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Unseen Souls

von

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7

Ich kehrte in den Ryokan zurück. Kanda nahm sich Zeit und ich wusste wofür.

Meine Lippen waren zu einem andauernden Schmunzeln verzogen und erst als ich in die Räume der Herberge trat, verblasste dieser Ausdruck. Was ich gesehen hatte, war zu wertvoll, um es weiterzugeben. Dieses Wissen gehörte nur mir.

So gesellte ich mich zu Crowley und dem Finder und machte mich an den Schnallen meiner Uniform zu schaffen.

„Allen.“ Sofort wandte sich Crowley an mich. Neben dem Finder saß er am Tisch und wärmte seine Hände an einem Tee. „Ich habe mit Komui telefoniert. Ich werde zurückgerufen, soll mich sofort auf den Weg machen.“

„Ich ebenso“, fügte der Finder hinzu.

Unter einem befreiten Durchatmen ließ ich mich ihnen gegenüber auf die Tatami-Matten sinken, streckte die Beine und zog den Krug zu mir. Aufmerksam schob Crowley einen Becher über den Tisch, nach dem ich sofort griff.

„Kanda und du“, fuhr er fort, „ihr bekommt eine neue Mission.“

Kurz verfiel ich wieder diesem undeutlichen Schmunzeln und schenkte mir ein.

Weitere Tage mit Kanda zu verbringen, erschien mir nicht schlimm.

Vielmehr gab es plötzlich Erwartungen in mir. Interesse und Neugier.

„Komui hat darum gebeten, dass einer von euch zurückruft.“

Ich nippte am Becher. Der Tee war nicht ganz mein Geschmack aber er wärmte. Beiläufig winkte ich nach dem Telefon des Finders, augenblicklich setzte er sich in Bewegung und während er wählte, blickte ich durch die leicht geöffneten Shoji und betrachtete mir den weißen, kalten Innenhof des Gebäudes.

„Bitte.“

Das leise Klacken des Bambusrohres über dem kleinen See. Das Wasser plätscherte permanent, drängte es gen Boden und ließ es kurz darauf wieder höher schnellen. Ich griff nach dem Hörer, der mir gereicht wurde und behielt die abwesende Beobachtung bei. Das Rufsignal erhob sich nahe an meinem Ohr, permanent erhob sich auch das Pochen aus dem Innenhof und erst als sich Komui meldete, blinzelte ich mich von den Gedanken frei, die sich seit kurzem in ein und dieselbe Richtung lenkten.

„Ich bin’s.“ Bequem rückte ich mich zurecht und schwenkte den Tee im Becher. Ich war gespannt, welcher Art die Wege waren, die wir gemeinsam zu gehen hatten.

„Allen!“ Zu gewissen Zeiten freute sich Komui über jeden Anruf und ich juckte mich an der Wange, lauschte seinem Lachen. „Seid ihr schon eingeschneit? Ist es bei euch auch so kalt?“ Geräuschvoll wurde die Nase hochgezogen. „Ich glaube, ich hole mir eine Erkältung.“

Den Tag, an dem Komui sofort zum Wesentlichen kam, den wollte ich erleben.

Ich legte den Kopf schief und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr.

„Wird Zeit, dass wieder Sommer wird“, meinte ich dazu nur und sofort ächzte er auf.

„Das wird noch dauern. Noch viel zu lange.“

Wo er Recht hatte.

„Ich habe gehört, Kanda und ich kriegen noch etwas zu tun.“

„Ist er in der Nähe?“, kam sofort die Gegenfrage und müde verneinte ich. „Ach, wie schade.“ Das folgende Lachen klang irgendwie tückisch. „Pass auf, Allen. Ihr sollt das Innocence gleich zu einem Marshall bringen.“

„Zu wem?“, fragte ich, doch kaum hatte ich ausgesprochen, da begriff ich es. „Oh.“

„Ja.“ Komui schien sich wirklich zu freuen. „Tiedoll ist in China. Kanda wird es kaum erwarten können.“

Genauso wenig wie ich es erwarten konnte, ihm das mitzuteilen.

Ich rutschte am Tisch etwas tiefer und begann an meinem Becher zu kratzen.

„Er wartet in Shenyang auf euch. Es reicht, wenn ihr euch morgen auf den Weg macht. Gönnt euch eine Nacht Ruhe.“

Ein Geräusch veranlasste mich dazu aufzublicken. Die Tür im Nebenzimmer wurde geöffnet und Komui redete weiter, ohne dass ich ihm zuhörte. Kanda war zurück aber ich hatte nicht vor, Komui das zu verraten.

„Und dann geht ihr…“, erhob sich Komuis Stimme unaufhörlich aber ich hörte ihm immer noch nicht zu.

Viel eher suchte mein Blick nach Kanda. Schritte, dann erschien er im offenen Durchgang. Die Zeugen seiner Arbeit hatte er gut verschwinden lassen. Die Uniform, die er nun am Kragen etwas lockerte, war sauber. Ebenso die Handschuhe, von denen er seine Hände befreite.

„Das ist leicht zu finden“, fing ich einen Fetzen von Komui auf, als er in meinem Rücken vorbeizog und die Schiebetüren zum Innenhof weiter öffnete. Wahrscheinlich, um sich erneut vor uns in Sicherheit zu bringen. Selbst den Hörer an meinem Ohr ließ er unbeachtet. Genauso wie ich die weiteren Worte, die zu mir drangen. Es war die Brise, die Kandas Bewegungen nach sich zog. Sie war es, die meine Sinne auf sich lenkte und tief atmete ich ein, nahm sie in mir auf.

Der dezente Geruch des Räucherstäbchens hing noch an ihm und führte mir die vergangene Situation ein weiteres Mal vor Augen, während sich die Schiebetür schon schloss und Kanda hinter ihr verschwand.

„Alles verstanden?“, erkundigte sich Komui in diesem Moment und ich rückte mich kurz zurecht.

„Kannst du das wiederholen?“

„Was hast du denn nicht verstanden?“, erkundigte er sich irritiert.

„Alles.“

„Mensch, Allen. Wo bist du mit deinen Gedanken?“

‚Woanders’, dachte ich mir nur. ‚Ganz woanders.’
 

Ich bekam die Schiebetür zu fassen und öffnete sie.

Noch immer lastete die Nacht auf der Insel und trotzdem schimmerte der Schnee in diesem Garten so immens, als wäre es erst die Dämmerung. Ich genoss die frische Luft, die mir entgegen zog, blinzelte unter der Kälte und spähte zu den wenigen Lampen, die den Garten umgaben.

Beinahe ruhig loderten die kleinen Flammen, während hinter mir und in den Räumen Stille herrschte.

Ich löste die Hand von dem dünnen, hölzernen Rahmen und spähte zur Seite. Ordentlich standen dort die schwarzen Stiefel auf dem überdachten Weg. Und neben ihnen lehnte Kanda an einem hölzernen Stützpfeiler.

Das offene Haar über die Schulter gezogen, schien er sich den Garten zu betrachten. Er spähte zu dem kleinen See und zu dem Röhrchen, das sich füllte, neigte, leerte und sich wieder emporhob. Immer und immer wieder und kurz verfolgte ich all das, bevor ich zu ihm trat. Die Hände in den Hosentaschen blieb ich neben ihm stehen.

„Was willst du?“ Endlich schenkte er mir Beachtung und wie immer hatte ich mich sofort zu rechtfertigen, wenn ich ihm Gesellschaft leistete.

„Crowley und der Finder sind gegangen. Wir haben den nächsten Auftrag.“

„Worum geht es?“

„Wir sollen Tiedoll in China treffen und ihm das Innocence überbringen.“ Kaum hatte ich ausgesprochen, da erhob sich schon dieses tiefe Durchatmen. Kanda schien irgendwie zum Leben zu erwachen.

„Warum das? Es würde genügen, wenn du gehst.“ Ich spürte einen scharfen Blick. „Jetzt gleich?“

„Morgen“, konnte ich ihn beruhigen aber wirklich zur Ruhe fand er nicht. Hier zeigte er sich mir genauso, wie ich ihn kannte und während er einen nur zu erahnenden Fluch über die Lippen brachte, besah ich mir im Schutz der Dunkelheit seine Hände. Hätte ich es nicht selbst gesehen, würde ich es nicht glauben.

Unter einem absenten Kopfschütteln wandte ich mich ab.

„Ich gehe schlafen.“

„Als ob mich das interessiert.“
 

Ein weiteres Mal öffnete ich die Schränke, in denen die Futons untergebracht waren und zog einen von ihnen ins Freie. Viele Stunden zum Schlafen blieben nicht, also war es das Beste, es nicht länger herauszuschieben. Träge rollte ich den Futon im großen Nebenzimmer des Essensraumes aus und machte mich daran, aus den Stiefeln zu schlüpfen. Ich vergeudete keine weitere Zeit, bis ich mich nieder legte und die Decke über mich zog.

Es war der Moment, in dem ich endlich abschaltete, in dem ich alles vergaß. Für wenige Stunden würde meine Existenz in der kontrastreichen Realität enden und so ließ ich mich in dem warmen, dunklen Gewässer treiben. Ich musste schnell einschlafen. Erst in Augenblicken wie diesen zeigte sich die wahre Erschöpfung.

Was für ein Genuss und auch als ich irgendwann wieder die Augen öffnete, schien ich noch zu schlafen. Alles an mir, bis auf die Lider, die sich hoben. Ich sah das kahle Zimmer des Ryokan vor mir, war nicht dazu imstande, dieses Bild in mich dringen zu lassen, zu spüren, dass ich wach war oder mir die Frage zu stellen, weshalb es der Fall war. Nicht einmal nach Kanda suchte ich, als wäre er nie mit mir hier in diesem Haus gewesen.

Reglos verharrte ich auf dem Rücken, reglos lag meine Hand neben meinem Gesicht gebettet und ohne zu blinzeln blickte ich zu den Konturen eines Wandschrankes. Dort, auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, der in nächtliche Dunkelheit gehüllt war. Der Mond schien hell. Vermutlich hatte er es die ganze Zeit über getan und allmählich begann ich die Tatsachen zu realisieren. Ein tiefer Atemzug durchflutete meinen schweren Körper, als ich den Blick von dem Schrank löste, ihn zu dem hellen Umriss des Fensters senkte, den der Schein des Mondes auf den Boden warf.

Die Realität ergriff mich abermals. Annähernd still tickte der Zeiger irgendeiner Uhr und noch immer vom Schlaf benommen, regte ich die Finger, bewegte die Lippen aufeinander.

Von einem Moment auf den nächsten. Vermutlich war es schnell gegangen. Ich war wach.

Und es war tiefe Nacht. Um welche Stunde es sich handelte, war mir gleich. Die Uhr war es nicht, für die ich mich interessierte und reglos blieb ich liegen, blinzelte dem Boden entgegen und spürte die weichen Daunen des Kissens unter meinem Ohr. Es überraschte mich nicht, denn es geschah oft, dass sich mein Geist mit einem Mal von der Absenz trennte und mich hier in die Realität zurücksandte, als duldeten ferne Gebiete nicht meine Existenz.

Was erwartete man hier von hier?

War mein Körper dieses Pendeln nicht leid? Diese Unentschlossenheit, wohin er gehörte?

Still und dunkel lag ich hier in diesem ebenso finsteren Zimmer und meine Gedanken standen der unergründlichen Dunkelheit in nichts nach. Wie erbärmlich.

Seit geraumer Zeit drehte ich mich in einem mir undeutlichen Rad aus Dejavue's und Endlosigkeit. Runde um Runde, auf das mir von diesem Widerhall annähernd übel wurde. Sobald es dunkel wurde. Kitzelnd glitt eine Strähne in mein Gesicht und abwesend blinzelte ich, richtete den Blick zurück und mitten hinein in den Raum. Ich sah ihn, wie er an die äußere Finsternis anknüpfte, sich in diesem matten, kalten Licht vor mir erstreckte. Das kleine kunstvolle Bild neben dem Schrank. Nur leichte Konturen ließen es sich von der hölzernen Oberfläche der Wand abheben, während ein kleiner Hocker lange Schatten warf.

Und tickend bewegte sich der Zeiger weiter.

Es brachte mir nichts, jetzt aufzustehen und mich diesen belastenden Wiederholungen auszusetzen. Ich benötigte den Schlaf, war kein Mensch, der gegen sich selbst verlor. So senkte ich die Lider abermals, ließ die Sicht vor meinen Augen verschwimmen und schloss sie dennoch nicht. Leicht geöffnet blieben sie, als meine Pupillen abrupt einen Punkt erfassten und nicht mehr von ihm loskamen. Merklich beruhigte ich den Atem, ließ ihn kurz abebben und vertiefte mich in diese seltsame Beobachtung.

Ich starrte in diese Ecke meines Zimmers, die in schierer, undurchdringlicher Finsternis vor mir gähnte. Dort auf der anderen Seite und so unabhängig von der Helligkeit des Mondes, obwohl sie ihr doch ausgeliefert war. Pechschwarz.

Die Konturen der Wand schienen geradewegs in diesem dunklen Nichts zu zerfließen. Ein Schatten, den ich mir nicht erklären konnte. Meine Glieder bewegten sich nicht. Ich lag ruhig dort und sah tief in meinem Inneren keinen Grund, etwas daran zu ändern. Ein Hirngespinst, sagte ich mir. Eines von den vielen, die mir auf meinen Wegen begegneten. Wie das Tor zu einer anderen Welt, das mit weit geöffneten Pforten seine fremden Schatten nach mir ausspie.

Aber es drang nicht zu mir, drang nicht durch den Raum. Keine Kälte, nichts, das dieser Erscheinung wahre Existenz schenkte. Augen konnten täuschen und meine taten es viel zu oft. Ungerührt, absent und stoisch akzeptierte ich es hier an meiner Seite und ohne es zu hinterfragen. Zielstrebig folgten meine Augen einer unauffälligen Strömung innerhalb des Schattens. Eine Wanderung inmitten des schwarzen Nichts, die ich nicht definieren konnte. Es war wie ein Wirbel, der sich dort bildete. Eine seltsame, fremde Bewegung, die mich die Augen vollends öffnen und den Atem anhalten ließ.

In meiner Dunkelheit existierte kein Leben. Ich war alleine, auch wenn sie mir Gesellschaft leistete.

Und abrupt weiteten sich meine Augen. Nichts war mehr wie zuvor. Es veränderte sich binnen weniger Momente, als sich deutliche Konturen bildeten, sich etwas aus der Finsternis des Schattens in das Licht des Mondes hinausstreckte. Hinaus in das Zimmer. Hinaus zu mir.

Fließend, langsam und geräuschlos wand sich etwas ins Freie, streckte sich mir aus weiter Entfernung entgegen sowie lange, klobige Finger, die mich die Erscheinung als Arm erkennen ließen. Ein schwarzer Arm reckte sich mir entgegen und abrupt schnellten meine Pupillen hinab, als dem Arm ein kurzes, breites Bein folgte. Eine Gestalt!

Stumm öffneten sich meine Lippen, waren so trocken durch den Atem, der über sie hinweg strich.

Nur vorsichtig erhob er sich, still und zitternd, als der Schatten mir seine volle Gestalt offenbarte. Hinabgebeugt und schwarz trat sie hinaus, zog träge die langen, dünnen Arme mit sich, die hinab pendelten, sobald sie sich aus ihrem Schatten lösten. Ein runder, kontrastloser Kopf blieb auch weiterhin gesenkt sowie die kräftigen Schultern des breiten, schwarzen Körpers und dieser der Bewegung nicht lange fern.

Brennend machten mich meine Augen darauf aufmerksam, dass ich nicht mehr blinzelte. Dumpf schlug das Herz in meiner Brust, während es um den Sauerstoff kämpfte, den ich durch keinen Atemzug mehr aufnahm. Die plötzliche Erscheinung der undurchsichtigen Gestalt hielt mich in meiner Erstarrung, selbst von dem Gedanken oder dem Willen fern, in die Höhe zu fahren. Groß und klobig ragte sie dort auf, stand auf den leicht gebeugten Beinen und selbst der Uhrzeiger schien durch kalte Angst gelähmt zu sein, als sie sich aufrichtete, als sie sich zu ihrer vollen Größe erhob und mich mit ihrem ausdruckslosen Gesicht fixierte.

Eine Aufmerksamkeit, die sich merklich auf mich richtete, mir einen Schauer durch den Körper jagte und ihn fester gegen den Futon drängte. Förmlich drängten sich meine Fersen gegen den weichen Widerstand und mein Hinterkopf sich fester in das Kissen, als bestünde sein Vorhaben darin, durch die Matratze zu sinken und an einem Ort zu verschwinden, an welchem er sicher war vor dieser schemenhaften Erscheinung.

Und kaum spürte ich das verkrampfte Zucken meiner Muskeln, da setzte sich die Gestalt in Bewegung. Gebeugt blieben die seltsam geformten Beine, als sie den ersten weiten Schritt tat, sich annähernd ohne Schwanken näher zu meinem Bett schob. Warum tat ich nichts?

Der Wille zur Flucht wurde nur durch das Zucken meiner Muskeln deutlich und durch den Reflex meines Leibes, am Überleben festzuhalten, sobald er Gefahr witterte. Warum tat ich nichts anderes, als mich auf den Futon zu pressen und unter den weichen Daunen der Decke zu zittern?!

Stockend zog ich einen knappen Atemzug in die Lunge, spürte selbst das Beben meiner Augenwinkel, als meine Pupillen starr den fremden Bewegungen folgten. Das Annähern dieses Körpers schien einen kalten Zug mit sich zu treiben, der über mich hinweg streifte wie die schwache Böe des Winters, die mich nicht umfing und sich trotzdem spüren ließ.

Warum tat ich nichts?

Nichts, als dort zu liegen, so wie ich aufwachte und starr hinaufzublicken zu der Figur, die mich erreichte und somit ihr Ziel. Warum tat ich nichts, um mich zu retten?

Nicht einmal meine Finger regten sich, während mir der Schweiß auf die Stirn trat und ich mich wehrlos vorfand. Völlig abgekapselt und gelähmt. Als würde sich mein Körper von meinem Geist trennen und alles verlieren, was dem Überlebenswillen gleichkam. Selbst meine Gedanken wollten mir nicht gehorchen, nicht die greifbaren Ängste aufbauen oder das Sinnieren, um diese zu verstehen.

Angst, Lähmung und das, was ich sah. Mehr gab es nicht und schmerzhaft schien mir das Herz in der Brust zu zerspringen, als sich die breiten, klobigen Arme über mich hoben. Weit gespreizt und allem voran die Hände, die sich kurz darauf schon zu mir hinab senkten und den schweren, dunklen Körper folgen ließen. Das Licht des Mondes schien schlagartig zu vergehen, als die Gestalt ihren Schatten mit mir teilte, mich in ihm einfing, während sie sich zu mir hinab neigte. Langsam, fließend und ich meinte, dieses Gewicht schon zu spüren, bevor ich auf ihre Materie stieß. Wie es über mir dunkel wurde und vor meinen starren Augen, die sich nicht schließen ließen. Höhnisch und gnadenlos ließen sie mich all das verfolgen, machten mir die Folgen meiner Reglosigkeit deutlich und mich gleichsam seltsam schwer und dumpf.

Meinen in sich verzerrten Körper erreichte diese klirrende Kälte, legte sich auf meine Haut, als wolle sie sie betäuben, sie vorbereiten auf das, was folgen würde.

Nahe hatte sich das gestaltlose Gesicht zu mir gesenkt, nahe zu mir die kopfförmige Kugel, aus der kein Atem drang und schmerzhafte Stiche schossen durch jede Faser meines Körpers, als sich diese Masse auf mich senkte. Gemächlich und doch unbarmherzig schloss sie mich zwischen sich und dem Futon ein, nahm mir den Raum für Atemzüge und offenbarte einen Druck, als wolle sie mich mit ihrem Gewicht erdrücken. Eine Last. Eine so schwere Last!

Sie nahm mir die Luft, nahm mir die Beweglichkeit und kein Atem kam über meine Lippen, als die Arme sich um mich legten, mich in sich einschlossen und in eiskalter Fixierung hielten. Das Blut schien in mir in den Kopf zu steigen, pulsierte dumpf hinter meinen Schläfen, während ich dem Druck erlag, der sich in mir aufbaute. Ich konnte diese Last nicht tragen! Sie erdrückte mich!

Und mit einem Mal erlangte ich die Fähigkeit zur Regung zurück. Verzweifelt lechzte mein Körper nach ihr, holte die Flucht mit einer viel zu schnellen Bewegung nach, mit der ich von dem Futon in die Höhe fuhr. Ein erstickter Schrei quoll aus meiner Lunge, röchelnd folgte der erste, hastige Atemzug und mit geweiteten Augen starrte ich in den Raum, den ich soeben schon einmal sah. Der Schrank, die hölzerne Wand, das Bild. Nur keinen Schatten. Still umgab mich das Zimmer und meine Brust schmerzte unter dem heftigen Keuchen. Mein gesamter Körper bebte und nicht einmal den Griff meiner Hände in die Decke nahm ich wahr, als ich um mich starrte. Die Realität?

Mein Kopf fuhr zur Seite, richtete sich auf das Fenster, hinter dem sich das Licht der Dämmerung erhob.

Wo war ich? War ich hier richtig?

Ich presste die Lippen aufeinander, verschloss das Keuchen hinter ihnen, auf dass es kurz darauf nur umso heftiger hervorbrach. Meine Hände machten mich mit einem leichten Schmerz auf die Kraft aufmerksam, mit der ich die Finger in die Decke drängte. Nur schwer ließen sie sich lösen und ich ächzte und stöhnte, blinzelte so lange, bis ich begriff, dass es die Realität war. Der Ort, der stimmte. Hier war ich sicher.

Sicher vor dem Alb und seiner erschreckenden Erscheinung. Hier bekam er mich nicht.

Mein Körper badete im Schweiß, als ich mich von dem Futon schob und sofort Anstalten machte, mich zu erheben. Kraftlos folgte der Körper den Füßen und letztendlich schob er sich nur wankend und unsicher in die Höhe. Die Decke hatte sich in meinen Beinen verfangen, doch blieb unbeachtet, als ich den ersten Schritt tat. Abwesend befreite ich mich von dem Stoff. Es war die Schiebetür, die mir auffiel und wankend sowie stolpernd machte ich mich auf den Weg ihr.

Frische Luft. Ich musste atmen. Meine Brust. Alles in mir war so eng gezurrt.

Meine Beine gaben mir kaum Halt und die dünne Tür gab fast nach unter meinem Gewicht, mit dem ich mich zitternd an ihr abstützte, sofort nach dem kleinen Hebel tastend, um sie zu öffnen.

Brennend versenkte sich eine Schweißperle in meinem Auge und nur schwerlich fand meine Hand es, um es zu reiben. Auch die andere legte sich nur unsicher um den Hebel und doch öffnete sich die Tür sofort. Ich zog sie zur Seite, wohl zu stark und kaum war sie einen Spalt geöffnet, da strauchelte ich weiter, an dem Tisch vorbei und zur nächsten und letzten Tür, die mich von meinem Ziel trennte. Meine Arme hoben sich, streckten sich dem von außen erhellten Washi entgegen und auch an dieser Tür stützte ich mich ab. Ich suchte Halt, tastete mich eilig über die dünnen Holzleisten und es war keine Bewegung, kein Geräusch, das mich abrupt erstarren ließ.

Es war ein Erschrecken, ohne dass ich etwas sah. Nur eine Ahnung, die so immens war, dass ich mich nicht täuschen konnte. Mit offenem Mund blieb ich stehen, reglos verharrten meine zitternden Finger am Washi und nur einmal blinzelte ich unter den Strähnen, die im Schweiß meiner Stirn hafteten, bevor ich den Kopf wandte.

Still und durchdringend waren die annähernd schwarzen Augen auf mich gerichtet und ließen den Atem in meiner Brust gefrieren. Dort hinter dem Tisch hatte er seinen Futon ausgebreitet und noch immer lag er auf ihm, als wäre er gerade aus dem Schlaf gerissen worden. Er lag auf dem Rücken, die Decke wärmend über sich gezogen und das Gesicht unausweichlich zu mir gewandt.

Ich spürte einen Schmerz, einen Stich in meiner Herzgegend und sofort erwachte auch der unterdrückte Atem zum alten Leben. Dort stand ich. Bloßgestellt und so nackt, wie ich es ohne Kleidung nie hätte sein können. Er sah mich an und nichts ließ erahnen, was er dachte. Keine Regung seiner Stirn, kein Zucken seiner Lippen, kein Blinzeln, kein Wort und die wenigen Sekunden erschienen wie eine quälende Ewigkeit, bis er mit einem Mal das Interesse zu verlieren schien.

Mit geweiteten Augen verfolgte ich, wie er sich auf die Seite drehte, mir den Rücken kehrte und nach der alten Bequemlichkeit suchte.

Es war ein entsetzlicher Moment und er lag noch nicht einmal still, als ich fluchtartig die Schiebetür aufriss und hinaus in die eiskalte Morgenluft strauchelte. Sofort zerrte ich die Tür hinter mir zu, schottete mich von ihm und seinem entsetzlichen Wissen ab und ächzte laut. Luft. Ich ging wenige Schritte. Es war eine kraftlose Flucht, die an dem nächsten, hölzernen Stützpfeiler endete. Ich streckte ihm die Hand entgegen, fand in ihm eine gute Stütze und sank gegen ihn. Mein Körper. Verkrampft versenkten sich meine Finger im Stoff des Hemdes. Er musste sich beruhigen.

Er war es doch gewohnt. Er kannte den Alb, begegnete ihm so oft.

Wann nahm er es nicht mehr so schwer?

Wann begann er sich gegen die Macht der finsteren Traumgestalt zu wehren?

Ächzend umschlang ich den Pfeiler mit den Armen, ließ mich sinken und zu Boden gehen. Kalt machte der Schweiß in dieser Morgenluft auf sich aufmerksam. Weiß beschlug mein fahriger Atem und noch immer bebend blieb ich hocken und rang nach Ruhe.

Warum war ich so verletzlich, sobald ich die Augen schloss?

Mein Körper schien all seine Kräfte zu verlieren, sobald er der Realität entrann. Diese widerliche Gestalt. Diese widerliche Schwäche. Matt ließ ich den Kopf sinken und presste die Lippen aufeinander.
 

Ich blieb dort sitzen und tat es wie festgenagelt. Es gab in diesen Momenten keinen Grund aufzustehen.

Wohin sollte ich auch gehen?

Es verlangte mir weder nach Essen, noch danach Kanda zu begegnen. Ich hatte mir immer meine einsame Stille gesucht, wenn es mir so ging. Wenn mich die Nacht der Erschöpfung nur nähergebracht hatte. Wenn ich blass und zu keinem einzigen Lachen aufgelegt war. Ich hatte diese Momente, kannte sie an mir.

Und ich zog mich immer zurück.

Verkrampft ballten sich meine Hände zu Fäusten. Um mich herum war es hell geworden und ich saß noch immer an diesen Pfeiler gelehnt, kaum die Kälte wahrnehmend, die mich umgab. Tief in mir war sie soviel stärker, als es der Schnee sein könnte. Tief atmete ich ein und starrte stoisch in den Schnee hinab.

Ich zog mich immer zurück, damit mich niemand so sah!

Nicht Linali, um vor ihrer Sorge sicher zu sein.

Nicht Lavi, um mich vor seinen Fragen zu schützen.

Meine Augenwinkel zuckten erbittert. Gerade vor Kanda war ich immer sicher gewesen. Gerade er hielt sich doch von mir fern. Kapitulierend ließ ich den Kopf gegen das Holz sinken und schluckte bitter. Ich war so müde. Meine Augen gaben nur ein trübes Bild preis und verbittert stellte ich mir die Frage, was ich machen sollte. Was in dieser Nacht geschehen war, war nicht für seine Augen bestimmt gewesen. Was für ein widerwärtiger Unfall, dass ich es selbst war, der sich ihm und seiner Aufmerksamkeit ausgesetzt hatte. War es eine Entschädigung?

Hatte ich es verdient, dass er mein Innerstes sah, weil ich kurz davor seines gesehen hatte?

Nein. Was seine Augen gesehen hatten, war soviel schlimmer.

Allmählich spürte ich, wie taub meine Füße waren. Sie ruhten nackt dort im Schnee und lange starrte ich sie nur an. Der Schmerz tat gut. Er ließ mich vergessen, ließ es mich versuchen. Ich presste die Lippen auf-einander. Vermutlich war Kanda ein weitaus ungefährlicherer Mitwisser als Lavi oder Linali. Er würde kein Wort darüber verlieren. Vermutlich bedeutete ihm der vergangene Anblick weitaus weniger als ich dachte. Er interessierte ihn wahrscheinlich nicht im Geringsten. Er würde es für sich behalten, sich nicht zuständig sehen für fremde Probleme. Ich hatte mich nicht zu sorgen. Überhaupt nicht.

Unter einem zermürbten Ächzen ließ ich den Kopf sinken.

Er schmerzte dennoch, war und blieb nicht akzeptabel.

Wie, fragte ich mich, sollte ich mich ihm gegenüber verhalten?

Wie erbärmlich wäre es, den Weg heiter mit ihm fortzusetzen und so zu tun, als wäre nichts gewesen?

Auch wenn er sich nicht interessierte, würde er doch bemerken, dass ich mich verstellte, verdrängte und verleugnete. Er wüsste es und allein dadurch wäre es erbärmlich genug. Müde senkten sich meine Lider. Matt bewegte sich mein Körper unter einem tiefen Atemzug und abrupt fand er zur alten Erstarrung, als ich hinter mir das Schaben der Tür hörte. Wieder starrte ich zurück in den Schnee. Ich spürte seinen Blick, seine Anwesenheit. Er stand hinter mir und meine Zähne bissen aufeinander.

Er würde doch nicht…

Nein, sicher würde er es nicht ansprechen, denn auf ihn und sein mangelndes Mitgefühl war Verlass.

„Wir müssen los.“
 

-tbc-



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Streber_Nr1
2016-08-21T10:35:00+00:00 21.08.2016 12:35
Ich verstehe nicht wieso niemand deine supi dupi gute story kommentiert.
Mach weiter so :)
Freu mich schon aufs nächste Kapitel :-)
Lg streber


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