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Unseen Souls

von

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22

Bald darauf saß ich dort und an eine Wand gelehnt, inmitten des Schlachtfeldes auf wenigen hölzernen Brettern und unter einem Dach, das die Schüsse überlebte. Während ich das Innocence absent in der Hand bewegte, betrachtete ich mir die erloschenen Überbleibsel des Kampfes. Sie umgaben mich, als würden selbst die toten Spuren der Akuma noch auf mich lauern. Nein, der Kampf war vorbei.

Kanda war sicher, ich war sicher, ebenso das Innocence. Wie seltsam, dass es sich in meinen Augen dennoch um den denkbar schlechtesten Abschluss handelte.

Ich hatte nicht das Gefühl von Erleichterung, alles in mir war ernüchtert und verbittert und als wollten meine Lippen mich von etwaigem Vergessen fernhalten, taten auch sie noch weh. Oft hob ich die Hand und betastete die Wunde. Was für eine Kraft Kanda noch übrig hatte, um mir diesen Schlag zu versetzen. Körperlich sowie mental. Nichts stimmte mehr.

Marie hatte ihn in eines der Gebäude gebracht. Die Verletzung schien ihn länger zu quälen als ich erwartete und was mich anging, ich geduldete mich. Derzeit telefonierte Marie mit Komui und es dauerte nicht lange, da gesellte er sich zu mir.

„Kanda kehrt in das Hauptquartier zurück“, hob er an. „Was dich angeht, Komui lässt dir zwei Möglichkeiten. Wenn du dir eine weitere Mission nicht zutraust, kannst du mit Kanda zurückkehren.“

„Und wenn ich es mir zutraue?“, fragte ich sofort, denn letztlich konnte ich mir nichts Schlimmeres vorstellen, als Kanda in nächster Zeit noch einmal unter die Augen zu treten. Unser Weg wäre von eisigem Schweigen und verächtlichen Blicken erfüllt und somit etwas, das ich derzeit nicht ertrug.

„In dem Fall bittet dich Komui, das Innocence in die Asien-Zweigstelle zu bringen.“

„Das mache ich.“

„Gut.“ Marie lächelte und berührte meine Schulter. „Dann gehst du eben nach dieser Mission Nachhause.“

Er reichte mir die Hand und ich ergriff sie. „Du kannst dir Zeit lassen und dich ausruhen. Scheinbar hast du es nötig.“ Er zog mich in die Höhe. „Ich muss mich wieder auf den Weg machen.“

Das war der Abschied.

Er war auf der Durchreise gewesen, durch einen glücklichen Wink des Schicksals in der Nähe und sein Gehör musste ihn anschließend hierher geführt haben und an den Ort, an dem man ihn und seine Kraft brauchte. Es war einer der seltenen Momenten, an welchem ich dem Schicksal dankte. Nur ein wenig.

„Danke für deine Hilfe.“

„Wir sind Freunde“, erwiderte er und wie lange sah ich ihm nach, nachdem er sich abwandte.

Ja, wir waren Freunde. Wir halfen einander, retten einander und taten es, weil es selbstverständlich und richtig war. Wie konnte Kanda nur soviel anders denken?

Ich wusste es nicht, doch der Weg, der vor mir lag, würde mir genug Möglichkeit bieten, zu grübeln.

Ich brach sofort auf, denn es war gut, sich hier und jetzt zu trennen.

Ich tat nur wenige Schritte, zurück in das weiße Nichts, das die Stadt umgab und zurück zu jener Haltestelle, von der Kanda und ich gekommen waren. Ein langer und beschwerlicher Marsch lag vor mir, doch mir blieb Zeit, wie Marie sagte, also sah ich es erst einmal auf die nächste Stadt ab. Dort würde ich pausieren, schlafen und essen, denn in meinem derzeitigen Zustand würde ich Asien nicht erreichen.
 

Entgegen der Schwäche und Erschöpfung ging ich dennoch zügig, legte Wert darauf, die Haltestelle zu erreichen, bevor ein weiterer Schneesturm auf den glorreichen Gedanken kam, loszuschlagen und mir jeden Schritt zusätzlich zu erschweren.

Als ich mein Ziel erreichte, sank ich ermattet auf die Bank, nicht dazu fähig, den Plan zu studieren. Wenn ein Zug kam, dann bemerkte ich es schon. Lieber schloss ich für einen Moment die Augen, streckte die Beine und vergrub mich in meinem Wintermantel. Meine Pause dauerte nicht lange an, bevor ich das Rauschen und Rattern des sich nähernden Zuges vernahm und die Augen öffnete.

Wohin er fuhr, das war mir egal. Es würde jedenfalls eine Stadt sein und wie ich von dort aus Asien erreichte, war das Problem des nächsten Tages. Heute interessierten mich all diese Dinge nicht mehr.

In einer warmen und windstillen Kabine gönnte ich mir schon die eine oder andere Stunde Schlaf und stieg etwas wackelig aus, als der Zug nach zwei Stunden einen großen Bahnhof erreichte.

Ich wusste nicht, wie die Stadt hieß, hatte nur Augen für eine Unterkunft und fand diese auch rasch. Sie

hatte nicht viel zu bieten, doch ein Bett genügte mir und wie erschöpft ließ ich mich kurz darauf fallen.

Ein tiefer, schwarzer und warmer Schlaf überkam mich binnen weniger Momente und als ich am späten Nachmittag des nächsten Tages die Augen öffnete, fühlte ich mich um einiges wohler.

Mein Körper hatte Kraft zurückbekommen, auch mein Kopf war recht klar und unbelastet. Es war wohl eine der wenigen Zeiten, zu denen mir der Schlaf gute Dienste leistete und anschließend ließ ich mir mit allem Zeit. Ich stieg in die Badewanne der Herberge, wärmte mich auf und während ich ein ausgiebiges Essen genoss, hangen meine etwas klamme Uniform sowie der Mantel nahe einem Kamin.

Bald darauf fühlte ich mich bereit für die Reise nach Asien.

Die Länge des Weges verlor an Ernsthaftigkeit, alles verlor seinen Schrecken und wie entspannt trat ich in den Abendstunden aus der Herberge und atmete die frische, kalte Luft.

Der Weg begann und erst als ich im Zug saß, gestattete ich meinen Grübeleien die Rückkehr.

Ich wollte verarbeiten und verstehen, was zwischen Kanda und mir passierte, wollte ihn verstehen und weshalb er so handelte. Seine Beweggründe oder nur Erklärungen für sein abstruses Verhalten, doch so sehr ich auch diese Gedanken wälzte, ich schien nur in immer kompliziertere Gefilde zu driften.

Alle Fragen, die ich mir stellte, konnte ich mir nicht beantworten und es war stets ein- und dieselbe Barriere, die mir dabei in den Weg kam. Die Barriere, Kanda nicht zu kennen.

Was wusste ich schon von ihm?

Nicht einmal den kleinsten Fetzen seiner Vergangenheit.

Er war lange beim Orden. Er und Linali waren wohl unter den ersten gewesen, doch dieser Fakt so undeutlich und unwichtig, wenn man darauf aus war, das Puzzle zusammenzusetzen.

Ich wusste gar nichts. Worüber wunderte ich mich also?

Selbstverständlich konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären. Es traf mich, als wäre ich ein tauber, blinder und stummer Gegenstand. Ich wich nicht zurück, doch prallte es ebenso an mir ab, ohne dass ich in diesem Schlag zu lesen wusste. Möglicherweise war es so beabsichtigt. Möglicherweise würde ich niemals mehr über ihn erfahren und ihn auch niemals komplett verstehen. Und ich hätte mich damit abzufinden. Eine andere Eventualität blieb mir nicht, doch es wäre schwer zu akzeptieren, wo er mich doch in einem so hohen Maß interessierte.
 

Irgendwann erreichte ich Asien und somit mein Ziel. Es hatte sich wenig verändert, seit ich zuletzt dort war, inmitten einer finsteren Zeit und einer gefährliche Gradwanderung, an die ich mich nur ungern erinnerte. Und doch waren sie es gewesen, die mir die zweite Chance schenkten.

Die Wiederherstellung meines kristallisierten Innocence’.

Wie lange hatte dieser Kampf gedauert und wie angenehm war nun diese andere Art meines Besuches. Auch die Menschen wieder zu treffen, die diese schwere Zeit mit mir verbrachten.

„Allen Walker!“ Eifrig schüttelte Bak meine Hand. Er tat es schon seit einer Weile und reserviert lächelte ich. „Was für eine Freude! Wie groß du geworden bist!“ Staunend neigte er sich zu mir, hob die andere Hand zu meiner Stirn. „Ein wahrer Gigant!“

„Das ist freundlich, aber leicht übertrieben“, erwiderte ich und wurde endlich losgelassen. Dafür kassierte ich einen Schlag gegen die Schulter.

„Ich habe gehört, du hast dich gemacht. Wie es nicht anders zu erwarten war.“ Bak lachte und machte den Anschein, nichts anderes zu tun zu haben, als sich mit mir zu befassen. Dabei standen wir inmitten seines Büros, das offensichtlich so einige Arbeit für ihn bereithielt. „Hast du Zeit mitgebracht? Erzähl mir doch ein bisschen was.“

„Was zum Beispiel?“ Ich kratzte mich im Schopf, während er sich Mühe gab, Nachdenklichkeit vorzutäuschen.

„Zum Beispiel“, murmelte er, „wie es Linali so geht.“

Wie nostalgisch.

Hier hatte sich wirklich nichts verändert.

„Ihr geht es gut.“ Ich rümpfte die Nase und musterte ihn resigniert.

„Das freut mich.“ Bak lehnte sich an seinen Schreibtisch. „Und den anderen? Kanda zum Beispiel?“

„Kanda?“ Dass er sich nach ihm erkundigte, wunderte mich. Sofort juckte die Frage in mir, doch ich hatte sie zu unterdrücken, denn hier und jetzt war der falsche Zeitpunkt für Neugierde.

„Ihm geht es bestens.“ Ich schlug meinen Mantel zurück und tastete nach dem Innocence.

Ich hatte keine Lust, über andere zu sprechen und Bak schien es zu begreifen, denn er seufzte kapitulierend und rückte an seiner Mütze. Als sich plötzlich die Tür zu seinem Büro öffnete, spähte er an mir vorbei und als ich eilige Schritte hinter mir vernahm, wandte ich mich auch um.

„Walker!“ Mit ausgestreckten Armen eilte Mr. Wong auf mich zu. Er machte dieses Wiedersehen zu einer dramatischen Angelegenheit und kurz darauf fand ich mich in einer eisernen Umarmung wieder.

„Es ist mir eine Freude, Sie wiederzusehen!“ Er drückte mich innig, ließ mich los und packte mich an den Schultern, um mich zu mustern. Kaum sah er mein Gesicht, da erblichen seine Züge vor Entsetzen.

„Was sind Sie so blass?“, ächzte er. „Essen Sie genug?“

Er hatte ja keine Ahnung. Ich nickte und da lehnte er sich noch näher und verengte die Augen.

„Sie sind verletzt!“

„Ein paar Kratzer.“

„Ihre Lippe“, keuchte er und bevor er an mir zu rütteln begann, löste ich mich aus der Umklammerung und lächelte freundlich.

„Wie lange bleibst du?“, erkundigte sich Bak in diesem Moment. „Ich meine nur“, er schirmte seinen Mund mit der Hand ab, neigte sich zu mir, „Fou würde sich sicher freuen, wenn du vorbeischaust.“

„Das mache ich sowieso“, konnte ich ihn beruhigen. „Ich würde auch eine Kleinigkeit essen, bevor ich mich auf den Rückweg mache.“

„So ist es richtig!“, bezeugte Wong. „Essen ist die Grundlage für gute Gesundheit.“

„Ja.“ Lächelnd nickte ich, übergab das Innocence an Bak und stahl mich im Anschluss unauffällig davon.

„Essen Sie ordentlich!“ Wong streckte mir den Daumen nach. „Und wenn ich nachher die Verletzung in Ihrem Gesicht schnell mit einer antiseptischen Salbe versorgen dürfte...“

„Ich denke, das ist nicht nötig.“

Wong seufzte gebrochen, doch Bak war immer noch bei bester Laune.

„Schau noch mal vorbei, bevor du gehst“, rief er mir nach. „Ich werde dir etwas für Komui mitgeben!“

Ich nickte, tat es noch immer lächelnd und tief durchatmend schob ich mich dann hinaus in den Flur und schloss die Tür hinter mir. Ja, auf Fou freute ich mich wirklich. Meine Dankbarkeit für das, was sie damals für mich tat, reichte bis in die Gegenwart hinein.

Ich begann mich zu orientieren, blieb an der nächsten Kreuzung stehen und sah mich um, lehnte mich nach vorn, lehnte mich zurück und entschied mich am Ende für den linken Weg. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich das Erdgeschoß aufzusuchen und um dorthin zu gelangen, brauchte ich erst einmal Treppen. Um sich in einem solchen Hauptquartier zurechtzufinden, benötigte man vermutlich Jahre.

Ich folgte dem Gang, fand tatsächlich ein Treppenhaus und stieg die Stufen hinab.

„Allen Walker?“

Nur zögerlich erhob sich die Stimme hinter mir. Die Stimme eines Mädchens, an das ich mich natürlich erinnerte und als ich mich umwandte, stand sie wirklich dort. Lou Fa. Sie musste gerade aus dem Gang geeilt sein, den ich hinter mir ließ. Und mit ihr Shifu und Rikei.

„Hallo.“ Ich hob die Hand und unter einem Keuchen klammerte sich Lou Fa um ihre Mappe. Während sie erstarrte, begrüßten mich die beiden jungen Wissenschaftler freudig.

„Wie geht es Ihnen?“

„Es ist also wahr!“ Mit zusammengepressten Lippen starrte Lou Fa zu Boden. „Sie sind hier! Ich wollte es nicht glauben!“

Entspannt kehrte ich zu ihnen zurück und wurde mit großen Augen angestarrt.

„Wie geht es euch?“

„Alles bestens.“

„Jetzt reiß dich zusammen!“ Rikei ließ Lou Fa seinen Ellbogen spüren und mit einem Mal fuhr sie in die Höhe und reichte mir die Hand.

„Freut mich, Sie wiederzusehen!“ Fast hysterisch erhob sich ihre Stimme und irritiert schüttelte ich ihre Hand. Stimmt ja. So war sie schon damals gewesen.

„Alles in Ordnung?“

„Danke für Ihre Sorge! Wirklich, vielen Dank!“ Mit glänzenden Augen erwiderte sie meinen skeptischen Blick. „Mir geht es einfach wunderbar!“

„Das freut mich. Ach.“ Ich wies mit einer knappen Kopfbewegung zur Treppe. „Ich war gerade dabei, mich zu verlaufen.“

„Wo wollen Sie denn hin?“, erkundigte sich Shifu.

„Zu Fou.“

„Ah, natürlich!“ Shifus Gesicht erhellte sich, neben ihm lachte Rikei und Lou Fa starrte mich immer noch an. „Da sind Sie hier völlig falsch.“

Resigniert juckte ich mir den Mundwinkel und folgte einem Wink, der zur anderen Treppe wies.

„Sie nutzen diese Treppe, gehen bis ins Erdgeschoss und dort...“

„Wir“, plötzlich erwachte Lou Fa wieder zum Leben, „wir könnten Sie begleiten!“

„Lou Fa!“ Wieder erreichte sie ein Ellbogen. „Wenn wir gerade etwas nicht haben, dann ist es Zeit.“

„Der kleine Umweg?“ Fast bettelnd wandte sich das Mädchen an ihre Begleiter. „Der winzig kleine Umweg?“

„Ich finde es auch, wenn ihr es mir erklärt“, warf ich ein und während Shifu und Rikei nur nickten, sackte Lou Fa seufzend in sich zusammen.

„Also dann.“ Wieder wandte sich Shifu der Erklärung zu. „Sie gehen ins Erdgeschoss und dann in den kleinen Durchgang, der auf der rechten Seite ist.“

„So kurz?“, staunte ich.

„So kurz.“

„Vielen Dank.“

Lachend winkten die beiden jungen Männer ab. Lou Fa schien zwischen ihnen kleiner und kleiner zu werden und erst als wir uns kurz darauf dem Abschied näherten, fuhr sie wieder in die Höhe.

„Besuchen Sie uns noch einmal?“, wollte sie wissen aber Fragen solcher Art konnte ich nicht beantworten und da verfing sie sich abermals in diesem tiefen, dumpfen Seufzen.

„Na na.“ Feixend tätschelten Shifu und Rikei ihre Schulter. „Ich glaube, wir müssen dann mal weiter.“

„Ich wollte euch nicht aufhalten.“

„Haben Sie nicht.“

„Na dann.“ Ich winkte ihnen und Lou Fa sah nicht begeistert aus, als die beiden jungen Wissenschaftler sie mit sich zogen.

„Jetzt aber schnell“, hörte ich Rikei noch flüstern, bevor die drei in einem nahen Gang verschwanden. „Wir müssen endlich diese verdammten Daten auswerten.“

„Machen Sie es gut!“ Laut erhob sich Lou Fa’s Stimme. „Auf Wiedersehen! Passen Sie auf sich auf und...“

„Das macht er schon“, unterbrach Shifu sie.

Verschämt lächelnd blieb ich stehen, bis ihre Schritte von dem Dröhnen einer nahen Tür verschlungen wurden. Dann wandte ich mich dem beschriebenen Weg zu, ging zügig, hielt mich strikt an die Beschreibung und fand im Erdgeschoss wirklich etwas, das wie ein Durchgang aussah.

Ich schien richtig zu sein und bequem trat ich durch das Gewölbe und erreichte diese große Halle. Die Säulen zu meinen Seiten und vor mir dieses riesige Tor weckten Erinnerungen.

Ich sah mich um, während ich mich dem Tor näherte.

Wie viel Zeit hatte ich mit Fou verbracht? Wie viel hatte sie für mich getan?

Ich versenkte die Hände in den Hosentaschen, hob und senkte die Schultern unter einem tiefen Durchatmen und blieb vor den wenigen Stufen stehen. Dieses Tor.

„Was für ein seltener Besuch!“ Plötzlich erhob sich die resolute Stimme in der Halle und unaufhaltsam breitete sich dieses Lächeln auf meinen Lippen aus. Da war sie.

„Ich wollte nicht gehen, bevor ich hier war“, erwiderte ich und ein leises Schnauben zeugte von Wut.

„Das ist ja auch das Mindeste!“ Mit einem Mal erstrahlte die Oberfläche des Tores in gleißendem Licht. „Wo du ohnehin nie etwas von dir hören lässt, Allen Walker!“

„Tut mir Leid.“ Ich trat einen Schritt zurück und lauschte in die rasch zurückgekehrte Stille.

Zeigte sie sich mir?

Ich blickte diesem gleißenden Licht entgegen, wartete auf ihre Materialisierung, doch mit einem Mal zuckte dieser Schatten hervor und stieß mir entgegen. Er tat es blitzschnell und doch gelang es mir, den kraftvollen Schlag mit der Linken zu parieren. Ich schlitterte zurück, doch hielt dagegen, stets das bekannte Gesicht musternd, das mir so nahe war. Wir gaben uns einem kurzen Kräftemessen hin, bevor sie von mir abließ und mit einem Sprung zurücksetzte. Fast lautlos erreichten ihre Füße den Boden, bevor sie sich aufrichtete und mich mit der mir vertrauten Skepsis musterte.

„Wo ist der mickrige Allen Walker, den ich kenne?“

„Grüß dich, Fou.“
 

Niemand schrieb mir Eile vor und so ließ ich mir Zeit im Asian Brunch.

Es begann mit dem Austausch von kleinen Sticheleien zwischen Fou und mir, gipfelte in einem freundschaftlichen Gespräch und es musste wohl eine Stunde dauern, bevor ich die Halle verließ und Bak abermals besuchte. Es war ein Brief, den er mir reichte und mit diesem im Gepäck und den alten Kräften trat ich letztendlich den Heimweg an.

Dieser Umweg hatte mir gut getan und meine Gedanken auf einen helleren Weg gelotst.

Genau das, was ich nach der Mission mit Kanda nötig hatte.
 

„Was ist das?“ Unschlüssig betrachtete sich Komui den Brief, den ich ihm reichte aber ich wusste es nicht, also zuckte ich mit den Schultern.

„Habe ihn nicht gelesen, ist von Bak.“

„Ah ja.“ Stirnrunzelnd nahm er ihn entgegen und war er gerade noch so interessant, wurde er doch nur zur Seite geworfen, wo er auf einem der vielen Stapel liegen blieb. „Es tut mir Leid, Allen.“ Fast unterwürfig wandte er sich wieder an mich und ich hatte keine Ahnung, was er meinte. „Dass ich dich den ganzen Weg nach Asien geschickt habe.“

„Warum sollte es dir leidtun?“, erwiderte ich. „Es ist deine Aufgabe, mich zu schicken und ich habe die Aufgabe zu gehen.“ Ich hatte keine Lust auf weitere Worte oder überflüssiges Gerede, denn so Leid es Komui auch tat, ich war müde und sehnte mich nach meinem Bett.

Flüchtig hob ich die Hand, bevor ich mich abwandte. Die Reise, die hinter mir lag, hatte ich vielmehr mit Grübeleien und Essen verbracht als mit Schlaf. Stunde um Stunde in verschiedenen Zügen.

Seufzend schlüpfte ich draußen im Gang aus meinem Mantel und streckte mich ausgiebig. Es würde einer der Abende werden, die Seltenheitswert genossen. Ein kleiner Abstecher zum Bad wäre alles, was ich hier und jetzt noch schaffen würde und das nächste Essen hatte Zeit bis zum Morgen.

Wie zermartert war ich und wie gut gelaunt trotzdem. Während meine Beine so schwer wirkten, fühlte ich mich leicht und unbeschwert. Alles schien seine Ordnung zu haben und so umgab mich auch die Umwelt angenehm still und friedlich. Keine Hektik oder laute Gespräche. Es war, als wäre alles nur für mich ausgelegt und wie wusste ich es zu schätzen. Kurz darauf schloss ich die Tür der Baderäume hinter mir und genoss den Duft von Seife, der mir entgegen zog.

Im Nebenraum rauschte eine Dusche aber selbst dieses Geräusch war angenehm. Meine Lippen pfiffen ein leises Lied, als ich die Zahnpasta auf die Zahnbürste drückte. Bei dieser Erschöpfung stand der verdienten Ruhe nichts im Wege. Nicht einmal aufreibende Gedankengänge.

Worüber sollte ich auch grübeln?

Es war alles gut und mein Pfeifen verstummte erst, als ich die Zahnbürste im Mund versenkte und mich auf das Waschbecken stemmte. Im Nebenraum verstummte die Dusche und ich richtete mich auf, fuhr mir durch das Haar und begann anschließend meine Uniform aufzuknöpfen. Bequem putzte ich weiter, streifte mir die Uniform von den Schultern und warf sie hinter mich auf einen Stuhl. Nicht sehr gekonnt und ich verdrehte die Augen, als sie von der Lehne rutschte und zu Boden ging.

Schwerfällig hob ich sie auf und kaute auf der Zahnbürste. Das leise Klimpern einer Gürtelschnalle drang an meine Ohren und irgendwie gefiel mir der Gedanke, hier und jetzt auf Lavi zu treffen, gar nicht.

Mir war nicht danach, viel zu reden oder von Vergangenem zu berichten.

Ich kehrte zum Waschbecken zurück, neigte mich hinab und spuckte aus. Rauschend erhob sich kurz darauf der Wasserhahn und in aller Ruhe begann ich meinen Mund und mein Gesicht zu waschen. Es tat gut und nur beiläufig nahm ich die Bewegungen neben mir wahr.

Jemand trat aus den Duschen, ich streifte mir das Wasser aus den Augen und ein schmerzhafter Stich in meiner Herzgegend machte mich darauf aufmerksam, dass dieser Jemand mir noch unangenehmer war als es Lavi je sein könnte.

Es war Kanda, der an mir vorbeizog.

Das Handtuch um den Hals, schickte er mir einen nur zu erahnenden Blick und wie konzentriert wusch ich mich weiter, als er die Tür erreichte. Es war der falsche Moment, um auf die vergangene Mission zu sprechen zu kommen. Auch der falsche Moment für weitere Vorwürfe oder scharfe Worte.

Viel lieber ertrug ich dieses kurze, kalte Schweigen und hoffte, dass er keine Zeit mit mir vergeudete.

Verstohlen und unscheinbar sah ich ihm im Spiegel nach.

Geh weiter, dachte ich mir indessen. Geh einfach.

Ich verfolgte genau, wie sich seine Hand zur Klinke hob und blind tastete ich neben mir nach einem Handtuch, als er sie hinab drängte und plötzlich inne hielt. Ich hoffte, er hätte etwas bei den Duschen vergessen, doch er stand nur dort und angespannt begann ich mich mit dem Handtuch zu beschäftigen.

Das meinte er doch nicht ernst.

Ich rieb mir das Gesicht, trocknete es ab und als ich erneut in den Spiegel sah, blickte ich in seine Augen.

Er hatte sich zu mir gewandt, die Hand noch immer auf der Klinke und wie eisig war der Schauer, der mich unter der Last seiner scharfen Fixierung durchlief.

„Es gibt eine Unklarheit“, erhob sich plötzlich seine Stimme, „bezüglich der Mission in den Niederlanden.“

Fast entglitt meinen Händen das Handtuch.

Niemals hätte ich es erwartet. Niemals gedacht, dass er mich direkt darauf ansprach!

Was ich mit ihm tat, lag als sichere Gegebenheit bei meinen Akten. Wie überlegen hatte ich mich bislang gefühlt, während er im Dunkeln tappte.

Mit einem Mal war ich angespannt und mir jedes Fehlers, der vertuscht werden musste, bewusst.

Noch immer lasteten seine Augen auf mir und es entging mir nicht, wie sich seine Hand von der Klinke löste. Er hatte es nicht eilig und wie schwer fiel es mir, nur mit den Schultern zu zucken, während das Herz in meiner Brust raste.

„Welche Unklarheit?“ Unnötig hantierte ich noch immer mit dem Handtuch und fuhr über meine Stirn. Und wie wünschte ich mir, ich könnte mich verstecken unter diesem kleinen Stück Stoff.

Dieses zuvor noch nie dagewesene, direkte Gespräch traf mich schmerzhaft, dabei hätte ich eine solche Gelegenheit in jedem anderen Fall endlos begrüßt. Doch das Fundament war gefährlich und seine Absichten unergründlich. Meine Hände zitterten und seine Augen zersetzten mich wie Säure.

„Ich gebe dir jede Auskunft, zu der ich fähig bin“, sagte ich, da er nicht sofort antwortete und wie alarmiert verfolgte ich im Spiegel, wie er zum Leben erwachte. Er löste sich von der Tür, näherte sich mir und unscheinbar drängten sich meine Finger tiefer in das Handtuch.

Nichts war verloren, versuchte ich mir einzureden. Das Lügen lag mir und bisher hatten meine Worte noch jeden überzeugt. Er trat näher, noch näher, und dann versagte mein Atem.

„Du erlaubst.“

Wo war unsere alltägliche Distanz, als er sich zu mir neigte, mir so nahe kam, wie ich es in bewusstem Zustand nie ertragen hätte. Ich war unvorbereitet und blieb meiner Starre treu, als sein Haar meine Wange streifte und seine Nase beinahe die Haut meines Halses. Er zerschmetterte jede schützende Mauer, drang ein in meinen Kern und wie dumpf spürte ich das Schlagen meines Herzens, als er tief einatmete. Ein langer Atemzug erhob sich rauschend in der völligen Stille und ich blinzelte nicht, noch immer auf das Spiegelbild starrend.

Es war, als zeige es ein Bild meiner Fantasie. Wie eine Leinwand, die Sehnsüchte wiedergab.

Kanda war mir so nahe, dass seine Existenz meine eigene zu zermalmen schien. Ich spürte seine Wärme, doch nichts an dieser Situation war gut.

Er nahm meinen Geruch in sich auf und suchte ihn an der richtigen Stelle. Nur einmal roch er, tief und konzentriert und ich würgte ein trockenes Schlucken hinab, als er sich daraufhin schon wieder von mir löste. Er richtete sich auf, wandte sich ab und nur flüchtig meinte ich einen schwer zu definierenden Ausdruck auf seinen Lippen zu erkennen, bevor sich unsere Blicke im Spiegel begegneten.

Nur ein Augenblick. So kurz, dass er der Einbildung entspringen könnte und ich regte mich auch weiterhin nicht. Als er sich abwandte und ging, sich die Tür öffnete und schloss und als er nicht mehr zu sehen war, stand ich noch immer nur dort und starrte in den Spiegel.

Ich meinte, ein Zucken in meinem Gesicht zu spüren, doch selbst meine Züge waren erstarrt.

Stumm öffnete sich mein Mund. Ich fühlte mich, als würde ich fallen, spürte diesen Sturz tief in meinem Inneren und nur stockend gelang es mir, den Mund zu schließen.

Nein.

Ein Zittern durchfuhr meine Hände, bevor ich sie sinken ließ und nun wirklich sterbensbleich vor Grauen wandte ich den Kopf und starrte auf die geschlossene Tür.

Nein.

Meine Knie schienen weich zu werden vor Bestürzung und doch blieb ich stehen und sehnte mich fieberhaft danach, den Moment zurück zu spulen und ihm jede Nähe zu verbieten. Es wäre nicht einmal verdächtig gewesen, wäre ich vor ihm zurückgewichen, doch umso mehr, dass ich es eben nicht tat.

Wie eine gellende Endlosschleife raste diese Tatsache in meinem Kopf.

Er wusste es.

Wie hatte ich damit gerungen, mich unter Kontrolle zu halten, um ihm überlegt zu antworten!

Jeder Frage wäre ich gewachsen gewesen, reich an Fantasie und Verlogenheit, doch mein Geruch blieb ehrlich. Damals war er zu ihm gedrungen. Inmitten dieses ausgebrannten Hauses hatte er ihn in sich aufgenommen und nun erneut gesucht, um sich nicht auf meine Worte verlassen zu müssen.

Er wusste es.

Meinen Körper zog es zur Seite, strauchelnd lehnte ich mich gegen das Waschbecken.

Was für ein widerliches, schweres Gefühl, dass ich meines Vergehens überführt wurde.

Was täte er mit mir, sobald er die Schwere dieser Tatsache realisierte?

Was wären verächtliche Worte im Gegensatz zu dem, was mich erwartete?

Wieder starrte ich zu dieser Tür.

Kam er zurück?

Nein, ich blieb alleine und fühlte mich dabei so nackt, wie ich es ohne Kleidung nicht sein könnte.

Er wusste von meinem Interesse, meiner Begierde und Gnadenlosigkeit!

Und das Training!

Ein Schrecken jagte den anderen. Ich konnte die Tragweite dieses Fehlers kaum realisieren.

Konnte er es sich jetzt erklären, dass ich nur Nähe suchte?

Dumpf trafen meine Ellbogen auf das Waschbecken und binnen der nächsten Momente schüttelte ich immerzu den Kopf. Was erwartete mich nur in den nächsten Tagen?

Mit ihm auf Mission zu gehen, wie hatte ich bisher danach gelechzt und nun ähnelte die Möglichkeit nur noch einem blanken Albtraum. So erinnerte ich mich auch an mein Handeln während der letzten Mission. An mein stures Beschützen und meinen Widerstand entgegen all seiner wuterfüllten Worte.

Nun wusste er, dass ich weitaus mehr verteidigt hatte, als einen Kameraden.
 

-tbc-



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ayane87
2016-11-06T12:11:24+00:00 06.11.2016 13:11
Ich liebe diese Geschichte und freue mich wenn ein neues Kapitel erscheint.
Schreib bitte weiter.


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