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My Dear Brother

The Vampires
von

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Oh, Kiyoshi

Ich beugte mich noch ein Stück weiter nach vorne. Unsere Nasen berührten sich kurz.

 

»Kommt der Herr Hiroshi dann zum Essen?«

 

Kiyoshi und ich fuhren auseinander und starrten in Mamorus Gesicht. Der stand an der Tür, verbeugte sich kurz und drehte sich um. So schnell wie er gekommen war, so schnell war er auch wieder weg.

Sichtlich erschrocken über das plötzliche Erscheinen, schwie­gen wir. Kiyoshi schien wohl schneller wieder die Fassung gewonnen zu haben, da er seinen Kopf wieder zu mir drehte. Meine Hände umfassten noch immer seine Wangen, die, unnötig zu erwähnen, kalt waren. Plötzlich spürte ich seine Hände auf meinen. Er stand langsam auf.

»Du solltest essen gehen«, sagte er sanft und kaum hörbar. Er nahm meine Hände von seinen Wangen und trat zur Seite. Geräuschlos nahm er ein Buch, welches auf seinem Schreib­tisch lag.

»Kommst du nicht mit?«, fragte ich, etwas enttäuscht, da ich die Antwort bereits kannte.

»Nein. Du weißt, ich esse nichts.« Er lächelte zwar etwas, aber in seinen Augen war die Enttäuschung ebenfalls zu lesen. Ich nickte kurz und ging zur Tür. Ich drückte die Klinke runter und trat aus dem Raum. Eine kleine Sekunde verharrte ich am Türrahmen, in der Hoffnung, er würde noch etwas tun, doch als nichts geschah, ging ich schweigend auf den Flur und schloss die Tür.

 

Auf dem Weg ins Wohnzimmer, kam mir der Gedanke, dass Mamoru schon wieder ins Zimmer gekommen war, indem er das Schloss auf mysteriöse Weise austrickste. Selbst Ab­schließen brachte also nichts. Ungestörtheit in diesem Haus war also undenkbar.

Als ich das Wohnzimmer betrat und meinen Vater an dem langen Esstisch sitzen sah, holte mich der Gedanke an das Gespräch nach dem Essen, das er wünschte, ganz schnell wieder ein. Schwer schluckend setzte ich mich auf meinen Stuhl.

 

»Hallo Hiro. Wie geht es dir heute?«, fragte er wieder sehr freundlich und hatte wie immer nichts auf seiner Tischhälfte stehen.

»Ganz gut. Hatte zwar schon bessere Zeiten, aber es geht.«

»Hiro, du weißt, dass uns das unglaublich Leid tut. So hätte es nie enden sollen.«

Ich zuckte mit den Schultern und wendete den Blickkontakt mit meinem Vater ab. »Hab mich dran gewöhnt.«

»Das ging aber recht schnell.« In seinem Ton war eine Spur misstrauen.

»Ich muss mich ja wohl mit meinem Schicksal abfinden, oder? Eine andere Wahl bleibt mir nicht. Außerdem ist Chloe sehr nett, sie hat mir die rosigen Dinge aufgezählt.« Ich wollte das Wort ‚Vampir’ aus irgendeinem Grunde nicht gegenüber meines Vaters verwenden. Es war so albern auf irgendeine Weise.

»Chloe? Ach, das Mädchen aus unserem Laden«, schien sich mein Vater an sie zu erinnern. »Ja, die ist nett. Sie spielte früher immer mit Kiyoshi.«

»Ich weiß, hat er mir erzählt.« Ich nahm mir ein Stück Brot und beschmierte es zügig mit Butter. Schnell nahm ich mir ein Stück Wurst und legte es auf die Scheibe. Ehe ich mich versah steckte es in meinem Mund und ich kaute. So rasant hatte ich noch nie ein Brot geschmiert. Die vampirischen Vorzüge schienen immer mehr durchzukommen. So schnell geht das?

»Hiro, ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen kann. Du weißt, dass ich dich nur sehen wollte, du Kiyoshi kennen lernst und in Frieden wieder zu deiner Mutter gehst«, sagte mein Vater sehr anmutig. Kein Lächeln war auf seinen Lippen zu sehen und die Freundlichkeit schien auch nicht mehr dieselbe zu sein. Der Vampir kam durch. Jetzt musste er sich ja nicht mehr verstellen.

 

»Ist schon in Ordnung. Da kann man nicht mehr viel machen.« Wieder biss ich von der Brotscheibe ab.

»Was ist denn mit dir los, Hiro? Du wirkst so abweisend.«

Ich blickte auf und sah meinem Vater tief in die Augen. Sie waren immer noch braun, aber diesmal war jede Wärme vergangen und mich starrten ganz allein nur diese trüben, dunklen Punkte an.

»Du hast dich vorhin ganz schön mit Kiyoshi gestritten. Es hat mich geschockt, dass du so handgreiflich werden kannst.«

»Kiyoshi hat dir also seine Seite der Geschichte erzählt.«

»Er benimmt sich bestimmt nicht immer vorteilhaft, trotzdem ist er dein Sohn. Und Kinder schlägt man nicht, egal was sie getan haben.« Mein Ton wurde von Wort zu Wort schärfer.

Auf einmal lächelte er.

»Worüber ich eigentlich mit dir reden wollte: Deine Ver­wandlung steht bevor. Mit der Zeit dürftest du nach Blut dürsten.«

Meine Augen verformten sich zu Schlitzen. Er würgte das Thema eiskalt ab.

»Und wie ich sehe, hast du das schon an eigenem Leibe gemerkt.«

Mein starrer Blick sollte nichts verraten. Nichts Derartiges.

»Hiro, ich möchte, dass dies dein letztes Essen gewesen sein soll. Es ist für dich am Besten, wenn dein Körper sich mit dem Blut auseinandersetzt.«

Ich biss erneut von der Brotscheibe ab, ohne dabei meinen Vater aus den Augen zu lassen.

»Und ich möchte, dass du nicht mehr allzu freizügig in die Sonne gehst. Die UV-Strahlen schaden mit der Zeit deiner Haut.«

Langsam schluckte ich das Brotstück runter. Es schmeckte nicht. Es schmeckte nach Holz.

»Wenn du Blut benötigst, brauchst du nicht zögern, in der Tiefkühltruhe ist alles, was du benötigst für den Anfang.«

Ich kämpfte mit dem letzten Stück Brot und schluckte auch dieses runter. Der Tisch war wieder so schön gedeckt, doch mir verging der Appetit.

 

»Zuletzt noch eine Bitte von mir, Hiro.«

Ich stand auf.

»Kiyoshi und du, ihr seid Brüder.«

Fast Geräuschlos schob ich den Stuhl wieder an den Tisch.

»Also verhaltet euch auch so.«

Er faltete seine Hände vor seinem Gesicht.

»Es findet in diesen vier Wänden kein Blutaustausch statt.«

Schweigend und mit einer Hand in der Hosentasche sah ich ihn an.

»Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Ich musste gespielt grinsen. Dann nickte ich. Mit einer leichten Verbeugung verließ ich den Raum.

Geräuschlos schloss ich die Tür. Mit finsterer Miene ging ich das Foyer zur Treppe entlang. Ich stapfte sie hoch bis zum Gang. Dort wartete ich einen Moment und lauschte. Niemand war zu hören, es war nach acht Uhr. Leise ging ich den langen Gang entlang. Als ich an Kiyoshis Tür vorbei kam, blieb ich kurz stehen. Ich atmete tief ein und vernahm einen kleinen Funken seines Geruchs. Dann ging ich jedoch weiter. Vater hatte Regeln aufgestellt, an die ich mich besser hielt. Wie in Trance lief ich in mein Zimmer. Hinter mir schloss ich die Tür und sperrte sie ab.

 

Es dauerte nicht lange, da hatte ich mich umgezogen und ins Bett gelegt. Ich war geschafft, obwohl ich die Hälfte des Tages verpennt hatte. Ich war so müde. Draußen war es noch hell. Genervt riss ich die Vorhänge zu und ließ die Rollläden runter. Als ich mich in mein Bett legen wollte, brummte etwas in meiner Hose. Ich griff nach meinem Handy und hob ab.

 

»Hey Mom.«

»Hallo mein Schatz. Wieso meldest du dich nicht? Ist etwas passiert? Hast du meine SMS nicht bekommen? Du hattest nicht zurück geschrieben und da dachte ich -«

»Alles in Ordnung, Mom.« Sie war wieder in ihrem »Ich-bin-so-aufgeregt«-Element.

»Es ist nichts in Ordnung. Was ist passiert?«, fragte sie auf einmal in einer tiefen Stimme und ganz anders als sonst.

»Nichts. Es ist nichts. Was soll sein?« Unschuldig wie ich war, versuchte ich auch so zu klingen.

»Das höre ich dir an, Hiro. Hat Kiyoshi dir etwas angetan?«

»Nein, Mom.«

»Wirklich nicht?«

»Er hat mich nicht mal angefasst.« Gelogen, gelogen.

»Das glaube ich dir nicht. Mit dir stimmt etwas nicht.«

»Mama …«

»Du nennst mich Mama? Schatz, sag mir was passiert ist! Hat er dich angefasst? Dich drangsaliert? Dich bedrängt? Oder ist er dir anderweitig zu nahe getreten?«

»Nein, Mom.«

»… Schatz, ich mach mir doch nur Sorgen um dich.«

»Ich weiß, Mom.«

»Geht es dir nicht gut?«

»Nicht so.«

»Warum denn?« Ihre Stimme klang wieder aufgeregt. Aber so anders. So … wirklich besorgt.

»Vater ist etwas seltsam.«

»Gib ihn mir.«

»Nein, Mom, nicht so seltsam.«

»Was meinst du mit ‚so’? Was weißt du? Du weißt es?«

Ich weiß mehr als du. Mehr, als du jemals wissen wirst.

»Ich weiß was?«

»Dass … ach egal.«

»Was denn?« Das Spiel musste ich spielen, auch wenn ich gar keine Lust hatte, mit ihr zu telefonieren. Ich war müde. Ich war sauer. Ich war irgendwie alles nur nicht fröhlich.

»Nichts.«

»Mom.«

»Nichts, Schatz.«

»Wenn du meinst. Sollte es etwas wichtiges sein, dass meine weitere Zukunft in irgendeiner Weise in Anspruch nehmen könnte, sag mir bescheid.«

»Wie sprichst du denn? So kenne ich dich ja gar nicht. Du weißt es doch, Hiro.«

»Ich weiß was?«

Sie seufzte kurz. Dann schwieg sie.

»Was machst du heute noch?«

»Nichts. Ich bin müde und will schlafen gehen.«

»Dann … tu das. Geh schlafen. Auch wenn es gerade mal viertel nach acht ist.«

»Die gehen hier halt so früh ins Bett. Ich muss mich an die Regeln halten.«

»Du haltest dich doch sonst nicht an die Regeln.«

»Hier schon.«

Wieder seufzte sie.

 

Danach wünschte sie mir eine gute Nacht und legte auf. Es war wohl das kürzeste Gespräch seit langem mit ihr. Ich war sauer auf sie. Sie log mich die ganze Zeit an. Sie wusste es die ganze Zeit und sagte nichts.

Ich pfefferte das Handy wieder zurück auf den Schreibtisch und wühlte mich in mein noch verwuscheltes Bett. Es roch an einigen Stellen nach ihm. Vater wusste, was zwischen mir und Kiyoshi war. Mamoru hat bestimmt geplaudert. Er hatte uns immerhin schon knappe zwei Mal erwischt. Ich wollte Kiyoshi küssen. Und ich wollte ihn beißen. Ich bin verrückt. Ich habe den Verstand verloren. Und die Kontrolle über meinen Körper. Ich verlange Blut. Brot schmeckt nach Holz und Wasser trocknet mir die Kehle aus. Sonnenlicht ist nun mehr eine Sehnsucht und die Nacht mein Freund. Kann ich wieder so sein wie früher? Lachen ohne dabei an Blut zu denken? Spaß haben ohne dabei auf die Kehle des anderen achten? Zurück in meine Schule kehren ohne alle anzufallen wie ein Raubtier?

 

Ich war mir nicht sicher. Ich war nur müde.

Dann schlief ich ein …

 

Der Wecker klingelte. Ich haute meine linke Hand auf den schwarzen Knopf meiner Digitaluhr. Der Alarm hörte auf. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und blinzelte ein wenig. Dann richtete ich mich auf und schob sachte die leichte Decke von mir. Ich wollte aufstehen und griff zur Hilfe an den Rand des Sarges.

 

Sarg?

 

Ich blickte an mir herunter. Eine schwarze, etwas zerfetzte Hose mit schwarzen Stiefeln schmückten meine Beine. Ein ebenfalls etwas zerfetztes, schwarzes Hemd, darüber einen schwarzen Frack mit ein paar Nieten lagen auf meinem Oberkörper. Meine Hände waren weiß und sahen so dünn aus. Meine Haare lagen mir vereinzelt im Gesicht und schienen strubbelig und ungekämmt zu sein. Vorsichtig stand ich auf und trat aus dem schwarz lackierten Ebenholz Sarg, der im Inneren Bordeauxfarbenes Polster hatte. Ich stand in einem dunklen Raum, der nur ein Fenster besaß, durch das fades Mondlicht schien. Ich öffnete es und sah hinaus. Vor mir lag ein riesiger Friedhof. Viele Gräber auf einem flachen Feld mit vereinzelt Bäumen.

Ich stieg wie im Fluge aus dem Fenster und betrat das leicht grüne Anwesen. Langsam und geräuschlos ging ich die schmalen Wege entlang.

 

Plötzlich stand ich vor vier leeren Gräbern. Sie waren ausge­schaufelt und gingen tief unter die Erde. An ihnen standen zerstörte Grabsteine. Dort wo normalerweise Tote hätten liegen müssen, war nun mehr ein Loch, ein gewaltig tiefes Loch. Man hörte ein Eisentor quietschen. Es war wie in einem schlechten Horrorfilm.

Plötzlich sah ich Chloe auf einem Baum sitzen. Sie grinste mich hungrig an. Dann verschwand sie im Gebüsch. Mein Herz fing an zu klopfen. Ich hörte es. Es schlug heftig gegen meine Brust.

Ich drehte mich um und erblickte Mamoru. Er stand nur wenige Meter von mir entfernt und hielt ein silbernes Tablett mit Deckel in der Hand. Er grinste ebenfalls hungrig. Seine Brille leuchtete kurz auf, dann öffnete er den Deckel des Tabletts. Zum Vorschein kamen vier blutige Herzen. Ich erschrak und wich zurück. Sofort verschwand Mamoru.

Auf einmal packte mich jemand von hinten an meinen Händen. Ich versuchte zu erkennen, wer das war. Es war Vater. Auch er hatte das Grinsen. Erst jetzt, wo mir etwas Blut über die Schulter floss, bemerkte ich, dass in seiner Brust, wo das Herz normalerweise sein sollte, ein Loch war. Mamoru und Chloe standen vor mir und hatten ebenfalls ein Loch in ihren Brustkörben.

 

Dann erkannte ich Kiyoshi. Er kam auf mich zu. Er sah genauso aus wie ich. Er trug dieselben Klamotten und dieselbe Frisur. Seine Augen waren Blutrot und die Augenringe unter ihnen noch schwärzer als sonst. Er machte mir Angst; seine Augen, sein Erscheinen, einfach alles. Durch sein hungriges Grinsen, das ebenso hämisch und hinterhältig war, blitzten seine langen Reißzähne hervor. Er streckte seine linke Hand nach mir aus.

 

»Du wirst einer von uns, Hiro.« Seine Stimme klang so vampirisch. So wie ich sie in Erinnerung hatte. Ich spürte meine Angst immer höher klettern, wie mein Herz immer stärker klopfte, als wolle es fliehen.

Vorsichtig legte er seine Hand sanft auf meine Brust und streichelte kurz darüber.

»Werde wie wir, Hiro. Bleibe bei uns«, flüsterte er mir ins Ohr. Mit seiner anderen Hand hielt er meinen Kopf, dann küsste er meine Lippen. Es brannte kurz. So schnell wie er mich küsste, so schnell löste er sich auch wieder von mir. Seine Augen fesselten meine. Vor Angst spürte ich eine kleine Träne über meine Wange rollen. Kiyoshi beobachtete die Träne und küsste sie auf einmal weg.

»Bleibe bei uns. Bleibe bei den Toten.«

Er trat kurz zur Seite und ich erblickte fünf ausgegrabene Gräber. Am fünften stand ein Grabstein mit einem bekannten Namen.

 

Hiroshi Kabashi

 

Ich zuckte zusammen und konnte meinen Mund nicht mehr zubekommen. Wieder öffnete Mamoru den Deckel des Tabletts. Die vier Herzen schlugen nicht mehr, sondern lagen stumm und blutig auf dem silbernen Metall.

»Es wird nicht wehtun, Hiro. Halt einfach still«, flüsterte Kiyoshi und knöpfte meinen Frack und mein Hemd auf. Er streichelte kurz über meinen nackten Körper.

 

Mit voller Wucht stieß er seine spitzen Fingernägel durch meine Brust und packte in meinem Inneren mein Herz. In Sekundenschnelle zog er es raus und hielt es in seinen dünnen Händen. Mein Blut strömte seine Hand herunter. Alles ging so schnell; er grinste hämisch und leckte das Blut ab. Dann hörte auch mein Herz auf zu schlagen und er legte es auf das Tablett von Mamoru. Der schloss den Deckel wieder und verschwand. Mein Vater ließ mich los und ging mit Chloe. Ich sank auf die Knie und sah nur noch schwarz. Schwarz. Schwarz …

 

 

»Hiro. Steh auf.« Diese Stimme klang vertraut. Es war seine Stimme.

Ich blinzelte kurz und erblickte Kiyoshis Gesicht. Er sah komisch aus. So … zurechtgemacht.

Auf einmal  richtete ich mich schlagartig auf und kroch in die hinterste Ecke meines Bettes. Außer Atem hielt ich meine rechte Hand verkrampft an meine Brust. Kiyoshi schien erschreckt zu sein, da er einen Schritt zurück wich.

»Alles in Ordnung?«, fragte er vorsichtig und schien meine Reaktion nicht ganz zu verstehen.

Perplex sah ich an mir herunter. Mein Schlafanzug, kein einziger Bluttropfen und eine glatte Brust ohne irgendein Loch. Ich lauschte kurz. Mein Herz pochte heftig und schien genauso aufgeregt zu sein, wie ich mich fühlte. Erleichtert seufzte ich auf.

»Hiro?«, fragte Kiyoshi erneut und sah besorgt aus.

 

Ich sah auf und sah ihn mit einem leichten Lächeln an.

»Nur ein Traum …«, murmelte ich vor mich hin. Jetzt schien er zu verstehen und schüttelte leicht den Kopf.

»Zieh dich an. Mamoru fährt sonst ohne uns.«

»Hä?«, sagte ich und suchte eine Uhranzeige. Kiyoshi ging zu meinem Schrank und zog meine Schuluniform raus. Ich sprang aus meinem Bett und ging an mein Handy.

»Es ist ja erst sieben Uhr. Wieso stehen wir jetzt schon auf? Und vor allen Dingen, wo fährt Mamoru denn mit uns hin?«, fragte ich aufgebracht, noch immer etwas mitgenommen von meinem Alptraum.

Kiyoshi schmiss mir meine Schuluniform entgegen.

»Zur Schule.«

Meine Augen weiteten sich mit einem Schlag.

»Was? Vergiss es! Ich hab Ferien! Ich fahr doch nicht in den Ferien in die Schule!«, posaunte ich raus und schmiss meine Schuluniform auf mein Bett. Kiyoshi kam genervt auf mich zu und zischte mir ins Ohr:

»Ich hab genauso wenig Lust wie du. Es ist die Anordnung von unserem Herrn Papa. Er möchte, dass du meine Schule siehst.«

»Warum? Weil es bald meine sein könnte, oder was?«, motzte ich und sah ihn verständnislos an.

Er zuckte nur mit den Schultern und ging zur Tür.

»Kann sein.«

Damit ging er aus der Tür.

 

Ich seufzte laut los. Genervt stemmte ich meine Hände in meine Hüfte und sah mich kurz im Zimmer um. Draußen war es schon hell.

Nach wenigen Minuten ärgerte ich mich über das plötzliche Erscheinen meines Bruders. Ich hatte doch abgeschlossen. Mein Blick fiel auf die Tür, insbesondere auf das Schloss. Der Schlüssel steckte auf der Außenseite und Kiyoshi schien mit allen Mitteln versucht zu haben, die Tür zu öffnen, da sie viele Kratzer und Beulen hatte. Um sein Werk genauer zu betrachten, ging ich zur Tür und starrte auf das Schloss. Ich wollte sie schon zumachen, da knarrte sie heftig und schien fast aus ihren Verankerungen zu fallen. Erschrocken ließ ich die Tür sofort los.

»Kiyoshi? Was hast du mit der Tür gemacht?«, rief ich durch den Flur. Der steckte seinen Kopf kurz durch seine Tür.

»Versucht rein zukommen«, meckerte er und steckte den Kopf wieder zurück. Ich seufzte kurz. Verständnislos be­trachtete ich die zerstörte Tür.

»Machst du wohl etwas schneller?«, rief Kiyoshi erneut durch den Türspalt und zeigte mir mit einer Handbewegung, dass ich mich schneller fertig machen sollte. Ich winkte ab.

»Ja, ja.«

 

Langsam und ohne Hektik schlurfte ich zurück zu meinem Bett und nahm mir meine Schuluniform. Ich hatte sehr wenig Lust in den Ferien zur Schule zugehen, vor allen Dingen in Kiyoshis blöde Privatschule. Meine Laune hielt sich demnach schwer in Grenzen, weswegen ich auch mit der dement­sprechenden Miene durch die Gegend lief. Mies gelaunt, wie ich also war, schlurfte ich ins Bad und zog mich aus. Ich wusch mir mein Gesicht und versuchte etwas frischer auszusehen. Als ich in den Spiegel blickte, erschrak ich wie immer.

»Hiro, du siehst grauenhaft aus«, murmelte ich für mich selber und betrachtete mein anderes Ich. Meine Haut war blass und matt. Sie glänzte nicht und sah auch nicht schön aus. Meine Augenringe verstärkten sich, obwohl ich so viele Stunden geschlafen hatte. Ich war auch nicht müde, das kam zu meinem Überraschen dazu. Meine Adern traten an einigen Stellen heraus. Sie pochten stark, wenn man seinen Finger draufhielt. Meine Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Ich sah aus … wie tot. Wie nicht mehr lebendig.

Mein Blick fiel auf den Verband um meinen Hals. Ich öffnete ihn vorsichtig und band ihn ab. Die kleinen Löcher waren nun zwei Punkte geworden, die noch rot durchschimmerten.

»Das ging ja schnell …«, bewunderte ich die schnelle Ge­nesung meiner Wunde.

 

»Vampirische Vorzüge.«

Ich musste mich noch nicht mal zur Tür drehen, um zu sehen wer da wieder stand.

»Was willst du?«

»Dir ein Pflaster draufkleben«, sagte Kiyoshi und ging schnur­stracks zum kleinen weißen Schrank.

»Wieso? Die Wunde ist doch verheilt.«

Er schüttelte den Kopf und kam mit einem großen Pflaster auf mich zu.

»Man kann immer noch dein Blut riechen. Die Haut dort ist sehr dünn, es ist besser, wenn du sie noch schützt.« Dann machte er die Folie von der Klebebeschichtung ab und pustete meine Haare zur Seite. Ich legte meinen Kopf etwas in die Schräglage, dann klebte er das Pflaster auf die Wunde.

Er schmiss die Folie in den kleinen Papierkorb unter dem Waschbecken, während ich die Klebestelle noch weiter andrückte.

»Du bist auch dafür prädestiniert immer ins Bad zu kommen, wenn ich gerade nur in Unterwäsche bin«, bemerkte ich nebenbei und verschränkte meine Arme. Er hielt kurz inne, dann grinste er.

»Nein, du bist dafür prädestiniert, immer, wenn ich ins Bad komme, in Unterwäsche zu stehen.«

»Du drehst alles so wie es dir passt, oder?«, meckerte ich und griff nach einer Bürste, um mir die Haare zu kämmen.

»Ich gehe nur alle Möglichkeiten durch.« Er grinste leicht, ging zur Tür und verschwand fast geräuschlos.

 

Ich seufzte kurz auf. Mein Bruder macht mir nicht nur mein Leben zunichte, sondern er macht mich auch noch krank, war ein Gedanke von mir, als ich die Bürste wieder weglegte. Ich zog mir mein Hemd an, band die rote Krawatte ordentlich um den Kragen und zog mir die schwarze Stoffhose an. Nachdem ich ein bisschen gezupft und gerichtet hatte, warf ich mir noch eben meinen Blazer über. Erschreckend war es schon. Das letzte Mal, wo ich mich in Schuluniform sah, war ich noch der lockere, lustige und menschliche Hiro vor dem Flughafen­spiegel. Und jetzt?

Vorsichtig versuchte ich mit meiner rechten Hand das andere Ich im Spiegel zu berühren. Sanft berührte ich die kalte Oberfläche und sah in das Gesicht des Monsters. Es sah traurig aus und schrie innerlich nach Hilfe. Verzweiflung und Wut stauten sich in seinen Augen zusammen. Die Tränen kamen erneut aus den toten Augen, die sich langsam ihren Weg über die blasse Haut bahnten.

 

Ich ließ den Spiegel los und wischte mir mit einem Ruck die Tränen aus dem Gesicht. Schnell hob ich den Hebel für den Wasserhahn an und stellte ihn auf ganz kalt. Mit einem Platsch spritzte ich mir das eiskalte Wasser ins Gesicht. Sofort stellte ich das Wasser wieder aus und griff nach dem Handtuch. Ich rubbelte die restlichen Tropfen ab und schaute wieder in den Spiegel.

 

»Siehst immer noch nicht viel anders aus, aber nimm das Leben ab jetzt mit Genuss und Freude«, sagte ich mit Stolz und Selbstvertrauen zu mir selber. Ich grinste siegessicher in den Spiegel und stemmte zufrieden die Hände in die Hüfte. Nach wenigen Sekunden nickte ich und ging mit meinem Schlafanzug unterm Arm aus dem Bad. Draußen wartete schon Kiyoshi vor seiner Tür und beobachtete mich traurig. Grinsend ging ich an ihm vorbei.

»Was ist los? Guckst so traurig«, stellte ich schon fast belusti­gend fest.

»Du bist ein armer Irrer …«, murmelte er und sah mir hinter­her. Ich drehte mich kurz um und ging rückwärts weiter zu meiner Tür.

»Ich sehe das Leben nur positiv und versinke nicht in meinen eigenen Depressionen, die mich dazu bringen, anderen beim Selbstgespräch zu lauschen.« Ich musste lachen und drehte mich sofort wieder um, damit ich nicht gegen die geschlossene Tür lief. Mit viel Elan warf ich meinen Schlafanzug auf mein Bett und schnappte mein Handy. Ich steckte es in meine Hosentasche und ergriff meine noch gepackte Schultasche. Ich hatte am letzten Schultag eh keine Hefte und Bücher mit, also musste ich nicht viel umpacken. Schnell zog ich mir noch meine schwarzen Schuhe an, die meine Mutter so toll fand, da sie aus mattem Leder waren. Freudestrahlend griff ich den goldenen Schlüssel und wollte schon abschließen, da sah ich die zerstörte Tür. Ich steckte ihn einfach in meine Hosentasche und grinste beim Rausgehen wieder meinen Bruder an.

»Versuch auch mal zu lächeln, würde dir bestimmt gut tun«, spottete ich etwas und ging auf ihn zu. Der verdrehte nur die Augen und schnappt sich seine Tasche. Als er so vor mir herging, musste ich ihn einfach etwas mustern.

Er trug eine schwarze Stoffhose und einen schwarzen Blazer, wie ich. Doch unter dem Blazer trug er ein dunkelrotes Hemd mit einer schwarzen Krawatte. Seine Schuhe waren aus schwarzem Lackleder, welches im matten Licht des Ganges schon glänzte. Seine Tasche war eine Umhängetasche mit einer riesigen Schnalle. Viele silberne Reißverschlüsse schmückten den sonst eher langweiligen schwarzen Stoff. Seine Haare waren zur Seite gekämmt und sahen so ordentlich aus. Nicht wie sonst, wo er sie einfach im Gesicht hängen hatte. An seiner rechten Hand trug er eine silberne Uhr mit einem schwarzen Lederband. Er sah aus, als würde er gleich auf eine Beerdigung gehen. Alles in schwarz. Außerdem hatte er sein Hemd in die Hose gesteckt und den Blazer zugeknöpft. Ich dagegen hatte das Hemd locker raushängen und den Blazer nur übergezogen. Ich seufzte kaum hörbar und schüttelte leicht den Kopf. Tote zogen sich also auch noch so tot an. Er jedenfalls.

 

Als wir unten im Foyer ankamen, stand unser Vater an der Tür und hielt mit einem leichten Lächeln zwei blickdichte Flaschen in der Hand. Kiyoshi ging stur an ihm vorbei und schnappte sich dabei eine Flasche. Genervt öffnete er die Tür und ging im Morgenrot zum schwarzen Mercedes, der vor der Tür parkte.

Ich blieb noch kurz bei Vater stehen und sah Kiyoshi hinter­her.

»Scheint, als hätte er heute Morgen wieder schlechte Laune«, sagte mein Vater seufzend und lächelte mich dann wieder an. Im Gegensatz zu gestern scheint er ja wieder gut drauf zu sein.

»Wie immer eigentlich …«, fügte ich hinzu und schüttelte grinsend den Kopf. Plötzlich hielt mir mein Vater die andere Flasche hin.

»Es wird dir nicht gefallen, aber nimm die bitte mit.« Hoffnungs­voll sah er mich an.

»Was ist denn drin? Wein

Mein Vater musste lachen und schüttelte den Kopf. Ich nahm die Flasche an und steckte sie in meine Tasche. Zwar fragte ich mich im ersten Moment, wie ich vertuschen sollte, was wirklich drin war, aber das würde ich mir später noch überlegen.

»Kein Problem, Dad. Ich nehme sie einfach mit. Wenn ich keinen Durst habe, gebe ich sie einfach Kiyoshi.« Er nickte kurz und legte seine linke Hand auf meinen Rücken. Damit schob er mich etwas aus der Tür.

»Dann bis heute Abend.«

Verwirrt drehte ich mich um.

»Heute Abend

Vater winkte nur und lächelte vor sich hin. Fassungslos drehte ich mich wieder um und ging ebenfalls zum Mercedes. Langsam stieg ich ein.

 

»Guten Morgen, Herr Hiroshi«, begrüßte mich Mamoru durch den Rückspiegel.

»Morgen«, gab ich zurück und schnallte mich an. Ich traute mich wieder nicht, mich richtig hinzusetzen. Meine Mutter fuhr keinen großen Wagen, aber wozu auch? In der Stadt braucht man keinen großen Wagen.

Mamoru gab Gas und fuhr eine kleine Straße entlang. Diese hatte ich noch nie gesehen, deswegen ging ich davon aus, als wir an einem Tor ankamen, dass dies das Osttor sein musste. Langsam öffnete sich das Tor automatisch und Mamoru fuhr weiter. Wir kamen an einer Kreuzung raus, die aber nicht so groß und befahren war, wie die am Südtor, wo die Straßenbahn war. Er fuhr gerade aus weiter. Die ganze Autofahrt verlief schweigend, sodass ich mich ganz der Welt jenseits des Fensters widmen konnte. Eine lange Allee mit vielen Bäumen an den Seiten schmückte einen kleinen Ort. Er sah schön aus, auch wenn die Häuser alle etwas unbewohnt aussahen, da nirgendwo eine Gardine am Fernster hing oder der Garten bepflanzt war. Die Gegend konnte ich also auch abstempeln.

Auf einmal bog Mamoru in eine kleine Einfahrt rechts ab. Wir durchfuhren eine weitere Allee, die aber im Vergleich zur ersten viel kleiner und mehr bepflanzt war. Ehe ich mich versah, hatten wir ein großes, verschnörkeltes und schwarzes Eisentor durchfahren. Eine große Einfahrt war zu erkennen, die Mamoru befuhr. Auf einmal hielt er an. Ich staunte nicht schlecht …



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Tomanto
2015-06-30T11:48:19+00:00 30.06.2015 13:48
Hm, alles muss immer so protzig sein! o-o
Bin schon gespannt auf die Privatschule. OvO
Von:  Roxi_13
2015-06-18T18:48:01+00:00 18.06.2015 20:48
Das muss der schlimmste Alptraum für jeden sein
In den Ferien in die Schule zu müssen
Mir tut Giro so leid
Aber neugierig bin ich schon wasvihn da erwartet

Frei mich schon aufs nächste Kapitel

LG
Roxi_13
Von:  San-Jul
2015-06-18T16:55:06+00:00 18.06.2015 18:55
Ich wette, es ist eine Vampierschule :)
Und wieso musste da der Butler reinkommen? Das war so ne schöne Szene :)
Glg


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