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This Great And Little Gift

[NaLu | Lucy vs. Jude]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Aw, man, sorry, dass das so spät kommt. :/ Aber irgendwie hab ich's gestern nicht mehr so richtig fertig gekriegt, weil ich am Freitag und Samstag irgendwie mehr zu tun hatte, als gedacht. Naja, Hauptsache es kommt! :) Dafür ist es auch ziemlich lang, eigentlich über 1.ooo Worte zu lang. :/ Aber ich lass es jetzt so, weil ich die letzte Szene unbedingt in diesem Kapitel haben will.

Als Warnung, es gibt eine kurze Erwähnung von Kindesmisshandlung.

Enjoy. Komplett anzeigen

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6. Kapitel, in dem Lucy eine Entscheidung trifft und eine zweite vertagt

wo bist du

lucy bitte antworte mir

ich weiß ich hab ein wenig überreagiert aber das kam alles so überraschend

lucy ich hab’s nicht so gemeint bitte antworte mir

du hast das in den völlig falschen hals gekriegt. du weißt dass ich nicht so gut mit worten bin
 

Lucy, du musst mit ihm reden. Diese Nachricht kam von Erza. Lucy runzelte die Stirn. Warum musste Erza sich jetzt auch noch einmischen? Das ging sie gar nichts an!
 

Wütend schaltete sie ihr Handy aus und stopfte es in ihre Tasche. Sie war sauer auf Natsu. Und jetzt war sie auch sauer auf Erza. Sie war auch sauer auf den strahlend schönen Sommertag, der ihr erlaubte, in Top und kurzem Rock herumzulaufen, und der einen prächtigen, blauen Himmel zeigte, aber trotzdem nicht zu heiß war. Sie war sauer auf den schön angelegten Kardia-Park, in den sie sich geflüchtet hatte, mit seinen geschwungenen Kieswegen und altmodischen Straßenlampen und den kunstvoll angeordneten Blumen und Bäumen. Sie war auch sauer auf all die fröhlichen Passanten, die ihn bevölkerten und anscheinend keine Sorgen kannten, die Jogger, die Eisverkäufer, die Spaziergänger und vor allem die jungen Familien mit den lachenden Eltern, zwischen fünf und zehn Jahren älter als sie selbst, und ihren kleinen Kindern.
 

Sie war einfach sauer auf die ganze Welt.
 

Wütend stapfte sie voran, so dass ihre Schritte kleine Gruben im Kies hinterließen und die anderen Passanten wichen ihr aus, als hätte sie die Plage. Vermutlich war ihr ihre Stimmung deutlich anzusehen und niemand wollte sich die Laune verderben, nur weil er sich mit einer unleidigen Zicke anlegte.
 

So gelangte sie rasch an einen abgelegenen Platz, einen kleinen, halb mit Efeu überwachsenen Pavillon aus hellem Stein, dessen Kupferdach bereits komplett mit grüner Patina überzogen war. Bäume und Büsche sowie eine alte Mauer umgaben den kleinen Platz, auf dem er stand, wie einen Wall, der diesen verborgenen, nahezu magischen Ort vor der Außenwelt geheim hielt und abschirmte.
 

Zwei, drei Meter von den drei Stufen, die zu der überdachten Fläche hinaufführten, entfernt befand sich ein ausgetrockneter Brunnen. Er war geformt wie eine große Schale, in deren Mitte sich ein Podest erhob, auf dem eine tanzende Fee stand, nur auf einem Bein und die Arme in die Höhe gereckt, als wolle sie sich in den Himmel erheben.
 

Hier hatte Lucy sich oft mit Natsu getroffen; der Ort war nicht weit entfernt von der Dragon’s Garage. Für einen Moment starrte sie den Brunnen mit seiner Tänzerin einfach nur an und wünschte sich, sie könnte einfach davonfliegen wie diese kleine Fee. Dann seufzte sie laut und ließ Kopf und Arme hängen. Es half alles nichts, sie konnte nicht einfach vor ihren Problemen davonlaufen.
 

Denn letzten Endes war sie nur sauer auf sich selbst.
 

Sie wollte, dass Natsu kam und da war, sie in die Arme nahm und sie tröstete. Sie wusste, dass sie völlig irrational war, genauso, wie sie vorhin irrational gewesen war, als sie ihn angeschrien hatte wegen etwas, für das er gar nichts konnte. Und jetzt konnte sie ihm noch nicht einmal zurückschreiben oder gar ihn anrufen. Sie schämte sich zutiefst, ihn so behandelt zu haben und dass sie so getan hatte, als sei alles seine Schuld. Es brauchte immer zwei zum Tanzen.
 

Doch es war einfach aus ihr herausgebrochen, all der Stress und die Sorgen und der vernünftig denkende Teil ihres Hirns hatte sich einfach ausgeschaltet und die aufgestauten Emotionen waren freigesetzt worden. Der arme Natsu hatte alles abgekriegt, weil er da gewesen war und weil er ein treuer Idiot war, der die Beschimpfungen einfach so über sich entgehen ließ. Er verdiente die größte Entschuldigung der Welt.
 

Sie ließ ihre Tasche auf den Boden fallen und setzte sich auf eine der Bänke, die den Pavillon säumten. An eine der Säulen gelehnt zog sie ihre Beine an, schlang die Arme darum und legte den Kopf auf den Knien ab. Sie würde jetzt hier sitzen und warten, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
 

Danach konnte sie zurück zur Werkstatt gehen und mit ihrem Freund reden. Vernünftig diesmal. Nachdem sie sich entschuldigt hatte, vielleicht auf Knien. So ließ es sich am besten um Verzeihung flehen, hatte sie gehört. Vielleicht sollte sie sich schon einmal ein paar Worte zurechtlegen, aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie bekam kaum einen klaren Gedanken zusammen, denn alles wirbelte durcheinander, so dass sie von einem Thema zum nächsten sprang und zu keinem Ergebnis kam.
 

„Lucy! Du bist wirklich hier!“
 

Natsus Stimme riss sie aus den Gedanken, so dass sie heftig zusammenzuckte und erschrocken aufsah. Er stand am Eingang zum Pavillon und blickte sie geradeaus an. Ein erleichtertes Grinsen umspielte seine Lippen und er hatte die Hände in die Taschen seiner Shorts geschoben.
 

„Erza macht sich Sorgen.“, bemerkte er, als wäre das keine große Sache, und ließ sich neben ihr auf die Bank fallen. Auch das noch. Lucy fühlte sich elend, am liebsten wollte sie einfach in Tränen ausbrechen. Stattdessen schniefte sie nur und rieb sich kurz die Nase.
 

„Es tut mir leid.“, erklärte sie und merkte selbst, wie jämmerlich sie klang. Dabei wollte sie einmal – einmal nur! – Würde zeigen. Stattdessen brach sie beinahe in Tränen aus und stellte sich selbst schon wieder in den Mittelpunkt. Aber sie hatte sich ja noch nicht einmal überlegt, was sie sagen wollte! Wenn er auch so unerwartet hier auftauchte und ihr komplett den Wind aus den Segeln nahm! „Ich hätte dich nicht so anschreien dürfen. Das wollte ich nicht.“
 

Natsu winkte ab. „Schwamm drüber.“
 

Beinahe hätte sie gelacht. Sie hätte wissen müssen, dass er so reagierte und seine Worte genau so meinte. Aber Natsu war nun einmal einer der am wenigsten nachtragenden Menschen, die sie kannte, und wenn er jemandem etwas wirklich übelnahm, musste dieser Jemand sich schon extrem dafür angestrengt haben. Also widersprach sie ihm nicht, auch wenn sie nicht zufrieden mit ihrer eigenen Entschuldigung war. Sie nahm sich vor, in Zukunft besonders aufmerksam zu sein.
 

Für eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Es war schon dämmrig, der Himmel färbte sich bereits leicht rosa. Die Blätter der sie umgebenden Pflanzen waren golden gefärbt von den Sonnenstrahlen des Abends. Lucy bemerkte es erstaunt. Wie lange hatte sie hier gesessen?
 

Natsu neben ihr wirkte nervös. Er rutschte unruhig hin und her, spielte mit dem Saum seiner Shorts und federte unruhig mit dem Knie. „Ist es etwas Gutes?“, fragte er schließlich vorsichtig und brauchte nicht zu spezifizieren, was genau er damit meinte.
 

„Ja.“, antwortete Lucy im Reflex. Wie konnte es etwas Schlechtes sein? Aber dann fiel ihr ein, dass es auch nicht unbedingt positiv für sie aussah, darum fügte sie hinzu: „Nein. Ich weiß auch nicht.“ Sie seufzte. „Es macht die Sache nicht einfacher.“
 

Für einen Moment blieb es still. Dann informierte er sie: „Mein Vater wird mich umbringen.“
 

Sie stieß ein hartes Lachen aus, das gar nicht glücklich klang. „Was denkst du, was mein Vater mit mir tun wird?“
 

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Natsu blass wurde. Denn sie wussten beide, während Igneel nicht sehr begeistert davon sein würde, jetzt schon Großvater zu werden, Judes Reaktion würde hundert Mal schlimmer sein. Noch konnte sie sich nicht genau ausmalen, wie sie aussehen würde, aber sie hatte schon ein paar Ideen – und keine war äußerst rosig.
 

Natsu drehte sich zu ihr und seine Stimme war außergewöhnlich ernst: „Wenn etwas ist, versprich mir, dass du mich sofort anrufen wirst.“
 

Sie lächelte schwach und tätschelte sein Bein. „Keine Sorge, das werde ich tun. Aber ich glaube nicht, dass das nötig sein wird.“ Sie war sich nicht so sicher, wie sie klang, ob letzteres tatsächlich stimmte, darum lenkte sie das Gespräch von diesem unerfreulichen Thema weg: „Wir müssen besprechen, was wir jetzt tun.“
 

Verwirrt blickte er sie an und sie konnte die Fragezeichen über seinem Kopf geradezu sehen. Ungläubig starrte sie zurück, doch er schien wirklich nicht zu wissen, worauf sie hinauswollte. Manchmal fiel ihr siedend heiß auf, dass er klüger war, als die meisten ihm zutrauten. Manchmal dachte sie, dass er genauso begriffsstutzig war, wie alle Leute stets dachten. Dies war einer der Momente, die in die zweite Kategorie fielen.
 

Was dachte er denn, was jetzt geschah? Dass sie das Kind austragen und in die Welt setzen konnte und alles schon irgendwie gut werden würde?
 

„Wie wir weiter vorgehen. Natsu, wir sind noch nicht einmal mit der Schule fertig! Ich wollte studieren und du willst die Ausbildung machen und Erfahrung sammeln, ehe du die Werkstatt übernehmen kannst und… Wir sind doch selbst noch halbe Kinder! Wie sollen wir dann mit einem eigenen Kind zurechtkommen? Weißt du, wie viel Arbeit und Verantwortung das ist und wie teuer und zeitaufwendig das wird?! Das ist eine Verpflichtung fürs Leben, wenn wir das tun, können wir irgendwann nicht einfach entscheiden, dass wir jetzt keine Lust mehr haben und…!“
 

Er unterbrach ihren Redeschwall, indem er sie einfach in die Arme nahm und sanft küsste. „Du machst dir echt zu viele Gedanken.“, erklärte er überzeugt, nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte. Seine Hände lagen noch immer auf ihren Schultern, warm und stark, aber so behutsam, als wäre sie aus Glas und könnte bei einer falschen Bewegung zerbrechen.
 

Sie blinzelte überrumpelt, aber dann schob sie ihn unwillig wieder von sich. Sie wollte jetzt wirklich nicht schon wieder vom Thema abkommen! Das war viel zu wichtig. „Und du dir zu wenig. Ich meine das ernst.“
 

„Was willst du denn tun?“
 

Lucy seufzte schwer. Diese Frage klang so einfach. Aber sie wusste das auch nicht genau. Sie wusste nur, was sie ganz sicher nicht wollte. „Ich will nicht, dass mein Vater davon erfährt.“ Aber darum gab es kein Drumherum, wenn sie nicht… Sie führte den Gedanken nicht zu Ende. Es gab noch mehr, das sie nicht wollte, und diese Wünsche widersprachen sich. Also musste sie herausfinden, was schwerer wog, in den sauren Apfel beißen und den anderen Weg wählen.
 

Natsu antwortete nicht darauf, er kannte sie inzwischen gut genug um zu wissen, dass hinter ihrer Antwort noch mehr steckte, und wenn er nur lange genug wartete, würde sie es ihm sagen. Dummerweise war er nicht der geduldigste Mensch, also platzte er schon nach einem Moment heraus: „Wir werden das schon hinkriegen, ja? Du und ich.“ Er schenkte ihr sein strahlendes Lächeln und sie konnte in seiner Stimme hören, dass er es völlig ernst meinte. Da war kein Zweifel, kein Zögern in seinem Tonfall. „Es wird alles gut werden. Du wirst schon sehen!“
 

Seinen Optimismus wollte sie haben. Sie rutschte näher an ihn heran, als könnte sie auf diese Weise etwas davon abkriegen, und kuschelte sich unter seinen Arm. Stattdessen fand sie nur den Mut, um endlich auszusprechen, was ihr schon auf dem Herzen lag, seit sie die beiden kleinen Striche auf dem ersten Schwangerschaftstest gesehen hatte. Sie starrte die tanzende Fee an, um Natsu dabei nicht ansehen zu müssen.
 

„Ich… ich möchte nicht abtreiben.“
 

Es könnte alles so einfach sein, wenn sie sorglos genau das tun würde. Jude müsste nichts davon erfahren. Sie konnte weitermachen wie bisher und die Pläne verwirklichen, die sie schon seit einiger Zeit ausheckte – die Schule beenden, an die Uni ihrer Wahl gehen, studieren und in ein paar Jahren nochmal über das Thema ‚Kinder‘ nachdenken, vielleicht sogar Jude an Natsu gewöhnen, so dass ihr Vater ihren Freund akzeptierte. Immerhin enthielt jeder einzelne ihrer Pläne Natsu.
 

„Dann tu’s nicht.“ Er sagte das, als wäre es so einfach. Aber das war es nicht. Und er wusste das genauso gut, wie seine nächsten Worte bewiesen: „Hör mal, wenn ich sage, wir kriegen das hin, dann kriegen wir das hin, ja? Ich meine das ernst. Das haben schon ganz andere Leute vor uns gemacht. Und wir sind ja auch nicht allein. Mein Vater wird uns unterstützen. Unsere Freunde werden uns unterstützen. Wir haben also eine tatkräftige Familie, die uns helfen wird. Das wird schon!“
 

Wäre da nicht noch ein kleines Detail… „Und mein Vater?“
 

„Das wird ihm überlassen sein, oder?“ Seine Stimme war plötzlich hart und seine Lippen entschlossen zusammengepresst. „Wenn er es nicht akzeptieren will, dann ist es sein Problem.“
 

Lucy starrte ihn von unten her an und wollte heftig widersprechen. Das war ihr Vater, über den Natsu hier sprach. Der Rest ihrer Familie, der ihr noch geblieben war. Sie liebte Jude und auch wenn er manchmal etwas schwierig war, so änderte es nichts daran, wer sie füreinander waren und was sie einander bedeuteten.
 

Aber im Moment fehlte ihr die Kraft zum Kämpfen. Außerdem… Hatte Natsu nicht recht? Jude war kein einfacher Mensch und er litt noch immer unter Laylas Tod. Aber sie war auch Lucys Mutter gewesen und auch für sie war es ebenfalls schwer gewesen, ebenfalls noch immer schwer.
 

Und dies war Lucys Leben, um das es hier ging.
 

Sie mochte noch nicht volljährig sein, aber sie war alt genug, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Diesmal würde sie ihm nicht den Gefallen tun und sich ducken. Alles vertuschen und totschweigen, nur weil er es wollte oder weil es einfacher für sie alle war. Nein, diesmal nicht. Diesmal stand zu viel auf dem Spiel, als dass sie einfach klein beigeben würde.
 

Dankbar schlang sie die Arme um Natsus Körper, der sie als Antwort automatisch enger an sich zog. Dann reckte sie sich hoch und presste ihm einen Kuss auf den Mundwinkel, ehe sie den Kopf gegen seine Schulter legte. Plötzlich sah nicht mehr alles so fürchterlich und düster aus und ein Gefühl von Gelassenheit und Klarheit breitete sich in ihr aus. Sie war nicht glücklich oder erfreut über den Verlauf der Dinge, aber wenigstens erschien ihr jetzt alles nur noch halb so wild.
 

Um sie herum wurde es langsam dunkel, als auch der Rest eines spektakulären Sonnenuntergangs, den sie nicht mitbekommen hatten, vom Himmel verschwand. Irgendwo zirpten Zikaden und der leichte Wind rauschte in den Bäumen und es war herrlich friedlich. Wenn sie nur nicht das Gefühl hätte, dies wäre die Ruhe vor dem Sturm…
 

„Hast du es eigentlich sonst noch jemandem erzählt?“, unterbrach Natsu schließlich, als es beinahe ganz dunkel war. Hoffentlich hatte er eine Taschenlampe dabei, ansonsten würde der Rückweg echt kompliziert werden.
 

„Nur… nur Erza.“, gestand sie. Würde er ihr böse sein, dass sie zuerst zur Freundin gegangen war anstatt zu ihm? „Und Dr. Marvell natürlich. Und das sollte vorerst so bleiben.“
 

„Warum?“ Erstaunt blickte er auf sie herunter und fragte nicht einmal danach, warum nicht er ihr erster Ansprechpartner gewesen war.
 

Sie zuckte mit den Schultern. „Bis zur zwölften Woche ist es noch relativ gut möglich, dass es zu einem Abgang kommt.“ Auch das würde alle ihre Probleme lösen. Aber jetzt, als der Widerstreit der Gefühle über die Schwangerschaft aufgeklärt und Natsu bei ihr war, wurde ihr eines klar: sie wollte das nicht.
 

Sie wollte nicht, dass das Kind einfach wieder verschwand, ohne dass es überhaupt das Licht der Welt erblickt hatte.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Trotzdem war Lucy noch immer nicht wirklich klar, was genau sie wollte. Es gab immer noch mehrere Wege, die ihnen jetzt offenstanden, auch wenn sie sich dazu entschlossen hatte, das Baby auszutragen, ein Gedanke, der sie noch immer in Panik versetzte, die nicht mit ihrem Vater zusammenhingen. Zumindest nicht nur.
 

Doch das Thema einer Adoption, das ihr echte Magenschmerzen bereitete, hatte sie noch nicht mit Natsu besprochen; sie wollte ihn nicht überfordern. Immerhin hatte er erst an diesem Tag überhaupt von der Schwangerschaft erfahren, während sie selbst schon über eine Woche Zeit gehabt hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
 

Also hatten sie sich schließlich aufgemacht und sich im Dunkeln durch die wild wuchernden Pflanzen des Kardia-Parks gekämpft, ehe sie einen der beleuchteten Wege erreicht hatten. Natsu hatte sie dann sofort nach Hause gefahren, wo sie zum Glück nicht Jude über den Weg gelaufen war.
 

Spetto, die nicht erfreut über die späte Heimkehr gewesen war, vor allem nicht an einem Schultag, hatte erzählt, dass er durch die Layla-Heartphilia-Stiftung aufgehalten worden war, und Lucy hatte sich erleichtert in ihr Zimmer begeben. Jude hätte es fertig gebracht, ihr gleich noch mehr Hausarrest aufzudrücken.
 

So hatte sie auch gleich Zeit, von einem Problem zum nächsten zu springen. Die Abtreibung war zwar vom Tisch, eine Adoption aber noch nicht, denn je mehr sie sich den Kopf darüber zerbrach – und während der Woche und vor allem am Wochenende hatte sie absolut zu viel Zeit dafür, dabei hatte sie nicht einmal mehr Hausarrest! – desto weniger bereit fühlte sie sich für die Aufgabe, die da auf sie zukommen konnte.
 

Wäre es nicht viel leichter, wenn sie sich einfach jemanden vermitteln ließ, der ein Baby haben wollte, aber keines bekommen konnte? Dann wären all die anderen Probleme auf einen Schlag gelöst. Sie bräuchte die Verantwortung nicht zu übernehmen, sie könnte ihre Schule beenden und studieren, wie geplant, und vielleicht eine kleine Karriere hinlegen, ehe sie später dann mit ihrem Freund eine Familie gründete…
 

All ihre so sorgfältig geschmiedeten und durchdachten Pläne konnten also doch noch aufgehen, auch wenn sie jetzt vielleicht erstmal Zoff mit ihrem Vater bekam. Auf der anderen Seite, wollte sie das überhaupt? Könnte sie es ertragen, ihr Kind wegzugeben, an jemand völlig fremden, jemand, den sie nicht kannte? Oder überhaupt?
 

Aber vielleicht hatte Natsu Recht. Vielleicht machte sie sich wirklich zu viele Gedanken. Noch hatte sie ja Zeit, zwar keine neun Monate mehr, aber bis zum 24. Januar, den Grandine ihr als Geburtstermin ausgerechnet hatte, war es noch eine Weile hin. Sie hatte also noch viel Zeit, das zu besprechen – mit Natsu, mit Erza, mit Grandine, vielleicht sogar mit der Frau in der Beratungsstelle.
 

Also kein Grund zur Panik.
 

Dass sie tatsächlich Unterstützung von anderen bekam, wie Nasu ihr versichert hatte, wenn auch aus eher unerwarteten Richtungen, zeigte sich bereits am nächsten Montag. Gray schob ihr wortlos eine einfache, weiße Pappschachtel über den Tisch, die einen aromatischen Duft verströmte. „Was ist das?“, wollte sie von ihm wissen und schnupperte leicht daran. Es roch gut, zart und leicht blumig.
 

Gray wurde rot. „Tee. Gegen…“ Er senkte die Stimme, so dass sie ihn kaum verstehen konnte. Offensichtlich war es ihm peinlich, über das Thema zu sprechen. „…du weißt schon. Morgenübelkeit.“
 

„Was?! Woher…?“ Woher wusste er das!? Es … es störte sie nicht wirklich, dass er es tat, immerhin war er einer ihrer engsten Freunde. Es war nur fair, dass er unterrichtet worden war, nachdem alle anderen ihres Vierergespanns schon Bescheid wussten. Aber in diesem Moment überrumpelte es sie einfach.
 

Vielleicht hätte sie es ihm einfach selbst sagen sollen.
 

„Natsu hat’s mir erzählt. Er … er brauchte jemandem zum Reden, auch wenn ich nicht glaube, dass er das wirklich geplant hat.“ Gray grinste schief und zuckte mit den Schultern. Okay. Das klang nach Natsu. Vermutlich hatte er gar nicht nachgedacht und es war einfach aus ihm herausgeplatzt.
 

Aber sie konnte es ihm kaum verübeln.
 

Sie hatten zwar abgemacht, es niemandem zu sagen, aber Erza wusste auch schon davon und sie war Lucy eine unentbehrliche Stütze. Mit ihr konnte sie über alles sprechen, das sie selbst gegenüber Natsu nicht zu äußern wagte. Er brauchte vermutlich auch jemanden, mit dem er reden konnte, der eben nicht Lucy war. Da Igneel wegfiel, blieb offensichtlich nur noch Gray, dem er genug vertraute. Allerdings… „Woher kommt der Tee?“ Gray war ganz sicher nicht bewandert mit diesem Thema. Also musste das Geschenk von jemand anderem stammen.
 

Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und sah zur Seite. „… Ur.“, gab er dann zu.
 

„WAS?!“ Lucy starrte ihn entgeistert an. Nicht nur, dass er selbst davon wusste, er hatte es auch gleich weitergetratscht?! Es war ihr Geheimnis, ihre Sache! Nun ja, Natsus auch, aber… ganz sicher nicht Grays! Er hatte kein Recht…
 

„Ich schwöre, ich wollte es ihr nicht erzählen!“ Sein Gesicht war knallrot und er hob abwehrend die Hände. „Aber du kennst sie ja. Sie hat es halt rausgefunden, kaum dass Natsu weg war.“
 

Lucy schnaufte, beruhigte sich aber wieder. Ur hatte eine Art an sich, jedem noch die geheimsten Geheimnisse zu entlocken, vor allem, wenn sie mit Sorgen einhergingen. „Stimmt.“ Trotzdem war sie nicht glücklich mit der Situation.
 

„Sie wird es nicht weitererzählen.“, versprach Gray und sah immer noch verschreckt aus. „Aber sie hat mir das gegeben und gesagt, wenn du jemanden zum Reden oder sonst irgendwie Unterstützung brauchst, kannst du zu ihr kommen.“
 

Lucy blickte ihm einen Moment schweigend an, dann seufzte sie und sackte zusammen, so dass sie das Kinn auf die Tischplatte legen konnte. Irgendwie … war das sogar eine Erleichterung, stellte sie nach einem Moment fest. Und vielleicht konnte Ur ihr tatsächlich helfen.
 

Sie war Grays Stiefmutter und ein wirklich außergewöhnlicher, unkonventioneller Mensch, dem es leichtfiel, andere Leute zu akzeptieren ohne über sie und ihre Macken zu richten. Vielleicht lag es daran, dass sie selbst Künstlerin war, deren Werke sich inzwischen ganz gut verkauften, aber die lange genug darum gekämpft hatte, anerkannt zu werden. Lucy hatte sie immer für ihre selbstsichere Stärke und ihre natürliche Furchtlosigkeit bewundert. Layla hätte sie ganz sicher gemocht. Jude dagegen kam überhaupt nicht mit ihr aus.
 

Ur hatte Grays Vater Silver erst vor ein paar Jahren geheiratet und einen Pflegesohn mit in die Ehe gebracht, Lyon, der dieses Jahr seinen Schulabschluss gemacht hatte. Anscheinend hatte sie auch eine leibliche Tochter, doch was mit dieser geschehen war, wusste nicht einmal Gray, denn Ur sprach nie über sie. Vielleicht war sie tot.
 

Lucy konnte sich leicht vorstellen, wie Ur sofort bemerkt hatte, dass Gray sich über etwas Ernsthaftes Gedanken machte, und es ihm entlockt hatte. Auch konnte sie sich nicht vorstellen, dass die Frau das Geheimnis an irgendwen weitertratschen würde; das war einfach nicht ihre Art.
 

Also konnte sie beruhigt sein, ja, sie fühlte sich sehr erleichtert, da sie wusste, dass sie nun von einer erwachsenen Person Unterstützung hatte, die kein Theater aus der Schwangerschaft machen würde. Dass sie sich an jemanden wenden konnte, der ihr wirklich helfen würde, wenn sie es benötigte. So gesehen war diese Wendung nicht so schlimm…
 

Sie warf Gray ein Lächeln zu. „Danke.“, sagte sie nur und ließ die Packung in ihrer Tasche verschwinden, gerade als ihre Klassenlehrerin hereinkam. Gray blickte sie noch einen Moment an und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Dann schüttelte er den Kopf und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Aber Lucy verstand ihn auch so. Auf ihn konnte sie ebenfalls zählen.
 

Warum hatte sie sich eigentlich solche Sorgen gemacht, alles allein stemmen zu müssen? Ihr Vater war eine Sache, aber das hieß nicht, dass sie nicht noch mehr Familie hatte.
 


 

~~*~~❀~~*~~
 

Die Fullbusters lebten in einem einfachen Reihenhaus, das schon ein paar Jahre auf den Buckel hatte und ganz am Ende der Straße lag. Trotzdem sah es gepflegt und gut erhalten aus und die Fenster waren neu. Hinter dem großzügigen Grundstück erstreckte sich der Kardia-Park, sodass man den Weg zwischen ihm und der Dragon’s Garage bequem zu Fuß laufen konnte.
 

Die große, abstrakte Statue im Vorgarten gab dem Besitz allerdings einen außergewöhnlichen Touch, der nicht jedem in der Gegend gefiel, wie Gray immer wieder berichtete, meist einhergehend mit lustigen Anekdoten über aufgebrachte Nachbarn. Lucy hatte sie immer gemocht, erinnerte die Figur sie doch an einen nach oben strebenden Engel, sanfte geschwungene Kurven und nahezu zarte Linien aus Stein, Metall und sanft eingefärbtem Glas, das die Sonne fing. Ur selbst hatte sie geschaffen.
 

Die in das Haus eingebaute Garage stand offen und gab den Blick frei auf ein weiteres Werk Urs, das jedoch erst halb fertig war. Trotzdem juckte es Lucy geradezu unter den Fingern, die weiße Steinstatue näher anzusehen und sich an der lebensechten Detailfreudigkeit zu ergötzen.
 

In der Auffahrt stand nur Urs Harley; Silver war vermutlich noch arbeiten – kein Wunder, immerhin war Donnerstagnachmittag. Der Unterricht war überraschend ausgefallen und während ihre Freunde beschlossen hatten, die unerwartete Freizeit damit zu verbringen, sich gegenseitig zu verprügeln, war Lucy kurzentschlossen hierher gekommen, auch wenn sich in ihrem Magen ein Knoten zusammengeballt hatte, der mit jedem Schritt größer und schwerer geworden war.
 

Doch anstatt Ur öffnete Lyon ihr die Tür, Überraschung auf dem klassisch gutgeschnittenen Gesicht, als er sie erkannte. Sein weißes Haar stand in alle Richtungen ab, als sei er eben erst aus dem Bett gekrochen, doch seine schwarzen Augen blickten wach auf sie hinunter. Er trug nur Jogginghosen und ein einfaches, wenn auch ein bisschen zu enges Tank Top, das seine muskulösen Arme gut zur Geltung brachte, und sie halfen nicht, den Ich-bin-gerade-eben-aufgestanden-Look abzuschwächen.
 

„Hi, Lucy.“, begrüßte er sie und trat beiseite, damit sie eintreten konnte. Allerdings schob er gleich hinterher: „Gray ist nicht da. Er ist in der Schule – oder sollte dort sein.“
 

„Ich weiß.“, gab sie zu und versuchte ein Lächeln, das etwas zu gezwungen wirkte. Inzwischen war ihr schlecht. Vielleicht sollte sie einfach wieder gehen. „Der Nachmittagsunterricht ist ausgefallen. Ich habe gehofft, ich könnte mit Ur sprechen.“
 

Er verstand offensichtlich nur Bahnhof, aber trotzdem drehte er sich um und brüllte: „Ma! Lucy möchte mit dir sprechen!“ Diese zuckte zusammen ob der plötzlichen Lautstärke und widmete sich ihren Schuhen, um den kleinen Schock zu überspielen.
 

„Einen Moment!“, schrie Ur aus den Tiefen des Hauses zurück und Lucy ließ sich von Lyon in die gemütliche Küche bugsieren, die hellrot und orange gestrichen war, was sich schön mit den Schränken aus Echtholz ergänzte. Unter dem Fenster, das auf den Hof hinausging, stand eine Eckbank und durch die Durchreiche und die offene Tür konnte man in den großen Wohnraum sowie den blühenden Garten dahinter sehen.
 

„Kaffee?“, bot Lyon ihr an und angelte nach seiner eigenen Tasse. Dann schnitt er eine Grimasse. „Sorry, ich hatte Nachtschicht und bin grad erst aufgestanden. Willst du etwas anderes trinken?“
 

Erst wollte sie ablehnen, doch dann entschied sie sich um. Es wäre praktisch, wenn sie etwas zum Festhalten hätte. „Hast du Wasser da?“ Vielleicht würde das ihren Magen etwas beruhigen. Oder sie fragte gleich nach dem Tee?
 

Nachdem er ihr etwas gerichtet hatte, setzten sie sich an den Tisch und plauderten. Lyon war immer in interessanter Gesprächspartner und sie war jedes Mal erstaunt, wie unterschiedlich er und Gray waren. Natürlich waren die beiden nicht einmal verwandt und tatsächlich kannten sie sich noch keine zehn Jahre, aber sie waren eine Familie. Streiten jedenfalls konnten sie sich wie echte Brüder.
 

Lyon würde im Herbst an die Uni gehen, was für Lucy natürlich besonders interessant war, und arbeitete im Moment in einer Fabrik, um sich ein kleines, finanzielles Polster zu schaffen. Natürlich konnte er ihr noch nicht sagen, wie das Leben als Student so war, doch vorher musste sie ja selbst noch an einer Universität angenommen werden und das war ein Thema für sich.
 

Mitten im Gespräch fiel ihr noch etwas auf: Lyon war nicht Urs biologischer Sohn. Bis jetzt hatte das noch nie eine Rolle gespielt, aber jetzt war noch ein anderer Faktor hinzugekommen. Vielleicht … vielleicht konnte Ur ihr einen Rat bei ihrem Dilemma geben, kannte sie die Sachlage von der anderen Seite. Hierher zu kommen war eher ein spontaner Entschluss gewesen, auch wenn sie mit dem Gedanken gespielt hatte, seit Gray ihr das Angebot überbracht hatte.
 

„Ah, Lucy!“, unterbrach eine dunkle Stimme das stockende Gespräch und sie blickte auf. Ur war eine schlanke, jung gebliebene Frau mit kurz geschnittenem, dunklem Haar und schwarzen Augen, die nur wenig größer war als Lucy. Trotzdem nahm sie sie metaphorisch gesprochen viel Platz ein, sie wirkte überlebensgroß allein durch ihre furchtlose, energische Präsenz. Sie war stets forsch und etwas übermütig und sie nahm niemals ein Blatt vor den Mund.
 

„Oh, ähm… Hi.“, druckste die Angesprochene herum und erhob sich, die Finger fest um ihr Glas geschlossen, um nicht nervös mit ihrem T-Shirt-Saum zu spielen. Plötzlich war sie nicht mehr so sicher, ob das eine gute Idee gewesen war. Bis jetzt war sie stets gut mit Ur klar gekommen, doch sehr nahe standen sie sich nicht. Sie war eben die Stiefmutter eines ihrer besten Freunde.
 

Außer natürlich, wenn es um Kunst ging – Ur als Künstlerin hatte natürlich viel über dieses Thema zu sagen. Lucy genoss jegliche Gespräche mit ihr, ihren trockenen Humor und ihre innere Stärke und geradlinige Selbstsicherheit, die in ihr so deutlich waren, dass Lucys stets das Gefühl hatte, etwas davon abzubekommen, wenn sie nur in ihrer Nähe war.
 

„Ich … ich wollte …Gray hat gesagt…“, begann Lucy stammelnd und hätte sich am liebsten selbst geschlagen. Warum war das so schwer?
 

„Ich verstehe.“, unterbrach Ur das hilflose Stottern. „Komm, wir gehen ins Studio rüber.“
 

Lucy warf Lyon einen entschuldigen Blick zu, doch der winkte nur ab. Also folgte sie der Frau durch das Wohnzimmer hinüber in einen hellen Anbau, in dem Ur sich ihre Werkstatt eingerichtet hatte. Der Raum war ziemlich groß und sehr, sehr unordentlich.
 

Direkt neben der Tür stand eine kleine, metallene Sitzgruppe und an den Wänden standen kunterbunt zusammengewürfelte Regale und Schränke, die vollgestopft waren mit allen möglichen Dingen, die Ur für ihre Arbeit brauchte – Werkzeug, Rohmaterial, Farben, Zeichenblöcke für Entwürfe und und und.
 

Der Boden war bedeckt mit feinem Steinstaub und in einigen herumstehenden Kisten stapelten sich Reste und Gestein. Sie arbeitete größtenteils plastisch und in der Mitte des Raumes stand ein Block Alabaster, in dem schon die Grundformen des Endergebnisses zu sehen waren, ein steigendes Pferd, die Vorderbeine hochgeworfen.
 

Über dem Tisch hingen Fotos an den Wänden, offensichtlich Familienbilder – Gray und Lyon, dazu Silver. Auch das Hochzeitsbild des Paares war darunter und ein kleines Mädchen in einem dunklen Kleid, mit zwei Rattenschwänzchen über den Ohren, das aussah wie Ur und das gleiche Grinsen hatte. Ob das Urs Tochter war, über die niemand sprach?
 

„Setz dich doch.“, wies Ur sie an und deutete auf den einzigen freien Stuhl im Raum; die anderen waren belagert mit weiterem Kram. Lucy kam der Aufforderung nach, während die Frau einen zweiten Stuhl freiräumte und sich darauf niederließ. Auffordernd sah sie das junge Mädchen an und schenkte diesem ihre völlige Aufmerksamkeit.
 

Lucy holte tief Luft und wenn sie geglaubt hatte, keine Worte zu finden, so hatte sie sich getäuscht, denn sie platzte sofort hinaus: „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Und ich weiß nicht, mit wem ich darüber sprechen kann. Ich … tut mir leid. Ich sollte dich damit nicht belasten, du hast damit nicht zu tun, aber ich… ich weiß nicht, wo sich sonst hingehen soll…“ Ihre Stimme wurde immer leiser und verklang schließlich kläglich.
 

Ur legte ihr eine tröstende Hand auf den Arm und lächelte ihr zu. „Du belastest mich gar nicht. Ich hätte dieses Angebot nicht gemacht, wenn ich es nicht ernst gemeint hätte, okay?“ Sie setzte sich wieder gerade hin und verschränkte die Hände auf dem Tisch. „Ich weiß, dass du nicht sehr viele weibliche Ansprechpartner hast, die auch noch erwachsen sind und keinen Aufstand machen werden. Sowas ist manchmal ganz nützlich. Es tut mir übrigens leid, dass ich dein Geheimnis auf diese Weise erfahren habe. Ich dachte, Gray wäre es, der sich in die Nesseln gesetzt hat, auch wenn ich sicher gegangen bin, dass er sich mit Verhütung auskennt.“
 

Lucy stieß ein abgehacktes Lachen aus. So oft wie Gray seine Freundinnen wechselte, wäre es für einen Außenstehenden nicht verwunderlich, wenn er eine davon schwängern würde. Aber er war tatsächlich beinahe paranoid, was Verhütung anging, und jetzt hatte Lucy den Verdacht, dass das stark mit Ur zusammenhing. Auch wenn es natürlich keine Garantie gegen Schwangerschaft war, wenn man über das Thema Bescheid wusste – Lucy selbst war das beste Beispiel dafür. „Danke für den Tee. Er hilft mir sehr.“
 

„Dachte ich mir fast, für mich hat er Wunder getan.“ Sie lehnte sich zurück und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die begonnene Statue, auch wenn Lucy sicher war, dass sie ganz auf ihre junge Gesprächspartnerin achtete. Doch die war froh um diese kleine Pause, die ihr Gelegenheit gab, sich zu sammeln.
 

„Natsu und ich haben beschlossen, dass wir keine Abtreibung machen wollen.“, sagte sie schließlich. „Aber ich weiß trotzdem nicht, wie das jetzt weitergehen soll. Ich … wir sind … Ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon kann, ein Kind großziehen.“ Sie drehte ihr Glas zwischen den Händen.
 

„Diese Frage stellen sich alle werdenden Eltern irgendwann, egal ob das Kind geplant war oder nicht.“ Ur verstummte für einen Moment und ihr Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Doch das war keine erfreute Geste. „Oder fast alle zumindest.“ Dann zuckte sie die Schultern. „Allein, dass du dir solche Gedanken machst, zeigt doch schon, dass du bereit bist, Verantwortung zu übernehmen, und dass du das Richtige tun willst. Außerdem kenne ich dich. Wenn du es willst, packst du alles.“
 

Lucy lächelte dankbar. Es war eine Sache, so etwas von Erza oder Natsu zu hören, aber eine ganz andere, wenn eine Person mit mehr Lebenserfahrung es ihr versicherte, noch dazu eine, die selbst persönliche Erfahrung mit dem entsprechenden Thema gemacht hatte. Und Ur hatte zwei wundervolle junge Männer großgezogen.
 

Trotzdem platzte sie erneut heraus, als hätte sie heute keinen Verstand-Mund-Filter: „Lyon ist adoptiert, nicht wahr? Ich … kannst du … mir etwas mehr darüber sagen? Über das Verfahren, meine ich und so?“ Sie wollte der Frau nicht zu nahe treten, nachdem diese ihr schon dieses großzügige Angebot zum Reden gemacht hatte.
 

Ur presste die Lippen zusammen. „Lyon ist mein Pflegesohn, das ist etwas anderes als eine richtige Adoption. Außerdem lief das mit ihm nicht ganz so ab wie es das normal tut.“, gab sie zu. „Ich kannte ihn schon, bevor er zum Pflegekind wurde. Er lebte mit seinen Eltern direkt neben mir, früher, noch ehe ich Silver kannte. Er… Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich ihn mit blauen Flecken und Veilchen gesehen habe oder einem Arm in einem Gips.“
 

Lucy schluckte und schlug sich eine Hand vor den Mund. Das hatte sie nicht gewusst; das hatte sie nicht einmal geahnt, ansonsten hätte sie diese doch sehr persönliche Frage nicht gestellt. Wusste Gray überhaupt davon?
 

Ur blickte sie nicht an, ihre Züge waren niedergeschlagen, ein trauriges Lächeln auf den Lippen. „Er hat immer die Äpfel von meinem Baum im Garten gestohlen, um sie in sich hineinzuschlingen. Aber wenn ein Kind vier, fünf unreife Äpfel auf einmal isst, dann ist das nicht normal. Also hatte ich immer etwas im Kühlschrank, das ich für ihn aufwärmen konnte.“ Sie zuckte mit den Schultern und ihre Stimme klang bitter, als sie weitersprach: „Irgendwann hatte ich genug Beweise zusammen, damit das Jugendamt endlich in die Gänge kam. Und dann ist er irgendwie bei mir gelandet.“
 

Für einen Moment senkte sich Stille zwischen sie und Lucy war es unangenehm, überhaupt nachgebohrt zu haben. Aber wer hätte gedacht, dass ihre Frage solche Untiefen auftat? Doch Ur schien es ihr nicht übel zu nehmen, denn sie wandte sich ihr wieder zu und machte eine wegwischende Handbewegung.
 

„Lassen wir das, das ist zu deprimierend und schon lange vorbei.“, erklärte sie resolut. „Ich kann dir allerdings versichern, dass ich eine ganze Reihe Überprüfungen über mich habe ergehen lassen müssen, ehe Lyon endlich zu mir kommen konnte, falls es dieser Aspekt ist, worüber du dir Sorgen machst. Und nebenher habe ich ein paar Dinge über die Abläufe einer Adoption mitgekriegt. Für ein Baby findet sich immer sehr schnell eine Familie, die es liebt und wie ein eigenes Kind aufzieht. In deinem Fall vermutlich sogar, noch ehe es geboren ist. Es sind immer Leute, die finanziell gut genug gestellt sind und ein Kind versorgen können, stabile Verhältnisse, keine zwielichtigen Hintergründe, kein gar nichts. Die sind da wirklich streng und sehr gründlich.“
 

Lucy nickte langsam. Tatsächlich hatte sie viel darüber nahgedacht – es war ihre größte Sorge bei dem Gedanken an eine Adoption. Was, wenn dieses ihr Baby in eine schlechte Familie kam? Vorher würde sie alles andere aufgeben. Natürlich gab es niemals eine Garantie, doch man schien alles dafür zu tun, dass dem nicht so war.
 

„Denk daran, dass du dich noch nicht jetzt entscheiden musst. Du hast noch Monate dafür Zeit.“, wies Ur auf. „Wenn du willst, kann ich dich mit einem Bekannten in Verbindung bringen, der mir damals geholfen hat. Er kann dir mehr darüber erzählen.“
 

„Oh… Nein. Ich … ich weiß es einfach nicht.“ Lucy seufzte schwer und in ihrem Magen breitete sich erneut dieses schlechte Gefühl aus, schwer und anklagend. „Auf der einen Seite will ich es einfach tun, verstehst du? Dann kann ich da weitermachen, wo ich aufgehört habe, als sei alles nie geschehen, und muss die Verantwortung nicht übernehmen und kann einfach so tun, als hätte ich mir dieses Problem niemals eingebrockt. Ich kann sogar sagen, dass ich einem kinderlosen Ehepaar eine große Freude gemacht habe. Auf der anderen Seite… Ich … ich komme mir vor wie ein herzloses Monster, das nur an sich selbst denkt, selbstsüchtig und egoistisch.“
 

Ur nahm ihre Hände und drückte sie tröstend. „Selbst wenn du es aus diesem Grund tun würdest, macht dich das noch lange nicht zu einem Monster.“, versicherte sie. „Aber hier geht es nicht mehr allein nur um dich, das darfst du auch niemals vergessen. Du musst jetzt Entscheidungen für zwei treffen. Das tun, was das Beste für das Baby ist.“
 

„Aber ist ein Kind nicht immer bei den Eltern am besten aufgehoben?“ Schon während sie die Worte dachte, erkannte sie, wie blöd sie waren – hatten sie nicht eben darüber gesprochen, dass dem nicht immer so war?
 

„Nein, ist es nicht und es ist keine Schande darin, sich das einzugestehen.“, versicherte Ur ihr sofort. „Im Gegenteil, es zeugt von großer Stärke, seine eigenen Schwächen zu erkennen und sie zuzugeben, Hilfe anderswo zu suchen. Wenn du wirklich das Gefühl hast, dass du der Aufgabe nicht gewachsen bist, wäre es vielleicht doch das Beste, wenn du sie abgibst.“
 

Lucy nickte langsam. Hilfe holen und annehmen, das war keine Schwäche. Ein Baby war bei ihr sicher nicht so gut aufgehoben wie bei einem liebenden, gut situierten Ehepaar, das sich schon seit Jahren ein Kind wünschte, das mehr Lebenserfahrung hatte und im allgemeinen weniger … jung war wie sie und Natsu, verantwortungsbewusster und einfach bereiter für diese gigantische Aufgabe, die Lucy im Moment so unmöglich erschien.
 

Wieso kam sie sich trotzdem vor, als würde sie diese Entscheidung trotzdem für ihren eigenen Nutzen herbeiziehen wollen?
 

„Womit ich nicht sagen will, dass du in diesem Fall diese Hilfe brauchst.“, erklärte Ur und drückte noch einmal ermutigend ihre Hände, ehe sie sie losließ. „Denke darüber nach. Schreib deine Gedanken auf, mach Listen, die dafür und dagegen sprechen. Überstürze nichts. Ich bin sicher, du wirst zu einem Ergebnis kommen, das dich zufrieden stellt. Und vergiss nicht, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du reden willst.“
 

Lucy atmete tief ein und nickte. „Danke.“, murmelte sie, auch wenn sie eigentlich noch keinen Schritt weiter war. Aber sie fühlte sich nicht mehr ganz so aufgewühlt und durcheinander und der Knoten in ihrem Magen hatte sich beinahe aufgelöst.
 

Darum wandte sie das Gespräch einem anderen Thema zu und richtete den Blick auf das begonnene Kunstwerk in der Mitte des Raumes. „Soll das ein Pferd werden?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ur ist so toll. ❤ Sie hat diese Rolle bekommen, da sie die einzige erwachsene Frau in Lucys näheren Umkreis ist. Allerdings habe ich das Gefühl, dass ihre Szene die 1. überschattet, das war eigentlich nicht der Plan. :/

Ich freu mich natürlich immer über Feedback und bis nächste Woche dann! ^^~ (Aber früher, weil ich das nächste Kapitel jetzt auch noch gleich fertig mache. >.<)
Gruß
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yosephia
2016-09-11T21:21:26+00:00 11.09.2016 23:21
Hach, ich liebe deinen Natsu! Er ist so unglaublich süß und treu und lieb und überhaupt nicht nachtragend, sondern einfach nur besorgt und fürsorglich und... hach! Einfach hach! >/////////////////<

Es hat total gut zu ihm gepasst, dass das Thema für ihn so einfach ist und dass er ganz optimistisch ist, das alles hinzukriegen. So ist Natsu nun einmal! Das macht seinen Charme aus! *~*

Auf der anderen Seite ist es auch vollkommen passend, dass Lucy eben nicht so optimistisch ist und sich viele Gedanken um das Thema Adoption macht. Ihre Gründe dafür und dagegen sind absolut nachvollziehbar und passen auch gut zu ihrem Charakter!

Grays Initiative fand ich sehr süß! Dass er sich dann nicht nur mit Natsu hingesetzt und ihm zugehört hat, sondern sich eben auch gleich um Lucy sorgt und auf seine Weise versucht, ihr zu helfen. GraLu-Broship! *~*

Und die Szene mit Ur fand ich wirklich schön! Sehr einfühlsam erzählt und auch sehr realistisch, dass das Thema Adoption danach nicht einfach so vom Tisch ist. Das ist ja schon eine etwas andere Entscheidung als das mit der Abtreibung, da ist es klar, dass Lucy daran zu knabbern hat. Und schön auch, dass Ur das Thema Adoption als ernsthafte, aber eben nicht als einzige Option behandelt.

Der kurze Ausblick auf Lyons Schicksal war echt schlimm. Er tut mir so schrecklich Leid T___T
(Weiß Gray tatsächlich davon?)

Und ich fand, dass die Ur-Szene keineswegs die erste Szene überschattet hat. Es war ein schöner, fließender Übergang und auch eine gute Lösung, um den nächsten Entscheidungsschritt langsam vorzubereiten, der ja schon in der ersten Szene angedeutet wurde!

Ich freue mich schon riesig auf das nächste Kapitel! *~*


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