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My Dear Brother

The Vampires
von

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Blutiger Spaß

»Sag mal, was ist eigentlich in dem Raum?«, fragte ich neu­gierig.

»Nichts Besonderes«, meinte Kiyoshi kühl.

»Was heißt denn ‚nichts Besonderes’?« Wahrscheinlich irgendwelche Gemälde oder sonstiges Wertvolles, was für ihn keine große Bedeutung hat.

»Bücher, Krimskrams, Zeichnungen und so weiter. Ist so ein Studio von uns.«

»Ach so. Ist ja schön.«

 

Damit zog ich ihn weiter zur Küche. Ich öffnete die schwere Tür und staunte nicht schlecht, als ich in einer schwarzen, futuristischen und gut ausgestatteten Küche stand.

»Wow, erinnert mich ein bisschen an diese Restaurantküchen«, sagte ich erstaunt und zog Kiyoshi weiter in die Küche.

»Hm. Nichts Tolles, diese Küche.«

Ich hustete kurz, dann drehte ich mich zu meinem Bruder um.

»Da hast du unsere noch nicht gesehen. Die ist noch nicht mal ein fünfzehntel hiervon.«

»Oh?«, sagte er und zog eine Augenbraue hoch.

»Ja, stell dir vor. Nicht alle sind so steinreich wie du«, motzte ich und kam ihm etwas näher, um ihn mehr zu ärgern.

»Sehr lustig, das weiß ich selber.« Er wich ein kleines Stück zurück.

 

Nach ein paar Sekunden, ging ich zum Kühlschrank und öffnete ihn. Dort waren alle möglichen Leckereien: Von Käsesorten bis Wurstsorten, Marmelade und Gelee, Obst und Gemüse in Boxen und Tüten, Fleisch und Snacks, sogar Nutella und andere süße Brotaufstriche, Butter und Margarine, Eier und Zitronensaft. Ein Eisfach gab es auch. Ich griff den Hebel und öffnete die Tür. Sofort sank meine Freude.

Blutpackungen, blutiges Fleisch und anderes rotes Zeug, das ich mir nicht näher anschauen wollte. Kiyoshi trat hinter mir.

»Was hättet ihr mir denn erklärt, wenn ich einfach an das Eisfach gegangen wäre und ich noch nicht über euch Bescheid gewusst hätte?«, fragte ich leise und drehte mich ein Stück zu Kiyoshi um.

»Es war abgeschlossen. Ganz einfach.«

»Abgeschlossen? Wie arm ist das denn?«, spottete ich und sah nun die kleine Öse in der man ein Sicherheitsschloss hätte anbringen können.

»Geheimnisse müssen gewahrt werden.«

»Hast du ja toll hinbekommen, das zu wahren«, ließ ich in den Raum fallen.

Er schnaufte zur Seite und lehnte sich an die andere Küchen­platte an, die mitten im Raum stand.

»Wie gesagt … Sag mir, was ich tun kann, damit ich mich in deinen Augen angemessen entschuldigen kann.«

»Hm«, sagte ich und zuckte mit den Schultern, »Du kannst mich immer noch nach Hause lassen, aber das willst du ja nicht.«

»Ich kann es nicht. Von mir aus, kannst du gehen.«

Etwas fassungslos, schloss ich die Kühlschranktür wieder.

»Im Ernst? Du würdest mich gehen lassen?«

»Natürlich. Was soll ich dich hier wie in einem Gefängnis halten. Du bist hier zu Besuch, ein Gast. Gäste können gehen, wann sie wollen.«

»Und warum hast du dann heute Mittag so einen Aufstand gemacht?«

»Aus dem Grund, weswegen ich gleich wieder einen mache: Du kannst nicht in die Öffentlichkeit gelassen werden, wenn du kurz davor bist zu sterben. Stell dir vor, du kippst bei unserer Mutter um. Sie würde verrückt werden und natürlich den Notarzt rufen. Der würde dein Blut auf alle Fälle prüfen, weil sie dir ja helfen wollen. Im Endeffekt werden die im Labor -«

»… merken, dass ich kein menschliches Blut in mir trage und die werden mich wohlmöglich noch weiter untersuchen, bis sie herausfinden, dass es Vampire gibt.«

 »Du hast es erfasst.«

Dann schwiegen wir. Ich starrte Kiyoshi an und er mich. Ich verstand ihn zwar, trotzdem sah ich dieses Risiko nicht ein. Andererseits war ich mir ja noch nicht sicher, ob ich sterben will. Wenn es soweit sein sollte, irgendwann, dann muss jemand dabei sein, um mich retten zu können. Und das wäre dann im Nachhinein keiner.

Ich seufzte kurz.

»Also beläuft es darauf hinaus, dass ich die Woche hier absitzen muss?«

»So in etwa.«

»Wieso nur so in etwa?«, fragte ich und verschränkte die Arme.

»Wenn du dich bis zu deinem Rückflug nicht verwandelt hast …«

»Nein! Nein, nein, nein! Auf keinen Fall!«, rief ich und zeigte mit einer schwingenden Handbewegung, dass genau da der Faden reißen würde. »Ich bleibe ganz sicher nicht länger als gedacht. Das kannst du vergessen.«

»Hiro … Bitte, es ist nur zu deinem Besten«, seufzte Kiyoshi und nahm mit seiner Porzellanhand mein Handgelenk, um es wieder nach unten zu drücken. Mich durchfuhr wieder ein Schwall Gänsehaut. Er schien das zu merken und ließ sofort los.

»Sorry«, murmelte ich und versteckte meine Hand hinter meinem Rücken.

»Kannst du ja nichts für. Ist immer noch deine menschliche Seite.«

»Schön zu wissen, dass sie noch da ist.« Ich lächelte leicht und sah auf den Boden.

»Du bist noch sehr menschlich. Wir müssten nur mal unsere Haut vergleichen, das reicht schon.«

Ich blickte auf und sah mir seine Haut an. Sein zarter Hals mit den bläulichen Adern, der in seinem schwarzen Hemd ver­schwand. Sein feines Gesicht, das durch die strubbeligen, fast weißen Haare etwas verdeckt wurde, sah aus, als wäre es mit feinen Linien gezeichnet worden. Die schwarzen Augenringe unter seinen mittlerweile normal gewordenen Augen, die im faden Licht der Küche leuchteten, zeigten den tödlichen Schimmer. Die zarten Lippen, die eine strenge Linie bildeten, schimmerten leicht rosa. Aus den Ärmeln des weich fallenden Hemdes traten die weißen Handgelenke mit den Porzellan­händen, welche von weiteren Äderchen durchlaufen waren. Seine Finger waren dünn und blass. Die Nägel waren gepflegt und kurz geschnitten. Auf seinen Armen waren leichte Härchen zu sehen, die aber so hell waren, dass man sie kaum sehen konnte. Die schlanke, aber trotzdem etwas muskulöse Figur nahm ihren Lauf in langen Beinen, die in einer schwarzen Jeans umhüllt waren. Sie lag etwas enger an und lief auch eng zusammen. Seine Füße standen wohlgeformt in schwarzen Socken auf den dunkelgrauen Fliesen. Eine Weile betrachtete ich seine Statue und musterten ihn von Kopf bis Fuß.

 

»Oh man … Du Götterstatue bist echt nur perfekt; da liegen ja Welten zwischen uns. Hast du eigentlich auch Makel?« Ich stemmte meine Arme in meine Hüfte und sah ihn etwas angenervt an.

»Genug.«

»Nenn mir eins.«

Er schüttelte den Kopf und klopfte sich auf die Brust. »Keine äußeren Makel. Innere.«

Sofort ließ ich meine Arme sinken und blickte auf seine Brust, wo seine Hand lag.

»Du könntest es ändern. Dann wäre Dad bestimmt auch nicht so seltsam vorhin gewesen.«

»Ist er immer. Er tut dann so, als würde es mich nicht geben.«

»Sehr nett, muss ich schon sagen.« Dabei formte ich meine Augen zu schlitzen.

»Der Vaterschein trügt halt gerne mal. So ein toller Vater ist er nämlich gar nicht.«

»Hm. Ich denke schon, dass er ein guter Vater wäre, wenn die Chemie stimmt.«

»Und die stimmt bei mir und ihm jedenfalls nicht.«

»Scheint so.«

»Hm.«

Dann trat wieder Schweigen in die Küche und jeder starrte den jeweils anderen an. Es war eine erdrückende Stille im Raum, die kaum zu beschreiben war. Sie war einerseits traurig, weil es doch schade ist, wenn der Sohn sich überhaupt nicht mit dem Vater versteht. Andererseits war sie angespannt, weil Kiyoshi sauer war; ich konnte das schon mitempfinden. Wer wird schon gerne von seinen Eltern ignoriert? Und zuletzt war da noch diese Anziehung, die immer war. Ich hätte ihn gerne berührt. An seiner Porzellanhaut entlang gefahren und seinen typisch verführerischen Duft eingeatmet. Aber er ist mein Bruder und ein Arschloch noch dazu. So was hab ich noch nicht mal bei meiner Ex gemacht, als wir noch zusammen waren. Gut, die war auch kein Vampir.

 

Ich klatschte in die Hände. Kiyoshi erschrak sich etwas.

»Fangen wir an. Der Hunger wird nicht weniger, wenn wir in der Küche stehen«, sagte ich laut und drehte mich wieder zum Kühlschrank. Ich wühlte ein bisschen rum, bis ich Käse­scheiben fand. Mit Schmackes warf ich sie Kiyoshi entgegen, der sie mit einer Hand fing. Der sah sich die Packung an, während ich weiter in einer Tüte kramte, bis ich Hackfleisch fand.

»Also dafür, dass ihr euch nur von Blut ernährt, habt ihr ganz schön viel Menschenfutter.«

»Ist ja auch alles für dich.«

»Im Ernst?«, fragte ich erstaunt und hielt in meiner Bewegung inne.

»Ah ja. Wer soll denn das sonst essen?«

»Heißt das Mamoru ist auch ein Vampir?« Ich drehte mich entsetzt um und sah meinen Bruder geschockt an. Der hob nur kurz seine Schultern.

»Was dachtest du denn?«

»Dass er nur bescheid weiß, aber sonst nichts damit zu tun hat. Du hast ja von wenigen Eingeweihten gesprochen. Ich dachte halt, Mamoru gehört zu denen.«

»Quark. Der ist genauso Vampir wie Vater und ich. Er ist nur unser Butler, weil er unserer Familie sozusagen verschuldet ist.«

»Geld geliehen?«

»Nein«, Kiyoshi verdrehte die Augen, »verschuldet aus alten Zeiten. Sozusagen verpflichtet. Seine Familie stand schon immer im Dienste unserer. Bevor Mamoru hier Butler war, war es sein Vater.«

»Uff … Stört die das nicht irgendwann, immer Bedienstete zu sein?«

»Anscheinend nicht.« Wieder zuckte er mit den Schultern und legte die Käsepackung auf die Ablage, an der er lehnte.

»Aha …« Komische Familie, komische Bekannte.

Ich warf das Hackfleisch ebenfalls zu Kiyoshi, der es auffing und zum Käse legte. Danach schloss ich die Kühlschranktür und sah mich weiter in der Küche um. Ich erspähte keine Brotbox oder etwas was danach aussehen könnte, deswegen fragte ich lieber:

»Habt ihr so was wie Brötchen?«

Kiyoshi sah sich ebenfalls in der Küche um.

»Fragst du den Richtigen …«

»Also hast du keine Ahnung?«

»Nein«, sagte er gelassen und schüttelte den Kopf.

 

Eine kurze Schweigeminute trat ein. Dann hob ich meine Schultern und ließ meine Hände gegen meine Oberschenkel klatschen.

»Gut! Fangen wir an zu suchen. Du dahinten und ich hier«, befahl ich und zeigte auf eine Ecke mit Schränken. Kiyoshi seufzte und schien etwas genervt zu sein, bewegte sich aber trotzdem zur genannten Ecke.

Wir durchsuchten die Schränke und Schubladen, bis wir uns in der Mitte wieder trafen.

»Ergebnislos, bei dir?«, sagte ich enttäuscht und hoffte auf eine andere Antwort.

»Ebenfalls.«

Seufzend kratzte ich mich etwas am Kopf und ging schon Richtung Tür, da packte mich etwas Kaltes am Handgelenk. Ich drehte mich um und sah in seine Augen.

»Lass gut sein. Iss einfach eine Tablette. Glaube mir, danach bist du auch satt.«

Angeekelt von alleine dem Gedanken, freiwillig diese Tablette zu schlucken, schüttelte ich den Kopf.

»Danke, ich bestehe immer noch auf etwas menschliches Essen.«

»Hiro, irgendwann wirst du eh diese Tabletten nehmen müssen.«

»Ja, irgendwann. Solange ich noch normales Essen verputzen kann, sollte ich das auch tun.«

Seine Lippen verformten sich zu einer graden Linie und eine gewisse Aura umgab ihn. Er schaltete immer zwischen Vampirsein und Menschsein hin und her. Manchmal schien er so menschlich, aber hin und wieder auch so vampirisch. So wie jetzt. Er ließ mein Handgelenk los und ging wieder zurück an seinen alten Platz an der Ablage.

»Dann mach was du willst.«

»Tu ich eh.« Ich grinste und ging weiter zur Tür. Ich öffnete sie und wollte schon den Raum verlassen, da überlegte ich noch einmal.

 

Die Idee war dumm, da Kiyoshi das Essen eh nicht vertragen würde. Und alleine Essen wollte ich ebenfalls nicht. Um an diese Brötchen zu kommen, müsste ich Vater fragen, den ich im Moment lieber nicht fragen wollte. Meine Hemmschwelle bestand rein daraus, diese Tablette zu nehmen. Ich habe Tabletten und Pillen schon immer gehasst. Wenn ich krank war, musste meine Mutter sie mir immer klein machen, in Joghurt oder Babybrei, damit ich sie zu mir nahm. Ansonsten habe ich sie entweder wieder ausgespuckt oder ausgekotzt.

Kiyoshi merkte, dass ich nicht vorhatte weiter zu gehen.

»Was ist los, Hiro?«, fragte er etwas verwirrt. Ich drehte mich zu ihm um und grinste enttäuscht.

»Ich hab keine Lust jetzt was zu machen.« Damit trat ich wieder in die Küche und ließ die Tür zufallen.

»Keine Lust? Du änderst ja schnell deine Meinung.«

»Soll vorkommen, hm?«

Ich schleppte mich zu Kiyoshi. Ich konnte an seinem Blick nicht erkennen, was er gerade dachte. Vorsichtig griff ich hinter ihn, um an die Käsepackung und das Hackfleisch zu kommen. Dabei kamen wir uns so nah, dass ich seinen leisen Atem auf meinem Gesicht spürte. Ich griff extra langsam nach den Lebensmitteln, damit ich seinen Geruch länger einatmen konnte. Ich war schon komisch geworden: Bin extra langsam, um die Nähe meines Bruders genießen zu können.

Ich richtete mich wieder auf und traf damit kurz seine Augen. Er sah mich in einer Art erwartungsvoll an, in einer anderen ziemlich gleichgültig. Langsam schlurfte ich wieder zum Kühlschrank und legte die Käsepackung und das Hackfleisch wieder dahin, wo ich sie herhatte.

 

 »Und was willst du jetzt essen?«, fragte Kiyoshi. Ich schloss die Kühlschranktür und suchte die Küche ab.

»Irgendwas, aber bestimmt keine Tablette«, motzte ich und verschränkte die Arme.

»Oh man, oh man. Dann nimm das Synthetik-«

»Auch nicht.«

Wieder seufzte er und verdrehte die Augen. Ich lehnte mich ebenfalls an einer Ablage an, die gegenüber von Kiyoshis war. So standen wir in etwa einen Meter voneinander entfernt. Ich konnte seinen Geruch immer noch riechen. Und er war lecker.

Lecker?

»Du willst also keine Tablette und auch kein Kunstblut. Willst du etwa frisches?«, fragte er in einem ruhigen Ton.

Verführerisch lecker?

»Frisches Blut? Gar kein Blut …«, antwortete ich monoton.

Zum Anbeißen lecker …

»Wenn du kein Blut trinken willst, iss was anderes. Der Kühlschrank ist hinter dir.« Er zeigte auf den metallisch glänzenden, schwarzen Kühlschrank.

Dieser erstickende, süße Geruch von ihm …

Als ich keine Antwort mehr gab, sondern ihn nur noch anstarrte, musste er hämisch grinsen.

»Was?«, fragte ich schroff.

»Deine Augen verraten dein Verlangen«, sagte er in einem benebelnden Fluss.

Ich merkte selber, wie mein Herz immer schneller pochte. Mein Atem wurde schneller und abgehackter.

»Verlangen …?«, wiederholte ich einen Bruchteil seines Satzes.

»Komm und hol dir, was du willst.« Kiyoshis Grinsen wurde immer bösartiger, seine Fangzähne blitzen aus seinem Mund und seine Augen fingen an zu glänzen, wie sie es gerne taten. Wenn er an Blut dachte. Wenn er an mein Blut dachte.

 Ich war mir nicht sicher, was genau geschah, aber mein Innerstes verlangte nach seinem Geruch, nach genau diesem einen Geruch. Langsam tätigte ich einen Schritt vor den anderen und im nu stand ich vor meinem Bruder. Meine Hände umfassten seine schmalen Handgelenke. Er lehnte noch immer gelassen an der Ablage, während ich mein Körpergewicht auf seinen Körper übertrug. Ich lehnte mich an ihn an, um so nah wie möglich an ihm zu sein.

 

Unsere Nasenspitzen berührten sich kurz, unsere Wangen streiften aneinander, unsere Körper bewegten sich zusammen. Auf einmal spürte ich seine Haut. Mit meiner Zunge leckte ich über seine blaugrün heraus stechenden Adern am Hals. Auf der rechten Seite seines Halses hielt ich meine Hand, die nur Kälte vernahm. Die linke Seite seines Halses gehörte nur meiner Zunge, wie sie gierig versuchte, Kiyoshis Geruch zu schmecken. Ich spürte seine Hände um meine Taille, wie sie mich fest umschlangen und an ihn drückten. Wie seine kalten Hände meinen Rücken vereinnahmten und Gänsehaut verursachten. Meine linke Hand lag auf seinem Rücken und meine rechte legte ich auf seinen Hinterkopf, während mein Arm auf seiner Schulter ruhte. Genüsslich leckte ich seine blasse Haut weiter ab, gierig auf das, was unter ihr floss.

Gierig nach der Flüssigkeit. Gierig nach seinem Blut.

 

Vorsichtig griff ich mit meiner rechten Hand nach seinen Haaren, um seinen Kopf etwas schief zu legen. Ich hörte seinen Atem ganz genau in meinen Ohren, der mich nur noch mehr dazu anstachelte, meine Zähne in seine Porzellanhaut zu drücken.

 

Meine Zähne? Ich spürte sie mit meiner Zunge. Da waren Zähne, riesige Zähne. Fangzähne der feinsten Art. Sie drückten sich durch mein Zahnfleisch und begehrten Kiyoshis Haut. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten. Ich wollte zubeißen. Jetzt. Auf der Stelle. Meinen Durst stillen. Seinen Geruch aufnehmen, diesen süßen, herben Geruch, der nur ihm gehörte und sonst keinem anderen.

Diese Umarmung sollte ewig dauern, so schön empfand ich sie. Dieses Verlangen, diese Vorfreude auf das Stillen dieses Verlangens. Jetzt, gleich würde ich meine Zähne in seine Haut bohren und sein süßes Blut trinken …

 

 

Wir fuhren auseinander. Die Tür öffnete sich mit einem Schlag und Mamoru stand mit ein paar Plastiktüten in der Küche. Kiyoshi und ich standen nebeneinander, angelehnt an der Ablage und sahen verlegen in der Gegend rum.

 

»Was tun Sie denn hier in der Küche?«, fragte Mamoru verwundert und stellte die Tüten auf der Ablage neben dem Kühlschrank ab.

»Wir wollten etwas Essen machen«, antwortete Kiyoshi, da ich meinen Mund nicht aufbekam. Was habe ich da getan? Ich … habe den Verstand verloren.

»Aber junge Herren, das mache ich doch jetzt. Dann gibt es gleich Essen.« Kiyoshi nickte kurz, umfasste mit seiner rechten Hand meine Hüfte und führte mich mit schnellem Schritte aus der Küche. Mamorus Blick zu urteilen, schien er etwas verwirrt zu sein, trotzdem sagte er nichts. Hüfte an Hüfte gingen wir das Foyer entlang und rannten schon fast die Treppe hoch, an der er seine rechte Hand von meiner Hüfte nahm und meine linke Hand ergriff. Noch immer benebelt, folgte ich seinem Ziehen in den matten Gang. Dort blieben wir stehen. Er löste seine Hand von meiner und griff nach seinem Schlüssel, um seine Tür aufzuschließen. Als die Tür offen war, zog er mich rein. Ich blieb bei ihm stehen, während er sie abschloss. Wir verharrten eine Weile so, auch nachdem die Tür abgeschlossen war. Wir standen nebeneinander, er mit dem Rücken zum Fenster und ich mit dem Rücken zur Tür.

 

Auf einmal drehte er sich abrupt um und lief zu seinem Schreibtisch. Er kramte in einer Schublade und suchte an­scheinend das schwarze Döschen, das er auch letztes Mal in genau dieser Schublade hatte.

»Ich will keine Tablette …«, murmelte ich und setzte mich langsam auf sein nicht gemachtes Bett.

»Du nimmst diese Tablette. Hast du gerade gemerkt, was passiert, wenn man keine Kontrolle mehr über seinen eigenen Körper hat und hungrig ist?« Er kramte weiter in der Schublade.

»Ja, habe ich …«, murmelte ich, legte meine Arme auf meine Beine und vergrub meinen Kopf in meinen Händen. Er schien das Döschen gefunden zu haben und holte eine Tablette raus. Sofort spürte ich seine kalten Finger an meinem Handgelenk, die versuchten es unter meinem Kopf wegzuziehen. Ich sah auf und starrte auf eine rote Tablette.

»Hier.«

 

Ich drehte den Kopf zur Seite.

»Ich will keine Tablette.«

»Hiro. Wir sind grade so davongekommen; die Situation war ganz schön haarig …«

»Ich will trotzdem keine.«

»Hiro!«

»Ich reiß mich zusammen!«, schrie ich. Kiyoshis Blick weitete sich etwas und er ließ die Tablette sinken. »Ich reiß mich zusammen bis zum Essen. Wenn ich erst mal … was gegessen habe, bin ich wieder normal. Bestimmt.«

Er sah etwas ratlos aus, legte die Tablette trotzdem wieder zurück in das Döschen.

»Hiro. Bitte nimm die Tablette. Danach fühlst du dich viel besser.«

»Nein.«

»Hiro, bitte.«

»Nein.«

»Dann tu es für Vater.«

»Nein.«

»Für Mutter?«

»Nein.«

»Für mich?«

»… Nein.«

Er seufzte. Langsam verschloss er die Dose und stellte sie zurück in die Schublade. Kurze Stille trat ein.

»Ich kann dich ja zu nichts zwingen …«, murmelte Kiyoshi in seinem anmutigen Ton. Sein vampirischer Blick traf meinen. »Nur wenn Vater merkt, dass du Hunger hast, lässt er dich ganz sicher nicht mehr an menschliches Essen ran.«

»Ich benehme mich wirklich …« Ich versuchte zu lächeln und mich grade hinzusetzen. Mit einem lieben Lächeln versuchte ich Kiyoshi davon zu überzeugen. Der wollte mir anscheinend nicht ganz glauben, hielt sich aber mit seinen Kommentaren zurück. Wieder seufzte er und setzte sich auf seinen Schreibtisch­stuhl.

 

»Grade eben …«, begann ich leise. Kiyoshi lauschte auf. »Meinst du, das ist normal?«

»Was genau meinst du denn?«

»… wir beide …«, brachte ich nur einen Bruchteil meines Satzes heraus. Ich traute mich auf eine gewisse Weise nicht, unser seltsames Verhalten anzusprechen.

»Ach so. Ich weiß nicht … Ich dachte du wüsstest es?«

»Ich hab noch nie so gehandelt … Kann man doch auch verstehen, oder?«

Kiyoshi grinste leicht.

»Ich ebenfalls nicht.«

»So viele Brüder haben wir ja auch nicht«, spaßte ich ein wenig. Kiyoshi nickte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen.

»Vielleicht, weil wir Zwillinge sind?«, sagte Kiyoshi.

»Vielleicht … Könnte schon sein.«

»Und zudem kommt noch das vampirische Anziehen.«

»Ja, das könnte die tödliche Mischung sein.«

Dann schwiegen wir.

Wir beide saßen uns gegenüber und spekulierten, wieso oder warum wir beide uns so nahe standen. Auf den einfachsten Gedanken der Zuneigung wollte keiner von uns beiden kommen. Wir unterdrückten diesen Gedanken. Wir wollten es nicht wahrhaben. Nach zweieinhalb Tagen, mehreren Vampir­bissen, vielen Litern Blut und einem Kuss? Schon möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Alleine aus dem Grund, dass er mein Bruder ist, ich auf Frauen stehe und er ein Arschloch ist, würde ich nie auf den Gedanken kommen eine gewisse Zuneigung zu ihm zu haben.

 

Aber anscheinend war das der Fall. Das wussten wir beide. Ich habe Jiro auch schon geküsst. Trotzdem war das anders. Wir waren hacke und auf einer Party. Keiner von uns beiden dachte da über irgendwelche Gefühle nach, sondern nur ans rumlecken. Dass dabei zwei Männer im Spiel waren, war uns erst einmal egal. Im Nachhinein war es zwar etwas peinlich, aber trotzdem noch belustigend.

Aber mit meinem Bruder? Kiyoshi und ich sind Zwillinge, Vampir und Halb-Vampir, beide begehren das Blut des anderen. Da war ein Kuss schon von größerer Bedeutsamkeit. Vor allen Dingen nach dem gestrigen Vorfall.

 

Draußen wurde es schon etwas dämmrig. Wir näherten uns also rapide der sieben Uhr Grenze. Mein Blick bannte nach draußen und verwurzelte sich am Himmel. Er wurde rot und glänzte schön. Die Sonne neigte sich dem Ende. Ob ich sie das letzte Mal gesehen hatte? Das würde nun mein Gedanke für die nächsten Tage werden. Kiyoshi blickte ebenfalls nach draußen. Eine kleine Sehnsucht war in seinen Augen zu erkennen, dass auch er gerne einmal in der Sonne liegen würde, um sich zu bräunen. Und ich wollte immer blass sein, habe mich extra nicht rausgelegt, habe extra Sonnenmilch verwendet, um bloß nicht braun zu werden. Kiyoshi würde sicher gerne mal braun werden.

Seine Haut glänzte etwas in der Sonne. Ein rötlicher Schim­mer legte sich auf seine Elfenbeinfarbene Haut. Alles an ihm glänzte, wie eine Porzellanfigur. Wie perfekt er auf seinem Stuhl saß. So locker, aber doch so anmutig. Seine langen Beine schienen nicht zu enden, da seine Füße unter dem Stuhl verschwanden. Grazil und doch etwas darstellend. Eine gesunde Mischung aus Schönheit und Anmut. Muskeln und feine Linien in einem Körper. Weiß er eigentlich, wie perfekt er ist? Bestimmt, ich bin sicher nicht der Einzige, der ihm das sagt. Seine zarten Lippen glänzten ebenfalls, während sie eine strenge Linie bildeten. Eigentlich war bei ihm kein Ausdruck zu erkennen. Trotz allem spiegelte er etwas wieder.

 

Ich stand auf und ging auf ihn zu. Er sah mich verwundert an und beobachtete, was ich tat. Ich blieb vor ihm stehen. Versunken in seinen Augen, streichelte ich sein zartes Gesicht mit meinen Händen. Es war so weich. Vorsichtig strich ich mit meinem Daumen über seine Lippen, die er etwas geöffnet hatte.

Langsam beugte ich mich vor.

Was tat ich da bloß?

Seine Augen öffneten sich ein Stück mehr, fesselten meine Augen. Er hielt still; ich kam mit meinem Gesicht immer näher. Mit beiden Händen beugte ich seinen Kopf etwas nach links. Seine Hände lagen sachte auf meinen Armen. Ich beugte mich noch ein Stück weiter runter …



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2015-06-24T19:38:05+00:00 24.06.2015 21:38
Wieder mal ein sehr schönes Kapitel.^^
Bin begeistert.^^

Lg^^
Von:  San-Jul
2015-06-18T16:14:18+00:00 18.06.2015 18:14
Oh mein Gott, wenn die beiden jetzt nicht über einander herfallen weiß ich auch nicht ;)


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