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Disappearing Memories

von

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One-Shot

 

„Weißt du noch, als du an deiner Krankheit gestorben bist?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, zuzusehen, wie Rem zugrunde ging. Wie die hübsche kleine Blume verwelkte, weit vor ihrem vorbestimmten Ende. Wie sie alle geweint hatten. Machina vor allem. Er war danach nicht mehr derselbe gewesen.

Schlimmer als der Tod seines Bruders. Schlimmer, als L’Cie des Byakko-Kristalls zu werden. Der Weltuntergang kam so viel schneller, wenn er zerbrochen war.

Er erinnerte sich, wie furchtbar Rem gelitten hatte. Wie sie geweint hatte, nachts, wenn sie niemand hörte, wie sie ihre hilflosen Schreie im Kissen erstickt hatte. Wie sie bis zum Schluss stur hatte nicht einsehen wollen, dass sie krank war, dass sie Ruhe brauchte. Wie ihre Uneinsichtigkeit ihre Kameraden immer wieder in Gefahr brachte, wenn sie mitten auf dem Schlachtfeld strauchelte, beinahe zusammenbrach.

Wie sie am Ende tatsächlich auf dem Schlachtfeld zusammenbrach, zu Boden fiel, unberührt von den feindlichen Soldaten. Sie fiel, um nie wieder aufzustehen.

Der Schock war Grund genug, dass Mutter am Ende dieses Tages fast die halbe Klasse wieder zusammenflicken musste.

 

Rems Blick war pures Entsetzen. Angst. Angst, weil er wusste, was sie vor allen anderen versteckte. Angst, weil sie sich gewiss schon ausmalte, wie genau das passieren würde – wie sie dahinsiechen würde, nutzlos und ein Klotz am Bein, all das, was sie nicht sein wollte.

„Du bist doch krank“, entfuhr es ihr, entsetzt, aber nur eine schwache Gegenwehr. Die Dolche, die sie abwehrend erhoben hatte, ließen Lean nur auflachen, ehe er in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

 

„Weißt du noch, als dein Bruder überlebt hat?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, wenn Izana lebend aus der Befreiungsschlacht hervorgegangen war. Er erinnerte sich, wie anders Machina gewesen war. Wie viel stärker, wie viel weniger verbittert. Aber oh so stolz, immer darauf bedacht, seinem Bruder zu beweisen, wie stark er war, wie fähig. Izana war immer so stolz auf ihn gewesen.

Und wie hart er gearbeitet hatte, der nutzlose Soldat, um im Gegenzug auch seinen kleinen Bruder stolz zu machen.

Chichiri hatte einen Spielgefährten gehabt. Erst einen, dann zwei. Oh, Lean erinnerte sich, wie sehr Ace gut Freund mit diesen beiden Außenstehenden gewesen war. Wie es gewesen war, wenn Machina keinen Grund dazu hatte, Rubrum zu verraten, wie viel friedlicher, wie viel einhelliger Klasse 0 gewesen war. Wie viel einfacher ihr Leben, wo der Rat keinen Raum hatte, ihnen Intrigen entgegenzuwerfen.

Machina war im Pandämonium gewesen. Hatte an ihrer Seite gekämpft.

War mit ihnen gestorben.

Hatte einen Bruder hinterlassen, der in der schlussendlichen Zerstörung der Welt aber genauso untergegangen war wie Klasse 0.

Es war immer so seltsam unpassend gewesen, wenn Izana seinen kleinen Bruder überdauert hatte.

 

Machinas Blick war voller Hass. Izana war ein empfindliches Thema, und genau deshalb sprach Lean es an. Er grinste unter der Kapuze seiner Kutte, während er Machina im Auge behielt, seinen Hass, seine Wut, seine Ohnmacht. Sein Bruder war tot, und er würde immer tot bleiben, zumindest für diesen Machina, und doch würde dieser Machina sich nun bis zu seinem Ende fragen, ob es nicht auch anders hätte sein können.

„Verschwinde!“, brüllte er mit der ganzen Kraft seiner Verzweiflung, doch der Degen, den er aus dem Nichts beschwor, traf ins Leere, genau dort, wo Lean zuvor noch gestanden hatte, ehe er in einem Schauer von magischer Energie verschwunden war.

 

 

 

XIII

 

„Weißt du noch, als du dir selbst die Kugel gegeben hast?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, wenn King die Kraft verlor, um weiterzumachen. King, im Hintergrund die schweigende Stütze, der große Bruder für Klasse 0, den sie alle brauchten, ohne ihn bewusst wahrzunehmen. Die Stütze verschwand, mit dem Knall eines Pistolenschusses, nicht für immer, nein, wieso? Er konnte doch zurückgeholt werden.

Aber nichts war mehr, wie es sein sollte.

Die Stütze war fort. Der große Bruder ein Wrack. Dass King, der ruhige, besonnene, vernünftige King, zu so einer Kurzschlussreaktion fähig war, erschreckte seine Geschwister jedes Mal wieder, erschütterte sie bis ins Mark. Wie amüsant es war, wenn sie begannen, auf leisen Sohlen umeinander herumzuschleichen, fürchtend, wieder eine Explosion hervorzurufen mit einem falschen Wort.

Und natürlich fühlte King sich schuldig. Natürlich machte das alles nur noch schlimmer. Wie viele Kugeln hatte Kings Kopf schon gesehen? In einem Durchlauf allein? Zu viele, als dass Lean sich je die Mühe gemacht hätte, sie zu zählen.

Das wacklige Fundament Klasse 0 hatte nie jemanden retten können. Aber machte es denn einen Unterschied? Am Ende wurden die Karten doch ohnehin nur neu gemischt.

 

Kings Blick war voller kalter, berechnender Wut, doch hinter dem eisigen Lodern verbarg sich etwas, das Lean ein Grinsen ins Gesicht trieb. Angst? Ertapptheit? Schuld? Natürlich, Gedanken, die einmal existiert hatten, kamen wieder. Noch war King stark genug, sich ihnen zu erwehren. Würde das so bleiben? Hatte Lean ihn gerade nicht einmal absichtlich zurückgetrieben auf den Pfad, der so viel kaputtmachte?

„Halt den Mund“, knurrte er scharf, und Lean hielt den Mund, grinsend, und sein Grinsen war das letzte, das verblasste, als er unter Kings Kugelhagel in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

XII

 

„Weißt du noch, als du die Antworten wusstest?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, wenn Queen unter der Erkenntnis ihrer Existenz zerbrochen war. Queen, so klug, so wissbegierig, so scharfsinnig. Es war Mutters Fehler gewesen, zu glauben, sie sei bereit für das Geheimnis um ihr eigenes Leben. Sei bereit für den ewigen Kreislauf des Wahnsinns. Vielleicht hätte sie einen Weg finden können? Vielleicht war es besser, wenn zumindest einer von ihnen wusste, was ihnen blühte, damit sie gezielter dagegen kämpfen konnten?

Mutter hatte längst aus ihren frühen Fehlern gelernt.

Natürlich war Queen unter der Last zerbrochen. Jedes Mal. In ihrer ganz frühen Zeit hatte sie noch versucht, ihr Wissen zu teilen. Die Erinnerung war verloren, der Instinkt geblieben, und dann hatte sie geschwiegen, still gelitten. Und mit jedem Mal, das sie den Mund gehalten hatte, begann der Wahnsinn mehr an ihrem Geist zu nagen.

Es hatte kaum einen Unterschied gemacht. Das Resultat war dasselbe geblieben. Der Weg kaum verändert.

Und trotzdem suchte Queen sie heute wieder. Die Antworten.

Sie lernten einfach nicht dazu.

 

Queens Blick war abweisend, herablassend, ein blitzendes, gefährliches Funkeln, und trotzdem stand sie noch hier. Wog sie den Preis ab, der mit diesen Antworten kommen mochte? Stellte sie sich vor, wie es sein würde, zu begreifen, wie die Welt sich drehte? Ihrem Gebaren nach zu urteilen schien sie immer noch zu glauben, dass Wissen der Schlüssel zum Ende ihrer Misere sein könnte.

„Ich brauche deine Antworten nicht“, entgegnete sie triefend vor Arroganz, das schlanke Schwert längst in den Händen. Leans Lachen verhallte erst, lange nachdem er selbst schon in einem Schauer von magischer Energie verschwunden war.

 

 

 

XI

 

„Weißt du noch, als du zu schnell warst?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich daran, wie es gewesen war, als Jack noch über das Schlachtfeld geschossen war wie ein Blitz, die blutige Klinge in den Händen und hinter sich zurücklassend eine Spur aus Leid und Leichen. Oh, es hatte so vieles einfacher gemacht, so viel Kraft, so viel Geschwindigkeit, so nützlich, um den Feind auszuhebeln. Sie waren ein gutes Team gewesen, Jack und Eight, einer tödlicher als der andere, beide gnadenlos, beide schnell. Erst mit Klingen, dann mit Klingen und Fäusten.

Und heute… gar nicht mehr.

Jack war so gefährlich gewesen.

Für seine Kameraden.

Er war nie vorsichtig gewesen. Oder bedacht. Nicht im Leben, nicht im Krieg. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es schief ging.

Ein abgeschlagener Arm, der nicht abgeschlagen gehörte, war der Grund, weshalb Jack zum ersten Mal in seinen Leben innehielt.

In Bewegung kam er danach nur nie wieder.

 

Jacks Blick war eine Maske aus gutgelauntem Grinsen, was dahinter war, war unerkennbar. Wie immer. Er lachte, völlig unbekümmert. Wie immer. Lean war noch nie gut darin gewesen, in seinen Kopf zu gucken. Wie gern er es gerade getan hätte.

„Klingt total verrückt“, gluckste der Junge gut gelaunt, so harmlos – wäre da nicht die schlanke Klinge seines Katana gewesen, die sich aus dem Nichts heraus auf Lean richtete. Mit einem letzten Grinsen, das genauso undurchsichtig war wie Jacks eigenes, verschwand Lean in einem Schauer von magischer Energie.

 

 

 

X

 

„Weißt du noch, als du dazu gehört hast?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, einen Platz zu haben in Klasse 0. Kadettenuniformen und rote Mäntel zu tragen. Wie anders Tohno damals gewesen war, viel menschlicher und viel weniger göttliche Kraft, die außerhalb jeden normalen Lebens stand. Er erinnerte sich, wie die Mädchen sich zusammengerottet und dumme Streiche geplant hatten, wie Tohno gemeinsam mit den anderen Lästerschwestern den Unterricht überquatscht hatte. Wie sie nachmittags über den gleichen Hausaufgaben brütete und ächzte wie die anderen.

Sie war ein Mensch gewesen.

Genau wie er.

Sie hatte Freunde gehabt. Familie. Wie oft war sie bei Mutter gewesen, nur, um eine Tasse Tee zu trinken?

Sie war gestorben, als eine von ihnen, gekämpft bis zum Schluss, und immer wieder gescheitert.

 

Tohnos Blick war unbeeindruckt und kühl. Es war ein Gespräch, das sie immer einmal wieder führten, alle Jahrtausende, und schon an ihrem Blick wusste Lean, dass sich seit dem letzten Mal nichts geändert hatte. Und es würde sich bis zum nächsten Mal nichts ändern. Oder dem Mal danach. Ihr Platz war inzwischen fest in Stein gemeißelt.

„Natürlich erinnere ich mich“, erwiderte sie gelassen. Wie könnte ich auch vergessen?, fügte ihr Blick hintenan, ehe sie sich kopfschüttelnd von Lean abwandte. Heute hatte sie eine andere Familie, doch wie schwer war es, sie wertzuschätzen, wenn man wusste, dass man sie um Äonen überdauerte? Tohno rümpfte die Nase, als Lean in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

IX

 

„Weißt du noch, als da niemand war, um dich aufzuhalten?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, als Klasse 0 noch als Einzelpersonen statt nur in Kleingruppen agiert hatte. Es hatte gut funktioniert, die meiste Zeit. Sie waren dafür ausgebildet, waren kompetent und mächtig, warum also nicht?

Dass das Problem in so manch einer Persönlichkeit lag, war im Vorfeld doch nicht zu ahnen gewesen.

Aber Nine war einfach zu hitzköpfig, zu spontan, zu gedankenlos. Preschte voran, mit dem Kopf durch die Wand, sehenden Auges in den Tod und traf aus dem Bauch heraus eigentlich immer die falsche Entscheidung.

So viele ruinierte Missionen. So viele unnötige Tode, die Mutter dann hatte ausbügeln müssen.

Oft genug hatten sie es nicht einmal bis zum Weltuntergang gemacht. Nicht nur wegen Nine, natürlich, aber er hatte einen beträchtlichen Beitrag geleistet in seiner Gedankenlosigkeit.

Heute war es wirklich besser – auch wenn es immer noch keinen Unterschied machte.

 

Nines Blick war eine Mischung aus fast schon prinzipiellem Ärger und Verwirrung, die aber schnell in Protest umschlug, als ihm dämmerte, dass die vorangestellte Frage seinen Stolz beleidigte.

„Oi! Niemand kann mich aufhalten!“, plärrte er missgelaunt, und schon im nächsten Moment hatte er die Lanze in der Hand, die Spitze drohend auf Lean gerichtet. Weniger Bedrohung, als so manch anderer, doch Lean riskierte es trotzdem nicht, verschwand lieber in einem Schauer von magischer Energie.

 

 

 

VIII

 

„Weißt du noch, als du noch ein Schwert getragen hast?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, Eight mit einer Klinge in der Hand in die Schlacht ziehen zu lassen. Was für ein mörderisches Monster er gewesen war. Gnadenlos, kalt, ohne jeden Skrupel hatte er mehr Soldaten auf dem Gewissen gehabt als der Rest der Klasse. Aus jeder Schlacht war er blutverschmiert zurückgekehrt, doch nie war es sein eigenes Blut gewesen, das seine Kleidung tränkte.

Wie im Rausch war er gewesen. Blind für seine Umgebung, hatte niedergemetzelt, was ihm in den Weg gekommen war.

Wieder und wieder. Töten. Vernichten. Instinktgetrieben und brutal.

Bis seine Klinge durch vertrautes Fleisch stieß und tötete, was er eigentlich um jeden Preis beschützen wollte.

Wie viel Emotion der eiskalte kleine Soldat auf einmal hatte zeigen können.

Er war zerbrochen an dem toten Körper eines geliebten Menschen.

Wenn er eine Klinge in der Hand hielt, endete es immer gleich. Das letzte Leben, das er nahm, war sein eigenes.

 

Eights Blick war eiskalt, gefährlich darin, dass er völlig ruhig war. Er reagierte nicht impulsiv. Er glaubte Lean nicht. Er sah die Skepsis in den roten Augen. Gleichzeitig aber… er erwog die Möglichkeit, ganz der Denker, der er war. Jede Möglichkeit in Betracht ziehen, jede Eventualität abwägen. Wer wusste schon, ob er es nicht einmal gebrauchen könnte? Lean wusste es. Eight hatte nichts davon, außer einer Saat des Zweifels, die ihn vielleicht wieder zurück zu kaltem Stahl und ungewollten Toden treiben würde.

„Daran brauche ich keine Erinnerung“, erwiderte er leise, aber eindringlich. Eindringlich genug, dass Lean wusste, dass er hier mit weitaus mehr Gefahr spielte, als gesund für ihn war. Er riskierte es nicht, Eight auch nur die Gelegenheit zu geben, die Fäuste zu heben, ehe er in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

VII

 

„Weißt du noch, als du ein Kind bekommen solltest?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, wenn Sevens Bauch mit der Zeit anschwoll. Die Mädchen waren ganz aus dem Häuschen gewesen von dem Anblick, waren um sie herumgeschlichen mit entzückten Gesichtern und hingerissenem Kichern. Ein Baby. Eine Zukunft. Sie hatten sich eine Zukunft ausgemalt, aus der irrsinnigen Annahme heraus, dass dieses Kind überleben würde.

Natürlich hatte es nie überlebt.

Wie sollte es überleben mit einer Mutter, die ihr Leben auf dem Schlachtfeld verbrachte?

Selbst wenn Seven nicht starb, das Kind, das in ihr heranwuchs, war so viel zerbrechlicher, das kleine Leben so viel leichter zu zerstören.

Es wurde kein einziges Mal geboren.

Der Ablauf war immer der Gleiche – das Kind starb. Dann starb Sevens Lebensmut. Sie wurde still, zurückgezogen. In sich gekehrt, tieftraurig. Obwohl sie, natürlich, jedes Mal vergaß, dass da dieses Kind gewesen war, saß die Wunde zu tief, um durch Vergessen zu heilen. Sie starb, noch früher, als es nötig gewesen wäre.

 

Sevens Blick war ruhig, eine Spur vorsichtig und deutlich misstrauisch. Abwägend, nicht taktierend, aber Antworten suchend. Lean sah, dass sie seine Worte in Erwägung zog, sich vorstellte, wie es gewesen sein mochte, sein könnte, und wie sie gleichzeitig in seinen Worten zu ergründen versuchte, wer er war und was er wollte. Sie suchte zwischen den Zeilen, statt darin, suchte in dem Gesicht, das im Schatten der Kutte verborgen war, so wie immer. Empathie und Einfühlungsvermögen waren Sevens Stärke, doch hier würde sie damit nicht weiterkommen. In ihrem Blick flackerte kurz etwas auf, das beinahe sehnsüchtig aussah – Sehnsucht nach dem Kind, das nie geboren werden würde.

„Ich will es nicht wissen“, antwortete sie so ehrlich und offen, wie keiner von ihnen es sonst tat. Sie beschwor ihre Peitsche nicht, doch Lean befand dennoch, dass sie genug geplauscht hatten, und er verneigte sich spöttisch, ehe er in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

VI

 

„Weißt du noch, als du sie geliebt hast?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, als Sice sich statt dem Misstrauen und dem Menschenhass der Liebe zugewandt hatte. Sie war ein anderer Mensch gewesen, voller Liebe und Zärtlichkeit, zweifelsohne versteckt hinter der rauen Fassade, aber trotzdem da. Sie hatte so viel mehr gelacht.

Es war gut gewesen.

Es war eine Stimme weniger, die negativ gegen die ganze Akademie wetterte, eine Stimme weniger, die Ärger und schlechte Laune brachte.

Es war so lange gut, bis sie den Mund aufmachte und ihre Gefühle verbalisierte. Seven hatte sie nie erwidert, all die Male, die das Schauspiel sich wiederholt hatte. Sie hatte einen höflichen, aber bestimmten Korb vergeben.

Sice war niemand, der Ablehnung gut aufnahm. Ablehnung wurde Ärger, Ärger Wut und Wut wurde grenzenlose Mordlust, die sich gegen alles und jeden richtete, der ihr und ihrer Sense zu nahe kam, sobald sie auf dem Schlachtfeld stand. Sie wurde unkontrollierbar. Es machte den Weg zum Weltuntergang unterhaltender, keine Frage. Lean mochte es.

Aber ein bisschen tat es ihm fast Leid.

 

Sices Augen sprühten Funken vor Hass, doch es lag ein Schimmern in ihnen, das beinahe ertappt wirkte. Sie wusste – ahnte zumindest – wovon er sprach. Selbst, wenn es keine tiefen Gefühle waren, sie konnte zusammensetzen, auf wen er sich bezog, da war Lean sich sicher. Hatte er da den ersten Grundstein gelegt dafür, dass das alte Liebesdrama sich wiederholen würde? Das letzte Mal war lange her, wo er darüber nachdachte.

„Du hast nen Schaden“, schnauzte sie unwirsch, und in einer einzigen, eleganten Bewegung hatte sie ihre Waffe gezogen und hätte noch im Ziehen Lean zweigeteilt, wäre er nicht vorher lachend in einem Schauer von magischer Energie verschwunden.

 

 

 

V

 

„Weißt du noch, als du erwachsen warst?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, als Cinque nicht das geistige Baby von Klasse 0 war, sondern genauso reif und erwachsen wie Seven. Sie war vernünftig gewesen, scharfsinnig auf eine hinterlistige Art, die weder die regeltreue Queen, noch die sanftmütige Seven erreichen konnte, und ihr Witz und ihre Intelligenz hatten so manches Leben gerettet. Oh, für Klasse 0 waren es gute Zeiten gewesen, denn sie hatten eine emotionale Stütze mehr gehabt, hatten weniger Sorgen gehabt, weil Cinques Kleinkindgebaren fehlte.

Es hatte ein einziges Mal gereicht, dass es zerbrach, um für immer zu zerbrechen.

Cinque war fragil gewesen. Ein Mal, dass sie in einem Meer aus Blut und Leichen stand, umringt von zahllosen toten Soldaten und Kadetten, ihre Geschwister teilweise nicht mehr als abgetrennte Körperteile, obwohl es ihre Verantwortung gewesen war, für den Erfolg der Mission zu sorgen, hatte gereicht. Ihr Verstand war zerborsten wie ein zu Boden fallendes Glas, in unzählige Scherben, und was übrig geblieben war, war dieses Kind, das sein eigenes Leben nie begriff.

 

Cinques Augen strahlten vor verständnisloser Neugier. Sie blinzelte, legte den Kopf schief, erst auf die eine, dann auf die andere Seite. Sie verstand nicht.

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, singsangte sie nachdenklich. Sie sah so unschuldig aus, dass Lean beinahe die Reflexe ihres Körpers hätte verdrängen können; der schwere Streitkolben ging dennoch ins Leere, traf genau dort, wo Leans Gesicht gewesen war, bevor er in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

IV

 

„Weißt du noch, als du nach Hause zurückgekehrt bist?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, wenn Cater Klasse 0 den Rücken zukehrte und nach Byakko zurückkehrte, nach Ingram, zu ihrer Familie, zu ihrem Bruder. Sie war mächtig dort. Eine Magierin, nicht gebunden an die Macht eines Kristalls, die schon immer gelernt hatte, Magie und Technologie zu verbinden. Sie hatte ihre Kameraden verraten für eine Heimat, an die sie sich nicht erinnerte, aus einem Impuls heraus, der jedes Mal albern und undurchdacht gewesen war. Sie hatte ihren Weg unbeirrbar verfolgt.

War in den Krieg gezogen gegen ihre ehemaligen Freunde.

Hatte sie getötet, wieder und wieder, denn sterben konnten sie schließlich nicht.

Sie hatte nie gemerkt, wie viel Schaden sie damit anrichtete. Wie viel Leid. Wie viele Tränen vergossen wurden wegen der verlorenen Schwester, und mit wie viel Unglück es einherging, dass keiner von ihnen am Ende noch die Waffen gegen sie erheben wollte. Es war eine ganz andere Art von Weltuntergang, die es heraufbeschwor, doch das Endresultat war dasselbe wie immer – die Welt ging unter, das Rad des Schicksals drehte sich erneut. Es machte keinen Unterschied.

 

Caters Augen waren zu schmalen, genervt-misstrauischen Schlitzen verengt. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf schief gelegt, und der Blick, mit dem sie Lean musterte, hätte auch an eine besonders komplizierte Schulaufgabe gerichtet sein können. Sie versuchte, zu entschlüsseln, was er sagte. Zu verstehen. Ob sie sich vorstellte, wie es wäre, dieses ominöse zuhause? Reichte der Gedanke, damit sie auch dieses Mal dort blieb, falls sie denn davon erfuhr?

„Ich bin doch zuhause“, erwiderte sie irritiert, doch da schwang ein leiser Nachhall von Zweifel in ihrer Stimme mit. Lean lachte, und sein Lachen vermischte sich mit den Schüssen aus ihrer Kristallitpistole, während er in einem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

III

 

„Weißt du noch, als du sie verraten hast?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, zuzusehen, wie Trey Klasse 0 nicht nur den Rücken kehrte, sondern sie schamlos verkaufte. Er tat, was er für das Beste hielt, und in einigen Varianten dieses ewiggleichen Spiels war in seinen Augen das Beste gewesen, seine Familie zu verkaufen, um sein Gesicht zu wahren. Oh, Lean fand es köstlich unterhaltend, wenn Trey alles wegwarf, um sicherzugehen, dass er nicht geächtet wurde, nicht verachtet für das, was er tat.

Dass er dabei von denen verachtet wurde, die ihm eigentlich wichtig sein sollten, sah er nicht.

Treys Fehlen war ein Schlag für Klasse 0. Nicht nur, weil er ihr Vertrauen erschütterte, sondern weil damit schlussendlich ein wertvoller Denker verschwand, der, auch wenn umständlich ausschweifend, in so mancher Situation hilfreich gewesen war. Ace konnte die Lücke nicht ausfüllen. Eight auch nicht. Sie waren kopfloser, als es gesund war, und sie zerfielen so viel leichter, wenn nicht nur die Planung erschwert wurde, sondern sie sich auch noch ihrem ehemaligen Kameraden in Feindschaft gegenübersahen.

Wenn Trey in diesen Momenten starb, starb er endgültig. Einen Verräter holte Mutter nicht zurück.

 

Treys Blick war voller Ablehnung und Eiseskälte. Er traktierte Lean durchdringend mit Augen wie Eis und einem ablehnend verzogenen Mund. Er glaubte es nicht. Dieser Trey hier konnte es sich nicht einmal vorstellen. Wie süß.

„Du irrst dich“, hob er an, und alles an seinem Gebaren und seinem Tonfall sagte, dass er weiterreden würde, noch während er seinen Bogen beschwor. Lean hörte seine Stimme noch, doch die Worte gingen unter, als er in dem Schauer von magischer Energie verschwand.

 

 

 

II

 

„Weißt du noch, als da keine Musik war?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, als Deuce eine gewöhnliche Kriegerin gewesen war, die mit gewöhnlichen Waffen kämpfte. Ihre Persönlichkeit war sanft gewesen, wie sie es auch heute war, und sie hatte sich dadurch nicht verändert, und trotzdem war alles anders gewesen.

Man sollte nicht meinen, was für einen Unterschied Musik machte. Doch die Waffe, die keine Waffe war, hatte so oft Tränen getrocknet und Verzweiflung gelindert, dass Lean es nicht mehr zählen konnte. Bevor sie gewesen war, war das Tränentrocknen so viel schwerer gewesen, die Verzweiflung so viel stärker. Man war reizbarer, wenn man im Krieg lebte und bei allem Krieg keine andere Zuflucht hatte.

Sie hatten so herrlich oft gestritten.

Irgendwann war ihr die Flöte in die Hände gefallen. Es war Zufall gewesen, und sie war nicht einmal gut im Spielen, doch die Töne, so unstet und falsch sie auch waren, schenkte Hoffnung, als sie alle am Boden waren.

Die Erinnerung daran war längst verloren.

Die Flöte blieb.

 

Deuces Blick war für die Situation unangemessen freundlich. Sie sah Lean bestimmt an, aber in ihren Augen war weder Ablehnung noch Ärger. Sie lächelte. Ein sanftes, behutsames, höfliches Lächeln, wie Lean es an ihr schon viel zu oft gesehen hatte.

„Daran möchte ich mich nicht erinnern“, erklärte sie sanft, aber fest. In ihrer Hand materialisierte sich die Flöte, noch während sie sprach. Ob es nun ein Reflex war, eine Versicherung an sich selbst, dass die Musik  noch da war, oder schlicht der Wunsch nach einem Angriff, Lean ließ es gar nicht erst drauf ankommen; lieber verschwand er in einem Schauer von magischer Energie.

 

 

 

I

 

„Weißt du noch, als du aufgegeben hast?“

 

Lean erinnerte sich.

Er erinnerte sich, wie es gewesen war, wenn die ganze Klasse zusammengebrochen war, weil Ace sie nicht zusammengehalten hatte. Wie Unfriede und Zweifel ihren Weg in die Herzen von Klasse 0 gefunden hatten, nur weil dieses eine Zahnrad im Getriebe nicht mehr funktionierte.

Er wusste noch, wieso.

Es war immer Izanas Schuld gewesen.

Manchmal war zu viel übrig geblieben von der Freundschaft, die den einfachen Soldaten mit dem angedachten Weltenretter verbunden hatte. Manchmal war genug übrig geblieben, um Aces Herz zu zertrümmern, und was übrig blieb war eine leere Puppe, die Befehle ausführte, aber längst den Antrieb verloren hatte, um zu leben.

Oh, keine Frage, Lean hatte es immer gemocht. Wenn Klasse 0 schon vor dem Ende zerbrach, war der Durchlauf kürzer, und seien es nur ein paar Monate. Lean schätzte es wert, wenn Ace zerbrach.

Und es hatte immer etwas faszinierend Amüsierendes gehabt, zu sehen, wie seine ehemaligen Geschwister sich gegenseitig in den Ruin trieben mit ihrem Verhalten.

Es machte doch ohnehin keinen Unterschied, ob sie starben oder starben.

 

Aces Blick war wie er selbst – still, bedächtig, ruhig, doch in seinen Augen brodelte etwas, das Lean nicht erkennen und begreifen konnte. Ein Gedanke, der Lean verborgen blieb. Die Vorstellung, wie es wäre, aufzugeben, hinzuschmeißen? Aber Lean fand keine Hoffnungslosigkeit in Aces Blick. Nur… Trauer.

Mitleid? Er runzelte unwillig die Stirn, als Ace den Mund aufmachte, um zu sprechen:

 

 

 

 

„Weißt du noch, als wir uns geliebt haben?“

 

Lean erinnerte sich nicht.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hampelmann
2016-07-25T20:13:10+00:00 25.07.2016 22:13
Du bist absolut awesome!
Und diese FF ist es auch, auf allen Ebenen.
Angefangen bei diesem Aufbau. Dass du es wirklich bei fucking 15 Charakteren geschafft hast, diesen immergleichen Aufbau beizubehalten, diese Reihe aus Spott, Erinnerung und Reaktion, ist so genial!
Natürlich ist es zwar natürlich wiederholend dadurch, aber nicht eintönig selbst in den ähnlichen Abschlusssätzen, sondern ein leitfaden, ein immerwährendes Drehen des Schicksalsrades, ein Spiel nach den gleichen Regeln... einfach nur cool.
Und dann die Erinnerungen selbst. Nicht nur für jeden Charakter etwas vollkommen individuelles gefunden zu haben, sondern auch noch etwas individuelles, das auch passt, dass in Canon, Andeutungen oder Ahnungen seine Berechtigung findet, das einfach rund ist in dieser Welt. Man weiß ja, wie sehr die vergessene Vergangenheit doch die Charaktere immer wieder beeinflusst hat, und du hast es wirklich gelungen aufgegriffen und eingeflochten, wieder und wieder (FUCKING 15 MAL!!!), und Szenen gefunden, die man einfach so in den Canon hinein stellen könnte, und es würde niemand besser wissen.
Und nicht zuletzt natürlich Ace. Ace, der Kleber, der alles zusammenhielt, der sanfte, liebevolle Ace, der wunderbare Zwerg und sein viel zu großes Herz.
Und Lean der Idiot hat ihn vergessen. Es hat mir das Herz gebrochen! Aber es war so wunderschön, und ich will mir so sehr wünschen, dass Leans Reaktion nicht in einem verschwinden von Ace enden muss, sondern dass sie alle irgendwann, irgendwo ihr Happy End finden, mit Baby, mit Familie, mit Liebe...
Aber bei Type-0 ist das wohl vergebliche Hoffnung :'D
Ich träume trotzdem davon.
Und Lean auch.

Ich liebe dich.
Antwort von:  Puppenspieler
25.07.2016 22:16
Haha... :'D
Ich bin sehr froh, dass es dir gefällt. ♥
Das Ding lag ja schon seit über nem Jahr hier herum und wollte fertig werden, gestern hab ichs zufällig ausgebuddelt und dann - ja. Fertig gemacht.
Und das hat sich definitivg gelohnt!*^*

Ich freu mich!

Vielen, vielen Dank für deinen Kommentar!!!

Und das Happy-End, das kommt. Irgendwann. :3 ♥


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