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Unseen Souls

von

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5

Der Weg war kein langer. Es blieben nur wenige Minuten, in denen wir durch das Meer aus Kontrasten und Stämmen zogen und nur wenige Worte wechselten. So begann unsere gemeinsame Mission. Eine weitere Reise, deren Ende wir nicht kannten und somit das, wonach ich mich sehnte.

In jedem Moment, den ich dort in dem Speiseraum verbrachte und Komui zuhörte.

Diese Fremde. Gerade jetzt, da ich mich in ihr befand, konnte ich mir nicht vorstellen, sie aufzugeben.

Es gab noch soviel zu tun und wie abwesend gab ich mich diesen Gedanken hin, bis der Wald vor meinen Augen endete und ich neben Kanda stehen blieb.

Eine große Lichtung war es, die sich vor uns auftat, die wir uns aufmerksam betrachteten. Ein Friedhof inmitten dieser weißen Stille und wie schienen die aneinandergereihten, säuberlichen Grab- und Andachtssteine diesen Frieden zu teilen. Ein zierlicher Zaun umrandete den Ort und wieder sah ich die feinen Arbeiten, durch die jeder dieser Steine entstanden war.

Schmal ragten sie in die Höhe, waren versehen mit dunklen Schriftzeichen, die vergangene Leben beschrieben, vergangene Existenzen.

Weiter hinten führte ein schmaler Pass aus wenigen Treppenstufen zu einem steinernen, hohen Schrein, dem Mittelpunkt dieses Ortes, vor dem ich selbst aus dieser Entfernung die matten Lichter weniger Kerzen flackern sah.

Eine vereinzelte Gestalt war es, auf die wir kurz darauf aufmerksam wurden. Ein älterer Mann, der, in einen dicken Umhang gehüllt, durch die Reihen der Grabsteine zog. Die Hand, die aus einer Falte des Umhanges lugte, hielt ein Räucherstäbchen und nach wenigen weiteren Schritten kniete er sich vor eines der Gräber. Natürlich war es Misstrauen, das wir alle hegten, doch mein Auge nahm dieser Vorsicht die Begründung.

Es war nur ein Mensch, der diesen Ort besuchte. Ein Trauernder.

Ich verfolgte, wie der Finder an uns vorbeizog.

„Ich zeige Ihnen, bei welchem Grab ich sie gesichtet habe“, erklärte er und so setzten wir uns wieder in Bewegung.

„Sie halten sich immer bei ein- und demselben Grab auf?“, erkundigte ich mich, als wir den Zaun hinter uns ließen. Dumpf gingen die Stiefel des Finders auf den gefrorenen Boden nieder, während er nickte. Auch seine Stimme erhob sich mit dem ihm eigenen Temperament und flüchtig wurde ich auf die Bewegung des Trauernden aufmerksam. Er wandte kurz das Gesicht zu uns und verkroch sich schweigend in seinem Umhang.

„Immer dasselbe“, bestätigte der Finder. Eine flüchtige Brise des Räucherstäbchens erreichte mich, als wir an dem Mann vorbeizogen. „Als würden sie auf etwas warten. Seit vier Tagen erscheinen sie in jeder Nacht und halten sich länger dort au…“

„Wir hören dich gut“, wurde er da abrupt von Kanda unterbrochen. „Sprich leiser.“

„Verzeihung.“

Es überraschte mich, dass er sich Zeit nahm, einen Finder zurechtzuweisen.

Seit jeher hatte er sich herzlich wenig für die Dinge interessiert, die sie taten, doch diesmal war es anders. So gesehen war es sein Grund und Boden, auf dem wir uns hier bewegten. Inmitten seiner Kultur, die ihm offenbar wichtig genug war, um für sie das Wort zu ergreifen.

Es lag wahrscheinlich weniger an der Sensibilität seiner Ohren, als an dem Ort, an dem wir uns befanden.

In diesem Boden ruhten die Toten und wie seltsam war die Annahme, Kanda würde ihren stillen Frieden verteidigen. Es war eine seltsame Zugehörigkeit, die ich hier an ihm spürte.

Eine Vertrautheit mit den Atmosphären, die uns in diesem Land umgaben. Und der Finder blieb stehen.

Es war ein Grab unter vielen, auf das er wies. Nicht auffälliger als die anderen, nicht größer, nicht kleiner. Ich besah mir den grauen Stein und die sauber geschliffenen Kanten.

Es hatte den Anschein, dass es eines der neueren Gräber war. Auf der glatten Oberfläche sah ich kaum einen Verschleiß und von den Schriftzeichen spähte ich zu Kanda.

„Bist du sicher?“ Er wirkte nachdenklich, als er sich an den Finder wandte und ein deutliches Nicken erntete.

„Wer liegt hier?“, erkundigte ich mich.

„Ein Guji. Der Priester eines Schreins.“

„Dann ist es ein heiliger Friedhof“, flüsterte Crowley in seine Beobachtung vertieft.

Kandas Murmeln klang nach einer Zustimmung und unter einem tiefen Atemzug rieb ich mir die Wange. Flatternd ließ sich Tim auf dem Grabstein nieder.

„Was an diesem Grab weckt ihr Interesse?“ Fast lautlos flüsterte ich, sprach vielmehr mit mir selbst und stemmte das Kinn in die Handfläche. „Spielt der Verstorbene eine Rolle?“

„Was soll der Priester für eine Rolle spielen?“, antwortete Kanda verständnislos. „Er ist tot und somit nicht mehr von Bedeutung.“

„Wenn es an diesem Ort liegen würde, wären sie nicht nur auf dieses eine Grab fixiert“, erwiderte ich und sah abwägend zu ihm auf. Ich war mir nicht sicher, ob er Recht behielt. Diese Angelegenheit stellte mich vor Fragen und das Einzige, was er tat, war, die Arme zu verschränken und zur Seite zu blicken.

Es gab nicht viele Dinge, die Akuma anzogen und somit auch uns. Aber hier boten sich mir nur das Gestein und längst erloschene Räucherstäbchen in einer zierlichen, hölzernen Halterung. Und die Erde.

„Wir recherchieren über den Verstorbenen und halten die Akuma von dem Grab fern“, entschied Kanda in diesem Moment und mir blieb nichts anderes übrig als ein Nicken.

Dass er in die Anführerrolle schlüpfte, störte mich in keiner Weise, sobald es sinnvoll erschien und uns auch keine andere Möglichkeit zur Verfügung stand. Es war vermutlich ein Anfang und so kam ich zurück auf die Beine, winkte Tim von dem Grabstein und spürte ihn kurz darauf auf meiner Schulter. Beiläufig bekam ich seinen goldenen Schweif zu fassen.

Weiterer Aufenthalt brachte uns nichts. Es war der falsche Moment, um an diesem Ort zu bleiben und so kehrten wir ihm vorerst den Rücken und machten uns auf den Weg zu einem nahen Dorf.

Wie Kanda sagte. Dort konnten wir warten, bis es dämmerte.

Ich war gespannt, als ich mich so ein weiteres Mal hinter ihm hielt, wir denselben Wald erneut durchquerten, auch den Tempel hinter uns ließen und einen der anderen Waldwege nutzten. Es sollte nicht weit entfernt sein und nach der Reise stand mir auch der Sinn danach, vorerst zur Ruhe zu kommen und Kräfte zu schöpfen für eine Nacht, von der niemand wusste, was sie uns brachte.

Meine Beine waren das ewige Laufen allmählich müde und während in meinem Rücken Gespräche geführt wurden, konzentrierte ich mich auf die weiten Felder, die uns umgaben, als der Wald hinter uns lag.

Es mussten Reisfelder sein. In diesen kalten Monaten wirkten sie jedoch nur wie weite, kahle Flächen, die von keinem benutzt wurden.

Das Wasser war gefroren. Es keimte nichts und so waren es auch nur wenige Einheimische, die ihrer Wege zogen. Vereinzelt bewegten sich die grauen Gestalten in weiter Entfernung, kamen uns entgegen und zogen an uns vorbei, ohne dass ein Wort gewechselt wurde.

Schneidig drängte sich der Wind gegen mein Gesicht, unter meine Kapuze und aufmerksam zog ich sie ein ums andere Mal tiefer in meine Stirn, verbarg alles unter dem Stoff, das in diesem Land pure Auffälligkeit wäre. Keine blonden Schöpfe, in deren Riege man durch Oberflächlichkeit gesteckt werden könnte.

Die Augen auf den gefrorenen Boden gerichtet nahm ich das Gespräch hinter mir kaum wahr, achtete auch kaum auf das Lachen Crowleys und spähte erst auf, als sich vor uns das Ziel offenbarte.

Über einen Hügel waren wir gekommen, von weiter oben und hatten einen wunderbaren, übersichtlichen Blick auf das Dorf, das sich zu unseren Füßen und in einem tieferen Tal erstreckte. Es reichte weit und während Kanda weiterzog, verlangsamten sich meine Schritte.

Auch die Worte in meinem Rücken verstummten flüchtig, während ich von einem Schneebeladenen Dach zum nächsten schaute, den Bewegungen der Dorfbewohner zwischen den Fassaden folgte.

Es waren so einige, die draußen waren, die ihren Weg und ihr Ziel hatten und kurz darauf fand ich mich wieder hinter Kanda ein, verschränkte die Arme vor dem Bauch und sehnte mich mit jedem Schritt mehr nach einer warmen Unterkunft.

Je näher wir kamen, desto mehr erspähte ich.

Vereinzelte Karren wurden über die schmalen Wege gezogen, auch vorbei an künstlich angelegten Seen und Wasserstellen. Allesamt gefroren und kaum von der Umwelt zu unterscheiden. Terrassen erstreckten sich neben uns, mit Washi bespannte Schiebetüren, die das Innenleben der Häuser vor unseren Augen versteckten. Feuerstellen, zumeist leer und kalt, steinerne Mauern, die einzelne Grundstücke voneinander abgrenzten. Langsam tastete ich nach der Kapuze, zog sie abermals tiefer und lauschte unterdessen den Wortfetzen, die an meine Ohren drangen.

Leise Gespräche drangen zu uns. Durch einen Spalt der Schiebetüren, von den Menschen, die uns entgegenkamen, uns ausdrücklich jedoch unauffällig musterten. Die es in dem Rahmen taten, dass ich es nicht als Unhöflichkeit auslegen könnte. Unser Ziel schien noch entfernt und bald meldete sich Crowley wieder zu Wort. Das Gespräch mit dem Finder wurde fortgesetzt, während ich zwei Kindern nachsah.

Das kurze, schwarze Haar stand den Jungs wüst zu Berge, als sie an uns vorbeitobten.

Gekleidet in wärmende Yukata jagten sie einen hölzernen Ball. Aus einer anderen Richtung drang die impulsive Stimme eines Mannes und sofort drehte ich mich um. Auf der Terrasse eines Hauses stand er, gestikulierte mit dem Arm und schien kein Problem in der weiten Distanz zu sehen, die ihn von seinem Gesprächspartner trennte.

Der stand irgendwo hinter uns. Unaufhörlich und rasant flossen die unverständlichen Worte und wie war ich froh, dass Kanda bei uns war. Wie verloren wären wir gewesen. Ganz zu schweigen von der Mission wären wir schon daran gescheitert, uns eine Unterkunft zu suchen.

Und dann erreichten wir sie endlich.

Dass Kanda nicht zum ersten Mal hier war, wurde spätestens dann zur Tatsache.

Er bewegte sich, als würde er jeden Winkel dieses Dorfes kennen, als er zur Seite bog, einen schmalen Pass nutzte und auf ein Gebäude zusteuerte, das recht hoch vor uns aufragte.

Das massive, helle Haus erhob sich bis zur zweiten Etage. Auf den abgerundeten Dächern schimmerten kleine, dunkle Dachziegel, während der Großteil der Fenster mit dünnen Bastmatten abgeschirmt war. Auch die nahe Umgebung wirkte gepflegt und unter unseren Sohlen knirschte heller Kies, als wir vor den Eingangsbereich traten und hinter Kanda hinauf auf den tiefen, hölzernen Vorbau.

Als würde uns die Natur einen letzten, höhnischen Boten schicken, lebten unsere Mäntel unter einer schneidigen Böe auf und wie dankbar war ich Kanda, als er die Schiebetür zur Seite zog und eintrat.

Ich könnte es nicht eiliger haben und so stand ich kurz darauf in einem großen Eingangsbereich.

Es war eine kleine Ebene, die an einer Stufe endete. Vor uns erstreckte sich ein sauberer Flur, umrandet von geschlossenen Schiebetüren, jedoch angenehm erhellt durch so einige zierliche Lampen.

Tief atmete ich ein, als der Finder die Tür hinter sich schloss und wir endlich befreit wurden von der klirrenden Kälte. Sofort entspannten sich meine Glieder, der Mantel verlor an Wichtigkeit und nur kurz nahm ich auch den angenehmen Geruch in mir auf, bevor ich auf Kanda aufmerksam wurde.

Er hatte sich von den Stiefeln befreit, ließ nun die kleine Stufe hinter sich und trat in den Flur.

„Ihr wartet hier.“

So ging er und bevor wir uns versahen, verschwand er hinter der Ecke.

„Das ist ein Ryokan“, erklärte der Finder. „Eine japanische Herberge.“

„Sie ist wunderschön“, seufzte Crowley.
 

Wir wurden nicht lange warten gelassen, bevor Kanda zurückkehrte und mit ihm eine ältere Dame in einem dunklen Kimono. Aufwendig war ihr schwarzes Haar zurückgebunden und kaum sah sie uns, da umspielte ein dezentes Lächeln ihre Lippen.

Das Glück war auf unserer Seite. Ein großes Zimmer stand uns zur Verfügung.

Platz gab es reichlich und auch die Bodenmatten waren angenehm. Ich spürte ihre raue Oberfläche, als ich die Zehen bewegte.

So waren wir also angekommen und das erste, was wir taten, war, uns von all dem Überflüssigen zu befreien und bald darauf saßen wir an einem flachen Tisch. Im bequemen Schneidersitz ließ ich meinen Kopf auf die hölzerne Fläche sinken und fand zu meinem ersten, ausgiebigen Seufzen. Hier war es wirklich angenehm und durchaus schläfrig wendete ich das Gesicht auf den verschränkten Armen und schloss kurz die Augen. In dieser Stille fiel mir ein gleichmäßiges, hölzernes Pochen auf. Es schien aus dem Innenhof zu uns zu dringen, erhob sich jedoch so leise, dass ich es nicht als störend empfand. Ganz im Gegenteil.

„Was haben wir heute Nacht vor uns?“, wandte sich Crowley kurz darauf an den Finder. Er saß mir gegenüber und träge bettete ich das Kinn auf den Unterarmen. Kanda war kurz nach unserem Einzug verschwunden, doch es schadete wohl nicht, sich dem Thema trotzdem schon zuzuwenden.

„Wie viele Akuma tauchen bei dem Friedhof auf?“

„Es ist unterschiedlich“, antwortete der Finder und kurz lugte ich zur Tür, versuchte dem hölzernen, pochenden Geräusch zu folgen. „Ihre wahre Gestalt nehmen sie nur selten an. Sieben waren es in der ersten Nacht. Akuma des ersten Levels. In den folgenden Nächten waren es Menschen, die die Umgebung durchforsteten. Gestern zeigten sie wieder die wahre Gestalt. Es waren zehn.“

Nachdenklich rümpfte ich die Nase und juckte mir die Wange.

Wenn es uns auch weiterhin so leicht gemacht wurde, wäre ich dankbar.

„Sie streunen auf dem gesamten Friedhof herum“, fuhr der Finder fort. „Ihre Wege enden aber immer wieder bei dem Grab, vor dem sie eine Weile stehen bleiben und dann wie vom Erdboden verschluckt werden.“

Sie mussten nach etwas suchen, das bisher nicht sichtbar vor ihnen lag, sich jedoch spüren ließ.

„Wir sollten schon zu Beginn der Dämmerung aufbrechen, findest du nicht?“ So wandte sich Crowley an mich und sofort nickte ich.

„Vielmehr, als sie fernzuhalten, werden wir vorerst kaum tun können. Das Wichtigste ist, mehr über dieses Grab zu erfahren und über den Mann, der in ihm liegt.“

Ein Schaben durchbrach die Atmosphäre. Die Tür im Nebenraum hatte sich geöffnet und während sich Schritte erhoben, stemmte ich die Wange in die Hand und bearbeitete die Oberfläche des hölzernen Tisches. Ich folgte der Maserung mit den schwarzen Fingerkuppen und erspähte Kanda, der zu uns zurückkehrte. Die Uniform klemmte unter seinem Arm, als er zu uns trat und seine Aufmerksamkeit richtete sich einzig und allein auf den Finder, dem er die Uniform reichte.

„Mach was gegen die Flecken“, hörte ich ihn nur murmeln.

„Natürlich.“

Träge spähte ich ihm nach, sah ihn um den Tisch herumtreten und so wie der Finder nach draußen eilte, bekamen wir neue Gesellschaft. Es war eine andere Bedienstete des Ryokan, die uns mit einem dezenten Lächeln grüßte und mit einem Tablett zu uns trat. Spätestens jetzt rappelte ich mich doch auf, zog in derselben Bewegung den schwarzen Arm unter den Tisch und besah mir die hölzernen Becher, die sich da offenbarten. Sogar leichten Teeduft meinte ich wahrzunehmen aber das Gebäck in einem Schälchen erweckte mein wahres Interesse.

Still und höflich wurden wir bedient. Mir gegenüber beugte sich Crowley über seinen Becher und hielt die Nase in den Dunst, während Kanda die junge Frau mit einer angedeuteten Verbeugung verabschiedete. Es schien alles getan und während sich die Tür unter einem leisen Schaben schloss, blickte ich zu meinem Becher, auch zu dem Gebäck und anschließend zu Kanda.

Seinem Gesicht nach zu urteilen, wünschte er sich, alleine zu hier sitzen und seinem Verhalten nach, tat er es auch. Es schien nur noch diesen Becher für ihn zu geben und schon hob er den Deckel ab, setzte ihn an die Lippen setzte und trank.

„Du.“ Ich konnte es mir nicht nehmen lassen, begegnete ihm mit einem verschmitzten Grinsen und langte nach dem Gebäck. „Hast du das für uns bestellt? Deine Fürsorge ist herzerwärmend.“

Somit musterte ich das Gebäck. Es sah komisch aus und am Ende des Tisches wurde Kandas Gesicht von einem Zucken heimgesucht. Der Becher löste sich von seinen Lippen und kurz darauf spürte ich die finstere Aura, die wabernd zu mir driftete.

„Lass das widerwärtige Gewäsch, Bohnenstange“, verzierte er dann die Atmosphäre mit seiner engelsgleichen Stimme. „Sehe ich aus, als hätte ich nichts Besseres zu tun, als Diener für euch zu spielen?“

„So siehst du tatsächlich nicht aus.“

„Ich habe gehört, dass so etwas zum Empfang gereicht wird“, hob Crowley an, während Kanda abermals trank. Es schmeckte und ich kaute genügsam.

„Ist das so.“ Wieder streckte ich mich nach dem Gebäck.

„Hier sind alle so freundlich.“ Crowley seufzte ergriffen. „Danke, dass du uns zu diesem herrlichen Ort geführt hast, Kanda.“

Ein leises Durchatmen erhob sich neben mir und ich ertappte Kanda dabei, wie er ein Stück zur Seite rutschte und sich leicht von uns abwendete.

„Wie heißen diese Kekse?“ Vertieft zog ich die Schale zu mir und schon begann auch Crowley zu schlürfen. Sein Gesicht verzog sich unter unbeschreiblichem Genuss, während ich in den Keksen wühlte.

Die waren unglaublich.

„Kanda, frag mal nach dem Rezept, dann kann Jerry uns die Kekse jeden Tag machen.“

Plötzlich begann sich Kanda zu regen. Er stand auf, nahm seinen Becher mit und griff nach einer weiteren Tür. Er zog sich zurück und eine kühle Brise zog uns entgegen, als er auf die hölzerne Terrasse des Innenhofes trat. So ließ er uns sitzen, bekam die Schiebetür hinter sich zu fassen und zog sie um ein Stück zurück. Wir konnten sehen, wie er sich setzte, sich vor der Tür niederließ und es lieber mit der Kälte des Winters aufzunehmen schien als mit uns. Ein kurzes Schweigen herrschte zwischen Crowley und mir, doch ebenso schnell erholten wir uns von dem gewohnten Schreck und kümmerten uns wieder um die Aufmerksamkeit des Hauses.

„So gut wird man nicht in vielen Herbergen behandelt. Japaner sind so nette Leute.“ Glücklich bewegte Crowley den Becher zwischen den Händen und hielt die Nase erneut in den feinen Dunst. Zustimmung gelang mir nicht, denn es juckte mich eine Frage. Auch mein Bein und beherzt kratzte ich mich, spähte nach draußen und zu Kanda.

„Wegen dem Grab, Kanda“, hob ich an. „Vielleicht kannst du ja von der Hauswirtin etwas erfahr…“

„Sprich mich nicht an, während ich Tee trinke!“ Abrupt fuhr er zu uns herum und kaum versahen wir uns, so schnell bekam er die Tür zu fassen. Mit einem Mal wurde sie zugezerrt und schottete uns nun restlos voneinander ab.

Perplex schloss sich Crowley meinen Blicken an. Wir starrten auf das Washi. Nur stockend ertastete ich den nächsten Keks mit den Lippen und so wandten wir uns einander zu. Ich beließ es bei einem Schulterzucken und mir gegenüber wurde geseufzt.

„Japaner sind so seltsame Leute.“

„Mm.“ Flink erhaschte ich den Keks und hob den Deckel von meinem Becher.
 

So blieben wir also ungestört und Kanda blieb es auch. Vermutlich zogen wir alle einen Vorteil daraus, denn, ohne Kanda zu nahe treten zu wollen, der Tee oder das Gebäck schmeckten besser, wenn keines der Gesichter ein Finsteres war. Ihn wiederum störten wir auch nicht durch unsere Worte und die flossen und flossen hinter der geschlossenen Tür. Ununterbrochen philosophierten wir über diesen Tee, den ich nur nutzte, um das Gebäck hinein zu tunken. Einmal nippte ich auch an dem Gebräu aber es war nichts, wofür ich mich begeistern könnte. Es war irgendwie bitter aber zu meinem Glück schien sich die Abneigung meines Gegenübers vielmehr auf das Gebäck zu beziehen. So wurden wir uns wortlos einig.

„Zimt.“ Konzentriert wendete ich das Gebäck im Mund, starrte mit verengten Augen um mich, während mir gegenüber weitergeschlürft wurde. „Da muss Zimt drin sein.“

Anteilnehmend verfolgte Crowley meine Forschungsarbeiten und als ich nach dem nächsten Keks griff, hob er die Brauen. „Aber wieso sehen sie so dunkel aus?“

Ja, es stimmte. Dunkel waren sie wirklich aber erklären konnte ich es mir nicht. Nachdenklich wischte ich mir einen Krümel aus dem Mundwinkel und bemerkte ein weiteres Mal, wie sehr diese Kekse im Mund klebten. Die Einzelteile von den Zähnen zu bekommen, war genauso schwer wie die verschiedenen Geschmacksrichtungen herauszubekommen.

„Ist es vielleicht Schokolade?“ Somit schlürfte Crowley weiter aber wenn ich mir einer Sache sicher war, dann war es der Fakt, dass Schokolade hier weit entfernt war. Eher schmeckte es säuerlich und gemütlich vertiefte ich mich in diese Angelegenheit.

„Es klebt, als wäre Leim drin, schmeckt aber nach Fisch. Ein Fischkeks?“

Es war so angenehm, sich einer durch und durch sinnlosen Sache zu widmen. Ich brach den Keks auseinander, betastete das schwarze, getrocknete Blättchen, das ihn zum Teil umschloss.

„Fühlt sich an wie Holz“, murmelte ich und spähte zur Seite, als sich die Tür zum Innenhof öffnete.

Plötzlich wurde sie aufgeschoben und der junge Mann, der auf einmal im Rahmen stand, starrte mich an und tat es resigniert und verständnislos. Eine Hälfte des Kekses rutschte mir aus den Fingern, als ich seinen Blick erwiderte und eine kurze Stille bei uns herrschte.

„Es sind Senbei“, erhob er dann die Stimme, als hätte er mein Philosophieren nicht mehr ertragen. Dann trat er ein. „Reiskekse mit Seetang. Kein Holz.“

Beeindruckt tastete ich nach dem entflohenen Keks. Jetzt hatte er es mir doch verraten und zufrieden ließ ich den letzten Keks im Mund verschwinden. Senbei. Das durfte ich nicht vergessen und nur ein knapper Blick traf das leere Schälchen, bevor sich Kanda auf seinem alten Platz niederließ. Den leeren Teebecher stellte er ab, rückte sich kurz zurecht und atmete tief durch. Kauend wandte ich mich ihm zu, Crowley trank die letzten Schlucke.

„Der Wirtin nach hat der Guji in einem Tempel gelebt und gearbeitet, der nicht sehr weit entfernt ist.“ So wandte sich Kanda an uns und schenkte meiner knappen Begutachtung seines Bechers keine Beachtung.

Sobald dieser Becher leer war, wurde er plötzlich gesprächig. Er setzte wirklich Prioritäten und natürlich hatte er die wichtigsten Fragen längst gestellt. Eigentlich hatte es mich nicht zu überraschen. Ihn auf Missionen zu Taten antreiben zu müssen, wäre ein seltsames Ding.

„Weißt du, wo er ist?“, erkundigte sich Crowley.

„Fünf Kilometer nördlich, in der Nähe von Uka.“ Kandas Hand bekam den Becher zu fassen, begann ihn zu drehen. „Wir müssen dort so schnell wie möglich hin.“

„Wir bräuchten nicht lange.“ Von Crowley sah ich zu Kanda. „Bis zur Abenddämmerung könnten wir wieder zurück sein.“

Wenn wir sofort aufbrachen. Sofort wurde mir gegenüber genickt, doch Kanda war anderer Meinung.

„Einen Gesprächspartner werden wir dort nur abends finden“, meinte er. „Tagsüber sind die Mönche außerhalb unterwegs oder mit Zeremonien, Gebeten und Arbeiten beschäftigt.“

Grüblerisch stemmte ich das Kinn in die Handfläche und starrte auf das gegenüberliegende Regal.

„Der Finder meinte, es wären nur Level 1, die den Friedhof durchstreifen“, hob Crowley an. „Mit denen kann es auch einer von uns aufnehmen.“

„Schon“, stimmte ich zu und regte die Finger am Kinn. „Vorausgesetzt, unsere Anwesenheit ist bisher ein Geheimnis geblieben.“

An der Spitze des Tisches erhob sich ein zustimmendes Brummen. Niemand von uns wusste, ob es möglicherweise nicht auch die falschen Menschen waren, die uns auf dem Weg in das Dorf oder im Dorf selbst zu Gesicht bekamen. Möglicherweise hatten wir längst etwas angelockt, das mehr Stärke forderte.

„Willst du damit sagen, einer überwacht den Friedhof und zwei gehen zum Tempel?“ Kandas Finger machten sich immer noch an dem Becher zu schaffen. Sie glitten über den Rand, betasteten die raue Struktur. Crowley nickte und so richtete ich mich auf.

„Wenn alles so kommt, wie wir es uns vorstellen, sehe ich darin kein Problem.“ Sofort spürte ich Kandas Regung, kam ihm jedoch zuvor. „Aber da das selten der Fall ist, schlage ich vor, dass wir zuerst alle zum Friedhof gehen und herausfinden, auf was für einen Widerstand wir treffen.“

Es schien, als hätte Kanda etwas Ähnliches sagen wollen. Jetzt schwieg er jedenfalls und ich wandte mich an Crowley.

„Sollten es wirklich nur Level 1 sein, werden wir sie zerstören und uns anschließend zu zweit auf den Weg zum Tempel machen. Wenn die Akuma noch nicht von uns wissen, gibt es keine Verstärkung und bevor neue auftauchen, sind wir längst zurück und das hoffentlich mit nützlichen Informationen.“

„Meinetwegen.“ Endlich ließ Kanda von seinem Becher ab. Nach der letzten Berührung pendelte er sich scheppernd auf dem Tisch ein. „Um der Eskalation vorzubeugen, halten wir den Kontakt. Sollte es sich um eine Falle handeln, ist der Rückweg zum Friedhof schnell hinter sich gebracht.“

Er spähte zur Seite und wurde auf mehrere, kleine Mappen aufmerksam, die in einem der Fächer lagen.

„Ich hätte kein Problem damit, mit dem Finder die Stellung auf dem Friedhof zu halten.“ Crowley beugte der folgenden Frage vor. Letztendlich war es egal, wer von uns beiden Kanda begleitete, also nickte ich.

Es würde bei der Abenddämmerung bleiben, nur nicht bei demselben Ziel.

Irgendwie stieg auch in mir ein Gähnen höher und während Kanda auf die Beine kam, streckte ich mich. Nach wie vor blieben uns noch einige Stunden und irgendwie stand mir der Sinn danach, die Zeit für eine gesunde Mütze voll Schlaf herzugeben. Wirklich erholen konnte man sich auf einer Reise nicht. Man gelangte einfach nicht an diesen angenehmen Tiefschlaf.

Ächzend sank ich in mich zusammen und verfolgte trübe, wie sich Kanda eine dieser Mappen nahm. Es war alles gesagt und sofort fokussierte er sich nur noch auf die dicken, rauen Seiten, die ein Meer aus Schriftzeichen offenbarten.

Stirnrunzelnd neigte ich mich zur Seite und warf einen Blick in diese Mappe. Das Schaben der Tür verschaffte mir die nötige Ablenkung. Es war der Finder, der zurückkehrte und mit ihm ein säuberlicher Mantel. Und er hätte keinen besseren Moment abpassen können. Durch ihn hatten wir Kanda nicht mit weiteren Fragen zu provozieren und erfuhren schnell, dass er nichts anderes als den Speiseplan des Hauses studierte. Das Lesen der Schriftzeichen fiel dem Finder glücklicherweise leichter als die fließende Kommunikation und so verbrachten Crowley und ich eine lange Zeit damit, uns all die Gerichte vorlesen zu lassen.

Die japanische Küche war komplex aber die Bestellung gelang im Nachhinein ganz zufriedenstellend. Es dauerte auch nicht lange, bis serviert wurde. Das Essen war üppig, zierlich gestaltet und in der ganzen Menge eigentlich mehr häppchenweise zu genießen. Etliche Schüsseln, Schälchen, Teller und Krüge und während ich dann kaute, kam ich einfach nicht umhin, meine Augen zur Seite schweifen zu lassen. Mir gegenüber verschaffte sich Crowley einen vorsichtigen Eindruck von den fremden Delikatessen. Auch der Finder ließ es sich schmecken aber es war eine ganz andere Sache, über die ich nicht hinwegkam.

Kanda war ein seltsamer Mensch.

Fast unaufhörlich starrte ich auf das Tablett, über das er sich beugte. Hier, wo er die freie Wahl hatte und man ihm alles zubereitet hätte, blieb er seiner Gewohnheit treu und aß Soba-Nudeln. Es schmeckte ihm offenbar so gut, dass er nicht einmal auf meine penetrante Beobachtung einging. Die Augen auf die Schale gerichtet, versenkte er die Stäbchen in den Nudeln, kratzte am Wasabi und kaute genügsam.
 

Den Rest des Tages nutzten wir, um zu neuen Kräften zu finden. Die kommende Nacht war nicht einzuschätzen und so dösten wir etwas, während Kanda im Ryokan unterwegs war. Was er tat, das wusste ich nicht aber vermutlich reichte die Erklärung, dass er überall lieber war als bei uns. Erst als die Abenddämmerung einsetzte, betrat er wieder den Raum und gemeinsam trafen wir die letzten Vorbereitungen, bevor wir in den Sonnenuntergang hinaustraten und zu jenem Friedhof zurückkehrten.

Wir gingen zügig, waren lieber zu früh am Ort des Geschehens, als zu spät und fanden uns zu dieser Uhrzeit alleine auf den Feldwegen Okinawas wieder. Nur einmal erspähte ich in weiter Entfernung die Bewegungen zweier Bauern, die ihre Felder verließen und dorthin zogen, von wo wir kamen.

Zurück zum Dorf, zurück in die Sicherheit, der wir uns entzogen. Und das Ziel war schnell erreicht. Bald pirschten wir uns schon zwischen den dunklen Stämmen hindurch, stiegen durch tückisches Unkraut und gingen unter den annähernd schwarzen Baumwipfeln unseres Weges.

Dass etwas nach Plan verlief, geschah nicht oft. Die meisten Missionen waren so schwierig und hielten alles für uns bereit, womit wir nicht rechneten. Nicht so wie diesmal und der Anblick der wenigen Level 1-Akuma, die durch die Reihen der Grabsteine drifteten, brachte uns Zuversicht.

Es war keine Herausforderung und kaum waren wir aus dem Dickicht getreten, erlagen die schweren Körper schon unseren Waffen. Nur kurz erhoben sich die ohrenbetäubenden Geräusche, nur wenige Schüsse entflammten an dem heiligen Ort, bevor die Akuma dumpf zu Boden gingen und die Umgebung unter grellen Explosionen aufleuchtete.

Man meinte es gut mit uns und wir wechselten kaum ein Wort, bevor wir uns trennten. Crowley und der Finder blieben zurück, hielten die Position inmitten der letzten, brennenden Überreste der Akuma, während Kanda und ich uns rasch in Bewegung setzten. Fort von dem Friedhof und zurück in das Unterholz.
 

-tbc-



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