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Zodiac

von

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vertrauter Feind

Herbst 2015, le village de étoiles
 

Selest Peterson

Ich weiß nicht wie lange genau Antoniella mich gequält hatte. Doch was ich weiß ist, dass es lange genug war und ich kurz davor war sie anzuflehen damit aufzuhören.

Ich habe die Schmerzen einfach nicht mehr ausgehalten, denn sie waren unerträglich und ich glaube auch nicht, dass ich jemals schlimmere Schmerzen verspürt hatte, noch nicht einmal in meinen Träumen, in denen Lykan mich nächtelang getötet hatte. Denn auch wenn es nur Träume waren, Träume die irgendwann noch wahr werden sollen, spürte ich alles so, als würde es gerade wirklich passieren. Doch es waren nur Vorahnungen. Es war… oder es ist noch immer, mein Schicksal. Ein unausweichliches Schicksal.

In der ganzen Zeit in der Antoniella mich gequält hatte, lies sie Arashi in Frieden. Mein erster Gedanke war: zum Glück, doch dann wurde mir ja bewusst, dass er auch mit mir verbunden ist und daher dieselben Schmerzen spürt wie ich. Was mich aber stutzig machte war – und das tut es noch immer – dass es keinerlei Anzeichen dafür gab. Arashi lag einfach nur auf seinem Platz, an dem er auch jetzt noch liegt, und rührte sich nicht. Nicht ein einziges Mal. Hoffentlich ist er noch am Leben. Wäre er tot, könnte ich mir das niemals verzeihen.

Antoniella steht mit dem Rücken zu mir und murmelt irgendwelche seltsamen Worte vor sich her. Ich verstehe zwar kein Wort, doch weiß ich dennoch ganz genau was das für eine Sprache ist, auch wenn es einige Zeit dauerte, bis ich es herausfand. Es ist die alte und unheilbringende Sprache der Stonehenge-Hohepriesterin Acha.

Unter starken Schmerzen versuche ich meine Hand nach Arashi auszustrecken. Ich mache mir wirklich sorgen um ihn, und daher muss ich es einfach wissen. Ich muss wissen, ob er noch am Leben ist. Sanft streicht meine Hand seinen Rücken entlang und zu meiner großen Erleichterung spüre ich, wie sein Körper leicht zittert. Zwar bedeutet das gleichzeitig auch, dass Arashi genauso wie ich noch Schmerzen verspürt, doch zumindest lebt er. Und das ist schon einmal viel wert. Ich robbe näher an ihn ran.

„Arashi!“, wispere ich seinen Namen. „Kannst du mich hören?“ Ich bekomme keine Reaktion.

Wie sehr wünsche ich mir, dass er mir jetzt einen seiner blöden Kommentare entgegenschmettert, so wie er es sonst auch immer getan hat und mich damit meistens zur Weißglut trieb. Ich würde wirklich alles dafür tun, seine spottende Stimme zu hören.

Ich streiche meinem Lieblingsvampir durch die Haare und träume leicht vor mich hin. Eine fremde Stimme dringt an mein Ohr und sofort stoppe ich in meinem Tun. Ich drehe meinen Kopf leicht zur Seite und hebe ihn an. Neben mir steht ein hochgewachsener Mann, der mich interessiert mustert. Wer ist das? Und seit wann ist der hier?

„Ist sie das?“, will von Antoniella wissen, die neben ihm steht. Sie nickt.

„Ja. Das ist Selest, und sie ist die wahre Zodiac“, kommentiert sie und grinst mich dabei diabolisch an. „Also was ist jetzt, Kostja. Sind wir im Geschäft?“

Der grauhaarige und bärtige alte Mann hockt sich zu mir runter. Er nimmt mein Gesicht in beide Hände und dreht und zerrt es, wie es ihm gefällt. Das tut weh, verdammt. Zischend beiße ich meine Zähne zusammen. Jetzt nur keine Schwäche zeigen. Nicht, wo ich sogar bei Antoniella hart geblieben bin.

„Wie kommt es das ihr sie eintauschen wollt, Edema?“ Hä. Wieso denn jetzt Edema? Ich verstehe gar nichts mehr. „Ich dachte auch ihr seid hinter der Macht der Zodiacs her. Und da wollt ihr sie mir wirklich überlassen? Das passt so gar nicht zu euch, meine Liebe. Was hat deine Ziehtochter, was diese Zodiac hier nicht hat?“ Dieser Kostja lässt mein Gesicht wieder los und steht dann auf. Er klopft sich den Staub von den dunklen Klamotten. „Wieso wollt ihr sie so unbedingt wieder haben? Sagt es mir. Es interessiert mich wirklich, da es euch ja egal zu sein schien, dass sie durch deine Folter an der Kleinen hier, ebenfalls starke Schmerzen erlitt.“

„Das geht euch nichts an, Kostja. Also entweder wir tauschen jetzt, oder ihr verschwindet wieder. Doch bevor ihr euch entscheidet… Sagt euren zwei jüngsten missratenen Söhnen, dass ich sie das nächste Mal töten werde, wenn wir uns noch einmal sehen. Denn niemand geht so mit mir um, wie sie es getan haben. Und darüber hinaus sollte dein Jüngster achtgeben, denn ich mag es nicht wie er Kira angesehen hat.“

„Der Junge ist eben verliebt. Und übrigens… Er kümmert sich gerade rührend um deine Ziehtochter. Und auch wenn es ihr anfangs nicht passte, so scheint sie mittlerweile nichts mehr gegen seine Heilungsversuche zu haben. Wenn du mich fragst, dann sieht es ganz so aus, als sei sie auch in ihn ver…“, sagt Kostja, kommt allerdings nicht weit, da Antoniella ihn völlig unerwartet angreift.

Ihr Körper ist wieder von diesen Flammen umgeben, mit denen sie nun ihren Gast beschießt. Doch ihr Angriff zeigt bei dem Alten absolut keine Wirkung, da er von irgendeinem schwarzen Rauch umgeben ist, der ihn vor ihren lodernden Flammen schützt. Antoniellas Blick verfinstert sich, als ihr wohl klar wird, dass sie diesem Kostja nichts anhaben kann.

„Du hast nachgelassen, meine Liebe“, verhöhnt er sie. „Kann es vielleicht sein, dass die Seele deiner Tochter stärker ist als die deine?“ Was meint er damit?

Oh. Ich weiß.

Arashi hat mir ja erklärt, dass er denkt, dass Antoniella wohl eine weitere Seele in sich hat. So wie es aussieht stimmt es, und ihr Körper ist von dieser Edema, ihrer eigenen Mutter, besetzt wurden. Allerdings weiß ich nicht ob das gute, oder schlechte Nachrichten sind. Doch bei unserem Glück…

Ich wende meinen Blick von den beiden kämpfenden ab und kümmere mich wieder um Arashi. Ich berühre ihn erneut ganz sachte, und diesmal reagiert er. Er hebt seinen Kopf und blickt mir tief in die Augen.

„Du musst… von hier… von hier verschwinden“, bringt er unter Anstrengung hervor. Wieso geht es ihm nur so sehr viel schlechter als mir? „Kümmere dich… nicht um… um mich. Du musst…“, dann bricht er wieder zusammen. Erschrocken reiße ich meine Augen aus.

„Arashi?“ Mach jetzt bloß keinen Scheiß. „Arashi!!!“

Diese Verdammte… Ich balle meine Hände zu Fäusten und richte all meinen Hass auf Antoniella. Alles was in den letzten Tagen und Wochen, fast schon Monaten – wenn man meine Albträume mit dazurechnet – passiert ist, ist ihre Schuld. Und dafür wird sie büßen.

Mein Blick bohrt sich in ihre Flammengestalt. Und wie ich sie hasserfüllt anstarre wünsche ich mir, dass sie von ihrer eigenen Medizin mal kosten kann. Dass sie dieselben Schmerzen verspürt, die sie mir, Arashi und auch Kira zugefügt hatte.

Ohne irgendwelche Anzeichen davon, dass Kostja sie mit irgendeiner Art von Magie angegriffen hätte, geht Antoniella schreiend zu Boden. Sie liegt in ihrer normalen Gestalt – nicht mehr von den Flammen umgeben – wie ein Häufchen Elend, auf dem dreckigen Zellenboden.

Kann es vielleicht sein…

„War… war ich das?“, murmle ich und starre ungläubig auf meine Hände. Sie stehen in Flammen, doch es tut nicht weh.

„Nicht schlecht“, höre ich Kostja sagen. Ich blicke in seine Richtung. Er kommt auf mich zu und hockt sich wieder zu mir. „Du scheinst ein Naturtalent zu sein“, sagt er lächelnd. Er blickt nochmal zu Antoniella, die allmählich wieder zu Kräften kommt. „Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten die du tun kannst, kleine Hexe“, fährt er an mich gerichtet fort. „Die Erste wäre, dass du freiwillig mit mir mitkommst und die Zweite… nun, du kannst selbstverständlich auch hier bleiben und darauf warten dass Edema wieder bei Kräften ist.“ Er lässt eine kleine Pause. „Also… was darf es sein?“

Ich verstehe nicht wieso er mir die Wahl lässt, wo er doch auch hinter mir her zu sein scheint. Und so schwach wie ich bin, könnte er mich einfach mit sich nehmen und mir dann, bei sich zu Hause, meine Zodiac-Kräfte rauben. Doch warum tut er es nicht? Wieso lässt er mir die Wahl?

Aber egal warum. Schlimmer als hier, kann es mir bei ihm nicht ergehen. Und von mir aus kann er sich auch meine Zodiac-Kräfte nehmen, denn so langsam habe ich die Schnauze voll davon, dass jeder ihretwegen hinter mir her ist. Ich will sie gar nicht mehr.

„Ich komme mit euch“, hauche ich. „Doch habe ich vorher noch eine Bitte an euch… nehmt auch Arashi mit. Er braucht unbedingt Hilfe.“

Auf ein widerwilliges nicken von ihm hin – begeistert von meiner Bitte ist er nicht gerade – greife ich nach der mir angebotenen Hand und lasse mich, von dem sich ausbreitenden Schatten, der immer noch wie ein Schutzschild um Kostja liegt, verschlingen. Dann wird alles ganz schwarz.
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Selest Peterson

Ich schlage meine Augen auf und fasse mir als erstes an den schmerzenden Kopf. Irgend so ein Idiot bohrt in meinem Schädel und verursacht so starke Kopfschmerzen. Ich setze mich aufrecht hin und versuche einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich weiß ganz genau was mit mir passiert ist und auch, dass dieser Kostja, wer auch immer der alte Mann sein mag, mich mit sich nahm. Mir sogar die Wahl lies.

Mir tut alles weh, dennoch setze ich mich aufrecht hin. Ich sehe mich in dem Zimmer um, in dem ich eben aufgewacht bin und springe dann, wie von einer Tarantel gestochen auf, als ich in dem Bett neben mir Arashi liegen sehe. Sanft berühre ich sein Gesicht.

„Arashi“, rufe ich seinen Namen, in der Hoffnung dass er mir antwortet und mir bestätigt, dass alles gut ist. Dass es ihm gut geht und wir jetzt in Sicherheit sind. Doch nichts dergleichen passiert.

„Er wird wieder“, vernehme ich Julians Stimme hinter mir. Erschrocken drehe ich mich um und haste dann zu ihm. Ich greife nach dem Kragen seines schwarzen Umhangs und ziehe ihn dicht zu mir. „Du hast ihn, wenn auch unbewusst, mit deiner Zodiac-Kraft geschützt.“

„Du hast uns reingelegt“, schreie ich ihn an, ohne mir Gedanken über sein eben gesagtes zu machen. „Verdammt! Wir haben dir vertraut!“ Und nicht nur wir. Kira auch.

Ich sehe mich in dem Zimmer um. Doch außer mir, Arashi und Julian ist niemand hier.

„Wo ist Kira?“, verlange ich zu erfahren. Hoffentlich geht es ihr gut.

Julian löst sachte meine Hände von seinem Kragen und setzt sich dann auf das Bett, in dem ich bis eben noch gelegen habe. Seufzend fährt er sich mit einer Hand durch die Haare, ehe er mich ansieht.

„Kira ist in meinem Zimmer. Ihr geht es soweit gut, sie ist nur noch ein wenig ausgelaugt. Antoniellas, nein, Edemas Angriff auf dich, hat ihr ziemlich zugesetzt und ich konnte ihr leider nicht ganz so helfen wie ich es gerne gewollt hätte. Wenn du möchtest, bringe ich dich zu ihr.“

Hm… Ich würde schon ganz gerne sehen ob das was Julian mir eben sagte auch wahr ist, aber ich will Arashi nicht alleine lasse. Wer weiß wer hier noch alles ist, außer Julian und dem alten Mann, der mich und Arashi hierher brachte.

„Kannst du Kira nicht herbringen?“

„Du brauchst dir wegen Arashi keine Sorgen machen. Niemand wird ihm hier was tun. Denn auch wenn du mir nicht glauben wirst, aber wir sind nicht die Bösen.“

„Vielleicht. Aber die Guten seid ihr auch nicht“, sage ich mit ernster Miene. Immerhin sind sie Hexenjäger und was jagen sie… Hexen. Und ich bin eine, genauso wie Kira. „Also verzeih, wenn ich dir nicht wirklich glauben schenken kann. Du hast uns schließlich schon einmal angelogen.“

„Ich weiß.“ Julian schlägt die Augen nieder, dann steht er auf. „Und das tut mir wirklich leid, aber… Ich hatte einen Auftrag zu erledigen und egal ob du es mir nun glaubst oder nicht, ich will Kira und auch euch beiden, wirklich nichts Böses. Also entweder du kommst jetzt mit und überzeugst dich, dass es Kira gut geht, oder du wirst sie halt erst später sehen. Ist mir ehrlich gesagt egal wofür du dich entscheidest, obwohl… wenn ich du wäre, würde ich jetzt gleich gehen, da ich dir nicht wirklich versprechen kann, dass du Kira wirklich später noch einmal sehen wirst.“

Was?

„Wie meinst du das?“ Ich gehe zwei Schritte auf ihn zu, bleibe dann aber stehen. Ich will ihm nicht allzu nah kommen. „Was habt ihr mit ihr vor?“

„Nichts. Aber mit dir…, so leid es mir tut.“ Ja klar. Als wenn. „Also was darf es sein. Kommst du mit oder nicht. Ich habe noch was anderes zu tun, als hier mit dir zu diskutieren.“

Also ich muss schon sagen… Julian war mir definitiv sympathischer, als ich noch nicht wusste dass er ein Hexenjäger ist und ich ihn stattdessen nur für einen einfachen Polizisten gehalten habe, der doch recht starkes Interesse an Kira hatte. Doch jetzt, jetzt wirkt er anders. Irgendwie… bedrohlicher.

Ich werfe noch einmal einen Blick auf Arashi. Er liegt friedlich schlafend im Bett und sein Brustkorb hebt und senkt sich in regelmäßigen Abständen. Ihm scheint es wirklich gut zu gehen und deshalb…

„Ich komme mit dir“, sage ich an Julian gewandt und gehe langsam an ihm vorbei. „Doch wehe dir, du hast schon wieder gelogen, dann kannst du was erleben.“ Auch wenn ich nicht wirklich weiß was ich dann tun werde. Aber mir wird dann schon was einfallen.

Ich warte bis Julian an mir vorbeigegangen ist und folge ihm dann aus dem Zimmer raus und einen langen Gang entlang. Der erinnert mich an den vom Unterschlupf der Vampire, auch wenn dieser hier, ein wenig einladender aussieht. Aber auch nur ein wenig. Wir biegen um eine Ecke und gelangen zu einem riesigen Foyer, indem endlich mal jemand anderes zu sehen ist. Ob das alles Hexenjäger sind?

„Bleib bitte in meiner Nähe, Selest“, spricht Julian mich unerwartet an. Dabei sind wir bestimmt schon gute fünf Minuten unterwegs, in denen er nicht mit mir gesprochen hatte.

„Sind das hier alles Hexenjäger?“ Ich schaue mich vorsichtig um.

Rechts von mir, an einer freistehenden Wand angelehnt, steht ein kleiner, dafür aber recht gut ernährter junger Mann und starrt mich an. Sein durchbohrender Blick folgt mir und scheint sich gar nicht mehr von mir lösen zu wollen. Er holt ein scharf aussehendes Messer aus seiner Hosentasche raus und spielt damit rum. Schnell schaue ich weg und gehe zügig vorwärts. Verhöhnende Gelächter dringen an mein Ohr, und das von allen Seiten. Schnaubend schüttle ich meinen Kopf. Schön, dass ich für deren Unterhaltung sorgen kann. Das mache ich doch immer wieder gerne.

Ich laufe jetzt neben Julian her und nicht mehr hinter ihm. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen seiner Gegenwart und der der anderen hier, dann bin ich definitiv für seine. Zwar ist er auch ein Hexenjäger, doch habe ich bei ihm noch nie das Gefühl gehabt, er wolle mich umbringen. Auch jetzt nicht.

„Solange du bei mir oder meinen Brüdern bist, hast du vor den anderen nichts zu befürchten“, sagt Julian.

Falls er mich mit diesen Worten aufmuntern wollte, dann sei ihm versichert, es ist ihm nicht gelungen. Und das wird es so schnell wohl auch nicht.

„Wie weit ist es noch?“, frage ich und versuche mich abzulenken. Nur nicht an die anderen denken... an die Verrückten da hinten. „So groß kann euer Unterschlupf doch nicht sein, dass wir hier Kilometerweit laufen müssen.“

Julian bleibt vor einer massiven Holztür stehen.

„Wir sind ja schon da!“, sagt er und lässt mir den Vortritt.

Ich mache einen Schritt nach vorne und drücke die Türklinke nach unten.
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Kira Vaillant

Ich versuche so gut es geht meine Gedanken zu ordnen und endlich zu begreifen, was vorhin passiert ist. Doch dank der unerträglichen Kopfschmerzen, die ich noch immer habe – trotz der Heilung durch Julian – kann ich mich so gut wie nicht konzentrieren. Mir ist zwar durchaus klar dass die Schmerzen, die ich verspürt habe kurz nachdem Ian, Julian, meine Wenigkeit und der dritte Bruder, die kleine Küche verlassen haben um zu deren Vater zu gehen, nicht die meinen waren sondern die von Selest, doch wem verdankt Selest ihre Schmerzen? Von Julian habe ich erfahren, dass sie es nicht wahren, doch wer war es dann? Antoniella? Doch warum sollte sie das tun?

Eigentlich kann es nur sie gewesen sein, doch was für einen Grund soll sie haben Selest, und damit auch Arashi und mir das an zu tun? Sie hat sich vorhin in Julian Wohnung zwar wirklich sehr merkwürdig verhalten – so völlig untypisch – dennoch… ich kann nicht glauben, dass sie ein Mitglied ihres eigenen Zirkels, solche Qualen bereitet.

Ich höre Stimmen vor meinem Zimmer. Eine davon kann ich als Julians identifizieren, und die andere…

„So groß kann euer Unterschlupf doch nicht sein, dass wir hier Kilometerweit laufen müssen“, höre ich Selest genervt sagen. Ja so kenne ich sie. Doch was macht sie hier? Was wollen Julian und seine Familie von ihr? Doch nicht etwa…

„Wir sind ja schon da!“, antwortet Julian ihr und keine fünf Sekunde später, wird die Tür geöffnet.

Ich stehe vom Bett auf und halte mich einen Augenblick an einem der beiden vorderen Bettpfosten fest. Mir ist noch immer ein wenig schwindlig, aber das hindert mich nicht daran, Selest entgegen zu gehen. Ich bleibe vor ihr stehen und schaue sie mir genau an.

Ich kann keine erkennbare Verletzungen bei ihr erkennen, was mich erleichtert aufatmen lässt. Dann gehe ich an ihr vorbei, und stelle mich mit den Händen in den Hüften gestemmt vor Julian hin. Aus finsteren Augen sehe ich ihn an.

„Was macht Selest hier?“, frage ich ihn, obwohl ich tief in meinem Inneren die Antwort bereits weiß. Und die gefällt mir gar nicht.

Julian lässt sich von meinem Blick nicht aus der Ruhe bringen. Lässig steht er immer noch im Türrahmen und starrt mich an. Wir liefern uns ein kleines Blickduell.

„Du weißt doch was wir von ihr wollen, Kira. Wieso willst du dass ich es da noch laut ausspreche?“

„Vielleicht weil ich hoffte dass es nicht wahr ist. Dass ihr ihr das nicht antun werdet. Aber was rede ich da. Ihr seid Hexenjäger und euer einziger Daseinszweck ist es, unsereins zu jagen und zu töten. Dabei besteht deine Familie selber aus Hexenmeistern. Irgendwie ist das Paradox, oder wie siehst du das?“

Ich warte keine Antwort von ihm ab, da sie mir um ehrlich zu sein egal ist, und drehe mich von ihm weg um zu Selest zurückzugehen. Doch da hält Julian mich am Handgelenk fest.

„Mein Vater hat guten Grund dazu Hexen zu jagen, Kira. Wenn du nur wüsstest was sein ehemaliger Zirkel ihm angetan hat, dann würdest du es verstehen.“ Bitte was?

„Nur weil irgendwer deinem Vater mal was getan hat, jagt deine Familie jetzt unschuldige Hexen und tötet sie?“ Selest wütende Stimme lässt Julian kurz zusammenzucken. „Das ist ja wohl eine billige Ausrede dafür, dass ihr Gefallen daran gefunden habt anderen Schmerzen zuzufügen. Ihr seid nicht besser als Antoniella oder Edema, oder wer auch immer sie gerade ist. Wahrscheinlich hat dein Vater mich nur deswegen mitgenommen, weil er es nicht Antoniella vorbehalten lassen wollte mich zu töten, sondern es selber machen will. Jetzt verstehe ich auch, was du vorhin meintest als du sagtest, dass ihr mir was antun wollt. Warum habt ihr es nicht gleich getan, hm? Warum hat dein Vater mich nicht vor Ort getötet? Sag es mir?“

Selest steht mittlerweile vor Julian, löst seinen Griff von meinem Handgelenk und drückt ihn gegen den Türrahmen. In ihren Augen glänzt es verräterisch.

Ich bin etwas erschrocken. Aber nicht weil Selest Julian bedrängt, sondern wegen dem, was Selest eben gesagt hat.

Edema!

Antoniellas Mutter!

Jetzt wird mir so einiges klar. Ihr Verhalten in Julians Wohnung und auch ihr Verhalten vor Jahren, als sie diesen jungen Hexenjäger getötet hatte. Das war sie schon Edema gewesen. Nur seit wann hat Antoniellas Mutter den Körper ihrer Tochter übernommen? An dem Tag an dem sie angeblich starb? Oder später? Ich glaube eher, dass es später war, denn warum sollte Edema mich bei sich aufnehmen? Es muss also später passiert sein, doch warum? Warum hat Edema diesen Schritt gewählt?

Ich fasse Selest bei der Schulter und ziehe sie sanft von dem verdutzt schauenden Julian weg.

„Wir sollten uns darauf konzentrieren von hier zu verschwinden“, sage ich, blicke aber nicht sie, sondern Julian an. Und an seinem Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er uns nicht verfolgen wird.

War das vielleicht sein Plan gewesen? Hatte er etwa vorgehabt uns gehen zu lassen. Sich damit gegen seine Familie zu stellen?

Bevor ich ihm diese Frage stellen kann – ich hätte die Antwort darauf liebend gerne gehört – vernehme ich allerdings eine Stimme, die ich hoffte so schnell nicht wieder zu hören. Ian.

„Ihr wollt uns jetzt schon verlassen?“, trieft der Sarkasmus nur so aus seiner Stimme heraus. „Also das finde ich wirklich sehr schade. Wir haben uns doch noch nicht alle kennengelernt.“

„Ian“, sagt Julian, doch der ignoriert seinen Bruder, schiebt ihn ins Zimmer rein und schließt dann die Tür von Innen, sodass wir mit ihm eingeschlossen sind. „Bruder! Bitte nicht.“

Selest stellt sich neben mich, so dass sie die beiden Brüder gut im Blick hat. Mit finsterer Miene ist sie bereit, diesmal Ian die Meinung zu sagen. Das sollte sie wirklich nicht tun.

„Ob es euch gefällt das wir gehen oder nicht, interessiert uns nicht im Geringsten. Und nun rate ich dir, dass du gefälligst wieder die Tür auf machst, denn du willst bestimmt nicht, dass ich es selber mache. Dein Vater weiß mittlerweile wozu ich fähig bin. Wenn ihr es aber nicht glaubt, dann fragt von mir aus Edema oder Antoniella, wie ihr die kleine Kostprobe meiner Zodiac-Magie gefallen hat. Ich aber glaube nicht, dass sie das gerne noch einmal widerholen will.“

Woher nimmt sie nur den Mut, so mit Ian zu reden? Vermutlich weil sie ihn noch nicht kennt. Doch das kann sich ganz leicht ändern und so wie Ian aussieht, ist er auch kurz davor es ihr zu zeigen.

„Selest nicht“, versuche ich sie zu beruhen, doch sie schüttelt meine Hand einfach ab.

„Ich bitte dich Kira“, sagt sie. „Du willst dich doch nicht weiterhin von dem Mistkerl hier festhalten lassen, oder? Wir können von hier verschwinden, glaube mir. Wir müssen nur noch Arashi abholen, doch…“

„Ich unterbreche dich wirklich nur ungern, kleine Hexe“, sagt Ian belustigt.

„Dann tue es auch nicht“, faucht Selest Ian an.

„…doch gibt es einen kleinen Fehler in deinem Plan.“

„Ach ja.“

„Ja. Aber bevor ich ihn dir erläutere, lass dir von mir zuvor noch sagen, dass ich sehr wohl weiß, wozu du in der Lage bist. Glücklicherweise – und das kannst du mir nun glauben – hast du keine Ahnung davon, wozu du wirklich alles in der Lage bist, doch ich weiß es schon. Immerhin bin ich selber ein Zodiac und als solcher… viel erfahrener als du.“

Noch während Ian das sagt, bestätigt er damit meinen leisen Verdacht. Ich wusste es.

Die Magie die er gegen mich anwandte, mit der er meinen Körper unbeweglich machte, war zu mächtig, als das es ein einfacher Zauber hätte sein können. Wie konnte ich nur so dumm sein.

„Wieso bringt ihr es nicht einfach hinter euch“, fahre ich Ian an. Er dreht sich zu seinem Bruder zu.

„Julian ist noch nicht bereit dazu, die Zodiac-Magie deiner kleinen Freundin mit der großen Klappe… nichts für ungut“, fügt er dem hinzu, als Selest protestierend den Mund öffnet um zu widersprechen, „in sich aufzunehmen. Wobei ich mittlerweile glaube, dass er sie auch gar nicht mehr haben will. Tse, tse, tse… Wozu Liebe einen alles bringen kann, und das, obwohl es eine unerfüllte Liebe ist und wohl auch bleiben wird. Naja egal. Glücklicherweise ist unser Bruder Gabriel dazu bereit – in beiderlei Hinsicht – und darum hat Vater beschlossen, dass er die Zodiac-Macht von Selest in sich aufzunehmen wird. Aus diesem Grund bin ich ja auch hier. Ich soll euch beide zu ihm bringen – Ja Brüderchen, Kira auch. Keine Ahnung warum, aber ich werde Vaters Befehle bestimmt nicht in Frage stellen.“

Natürlich nicht, denn dafür fehlt diesem Mistkerl definitiv das Rückgrat.

„Wenn es euch nur darum geht, dann bitte… ihr könnt sie gerne haben. Ich habe sie ja nie gewollt“, sagt Selest und mit diesen Worten geht sie an Ian vorbei und in Richtung Tür. Sie bleibt davor stehen, dreht sich ein wenig zur Seite und sieht die beiden Brüder ungeduldig an. „Was ist? Wenn wir zu eurem Vater sollen, dann müsst ihr schon die Tür öffnen. Es sei denn der alte Mann kommt zu uns, doch das hörte sich eben nicht so an.“

So wie ich das sehe, wurde Selest, von ihrem Vater und Tante Fanny, nie darüber aufgeklärt, was es für eine Zodiac bedeutet, wenn sie ihrer Kräfte beraubt wird. Wobei beraubt wird nicht wirklich zutreffend ist, da eine Zodiac die Zustimmung für den Machttransfer geben muss. Ohne den, funktioniert der Zauber nicht.

„Wirklich? Du willst sie einfach so aufgeben? Ach schade! Ich habe wirklich gehofft, dass wir ein wenig Action geboten bekommen, aber gut. Man kann eben nicht alles haben.“ Dieser Mistkerl.

„Du bist echt das letzte Ian“, schnauze ich ihn an. Wie kann man nur so Böse sein. Ich verstehe es einfach nicht. „Da will ich wirklich nicht wissen wie du an deine Magie gekommen bist.“ Ich wünsche wirklich, dass Ian das bekommt was er verdient, auch wenn er Julians Bruder ist.

„Das ist alles eine Frage der Übung“, sagt Ian und zwinkert mir kurz zu. Dann dreht er sich um und öffnet die Tür. Doch keiner von uns bewegt sich. Auch Selest nicht, die es eben kaum abwarten konnte, dass Ian die Tür wieder entriegelt. Mit hochgezogener Augenbraue sieht Ian vor allem Selest an. „Was ist los?“, fragt er. „Willst du jetzt doch nicht mehr?“

Selest funkelt ihn böse an.

„Was passiert mit mir, wenn ich euch meine Zodiac-Magie gebe?“

Ich tausche einen Blick mit Julian aus und bitte ihn stumm, Selest zu helfen. Er darf nicht zulassen, dass sie ihr Leben opfert und dass nur, damit sein anderer Bruder an ihre Zodiac-Magie kommt.

Wozu sammelt seine Familie überhaupt die Zodiacs? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sie nur wollen, um stärker zu werden. Irgendeinen anderen Grund muss es dafür noch geben und wenn wir den erst einmal wissen, können wir verhandeln.

„Wozu wollt ihr sie?“, frage ich die beiden Brüder. Es ist Ian, der mir antwortet, auch wenn sie nicht so ausfällt, wie ich es mir erhofft hatte.

„Das hat dich nicht zu interessieren, Kira. Und nun kommt endlich. Wir haben schon genug Zeit vergeudet.“ Wieso konnte ich mir das nicht denken. Es wäre ja auch zu schön gewesen die Wahrheit zu erfahren.

„Ich gehe nicht, bevor ihr mir nicht gesagt habt, was mit mir passiert, nachdem ich euch meine Zodiac-Magie gegeben habe“, sagt Selest und stemmt die Hände in die Hüften. Es vergehen gut zwei Minuten, doch Selest erhält keine Antwort. „Ach wisst ihr was? Vergesst es einfach. Ich werde sie euch nicht überlassen und zusammen mit Kira und Arashi von hier verschwinden. Dankt euren Vater von mir dass er mich von Antoniella befreit hat. Ciao.“ Sie winkt Ian und Julian zum Abschied zu und greift dann nach meinem Handgelenk.

Selest zieht mich hinter sich her, doch weit kommt sie nicht mit mir. Ian stellt sich uns beiden in den Weg. Sein durchdringender Blick trifft auf den von Selest.

„Tut mir wirklich leid, aber das kann ich leider nicht zulassen“, haucht er gefährlich neben Selests Ohr, so dass ich es auch hören kann. Dabei wandert sein Blick zu seinem Bruder. „So wie es aussieht, bekomme ich wohl doch noch etwas Action geboten“, kichert Ian. „Dabei hat Vater sich so sehr gewünscht, dass also ohne großartige Probleme von statten gehen wird. Naja. Wie vorhin schon erwähnt, man kann eben nicht alles haben. Und im Grunde ist es ja auch egal, denn wir bekommen eh das was wir wollen. Also…“ Ian entfernt sich wieder von uns beiden und geht in den Flur hinaus. Dort dreht er sich noch einmal um und starrt Selest direkt in die Augen, „wollen wir dann?“, sagt er und verschwindet aus meiner Sicht. Ich starre Selest an, die sich gerade in Bewegung setzt. An ihrem ungläubigen Gesichtsausdruck erkenne ich, dass es ihr genauso geht, wie mir vor ein paar Stunden. Der eigene Körper bewegt sich, obwohl man es nicht will.

„Was passiert mit mir“, will Selest wissen. Sie dreht ihren Kopf in meine Richtung und sieht mich ängstlich an. „Was hat der Kerl mit mir gemacht?“

„Julian?“, schreie ich mit einem bittenden Unterton seinen Namen. Ich gehe zu ihm und rüttle ihn stark. „Du musst was unternehmen. Ich bitte dich.“ Er reagiert nicht auf mich. Er dreht nur seinen Kopf zur Seite, sodass er mich nicht ansehen muss. Wütend und ein wenig auch enttäuscht, balle ich meine rechte Hand zur Faust. „Wieso stehst du hier einfach nur rum und tust nichts?“, will ich von ihm wissen, doch wieder ich erhalte keine Antwort. Mein ganzer Körper zittert vor Wut und so haue ich Julian eine runter. „Du bist genauso ein Mistkerl wie dein Bruder“, schreie ich ihn dazu noch an und renne dann hinter Ian und Selest hinterher.

Julians gehauchtes und traurig klingendes Kira, ignoriere ich wissentlich. Soll er doch bleiben wo der Pfeffer wächst. Dieser Feigling.

Wenn Julian mir nicht hilft, dann muss ich Selest eben alleine retten. Ich werde jedenfalls nicht zulassen, dass sie stirbt. Doch das wird sie, sobald es Ian und dem Rest des Kynigós-Clans gelungen ist, ihr ihre Zodiac-Magie zu entreißen. Auch wenn ich nicht weiß wie sie es anstellen wollen, Selest dazu zu bringen.
 

Ich renne jetzt bestimmt schon seit einer guten halben Stunden in diesem verdammten Versteck der Hexenjäger herum, habe aber Selest und Ian noch nicht gefunden. Und da ich noch immer nicht meine Magie wieder habe, kann ich auch keinen Suchzauber anwenden, um zumindest Selest zu finden. Das ist echt frustrierend. Ich fühle mich so hilflos und weiß einfach nicht was ich machen soll. Doch irgendetwas muss ich machen.

Aber Kopflos hier weiter herumzurennen ist definitiv nicht die Lösung. Es ist eh ein Wunder, dass ich bisher noch keinem anderen Hexenjäger begegnet bin. Doch so wie ich mein Glück einschätze, was in letzter Zeit nicht wirklich mehr vorhanden zu sein scheint – falls es das jemals überhaupt war – werde ich bald auf welche treffen. Immerhin ist das hier ihr Hauptversteck und da sollte es ja eigentlich nur so von ihnen wimmeln. Doch wer bin ich, dass ich das Glück herausfordere.

Ich biege um eine weitere Ecke und… als gibt es irgendwo jemanden der einen Schalter gedrückt hat – stehen zwei junge Männer vor mir. Und kaum das sie mich mitbekommen haben, grinsen sie sich gegenseitig an und holen jeweils ein scharfaussehendes, gezacktes Messer hinter ihrem Rücken hervor.

„Na wen haben wir denn da?“, sagt der größere und bulligere von beiden. „Sieht so aus, als hätte sich ein kleines Vögelchen hier rein verirrt.“ Er macht einen Schritt auf mich drauf zu.

Da ich nicht gewillt bin mich von einem der beiden abstechen zu lassen, drehe ich mich wieder um, doch ich komme nicht weit, denn auch hinter mir, steht ein Hexenjäger. Und der ist gut zwei Meter groß.

Ich sitze in der Falle.

Tief seufzend blicke ich nach oben an die heruntergekommene Decke. War das wirklich nötig? denke ich und verteufle dabei das Schicksal. Manchmal glaube ich wirklich, dass ich andauernd von einer Scheiße in die andere renne und jedes Mal scheint es schlimmer zu werden.

„Du willst uns doch wohl nicht schon verlassen, oder Kleines“, spricht der dritte im Bunde, der, der jetzt vor mir steht, mich mit süffisanter Stimme an. Am liebsten würde ich dem… „Das finden wir wirklich traurig.“

Verdammte Edema. Warum nur musste sie mir auch meine Magie nehmen. Also eins weiß ich, wenn ich jetzt hier sterben sollte, dann werde ich die alte Hexe später heimsuchen kommen.

„Lasst mich in Frieden“, sage ich hastig. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt mir meine Angst nicht anmerken zu lassen, doch macht meine Stimme da leider nicht mit. Verräterin!

„Oh wie süß. Die kleine Hexe denkt sie kann uns mit Worten daran hindern sie umzubringen“, lacht einer der beiden hinter mir. „Was ist… willst du dich nicht verteidigen?“

Würde ich gerne machen, wenn ich denn nur könnte.

Ich drehe mich erneut um, so dass ich nun die ersten beiden Hexenjäger wieder ansehe. Bisher habe ich nur bei ihnen eine Waffe gesehen. Der große bullige macht einen weiteren Schritt auf mich zu. Dabei leckt er sein Messer ab, und grinst mich merkwürdig an. Igitt!

Ich versuche mich an die vielen Trainingsstunden mit Derek zu erinnern und verfluche diesmal mich, dass ich sie nie wirklich ernst genommen habe. Denn das beherrschen von zumindest etwas Selbstverteidigung, würde sich hier sicher gut machen.

Da ich kaum eine Chance gegen alle drei habe, tue ich das, was wohl jede junge Frau in solch einer Situation machen würde. Ich drehe mich wieder einmal blitzschnell um, sodass ich die zwei Hexenjäger in meinem Rücken und nur den einen vor mir habe. Dann renne ich auf ihn zu und ramme ihm mein Knie in die für Männer schmerzhafte Zone. Mit einem jaulen geht der hochgewachsene Hexenjäger zu Boden und ich renne schleunigst an ihm vorbei. Und ohne mich umzudrehen, renne und renne ich einfach weiter. Die lauten Rufen der anderen beiden Hexenjäger und auch ihre dumpfen Schritte, verfolgen mich.

Verdammt! Wie soll ich die nur abschütteln?

Ich versuche mir irgendwie den Weg zu merken, den ich gelaufen bin. Doch nachdem ich die zehnte Abzweigung genommen habe, habe ich völlig die Orientierung verloren. Also nicht das ich zuvor wusste wo ich bin, doch…

Etwas greift nach mir und ich höre jemanden nach mir rufen. Ich wüsste nur zu gerne wer das ist, doch unterdrücke ich den Drang nachzusehen und renne lieber einfach weiter. Erneut biege ich um eine Ecke.

Erschrocken bleibe ich stehen – mir stehen vier Hexenjäger und eine Hexenjägerin gegenüber. Glücklicherweise haben sie mir den Rücken zugewandt. Dennoch bin ich völlig starr vor Schreck. Wenn ich auch nur das kleinste Geräusch von mir gebe, werden sie sich umdrehen und sich auf mich stürzen. Bevor ich irgendetwas machen kann, greift erneut jemand nach mir. Erschrocken quietsche ich auf, da legt sich plötzlich eine große Hand auf meinen Mund und lässt mich so verstummen. Ängstlich kneife ich meine Augen zu und warte auf mein Ende.

Ich werde ruppig zurückgezogen und spüre eine kalte Wand in meinem Rücken. Noch immer liegt die Hand auf meinem Mund und so bin ich gezwungen durch meine Nase Luft zu holen.

„Pst! Keine Angst Kira, ich bin es nur“, wird mir ins Ohr gehaucht. Und kaum das ich die mir vertraute Stimme vernehme, öffne ich wieder meine Augen und starre nun meinen Retter ungläubig an. Einen meiner Retter, denn es sind zwei.

Die warme Hand verschwindet von meinem Mund.

„Was machst du hier?“, will ich wissen. Obwohl… eigentlich ist es egal warum er hier ist, denn wichtig ist nur, dass er hier ist.

Und obwohl das unter normalen Umständen niemals vorgekommen wäre, schlinge ich meine Arme um den muskulösen Körper vor mir. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so glücklich ihn zu sehen.

„Danke… Derek!“
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Selest Peterson

Ich liege auf einer Art Altar und kann mich noch immer nicht bewegen. Was auch immer Julians Bruder mit mir gemacht hat, blockiert mich vollkommen und das gefällt mir überhaupt nicht. Mich würde wirklich interessieren wie er das gemacht hat und auch, wie lange dieser Zustand meines Körpers noch andauern wird. Doch das ist nicht alles. Ich will auch wissen was man jetzt mit mir vorhat, wo Kira ist und ob es ihr gut geht. Doch vor allem interessiert mich, was mit mir passiert, nachdem man mir meine Zodiac-Magie entnommen hat. Wenn ich nur daran denke wie Kira vorhin reagiert hat, dann kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass es definitiv nichts Gutes sein – nur was wird passieren?

Nur ein paar Meter von mir entfernt steht Julians Bruder, dieser Ian, zusammen mit dem alten Mann, der Arashi und mich aus Antoniellas Fängen befreit hatte, und einem dritten – bei dem es sich wohl um diesen Gabriel handeln wird. Zumindest wenn es stimmt, dass der meine Magie bekommen soll. Die drei unterhalten sich, doch leider kann ich nicht hören um was es geht – dafür stehen sie zu weit von mir entfernt. Doch was ich mitbekomme ist, dass der Alte mit irgendwas unzufrieden ist, denn seine Stimme wird immer mal wieder lauter. Doch leider nicht laut genug, als dass ich was verstehen kann. Und auch das stört mich. Ich würde wirklich nur zu gerne wissen warum sie noch nicht mit dem Ritual begonnen haben, wo sie es doch vor kurzem noch so eilig hatten.

Wie gerne würde ich jetzt in Arashis Armen liegen und mich von ihm halten lassen. Ich kann nur hoffen, dass Julian mich nicht angelogen hat, als er sagte, dass sie ihm nichts tun werden, da sie nicht die Bösen sind. Doch das ist schwer zu glauben ist. Denn wenn sie die Guten wären, dann würde sich mich, Kira und auch Arashi gehen lassen.

„Mach dir keine Gedanken um deinen Vampirfreund“, höre ich den alten Mann sagen. Da ich mich nicht bewegen kann, kann ich auch nicht erkennen, ob nur er neben mir steht, oder noch wer anderes. „Sobald er wieder vollkommen genesen ist, schicken wir ihn zurück zu seiner Familie. Ich habe gewiss nicht vor einen Krieg mit dem Vampiren anzufangen. Doch falls du jetzt denkst das sie einen Vergeltungsschlag unternehmen werden, kaum dass wir ihren Vampirprinzen wieder zu ihnen geschickt haben lass dir von mir sagen, dass das nicht passieren wird. Denn genauso wie wir keinen Krieg mit ihnen wollen, wollen sie keinen mit uns. Ein eventueller Sieg, würde die Verluste niemals auswiegen.“

Na toll. Und warum sagt er mir das jetzt?

Am liebsten würde ich ihm jetzt alle möglichen Worte an den Kopf werfen, doch genauso wie sich mein Körper nicht mehr bewegt, bekomme ich auch keinen Ton mehr raus. Ich weiß nicht mal, seit wann das so ist, dabei habe ich Ian und auch dem Alten, eine ganze Menge zu sagen.

„Wir können sie nirgends finden Vater“, vernehme ich die Stimme von diesem Gabriel. Er klingt irgendwie ängstlich.

Ein gefährliches Zischen verlässt die zusammengepressten Lippen des alten Mannes. Die Kerzen die um mich herum aufgestellt sind fangen plötzlich Feuer.

„Dann sucht gefälligst weiter. Wir müssen einen von beiden hier haben, ansonsten können wir das Ritual nicht vollführen.“

Das sind interessante Neuigkeiten. Und ich wette, dass sie damit Kira und Arashi gemeint haben. Gut so. Doch was heißt das jetzt für mich? Werden sie mich weiterhin hier liegen lassen, mit nichts weiter an als dem dünnen Nachthemd, welches ich zuvor anziehen musste? Das können sie doch nicht machen. Ich friere ja jetzt schon.

Das wutverzerrte Gesicht des alten Mannes drängt sich in mein Blickfeld. Er steht mit seinem Oberkörper gebeugt über mir und funkelt mich an. Man könnte glatt meinen, dass er sauer auf mich ist, so wie er mich ansieht, dabei kann ich doch nichts dafür, dass Kira und Arashi es gelungen ist zu fliehen oder sich zumindest zu verstecken.

„Ohne meine Erlaubnis kann niemand die Anderwelt verlassen, also hoffe nicht darauf, dass deine kleine Hexenfreundin und dein Vampir es hier raus geschafft haben und Hilfe holen können. Es wird nur noch eine Frage der Zeit sein, bis wir sie haben.“

Ihr werdet sie niemals finden.

Kira und Arashi sind viel zu clever für euch.

Das, und noch sehr viel mehr liegt mir auf der Zunge, doch noch immer verlässt kein einziger Ton meine Lippen. Schade eigentlich. Ich hätte nur zu gerne gesehen wie der Alte dann reagiert hätte. Obwohl… wenn ich genau darüber nachdenke, dann vielleicht lieber doch nicht.

Ich spüre eine mehr als dunkle Präsenz hinter mir. Ein regelrechter Schauer durchfährt meinen Körper und lässt ihn unkontrolliert zittern. Und genau diese Reaktion meines Körpers, scheint den alten Mann zu amüsieren, denn ich kann ihn lautstark kichern hören.

Besteht denn wirklich die ganze Familie nur aus Psychopathen? Scheinbar ja.

„Hihi. Wie es scheint, hast du meinen neuen Gast schon spüren können, hm? Na, willst du wissen wer es ist? Ich verrate nur so viel… er hat dich vermisst.“

Dieser Arsch!

Natürlich weiß ich bereits, um wen es sich handelt, immerhin werde ich diese Präsenz niemals wieder vergessen können. Doch was macht er hier? Und wenn er hier ist, heißt das dann, dass auch Edema hier ist? Immerhin gehört Lykan ja zu ihr und… Jemand beugt sich über mich, doch es ist nicht der alte Mann und es ist auch nicht Julian, oder einer seiner Brüder. Es ist auch nicht, Edema, die sich ja den Körper ihrer Tochter, Lady Antoniella angeeignet hat. Es ist eine junge Frau, die mir irgendwie bekannt vorkommt.

Irgendwo habe ich sie schon einmal gesehen, nur wo…

Ich versuche mich an alles zu erinnern, was mir in den letzten Tagen so passiert ist. Und auch an die Leute, denen ich in der Heimat meiner Eltern begegnet bin, doch zu keinem passt das makellose Gesicht, welches diabolisch grinsend auf mich herabblickt. Woher zum Teufel kenne ich sie nur?

Die blonden Haare der jungen Frau kitzeln über mein Gesicht. Ich bin gewillt sie weg zu pusten, doch auch das funktioniert nicht. Das ist ja sowas von erniedrigend. Hier völlig unbeweglich liegen zu müssen, nicht zu wissen was als nächstes passiert und sich dann auch noch von irgendwelchen fremden Männern und jetzt auch noch von einer Frau, anglotzen lassen zu müssen. Die sollten sich hier alle mal ein paar anständige Hobbys zulegen.

„Das ist sie also, ja?“, sagt die mir immer noch unbekannte junge Frau. Warum nur will es mir nicht einfallen woher ich sie kenne. „Mein Ersatz.“

Ersatz? Was meint sie denn damit?

„Ja. Doch lass uns jetzt bitte zum Geschäftlichen kommen.“

„Soll mir recht sein. Ihr erlaubt mir also Selest zu töten und als Gegenleistung, verrate ich euch alles über Edemas Pläne.“

Bitte was? Wieso will die mich töten? Ich meine, ich habe der doch gar nichts getan. Denke ich zumindest.

„Das klingt fair.“

„Ach und noch etwas. Kira und Arashi bleiben möglichst unverletzt, verstanden?“

„Auch das dürfte kein Problem sein, obwohl… ich dem nicht ganz zustimmen kann. Es liegt ganz alleine bei Selest, ob und wie weit wir, zumindest bei einem von beiden gehen müssen. Je nachdem wie kooperativ sie sich zeigt.“

„Wenn das so ist, dann bleibt mir wohl nichts anders übrig als zu hoffen, dass Selest die richtige Entscheidung trifft. Gut. Doch eine Sache wäre da noch. Es gibt da einen Fluch, Einzelheiten dazu bekommt ihr später, den ich gerne aufgehoben haben möchte. Edema schafft es nicht, doch sie sagte mir, dass sie wüsste, dass eure Familie prädestiniert ist, Flüche aller Art zu brechen.“

„Das ist wahr. Wenn das dann alles wäre… dann sind wir im Geschäft, Eileen.“

Sagte er eben Eileen? Der Name kommt mir so bekannt vor. Ist das nicht… Oh-mein-Gott. Aber natürlich. Jetzt weiß ich auch woher ich dieses Gesicht kenne. Das war auf einem der Bilder, welche die Wände in Lady Antoniellas Wohnzimmer schmücken.

Eileen! Das ist ihre Enkelin und… Oh nicht doch. Kira bleibt aber auch wirklich gar nichts erspart.

„Hihi! Dem entsetzen Blick eures Gastes nach zu urteilen, weiß sie wer ich bin. Gut, wirklich sehr gut. Das vereinfacht alles ein wenig.“

Soso, tut es das, ja. Schön für sie. Und sagt sie auch was sie damit meint? … Nein, natürlich nicht.

Wieder beugt sich Eileen, Kiras beste Freundin und die alle für tot halten, über mich.

„Du glaubst du weißt wer ich bin? Nichts weißt du“, zischt sie mir ins Ohr. „Absolut gar nichts.“

Noch immer zittert mein Körper, was daran liegt, dass ich noch immer Lykans Anwesenheit spüre. Er ist mir ganz nah, fast schon wieder zu nah – so wie in jener Nacht – doch kann ich ihn nicht sehen. Wie ist das möglich? Kann es vielleicht sein, dass mir mein Unterbewusstsein einen mehr als makabren Streich spielt? Doch wieso sollte ich mir das selber antun? Oder aber… sie sind es. Natürlich. Wer sollte es sonst sein.

Ich versuche meinen Körper dazu zu bringen sich zu entspannen, doch es will mir partout nicht gelingen. Obwohl ich mir ziemlich sicher bin das Lykan nicht hier ist, nicht hier sein kann – doch noch immer spüre ich seine Gegenwart viel zu deutlich. Und so habe ich leider auch keinen Erfolg dabei, mich und vor allem meinen zitternden Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen. Es gibt wirklich nicht einen einzigen Zentimeter in meinem Körper, der mir noch gehorcht. Noch nicht mal mehr mein Verstand ist auf meiner Seite. Denn der scheint mich gerade am meisten zu quälen. Wieso nur ist alles und jeder gegen mich?

Was habe ich nur getan, dass das Schicksal so grausam zu mir ist. Erst sind es die wochenlangen Albträume, in denen ich von einem Monster ermordet werde. Danach die unglaubwürdige Wahrheit, dass ich eine Hexe bin, und in meinen Träumen die Zukunft vorhersehen kann. Dann bin ich für das Verschwinden von Kira verantwortlich und zu guter Letzt… soll ich auch noch eine Zodiac sein, eine der mächtiges Hexen überhaupt. Dabei habe ich all das nie gewollt.

Doch wie heißt es so schön… Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Wahrscheinlich habe ich viel zu oft über mein langweiliges Leben gemeckert und mir dabei gewünscht, dass es etwas aufregender wird. Dabei habe ich all das hier… was in den letzten Tagen mit mir passiert ist… niemals gewollt.

„Ach sieh mal einer an, wen wir endlich gefunden haben.“

Die Stimme von dem Alten reißt mich aus meinen Gedanken. Ich versuche meinen Kopf zu drehen, doch wie zu erwarten passiert nichts. Ich kann also nicht sehen, was die Stimme des alten Mannes wieder so erfreut klingen lässt. Doch ich kann es mir eh denken.

Sie haben sie gefunden.

„Selest!“, höre ich Arashi nach mir rufen. Sofort beginnt mein Herz wie wild zu klopfen. Na wenigstens funktioniert das noch.

„Was habt ihr mit ihr gemacht“, höre ich eine zweite Stimme. Sie gehört… Das kann nicht sein.

Derek? Was macht der hier? Und wenn er hier ist, heißt das dann, dass auch Edema hier ist. Das kann nicht sein. Niemals würde Arashi zusammen mit Derek und Edema hier erscheinen. Nicht nachdem was die beiden uns angetan haben. Was sie ihm angetan haben.

„Endlich können wir beginnen“, ertönt wieder die fröhliche, und dennoch ungeduldige Stimme des alten Mannes.

Auch wenn ich nicht weiß was jetzt mit mir passieren wird und auch nicht, warum Arashi zusammen mit Derek hier ist... so bin ich doch sehr erleichtert, dass ich Kira noch nicht gehört habe. Das heißt dann hoffentlich, dass zumindest sie in Sicherheit ist, oder sich versteckt hält. Beides wäre vollkommen in Ordnung für mich, denn da sie ja derzeit keine Magie einsetzen kann, könnte sie hier eh nichts tun.

Das Gesicht des alten Mannes erscheint wieder über mir. Genauso wie das von Ian. Beide starren mich eine kurze Zeit lang an, ehe Julians Bruder das Wort an mich richtet.

„Wie du gerade mitbekommen hast, haben wir deinen blutsaugenden Freund hier bei uns. Es liegt jetzt also an dir, ob wir ihn töten werden oder ob du stirbst.“ Bitte was?

Ich starre Ian mit weitgeöffneten Augen und offen stehenden Mund an. Das meint er doch wohl nicht ernst. Das kann er nicht ernst meinen.

Am liebsten würde ich ihm jetzt was entgegenschmettern. Ihn anschreien und gegen die nächstbeste Wand schmettern, so erschüttert bin ich von dem was er mir eben angeboten hat. Doch außer einem Röcheln bekomme ich nichts raus.

„Wenn sie ihn wirklich lieben würde, dann würde sie sich für ihn opfern“, sagt Eileen, die links neben mir steht und auf mich herabsieht. „Welches Leben ist dir mehr wert. Deines? Oder das von Arashi?“

„Tu das nicht“, schreit Arashi. „Lass dich nicht auf ihre Spielchen drauf ein, Selest.“ Hat er Eileen noch nicht gesehen, oder ist es ihm egal, dass seine Ex-Freundin wieder unter den Lebenden wandelt?

Oh Gott. In meinem Kopf geht absolut nichts mehr. Ich bin verwirrt, verängstigt, wütend und erschüttert gleichermaßen. Was soll ich nur tun? Ich kann doch Arashi nicht sterben lassen, aber… ich selber will auch nicht sterben. Doch welche Wahl habe ich?

„Selest!“

„Ich gebe dir zwei Minuten Zeit dich zu entscheiden. Hast du es bis dahin noch nicht getan, so lass dir von mir gesagt sein, dass es außer Arashi noch weitere Personen gibt, mit deren Leben wir dir drohen werden.“

Nein!

Prompt muss ich an meinen Vater denken. An meine Tante und – auch wenn ich mit ihnen nicht so gut auskomme – an Laura, Thea und Maik. An meine Familie.

Sie werden sie alle töten. Und nicht nur sie. Sie werden mir solange einen Menschen nach dem anderen nehmen, bis ich…

„Wenn ich du wäre, dann würde ich mich mit deiner Entscheidung beeilen. Denn nachdem was ich alles über Kostja und seinen drei Söhnen gehört habe, machen sie keine halben Sachen. Vor allem nicht bei so etwas Großem wie dem hier.“ Sie tippt mir auf die Brust, genau an die Stelle, wo sich mein viel zu schnell schlagendes Herz befindet. „Wenn sie also sagen sie wollen dein Herz, dann werden sie es auch bekommen. Die Frage ist jetzt nur noch wie viel Blut sie bis dahin vergießen müssen. Wie viele Leben du bereit bist zu opfern. Für dich zu opfern.“ Sie hat gut reden… und doch hat sie recht. Mit allem was sie eben gesagt hat.

Ich kann das wirklich nicht verantworten. Ich kann nicht jeden Menschen an dem mir was liegt in Gefahr bringen und das nur, weil ich noch nicht bereit bin zu sterben.

Es liegt nun also ganz allein bei mir dafür zu sorgen, dass niemanden was passiert. Das meine Familie und auch meine Freunde… dass wenigstens sie überleben.

Mein Entschluss steht fest. Ich werde es machen.
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Kira Vaillant

Noch lebt Selest. Die Frage ist nur wie lange dieser Zustand noch anhalten wird. Sobald Arashi und Derek geschnappt werden, haben Kostja und seine Söhne ein Druckmittel in der Hand. Und mit Arashi sogar ein sehr gutes.

So wie ich Selest einschätze, wird sie niemals zulassen dass sie Arashi töten, dafür bedeutet er ihr viel zu viel. Und auch wenn das nicht der Fall wäre, würde sie ihr Leben niemals als wertvoller erachten als seins. Selest ist also völlig zurecht eine Zodiac.

Zwar weiß ich nicht allzu viel über diesen besonderen und äußerst mächtigen Zirkel, denn er hat mich nie so wirklich interessiert. Doch das was ich weiß ist, dass eine Zodiac ein reines Herz besitzen soll. Das ist der erste und auch wichtigste Punkt in meinem Verdacht, dass Ian sich seine Zodiac-Macht durch Gewalt und vermutlich auch noch anderen Gräueltaten, angeeignet haben muss. So jemand wie er, kann niemals ein Zodiac sein. Denn sein Herz ist weit davon entfernt, ein reines zu sein.

Ich kauere jetzt schon gut eine Stunde in dem kleinen Zimmer, in welches Derek und Arashi mich gebracht haben, nachdem sie die sechs Hexenjäger getötet haben – die taten mir schon beinahe leid, da sie keinen der beiden haben kommen sehen. Und so langsam aber sicher, bekomme ich Platzangst. Was aber kein Wunder ist, da man sich hier drinnen gerade so im Kreis drehen kann. Wieso musste es aber auch unbedingt die Abstellkammer sein?

Hier drinnen wird dich erstmals keiner so schnell vermuten.

Wir holen nur schnell Selest und dann kommen wir zurück dich abholen.

Das waren Arashis und Dereks Worte gewesen. Und wenn sie sich in dem Moment nicht so gut angehört hätten, dann hätte ich das für eine Schnapsidee gehalten. Denn genau das ist es. Es bringt schließlich überhaupt nichts Selest zu finden, da wir ohne die Hilfe eines Hexenjägers nicht aus der Anderwelt rauskommen. Da frage ich mich doch, wie es Derek gelungen ist hier rein zu kommen?

„Ob er womöglich Hilfe hatte?“ Vielleicht war es…

Nein, das kann nicht sein. Julian hatte die ganze Zeit über die Gelegenheit gehabt Selest und mir zu helfen, doch er tat es nicht. Er hat lieber tatenlos zugesehen, wie Ian Selest paralysiert und so ihren Körper sich zu Eigen gemacht hat.

Niemals im Leben hat er also Derek hierhergeholt. Denn das würde bedeuten, dass er sich gegen seine eigene Familie stellen würde und dafür fehlt ihm einfach der Mut.

Irgendwo kann ich ihn ja verstehen.

Dieser Gedanke schleicht schon die ganze Zeit lang in meinem Kopf rum. Denn wenn es wirklich stimmt was Ian mir gesagt hat, dann war Julian all die Jahre lang von seiner Familie getrennt gewesen. Es ist also kein Wunder, das er nun an ihrer Seite steht, wo er sie endlich um sich hat. Im Grunde ist er einfach nur ein Junge, der seinen Vater stolz machen will.

„Wieso nur kann ich ihn nicht hassen?“

Ich will ihn hassen. Wegen dem was er getan und auch nicht getan hat. Weil er mir die letzten Tage lang was vorgemacht hat. Weil er mich angelogen und ausspioniert hat. Doch ich kann es einfach nicht. Ich kann ihn nicht hassen.

Ich muss was unternehmen. Hier weiterhin drin zu sitzen und mir Gedanken über diesen Mistkerl zu machen – zugegeben einem recht gutaussehenden und wenn er will auch charmantem Mistkerl – so muss ich hier raus. Selest zu finden, genauso wie Arashi und Derek, hat erst einmal höchste Priorität.

Ich stehe auf und will gerade zur Türklinke greifen, als sich in meiner Brust etwas verkrampft. Es ist nur ein dumpfer und nur von kurzer Dauer anhaltender Schmerz, dennoch reicht es um zu erkennen, dass er von Arashi stammt. Er ist also verletzt wurden. Und das bedeutet, dass sie ihn erwischt haben.

Es wird also wirklich höchste Zeit das ich was unternehme. Auch wenn ich nicht weiß was ich tun kann, so ganz ohne meine magischen Fähigkeiten. Doch was wäre ich für ein Mensch, wenn ich nichts unternehmen würde? Und darüber hinaus, würde Selest mir auch helfen, genauso wie Arashi – Derek sowieso, das steht außer Frage.

„Hoffentlich bist wenigstens du noch in Freiheit, Derek“, hauche ich und verlasse dann mein vorzeitiges Versteck.

Sachte blicke ich um die Ecke und als ich niemanden sehe, setze ich mich in Bewegung.
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Selest Peterson

Jetzt ist es gleich soweit. Ich werde sterben und doch fühle ich keine Angst. Denn zu wissen das ich mit meinem Leben Arashis Leben rette und auch das meiner ganzen Familie, macht es erträglicher. Außerdem… tief in meinem Inneren weiß ich, dass ich das richtige tue. Dass das hier mein Schicksal ist.

Ich muss an meinen Traum denken. Daran wie ich mich in einer dunklen Höhle befand und unfähig war mich zu bewegen. Wie ich ein bedrohlich klingendes Knurren vernahm und dann auch schon der Schmerz kam. Er war so real. Und auch nachdem ich wieder aufgewacht war, hatte ich immer noch das Gefühl gehabt, dass die Klauen die nach mir gegriffen hatten, noch immer an mir zu spüren sind.

Da ich anfangs, nachdem der Alte wieder bei mir war und mich nach meiner Entscheidung gefragt hatte, noch etwas Angst vor dem kommenden hatte, hatte ich meine Augen fest zugekniffen. Doch jetzt öffne ich sie und versuche so voller Entschlossenheit, mich meinem Schicksal zu beugen.

Und wer weiß. Vielleich spüre ich ja gleich, da mein Körper noch immer wie paralysiert ist, absolut keinen Schmerz. Immerhin habe ich auch nicht den von Arashi gespürt, als dieser Gabriel ihn, bis zur Bewusstlosigkeit, quer durch die Gruft geschleudert hatte, um mir deutlich zu machen dass sie wirklich nicht scherzen. Dass das ganze total unnötig war, weil ich mich eh schon entschieden hatte, hat den Alten, ich glaube er heißt Kostja, nicht im Geringsten interessiert. Also hatte Julian definitiv gelogen gehabt. Seine Familie gehört nämlich nicht mal ansatzweise zu den Guten.

Ich habe wirklich gehofft, dass zumindest Arashis Gesicht das letzte sein wird, welches ich zu sehen bekomme. Doch leider ist dem nicht so, denn statt seinen schwarzen Iriden, starren mich die grünen von Eileen an. Ihre Mundwinkel ziehen sich nach oben. Na wenigstens hat einer von uns seinen Spaß hierbei.

„Ich danke dir“, haucht sie mir ins Ohr. „Ich hätte wirklich nicht gerne dabei zugesehen, wie sie meinen geliebten Arashi töten, oder gar Kira. Die beiden sind nämlich meine Familie… und nicht deine.“

Darum geht es ihr also?

Sie hasst mich, weil mich was mit Arashi verbindet und auch, weil Kira und ich, weil wir uns so gut verstehen? Das ist doch wirklich unfassbar. Ich meine, all das hätte vermeidbar sein können, wenn sie sich nicht dazu entschieden hätte ihren Tod vorzutäuschen. Weiß sie eigentlich was sie Kira damit angetan hat? Und ich glaube – auch wenn Arashi das niemals zugeben würde – das auch er sie vermisst hatte.

Eileen hebt ihren Kopf leicht an und dreht ihn zur Seite.

„Tue mir einen Gefallen, Ian, und gebe Selest zumindest ihre Stimme wieder. Ich würde nämlich zu gerne wissen…“ Sie dreht sich wieder mir zu, „was sie gleich zu sagen hat.“

Oh das kannst du auch, du Biest. Ich habe dir nämlich eine ganze Menge zu sagen. Das heißt wenn ich es schaffe den Mut dazu aufzubringen.

„Schon erledigt“, höre ich Ian sagen. Na endlich.

Ich würde nur zu gerne wissen wie er das macht. Immerhin habe ich keinerlei Zauber gespürt, auch nicht, als er vor kurzem meinen Körper paralysiert hatte.

„Danke schön“, sagt Eileen. Dann verschwindet sie aus meinem Blickfeld und sofort scheint die Hölle loszubrechen.

Ich vernehme Schreie von fünf verschiedenen Personen. Eine davon war definitiv Ian und die anderen gehörten vermutlich Kostja, Gabriel und Derek – der die ganze Zeit lang überaus still war. Nur wer Person Nummer fünf war, kann ich nicht sagen.

„Was ist passiert?“, will ich wissen. Ich versuche erneut mich zu bewegen, doch wie auch wie Male davor, rührt sich bei mir überhaupt nichts. Das ist irgendwie frustrierend. „Was zum Teufel tust du?“

„Ich tue nichts“, sagt Eileen und erscheint wieder über mir. „Nun ja, so ganz stimmt das natürlich nicht. Ich helfe sozusagen dem Schicksal ein wenig nach. Und zwar deinem Schicksal.“

Ich spüre Eileens Arme und wie sie sich um meinem Oberkörper legen. Dann hilft sie mir mich aufzusetzen. Und was ich da zu sehen bekomme, lässt mir den Atem stocken.

Die Gruft ist völlig zerstört. Überall liegen zerbröckelte Steine von den Decken und Wänden herum und die meisten der Fackeln, die den Raum zuvor noch erhellt hatten, sind erloschen. Ich durchsuche die Gruft und als ich die regungslosen Körper von Derek und Ian sehe, schlage ich mir vor Schreck die Hände vors Gesicht. Ihre Körper liegen zum Teil unter den heruntergestürzten Trümmern vergraben. Da ich vor allem wissen will was mit Arashi passiert ist – der war ja vorher schon verletzt gewesen – suche ich weiter alles mit meinen Augen ab. Eileen sagte mir ja, das ihr Arashi noch immer was bedeutet, also wird sie doch hoffentlich ihn irgendwie geschützt haben. Es dauert nicht lange und ich habe Kostja und dessen Sohn Gabriel gefunden. Und genauso wie auch Derek und Ian, sind sie unter einigen Trümmern begraben. Doch von Arashi fehlt jede Spur.

Ich weiß nicht genau wie ich dieses Gefühl beschreiben soll, welches mich plötzlich überkommt. Doch die einzig noch intakte Fackel, die der hier vorherrschenden Dunkelheit zumindest ein wenig Licht spendet, verpasst der Atmosphäre einen mehr als düsteren Touch. Und genau das alles hier… die zerstörte und finstere Umgebung, kommt mir erschreckend bekannt vor.

„Kann es etwa sein das…“, flüstere ich mir selber zu, ohne den Satz zu Ende zusprechen. Sofort wende ich mich Eileen zu, die mich diabolisch angrinst.

Wo versteckt er sich.

„Du fragst dich wo Lykan ist, nicht wahr? Du weißt also schon einmal, dass das hier der Ort ist, an dem du durch seine Hand, oder besser gesagt, durch seine Klauen sterben wirst. Gut. Dann kann ich zumindest diesen Teil auslassen.“ Eileen setzt sich neben mich auf den Altar und lässt ihre Beine, fröhlich vor sich hin pfeifend, baumeln. Für sie scheint dass alles hier das pure Vergnügen zu sein. Und dabei hielt ich schon Ian für einen Psychopathen.

„Warum tust du das alles hier?“

„Weil ich finde, dass du die Wahrheit verdient, Selest.“

„Dann sag mir endlich was du zu sagen hast und lass Lykan dann seine Arbeit machen“, brumme ich. „Der brennt doch bestimmt schon sehnsüchtig darauf, seine Klauen in meine Brust zu rammen und mir mein Herz zu entreißen.“

„Nicht so eilig. Zu Lykan kommen wir noch früh genug.“

Irgendwie hat das alles auch was Gutes. Sobald ich nämlich durch Lykan zerfetzt wurde, steht meine Chance sehr gut, dass ich endlich mit meiner Mutter wiedervereint werde. Und wenn es soweit ist, kann sie mir verraten was in jener Schlacht wirklich passiert ist. Auch wenn mir dieses Wissen dann nicht mehr allzu viel bringt, weil ich ja dann tot bin. Doch wer weiß. Vielleicht komme ich ja als rachsüchtiger Geist wieder zurück und kann mich so an jenen rächen, die für ihren Tod und den von Kiras Eltern wirklich verantwortlich sind.

„Geduld war noch nie eines meiner Stärken“, murmle ich.

„Das ist mir bekannt. Also dann… wollen wir mal. Ach ja. Vermutlich wirst du Zweifel an dem haben, was ich dir gleich sagen werde, doch kannst du mir ruhig glauben wenn ich dir sage, dass alles der Wahrheit entspricht. Nun, am besten beginnen wir bei deinen Träumen oder besser gesagt Albträumen.“ Eileen wirft mir einen letzten Blick zu und fängt dann an zu erzählen. „Die verdankst du übrigens Edema. Sie ist nämlich einer Meisterin der Illusionen, die einen wirklich alles nur erdenklich Mögliche sehen lassen kann. Anfangs war es ihr Plan gewesen deinen Vater hierherzulocken, weil sie dachte, dass vielleicht er die Zodiac-Magie deiner Mutter bekommen hat – ja du hast richtig gehört. Deine Mutter war eine Zodiac, doch wusste sie das selber nicht. Tja, und nach dem fehlgeschlagenen Anschlag auf dich, wusste Edema dann, dass du sie bekommen hast. Und von diesem Moment an versuchte sie alles, um dich von deiner unglaublichen Macht zu befreien. Ich meine du bist eine Anfängerin Selest, ein Niemand und… nimm es mir bitte nicht krumm, aber ich konnte dich von Anfang an nicht leiden. Nicht nur das du mir meinen Arashi weggeschnappt hast, nein, du hast dich auch noch zwischen Kira und mich gedrängt. Du hast mich sozusagen, bei den einzigen zwei Menschen die mir etwas bedeuten, ersetzt. Doch ernsthaft, wer konnte schon damit rechnen, dass Kira sich ausgerechnet mit dir anfreunden würde, wo sie normalerweise doch so misstrauisch Fremden gegenüber ist. Und auch Arashis Zuneigung zu dir, war nun wirklich nicht vorhersehbar gewesen. Erst recht nicht, dass er es anscheint ernst mit dir zu meinen scheint. Doch keine Sorge, dass bekomme ich wieder hin. Er war schon früher verrückt nach mir, er wird dich also ganz schnell wieder vergessen.“ Eileen macht eine kleine Pause und die nutze ich sogleich mal aus. „Und Kira wird glücklich sein, wenn sie sieht dass ich doch noch am Leben bin. Ich bedeute ihr mehr als du es jemals tun würdest. Wir sind immerhin zusammen aufgewachsen. Sowas verbindet.“

„Wenn es wirklich stimmt was du sagst, dann verdanke ich es Edema und auch dir, dass ich Kira und Arashi überhaupt erst kennenlernen durfte. Und ganz ehrlich… du hast die beiden verlassen, indem du deinen Tod vorgetäuscht hast. Also gib nicht mir Schuld dafür, dass die beiden dich ersetzt haben. Ich meine, hast du wirklich gedacht, dass Arashi sich nicht wieder neu verlieben wird? Oder das Kira für immer alleine bleiben will? Wenn ja, dann bist du dümmer als ich…“ Weiter komme ich nicht, denn völlig unerwartet werde ich grob von Eileen an den Schultern gepackt und wieder mit meinem Rücken nach unten auf den kalten Altar gedrückt.

Eileens wutverzerrtes Gesicht kommt meinem ganz nah. Dann verändert sich ihres plötzlich. Die Haut an ihren Wangen platzt auf und ihr Mund verformt sich. Er wird spitz und… überall in ihrem Gesicht und an ihren Händen wachsen Haare. Meine Augen weiten sich und können kaum glauben was sie sehen.

Eileen verwandelt sich vor meinen Augen in einen Wolfsmenschen, aber nicht in irgendeinen.

„Glaubst du wirklich, dass ich das hier wollte?“, höre ich die belustigte Stimme von Eileen, gemischt von der Lykans, in meinem Kopf. Und wieder benetzt der Sabber des Wolfsmenschen mein Gesicht. Angewidert drehe ich es zur Seite und schließe dabei meine Augen. „Dass ich freiwillig die einzigen beiden Menschen verlassen wollte, die mir was bedeutet haben? Ganz bestimmt nicht. Doch hat die gute alte Edema nicht nach meiner Meinung gefragt. Sie brauchte schnellst möglichst einen geeigneten Wirt für Lykan und den fand sie in mir.“

„Und warum hilfst du Edema dann jetzt? Wenn du das doch alles gar nicht wolltest, müsstest du dann nicht eigentlich gegen Edema sein und uns helfen sie aufzuhalten?“

„Oh glaube mir, mit dem Gedanken habe ich anfangs gespielt. Doch leider ist es nicht so einfach wie du denkst, Liebes. Edema hat Lykan nämlich mit Hilfe ihres eigenen Blutes quasi wieder zum Leben erweckt und das bedeutet, dass sollte sie sterben… Lykan ebenfalls stirbt.“ Während des Redens hat sich Eileen wieder von Lykans Aussehen getrennt und steht wieder in ihrer eigenen Gestalt über mich gebeugt. „Und ich mit ihm. Du siehst also, ich habe ein persönliches Interesse daran, dass Edema Erfolg hat. Genauso wie ich ein Interesse daran habe, dass du aus meinem Leben und damit auch aus Arashis und Kiras verschwindest. Übrigens… Ich habe deine Verbundenheit mit den beiden schon längst gelöst. Ich kann dich also jederzeit töten, daran solltest du denken, wenn du mich mal wieder wütend machen willst.“

Darum habe ich also nichts gespürt gehabt, als sie Arashi verletzt haben.

Ein sanftes Lächeln huscht über mein Gesicht, was Eileen natürlich nicht verborgen bleibt.

„Findest du das lustig?“ Ich antworte ihr nicht. „Na auch egal. Mir ist nur wichtig das weder er, noch Kira deinetwegen leiden müssen.“ Sie setzt sich wieder seelenruhig neben mich. „Es dauert nicht mehr lange, dann erhalte ich von Edema die Erlaubnis dich töten zu dürfen. Darauf freue ich mich am meisten, weißt du. Genauso wie Lykan es nicht mehr abwarten kann, dich zerfetzen zu dürfen, auch wenn er dein Herz an Edema abtreten muss. Doch das braucht sie nun mal, um an deine Zodiac-Magie zu kommen. Du solltest mir dankbar sein.“

„Ach ja. Wieso sollte ich?“ Glücklicherweise ist sie nicht mehr Lykan. Das macht es einfacher für mich.

„Na weil ich dafür gesorgt habe, dass Arashi und Kira nicht mehr deine Schmerzen spüren müssen.“

Ach so. Das meint sie.

„Wie Edel von dir“, erwidere ich schnippig. „Und du hast übrigens recht. Ich bin dir dankbar dafür, denn ich hätte nicht gewusst wie man unsere Verbindung trennen kann.“

Eileen lächelt mich kurz an, dann springt sie vom Altar runter und steigt elegant über die Trümmer hinweg. Ich kann nicht erkennen was sie macht, doch plötzlich höre ich, wie sie jemandem eine schallende Ohrfeige verpasst. Vielleicht Derek?

Ich vernehme ein Stöhnen, es klingt ganz nach Derek. Dann höre ich Schritte, die näher kommen. Eileen beugt sich wieder über mich.

„Ich werde dich kurz alleine lassen. Sei so lieb und rühre dich nicht vom Fleck, ja?“ Ha-ha, als wenn ich das könnte.

Dumme Kuh.

Eileen tätschelt mir die Wange und verschwindet dann wieder. Gut so. Denn lange hätte ich ihr Gesicht bestimmt nicht mehr ertragen können.
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Kira Vaillant

Ich drücke mich so dicht es geht, mit dem Rücken an die Wand, sodass man meinen könnte, ich versuche mit ihr zu verschmelzen. Dabei zittere ich am ganzen Körper und das, obwohl mir eigentlich heiß ist. Doch nachdem was ich eben alles mit angehört und auch wen ich gesehen habe, ist das kein Wunder.

„Sie lebt…“, flüstere ich. Und sie ist auf Edemas Seite, Antoniellas Mutter. Ich kann es noch immer nicht fassen.

Wie konnte Eileen sowas nur tun? Wieso hat sie Arashi und mir das angetan, wenn wir ihr doch so viel bedeuten? Das ergibt doch keinen Sinn.

Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen Kira, ermahne ich mich selber. Reiß dich zusammen und kümmere dich erst einmal um Selest, die braucht jetzt deine Hilfe.

Ich stoße mich von der Wand ab und umgreife, mit immer noch immer zitternden Händen, den Griff des Dolches, den ich nach der Explosion einem der bewusstlosen Hexenjäger abgenommen habe. Glücklicherweise habe ich, außer einem länglichen Schnitt am linken Unterarm und einer kleinen Beule am Kopf nichts weiter abbekommen. Da hat es die Hexenjäger übler erwischt, doch wenn ich ehrlich bin, dann haben sie es auch verdient.

Ich hoffe nur, dass es Julian gut geht.

Eileens Magie muss in den letzten Monaten ziemlich zugenommen haben, denn auch wenn ich nicht gesehen habe wie sie das gemacht hat, so bin ich mir ziemlich sicher, dass der Einsturz des Hexenjägerversteckes ihr Verdienst ist. Vermutlich wurden ihre Kräfte von Edema verstärkt. Wieso nur konnte die alte Hexe nicht wirklich tot sein. So etwas zu sagen ist zwar nicht gerade die feine englische Art, aber das was ich alles über sie schon gehört habe… mit Antoniellas Mutter ist wirklich nicht gut Kirschen essen. Und wenn ich alles was Eileen zu Selest gesagt hat glauben darf, dann wird ihr Ruf, Edema wirklich nicht gerecht.

Auf dem Weg von meinem Versteck bis hierher, bin ich an einigen bewusstlosen und auch toten Hexenjägern vorbeigekommen. Die explosive Magie von Eileen muss sie ziemlich überrascht haben, denn andernfalls würden, zumindest die Hexen und Hexenmeister unter ihnen, nicht mehr am Boden liegen. Ich bin nur etwas überrascht, dass auch das Oberhaupt des Kynigós Clans, Kostja, sowie Ian, noch immer Bewusstlos sind. Ihre Magie sollte eigentlich stark genug sein, das sie solch einem Angriff standhalten können. Immerhin zählen die Kynigós Hexer, zu den Mächtigsten unter uns. Mich würde wirklich interessieren, zu welchem Zirkel sie einst gehört haben.

Ich steige über die Trümmer der Gruft hinweg und nähere mich dem Altar, auf dem Selest noch immer liegt. Wieso sie freiwillig dort liegen bleibt, obwohl sie jetzt, wo Eileen ja auf der Suche nach irgendwas ist das Weite suchen könnte, ist mir echt ein Rätsel. Denkt sie eventuelle noch, dass sie immer noch unter Ians Zauber steht? Eine Erklärung wäre es zumindest.

„Selest!“ rufe ich sie leise bei ihrem Namen. Ich möchte so wenig wie möglich Aufsehen erregen. Nicht das Eileen noch irgendwo hier in der Nähe ist und mich hört.

„Kira?“ Selest Stimme klingt überrascht.

Ich stehe genau vor dem Altar und schaue auf Selest runter. Den Dolch stecke ich hinter meinen Rücken in den Bund meiner Hose. Dann greife ich nach Selests rechtem Arm und ziehe sie sachte nach oben.

„Was machst du noch immer hier?“, will ich von ihr wissen. „Wartest du etwa allen Ernstes darauf das Eileen wieder kommt und dich dann töten kann? Wir müssen hier weg.“

„Ich kann nicht weg“, sagt Selest ängstlich. Nach einer weiteren Begegnung mit Lykan war das zu erwarten.

Zu wissen, dass man sich an dem Ort befindet an dem man sterben wird und auch, das der zukünftige Mörder hier ist, das stelle ich mir schrecklich vor. Und genau deswegen müssen wir von hier verschwinden. Denn heute wird auf keinen Fall der Tag sein, an dem Selest sterben wird. Das lasse ich nicht zu.

„Und ob du das kannst. Ian kann nämlich nur dann jemanden Manipulieren, wenn er selber bei Bewusstsein ist und das ist er ja glücklicherweise gerade nicht“, erkläre ich ihr. „Das heißt also, dass er derzeit keinerlei Kontrolle über dich hat. Und jetzt beweg dich endlich. Wir müssen von hier verschwinden.“

„Bitte was?“ Selest lässt sich von mir aufhelfen. „Na toll. Und ich lasse mich hier von deiner psychotischen Freundin vollquatschen. Wieso wollen eigentlich alle deine angeblichen Verwandten und Freunde meinen Tod? Abgesehen von Constantin und Jolina.“ Zumindest bis jetzt.

„Es tut mir leid“, sage ich wahrheitsgemäß. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht auch noch denkt, dass ich ebenfalls ihren Tod will. Denn den will ich definitiv nicht.

„Dir muss es nicht leid tun“, sagt Selest und streckt sich ausgiebig. „Du kannst ja nichts dafür, dass sie so sind wie sie sind. Weißt du vielleicht wo Arashi steckt?“

„Nein, ich…“

„Ich bin hier!“

Fast gleichzeitig drehen Selest und ich und um.

Arashi steht am Eingang zur Gruft, doch er ist nicht alleine. Hinter ihm steht Eileen, und die sieht alles andere als freundlich aus. Sie schiebt Arashi zur Seite und kommt mit wütenden Gesichtsausdruck auf uns beide drauf zu. Dabei fixiert sie vor allem Selest.

„Habe ich dich nicht darum gebeten das du brav hier bleibst“, verlangt sie regelrecht von Selest zu wissen. Die zuckt erschrocken neben mir zusammen. „Ich war doch relativ freundlich zu dir, oder etwa nicht?“

Ich hoffe das soll keine Fangfrage sein.

„Ich werde bestimmt nicht still liegen bleiben und darauf warten dass du mich umbringst, Eileen.“ Ich werfe Selest einen Seitenblick zu. Ihr Blick wandert zu Arashi. „Was hast du mit ihm gemacht?“

Das würde ich auch ganz gerne wissen. Hat sie ihn etwa manipuliert? Das würde zu Eileen passen, sie war ja früher auch schon so, dass sie sich all das genommen hat, was sie haben wollte. Und gerade Arashi wollte sie schon immer.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich mir zurückholen werde was mir gehört?“, säuselt Eileen und stellt sich so vor Arashi, dass Selest ihn nicht mehr richtig ansehen kann. „Und genau das habe ich bei Arashi gemacht, oder besser gesagt, Edema hat es für mich getan. Seit sie die Macht zweier Zodiac besitzt, ist sie mächtiger als vorher. Ach übrigens… Hallo Kira! Freust du dich mich zu sehen? Ich habe dich vermisst!“ Eileen wendet sich jetzt voll und ganz mir zu.

Unter normalen Umständen wäre ich jetzt zu ihr gerannt und hätte sie umarmt, denn ich habe sie in der Tat sehr vermisst. Doch ich tue es nicht. Ich stehe einfach nur stocksteif da und weiß nicht was ich tun soll.

Wenn ich doch nur meine Magie hätte. Ohne sie fühle ich mich so hilflos… und irgendwie auch leer.

Ich sehe das Eileen enttäuscht ist weil ich ihre Freude nicht teile, doch darauf kann ich keine Rücksicht nehmen. Ich bin nun mal nicht der Mensch, der vorgibt etwas zu sein, was er nicht ist. Und das weiß sie eigentlich auch.

„Das ist wirklich schade, aber ich kann es verstehen.“ Eileen kommt näher, und so schiebe ich Selest mit mir weiter nach hinten. Ich will so viel Abstand wie nur möglich zwischen uns haben. „Ich hätte dich wirklich nicht alleine lassen sollen, Kira.“

„Aber das hast du.“

„Ja! Doch ganz bestimmt nicht freiwillig. Nachdem Edema, Lykan und mich hat eins werden lassen, stellte ich für dich eine Gefahr dar. Und da ich nie vorhatte dir wehzutun…“

Ich schnaube verächtlich.

„Ist das derzeit einer der Lieblingssätze von euch Verrätern?“, will ich erbost wissen. „Erst Julian und jetzt auch noch du. Ich fasse es nicht. Glaubt ihr wirklich, dass ich das auch nur einem von euch abkaufe? Ganz bestimmt nicht. Ihr habt eure Entscheidung getroffen, also steht auch dazu.“

„Ich weiß nicht was du damit meinst, und ich weiß auch nicht wer dieser Julian ist“ Echt? Hm. Ist ja komisch, „aber ich wollte wirklich immer nur das Beste für dich, Kira.“

„Es ist mir egal was du wolltest. Das interessiert mich nicht, Eileen, aber wenn es wirklich stimmt was du eben sagtest, dann beweise es mir und lass Selest und mich gehen.“

Eileen scheint wirklich über meine Bitte nachzudenken, doch dann schüttelt sie doch mit dem Kopf. Ihre blonden Haare fallen ihr ins Gesicht und bedecken es, sodass ich ihren Blick nicht sehen kann. Dabei würde ich nur zu gerne in ihre Augen sehen, um zu erkennen, wie sie wirklich darüber denkt.

„Das kann ich leider nicht machen. Aber ich kann dir versprechen, dass Edema niemanden aus unserem Zirkel etwas tun wird“, sagt sie und kommt mir und Selest immer näher. Arashi folgt ihr wie ein Schatten. „Sie will wirklich nur Selests Herz und das der letzten beiden Zodiacs plus Ians. Und wenn sie das geschafft hat, dann will sie unserer Welt den Frieden bringen. Sie wird die drei Zirkel zu einem vereinen. Sie will…“

„Edema will sich die Macht der Zodiacs unter den Nagel reißen, um die mächtigste aller Hexen zu werden. Genau das will sie. Sie will das Herz einer Freundin von mir. Du… willst Selest das Herz rausreißen.“ Böse funkle ich sie an. „Und dafür verabscheue ich dich aus tiefsten Herzen.“

„Sag das nicht, Kira. Bitte!“ Eileen streckt ihre Hand nach mir aus, sie steht jetzt einen halben Meter vor mir, doch ich greife nach hinten an den Bund meiner Hose und hole den Dolch hervor. Mit ihm verschaffe ich mir wieder etwas Abstand zu Eileen. Sie bleibt erschrocken stehen. „Wir wissen beiden dass du mich nicht angreifen wirst, Kira. Du kannst keiner Fliege was zu leide tun, das war schon immer so.“

„Wenn ich du wäre, dann würde ich mich nicht darauf verlassen, Eileen. Es ist viel passiert in den letzten Tagen, und das hat mich verändert. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, was sich von anderen manipulieren lässt. Ich habe endlich meinen eigenen Willen.“

„Ich weiß. Doch bitte, nimm den Dolch runter. Du kannst mir nichts anhaben.“

„Was sollen wir jetzt tun?“, flüstert Selest mir leise ins Ohr. Ihre Stimme zittert vor Angst.

„Du musst deine Kräfte einsetzen“, flüstere ich ebenso leise zurück. „Lass dich von deiner Wut leiten und richte sie gegen Eileen. Die Wut ist ein starker Katalysator.“

„Ich kann es zumindest versuchen.“

Ich spüre wie Selest sich hinter mir verspannt. Also so wird das nie was werden. Sie muss erst ihre Angst besiegen, bevor sie ihre Zodiac-Kräfte richtig und kontrolliert einsetzen kann.

Um Eileen nicht eine Möglichkeit zu geben uns überrascht angreifen zu können, schenke ich ihr wieder meine vollste Aufmerksamkeit. Ich muss sie davon abhalten sich auf Selest zu konzentrieren. Gerade noch rechtzeitig sehe ich, wie Eileen wieder einen Schritt auf uns zumacht.

„Komm nicht näher oder ich steche zu“, drohe ich ihr, doch wie zu erwarten, lässt sie sich davon nicht abhalten erneut einen Schritt auf mich zuzumachen.

„Ich denke nicht dass du das tun wirst“, erwidert Eileen und greift nach meiner Hand, die den Dolch festhält. „Aber das wusstest du selber. Du warst schon immer viel zu schwach und gutherzig. Genau darum konnte dir auch jeder was vormachen.“

Eileen zieht mich zu sich heran, was ich widerstandlos geschehen lasse. Sie hat Recht. Ich bin wirklich schwach, egal ob mit, oder ohne meine Magie.

Ich reagiere viel zu spät. Eileen hat mich mit dem Rücken zu sich gedreht. Der Dolch den ich bis eben noch fest umklammert hielt, liegt nun hauchdünn an meinem Hals. Ich ziehe scharf Luft ein. Panisch schaut Selest zu mir und Eileen. Um sie herum lodert eine klitzekleine Flamme. Hätte ich es doch nur noch ein bisschen länger geschafft Eileen auf Abstand zu halten, dann…

„Lass es bleiben, Selest“, weist Eileen sie an und reißt mich so aus meinen Gedanken. „Du schaffst es eh nicht euch hier rauszuholen. Und mit dieser kleinen Flamme erst recht nicht. Und du willst eine Phönix-Hexe sein? Das ich nicht lache. Und jetzt tue mir den Gefallen, und gehe rüber zu Arashi, ja. Und das möglichst ohne etwas Dummes anzustellen. Denn ich breche wirklich nur ungern mein Wort.“ Zur Bestätigung drückt sie die Klinge des Dolches etwas tiefer in mein Fleisch. Ein kleiner Blutstropfen läuft meinen Hals hinunter.

„Hör bitte auf!“, fleht Selest Eileen an.

„Gut!“ Eileen lacht hämisch. „Edema wird hocherfreut über meinen Erfolg sein.“

Noch immer hält Eileen mir den Dolch an den Hals, sodass ich nichts weiter tun kann, als hilflos mit anzusehen, wie Selest resignierend zu Arashi geht. Er dreht sie mit dem Rücken zu sich und flüstert Selest irgendwas ins Ohr.

„Versuche sie etwas hinzuhalten, Kira“, höre ich die Stimme von Arashi in meinem Kopf. Er geleitet Selest in Richtung des Altars, der im Gegensatz zum Rest der Gruft, nicht von der Explosion beschädigt wurde. Ich wusste doch, dass er sich nicht von Eileen, oder Edema, manipulieren lässt. Die angeborene Macht seines Vaters schützt ihn einfach zu gut vor fremden Einflüssen. Gut geschauspielert, wirklich. Zumal es Eileen ihm abgekauft hat. Ich könnte ihn echt abknutschen. Oder auch nicht. Das sollte ich lieber Selest überlassen.

„Was hast du jetzt vor?“, will ich von Eileen wissen. „Willst du mich etwa auch mit Hilfe eines Zaubers dazu bringen, dass ich wieder mit dir befreundet bin? Willst du allen Ernstes den Rest deines Lebens mit solch einer Lüge leben? Ich glaube nicht.“

„Ich will vor allem eines, Kira. Am Leben bleiben. Nur deswegen tue ich das hier. Und was wir jetzt machen? Ganz einfach. Wir warten auf Edema. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis sie den Eingang zur Anderwelt gefunden hat.“

„Du warst schon immer egoistisch, Eileen. Dennoch war ich gerne mit dir befreundet. Du warst meine beste Freundin, und ich liebte dich wie eine Schwester. Ich hätte mein Leben für dich gegeben, und du… Würdest du das auch für mich tun?“

Eileens Hand die den Dolch führt zittert und so nutze ich die Gelegenheit und greife nach ihrem Arm. Ich umklammere ihn fest, bücke mich minimal nach vorne und schleudere Eileen so über meinen Rücken drüber, von mir weg. Der Dolch fällt klirrend auf den Boden. Derek wäre bestimmt stolz auf mich.

Ich sollte jetzt eigentlich zu Arashi und Selest rennen, doch stattdessen beobachte ich wie Eileen sich langsam wieder aufrappelt. Der Blick mit dem sie mich ansieht, könnte psychopatischer nicht sein. Und dann geht es ganz schnell. Eileen verwandelt sich vollständig in Lykan.

„Das hättest du nicht tun dürfen, kleine Hexe“, knurrt er mich an und springt auch schon auf mich drauf zu. Doch bevor er mich erreicht, prallt ein schwarzer Wolf mit ihm zusammen und wirft Lykan durch diese Wucht zu Boden.

Der schwarze Wolf stellt sich beschützend vor mich und knurrt Lykan mit gefletschten Zähnen an.
 


 

Herbst 2015, Anderwelt
 

Selest Peterson

Noch immer stehen sich der schwarze Wolf und Lykan gegenüber. Doch während der Wolf noch immer mit seinen Zähnen fletscht, umkreist Lykan ihn und Kira. Der schwarze Wolf folgt Lykans Bewegungen und lässt ihn nicht aus den Augen, bis er völlig unerwartet zum Sprung ansetzt und sich auf Lykan stürzt. Dann geht alles so schnell, dass ich Schwierigkeiten habe dem Kampf zu folgen.

Die beiden Wölfe liefern sich einen gnadenlosen Kampf.

Kira stellt sich neben mich und Arashi, als ein schwaches wimmern und kurz darauf ein ängstlich klingendes Heulen zu vernehmen ist. Zu dritt sehen wir das große Knäuel an, welches Lykan und der schwarze Wolf gebildet haben. Es ist einfach nicht zu erkennen wo Lykan anfängt und der schwarze Wolf aufhört, so sehr sind sie in einander verkeilt. Das einzige was man zweifelsfrei erkennen kann ist, dass Lykan die Oberhand hat, was keinen von uns freut.

„Können wir irgendwas tun um dem schwarzen Wolf zu helfen?“, stelle ich meine Frage an Kira und Arashi zugleich. Es ist mir egal wer von beiden mir antwortet, auch wenn ich nicht glaube dass es Kira sein wird. Noch immer ist ihr Blick an die beiden kämpfenden Wölfe geheftet.

Ich blicke zu Arashi rüber. An seiner angespannten Körperhaltung erkenne ich, dass er sich am liebsten in den Kampf mit einmischen würde. Doch ich bin froh dass er es nicht tut.

„Wenn wir uns jetzt einmischen, dann besteht die Gefahr, dass nicht nur Lykan uns angreift, sondern auch Derek.“ Was? Soll das etwa heißen, dass der schwarze Wolf dort Derek ist? Und ich dachte er ist auf Edemas Seite.

Obwohl es mich schon gewundert hatte, dass er zusammen mit Arashi von Kostja gefangen gehalten wurde. Also entweder ist es Edema und Eileen egal, wenn ihre Krieger verletzt oder gar getötet werden, oder aber, Derek stand nie unter Edemas Kontrolle und sie sah so einen Weg ihn los zu werden. Jetzt frage ich mich aber, wieso er Arashi letztens verletzt hatte. Hat sie ihn eventuell mit irgendwas in der Hand gehabt?

„Genauso wie man niemals einen Vampir beim Essen stören darf, sollte man sich auch niemals zwischen zwei kämpfende Wölfe stellen. In solch einem Moment, hat mehr das Tier die Kontrolle, als der Mensch“, erklärt mir Kira, dem Geschehen vor uns immer noch zugewandt. Und das liegt, so denke ich, mehr an Derek als an Lykan bzw. Eileen.

Wieder ist ein fiepen zu hören und diesmal so laut, dass es mir in der Seele wehtut. Das große schwarze Knäuel löst sich auf und es ist Lykan, der sich zu seiner vollen Größe aufbaut.

Sofort stürzt sich Arashi auf ihn.

Ich blicke zu Kira rüber, die mit tränenden Augen auf die schwarze Fellkugel, auf Derek, blickt. Sie stürmt vorwärts, an seine Seite. Ich renne ihr hinterher.

Neben dem verletzten schwarzen Wolf kommen wir beiden zum Stehen. Dann geht Kira in die Hocke, streichelt dem wimmernden schwarzen Wolf den Kopf. Er hebt ihn und schleckt Kira mit seiner Zunge über die Wange, leckt so ihre Tränen weg.

Ich kann da nicht länger hinsehen.

Auch wenn ich nicht viel Ahnung von dieser Welt habe, so kann ich mir durchaus denken, was gerade zwischen Kira und Derek passiert. Wieso der schwarze Wolf sich so verhält und wieso Kira leise weint.

Derek wird sterben … Und das ist meine Schuld.

Ich entferne mich von den beiden. Stolpere fast schon rückwärts und lasse mich dann, in einiger Entfernung zu Kira und Derek, auf den kalten Boden fallen. Dann lasse ich auch meinen Tränen ihren Lauf.
 

Am anderen Ende der Gruft sind Lykan und Arashi immer noch am Kämpfen. Ich kann jede ihrer Bewegungen genau erkennen, was wohl daran liegt, dass der Kampf mit Derek, Lykan ziemlich zugesetzt hat. Arashi verpasst Lykan gerade einen Tritt, der den Wolfsmenschen gut einen halben Meter durch die Gruft schleudert. Doch lässt er ihm keine Zeit sich zu erholen. Arashi stürzt sich wieder auf ihn und holt erneut aus…

„Arashi stopp“, höre ich Kira schreien. Ich blicke zu ihr, genauso wie Arashi.

Kira hockt noch immer neben dem schwarzen Wolf, dessen schwerer Kopf auf ihrem Schoss gebettet ist. Mit tränenüberströmten Gesicht starrt Kira auf Lykan.

Ohne seinen Blick von Lykan zu nehmen – um bereit zu sein, falls er angreifen sollte, wendet sich Arashi an Kira.

„Ich weiß sie ist deine beste Freundin, Kira“, sagt er, „aber wir müssen es hier und jetzt beenden. Du weißt was sonst mit Selest passieren wird. So lange Eileen lebt, so lange wird Selests Leben in Gefahr sein.“

Sachte hebt Kira den Kopf des Wolfes an, dessen Brust sich langsam hebt und senkt. Sie gibt ihm einen Kuss auf dessen Nasenspitze und lässt ihn dann sachte zu Boden gleiten. Sie steht auf.

„Kira?“ Was hat sie vor?

Ich beobachte Kira dabei, wie sie mit langsamen Schritten und zitterndes Knien auf Arashi und Lykan drauf zu läuft. Einen halben Meter vor ihnen bleibt sie einen Moment stehen und bückt sich nach unten. Sie hebt den Dolch auf, welchen Eileen vorhin hat fallen lassen. Mit starrer Miene setzt sie ihren Weg weiter fort, bis sie genau vor Arashi und Lykan steht.

Sie wird doch wohl nicht?

Lykan wird von Arashi am Boden gehalten. Zwar versucht er dessen Fuß, mit dem Arashi seinem Brustkorb unten hält, beiseite zu drücken, doch so wie es aussieht, scheint Lykan die Kraft verlassen zu haben. Kein Wunder, da er ja erst mit Derek und dann gleich mit Arashi gekämpft hat. Das stelle ich mir schon recht ansträngend vor.

Kira geht, jetzt am ganzen Körper zitternd, vor Lykan in die Hocke und wird nicht eine Sekunde lang dabei von Arashi aus den Augen gelassen. Er würde sofort eingreife, falls Lykan eine Gefahr für sie darstellt, da bin ich mir sicher.

„Das hier muss ich erledigen“, flüstert Kira. Noch immer kullern Tränen ihr Gesicht herunter.

Lykan bäumt sich auf, doch er greift nicht an, sondern verwandelt sich wieder in Eileen zurück. Sie ist kaum wieder zu erkennen. Ihr Körper ist übersäht mit blutenden Wunden und Hämatomen. Außerdem scheint ihr linker Arm gebrochen zu sein, von ihren beiden Beinen kaum zu schweigen. Ich wende meinen Kopf leicht angewidert ab. Das ist wahrlich kein schöner Anblick.

„Kira!“ Ich höre Eileens flehende Stimme. Sie weiß ganz genau, dass das hier ihr Ende sein wird und versucht es jetzt wohl mit der Mitleidsnummer. Doch ich bezweifle, dass sie damit Erfolg haben wird. Ihre Zeit ist abgelaufen.

„Kira?“ Ich gehe zwei Schritte auf sie zu, bleibe dann wieder stehen. Kira wendet ihr Gesicht in meine Richtung. „Du solltest das nicht tun müssen“, sage ich ihr. Eileen ist immerhin ihre beste Freundin. Und niemand sollte gezwungen sein, eine solche zu töten.

„Überlasse das einfach mir, Kira“, sagt Arashi und streckt ihr seine Hand entgegen. „Ich bringe das zu ende.“

„Nein!“ Kira wendet sich mir mit eiserner Miene wieder ab und blickt zu Eileen runter. Die liegt mittlerweile mehr als das sie sitzt und atmet stockend ein und aus.

Arashi und ich, wir blicken uns an und schließen fast synchron unsere Augen. Wir beide würden Kira am liebsten diese Bürde abnehmen, doch wir wissen, dass sie das nicht zulassen wird. Sie hat ihre Entscheidung getroffen.

Ich vernehme einen spitzen Schrei – es ist Eileens. Wie von selbst öffnen sich meine Augen und ich sehe gerade so noch, wie Kiras Hand, die den Dolch fest umklammert hält, nach vorne schnellt. Eileens Kopf sackt nach unten. Die Klinge des Dolches hat ihr Herz durchbohrt.

Eileen ist tot. Nein, nicht Eileen – die starb wahrscheinlich in dem Moment, als Edema Lykan und sie miteinander verschmolz. Es ist Lykan, der hier und jetzt sein Ende fand.

Kira hat mit dieser Tat mein Schicksal verändert – und dafür bin ich ihr dankbar.



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