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For the World Is Hollow and I Have Touched the Sky

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe das Ritual der Besänftigung in den Spielen in dieser Geschichte durch das (von mir erfundene) Brandmarken ersetzt. Der Effekt ist im Prinzip der gleiche, allerdings wird Brandmarken immer im Kontext mit Seelennamen angewandt und kann jeden betreffen, nicht nur Magier. Eine genauere Erklärung dazu findet ihr im Kapitel. :) Komplett anzeigen

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Solas

Solas schlug die Augen auf.

Über ihm spannte sich ein mondloser Nachthimmel, an dem unzählige Sterne funkelten. Die Lagerfeuer waren erloschen und für einen Augenblick war er vollkommen orientierungslos, doch dann spürte er unter sich das harte Pflaster einer Straße und ihm wurde bewusst, dass er nicht mehr in den Bergen war. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, und er sah, dass sich vor den Sternen dunkel die Umrisse zahlreicher, hoher Gebäude abhoben. Doch sie waren unbeleuchtet und in den Straßen der Stadt, die sich um ihn herum ausbreitete, war es totenstill. Als er sich schließlich erhob und wahllos eine Richtung einschlug, war das Klacken seines Stabes auf dem gepflasterten Weg das einzige Geräusch, das die nächtliche Stille durchdrang.

Der Ort war ihm völlig unbekannt, was nur eines bedeuten konnte: dass er träumte.

Das Wissen, dass er sich in einem Traum befand, versetzte ihn augenblicklich in einen Zustand der Gelassenheit und Ruhe. Im Nichts mochten viele Gefahren lauern, doch es war zumindest eine Umgebung, die er kontrollieren konnte, und Solas blieb hin und wieder stehen, um sich aufmerksam umzuschauen.

Die Häuser der dunklen Stadt waren bei näherem Hinsehen in einem weitaus schlechteren Zustand, als er ursprünglich angenommen hatte. Viele von ihnen reckten sich krumm und schief zum Himmel empor, so als wären Teile des ursprünglichen Baus erst später hinzugefügt worden, um Platz für mehr Bewohner zu schaffen. Überall sah man Spuren der Abnutzung und des Verfalls, und Solas erkannte, dass dies das Armenviertel der Stadt sein musste, deren leere Straßen er durchschritt.

Plötzlich ahnte er, in wessen Traum er sich befand.

Seine Vermutung wurde kurze Zeit später bestätigt, als er um eine Hausecke bog und vor sich ein schmales, unscheinbares Gebäude erblickte, in dessen unterstem Fenster eine einzelne Kerze brannte.

Daneben saß eine junge Elfe, die nicht älter als vierzehn Jahre sein konnte, und sah mit besorgter Miene hinaus in die Nacht.

„Ella“, ertönte eine leise, sanfte Stimme aus der Wohnung. „Geh ins Bett. Sie wird schon noch kommen.“

Die Elfe drehte sich um. Solas konnte nicht erkennen, wen sie ansah, doch er konnte die leise Konversation, die folgte, klar und deutlich hören.

„Sie war noch nie so lange fort, Großmutter“, entgegnete das Mädchen. „Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist? In letzter Zeit sind so viele von uns spurlos verschwunden...“

„Um ihr Glück woanders zu suchen“, entgegnete die alte Frau. „Doch deine Mutter würde weder dich noch mich je im Stich lassen. Das weißt du.“

„... ja.“ Ellana gab ein Seufzen von sich und senkte den Kopf. „Es sieht ihr dennoch nicht ähnlich, so lange fortzubleiben.“

„Als du noch klein warst, war sie oft lange fort“, sagte ihre Großmutter. „Ich sorgte mich jede Nacht um sie, doch sie kam immer zu uns zurück. Vertrau auf deine Mutter, Ella. Sie ist klug und stark. Ihr wird nichts geschehen.“

Das Mädchen schwieg für einen Moment, doch schließlich nickte es.

„Du hast vermutlich Recht“, meinte Ellana. „Vielleicht mache ich mir einfach zu viele Sorgen.“

Sie stand auf und trat vom Fenster fort, so dass Solas sie nicht mehr sehen konnte. Er nahm an, dass die Kerze erlöschen würde und der Traum entweder enden oder in einen anderen Traum übergehen würde, und wollte seinen Weg gerade fortsetzen, als Ellana wieder zurückkehrte und sich erneut ans Fenster setzte.

Und dieses Mal sah sie ihn an.

„Ich dachte, ich hätte mich geirrt, doch nun sehe ich, dass Ihr kein Traumgespinst seid“, sagte sie. „Wer seid Ihr? Und was macht Ihr in meinem Traum?“

„Verzeiht“, entgegnete Solas und trat ein paar Schritte näher, blieb jedoch in respektvollem Abstand stehen, um ihr keine Angst zu machen. „Es war nicht meine Absicht, Euren Schlaf zu stören. Ich bin lediglich ein Wanderer im Nichts und selbst ein wenig überrascht, dass es mich hierher verschlagen hat.“

„Seid Ihr ein Dämon?“, fragte das Mädchen. Es waren weder Misstrauen noch Furcht in ihrer Stimme, doch Solas spürte, dass sie sich vor ihm in Acht nahm.

Er schüttelte den Kopf.

„Nein“, erwiderte er und lächelte. „Ich bin lediglich ein Träumer wie Ihr.“

„Und wer ist dann er?“ Sie deutete auf etwas, was sich hinter ihm befand, und Solas drehte sich um.

Ein riesiger weißer Wolf stand vor ihm auf der Straße und erwiderte seinen Blick aus klugen, grauen Augen. Hechelnd trat er näher und presste seine Schnauze gegen Solas‘ Hand. Überrascht hob der Elf seinen Arm, doch der Wolf schmiegte sich nur mit leisem Winseln an seine Seite. Schließlich senkte Solas zögernd wieder die Hand und ließ die Finger durch das weiche Fell des Tieres gleiten.

Das hätte nicht passieren dürfen. Für gewöhnlich hatte er sich genug unter Kontrolle, um diesen Teil seiner selbst im Nichts zu unterdrücken, insbesondere wenn er durch die Träume anderer wanderte.

Nur nicht hier, wie es schien.

„Mein Gefährte im Nichts“, erwiderte er schließlich, als ihm bewusst wurde, dass sie auf seine Antwort wartete. „Sorgt Euch nicht. Er wird Euch nichts tun.“

Er sah Verwunderung in ihrem Blick.

„Er kommt mir bekannt vor“, sagte sie. Und dann hoben sich ihre Augenbrauen, als sie ihn erneut musterte. „Ihr kommt mir bekannt vor. Doch woher kenne ich Euch...?“

Er sah sie ruhig an und erwiderte mit sanfter Stimme:

„Ich bin mir sicher, es wird Euch wieder einfallen, wenn Ihr aufwacht, lethallan.“

Und mit diesen Worten erlosch die Kerze.

 

Solas schlug die Augen auf.

Dieses Mal wusste er, dass er wach war und nicht länger träumte, noch bevor er den eisigen Wind spürte, der durch die Ritzen des Zeltes drang.

Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, um die Müdigkeit abzuschütteln, dann setzte er sich auf. Neben ihm lag Lavellan auf einem Bett aus Decken und Fellen und schlug ihrerseits blinzelnd die Augen auf. Als sie ihn sah, schenkte sie ihm ein schläfriges Lächeln, das Solas unbewusst erwiderte – etwas, was ihm in letzter Zeit häufiger passierte, wie er vor kurzem festgestellt hatte.

„Ihr wart in meinem Traum“, sagte sie leise.

„Und ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen“, erwiderte er ebenso leise. „Manchmal werde ich in die Träume anderer gezogen, gerade wenn sie für diese von großer Bedeutung sind und starke Emotionen darin vorherrschen. Glaubt mir, es war nicht meine Absicht, mich in Eure persönlichsten Erinnerungen zu drängen.“

Sie schwieg für einen Moment, ohne ihn dabei anzusehen.

„Ich bin Euch nicht böse, Solas“, erwiderte sie schließlich. „Es war keine angenehme Erinnerung. Wenn überhaupt, dann hat Eure Anwesenheit sie nur erträglicher gemacht.“

Solas gab keine Antwort, da er spürte, dass sie noch mehr sagen wollte, doch die Bemerkung rührte ihn.

Lavellan schloss für einen Moment die Augen und nach einer Weile fuhr sie schließlich fort:

„Es war die Nacht, in der meine Mutter verschwand. Nachdem meine Großmutter sich zur Ruhe gelegt hatte, saß ich noch bis zum Morgengrauen am Fenster und wartete auf sie. Doch sie kehrte nicht zurück.“

Einem plötzlichen Impuls folgend streckte Solas die Hand aus und ergriff vorsichtig die bandagierten Finger der jungen Frau.

„Es tut mir leid“, sagte er leise. „Es muss furchtbar sein, eine geliebte Person so plötzlich zu verlieren.“

Sie gab keine Antwort, doch sie erwiderte den Griff seiner Hand mit sanftem Druck.

„Habt Ihr je erfahren, was aus ihr wurde?“, fragte Solas.

„Ja“, entgegnete sie flüsternd.

Doch sie schien nicht weiter darüber sprechen zu wollen und Solas war klug genug, sie nicht danach zu fragen. Sie würde über diesen Teil ihrer Vergangenheit sprechen, wenn sie bereit war.

Die beiden Elfen hingen für eine Weile schweigend ihren eigenen Gedanken nach. Nach einigen Minuten wurde Solas bewusst, dass er Lavellans Hand noch immer festhielt, doch es schien sie nicht zu stören und so zog er sie nicht zurück.

Eine einzelne Stimme durchbrach plötzlich die Stille, die sich über das Lager gelegt hatte, und ließ sie aufblicken.

Lavellan stützte sich mühsam auf die Ellenbogen, um hinauszusehen, während Solas aufstand und die Zeltplane anhob.

Eine stumme Prozession von Menschen passierte das Zelt, angeführt von einer alten Frau, die ein Klagelied sang. Sie alle waren in Weiß gekleidet – die Farbe der Trauer. Solas sah über das Lager hinweg und erblickte am Rande der kleinen Zeltstadt mehrere Scheiterhaufen, die in sicherem Abstand errichtet worden waren. Zweifellos das Ziel des Trauerzuges.

„Was tun sie?“, fragte Lavellan, die nicht sehen konnte, was er sah.

„Sie verbrennen ihre Seelengefährten“, entgegnete Solas leise, während er in die leblosen Gesichter der Männer und Frauen sah, die lautlos wie Geister an ihm vorbeischritten.

Viele hatten den Angriff auf Haven und die anschließende Flucht in die Berge nicht überlebt. Es war keine Zeit gewesen, all die Toten zu betrauern, doch der Verlust eines Seelenpartners bedeutete eine Dimension von Schmerz, die mit nichts auf der Welt zu vergleichen war, und es wäre einem Sakrileg gleichgekommen, keinen gebührenden Abschied zu nehmen.

Schließlich erreichte die Prozession die Reihe der Scheiterhaufen und nacheinander traten einzelne Männer und Frauen vor und entzündeten die Scheiterhaufen ihrer verstorbenen Seelenpartner. All dies geschah in absoluter Stille, sah man von dem anhaltenden Klagegesang und dem leisen Knacken und Knistern der brennenden Scheite ab.

Nach einem Monat der Trauerzeit würden die Trauernden die einmalige – und nur unter diesen Bedingungen zulässige – Wahl bekommen, sich brandmarken zu lassen, was bedeutete, dass der Name auf ihrem Handgelenk durch ein Brandzeichen entfernt werden würde. Obwohl dies furchtbare Schmerzen bedeutete und die Gebrandmarkten danach gelassen, fast schon gleichgültig wurden, gab es immer wieder Personen, die sich dafür entschieden, da es den furchtbaren Schmerz über den Verlust ihres Partners als einziges erträglich machte.

Solas hielt nichts von diesem barbarischen Ritual, das schon viele kluge und tatkräftige Menschen die Persönlichkeit gekostet hatte, und, wenn er den Gerüchten Glauben schenken konnte, von den Templern in den Zirkeln der Magi oder den Sklavenhaltern von Tevinter missbraucht wurde. Doch es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Jeder musste selbst entscheiden, wie er mit seinem Verlust umging.

Und nicht zum ersten Mal, seitdem er aus seinem jahrtausendelangen Schlaf erwacht war, war Solas froh darüber, dass er diese Art von Schmerz nie erfahren würde.

Als er die Zeltplane wieder sinken ließ und sich Lavellan zuwandte, sah er Tränen in ihren Augen schimmern. Sie hielt ihr Handgelenk umklammert und sah ihn nicht an, als er sich neben sie setzte.

„Sich auf diese Weise von seinem Partner zu verabschieden...“, sagte sie mit heiserer Stimme. „Ich weiß nicht, ob ich das jemals könnte.“

Er fragte sich, ob sie ihren Partner bereits gefunden hatte, und aufgebracht war, weil sie sich vorstellte, wie es sein musste, ihn zu verlieren. Und er spürte plötzlich einen unerwarteten und gänzlich unangemessenen Anflug von Eifersucht in seiner Brust.

„Ich bete, dass Ihr es niemals müsst“, entgegnete er sanft und ergriff einmal mehr ihre Hand, während er das Gefühl wieder verdrängte.

Sie schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. „Das hoffe ich auch.“

Er drückte sacht ihre Finger, dann erhob er sich wieder.

„Schlaft, lethallan“, sagte er. „Ruht Euch aus. Morgen wird es Euch wieder besser gehen.“

Lavellan schloss seufzend die Augen, doch nicht ohne dabei zu murmeln: „Und was habt Ihr solange vor, Solas?“

Der Elf griff nach seinem Stab und überlegte für einen Moment.

„Ich muss eine Entscheidung treffen“, erwiderte er schließlich leise.

Dann verließ er das Zelt.

 

Tarasyl'an te'las.

Der Ort, an dem der Himmel zurückgehalten wurde.

Wie er es auch drehte und wendete, die Himmelsfeste war der einzige Zufluchtsort, der ihnen noch blieb. Ihre Position zu verraten, würde ihn große Überwindung kosten, doch ohne eine feste Heimat würde die Inquisition nicht lange bestehen, und dann würde Solas die Kugel, die sich in Corypheus‘ Besitz befand, niemals zurückerlangen.

Und im Vergleich zu einer Welt, die von einem uralten, machthungrigen Magister regiert wurde, war der Verlust seiner alten Festung zweifellos das kleinere Übel.

Und so bat er Lavellan am nächsten Abend um ein Gespräch unter vier Augen und führte sie zu einer Stelle außerhalb des Lagers, an der sie sich ungestört unterhalten konnten.

„Ihr sagt also, dass es nicht nur Corypheus‘ wachsende Armee ist, vor der wir uns in Acht nehmen sollten, sondern auch das Artefakt, das er bei sich trägt, und die Gefahr, die uns Elfen durch seinen Missbrauch droht?“

Solas nickte, erfreut über ihre schnelle Auffassungsgabe.

„Das ist korrekt“, entgegnete er.

Sie sah ihn aufmerksam an.

„Ihr habt mich sicher nicht nur hierher geführt, um mir dies mitzuteilen“, sagte sie. „Ich nehme an, Ihr habt einen Plan?“

„Abermals korrekt“, erwiderte er. Dann hob er den Blick und sah in Richtung Norden.

„Es gibt einen Ort, an dem die Inquisition vorerst sicher ist. An dem sie wachsen kann“, fuhr er fort. „Ich habe ihn vor langer Zeit auf meinen Wanderungen entdeckt, und mir scheint, dass nun der richtige Zeitpunkt gekommen ist, ihn aufzusuchen.“

Er sah sie wieder an.

„Führt sie an, Ellana. Führt sie nach Norden. Dort werdet Ihr finden, wovon ich spreche – einen Ort, der einer Armee wie dieser würdig ist.“

Sie zögerte.

„Es wird eine beschwerliche Reise werden“, sagte sie dann. „Erst recht zu dieser Jahreszeit und mit so vielen Leuten.“

„Ich weiß“, entgegnete er ruhig.

„Versprecht es mir, Solas.“ Ihre grünen Augen hielten seinen Blick gefangen. Sie wollte ihm so sehr vertrauen können, das spürte er. „Versprecht mir, dass alles, was Ihr mir soeben erzählt habt, die Wahrheit ist, und dass das Opfer, das wir in Haven gebracht haben, nicht umsonst war, wenn wir diesen Ort erreichen, von dem Ihr mir erzählt habt.“

Er zögerte keine Sekunde lang. „Ich verspreche es.“

Sie sah den Ernst in seinem Blick und nickte schließlich.

„Gut“, entgegnete sie. „Dann brechen wir bei Sonnenaufgang auf.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schneesturm
2016-11-21T19:30:39+00:00 21.11.2016 20:30
Ich frage mich, ob man denn auch das Brandmarken wieder rückgängig machen kann?

Oh, Solas kleiner Anflug von Eifersucht ist süß, er versucht gegen seine Gefühle zu ihr anzukämpfen...ob es ihm jetzt schon selbst bewusst ist? Ob er es bewusst verdrängt, weil er weiß, dass für solche Gefühle kein Platz ist? Aber ich finde es gut, dass er nicht weiß, dass Lavellan seinen Namen auf dem Handgelenk trägt. :)
Antwort von: Morwen
26.11.2016 22:59
Kann man leider nicht. .__.
Es ist allerdings schwer, Seelennamen zu vernichten. Verletzungen der Hand, die im Alltag jederzeit passieren können, reichen dafür nicht aus.
Man muss spezielle, magische Brandeisen benutzen, um sie gänzlich auszulöschen.

Ich glaube, Solas versucht noch herauszufinden, ob er sie mag, weil er so unheimlich lange allein war und sich einfach nach Zuwendung sehnt, oder weil er sie tatsächlich liebt... wir wissen natürlich alle, was von beiden es ist, aber Solas ist in der Beziehung nicht der hellste. ;)

Vielen Dank! :D


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