Buße in den Himmel
Leise knirscht der Schnee bei jedem Schritt. Alles ist still, auch der letzte Hauch Leben liegt gedämpft und frierend unter der weißen Decke aus Eis. Die Gräber leuchten dunkel wie trostlose Mahnmale und tief hängen die Äste der Tannen. Das Grün ihrer Nadeln hebt sich in Schwarz vom Schnee ab. Meine Augen sehen nur noch diese zwei Farben: Weiß und Schwarz. Der Duft des Waldes schwebt zu mir herüber, tief atme ich das samtene Aroma ein. Die Welt der Menschen ist anmutig und beruhigend.
An ihnen jedoch geht die Schönheit ihres eigenen Zuhauses vorbei. Sie sehen nicht, welche Kraft dieser Ort hat und welche Bedeutung er trägt. Nein, sie sehen nur ihren eigenen Schmerz, ihren eigenen Verlust, ihre eigene Machtlosigkeit. Menschen sind von kleinem Gemüt, stehen auf einem Friedhof und weinen. Manch ein verzweifelter Schrei hallt über den ganzen Friedhof, dringt in jeden lebenden und leblosen Knochen. Ist es so schwer, ein Sterblicher zu sein? Dabei liegt hier Hoffnung und Neubeginn in der Luft, klar und kalt. Das Alte liegt begraben in der gefrorenen Erde und hinter den eisernen Toren warten unzählige Möglichkeiten. Ich wünschte, ich könnte meine Fesseln endlich begraben.
„Ach …“, seufzt sie leise, ihre Stimme weht wie eine Sommerbrise um meine Ohren. „Ach …“, seufzt sie wieder. Sie ist noch immer das wunderschönste Geschöpf, das ich je sah. Der Stein wird ihrem Strahlen nicht gerecht. „Wie weh ist mir. Immerzu hocken wir hier, tagein, tagaus, seit Jahrhunderten. Wann erlösen sie uns endlich?“, fragt sie mich. Ihre hellen Augen blicken zu mir, mit Wehmut getrübt. Ich könnte ihr ewig in die Augen sehen und von Dünen träumen, sehe unsere Spuren im Wüstensand. „Hast du es nicht auch langsam satt? Die Fesseln kratzen.“
Wir sind so weit von unserer Erlösung entfernt wie am Tag unserer Bestrafung. „Dein Herr wird sicher Erbarmen mit dir zeigen.“ Können meine Worte ihr Trost spenden? „Sieh, die alte Witwe steht wieder an ihrem Grab. Menschen sind schon skurril. Jeden Tag kommt sie her, selbst im schlimmsten Unwetter, und gedenkt ihres verstorbenen Ehemannes. Seit zwei Jahrzehnten. Ob sie wohl jemals in die Zukunft geht?“ Das Privileg der Sterblichen, sie entscheiden selbst, wie sie mit Zeit umgehen: Sie können ihr folgen, ihr vorausgehen oder sie zurückhalten. Für uns gibt es diese Entscheidung nicht, für uns sind alle Tage jetzt.
Ihr Blick schweift über den Friedhof, nur wenige Menschen stehen im Schnee. „Wird er nicht. Ich bin nur eine Taube. Eine Taube, die eine Ratte liebte. Und ich bereue es nicht.“ Sie lächelt mich an und wieder verliebe ich mich neu in sie. Nicht eine Sekunde lang kann ich mir vorstellen, sie zu hintergehen. Я тебя люблю, Тьмо, mehr als irgendeine menschliche Sprache es ausdrücken kann. Fluch, dass wir Dämonen keine Worte für dieses Gefühl kennen. Ich will sie in meiner eigenen Sprache bewundern.
„Ich vermisse deine Küsse“, vermisse ihre zarte Haut unter meinen Händen und das lustvolle Zittern ihres Körpers. Ich vermisse ihre leise Stimme, die sanft Liebe in mein Ort säuselt, und vermisse das Gefühl, mit ihr allein auf dieser Welt zu sein. „Ich liebe dich, immer.“
Warm umhüllt mich ihr helles Lachen. „Natürlich tust du das. Wir hatten es schön, nicht wahr? Nur das Nordlicht über uns, frei von all den dummen Regeln. Jetzt stehen wir hier, in Ketten und Fesseln gelegt, immer an diesen trostlosen Ort gebunden, den immer gleichen Anblick vor den Augen. Manchmal wünschte ich, ich wäre eine Sterbliche …“ Sie schlägt sich die Hand vor den Mund. Erschrocken sieht sie zum Himmel auf, doch dort hängen nur graue Wolken und sie hängen tief. „Ich will ihn wieder sehen“, wimmert sie leise und sieht mich flehend an, als ob ich ihr helfen könnte, selbst wenn ich den Anblick von ihr in den Armen eines anderen Geliebten ertragen könnte.
Ich schüttele leicht den Kopf und sehe wieder zu den Menschen, die auf den Wegen des Friedhofs wandeln. Wieso liebt sie ihn? Er liebt sie nicht, er kann sie nicht einmal sehen! Unsere Liebe war so erfüllt. Selbst jetzt sind wir uns näher, als sie ihm jemals sein wird. Ich möchte sie noch einmal in meinen Armen halten, nur ein einziges Mal noch. Ihre Lippen spüre ich auf meinen, alle Momente sind jetzt, aber die Gegenwart fühlt sich immer anders an, greifbarer, dichter, besser. Ich harre hier weiterhin aus und bin ihr wenigstens ein bisschen nahe – meine letzte Freude.
„Du bist immer für mich da“, ihre leise Stimme unterbricht meine Gedanken. „Danke.“ Zärtliche Wärme überschwemmt mein Inneres, meine Gedanken, meine Gefühle. Sie ist nicht nur von außen schön, auch innen ist sie wundervoll, ihr Charakter herzensgut. Jeder muss sich in sie verlieben, wechselt er nur ein Wort mit ihr, so liebreizend wie ihre Seele strahlt. Verlegen zeigt sich eine leichte Röte auf ihren hellen Wangen, sie bringt mich um den Verstand. Ich möchte sie berühren.
Die Ketten lärmen laut, während ich mich nach ihr strecke: „Lass uns gemeinsam fliehen, Tma.“
* * *
Als ich sie das erste Mal sah, konnte ich ihre Augen kaum von dem umherwirbelnden Schnee unterscheiden, obwohl die Farben doch so unterschiedlich sind. Der Schneesturm war hart und kalt gegen die Haut, aber Dämonen kennen keinen Schmerz.
she's too invested in the hours
that pass her by
Sofort erkannte ich, dass sie ein Engel war. Ihre Glorie leuchtete beschützend, während alle Menschen gebeugt in ihre Häuser eilten – nur sie blieb mitten auf dem Weg stehen. Sie war kein mächtiger Engel, ich hätte sie töten müssen.
Ihr herzliches Lachen schlug mich augenblicklich in ihren Bann. Sie tanzte im Sturm, der Schnee sang mit ihr und ich sah ihr einfach nur zu. Nie zuvor hatte ich jemanden so Schönes gesehen. Sie war wunderschön, ich wollte meinen Blick nicht abwenden.
I'd pay attention
if I thought it was worth the time
Aber sie sah mich nicht. Sie müsste genauso gewusst haben, dass ich dort stand, dass ich kein Mensch war und dass wir Feinde sein sollten, aber sie bemerkte mich nicht. Viel zu vertieft war sie in ihren anmutigen Tanz mit der Natur.
Sie schien, als hätte sie noch nie einen Schneesturm erlebt, als wäre Wetter ein vollkommen neuartiges Phänomen für sie. Ihre naive Freude war ein herrlicher Anblick und erinnerte mich an meinen ersten Aufenthalt auf der Erde. Diese Welt ist voll mit Wundern.
I'd tell her easy
but her hands,
they find a way
Ich ging zu ihr. Das erste Mal in meiner Existenz wollte ich nicht alleine stehen, vor allem wollte ich nicht ohne sie stehen. Ihr fröhliches Lachen wärmte meine Brust, die bis dahin nur Hass gekannt hatte. Mit ihr wollte ich wahrlich leben.
Sie reichte mir ihre Hand, zierlich und klein. Sie war noch jung und in ihren Augen spiegelte sich die Abenteuerlust, die sie auf das Leben empfand, wider. Ich umarmte sie.
confusing passion for the love
he never gave
Wir tanzten zusammen. Wir lachten zusammen. Der Schnee versteckte uns vor den Augen unserer Brüder und Schwestern, welche nun unsere gemeinsamen Feinde geworden waren. Zusammen waren wir stark. Zusammen waren wir.
Mit jedem Tag, den wir zusammen verbrachten, suchten wir einen neuen Ort, um uns zu treffen. Wir schlichen über die Welt, standen mitten unter den Menschen oder saßen an den einsamsten Orten, lauschten gemeinsam einer überfüllten Predigt oder spazierten auf heißem Wüstensand.
fall back on reasons
that we know won't stand a chance
Wir lachten über unsere Vettern, dass sie uns nicht sahen, dass sie auf unsere Finten hereinfielen. Die Welt hörte nur auf unser Wort und in jedem neuen Versteck fühlten wir uns sicherer. Niemand könnte uns auseinanderbringen und niemand würde unsere Liebe entdecken.
Im Licht des fahlen Wüstenmondes leuchteten ihre Schultern wie makelloser Marmor, als wäre sie das Kunstwerk eines dieser modernen Italiener. Sie schmiegte sich vertrauensvoll in meine Arme, ich hielt sie fest an meine Brust.
watching her shoulders
like a memory from the past
Viele Nächte lagen wir so, doch in dieser Nacht küsste sie mich. Mein erster Kuss. Die Kälte der Wüstennacht spürten wir nicht, doch die Wärme unserer Lippen zog weite, unbekannte Kreise in meinem Inneren.
Die Sterne am Firmament leuchteten heller als jemals zuvor, der Mond flüsterte leise die Melodie eines Liebesliedes in unsere Ohren und meine Augen sahen zum ersten Mal die Farben des Regenbogens. Sie zu küssen lies mich zum ersten Mal meinen Herzschlag spüren.
I'd tell her easy
but her hands,
they find a way
Ihre Lippen waren weich und warm und wohlig schmiegte sich ihre Zunge an die meine. Ein ganz neuer Tanz. Meine Sinne standen Kopf, oben war unten und unsere Flügel waren die gleichen. In diesem Moment begann die Welt erneut – nur für uns.
Die Ewigkeit war unser Traum. Den Rest der Zeit gemeinsam verbringen, selbst darüber hinaus beieinander sein, klang nach dem Sinn des Lebens. Wir hatten ihn gefunden, nur wir lebten ihn.
confusing passion for the love
he never gave
In dieser Nacht waren wir uns unglaublich nah, näher als ich es jemals für zwei Wesen möglich geglaubt hätte. Wir waren glücklich, schlicht glücklich miteinander. Wir küssten uns. Wir küssten uns.
* * *
Der Stein zeigt die Zeit, die unsere Strafe bereits andauert, der einst strahlende Marmor ist nun grau und stumpf, manch ein Riss kreuzt eine Ader, manch ein Sprung rundet eine Ecke ab. Obwohl unser Grabmal von kunstfertigen Händen gehauen, ist mir der Anblick ihres Ebenbildes zuwider. Die Statue wird ihrem überwältigenden Antlitz nicht gerecht, ihr Gesicht der Sonne – dem Tod – entgegengestreckt, wie eine Blume anmutig wächst sie aus dem Sockel. In meine Wangen sind Tränen eingeschlagen und wie oft saß ich hier weinend, gekettet an das Kreuz. Ohne Namen, ohne Datum; unser Ruf mittlerweile schwer zu lesen: Тьма – Блѣскъ.
Unsere Strafe begann, als aufwendige Grabmäler noch üblich waren, heute stehen die Menschen vor unseren Ebenbildern und staunen über die Dekadenz der Vergangenheit. Ihre Aufnahmespanne ist wirklich klein, ihre Sinne wahrlich beschränkt. Sie sind blind, dass sie unsere leidenden Seelen nicht sehen. Vielleicht muss dies auch so sein, damit sie den Verlust ihrer Eltern, Kinder, Geliebten und Freunde verwinden können. Gäbe es Kontakt zu den Seelen der Toten, so wären diese niemals wirklich tot. Wüssten die Menschen, was auf der anderen Seite des Todes auf sie wartet, würden sie nicht in ständiger Angst leben?, würden sie nicht aufhören zu leben, um ihn weiter hinauszuzögern? So spekulieren sie blind, wie sie vom Jenseits empfangen werden möchten. Sie können sich an unserem Gefängnis erfreuen.
Trotzdem wünschte ich, der Stein leuchtete mehr mit ihrer Schönheit, mit ihrer Eleganz, mit ihrer Tugend. In ihr strömt Lebensmut und Hoffnungslust, selbst der Kummer dieses Gefängnisses kann ihre beschwingte Seele nicht trüben. An ihrer unverwüstlichen, sorgenfreien Art kann sich jedes Wesen ein Beispiel nehmen.
„Ach …“, seufzt sie und ihr Blick gleitet suchend über den Friedhof, sieht die trauernden Menschen nicht. In ihren Augen spiegelt sich die Kälte des Schnees, den Schmerz kann auch sie nicht länger abschütteln. „Wo ist er nur?“, fragt sie mit Zuversicht in ihrer zarten Stimme, ihn doch einmal zu sehen, aber der Schatten ihres Kummers ist deutlich zu spüren. Für mich zumindest ist er deutlich. „Er ist schon so lange fort … Ich muss ihn unbedingt wiedersehen.“
Ich bin doch hier! So fühlte sie auch einmal über mich, aber das ist schon so lange her. Was bleibt mir übrig, als zu weinen? Wir waren unzertrennlich und nun sehnt sie sich nach einem anderen. Unserer Strafe ist es zu verdanken, dass ich jedes sehnsuchtsvolle Wort höre, jeden verliebten Traum sehe. Es schmerzt, mehr als unsere Strafe, mehr als dieses Gefängnis, mehr als die Torturen der Hölle.
„Weißt du noch, als wir auf der Düne saßen?“, frage ich sie. „Die Sterne waren mit uns, wenn auch sonst niemand.“ Wir schändeten die Naturgesetze, dennoch war unsere Beziehung anerkannt. Wir können nichts Unmögliches tun, alles, was Möglich ist, ist ein vollwertiger Teil dieser Welt. Unsere Liebe ist wahr und somit natürlich. Kein Gott und kein Teufel kann uns dies nehmen.
Noch immer sieht sie auf den Friedhof. Ich vermisse ihren sanften Blick auf mir, das zarte Prickeln über meinen Rücken, wenn sie mich anruft. Für sie bin ich das Licht. Ich vermisse ihr weiches Haar, welches so herrlich nach frischem Tau duftet. Ich vermisse sie.
Sie macht eine fahrige Handbewegung: „Unterbrich mich nicht. Er kommt bald. Ich kann ihn spüren.“ Fieberhaft suchen ihre Augen die Wege ab, mustern jeden Grabstein lang und eingehend, sogar bis tief in den Wald hinter den Mauern versucht sie zu sehen. Vergebens. In ihm wird sie niemals ihr Glück finden und ich sitze hier, direkt neben ihr; doch berühren kann ich sie nicht. Nah und fern zur gleichen Zeit, eine vortreffliche Quälerei. „Bald ist er hier.“
Ich schüttele den Kopf, welche Antwort kann ich sonst geben. „Du kannst ihn nicht sehen, und er kann dich nicht sehen. Er ist ein Tod.“ So war nun einmal der Aufbau dieser Welt, daran würde auch ihr drängender Wunsch nichts ändern. „Seine Existenz ist dem Sterben gewidmet, Liebe ist Leben. Verstehst du nicht?“
„Was verstehst du schon?“, schnappt sie zurück. „Ich liebe ihn! Du weißt doch nicht, was Liebe ist, du bist nur ein Dämon. Wenn ich bloß von diesem Grabstein loskäme.“ Sie könnte sofort gehen, sähe sie ihren Fehler ein, bereute sie unsere Verbindung und ihre Gefühle für ihn. Aber Einsicht ist nicht ihre Stärke. Liegt sie überhaupt falsch? Wäre es wirklich widernatürlich und pervers, hätten wir uns erst gar nicht ineinander verliebt. „Kannst du nicht irgendetwas tun?“
Ich? „Soll ich jemanden für dich töten, damit er herkommen muss? Ist das nicht gegen euer Gelübde?“ Helfen würde es obendrein nicht, ein Diener des Todes kann nicht lieben, was auch immer sie täte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er kann sie nicht sehen, nicht hören, nicht berühren und besonders kann er sie nicht lieben. Sie wird noch einmal so viele Jahrhunderte hier sitzen, bis ihr Eifer für ihn abstumpft. Meine Liebe wird mich weiterhin an sie binden und auf diesem Stein sitzen lassen. Ich kann sie nicht verraten.
„Würdest du das für mich tun?“, hoffnungsvoll sieht sie mich an, dann lächelt sie warm: „Du würdest.“ Sie schütteltet den Kopf: „Nein, tu es nicht. Er wird schon herkommen. Irgendwann …“ Eine Träne verlässt ihren Augenwinkel, die erste von vielen. „Irgendwann“, wiederholt sie mit zitternder Stimme und sie vergräbt ihr Gesicht tief in ihre zierlichen Hände. Ich will sie trösten, aber ich kann sie nicht umarmen. Einzig ein paar Worte kann ich mit ihr teilen: „Ich bin bei dir, Tma, für immer. Ich liebe dich.“
* * *
Die Jahreszeiten vergingen, die Jahrzehnte eilten davon und unsere Verstecke änderten sich. Sie war es leid unsere Liebe zu verstecken. Der Neid in den anderen sollte unserem Glück nicht im Wege stehen dürfen, doch das ist eben Neid.
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Mit diesem Gefühl kenne ich mich besser aus als jeder andere und ein Gegenmittel gibt es nicht. Widerwillig beugte sie sich meiner Einsicht. Wir wichen der Missgunst aus, blieben allein. Das dichte Blätterwerk des Dschungels spendete uns Raum.
Die schwüle Hitze der Regenzeit war nichts im Vergleich zu unserer Leidenschaft. Das Grollen eines Jaguars begleitete uns, spendete uns Mut. Ich verlor mich in ihrem Körper, gab mich ihrem Stöhnen hin, ertrank in ihrer Lust. Die Regentropfen tanzten ihren eigenen Reigen.
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Sie klammerte sich an meine Schultern, sah mir unendlich tief in die Augen und erstrahlte im Glück. Unsere Flügel schlugen im gleichen Takt. Die Libellen sangen unser Lied und die wilden Blumen sprossen dank unseren Zukunftserwartungen farbenfroh und heiter in die Höhe.
Es vergingen Tage, da saßen wir nur beieinander und erzählten von unserer Liebe, leise hauchten wir die Worte in unsere Ohren und erschauerten unter unseren sanften Worten. Das Licht fiel in kosmisch bedeutungsvollen Mustern durch das Blätterdach und nickte uns aufmunternd zu.
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Ich streichelte durch ihr seidenes Haar, stundenlang wollte ich zusehen, wie es über ihre Schultern fiel und ihre warmen Rundungen umspielte. Nie für lang nahm sie ihre Hände von meinem Körper, streichelte über die Wunden der letzten Marter, als könnte sie heilen.
Aber auch der dichteste Dschungel war nicht auf Dauer sicher für uns. Sie liebte die Hitze des Tages, die Kühle des Regens und den Duft all der Blumen und Bäume.
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Sie wollte nicht gehen, doch wir mussten gehen. Sie durfte meinen Verfolgern nicht in die Klauen fallen. Kein Dämon durfte ihrer unschuldigen Schönheit zu nahe kommen, niemals. Ich musste sie beschützen.
Ein Ort so unwirtlich wie die menschliche Fantasie. Kalt ist das einzige Wort, das ihn beschreiben kann und doch ist es zu wenig. Lebensfeindlich. Zum Sterben schön. Das Eis war unser Verbündeter, zumindest dachten wir das. Wie hatte es soweit kommen können?
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Die vielfarbigen Lichter über unseren Köpfen malten unsere Liebe in den Himmel. Dieser Ort war wie für uns geschaffen, nur für uns. Die Welt drehte sich um uns und unsere Liebe, dieser Ort war der Beweis. Hier würden sie uns niemals finden.
Der Schnee lag weich unter unseren Körpern, der Frost biss sich an uns die Zähne aus. Wir sind unsterblich, Kälte spüren wir nicht. Im Wind tanzten die Schneeflocken und begrüßten uns. Wir waren Zuhause.
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Keine Seele hatte jemals zuvor diesen Ort betreten, wir waren die ersten und die einzigen. Weit und breit nur Schnee und Eis, das Nordlicht über uns und das erste Grün junger Tannen neben uns.
Tag und Nacht wurde unwichtig, Sonne und Mond waren eh nur seltene Gäste. Alles hier verkörperte uns. Mit fröhlichem Gelächter und einem Sturm von Küssen feierten wir unseren Fund und unser Glück. In ihren Augen sprühte das Leben. Die Ewigkeit war nah.
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Das Eis unter uns schmolz. Im Schein der roten und grünen und blauen Lichter schien sie mir einem betörenden Schmetterling gleich: zart und zerbrechlich, wunderschön und anmutig. Ich musste vorsichtig sein, sie nicht unter mir zu zerdrücken. Sie ließ mich nicht los.
Dort sahen wir keinen Sinn, an das Ende zu denken. Welches Ende? Wir waren blind für die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz, Liebe ist Teil der menschlichen Existenz. Nichts währt ewig, unverändert.
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Ich versagte. Ich konnte sie nicht beschützen. Und auch unsere Liebe konnte ich nicht beschützen. Wir sind getrennt, mehr als dieses Gefängnis jemals könnte. Sie schenkt ihre Liebe einem anderen.
* * *
„Verbannung!“
„Du hast Uns beschämt, Schutzengel! Du hast dich mit dem Feind – einem Dämon! - verbrüdert. Dafür gibt es keine Entschuldigung! Reue, bis der Tod dich läutert!“
„Verrat!“
„Du hast Uns gedemütigt, Dämon! Du hast dich dem Feind – einem Engel! - hingegeben. Dafür gibt es keine Entschuldigung! Sühne, bis der Tod dich läutert!“
„Verbannung!“
* * *
Es war nicht immer einfach, dem Misstrauen anderer Dämonen zu entgehen und unerkannt unser Liebesnest zu erreichen. Ich konnte sie und unsere Liebe nicht in Gefahr bringen, also ging ich viele Umwege, vielleicht mehr als nötig gewesen wären.
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Immer wieder musste ich sie warten lassen, manchmal ein paar Stunden, manchmal ein paar Tage. Sie verstand meine Vorsicht, es war zu ihrer eigenen Sicherheit. Ihr durfte nichts geschehen!, war mein ewiges Mantra. Zumindest dachte ich, sie verstünde.
Das Warten schmerzte in ihrer zarten Seele, Geduld gehörte nicht zu ihrem Strauß Tugenden. Oft fand ich sie in Tränen aufgelöst vor, aber ich konnte sie immer trösten. Unsere Liebe war stärker als die immer über uns drohende Gefahr. Wir liebten uns.
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Doch eines Tages ließ ich sie zu lange warten. Egal, welchen Haken ich in meinen Umweg schlug, ich konnte das Paar Dämonen nicht von meiner Fährte schütteln. Hätte ich sie zu ihr führen sollen? Natürlich nicht. Ich musste ihr fernbleiben. Zu lang.
Schon von weitem hörte ich das Echo ihrer Tränen und ihrer verzweifelten Rufe nach mir. Der leise rieselnde Schnee bewahrte ihre Trauer, um sie mir frisch und beißend zu zeigen. Sie selbst lag still im weichen Eis. Einfach nur still. Zu still.
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Meine Schreie hallten von den dunklen Tannen. Ich rief nach ihr, rief meine Liebe zu ihr in den kalten Wind. Ich wusste, was ich sah, obwohl es nicht sein konnte – nicht sein durfte. Engel waren unsterblich, sie lebten ewig. Sie war tot.
Ihr Körper war kalt und starr, ihre Lippen blau und ihren Augen fehlte jeder Glanz. Ihre Fröhlichkeit war verschwunden. Im Tod glich sie den Menschen, diese Schmach hatte sie nicht verdient.
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Wie hatte sie sterben können? Einfach so? Engel starben nicht. Sie war tot und ohne ihr Lachen an meiner Seite, wollte auch ich sterben. Ich küsste sie ein letztes Mal.
Mit ihrem toten Körper in meinen Armen brach die Welt für mich zusammen. Und sie brach ein zweites Mal über mir zusammen, als ich mich plötzlich Jahrhunderte entfernt auf diesem Friedhof wiederfand – ihr steinernes Antlitz neben mir. Unsere Liebe war offenbar geworden.
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War ihr Tod nicht bereits Strafe genug für meine klagende Seele? Ich wollte sterben und nicht von ihrem Blick aus Stein verhöhnt werden. Ohne sie musste die Welt fad und öd sein, die einzige Farbe war Grau, ohne Licht und ohne Schatten.
Ich weinte. So wie Engel nicht sterben, so weinen Dämonen nicht; das ist genauso Naturgesetz wie das Verbot über Liebe zwischen uns, Engel und Dämon. Ich weinte. Ich weinte bitterlich und ich schluchzte herzzerreißend.
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Nur ihre toten Augen sah ich noch, für alles andere war ich blind. Nur ihr verstummtes Lachen hörte ich noch, für alles andere war ich taub. Meine Sinne waren stumpf und tot, wie sie.
Bis die Stimme des Teufels in meinen Gliedern bebte. Furcht lähmte meine Gedanken, lähmte meinen Körper, lähmte meine Sinne: sie lauschten ihm. Ich war Abscheu und Schande für jedes Dämonengeschlecht der Hölle. War das wichtig? Ich sollte die Ewigkeit ohne sie verbringen.
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Ich sollte die Ewigkeit ohne sie auf diesem Friedhof verbringen. Bis ich den Weg der Hölle wiederfinden würde: Wir atmen den Schmerz Unschuldiger, wir glühen in der Lüge der Tugendhaften, wir schöpfen Kraft aus den Sünden der Heiligen. Ich bin ein Dämon.
Plötzlich hörte ich ihre klare Stimme, sie rief und weinte und seufzte. Sie bebte und zitterte, all ihre Sinne schienen nur den Friedhof zu sehen. Wegen ihm; nicht wegen mir.
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Heute verstehe ich das Lächeln auf ihren leblosen Lippen: Dort, frierend und sterbend, sah sie ihn das erste Mal, den Diener des Todes, der mir ihre Liebe stahl. Sie ist mein.