vorbei. Er stand steif wie ein Stock, rührte sich nicht, sah sie nicht an, schien sie nicht einmal mehr wahrzunehmen.
 

Ein paar Metern, nachdem sie ihn passiert hatte, blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. „Ich hoffe, du bist glücklich, Papa.“
 

Er zuckte zusammen, doch tat weiterhin so, als wäre sie Luft, also fügte sie hinzu: „Das hoffe ich wirklich aus tiefstem Herzen. Ich bin es nämlich. Auch wenn du mir fehlst, ich bin glücklich. Ich könnte mir kein besseres Leben vorstellen, außer, du wärest darin. Ich…“ Sie verstummte. Es machte keinen Sinn, noch mehr zu sagen. Immerhin tat sie es nicht, um ihm wehzutun, sondern nur um ihm klarzumachen, dass nichts, was er hätte tun können, sie davon überzeugen konnte, dass sie die falsche Wahl getroffen hatte.
 

Also fügte sie nur noch an: „Schöne Weihnachten, Papa.“ Dann wandte sie sich endgültig ab und ging.
 

Sie blickte nicht zurück.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

„Soooo…“, begann Erza langgezogen und ließ sich neben Lucy auf das Sofa fallen. Hast du am vierten Januar Zeit?“
 

Lucy blickte von ihrem Biologiebuch auf, das sie sich auf den Bauch gelegt hatte. Hin und wieder war der doch ganz praktisch. „Was? Am Vierten?“ Sie runzelte die Stirn. „Was ist da?“
 

Sie erinnerte sich nicht an irgendwelche Termine und eigentlich war sie ganz froh, den Stress endlich hinter sich zu haben. So sehr sie die Feiertage, das gemütliche Beisammensein und das leckere Essen auch genossen hatte, es stellte doch jedes Jahr eine Anstrengung dar. Das war auch dieses Mal nicht anders gewesen und ihre Schwangerschaft hatte auch nicht geholfen.
 

In zwei Tagen war Silvester, das würde nochmal eine kleine Hürde darstellen, aber tatsächlich hatte keiner von ihnen etwas Großes vor. Lucy fühlte sich dazu absolut nicht in der Lage und Natsu hatte sich dazu entschlossen, ihr über den Jahreswechsel Gesellschaft zu leisten, anstatt mit Gray und Erza auf eine Party zu gehen.
 

Zum Glück hatte sie danach noch einige Tage Zeit, sich von dem Feiertagsstress zu erholen, ehe die Schule wieder losging. Dabei würden sie in den meisten Fächern direkt mit den Prüfungsvorbereitungen einsteigen, was natürlich eine andere Art von Stress darstellen würde. Selbst Natsu grauste es schon davor.
 

Aber sie erinnerte sich an nichts, was am Vierten stattfinden sollte. Das war auch ganz gut so, sie war der Meinung, dass sie sich jetzt etwas Ruhe verdient hatte, so in den letzten paar Wochen, bevor es dann richtig losging. Nix Endspurt, sie würde das schön gemütlich angehen. Sie strich sich beruhigend über ihren Bauch, als würde das etwas gegen die Übungswehen helfen, die in letzter Zeit zugenommen hatten.
 

Erza blickte sie erwartungsvoll an. „Und? Hast du schon was vor?“
 

„Ja.“, antwortete Lucy. „Ausschlafen, Nichtstun und vielleicht ein wenig Lernen.“ Und natürlich den Haushalt schmeißen, während Igneel wieder regulär den Betrieb in der Werkstatt aufnahm und Natsu hoffentlich noch ein paar Bücher wälzte. Die Arbeiten vor den Ferien waren erstaunlich gut für ihn gelaufen und Lucy hoffte, dass das noch eine Weile anhalten würde. Er schien jedenfalls immer noch motiviert zu sein, auch wenn er im Moment seinem Vater in der Werkstatt half. Dort ging es gerade lau zu, da die meisten Mitarbeiter zwischen den Jahren Urlaub hatten.
 

„Das ist langweilig.“, wischte Erza die Pläne beiseite und begann, die Bücher und Hefte auf dem Tisch zu durchsuchen, bis sie ihr Handy darunter fand. „Also abgemacht. Ich sage den anderen Bescheid.“
 

Lucy seufzte. Sie hatte schon lange gelernt, solche Anwandlungen ihrer besten Freundin einfach hinzunehmen, ohne lautstark zu widersprechen. Stattdessen nahm sie ihr einfach das Handy weg, um erstmal zu verhindern, dass sie falschen Alarm zu etwas schlug, zu dem Lucy noch nicht einmal zugestimmt hatte. „Abgemacht? Was genau denn bitteschön?“
 

Erza warf ihr einen finsteren Blick zu und schnappte sich das kleine Gerät zurück, wenn sie auch keine weiteren Anstalten machte, es zu benutzen. „Deine Babyshowerparty natürlich!“ Sie grinste triumphierend und breitete die Arme aus. „Das gehört dazu!“
 

Lucy blinzelte. „Oh.“ Dann zog sie die Augenbrauen zusammen. „Nett, dass ich auch mal davon erfahre! Wann hattet ihr denn vor, mir davon zu erzählen? Wer ist ‚ihr‘ überhaupt?“
 

„Naja, alle halt!“, erklärte Erza. „Ich habe mir dein Adressbuch ausgeliehen und ein wenig rumgefragt. Wir wollten es als eine kleine Überraschung machen.“
 

„Mein…“ Lucy blieb das Wort im Hals stecken. Nicht aufregen, sagte sie sich. Was hatte sie eigentlich erwartet? Immerhin sprach sie hier mit Erza. Sie seufzte schwer. „Manchmal frage ich mich, ob du nach den gleichen Regeln wie wir anderen auch erzogen wurdest.“, teilte sie ihrer Freundin mit, doch die grinste sie nur an.
 

„Und? Was ist jetzt? Keine Lust auf Party?“
 

„Also gut.“, gab Lucy sich geschlagen. Konnte ja nicht schaden, würde sicher Spaß machen. Und den anderen würde es sicher gefallen.
 

Erza riss triumphierend die Arme hoch und stieß ein beängstigend begeistertes Quietschen aus. Sie war weit enthusiastischer bei der Sache als Lucy.
 

„Vorausgesetzt, ich muss nichts dafür tun.“, schränkte Lucy ein, aber Erza schlug ihr nur so hart auf die Schulter, dass sie sich fragte, ob das einen blauen Fleck geben würde.
 

„Keine Sorge!“, versicherte die Rothaarige ihr. „Wir kümmern uns um alles. Du musst nur kommen, Kuchen essen und Geschenke entgegennehmen!“
 

„Da bin ich ja beruhigt.“, murmelte Lucy, die im Moment nicht einmal erwartungsvolle Freude dafür aufbringen konnte. Eigentlich war es ja etwas Tolles, oder? Kuchen essen und Geschenke bekommen. Aber stattdessen fragte sie sich, ob sie jetzt mit Biologie weitermachen oder doch erstmal ihr Chemiebuch herauskramen sollte.
 

Vielleicht waren solche Überraschungen einfach nichts mehr für sie. Oder vielleicht war sie einfach müde. Weihnachten, die Schwangerschaft und nicht zuletzt die Begegnung mit ihrem Vater hatten sie ausgelaugt.
 

„Übrigens weiß ich den perfekten Namen für ihn.“, meldete Erza von der Seite und Lucy blickte auf. „Huh? Was? Für wen? Was für einen Namen?“
 

„Für mein Patenkind natürlich!“, empörte sich Erza und pikste ihr in den Bauch. „Man sollte meinen, dass ausgerechnet du daran denken würdest?“
 

„Okay…?“ Sollte sie es wirklich wagen, danach zu fragen? Sie erinnerte sich an Natsus Geschichte über Monsieur Killer von und zu Hoppel und zögerte. Aber Erza wartete gar nicht auf ihre Frage, sondern preschte wie immer forsch voran.
 

„Warte, ich sage ihn dir gleich.“, bemerkte sie und stand auf, damit sie ihre Hand in ihre enge Hosentasche schieben konnte, um einen mehrfach zusammengefalteten Zettel herauszuziehen. Na, das konnte ja was werden! Wenn sie sich den Namen nicht einmal selbst merken konnte…!
 

Mit großer Geste faltete Erza das kleine Blatt auseinander und las vor: „Azai Jaidev Brendan Ari Egon Dragneel. Na, wie klingt das?“
 

Triumphierend warf sie einen kurzen Blick auf Lucy, die sie mit offenem Mund anstarrte. War das ihr Ernst?! Aber… Oh Gott, ein Kind mit diesem Namen wäre gestraft! Und… und… „Was.“, sagte Lucy und schaffte es nicht einmal, das Wort wie eine Frage klingen zu lassen.
 

„Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht.“, erzählte Erza weiter. „Und viele Bücher gewälzt, um das Beste auszuwählen. Ihr könnt die Namen natürlich noch etwas herumschieben und sie anordnen, wie sie euch am besten gefallen. Aber so wird er ein starkes Kind! Moment.“ Sie hob wieder ihren eng beschriebenen Zettel.
 

„Azai bedeutet Feuer.“, erklärte sie und kniff die Augen zusammen, als könnte sie die kleinen Buchstaben dadurch besser erkennen. „Das passt gut zu euch zwei! Jaidev heißt Göttlicher Sieg, damit er weiß, was er immer erreichen kann, wenn er sich nur anstrengt. Brendan heißt Prinz, denn das ist er für uns. Ein süßer, kleiner Prinz.“ Für einen Moment sah sie richtig verträumt aus und Lucy fragte sich, ob sie sich Sorgen machen musste. Erza nahm das Ganze ein wenig zu ernst für ihren Geschmack.
 

„Ari bedeutet mutig, denn das soll und wird er sein. Er hat schließlich deine und Natsus Gene. Und Egon schließlich meint die Schneide eines Schwertes. Ein starker Name, oder?“
 

„Und sehr… äh… lang.“, wich Lucy aus. „Meinst du nicht, das ist ein wenig übertrieben?“
 

Die Rothaarige runzelte die Stirn und warf erneut einen Blick auf ihren Zettel. „Übertrieben? Ich…“ Sie kratzte sich an der Stirn. „Denkst du? Aber… Es ist ein guter Name!“
 

Lucy hob entschuldigend die Schultern. Hoffentlich nahm Erza es nicht zu schwer, wenn sie den Namen rundheraus abschmetterte. Alle fünf davon. „Außerdem … haben wir schon einen Namen ausgesucht.“, fuhr sie vorsichtig fort; sie wollte ihre Freundin nicht zu sehr enttäuschen.
 

„Echt?“ Enttäuscht ließ Erza sich in das Sofa fallen.
 

Lucy nickte. „Schon seit ein oder zwei Wochen. Sorry.“
 

Die Rothaarige schnaubte ärgerlich. „Und ich hab mir solche Mühe gegeben!“ Sie verzog das Gesicht, während sie noch einmal nachdenklich die Liste mit den Namen betrachtete, die sie mitgebracht hatte. „Vielleicht wollt ihr diesen für das nächste Kind verwenden.“
 

Lucy lachte. „So bald wird da hoffentlich kein weiteres kommen! Willst du noch ein paar Plätzchen als Trost?“
 

Erzas Augen leuchteten auf. „Immer! Wo sind sie? Und was ist das für ein Name?! Ich will ihn wissen!“
 

Lucy klopfte ihr auf das Knie. „Lass nur, ich hole sie. Etwas Bewegung wird mir guttun. Und den Namen verraten wir erst, wenn er gebraucht wird.“ Sie wuchtete sich und ihren Bauch aus dem Sofa und watschelte in Richtung Küche davon, während ihre Freundin hinter ihr wieder nach einem Schulbuch angelte. Allzu betrübt, dass ihre Namensideen auf taube Ohren gestoßen waren, wirkte diese glücklicherweise nicht.
 

Doch Lucy hatte kaum die Hälfte des Weges zur Tür zurückgelegt, als sie plötzlich fühlte, wie ihre Stumpfhose feucht wurde. Nein, nicht feucht, nass, und eine Flüssigkeit rann ihr wie ein gefühlter Sturzbach die Beine hinunter. Sie hatte viel im Internet herumgestöbert nach Informationen über das, was auf sie zukommen würde. Sie wusste, was das war.
 

Aber … aber … war das nicht viel zu früh!?
 

„Du, Erza…“, begann sie und ihre Stimme klang erstaunlich ruhig dafür, dass sie dachte, dass sie gleich zu hyperventilieren begann.
 

„Hm…?“ Die Angesprochene blickte von ihrem Buch auf.
 

„Ich glaube, das mit der Babyparty müssen wir vergessen… Meine Fruchtblase ist gerade geplatzt.“

21. Kapitel, in dem sich alles gelohnt hat

Gibt mir deine Hand, Lucy.“ Natsu streckte die Arme aus, um ihr aus dem Auto zu helfen. Sie ließ nur zu gern zu, dass er sie halb zum Eingang des Krankenhauses trug, eine Hand auf ihren Bauch gepresst. Ihre Beine fühlten sich etwas wackelig an und ihr war mulmig im Bauch, aber vielleicht lag das auch an etwas anderem.
 

Inzwischen hatte sie auch Wehen und sie versuchte, tief und ebenmäßig zu atmen und sich gleichzeitig an die Übungen zu erinnern, die sie im Vorbereitungskurs gelernt hatte. Zum Glück hatte sie den so früh gemacht! Nicht auszudenken, wenn sie das irgendwie verpasst hätte und sie war drei Wochen zu früh und sollte sowas nicht nur passieren, wenn man großen Stress hatte?! (Auf der anderen Seite, wenn man alles zusammenzählte, hatte sie den nicht auch gehabt?)
 

Natsus starker Arm um ihre Hüfte half ihr, nicht sofort in Panik auszubrechen. Er schob sie durch die Eingangshalle zur Rezeption hinüber, während sie im Hintergrund Erza und Igneel reden hörte, die das Ereignis auf keinen Fall verpassen wollten. Hoffentlich wussten die beiden, dass das noch Stunden gehen konnte.
 

Eine erneute Wehe ließ sie stolpernd innehalten und sie schloss die Augen, um konzentriert durch den Schmerz zu atmen. Und das sollte noch schlimmer werden, je länger die Geburt voranschritt?! Hoffentlich ging es nicht wirklich noch Stunden! Sie hatte schon jetzt genug davon.
 

Jemand bugsierte sie in einen Rollstuhl und sie ließ sich dankbar darauf nieder. Undeutliche Stimmen ertönten um sie herum, aber sie konnte nur ihre Hände auf ihren Bauch pressen und atmen. Immer wieder krampfe sich in ihr alles zusammen und sie hatte Schmerzen. Wehleidig jammerte sie auf.
 

„Es wird alles gut.“, hörte sie Natsu dicht an ihrem Ohr sagen und auch wenn sie nicht antworten konnte, so war sie doch sicher, dass er verstand, wie dankbar sie über seine Unterstützung war. Sie erwiderte seinen festen Händedruck und er blieb unverrückbar an ihrer Seite.
 

Der Rollstuhl setzte sich bin Bewegung und nach einigen Augenblicken begann auch der Schmerz wieder abzuebben. Erza ging ihr voran; sie trug Lucys Krankenhaustasche, die sie Zuhause noch hastig gepackt hatte. (Hoffentlich hatte sie nichts vergessen, aber sie hatte sich extra an eine Checkliste gehalten.)
 

Die Erza von Igneel übertragene Aufgabe gab ihr etwas, worauf sie sich konzentrieren konnte. Die Rothaarige war nach Lucys Ankündigung im Wohnzimmer völlig in Panik ausgebrochen und war erstmal herumgerannt wie ein kopfloses Huhn. Selbst Lucy in ihrem Zustand hatte sich nicht der Komik der Situation entziehen können, auch wenn es sie etwas Zeit gekostet hatte, ihre Freundin so weit zu beruhigen, dass diese Natsu und Igneel Bescheid sagen konnte. Endlich hatte sie etwas gefunden, das selbst die großartige Erza Scarlet aus dem Konzept brachte.
 

Dann ließen die Wehen wieder nach, so dass Lucy sich auf etwas anderes konzentrieren konnte. Sie sah zu Natsu auf, der neben ihr ging und ihr ermutigend zugrinste, als er ihren Blick bemerkte. Er drückte einmal kurz ihre Hand, die er noch immer hielt, was ihr ein schwaches Lächeln entlockte.
 

Im Flur vor dem Kreißsaal kam ihr Nadja entgegen, eine junge Hebamme, die sie bereits bei der Vorstellung im Krankenhaus getroffen hatte. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden und jetzt lächelte sie Lucy freundlich an. Sie strich sich eine Strähne ihres langen, schwarzen Haares aus dem Gesicht, die ihrem Pferdeschwanz entkommen war, und trug eine Akte im Arm. „Ich habe nicht erwartet, dich so früh wiederzusehen.“, erklärte sie.
 

„Ist das schlimm?“, wollte Lucy wissen und konnte nicht verhindern, dass Panik in ihre Stimme kroch. „Es sind fast vier Wochen zu früh!“ Neben sich konnte sie die Sorge fühlen, die Natsu ausstrahlte. Sie war ihm dankbar, dass er trotz allem die Fassung behielt, ruhig blieb und sie nicht noch mehr aufregte. Wenn es sein musste, konnte sie sich einfach auf ihn verlassen.
 

Die Hebamme drückte ihr beruhigend die Schulter. „Nur die Ruhe, das kann vorkommen. Wir werden ihm etwas zur Lungenreife geben und du wirst ein paar Tage hier bleiben müssen, aber in der siebenunddreißigsten Woche ist das Risiko gering, dass er bleibende Schäden davonträgt. Sorry, dass du Silvester verpasst.“
 

Lucy winkte ab, denn die Worte ließen ihr einen Stein vom Herzen rollen. Wenn Nadjas größtes Problem der Jahreswechsel war, konnte es ja nicht so schlimm sein, oder? Dann wäre sie halt ein Silvester über im Krankenhaus, was machte das schon? Nächstes Jahr gäbe es ein weiteres Silvester.
 

„Hier wären wir.“, erklärte die Hebamme und dirigierte sie durch eine Tür, die Erza für sie aufhielt. Der Raum dahinter war hell und freundlich eingerichtet, die Wände in einem einladenden Hellgrün gestrichen. Durch die großen Fenster fiel Sonnenlicht und die Schränke und Armaturen waren sauber und ordentlich aufgeräumt.
 

Nadja half ihr in einem Nebenzimmer beim Umziehen und dann gab es erst einmal ein paar Untersuchungen, bei denen Erza und Igneel glücklicherweise den Raum verließen. Einzig Natsu durfte an ihrer Seite sein, doch er sagte nicht viel und hielt die ganze Zeit über ihre Hand, als wollte er sie nie wieder loslassen.
 

Laut CTG lief alles so, wie es sollte, und ihr Muttermund begann auch bereits, sich zu öffnen. Nadja hatte nur beruhigende Worte für sie übrig und Lucys Aufregung klang langsam wieder ab. Vielleicht lag es auch daran, dass sie weder Zeit noch einen Kopf dafür hatte, sich zu viele Gedanken zu machen. Und Erza hatte genug Panik für sie beide.
 

Die nächsten Stunden vergingen gleichzeitig zäh wie Kaugummi und wie in einer Art Dunst. Lucy erinnerte sich später noch gut an die Langeweile, die mit Vorfreude abwechselte und von Schmerzen abgelöst wurde. Es war ein Wirbel von verschiedenen Gefühlen und Zuständen, die wild durcheinandergeworfen wurden.
 

Igneel verabschiedete sich zwischendurch – für ihn war das nicht die erste Geburt, die er miterlebte, auch wenn sich inzwischen einiges geändert haben musste. Aber die Zeit blieb nicht stehen, bis das Kind geboren war, und er hatte sich um seine Werkstatt zu kümmern, zumindest waren das seine Worte, als er sich verabschiedete. Noch war nicht einmal Mittag und später hatte er noch ein paar wichtige Termine, die er nicht verschieben konnte.
 

Erza versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten, denn sie ließ es sich nicht nehmen, die ganze Zeit dazubleiben. Dann beschwerte sie sich, dass Gray es anscheinend nicht für nötig befand, sich sofort einzufinden und nur nach regelmäßigen Updates fragte. Auch Loke konnte schlecht in den Flieger hüpfen und herkommen, aber tatsächlich war Lucy ganz froh darum. Es reichte, wenn Erza sie verrückt machte.
 

Natsu dagegen war erstaunlich ruhig. Natürlich war er auch aufgeregt, sie konnte es ihm ansehen, seinem Grinsen und den strahlenden Augen und der Tatsache, dass er nicht stillstehen konnte und auf seinem Platz fast auf und nieder hüpfte. Doch es war auf eine Art, die sie nicht noch weiter am Rad drehen ließ, sondern ihr stattdessen den Willen gab, durchzuhalten, sich nicht zu sehr zu beschweren und sich zu konzentrieren, wann immer die Wehen sie vor Schmerzen wimmern ließen.
 

Nadja und ihre Kolleginnen kümmerten sich während der ganzen Zeit um sie, ließen ihr ein Bad ein und versicherten ihr, dass alles in Ordnung war und eine Frühgeburt für jemanden, der so jung war wie sie, noch nicht einmal außergewöhnlich war und gar nichts zu bedeuten hatte. Erza wurde zwischendurch losgeschickt, um Essen zu besorgen, als Lucy Hunger bekam. Natsu weigerte sich, ihre Seite zu verlassen, und er hielt ihre Hand, wann immer er konnte.
 

Aber ansonsten geschah nicht sehr viel, so dass Lucy sich manchmal sogar wünschte, ihre Schulbücher dazuhaben, damit sie noch ein wenig lernen konnten. Auf der anderen Seite wusste sie genau, dass sie sich trotz allem nicht konzentrieren könnte, also war das doch ganz gut so.
 

Spätestens dann, als die Wehen sich verstärkten und viel häufiger kamen, als zu Beginn, verspürte sie sowieso nicht mehr das Bedürfnis nach lernen. Immer wieder kam Nadja zu Kontrolluntersuchungen vorbei und ermutigte sie zu kleinen Spaziergängen durch das Zimmer, doch als es dunkel wurde, weigerte sie sich, den Liegestuhl wieder zu verlassen.
 

Dort fiel es ihr am leichtesten, mit den Schmerzen umzugehen und ihre Atmung richtig zu kontrollieren. Die Schmerzen der Wehen strahlten inzwischen auch in ihr Becken und in den Rücken ab und die Erholungszeiten dazwischen wurden immer kürzer. Aber das hieß ja nur, dass es voranging, richtig?
 

„Der Muttermund ist vollständig geöffnet.“, verkündete Nadja schließlich, während eine Kollegin an den Schränken herumwerkelte, und tätschelte ihr die Schenkel. „Bald habt ihr es geschafft. Bleib ruhig, entspann dich. Das Baby muss jetzt in dein Becken gleiten, nicht mitpressen.“ Nadjas ruhige Stimme, ihre geübten Bewegungen und ihre besonnene Gegenwart halfen dabei ungeheuerlich.
 

Natsu massierte seiner Freundin die Schultern, reichte ihr zu trinken, hielt ihre Hand oder war einfach nur als Unterstützung da, je nachdem, was ihr gerade lieber war. Lucy wurde wieder einmal daran erinnert, dass sie den besten, liebevollsten, tollsten Freund von alle abbekommen hatte.
 

Erza saß glücklicherweise im Hintergrund und sah nur noch mit großen Augen zu. Offensichtlich war sie etwas überfordert. Sie hatte hoffentlich Igneel Bescheid gesagt, dass es jetzt endlich in den Endspurt ging. Ach was, natürlich hatte sie das – es war immerhin Erza. Vermutlich wussten inzwischen alle Bescheid, Gray und Loke, Makarov, Ur und Grandine und wen sie sonst noch in ihren Kontakten hatte.
 

Für Lucy vergingen die nächsten Minuten wie hinter einem Schleier, sie konnte nicht einmal sagen, wie lang genau es dauerte. Die Wehen kamen immer häufiger und ließen ihr nur noch wenig Zeit, zwischendrin Atem zu holen. Sie versuchte, so gut es ging den Anweisungen der beiden Hebammen zu folgen, hielt sich erst zurück und schluchzte dann erleichtert auf, als Nadja ihr endlich die Erlaubnis gab zu pressen. Ansonsten versuchte sie, sich auf ihre Atmung zu konzentrieren und nahm kurze Pausen dankbar hin. Von außen bekam sie überhaupt nichts mehr mit.
 

„In Ordnung, ich sehe das Köpfchen!“, drang schließlich Nadjas Stimme zu ihr durch. „Mach langsamer, Lucy, nicht mehr Pressen. Alles gut, alles gut. Jetzt weiter.“
 

Lucy tat, wie ihr gesagt wurde. Tränen rannen ihr über das Gesicht und sie hielt Natsus Hand so fest umklammert, dass sie spürte, wie sich die Knochen unter dem Druck verschoben. Aber er protestierte nicht, sagte nichts, war einfach nur da. Das einzige, was durch die Schmerzen wirklich zu ihr durchdrang, waren Nadjas Kommentare. „Das Köpfchen ist jetzt ganz draußen.“

„Vorsichtig jetzt.“

„Ich habe die Ärmchen.“

„Noch einmal Pressen, Lucy, nur noch der Rest.“
 

Dann: „Ich habe ihn, einen Moment.“ Endlich!
 

Lucys Herz setzte aus, als sie das protestierende Krähen hörte, das kurz darauf ertönte, unterbrochen von kleinen Niesern. Suchend sah sie sich um, doch Nadja drehte sich bereits zu ihr, vorsichtig eine zappelnde Gestalt in den Händen.
 

Und dann blieb die Welt stehen, denn die Hebamme legte ihr ihren Sohn in die Arme.
 

Er war ganz klein und rot und verschrumpelt und noch schmutzig von der Geburt, aber das störte sie nicht. Sie war ja selbst verdreckt und die Haare klebten ihr im schweißüberströmten Gesicht. Sein Ärmchen wedelte wild in der Luft herum und er schrie wie am Spieß. Für so ein kleines Wesen hatte er ein erstaunlich lautes Organ.
 

Aber kaum bewegte sie sich, um ihn besser zu halten, um ihn richtig in die Arme zu nehmen und ihm über den Kopf zu streicheln, verstummte er. Er wurde ruhig und still, als wüsste er, wer sie war, wo er war. Lucy stieß unwillkürlich ein Lachen aus, ungläubig und fassungslos, staunend über dieses kleine Wunder, das sie in den Armen hielt.
 

Große, tiefblaue Augen blinzelten sie müde an und ihre Wangen schmerzten schon von dem Lächeln, das ihr Gesicht zierte. Aber sie konnte nicht anders, sie war einfach so glücklich und … und …
 

Sie war einfach so glücklich!
 

Dieser kleine Junge, der da in ihren Armen lag und neugierig in diese wunderbare, unbekannte Welt schaute (auch wenn sie natürlich wusste, dass er eigentlich nicht viel richtig wahrnehmen konnte), war alles, was in diesem Moment eine Bedeutung hatte. Er war einfach so … so … vollkommen und hinreißend und atemberaubend und ihr liefen die Tränen über die Wangen, zu überwältigt von Gefühlen, um sie noch aufzuhalten.
 

Die Nase hochziehend blickte sie zu ihrem Freund auf und lächelte ihn an, aber er sah sie gar nicht. Er sah nur dieses kleine, perfekte Wesen in ihrem Arm.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 


 

Ein Klopfen an der Tür riss Lucy aus dem Halbschlaf, in dem sie vor sich hingedämmert hatte. Durch das Fenster fiel das helle Licht der Morgensonne und malte goldene Flecken auf den Linoleumboden und die lachsfarben getünchten Wände. In einer Ecke stand ein Wickeltisch und direkt neben ihrem Bett ein Kinderbettchen, in dem sich im Moment jedoch nur der weiße Drache befand.
 

(Lucy hatte ihn aus zwei Gründen zum Hauptplüschtier erhoben: erstens war er das süßeste von ihnen allen und das ließ sie sich von niemandem ausreden, egal wie sehr Erza darauf beharrte, dass dieses Kaninchen oder jener Hund doch viel toller wäre. Und zweitens kannte sie die Dragneels und ihre Drachen doch.)
 

Auf den Stühlen unter dem Fenster lag ihre Kliniktasche, aus der der Inhalt herausquoll, denn letzte Nacht hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, etwas aufzuräumen. Sie hatte sich nach einer kurzen Dusche einfach nur kurz umgezogen und war dann zwischen die Decken gekrochen um zu schlafen. So eine Geburt nahm doch ganz schön mit. Das zweite Bett im Zimmer war nicht belegt und Lucy war dankbar darüber. So konnte sie sich auf das konzentrieren, was ihr im Moment am wichtigsten war.
 

In ihrem Arm lag das schon vertraute Gewicht ihres Sohnes, der bei dem Geräusch sein Gesichtchen verzog, aber nicht erwachte. Er war in eine Decke gewickelt und trug den Strampler mit den kleinen Füchschen darauf, der etwas zu groß war. Sie arrangierte ihn etwas anders, während sie auf das Klopfen antwortete: „Herein!“
 

Natsu streckte seinen Kopf durch den Spalt bei der Tür und begrüßte sie mit einem breiten Grinsen, bei dem das ihr Herz aufging. „Können wir reinkommen?“, wollte er wissen und wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern stieß die Tür sofort gänzlich auf und marschierte ins Zimmer.
 

Über der Schulter trug er eine einfache, schwarze Reisetasche, in der er ihr hoffentlich alles mitbrachte, was sie für die nächsten Tage brauchen würde. Zur Beobachtung würde man sie noch ein wenig im Krankenhaus behalten, auch wenn sie eigentlich geplant hatte, nach der Geburt sofort nach Hause zu gehen. Aber anscheinend hatte das Schicksal andere Pläne mit ihr und bei einer Frühgeburt wollte man keine Risiken eingehen.
 

Hinter Natsu folgten Igneel, Erza, Gray und zu ihrer Überraschung Loke und für einen Moment fühlte Lucy sich überrumpelt. Gray trug ein großes, in Geschenkpapier gewickeltes Packet, Erza einen riesigen, bunten Blumenstrauß und Loke einen in Cellophan gehüllten Korb mit allerlei Sachen darin.
 

Aber dann schüttelte sie das überwältigte Gefühl ab und begrüßte alle mit einem: „Hi, Leute. Wie geht’s?“ und einem breiten Lächeln. „Ich hab dich gar nicht erwartet.“, fügte sie in Lokes Richtung hinzu. Der wollte eigentlich erst im neuen Jahr vorbeischauen.
 

Doch jetzt grinste er sie nur breit an und hob die Schultern. Ehe er etwas sagen konnte, warf Gray jedoch belustigt ein: „Sollten wir das nicht lieber dich fragen?“
 

Doch Igneel schnitt ihr das Wort ab, ehe sie antworten konnte. „Und die wichtigste Frage, wie geht es meinem Enkel?“ Er grinste dabei verschmitzt.
 

Lucy blickte auf das kleine Bündel in ihren Armen hinunter und bemerkte lächelnd, dass das Baby die blauen Augen geöffnet hatte. Nadja hatte die Prognose geäußert, dass diese Farbe in den nächsten Monaten wohl nur noch nachdunkeln würde. Damit hätte er zwar nicht Natsus Augenfarbe geerbt, aber er war auch so völlig perfekt.
 

„Gut.“, erklärte sie ihren Besuchern strahlend. „Er ist ein wenig klein, aber das ist alles! Es hat gar nichts ausgemacht, dass er so früh gekommen ist.“ Jedes Mal, wenn sie erneut an diesen Befund dachte, rollte ihr wieder ein Stein vom Herzen. Keine Atembeschwerden, keine Gelbsucht, nichts was man sonst so über Frühchen hörte. Manchmal musste man einfach Glück haben im Leben und anscheinend stieg der Kleine gleich damit ein.
 

„Er war halt ein wenig ungeduldig.“, erklärte Natsu überzeugt und trat zu ihr ans Bett, nachdem er die Tasche auf einer Kommode deponiert hatte. Sie ließ sich von ihm einen Kuss geben und reichte ihm dann vorsichtig seinen Sohn, den er hochnahm, als würde er das jeden Tag hundert Mal tun. Selbst Lucy hatte mehr Schwierigkeiten damit gehabt, ihn sofort richtig zu halten, ohne erst ihre Arme und Hände sortieren zu müssen, und sie hatte durch Wendy ein wenig Übung bekommen.
 

„Nicht wahr?“, fragte Natsu den kleinen Jungen und sein liebevolles Grinsen sprengte fast sein Gesicht. „Du wolltest uns halt alle jetzt schon treffen und nicht erst in drei Wochen. Obwohl du deiner Mama damit einen echten Schrecken eingejagt hast.“
 

Sie knuffte ihm spielerisch in die Seite. „Tu nicht so, als hättest du dir keine Sorgen gemacht.“ Natsu grinste sie nur über den Kopf des Babys an, während alle anderen sich um ihn herumdrängten, um einen Blick auf den Neuankömmling zu erhaschen, der mit großen Augen zurückstarrte.
 

„Was für lange Wimpern er hat!“, rief Erza begeistert und streichelte das kleine Köpfchen, das von hellem Flaum bedeckt war. „Er ist so niedlich. Wenn er einmal groß ist, wird er allen Mädchen den Kopf verdrehen!“
 

„Immer langsam mit den jungen Pferden.“, mahnte Lucy, die noch gar nicht in diese Richtung denken wollte. „Er ist noch keine Woche alt, lass ihn erstmal in die Pubertät kommen, ehe du irgendetwas über seine Beziehungen prophezeist.“
 

Erza verzog gespielt beleidigt das Gesicht und arrangierte die mitgebrachte Vase in ihren Armen. „Aber er wird es doch! Er ist das perfekteste Baby der Welt.“
 

Da konnte Lucy nur zustimmen, also sagte sie nichts mehr. Auch wenn sie insgeheim dachte, er könnte ruhig noch eine ganze Weile so klein und niedlich bleiben. Alles andere würde schon früh genug kommen.
 

Neben ihr girrten noch alle besagtes Baby an, selbst Gray, was ein befremdlicher Anblick war. Von dem romantischen Loke hatte sie es eher erwartet, aber Gray, der sonst immer so kühl war?
 

„Lass ihn mich mal halten.“, bat Igneel und streckte die Arme aus. „Immerhin ist er mein Enkel.“
 

„Aber…“, begann Natsu, dann seufzte er und überreichte seinem erfreuten Vater ohne weitere Proteste das Baby.
 

„Na, du Kleiner.“, begrüßte der das Baby. „Willkommen in unserer Welt. Deine Ankunft war ja ein wenig früh, aber das macht nichts.“
 

Mehr bekam Lucy nicht mit, denn eine andere Stimme lenkte sie ab. „Wir haben dir etwas mitgebracht.“, erklärte Loke von der Seite und stellte ihr den Geschenkkorb auf den Nachttisch. Er sah so aus wie direkt aus dem Laden mitgenommen, aber sie hatte ihm ja auch nicht viel Zeit gelassen, sich etwas zu überlegen.
 

„Und hier!“, drängte Erza sich vor und packte die Blumen in ihrer Vase daneben. „Die sind von Gray und mir.“
 

Lucy setzte sich im Bett gerader hin. „Das habe ich schon gesehen. Danke schön! Die sind echt hübsch.“ Es war ein hübsches Bouquet mit weißen Rosen, Vergissmeinnicht, blauem Aster und Enzian, eingebunden mit genug satten grünen Blättern. Ein kleiner Teddy mit saphirblauer Satinschleife um den Hals steckte dazwischen.
 

„Und zu guter Letzt das hier.“ Gray hob den Karton hoch. „Ich stell ihn da rüber, sind eh nur Babysachen drin. Das kannst du nachher auspacken.“ Loke griente über die Bemerkung, aber Erza schlug Gray hart auf den Arm, während Lucy sich ein Lachen verbiss.
 

„Du kannst den Leuten doch nicht sagen, was in ihren Geschenken ist!“, fauchte die Rothaarige.
 

„Ich wollte mich nur wichtigerem widmen!“, knurrte Gray zurück, beeilte sich aber dabei, schleunigst aus ihrer Reichweite zu kommen. Er stellte das Paket neben ihre Reisetasche auf die Kommode und ging zu Igneel hinüber.
 

„Kann ich meinen Patensohn auch mal halten?“, wollte er wissen und der Ältere überreichte ihm den Jungen, wenn auch etwas zögerlich. Loke gesellte sich zu ihnen und sah interessiert zu. Er wandte nichts dagegen ein, dass Gray sich als Pate deklarierte. Waren die beiden also zu einer Einigung gekommen?
 

Erza, die jetzt bemerkte, dass sie damit die Letzte war, die das Baby halten würde, zog einen Flunsch. Für einen Moment wirkte es so, als würde sie sofort hinübermarschieren und ihr Recht verlangen, doch dann ließ sie es blieben. Stattdessen wandte sie sich Lucy zu und musterte sie scharf.
 

„Du kommst auch noch dran.“, tröstete Lucy sie, während Gray und Loke sich von Igneel erklären ließen, wie man am besten ein Baby hielt. Da der Mann es geschafft hatte, Natsu groß zu ziehen und aus ihm einen anständigen Kerl zu machen, machte Lucy sich keine Sorgen, dass sie etwas falsch machen würden.
 

Zumal besagter junger Mann nun auch zu ihr herüberkam. „Und du musst ihn nicht gleich wieder abgeben.“
 

Das schien Erza etwas zu trösten, denn ihr Gesicht hellte sich wieder auf. „Oh!“, rief sie dann aus, als wäre ihr noch etwas eingefallen. „Wie heißt er denn nun? Ihr habt euch da echt bedeckt gehalten, aber jetzt müsst ihr raus mit der Sprache! Du hast es versprochen!“ Sie piekte Lucy mit ihrem ausgestreckten Finger fast ein Auge aus.
 

Die Aussage brachte ihnen auch die Aufmerksamkeit der anderen drei ein, die jetzt aufhorchten. Lucy musste zugeben, dass sie stolz auf sich und ihren Freund war, dass sie es geschafft hatten, niemandem davon zu erzählen. Aber vermutlich hatte es ihm einfach viel zu viel Spaß gemacht, sie alle zappeln zu lassen. Ihr jedenfalls war es so ergangen.
 

„Sting.“, antwortete Natsu für sie beide. „Sting Dragneel.“
 

„Das ist ein schöner Name.“, erklärte Erza überzeugt und sprang zu Loke hinüber, der im Moment Babyhalter spielen durfte. „Und er passt so gut zu ihm! Aber jetzt gebt ihn mir auch mal. Komm zu Tante Erza.“ Mit ausgestreckten Armen grinste sie Loke an und luchste ihm das Baby ab. „Wer ist das beste Baby der Welt?“, gurrte sie, Natsu ignorierend, der wachsam zu ihr getreten war. „Ja, du bist das.“
 

Loke ließ sie gewähren und kam wieder zu Lucy ans Bett. „Und dir geht’s gut?“, wollte er wissen.
 

Sie zwinkerte ihm zu und grinste. „Klar! Ich bin übrigens erstaunt, dass du es geschafft hast, so schnell hierher zu kommen.“
 

Er lächelte. „Das würde ich mir niemals entgehen lassen! Es ist nicht alle Tage, dass meine beste Freundin ein Kind zur Welt bringt. Meine Familie versteht das schon und Weihnachten ist ja vorbei. Aber jetzt mal ehrlich, bei dir ist alles klar?“
 

Sie griff nach seiner Hand und drückte sie kurz. „Den Umständen entsprechend. Ich bin noch ziemlich müde. Aber die Geburt lief völlig ohne Komplikationen. Wenn ich hier wegdarf, bin ich wieder halbwegs fit und zur Schule kann ich dann auch wieder, wenn es wieder losgeht.“
 

Gray, der ziemlich unerwartet neben ihr aufgetaucht war, verzog das Gesicht. „Erinnere mich bloß nicht daran. Ich will auch noch gar nicht wissen, wie ihr das lösen wollt, dass du wieder zur Schule gehst und das Jahr ganz normal hinter dich bringst.“ Er zuckte mit den Schultern und schob die Hände in die Hosentaschen. „Natsu hat übrigens deine Schulbücher mitgebracht.“
 

Loke schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das wie „Du spinnst!“ klang, aber sie ging nicht darauf ein. „Gut! Dann habe ich hier wenigstens etwas zu tun.“
 

Gray schüttelte grinsend den Kopf. „Du bist ehrlich verrückt. Aber das ist wohl deine Sache.“
 

Sie boxte ihm leicht gegen den Arm. „Er hat mir auch noch ein paar andere Sachen mitgebracht.“ Natürlich würde sie sich auch viel mit dem Baby beschäftigen und allem, was dazu gehörte (Wickeln musste gelernt sei!), aber dazwischen würde sie auch viel Zeit haben. Und sie wollte in ihrem Lernplan, der durch die frühe Geburt völlig durcheinandergebracht worden war, zu sehr zurück fallen.
 

„Will ich ja wohl hoffen!“, schnaufte Loke und warf einen gespielt finsteren Blick in Natsus Richtung. Da der aber im Moment mit Erza und seinem Sohn beschäftigt war, bemerkte er davon gar nichts.
 

„Ur sendet übrigens ihre Grüße und mein Pa auch.“, wechselte Gray das Thema. „Du musst dich darauf gefasst machen, dass Ur in den nächsten Tagen mal vorbeischaut. Sie ist auch ziemlich neugierig auf den kleinen Kerl.“
 

Lucy lächelte erfreut. „Ich freue mich schon drauf. Und ihr zwei? Darf ich schließen, dass ihr endlich geklärt habt, wer Pate wird?“
 

Loke seufzte schwer auf und zeigte mit dem Daumen auf Gray, der nickte und bestätigte: „Ich.“
 

„Aber ich krieg das nächste, keine Widerrede!“, bestimmte Loke und seine weißen Zähne blitzten auf, als er grinste. „Nur zur Vorwarnung.“
 

Gray grinste verschmitzt und hob die Hände. „Mir soll’s recht sein.“
 

Lucy blies die Backen auf. „So bald wird da kein zweites kommen!“, versprach sie ihnen und horchte auf, als ein protestierendes Krähen ertönte. Sie blickte zu den drei anderen Anwesenden hinüber und zu Sting, der jetzt einen kleinen Aufstand probte und schrie.
 

„Was hat er?!“, wollte Erza sofort panisch wissen und blickte auf das Baby hinunter, als könnte es ihr Antwort geben.
 

Lucy streckte die Hände aus. „Hunger.“, erklärte sie grinsend und griff nach ihrem Stilltuch, das sie nach der letzten Benutzung auf dem Nachttisch deponiert hatte. „Gib ihn mir.“
 

Rasch kam die Rothaarige herüber, um ihr ihren Sohn in die Arme zu legen. Er verstummte, als er den Positionswechsel mitkriegte und in die so vertraute Umgebung kam. Für einen Moment konnte Lucy nur auf ihn hinunterblicken, auf sein perfektes Gesicht und den blonden Flaum auf seinem Kopf und die großen, blauen Augen.
 

In ihrer Brust ballten sich Gefühle zusammen – Dankbarkeit, Glück, Liebe und noch so viele mehr, die sie in diesem Wirrwarr nicht genau benennen konnte. Aber eines wusste sie: all das Leid der letzten Monate, all den Ärger und den Streit, all die Tränen – all das war vergessen. Oder nein, nicht vergessen, aber in den Hintergrund gerückt, völlig unwichtig. All das war es wert, dass sie jetzt und hier, umgeben von ihrer Familie, ihren Sohn in den Armen halten konnte.
 

Dieses großartige, kleine Geschenk.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es hat gefallen. :)

Lucy und Natsu sind übrigens 17, nur zur Info.

Das nächste Kapitel kommt dann in genau einer Woche.
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So... Hoffe, es hat gefallen.
Im nächsten Kapitel geht's dann richtig los. :) Aber ich wollte noch ein wenig Lucy und ihre Umgebung charakterisieren.

Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So... jetzt ist die Kacke erstmal am Dampfen. v.v Und Lucy schiebt Panik. An wen sie sich jetzt wohl wendet?

Bis nächste Woche ^^~
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, ihr seid jetzt nicht allzu enttäuscht, dass es Erza und nicht Natsu war, an den sie sich gewendet hat. Lucy hat halt ein wenig Angst und sie war ganz schön im Panikmodus. Da hilft jemand wie Erza nun mal am besten.
Aber keine Sorge, Natsu wird es auch bald erfahren. ;)

Bis dann
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ups, da hat jemand wohl überreagiert...

Gruß
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Nachwort zu diesem Kapitel:
Ur ist so toll. ❤ Sie hat diese Rolle bekommen, da sie die einzige erwachsene Frau in Lucys näheren Umkreis ist. Allerdings habe ich das Gefühl, dass ihre Szene die 1. überschattet, das war eigentlich nicht der Plan. :/

Ich freu mich natürlich immer über Feedback und bis nächste Woche dann! ^^~ (Aber früher, weil ich das nächste Kapitel jetzt auch noch gleich fertig mache. >.<)
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
?... War das Ende jetzt zu abrupt ...?

Ich hoffe, es hat gefallen. Falls euch etwas auffällt, v.a. bezüglich Natsus ICness, so teilt mir das bitte mit. Ich muss echt noch lernen, richtig mit ihm zu arbeiten...
Allerdings ist er offensichtlich auf einem ganz anderen Blatt als Lucy. XD"

Anyway, ich habe vor, noch mehr solcher Szenen zu schreiben, da die eigentliche FF ja komplett aus Lucys Sicht geschrieben ist. Natsu kam da teilweise ein wenig kurz, wie mir beim Schreiben aufgefallen ist. Außer
Falls ihr also noch Szenen, Fragestellungen oder so habt, die ihr gern aus Natsus Sicht lesen würdet, dann könnt ihr mir das sagen. Ich verspreche nicht, dass ich etwas anständiges dazu zustande kriege, aber ich kann's ja mal versuchen.

Am Sonntag geht's dann ganz normal weiter. ;)
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, die letzte Szene war nicht zu lasch...

Ich hab keine Ahnung, ob schwangere Ärzte überhaupt noch arbeiten dürfen, wegen dem Risiko und allem, aber in diesem Fall sehe ich kein Problem. ^^" Darum tut Grandine es halt. Vielleicht gibt sie ihre Risikofälle an die Kollegin ab oder so.

Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ups. Das lief wohl nicht so gut...

Sorry, dass das Kapitel so lang war, aber ich wollte das so ein einem hochladen und nicht irgendwo einen Bruch reinmachen.
Ich muss ehrlich sagen, ich bin sehr stolz auf dieses Kapitel. Eigentlich stammt der Konflikt, den ich in Geschichten einbauen, von äußeren Einflüssen. In diesem Fall geht das natürlich nicht, weil es hier um etwas anderes geht. Darum sind solche Streits nichts, mit was ich Übung habe, aber ich finde, sie sind mir ganz gut gelungen!
Trotzdem bin ich immer sehr dankbar über Hinweise und Meinungen!

Dann bis nächste Woche! :)
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Lucy ist schon so durcheinander, die weiß schon gar nicht mehr, was sie tut. :X Hoffentlich war das nicht alles zu verwirrend.

Dann lesen wir uns in einer Woche.
Bis dann
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, Natsu ist nicht zu OoC, aber ich denke, zumindest stellenweise hab ich ihn ganz gut hingekriegt. Und Pantherlily... Hm... ö__ö
Wie hat's gefallen? War das Ende mal wieder zu abrupt? XD"

Bis Sonntag dann ^^~
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry, immer noch kein Natsu. :( Wenigstens war es kein Lucy-Only-Kapitel und Erza, Ur UND Gray bekamen ihre wichtigen Szenen. :D

Ur hat's echt nicht leicht. ^^" Für alle, die es interessiert, ja, Urtear lebt noch. (Sie ist ein paar Jahre älter als Lyon und kannte diesen nicht, nur zur Info.)

Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es gefiel! Ich weiß, es ist fast zu früh für die 1. Kindsbewegung, aber sie passte storytechnisch so gut rein. Und es ist nicht GANZ zu früh, das hab ich nachgeforscht.
Das nächste Kapitel kommt auf jeden Fall früher, weil ich das nur noch editieren und keine neue Szene hinzufügen muss.

Ich freu mich wie immer über Kommentare (oder Sternchen, falls euch das lieber ist ^^~) und wir lesen uns dann nächste Woche! Bis dann ^^~
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es hat gefallen! Endlich sind Natsu und Lucy wieder vereint und diese Krise ist zumindest überwunden.

Okay, ich weiß, Lily ist wie eine sehr seltsame Wahl für diese Rolle, aber tatsächlich ist er nur wegen Gajeel hier. XD" Und nein, Gajeel taucht in dieser Fic nicht auf. Das ist eine Vorbereitung für die Sequels.

Bis nächste Woche
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Yay, ein Junge! :D

Ich hoffe, Igneels Reaktion war nachvollziehbar und logisch und nicht zu übertrieben. :/ Aber mit was auch immer er gerechnet hat, als er die zwei zur Rede gestellt hat, das war es nicht.

Noch ein paar Worte zu Natsus Mutter...
Natsu hat im Manga einige Verlustängste. Er erträgt es einfach nicht, wenn jemand, den er lieb und teuer gewonnen hat, verschwindet, aus welchem Grund auch immer. Warum? Nun, vermutlich, weil Igneel ihn verlassen hat. Das ging hier offensichtlich nicht, weil Igneel sich ja noch hier herumtreibt und für seinen Sohn da ist. Also musste die Mutter ran, aber um nahe genug an die canon-Situation heranzukommen, konnte sie nicht einfach wegen einer Krankheit, eines Unfalls oder ähnlichem sterben, sondern es musste durch ihre eigene Hand sein.
Zumindest war das mein Gedankengang, als ich das alles ausgearbeitet habe.

Gruß :)
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dramatic Natsu is dramatic.

Dann bis Sonntag. :)
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Normalerweise bin ich echt phantasielos, was Geschenke angeht, aber diese hier gingen sehr einfach von der Hand, obwohl Lucy hier ja so ein Fall von 'was schenkt man jemandem, der schon alles hat?' ist. (Auch wenn Natsus Geschenk voll kitschig ist. XD)

So...
Und wie schon angedeutet, nächste Woche: die große Konfrontation.

Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Arme Lucy. :( Aber jetzt ist es getan.

Bis nächste Woche ^^~
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
*lol* Da haben sie wohl was wichtiges vergessen.

Die nächsten Kapitel werden eher ruhiger, aber ein paar Kleinigkeiten hab ich noch zu erzählen. :) Ich will euch den Fluff nicht vorenthalten. XD Ich hoffe trotzdem, dass das jetzt nicht zu schnell ging... Im Grunde hab ich den September und den Oktober hier zusammengerafft.

Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wieder so ein ruhiges Kapitel. Auch wenn sich der nächste Sturm schon am Horizont zusammenbraut.

Die zweite Szene war hoffentlich nicht zu langweilig, sie diente unter anderem dazu, Wendy auftauchen zu lassen.

Bis nächste Woche!
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich weiß, ich weiß, dieses letzte Stück war schrecklich kitschig. Aber Natsu hat nach all dem Stress und den Sorgen auch mal was Positives verdient. ^^"
Außerdem scheint hier nochmal ein Special angebracht zu sein, mal sehen, ob/wann ich dazu komme. :)

Bis nächste Woche ^^~
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sie haben einen Namen gefunden! Yay.

Eigentlich sollte Weißlogia erst im nächsten Kapitel auftauchen, aber whatever. Hier hat er zumindest einen Nutzen. XD" Ich kann außerdem sagen, dass er mein Lieblingsdrache ist, auch wenn ich die anderen vier auch sehr gern habe. ^^" Ich kann nicht mal sagen, warum, ich mag ihn nur. ❤

Die FF hat jetzt übrigens offiziell über 1oo.ooo Worte (ohne die Specials.) Wer hätte gedacht, dass sie je so lang wird? *headdesk* Das war nicht geplant. XD" Ursprünglich war es nur als 1o.ooo-Wort-OneShot gedacht, die erste, uneditierte Version hatte auch nur 5o.ooo Worte. Meine Güte... >__>"

Bis nächste Woche
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Soooo~o.
Ein Kapitel hab ich noch, das mach ich auch jetzt gleich noch fertig, ist ja nur editieren.

Erza hat einen seltsamen Geschmack. Ja, sie ist einzig und allen nach der Bedeutung der Namen gegangen, ohne auf den Klang zu achten, ob sie zusammenpassen (oder überhaupt passen), oder sich darum zu kümmern, dass ein Kind keine fünf Namen braucht. XD

Schönen vierten Advent noch. :)
Gruß
Arian Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war's. Ich hoffe, es hat euch gefallen und ebenso viel Spaß gemacht wie mir!

Ich weiß gar nicht mehr, wie ewig es schon her ist, dass ich eine längere Fic mit vielen Kapiteln abgeschlossen habe, aber es ist schon eine Weile... ^^" Umso glücklicher bin ich, dass ich es hier so gut durchgeschafft habe und alle Kapitel doch sehr pünktlich hochladen konnte.
Ich bin übrigens ungeheuer stolz auf diese Fic, weil sie doch einige Dinge hat, mit denen ich sonst nicht so viel zu tun und entsprechend nicht so viel Übung habe. Aber ich denke, ich hab es ganz gut gemeistert und finde die Geschichte sehr gelungen. ^^~

Noch eine kleine Erklärung zu Sting...
Wie ich schon mehr als einmal erwähnt habe, das hier ist nur der Auftakt zu einem größeren Projekt und die Hauptfic spielt fast 16 Jahre nach dieser Geschichte. Und Sting... Naja, ich bin ziemlicher Fan der Twin Dragon Slayer Paradox Theory, auch wenn sie natürlich Quark ist. Aber ich spiele in AU gern mit solchen Beziehungen zwischen den Charakteren und Nalu + Sting finde ich eine äußerst treffende Kombination. Ich kann mir da gut vorstellen. :) Ein paar Hints hab ich im Laufe der Fic auch schon eingestreut.
Wer es genau wissen will, Rogue wurde im Sommer des gleichen Jahres geboren (bei ihm musste ich aber ein wenig umbauen, was die Eltern angeht XP), und Yukinos Mutter ist Haruka aus der Kunstgalerie vom Anfang der Story. :) Und Wendy haben wir ja schon getroffen.

Dann gleich zum nächsten Punkt, die Fortsetzung...
Die nächste größere Fortsetzung wird 'The Girl Who Dreamed Of Strength' heißen und es wird vor allem um Levy gehen. ^^ Ich weiß noch nicht, wann ich mich ihr widmen kann, da ich zuerst eine andere Story beenden möchte. Aber ich denke, dass ich mich bald daran setzen kann. Ich werd sie dann auch als WIP hochladen, nehme ich an, wobei ich nicht davon ausgehe, dass sie so lang wird wie TGALG.

Außerdem habe ich noch About Questions, Worries And The One True Love für euch, das ist ein kleiner Zusatz zu TGALG. Ich würde mich freuen, wenn ihr da auch noch vorbeischauen würdet!

Und zu guter letzt hätte ich noch das Angebot, falls Interesse besteht, eine OS-Sammlung mit kleinen OS zu starten (so etwa in der Länge der Specials, vielleicht mit der einen oder anderen längeren Episode dazwischen) und zwar über das Familienleben der Dragneels und ihrer Freunde.

Ich würde mich über Feedback freuen (jetzt oder auch noch später, egal ;) sowas ist immer toll!) und ansonsten sehen wir uns (hoffentlich) im Sequel.
Ich wünsche euch noch schöne Weihnachten und nicht zu stressige Feiertage!
Gruß
Arian

[EDIT]
Die OS-Sammlung findet hier hier: Where The Heart Is Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  otaku27
2017-01-08T00:26:10+00:00 08.01.2017 01:26
Hi ,
Ich Feier diese ff und hab damit eine schöne zeit gehabt...

Nur ein paar Sachen versteh ich nicht
1. Is TGALG irgendeine Fortsetzung ?oder is das halt ne Vorgeschichte ?
2. Fals es ne Vorgeschichte is wie heißt der Nachfolger ?
Von: abgemeldet
2016-12-25T15:57:45+00:00 25.12.2016 16:57
Dann melde ich mich auch mal. Stummer Leser und so. ;)
Ich fand deine Geschichte sehr gelungen von Kapitel zu Kapitel wurde sie besser. Wie du Gefühle und die Alltagprobleme beschreibst ist so gelungen! Mir ging vor allem die letzten Kapitel das Herz auf und ich bin schon etwas Traurig das Jude es einfach nicht hinbekommt zu sich und seinen Gefühlen tatsächlich zu stehen. Besonders zu seiner Schwäche....was er alles dadurch verliert... naja aber wer kennt das nicht ? Jemanden zu verlieren obwohl man denjenigen liebt und doch funktioniert es irgendwie nicht. Konnte mich sehr gut in Lucy reinversetzten. Und das war nicht nur so in dieser Szene auch wenn ich selber noch nie Schwanger war habe ich Mitgefühlt durch deine tollen Beschreibungen. Sting....Hammer Name sag ich nur und ich hab wirklich nicht mit gerechnet ;)
Fehlt noch ein rogue....levy??? ;) sry das musste sein

Danke für die tolle Geschichte!
Ich wünsche dir auf jeden Fall noch schöne Weihnachtsfeiertage und ein tolles Silvester komm gut ins neue Jahr!

LG Naumi
Von:  Yosephia
2016-12-25T01:06:24+00:00 25.12.2016 02:06
Oh Mann... dieses Kapitel war so... ergreifend und rührend und schön und einfach rundum perfekt!
Ich bin ja ziemlich nahe am Wasser gebaut und das Kapitel hat mir echt die Tränen in die Augen getrieben, weil die Gefühle einfach so wunderschön vermittelt worden sind. Man konnte Lucys Glück einfach so richtig mitfühlen! U/////////U

Die ganzen Abläufe hast du wirklich sehr realistisch beschrieben - nicht dass ich einschlägige Erfahrungen hätte, aber es klang alles sehr glaubwürdig und hat rundum gut gepasst. Ich kann mir gut vorstellen, wie du insbesondere für dieses Kapitel viel recherchiert hast. Hut ab!

Natsu ist in diesem Kapitel einfach rundum perfekt! Wie er sich die ganze Zeit immer genau so um Lucy kümmert, wie sie es gerade braucht, und immer seine eigene Aufregung im Schach hält, um Lucy beistehen zu können, ist einfach traumhaft lieb! Und wie er sich dann um Sting kümmert! Hach, ich liebeliebeliebeliebeliebeliebeliebeLIEBE ihn! *//////////////////////*

Erza als kopfloses Huhn konnte ich mir in der Situation so richtig gut vorstellen. So taff sie sonst auch ist, in solchen Dingen ist sie einfach putzig XD"

Und der Besuch war einfach schön! Wie da die wichtigsten Menschen noch mal zusammen gekommen sind und alle sich so lieb um Lucy und Sting gescharrt haben, einfach tolltolltolltoll! *~*
Igneel ist so ein unglaublich lieber Opa und wahrscheinlich super stolz!
Und dass Gray einfach verrät, was im Geschenk ist *lol*
Und man merkt gar nicht, dass du Loke nachträglich eingefügt hast, die Szene ist rundum perfekt und er hat seinen Part und ist einfach total lieb! Ich konnte mir sein Lächeln richtig gut vorstellen, als er erklärt hat, dass er der Pate des nächsten Kindes wird *schmacht*

Die einzige Frage, die für mich irgendwie offen geblieben ist, ist die, die Gray ja auch gestellt hat: Wie will Lucy das nun eigentlich mit der Schule machen? Ein paar Kapitel vorher hieß es, sie hätte einen Plan mit der Rektorin geschmiedet, aber erläutert wurde der nicht, wenn ich mich nicht irre. Ist da einfach nur eine Absprache enthalten, dass Lucy nur zu bestimmten Unterrichtsstunden erscheinen muss oder sowas?

Dass Lucy aller Muttergefühle zum Trotz fleißig lernen will, passt so hundertpro zu ihr! XD

Und das Ende - ganz besonders der Schlusssatz - ist einfach rundum perfekt! Es hat alles so schön zusammen gefasst und es hat den Bogen zum Titel geschlagen. Einfach fantastisch!

Ich freue mich schon wie verrückt auf die nächsten Fics in diesem 'verse und natürlich auch auf eventuelle Specials!
Von:  Yosephia
2016-12-18T18:10:01+00:00 18.12.2016 19:10
Dass Lucy ihre liebe Mühe und Not mit allem rund um die Küche hat, scheint so ein Klassiker zu sein, oder? XD
Finde ich aber sehr passend und irgendwie auch niedlich! Bestimmt mussten Igneel und Natsu bei den Plätzchen, auf auf dem ersten Blick nicht so verkohlt war, oft Versuchskaninchen spielen XD

Lucy tut mir sehr Leid. Es ist klar, dass sie ihren Vater immer noch vermisst. Klar, sie hat alle Herausforderungen gut überstanden und sich toll in ihr neues Leben gefügt, aber ihr Vater bleibt eben ihr Vater.
Ein Glück war Weiß da. Der Retter der Kekse XD"
Den Plüschdrachen stelle ich mir soooooooooooo süß vor *~*
Ich will auch so einen >///////<

Lucys "Gespräch" mit Layla war wirklich sehr gefühlvoll. Es hat wirklich toll gepasst, man konnte Lucys verschiedene Gefühle so gut nachvollziehen. Ihre Freude auf das Baby, ihren Stolz auf das Leben, das sie sich aufgebaut hat, aber eben auch ihre Sehnsucht nach ihrer Mutter. Bis dahin war die Szene gleichzeitig traurig und schön.
Und dann kam Jude... Ach, Jude... Er tat mir wirklich sehr Leid. Er hat sein Kind verloren - so kommt es ihm zumindest wohl vor - und ist jetzt ganz allein. Und das auch noch in dieser riesigen Villa... Aber statt er endlich zugibt, wie sehr er Lucy eigentlich vermisst und liebt... *sfz*
Lucy ist so tapfer! Und es ist ein besonderes Zeichen von Stärke, dass sie zugibt, Jude zu vermissen, aber dennoch keinen Moment lang ihre Entscheidung bereut. Sie hat für sich selbst die beste Entscheidung getroffen und sie ist ja immer noch offen dafür, Jude in ihr Leben zu integrieren. Schade, dass er selbst nicht sieht, was für eine tolle Tochter er hat u.u

Die letzte Szene hat die wehmütige Stimmung wieder aufgehellt - und dafür ist Erza natürlich besonders gut geeignet!
Eine Babyparty... ich weiß immer so gar nicht, was ich von solchen Partys halten soll ID"
Aber es passt so hundertpro zu Erza, dass sie sowas organisiert. Erza ist ja so dermaßen in dieser Schwangerschaftsgeschichte mit drin, das ist echt super XD
(Was aber unter Garantie auch an dem besonderen Umstand liegt, dass es zwei ihrer besten Freunde betrifft. Weil die Beiden ihr so besonders viel bedeuten, kniet sie sich da wohl umso mehr rein!)

Und der Name! OMG!
Du hast ihn mir ja schon mal verraten, aber... OMFG!!! XDDDDDDDDDDDDDDD
Ich liebe Erza. Sie ist einfach sagenhaft XDDDDDD

Glück für Natsu, dass er Erza zuvor gekommen ist und dass Erza den Namen dann auch an Lucy heran getragen hat. Er hätte Erza wohl nicht so diplomatisch verklickern können, dass ihr Name grauenhaft ist XD"

Und ich habe irgendwann im Verlauf der ersten Szene ja irgendwie damit gerechnet, dass am Ende dieses Kapitel die Fruchtblase platzt. Keine Ahnung, woher der Gedanke kam XD"
Oh oh... Erza wird ja so dermaßen am Rad drehen!
Ich freue mich wie verrückt auf das nächste Kapitel >////////<
Von:  Yosephia
2016-12-11T23:47:05+00:00 12.12.2016 00:47
Awwwwww! >/////////////////<
*schmacht*
*seufz*
Einfach awwwww! *///////////*
*anhimmel*

Ich liebeliebeliebeliebeliebeliebeliebeliebeliiiiiiiiiiiiiiiiiiebe Natsu! >////////////////<

Ja, die erste Szene ist megakitschig, aber auch so unglaublich süß und lieb und gefühlvoll! Es passt so hundertpro zu Natsu. Es war einfach so schön, das zu lesen, wie viele Gedanken er sich um sein Baby macht und wie sehr er sich freut und das Kind liebt und sich um Lucy sorgt... Die sanfte Atmosphäre ist so richtig, richtig gut rüber gekommen, das hat mir wahnsinnig gut gefallen!

Die arme Lucy hat ja ganz schön viel Stress mit all dem Papierkram und dann auch noch Weihnachtsvorbereitungen und die Nachhilfe für Natsu!
Aber toll, dass letztere Früchte trägt! Natsu ist ja wirklich nicht dumm und er weiß jetzt, wofür er sich da durchbeißen muss! Und dann hat er ja auch noch so viel tolle Hilfe. Da kann ja nichts mehr schief gehen, solange Natsu sich nicht zu sehr ablenken lässt.
Aber sich ein paar Gedanken über den Namen des ersten Sohnes zu machen, ist natürlich eine gerechtfertigte Ablenkung. Und hey: Ich hätte fast damit gerechnet, dass Lucy den Namen vorschlägt. Dass er von Natsu kommt, finde ich toll!
(Und die vorangegangenen Zankereien wegen des Namens stelle ich mir seeeeeehr lustig vor XD)

Weiß! *~*
Ich könnte mich jetzt zwischen Weiß, Igneel und Metallicana gar nicht so hundertpro entscheiden - nicht dass ich etwas gegen Skia und Grandine hätte, aber die anderen Drei haben jeder so ein ganz besonderes I-Tüpfelchen *schmacht*
Und deine Beschreibung von Human!Weiß... oh Mann, ich stelle ihn mir seeeeeeehr heiß vor X/////////D

Dass Lucy wohl auch erst einmal versucht hat, ihre Sorgen wegen dieser veränderten Situation zu verdrängen/zu ignorieren, kann ich mir gut vorstellen, aber Natsus Tadel fand ich gerechtfertigt und gut und auch wieder total lieb. Himmel, er ist in dem Kapitel einfach sooooooooooooooooo toll! >///////<

Und "Opa Igneel" finde ich super XD

Ich bin so wahnsinnig gespannt auf das nächste (vorletzte?) Kapitel! *~*

Und YAY, 100.000 Wörter!
Der Wahnsinn XDDDDD
Von:  Yosephia
2016-12-04T14:14:19+00:00 04.12.2016 15:14
Awwwwww!
Einfach awwwww! >//////////////////////<

Klar war das Ende kitschig - und ich habe auch schon fest damit gerechnet -, aber dennoch... Awwwwww! */////////*
Natsu ist einfach so ein süßer Vater! Er wird voll in dieser Rolle aufgehen, das sehe ich jetzt schon kommen! Ach was, er geht jetzt schon darin auf! *~*

Aber von Anfang an...
Erza ist einfach der Knaller! Sie ist wahrscheinlich die beste Patin auf der ganzen, weiten Welt XD
Da muss Lucy wahrscheinlich irgendwann sogar aufpassen, dass ihr Sohnemann nicht zu sehr verwirrt wird *prust*
Die Vorstellung, wie Loke und Gray gegen Erza in den Ring steigen, ist einfach der Hammer XD

Und dann das mit Natsu... Er tat mir echt Leid. Klar, er ist auch ein wenig selber schuld, weil er es einfach hat schleifen lassen, aber kann man ihm verübeln, dass er andere Dinge im Kopf hatte? Ach, armer Natsu! >__<
Igneel und Erza sind aber echt toll! Igneels Ansprache ist sooooo lieb und zeigt auch, wie gut er auch auf Lucy achtet. Aber klar, dass Natsu auch noch eine Kopfnuss und eine Predigt von Erza braucht! Das hat einfach wie die Faust aufs Auge gepasst! XD
Und Lucy konnte so die Liebe sein, die Natsu aufbaut. Sie wird auch so noch oft genug streng zu Natsu sein müssen!

Schön fand ich auch die kleinen Einblicke darauf, wie sich das alltägliche Leben im Hause Dragneel einpendelt. War doch klar, dass Lucy das mit dem Haushalt hinkriegt. Sie ist viel zu stur, um sich davon unterkriegen zu lassen! Und Igneel und Natsu sind wahrscheinlich insgeheim super stolz auf sie!
Das Bild von Lucy, die im Garten sitzt und nicht mehr alleine hoch kommt, stelle ich mir, ehrlich gesagt, sehr lustig vor. Ich weiß, das ist böse und Lucy fand das sicher nicht lustig, aber ich musste dennoch grinsen XD"
Aber Natsu war wahrscheinlich total lieb, weil er sich wohl im ersten Moment eher sonstwas für Sorgen um sie gemacht hat, als sie um Hilfe gerufen hat >////<

Natsu und Igneel als Morgenmuffel passen perfekt, das kann ich mir super vorstellen.
Und dass Gray und Natsu einander solche fiesen Geschenke schenken, finde ich auch sehr passend. Und irgendwie machen sie sich dabei ja doch viele Gedanken umeinander, das ist echt süß!
Und gerade in dem Fall fand ich die Bücher sehr passend XD

Und das Ende.... Awwww! *schmacht* *quietsch*
Ich hatte das so richtig vor Augen, wie Natsu und Lucy da sitzen!
*//////////////////*

Jetzt freue ich mich schon total auf die Weihnachtsfeier im Hause Dragneel >/////////<
Von:  Yosephia
2016-11-27T23:27:30+00:00 28.11.2016 00:27
Dafür, dass diese Szenen so spontan entstanden sind, fügen sie sich wirklich beeindruckend gut in das Gesamtgefüge ein! Ich fand sie an dieser Stelle wirklich sehr passend, insbesondere - aber nicht nur - in Bezug auf Natsus Probleme, die sich da jetzt anbahnen.

Natsus Verhalten war wirklich sehr eigenartig. Und damit meine ich nicht nur aus Lucys Sicht und so allgemein, sondern auch mich macht es stutzig. Da scheint Natsu echt einiges in sich hinein zu fressen. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie er Lucy (und Igneel?) das erklären wird - und wie sich das Problem wieder lösen lässt. Immerhin ist er jetzt in einer Phase, wo es eigentlich auf jede einzelne Note ankommt, da lässt sich das Ruder nicht so mir nichts dir nichts herum reißen. Ich sehe es ja schon kommen, dass der arme Natsu dann unmenschlich viel büffeln muss, aber na ja... das hat er sich auch teilweise selbst zu zuschreiben^^'

Lucys Gedankengänge in Bezug auf das Geld und das Shoppen in "normalen" Läden fand ich wirklich sehr passend. Ihr ganzes Leben lang musste sie nie aufs Geld achten und jetzt, da sie ausgerechnet noch so viele neue Klamotten dringend braucht, wird sie mit dieser neuen Situation so knallhart konfrontiert. Klar, dass sie da Hemmungen hat, Igneel zu fragen - aber total lieb, dass Igneel sie darauf anspricht, er ist einfach toll, habe ich das schon mal erwähnt? >/////< -, und klar, dass sie erst einmal automatisch zu einem der üblichen Läden läuft.
Aber sie hat zum Glück Erza dabei, die geht solche Sachen praktisch an!
Und letztendlich wird Lucy sich sicher umgewöhnen können. Sie ist vielleicht wie eine Prinzessin verwöhnt worden, aber sie steht zu ihren Entscheidungen und sie hat sich nun einmal für Natsu und das Baby entschieden!

Die Szene bei Grandine fand ich total schön! Sie hat vor allem auch Lucys Entwicklung sehr schön deutlich gemacht. Immerhin hat sie am Anfang so sehr mit sich gehadert, aber jetzt freut sie sich so sehr auf ihren Sohn und vergisst darüber alles andere um sich herum. Das war total süß! >/////<
Und ich finde die kleinen Anspielungen auf die Mangafiguren wie das mit den Drachen oder auch mit der weißen Katze total toll! Sowas macht beim Schreiben unheimlichen Spaß und beim Lesen auch! *~*

Alles in allem ein wirklich schönes Kapitel, das sich super schnell hat weg lesen lassen!
(Dass ich so spät dran bin, liegt nur darum, dass ich mich erst einmal um den SK kümmern musste, dieses bockige Kind ID")
Von:  Yosephia
2016-11-20T19:56:44+00:00 20.11.2016 20:56
Oh, ich liebe dieses Kapitel sooooooooooooooooooooo sehr! *~*

Lucy tut mir schrecklich Leid. Sie hat so viel Mut zusammen gekratzt, endlich einen Entschluss für sich und das Baby zu fassen, dass sie letztendlich wahrscheinlich doch nicht darauf vorbereitet war, wie sehr es ihr weh tun würde, von Jude verstoßen zu werden. Vielleicht hat sie sich auch bis zuletzt an den Glauben geklammert, dass er ihre Entscheidung akzeptieren würde *sfz*

Aber zum Glück hat sie Natsu und Igneel und Gray und Erza! >__<
Das sind soooo tolle Freunde! Ohne sie hätte Lucy das wohl nicht verkraftet!
Und dann der Igneel-Lucy-Moment: Einfach total schön! Ich habe es schon einmal gesagt, aber noch einmal: Igneel ist einfach unglaublich lieb! Es zeigt schon, wie viel Lucy ihm bedeutet, wenn er mit ihr über Carolina spricht. Und dass er ihr sogar Carolinas geliebten Garten anvertraut. Das war einfach so ein toller Moment, wahnsinnig gefühlvoll und lieb und einfach perfekt >/////////<

Die Aussprache mit Gray ist auch unglaublich gut gelungen! Auch wenn Lucy es Gray wahrscheinlich gar nicht nachgetragen hat, hat Gray sich wohl seine Gedanken deswegen gemacht. Es zeigt auch, wie wichtig Lucy ihm ist, wenn er auf Lucy zu geht, um sich zu entschuldigen und sich mit ihr auszusprechen! War einfach eine herzerwärmende Szene!
Und Lucys Stichelei mit dem BH fand ich sehr super XD
Oh, und lese ich da eine Andeutung für die HauptFic heraus? *~*

Das mit dem Zeitraffer fand ich überhaupt nicht schlimm. Was hättest du da großartiges schreiben sollen? In der Schwangerschaft ändert sich nichts Gravierendes, mit Jude tut sich nichts und mit Natsu oder den Anderen auch nicht. Von daher war es sehr passend, mal einen kleinen Sprung zu machen. Der ist dir auch sehr gut gelungen, man hatte einen guten Überblick darüber, was noch so alles passiert ist, und Details sind auch sehr gut eingestreut worden. (Richtig so, Lucy, dass du diesen Idioten geohrfeigt hast! >_<)

Die Namensgeschichte hat wahnsinnig viel Spaß gemacht X////D
Natsu ist echt ein Knallkopf, aber Lucy liebt ihn ja auch unter anderen dafür XD
Und Igneel ist wahrscheinlich glücklich, dass es seinen Kindern so gut geht, und freut sich wohl auch schon sehr auf seinen Enkel!
Monsieur Killer von und zu Hoppel XDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Erza ist einfach der Hammer in diesem 'verse! XDDDDDD
Ich bin ja mal gespannt, wie Natsu und Lucy Erza erklären, dass sie ihren Namensvorschlag nicht annehmen werden *lol*

Oh, und ich stelle mir das Kinderzimmer total gemütlich vor *~*

Und der "Paten-Streit" am Rande ist witzig XDDDD

Einfach ein tolles Kapitel!
Ich freue mich schon wie blöde auf das nächste *~*
Von:  Yosephia
2016-11-18T10:50:02+00:00 18.11.2016 11:50
Yay, Makarov in Aktion! Leute, fragt Makarov, der hat Ahnung! >___<
XDDDD

Nee, ehrlich, mich hat es total gefreut, dass du eine Möglichkeit gefunden hast, mal ein bisschen was mit Makarov und Natsu unterzubringen!
Es war wirklich sehr stimmig, wie Makarov es erst geduldig versucht hat und wie deppern Natsu sich angestellt hat. Natsu ist so jemand, dem man lieber mit ner Zaunpfahlfabrik winken sollte XD"

Aber es ist irgendwie total süß, wie viele Gedanken Natsu sich wegen dieses Geschenks macht und was für Schiss er hat - zwar vollkommen unbegründet, aber dennoch irgendwie total putzig. Und es passt auch total zu ihm! Er neigt im Manga ja auch nur zu gerne zu Übertreibungen XD
Was ich auch total schön fand, war, wie viele Gedanken Natsu sich bezüglich Lucys Aussprache mit Jude macht. Dass er ihr, so sehr er Jude auch nicht leiden kann, dennoch wünscht, dass es doch irgendwie klappt, dass er gleichzeitig aber auch die Situation sehr realistisch einschätzt. Da sieht man mal wieder, dass Natsu eben kein unaufmerksamer Hohlkopf ist! >_<

Auch fand ich es sehr stimmig, dass Natsu nicht ganz von alleine darauf gekommen ist, Lucy diese Kette mit dem Herzanhänger zu schenken. Er ist super süß und lieb und alles, aber er ist weder richtig romantisch noch kreativ XD"

Sorry, kurzer Kommentar dieses Mal, aber es hat einfach von vorn bis hinten alles schön gestimmt!^^
Von:  Yosephia
2016-11-13T16:56:27+00:00 13.11.2016 17:56
Wow, das ist echt hart T____T

Lucy tut mir so schrecklich Leid, aber gleichzeitig bin ich auch mächtig stolz auf sie!

Jude war ja drauf und dran, sie schon wieder unter zu buttern. Wie er einfach so über ihr gesamtes Leben entscheiden will und wie er über ihre Freunde redet! Furchtbar! Jude, warum tust du das deiner Tochter und dir selbst an? >_<

Aber Lucy ist standhaft geblieben! Und nicht nur das, sie hat sich viel erwachsener als Jude verhalten, hat ihm alles ganz ruhig erklärt. Sie hat sich wirklich wacker geschlagen! Selbst als er gedroht hat, Natsus Zukunft zu versauen, ist sie nicht ausgerastet, obwohl ihr das echt schwer gefallen sein muss!

Als Lucy ihre Schwangerschaft offenbart hat, ist es mir bei Judes Plänen eiskalt den Rücken hinunter gelaufen. Ich bin absolut dafür, dass Frau sich dafür entscheiden kann/darf, abzutreiben oder ihr Kind weg zu geben, aber das darf niemals erzwungen sein! Jude war in der Szene richtig abartig, aber der hat wahrscheinlich auch extreme Panik geschoben und dann so reagiert, wie er eben immer reagiert, wenn es ihm ja eigentlich darum geht, dass es Lucy gut geht. Wenn er nur mal begreifen würde, dass er gar nicht wirklich weiß, was für Lucy das Beste ist... *sfz*

Ein Glück hat Lucy vorgesorgt. Hätte sie in dem Moment noch alles packen müssen, wäre das eine Katastrophe geworden!

Du hast die Abschiedsschmerzstimmung wirklich toll hingekriegt. Ich hatte genau vor Augen, wie Lucy da noch einmal durch ihre Zimmer gegeistert ist und sich innerlich von allem verabschiedet hat. Um ihre Pflanzen tat es mir auch sehr Leid, aber Igneel und Natsu werden sicher nicht protestieren, wenn sie den Garten wieder belebt!

Und dann der endgültige Abschied. Beinahe - aber nur beinahe - tat Jude mir Leid. Der muss in dem Moment auch furchtbares durchgemacht haben, aber das hat er sich auch selbst zu zuschreiben. Lucy hat ihm ja gesagt, wie er sie zurück bekommen kann, aber er kriegt es einfach nicht in seinen Betonschädel. Noch nicht *wieder seufz*

Die arme Lucy wird jetzt sicher einige Zeit brauchen, um das Ganze irgendwie sacken zu lassen. Zum Glück hat sie Igneel und Natsu, die für sie da sind, und Gray und Erza werden ihr sicher auch beistehen! >_<

Tolles Kapitel! Tolle Stimmung! Hat einfach von vorn bis hinten zur Story und zu den Charakteren gepasst!


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