Zum Inhalt der Seite

Assassin's Creed Unity: Nothing is True

Pairs 1774 | Pierre Bellec | Charles Dorian | Shay Patrick Cormac | OC
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Under your Control

„Nochmal!"

In der Hitze eines sonnigen Junitages, kreuzten sich die Floretts von Bellec und Renée. Renée musste zugeben, dass sie mit dem Schwert längst nicht so flink war. Ihre Stärke lag im Laufen und Klettern, außerdem kannte sie sich gut im medizinischen Bereich aus, aber der offensive Kampf lag ihr nicht und das ließ Bellec sie schon seit Stunden spüren. Immer und immer wieder ertönte ein raues „Nochmal!“ aus seiner Lunge.

Über dem Café Theatre lag der Trainingsraum der Assassinen, dort hielten sie sich seit einigen Wochen täglich auf, um an Renées Nahkampf Fähigkeiten zu feilen, denn das hatte die junge Frau bitter nötig. Auch Charles sollte normalerweise mittrainieren und für sie als Trainingspartner herhalten, doch heute war er erstaunlich spät.

Die Wände des Raumes wurden geziert von glanzvollen Klingen und Schilden. Renée sah solche Waffen noch nie und glaubte, sie mussten aus einer anderen Zeit stammen - lange vor ihrer Zeit.

Der Parkettfußboden bot sich als gute Trainingsfläche. So oft, wie Renée von Bellec zu Boden gefegt wurde, war sie froh, dass sie dies nicht auf hartem Stein verkraften musste.

„Gib dir ein bisschen mehr Mühe, so wirst du auf dem Schlachtfeld keine fünf Minuten überleben.", fauchte Bellec sie an. Er hatte lange Geduld mit ihr, doch er wartete darauf, dass sie endlich einen Fortschritt machen würde – er blieb aus.

Renée sah ihn skeptisch an "Ich bin Assassine und nicht Soldat. Ich meuchle im Schatten. Du tust so, als müsse ich in den Krieg ziehen."

„Konzentrieren sollst du dich!" und prompt traf sein Florett ihre Hand und ihr Schwert wurde einige Meter weggeschleudert.

„Sei froh, dass die Dinger stumpf sind, im direkten Kampf hättest du jetzt eine Hand weniger, Püppchen."

Frustriert sah sie drein. Ihre Motivation flog zusammen mit ihrem Schwert davon. „Können wir mal eine Pause machen?"

„Eine Pause?", fragte Pierre ungläubig nach.

„Eine Pause", entgegnete Renée bestimmt. "Irgendetwas mache ich falsch. So hat das keinen Zweck, ich kann mich nicht konzentrieren."

„Na von mir aus", brummte Bellec einsichtig.
 

Das Verhältnis der beiden war nach einem Monat der Zusammenarbeit immernoch chaotisch. Sie waren nie einer Meinung, manchmal stritten sie, aber meist holte Charles die beiden wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Anders war es, wenn es ums Trinken ging. Zumindest da konnten sie sich zusammenreißen und mehr oder weniger gut miteinander auskommen - erstaunlicher Weise. Und wenn sie mal wieder einen Wettstreit veranstalteten, wer von ihnen mehr Alkohol vertragen konnte, endete das zumindest nicht im Streit, auch wenn sie in Charles' Augen beide verloren hatten und er sehen musste, wie er sie nachhause bekam. Aber Charles erkannte auch Fortschritte; ihre Förmlichkeiten legten sie längst bei Seite und pflegten einen persönlichen Umgangston zueinander. Ihm selbst fällt es zwar hin und wieder schwer, und dann wechselt er automatisch zurück zu 'Mademoiselle', doch insgesamt war er guter Dinge.
 

Renée war erschöpft. Ihre Muskeln schmerzten und die Kraftlosigkeit war ihr mit Schweißperlen ins Gesicht geschrieben. Stundenlang trainierten sie bereits, doch sie erzielte keinerlei Erfolge. Sie brauchte frische Luft und so lief sie durch den Raum und öffnete eines der drei großen Fenster. Eine warme Prise stieß ihr ins Gesicht und die Vorhänge wehten sanft vor siche her. Sie schloss die Augen. Wenn sie sich von all dem, was sie umgab löste, hörte sie plötzlich das ungestüme Rauschen der Seine und die Lieder der Vögel. Die Menschenmassen nahm sie überhaupt nicht mehr wahr. Es war ein angenehmes Gefühl, dachte sie. Wenn sie doch nur im Kampf selbst auch so ruhig sein könnte. Doch stattdessen war sie jedes Mal nervöser als zuvor, wenn sie den Griff eines Schwertes in ihrer Hand spürte. Würde sie es diesmal schaffen? Würde Pierre sie weiterhin anschreien? Das alles machte sie so nervös, dass die geforderte Konzentration ausblieb.

Und dann wurde sie unerwartet aus ihren Gedanken gerissen:

„Schlaf bloß nicht ein", Bellec klopfte ihr unerwartet auf die den Rücken. Sie stieß einen lauten Seufzer aus „Du störst auch immer, oder?"

„Kommt drauf an. Aber für ein Nickerchen sind wir bestimmt nicht hier. Und da der liebe Charles heute reichlich spät ist, bekommst du auch sein ganzes Trainingspensum zugeteilt. Übung schadet dir ja nicht, wie wir heute mal wieder festgestellt haben."

Renée rollte nichts sagend die Augen. Er hatte gar nicht mal so unrecht, dachte sie. Mehr Übung konnte sie wirklich gebrauchen. Es frustete sie, dass ein Fortschritt ausblieb.

„Wo ist Charles eigentlich?", schwank sie auf ein anderes Thema, um seinen Stänkereien aus dem Weg zu gehen. „Ist doch eigentlich nicht seine Art, so spät aufzuschlagen."

„Wenn er heute überhaupt noch aufschlägt.", fügte Bellec hinzu und erweckte den Eindruck, als würde er gar nicht damit rechnen, dass Charles noch kommt.

„Meinst du, er ist krank?", hakte Renée besorgt nach.

„Er würde selbst krank hier aufschlagen; vielleicht ist etwas mit seinem Bengel, ich weiß es nicht",

„Seinem was?"

„Die Pflichten eines Vaters eben."

„Er ist Vater?!" Das haute Renée nun aber von den Socken.

„Hat er dir das nicht erzählt? Ihr seid doch so dicke." Stichelte Bellec sie an. Wie sehr sie das nervte, erfuhr er in ihrer Antwort.

„Würde ich sonst fragen?", schoss sie zurück.

„Naja, du musst ja auch nicht alles wissen, Püppchen." In seinen Worten lag pure Provokation. Er genoss es, sie zu provozieren, sie zur Weißglut zu bringen, zu sehen, wie sich ihre glänzenden Augen mit Wut füllten. Es machte ihm Spaß. Doch dieses Mal fiel das Ergebnis ernüchternd aus. Renée sorgte sich um Charles und ging überhaupt nicht auf sein Spiel ein.

„Ist das nicht schwer? Familie und Bruderschaft. Ich meine---"

„Und deshalb sollte man sich niemals binden.“ Unterbrach er sie. „Familie, Verpflichtungen, so etwas behindert nur. Entweder man lebt nach dem Kredo, oder man gründet eine Familie. Beides funktioniert nicht."

„Klingt ziemlich altbacken", wandte Renée ein „Und wenn du mal willst?"

„Was soll ich wollen?" Entgeistert warf er ihr einen Blick zu. Er wusste genau, was sie ihm damit gedenkte zu sagen – haargenau. Aber er rechnete nicht damit, dass sie so eine Dreistigkeit von sich geben würde.

„Sex. Du weißt schon. Das ist das, was alle Männer immer mal brauchen, um zu entspannen, oder weil sie es wollen, oder weil---"

Renée erntete für diese indiskrete Frage einen tödlichen Blick und ließ ihre Aufzählung abrupt abbrechen. Sie wusste, dass sie doch besser die Klappe gehalten hätte, doch sie konnte es sich nicht verkneifen, ihn aufzuziehen. Schließlich war das bei den beiden eben so – sie ärgerten einander, immer und immer wieder. Alles andere wäre auffällig unnormal.

„Keine Sorge", antwortete Bellec gelassen und trat an sie heran. Er berührte mit seiner Hand behutsam ihre Wange. Sie fühlte seine warmen Fingerspitzen sanft auf ihrer Haut. Eigentlich war er ein grober Kerl, doch gerade war er zärtlich.

Er traf noch nie auf eine Frau mit solch einer großen Klappe und doch solch einer zarten Aura.

„Wenn ich mal will, dann komme ich ganz bestimmt nicht zu dir.", ergänzte er hauchend in ihr Ohr.

Er fühlte ihr verschwitztes Gesicht, dass der Wind nicht schnell genug trocknen konnte. Sie gab sich während des Trainings alle Mühe, strengte sich an und tat alles, um das Schwert zu meistern, das musste er zugeben. Trotzdem erfuhr sie keine lobenden Worte von ihm, denn das brachte ihr ja doch keinen Fortschritt.

Bellec wandte sich von ihr ab und lief gelassenen Schrittes zurück auf die Trainingsfläche.

Renée war ein bisschen verdutzt. Mit solch einem raffinierten Konter rechnete sie nicht. „Da habe ich ja nochmal Glück gehabt, Pierre."

„Hast du. Können wir dann weitermachen?", forderte Bellec sie dann auf, sodass sie zu ihrem Schwert spazierte und es trotzig vom Boden aufhob.

„Und dieses Mal strengst du dich besser an, verstanden?", murrte er.

„Und wenn ich einen validen Treffer lande, verrätst du mir endlich, was in dieser Kiste war, die wir vor einem Monat in der Place de Vosges gestohlen haben."

Noch immer wusste Renée nicht, was der Inhalt der Kiste war, die sie gemeinsam mit Charles vor einem Monat erbeutete. Es blieb ihr ein Rätsel, wie sie jemals herausfinden sollte, was sich darin befand. Vielleicht war ja tatsächlich nichts in der Kiste, denn wenn der Rat den Eden Schlüssel vermutete, konnten sie nur falsch liegen, denn der befand sich in ihrem Besitz. Aber was, wenn es zwei Schlüssel gab? Daran hatte sie noch gar nicht gedacht.

„Ich habe dir schonmal gesagt, dass das Angelegenheit des Rates ist und dich nichts angeht. Du bist ganz schön hartnäckig, Püppchen." Er riss sie aus ihren Gedanken.

„Soll das ein Kompliment sein?", staunte sie.

„Gewiss nicht.", runzelte er die Stirn.

„Dachte ich mir. " Mit einem verschmitzten Lächeln grinste sie ihm zu, frei nach dem Motto > Du kannst mich mal <

„Also Püppchen,“, lenkte er ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Wesentliche, „konzentriere dich und greife mich an. Denk an die Grundlagen, sonst triffst du mich nie im Leben."

Das musste er ihr nicht zwei Mal sagen. Sie wollte endlich einen Treffer landen und sich selbst beweisen, dass sie ein Schwert führen konnte. Außerdem wollte sie nicht länger schwach vor ihrem Ausbilder darstellen.

Sie rannte auf ihn zu, holte mit ihrem Schwert aus und zielte auf seinen rechten Arm. Doch Bellec realisierte haargenau, was sie vorhatte. Seine langjährige Erfahrung ließ ihn nie im Stich. Er preschte in ihren Angriff, krallte sich ihre linken Schulter und den rechten Arm und fegte sie federleicht zu Boden.

Renée fiel unsanft und rollte noch einige, wenige Meter weiter. Verärgert blieb die junge Frau am Boden liegen und ließ in ihren Gedanken den Angriff Revue passieren; was machte sie nur falsch?

„Das wars, wir sind fertig für heute.“ Mit diesen Worten stürmte Bellec aus dem Trainingsraum und ließ Renée zurück. Ob er sauer war?

Niedergeschlagen blieb sie am Boden liegen. Immer und immer wieder suchte sie nach dem Fehler, doch sie wurde nicht fündig. Es war wohl Zeit, nachhause zu gehen, dachte sie. Und so tat sie es auch.
 

Die Bruderschaft überließ ihr einen der Räume über dem Café, damit sie ihre Montur und ihre Waffen nicht mit nachhause nehmen musste. Quemar wusste um die Situation ihrer Mutter Bescheid, also legte er beim Rat ein gutes Wort für sie ein und sie bekam ein Zimmer.

Aus einem hölzernen Schrank holte sie ihre schneeweiße Bluse hervor, die von Rüschen geziert war. Ihr Vater brachte sie ihr vor einigen Jahren aus einem Nobelviertel von Paris mit. Sie trug sie gern, zum einen, weil sie sehr schön war und zum anderen, weil sie die Bluse eben von ihrem Vater bekam.

Nachdem Renée in ihre Alltagskleider geschlüpft war, verließ sie das Café Theatre und ging auf dem direkten Wege nach Hause. Ihrer Mutter erzählte sie, dass sie eine Arbeitsstelle als Kellnerin gefunden hatte und deswegen kaum daheim zugange war. Sie brachte es nicht übers Herz, sie wissen zu lassen, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters trat und sich den Assassinen angeschlossen hatte. Seit der Nachricht über den Tod von Bernard Moreau sind acht Monate vergangen. Renée gewöhnte sich langsam daran, dass ihr Vater fort war, doch ihre Mutter weinte weiterhin bitterlich. Erst verlor sie ihren Sohn, dann ihren Mann. Wenn sie jetzt noch ihre Tochter verlieren würde...

Deshalb schwieg Renée, doch sie wusste, dass es ohnehin eines Tages ans Licht kommen würde, wenngleich sie betete, dass dieser Tag weit in der Zukunft läge.

Oft dachte sie über Quemars Worte vor acht Monaten nach. Vater sei nicht getötet worden, doch woran er starb, konnte Quemar ihr bis heute nicht sagen. Vielleicht war es eines von vielen Geheimnissen der Bruderschaft. Vielleicht würde sie es nie erfahren und vielleicht war es auch besser so.
 

Es war bereits Mitternacht.

Bellec saß auf seinem Stuhl zurückgelehnt im schwachen Kerzenschein. Er wusste nicht, was er in Renées Ausbildungsbericht schreiben sollte, denn seit Wochen trat sie auf der Stelle. Ratlos klopfte er mit seinem Stift auf das Blatt Papier und runzelte nachdenklich die Stirn. Sein Blick glitt durch den kaum erhellten Raum. Sein Mobilar war als solches in der Dunkelheit nicht erkennbar und das Flackern der Kerze lies die Silhouetten seiner Schränke tanzen. Fast schon sah es aus, als würden sie nicht tanzen, sondern miteinander kämpfen. Und beinahe schon erinnerten ihn diese Tänze an die Bewegungen seiner Novizin: unkontrolliert, zu kurz und völlig falsch. So führte man kein Schwert und so würde sie es nie lernen; nein, viel mehr noch: Renée Moreau kann kein Schwert führen.

Er hatte zu viel getrunken, dachte er, doch das hielt ihn nicht davon ab, noch einmal zur Flasche auf seinem Tisch zu greifen. Seine Lippen umschlossen die Flaschenöffnung, doch kein Tropfen Wein floss ihm den Rachen hinunter.

„Leer", murrte er vor sich hin.

Dann stand er auf, warf sich seinen Mantel um und lief in der nächtlichen Ruhe zum Sanktuarium.
 

In der morgendlichen Dämmerung fand Renée eine ruhige Ecke in Ventre. Heute drehte sie keine Runden durch Paris und auch die Kathedrale Notre-Dame musste ausnahmsweise auf ihre Klettereien verzichten.

Einen alten Baum machte sie stattdessen zu ihrem Trainingspartner.

In der Früh holte sie bereits ihre Ausrüstung aus dem Café Theatre und übte. Ihr war es lästig, vor ihrem Ausbilder als unfähig da zu stehen. Sicher hielt er sie für völlig nutzlos und das passte ihr nicht. Also übte sie heimlich in der aufgehenden Sonne vor dem eigentlichen Training, um ihn nachher überraschen zu können.

Doch es kam, wie es kommen musste: nicht einmal den Baum traf sie effektiv und so entfuhr ihr ein lautstarkes „Merde!", ehe sie merkte, dass sie nicht allein war.

„Vergebliche Liebesmüh, spar dir den Atem."

Es war Pierre - es konnte nur er sein, dachte sie. Es war ihr so unangenehm, dass sie sich nicht zu ihm umdrehte.

„Wie lang hockst du da schon?", rief sie stattdessen.

Auf einem Mauervorsprung saß er und beobachtete sie seit einer ganzen Weile.

„Lang genug um Bestätigung zu erlangen."

„Bestätigung über was?

„Über das, was ich mir die ganze Zeit schon dachte."

Jetzt rollte Renée die Augen. Gleich würde er es sagen. Sagen, dass sie unfähig und talentfrei sei. Und wenn ihm diese Worte über die Lippen gingen, würde er sich darüber lustig machen und sie würde vermutlich das Handtuch werfen. Dann hätte er gewonnen und wäre sie los.

„Du bist nicht fürs Schwert gemacht, Püppchen."

Da ging es los.

Sie stieß einen großen Seufzer aus; sie musste es nun einfach über sich ergehen lassen. Noch immer stand sie mit dem Rücken zu ihm und er hüpfte nun die Mauer hinab.

„Du könntest wenigstens so viel Anstand besitzen und mich ansehen, wenn ich mit dir rede."

„Damit du die Erniedrigung in meinen Augen sehen kannst? Damit es dich amüsiert und du deinen Spaß hast? Vergiss es", gab Renée trotzig von sich.

„Sturrkopf", brummte er. „In der Waffenkammer der Bruderschaft habe ich mir die Nacht für dich um die Ohren geschlagen. Ein bisschen Dankbarkeit wäre angebracht."

Was hat er? Renée war perplex. Vielleicht hatte sie sich verhört, doch das fand sie nur heraus, wenn sie sich zu ihm wandte. Also tat sie es, drehte sich langsam um und erblickte Bellec mit einer länglichen Waffe bei sich.

„Hier, versuch es mit der Lanze.", sprach er dann und drückte sie der jungen Frau in die Hand.

Ungläubig musterten Renées Augen die Situation.

„Ich weiß doch gar nicht, wie man so ein Ding überhaupt richtig hält", stotterte sie vor sich hin, überwältigt davon, dass nichts von dem, was sie sich gerade ausgemalt hatte, eintrat.

„Du nimmst sie in die Rechte Hand", begann Bellec, doch Renée nahm die Lanze in die Linke. „In die Rechte sagte ich."

Sie stand neben sich und realisierte nicht, dass sie ihm gar nicht richtig zuhören konnte.

„Was ist denn heute mit dir los? Bist doch sonst nicht so zimperlich.", brummte er und schnappte sich ihre rechte Hand und führte sie an den Griff der Lanze.

„Festhalte. Und jetzt nimmst du eine gebeugte Haltung ein, stellst dich seitlich; den linken Fuß vor den recht und die Lanze auf Schulterhöhe mit angewinkelten Arm."

Diesmal tat sie, was er von ihr verlangte und stellte sich in kampfbereite Haltung. Es war neu und ungewöhnlich, aber es fühlte sich im ersten Moment nicht schlecht an, wenngleich es ihr doch ein Rätsel war, wie sie in dieser Haltung vorpreschen sollte. Sie fühlte sich wie angewurzelt und so sah es in Bellecs Augen tatsächlich auch aus.

„Wenn du angreifst, wechselst du den Stand der Füße. Der rechte Fuß tritt vor den linken und gibt deiner Lanze einen kraftvollen Antrieb. Versuch es mal", sagte er, während er auf den Baum zeigte.

„Und du glaubst, dass es mit der Lanze besser funktionieren wird, als mit dem Schwert?", runzelte Renée ihre Stirn. Vielleicht war das auch nur ein weiterer Akt von ihm, der zu seinem Amüsement dienen sollte - sie war skeptisch und traute ihm nicht.

„Deine Bewegungen mit dem Florett in der Hand haben einfach nicht zur Waffe gepasst. Du hast das Schwert geführt wie eine Waffe mit variabler Reichweite. Das habe ich in deinen Bewegungen erkannt. Aber ein Schwert hat nun mal keine Reichweite dieser Art, sie ist fix, daran ist nichts zu ändern. Das ist ungewöhnlich. Normalerweise lernt man erst den Umgang mit dem Schwert, weil es der einfachste ist und dann widmet man sich dem restlichen Spektrum des Waffenarsenals. Naja, aber du bist auch alles andere als normal, Püppchen."

Bellec lief nun zum Baum und ritzte mit seiner Versteckten Klinge ein Kreuz in den Stamm - eine Zielfläche.

"Versuch es jetzt."

Wortlos tat Renée, was er wollte und nahm die ungewohnte Haltung ein, die sie eben lernte. Bevor sie zustach, übte sie trocken die Bewegung vor sich hin, denn sie wollte nicht schon direkt beim ersten Versuch wieder daneben treffen. Den rechten Fuß nahm sie nach vorn, während sie mit der Lanze zustach. Es fühlte sich befremdlich für sie an.

„Das muss schwungvoller sein."

Bellec stellte sich hinter sie und fasste ihre rechte Hand.

„Festhalten, habe ich gesagt.

Deine Hand ist viel zu locker, so wirst du in wenigen Sekunden entwaffnet." Er umklammerte ihre Finger unlösbar und ließ sie die Lanze umschließen. Dann legte er seine linke Hand um ihre Lende.

Unter seiner rauen Schale kam erneut eine sanfte Seite zum Vorschein. Renée wunderte sich, wie das zusammenpassen konnte. Er stand ihr so nah und in seinen Händen war so viel Wärme, während er sonst doch kalt wie Stein war und er ihr das Gefühl gab, sie zu hassen. Wieso hing er sich so sehr ins Zeug?

„Und jetzt pass genau auf, wie es geht.", sagte er und ließ ihren Körper den Angriff tödlich ausführen.

Er hatte die volle Kontrolle über sie; er bestimmte jede ihrer Bewegungen und sie konnte nichts anderes tun, als sie auszuführen. Wäre er ein Feind, wäre sie in seinen Händen verloren. Doch auch, wenn die beiden sich oft wie Feinde an die Gurgel gingen, zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, er sei ein Freund und ließ sich selbstlos, ohne darüber nachzudenken, in seine Führung fallen.

„Hast du das verstanden?"

In ihrem Nacken kitzelte sein Atem und holte sie zurück in die Realität.

„Ähm...ja", stotterte sie.

„Gut", er ließ von ihr ab und all die Wärme schwand. Fast schon wehmütig stellte Renée das fest.

„Jetzt gehst du zu dem Baum und triffst die Markierung."

Beinahe automatisch tat sie, wie er verlangte und stellte sich in Kampfhaltung vor den Baum. Sie fühlte immernoch seine Hände, obwohl er sie längst von ihr genommen hatte. Und sie spürte immernoch die Kontrolle, die sie einen treffsicheren Angriff ausführen ließ. Sie gab sich diesem Gefühl hin, konzentrierte sich vollends darauf und stach zu.

Getroffen.

Einen kurzen Moment lang zweifelte sie daran, doch es stimmte, sie traf perfekt und ihr schoss ein Lächeln auf die Lippen.

„Ich habs geschafft", rief sie von Freude erfüllt und drehte sich abrupt zu ihm um.

Nie hatte sie ihn angelächelt, jetzt tat sie es voller Herzlichkeit. Er wusste nicht, wann ihm ein Mensch das letzte Mal solch ein Geschenk machte. Er hatte lange schon vergessen, wie wertvoll ein Lächeln ist, dass einen Körper mit so viel Wärme füllen konnte. Es war wie ein Stich, der ihn melancholisch durchbohrte. Glücklich und doch heimgesucht von Kummer, so fühlte er sich.

Renée glaubte für einen kleinen Augenblick lang, ein verstecktes Lächeln auf Bellecs Lippen zu erkennen, ehe er wieder der raue Mann wurde, mit dem sie ständig stritt.

„Ich sehe dich in einer Stunde im Trainingsraum. Bis dahin machst du dir die Waffe vertraut, Püppchen"

Er kehrte ihr den Rücken und kletterte die Mauer hoch. Es dauerte nur Sekunden und er war fort.

Wie gern hätte sie ihm gedankt.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück