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Auf der Jagd

Schatten und Licht, Interlude 2
von

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Urlaub

Merle stand aufrecht auf einen Schemel und streckte geduldig die Arme von sich weg. Um sie herum huschte emsig eine Näherin und nahm Maß. Laut verkündete sie die genommen Werte ihrer Helferin, die leicht Abseits stand und notierte. Neidisch betrachtete das Mädchen die beiden einfachen Kleider der beiden Frauen. Sie selbst würde wohl die nächsten Wochen nur noch im Bett nicht von Pfunden an Stoffen, Schnüren und Schmuck erdrückt werden.

Angesichts des geringen Unterschieds der Weite ihrer Taille und ihrer Brust gesellte sich Selbstzweifel zum Neid. Sie war wahrlich keine begehrenswerte Frau. Beweise dafür gab es nun Schwarz auf Weiß.

„Ich versteh immer noch nicht, warum du dir das hier antust.“, kommentierte Serena feixend von der Seitenlinie in Form einer Stuhllehne.

„Ich werde Sophia nicht enttäuschen.“, begründete Merle ihre Haltung. „Wegen der Gezeichneten im Land wird in Chuzario nur selten gefeiert. Sie freut sich sehr auf das Fest, dass sie meinetwegen veranstaltet.“

„Hast du das Ungetüm gesehen, dass du tragen sollst?“

Merles Blick fiel auf das ausladende Kleid, das eine lebensgroße Puppe zierte. So weit wie das Becken ausstaffiert war, musste sich unter Oberfläche ein kompliziertes System an Unterröcken, Polster, und Ösen verbergen. Auch die schmalen Schuhe mit den hohen Absätzen sollten sie noch vor Herausforderungen stellen.

Auf der anderen Seite war das Kleid ein Traum. Verziert mit Schärpen und Schleifen fiel der dunkelrote Ton des Oberkleids unterschiedlich aus, je nachdem von wo das Licht kam. Das Dekolleté war weit und die Taille schmal. Für Merle war es ein Rätsel, wie sie reinpassen sollte. Serena hingegen…

„Warum trägst du es nicht?“, forderte sie die blonde Frau heraus.

„Ich?“

„Natürlich! Du wolltest mich doch beschützen.“

„Eure Hoheit, das ist unmöglich.“, belehrte die Näherin die Prinzessin säuerlich. „Fräulein Serena hat bereits ein Kleid. Sie ist als eure Begleitung für das Fest vorgesehen.“

„Was?…Warum sollte ich kooperieren?“, verlangte sie lautstark zu wissen.

„Mir zuliebe.“, bat das Katzenmädchen, das ihre Rettung kommen sah. Die großen Kulleraugen schmolzen Serenas Widerstand dahin.
 

„Schau mal, was ich gemalt habe!“

Große Kulleraugen starrten Merle erwartungsvoll. Sie und Serena hatten das Ausleuchten ihrer Körper am Morgen gerade so überstanden und schon stand der nächste Termin auf dem Plan: Ein Mittagessen in einer örtlichen Schule. Wenigstens konnten sie normale Kleider tragen. Vom Essen wollten die Kinder allerdings nicht wissen. Die sonderbare Alte mit dem buschigen Schwanz war viel interessanter.

Merle legte ihre Hand auf die schmalen Schultern des Mädchens und senkte ihren Kopf, bis sie beide auf Augenhöhe waren.

„Toll, das sieht wunderbar aus!“, lobte sie das kleine Geschöpf überschwänglich. Auf dem Bild war drei bunt gekritzelte Gestalten unterschiedlicher Größe. Die Figur in der Mitte hatte grobe Braunstriche am Kinn, während die Figur rechts ein mit Schwarz umrandetes, schmales Kreuz in der Hand trug. Ein Schwert? Die Figur links war ein Kegel mit Kreis und zwei Armen, von denen einer einen Kreis mit einem Griff daran hielt. „Ist das deine Familie?“

„Ja, ich hab sie doch super getroffen, oder?“ Das Kind lachte über beide Ohren.

„Hält dein Onkel ein Schwert?“

„Das ist mein Bruder, nicht mein Onkel! Er ist weit weg.“

Falsches Thema, entschied Merle, angesichts des Schattens, der sich auf das Kind gelegt hatte.

„Und was hält deine Mutter in der Hand?“

„Eine Pfanne. Siehst du das denn nicht?“, ärgerte sich die Kleine. „Papa sagt immer, sie macht damit mehr Schaden als mein Bruder.“

Aua, schloss sie und entschied, auch das Thema nicht zu vertiefen.

„Warum bist DU eigentlich hier?“

„Was meinst du?“, fragte die Besucherin verwundert.

„Papa sagt, dass du gegen die Dämonen kämpfst. Warum bist du dann nicht weg, so wie mein Bruder?“

Ihr stockte das Herz.

„Hestia Liebes, iss bitte weiter.“, sprach ein freundliche Frauenstimme das Kind von hinten an. „Die anderen sind schon fast fertig.“

„Na gut.“, murrte das Mädchen.

Froh darüber, sich wieder dem faden Gemüse widmen zu können, beugte sich Merle über die Schüssel vor ihr. Indes spukte die Frage des Mädchens ihr durch den Kopf.
 

„Tut mir Leid.“, entschuldigte sich später die Erzieherin, die Merle aus ihrer misslichen Lage befreit hatte. „Sie sind manchmal etwas direkt.“

„Nein, mir tut es Leid.“, erwiderte sie niedergeschlagen, während sie den Kleinen im engen Gang zuwinkte, die in ihre Klassenzimmer verschwanden. „Ich hab nicht viel Erfahrung mit Kindern.“

„Ich lerne jeden Tag etwas dazu.“, beruhigte junge Frau die Kriegerin. „Es ist beneidenswert, wie sie mit dem Krieg umgehen. Trotz der Angst um ihre Verwandten und der Sorge ihrer Eltern finden sie immer wieder Grund zu Freude.“

„Sie bekommen wohl mehr mit, als gut für sie ist.“, folgerte Merle betroffen. Die Erzieherin seufzte.

„Leider ja. Obwohl die meisten Eltern sich viel Mühe geben, alles Leid von ihnen fern zu halten. Aber sie sind halt Kinder.“ Sie warf Merle einen scharfen Blick zu. „Im Spiegel halten macht ihnen keiner etwas vor.“

„Fragen sie sich ebenfalls, warum ich nicht gegen die Gezeichneten in die Schlacht ziehe?“, konfrontierte Merle die Frau müde.

„Ich hätte gern eigene Kinder, kann aber keine bekommen, weil mein Mann im Feld kämpft. Und die große Heldin, die so viele Gezeichnete wie kein anderer erschlagen haben soll, steht neben mir.“

Serena, die sich ein paar Meter abseits gehalten hatte, kam der Bedrängten zur Hilfe.

„Die Kinder sind zurück in ihren Klassen. Wir sind hier fertig!“, verkündete sie entschieden.
 

„Danke Serena, ich schulde dir was.“

Erschöpft sank Merle auf die gepolsterte Bank im Salon ihrer Unterkunft. Das Frühstück mit Serena war ja noch nett gewesen, obwohl sie gut und gern auf die ständigen Blicke der Dienerin und dem Vortrag ihrer Sekretärin hätte verzichten können. Die Anprobe ihres Kleids sowie das Mittagsessen in der Schule hatten ihr jedoch sämtliche Kräfte geraubt. Und der Tag war noch jung!

„Ich versteh immer noch nicht, warum du dich freiwillig dieser Hölle aussetzt.“, stichelte ihre Begleitung.

„Hitomi zuliebe.“, flüsterte das Katzenmädchen kaum hörbar und erstickte damit die Diskussion im Keim. Sie brauchte den Spross unter dem Herz ihrer Königin nicht zu erwähnen. Sie wusste, dass Serena gelauscht hatte, als sie Merle die frohe Kunde überbracht hatte.

Triste Stille senkte sich herab.

Merle gab sich einen Ruck: „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Vor ein paar Wochen war ein solches Pensum noch wie Urlaub. “

„Du bist ein Schatten deiner Selbst.“, eröffnete ihr Serena unbarmherzig. „Dein Geist ist durch deinen Verlust geschwächt und dein Körper...Wann hast du das letzte Mal trainiert?“

„Vor dem Angriff der Gezeichneten auf dem Übungsplatz in Farnellia. Van hatte mich damals ins Bett geschickt, weil ich es übertrieben hatte.“, erinnerte Merle sich melancholisch.

„Hast du Lust eine Runde durch die Stadt im Laufschritt zu drehen?“, bot ihr Serena an.

„Nein, du musst mich schon zwingen.“

„Schön, hiermit zwing ich dich.“

Merle gab sich kampflos geschlagen: „Na gut. Wie wäre es mit heute Abend. Wenn ich mich recht erinnere, hab ich dann zwei Stunden frei.“

„Wie wäre es mit Jetzt?“, erwiderte Serena hitzig. „Hier hältst du dich immer an andere. Ist vielleicht nicht genau das dein Problem? Als du die Gezeichneten in Chuzario ausgeschaltet hast, hattest du das Kommando. Du konntest tun, was du am besten kannst.“

„Töten?“

„Kämpfen! Bis Van in Farnellia eintraf, hast du die Verteidigung der Stadt gegen das Herr der Gezeichneten organisiert und die Evakuierung vorbereitet. Und was machst du jetzt?“

„Ich jage!“, eröffnete ihr Merle eindringlich. „Wir sind hier in Chuzario, dem Herz der Gezeichneten Seuche. Die Front ist nur eine Tagesreise entfernt und Nachrichten von dort treffen stündlich ein. Wenn sich Trias bei seinen Sklaven versteckt, werde ich hier am schnellsten davon erfahren. Außerdem ist Sophias Verlobter Antigonos wie Trias ein Abkömmling des Drachenvolkes und hat bereits ihn vor langer Zeit schon einmal aufgespürt. Wer wäre besser geeignet mir beizubringen, wie man dieses Scheusal von Vans Mörder töten kann?“

„Von Antigonos ist weit und breit nichts zu sehen.“, hielt Serena dagegen. „Selbst bei deinem Empfang war er nicht dabei.“

„Laut Sophia ist er auf einen Botengang zu seinem Volk und bereits überfällig. Er sollte jeden Tag eintreffen.“

„Außerdem bezweifle ich ernsthaft, dass du irgendetwas von Trias zu hören bekommen wirst. Sophia wird solche Neuigkeiten von dir fernhalten wollen und als zukünftige Königin sitzt sie am längeren Hebel.“

Merle lächelte listig. „Deswegen hab ich mich ja zu Ball breit schlagen lassen. Dort werden allerhand hochrangige Offiziere zugegen sein, die exzellent unterrichtet werden.“

„Soll heißen, du hast alles im Griff und ich hab mich umsonst so aufgeführt.“, realisierte die sonst souveräne Serena. Ihr Freundin war sich dessen nicht so sicher.

„Nein, einen wunden Punkt hast du getroffen.“, gab sie bedrückt zu. „Ich muss an meiner Verfassung arbeiten. So wie jetzt bin ich für keinen Gezeichneten eine Herausforderung.“

„Das heißt, heute Abend gehört dein Arsch mir?“

Das Katzenmädchen zog eine Grimasse, gab sich jedoch einen Ruck.

„Ja, tut er!“

Trotz ihrer hellblonden Haare und den blauen Augen ließ das boshafte Lächeln Serenas Merles Knie schlottern.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  CatariaNigra
2016-03-01T11:57:29+00:00 01.03.2016 12:57
Juchuu, ein neues Kapitel^*__*^
Auf die Trainingsstunde kann man sich wohl sehr freuen!

Von:  funnymarie
2016-02-29T09:40:02+00:00 29.02.2016 10:40
juhu, es geht weiter
auch wenn es ein bisschen böse klingt, aber endlich!!!!!!
das kapitel war wie immer hervorragend geschrieben und ich freu mich riesig auf mehr
lg funnymarie


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