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Giniro no Sora

One Shot Sammlung
von

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Die Welt macht dem Platz, der weiß, wohin er geht

Es war nicht so, dass Shinpachi unzufrieden mit seiner Rolle war. Die Stimme der Vernunft zu sein lag von jeher in seiner Natur, und weder konnte, noch wollte er sich dem oftmals schon unwirklich scheinenden Schwachsinn um sich herum widerstandslos ausliefern. Wenn er Gintoki und Kagura nicht im Zaum hielt, wer sollte es dann tun? Die Shinsengumi? Aber nicht, wenn sie die Mitglieder schickten, die seine Freunde in Exzentrik fast noch übertrafen. Solche Aktionen endeten meist mit noch mehr Blessuren für ihn, als er bereit war zu erdulden.

Shinpachi war auch in keinem Maße ein Mensch, der anderen gegenüber missgünstig oder habgierig war. Ganz im Gegenteil; er war sogar ein wenig stolz auf all die guten, moralisch wertvollen Charaktereigenschaften, die er besaß. Ihm reichte vollkommen aus, was er derzeit zum Leben hatte. Mehr brauchte er nicht. Wenn er also ein so überaus genügsamer, hilfsbereiter Mensch war, warum widerfuhren ihm dann in gepflegter Regelmäßigkeit – grob geschätzt etwa dreimal am Tag – so schreckliche Dinge?

Nach langem, angestrengtem Nachdenken musste sich Shinpachi der grausamen Realität stellen: es lag an seiner Rolle. Woran auch sonst? Seine Rolle setzte praktisch voraus, dass er Schlimmes durchleben musste, über das er sich im Nachhinein zur Belustigung der Zuschauer aufregen konnte.

Die einzig logische Schlussfolgerung war also, sich eine neue Identität aufzubauen. Und Shinpachi hatte die meiste Zeit seines Lebens damit zugebracht, sich Pläne und Inspirationen für einen Imagewechsel zurechtzulegen. Er brannte förmlich darauf, etwas Neues auszuprobieren. Etwas Besseres. Etwas, das Kagura weniger oft dazu einlud, ihn zu verprügeln.
 

Es lag für ihn nahe, sich zunächst auf Aspekte zu konzentrieren, die zu seinen Stärken zählten und diese dann hervorzuheben. Shinpachi mochte nicht so stark sein wie Gintoki oder Kagura, aber auch er verfügte über ein gewisses Maß an athletischem Geschick. Ohne würde er schließlich einen ziemlich lausigen Samurai abgeben.

Sein neues Image würde somit das eines Sportlers sein. Hochgewachsen, ein schlanker aber definierter Körper, eine positive, lebensbejahende Aura – diese Identität stand ihm wirklich gut zu Gesicht. Trotz all seines natürlichen Talents für diese Rolle war er sich dennoch bewusst, dass er zuerst ein wenig in seine neuen Aufgaben herein wachsen musste. Gintoki und Kagura waren seine schärfsten Kritiker, und um sie überzeugen zu können, würde es nicht reichen, ein wenig seinen neu gekauften Tennisschläger durch die Gegend zu schwingen.

Erst wollte er ein wenig trainieren. Sein Weg führte ihn in den Park, wo er sich ein ruhiges, abgelegenes Plätzchen suchte, an dem er nicht Gefahr laufen würde, kleine plärrende Bälger mit seinen Tennisbällen zu erschlagen.

Die ersten hundert Aufschläge bestätigten Shinpachi in seiner Vorsicht und ließen ihn erkennen, dass angeborenes athletisches Geschick nicht unbedingt bedeutete, für Sportarten geschaffen zu sein. Innerhalb von fünf Minuten hatte er bereits drei Passanten mit mehr oder minder großer Kraft hinter seinen Schlägen getroffen, und langsam aber sicher hatte er die verächtlichen Blicke satt.

Frustriert beschloss er, nur noch einen Aufschlag zu versuchen und dann wieder nach Hause zu trotten. Um sich selbst und vor allen den anderen Parkbesuchern etwas zu beweisen, gab er sich die allergrößte Mühe, den Ball gerade in die Luft zu werfen. Dann brachte er sich in Position, und—

—sah hilflos dabei zu, wie der Tennisball einem jungen Mann auf den Kopf fiel. Shinpachi wich jegliche Farbe aus dem Gesicht, als er zu dem anderen lief, die überschwängliche Entschuldigung bereits auf den Lippen.

»Ah, es tut mir leid, ich— oh, Yamazaki-san!«

Yamazaki rieb sich zwar mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf, lächelte Shinpachi aber dennoch an und winkte zum Gruß. »Ich wusste gar nicht, dass du Tennis spielst.«

Shinpachi verbeugte sich noch einmal rasch zur Entschuldigung und kratzte sich dann fast schon verlegen am Hinterkopf.

»Habe ich bis heute auch nicht. Ich bin noch ein Anfänger, aber ich glaube, allmählich habe ich den Dreh raus.«

Das war eine Lüge. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, weder von den Regeln, geschweige denn davon, wie er den Ball treffen musste, ohne sich oder anderen damit zu schaden. Allerdings war er zu stolz, sich das einzugestehen, und so plapperte er einfach munter drauf los und hoffte, dass Yamazaki ihn nicht ertappte.

In der Tat schien Yamazaki entweder nicht zu bemerken, dass Shinpachi ihn anlog, oder es war ihm schlichtweg egal. Er klatschte begeistert in die Hände und strahlte sein Gegenüber an.

»Wollen wir dann vielleicht ein Trainingsmatch spielen? Das ist weitaus effektiver, als alleine zu üben.«

Shinpachi hätte einfach ablehnen und sich eingestehen sollen, dass er eine Niete im Tennis war. Er hätte sich und Yamazaki so viel damit ersparen können, aber natürlich hatte er das nicht getan. Das wäre viel zu einfach gewesen. Nein, Shinpachi musste sein nicht vorhandenes Können erst so eindrucksvoll unter Beweis stellen und seinen Übungspartner so oft mit dem Ball treffen, dass Yamazaki – der gutmütige, wohlwollende, aufopferungsvolle Yamazaki – ihn bat, das Training frühzeitig abzubrechen.

»Ich will dich nicht entmutigen, aber ein Naturtalent bist du nicht«, begann Yamazaki zögernd, aber Shinpachi winkte ab. Auf schonende Worte konnte er nach dieser Glanzleistung verzichten.

»Hab ich auch gemerkt.«

»Was versuchst du eigentlich, damit zu bezwecken?«

Anstatt jedoch eine Antwort abzuwarten, wartete Yamazaki mit einer eigenen Idee auf.

»Ein Imagewechsel vielleicht?« Irgendetwas an dieser Vorstellung schien ihn jedoch dermaßen zu amüsieren, dass er so lange laut lachte, bis ihm Shinpachis angesäuerter Gesichtsausdruck auffiel. Augenblicklich hörte er auf und sah ihn versöhnlich an. »Entschuldige.«

»Schon okay. Es ist ja auch zum Lachen.« Er zuckte vage mit den Schultern. Die nächsten Worte waren ihm unangenehm, also richtete er den Blick gen Boden. »Aber ich hab einfach das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlt, verstehst du?«

Darauf musste Yamazaki lächeln.

»Ja, das verstehe ich.« Er überlegte kurz. »Wenn es wirklich das ist, das du tun willst, dann darfst du dich von diesem kleinen Rückschlag nicht entmutigen lassen. Versuche es so lange, bis du mit dem Ergebnis zufrieden bist.«

Sehr zu Shinpachis Erstaunen machte das tatsächlich Sinn. Er hatte sich viel zu schnell von seinem anfänglichen Versagen unterkriegen lassen. Aber das würde ihm kein zweites Mal passieren. Er musste einfach mit einer Idee aufwarten, die seine letzte um Längen übertraf.

Er lächelte nun ebenfalls und nickte zustimmend. »Das werde ich. Vielen Dank, Yamazaki-san!«
 

Da es augenscheinlich nichts brachte, sich nur auf Altbewährtes zu verlassen, entschied Shinpachi sich dazu, etwas ihm vollkommen Fremdes auszuprobieren. Nachdem er sich also genügend Wissen über diverse Jugendsubkulturen angelesen hatte, kam er zu dem Schluss, dass er wohl am wenigsten als Goth taugen würde. Also besorgte er sich schwarze Klamotten, färbte sich die Haare und machte – sehr zu seinem Leidwesen – nicht seine ersten Erfahrungen mit Kajal.

Einmal mehr verschlug es ihn in den Park, vermutlich weil es dort genügend Menschen gab, an denen er sein neues Konzept testen konnte. Selbst, wenn – oder gerade weil – ihn die meisten Besucher diesmal mieden. Er wusste nämlich nicht genau, ob es daran lag, dass er sie früher am Tag mit Bällen getroffen hatte, oder daran, dass sie sich vor seinem neuen Outfit fürchteten. Wenn Letzteres der Fall war, fing sein zweiter Testlauf auf jeden Fall gut an. In sich zusammengesunken, ein von schwarzen Klamotten verdeckter Körper, eine kleine graue Wolke über dem Kopf, aus der es unablässig regnete – wenn er es recht bedachte, stand ihm diese Identität vermutlich sehr viel besser zu Gesicht als die vorherige.

Dank seines neugewonnenen Selbstvertrauens machte es ihm nicht einmal etwas aus, dass er seine neue Identität wohl noch heute an Kagura würde testen müssen. Die kam nämlich just in diesem Moment auf Sadaharu in den Park geritten und sah sich auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer aufmerksam um. Als sie Shinpachi erblickte, brauchte sie einige Momente um sicherzugehen, dass er es wirklich war. Shinpachi verbuchte das innerlich als Erfolg.

Dann sprang sie von Sadaharus Rücken und kam auf ihn zu, blieb erst stehen, als sie nur noch etwa eine Armlänge Abstand trennte. Sie beugte sich runter, um Shinpachi direkt in die Augen sehen zu können, und in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass es für ihn nicht schlechter hätte laufen können.

»Dein Aufzug macht mich wütend. Geh sterben«, murmelte Kagura nach einiger Zeit, in der sie ihn nur stumm angestarrt hatte. Shinpachi spürte, wie ihm Angstschweiß auf die Stirn trat.

»O-oi, Kagura-chan, darum geht es in der Gothic-Szene ni—«

Bevor er seinen Satz beenden konnte, packte Kagura ihn am Kragen.

»Warte, ich helfe dir.«

Sie gab Shinpachi nicht einmal die Möglichkeit, sich in irgendeiner Form vor dem Aufprall auf dem harten Asphalt zu schützen – Warum war der Asphalt im Park so hart? Hier spielten Kinder, verdammt! –, als sie ihn über die Schulter warf und sein Gesicht Bekanntschaft mit dem Boden machen ließ. Das Letzte, woran Shinpachi dachte bevor er ohnmächtig wurde, war, was für eine gute ästhetische Entscheidung es doch gewesen war, als er seine Brille für ein untaugliches Gothic-Accessoire befunden und zu Hause gelassen hatte.
 

Es mochte daran liegen, dass Shinpachi bleibende kognitive Schäden davongetragen hatte, aber in seinem Kopf hatte seine nächste Idee wahrlich grandios geklungen. In der Praxis sah seine vorgesehene Mischung aus Rocker, Manager und Clown allerdings aus wie das misslungene Experiment eines blinden Wissenschaftlers. Er konnte nicht einmal sagen, welcher Teil seines neuen Outfits der Anfang vom Ende war. Die Ärmel seines Anzuges hatte er abgerissen, damit sie zu dem Irokesen und der Gitarre passten. Warum er es jedoch für eine gute Idee gehalten hatte, zusätzlich dazu eine Clownsnase und übergroße Schuhe zu tragen, war ihm schleierhaft. Vermutlich war in seinem Kopf wirklich mehr kaputt gegangen, als er zunächst vermutet hatte.

Diesmal wagte er sich nicht wieder in den Park – so viel Würde besaß er dann doch noch –, sondern ging stattdessen ans Flussufer und setzte sich ein wenig abseits ins Gras. Sein Enthusiasmus hatte einen gehörigen Dämpfer kassiert und seine Laune war an einem neuen Tiefpunkt angelangt, da brauchte er keine Fremden, die ihm obendrein ins Gesicht lachten.

»Nee, Shinpachi-kun, was machst du denn hier?«

Unwillkürlich zuckte der Angesprochene zusammen. Freunde, die ihm ins Gesicht lachten – oder ihn mit dem Gesicht voran in den Asphalt prügelten –, brauchte er auch nicht unbedingt, aber bei Gintoki machte er sich eigentlich wenig Sorgen darum. Deswegen nahm er auch kommentarlos hin, dass dieser sich neben ihn ins Gras fallen ließ und erst einmal eine Weile beobachtete, wie die Sonne langsam unterging.

»Ich dachte, du testest deine neuen Outfits im Park«, begann Gintoki irgendwann beiläufig. Als er keine Antwort erhielt, sah er Shinpachi abschätzend an und schüttelte dann den Kopf. »Wobei es vermutlich besser ist, wenn dich in dem Aufzug nicht allzu viele Menschen sehen.«

Shinpachi schwieg immer noch eisern, und allmählich riss Gintoki der Geduldsfaden. Er schnalzte mit der Zunge und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar.

»Oi oi, wenn du Probleme hast, solltest du darüber reden.«

Ob es an seiner Aufforderung lag oder nicht, war Gintoki nicht ganz klar, doch Shinpachi zog die Beine an die Brust, schlang die Arme um seine Knie und seufzte leise.

»Bist du unzufrieden mit dir selbst, Gin-san?«

»Bist du es?«

Shinpachi schwieg wieder eine Zeit lang, ließ das Kinn auf seinen Knien ruhen.

»Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich nicht genügen. Als könnte ich so viel besser sein, wenn ich nur den richtigen Weg finden würde.«

Die Sonne versank immer weiter am Horizont. Gintoki stützte sich auf seine Arme und lehnte sich nach hinten.

»Nur du selbst zu sein ist genug, findest du nicht?«

»Huh?« Es war das erste Mal, dass Shinpachi ihn ansah. Gintoki hielt seinen Blick jedoch auf den Horizont gerichtet.

»Dass du so bist, wie du bist, ist nichts Schlechtes. All das, was dich zu demjenigen gemacht hat, der du heute bist, ist es wert, von dir anerkannt zu werden. Etwas, das deine Persönlichkeit formt, ist niemals unwichtig. Deswegen geht es auch so fürchterlich nach hinten los, wenn du versuchst jemand zu sein, der du nicht sein kannst oder sein musst.«

Er drehte den Kopf ein wenig nach links und grinste den anderen an.

»Kagura hat dich verprügelt, weil ihr das nicht gefiel.«

»Sie hat mich verprügelt, weil ihr danach war«, korrigierte Shinpachi trocken, doch Gintoki schüttelte missbilligend den Kopf.

»Das ist nicht der Punkt, Shinpachi-kun.«

Das sah er zwar ein wenig anders, aber Shinpachi wusste, dass es keinen Sinn machen würde, darüber zu diskutieren. Stattdessen wartete er darauf, dass Gintoki weitersprach.

»Wenn du selbst dich schon nicht leiden kannst, wer sollte es dann tun?«

»Wie meinst du das?«

Misstrauen lag in seiner Stimme. Etwas an der Art, wie diese Frage formuliert war, gefiel Shinpachi nicht. Woran genau es lag, wusste er nicht, aber er hörte Gintoki noch aufmerksamer zu als zuvor.

»Wenn dich etwas an dir stört, dann hast du die Wahl, es entweder zu ändern oder nichts zu tun. Aber auch deine negativen Eigenschaften sind ein Teil von dir, und du solltest sie nicht zu vorschnell als etwas abstempeln, von dem du dich lösen willst.«

In der Pause, die auf seine Worte folgte, überlegte er zu angestrengt für jemanden, der von anderen und nicht von sich selbst sprach. Shinpachi beschloss, nicht darauf einzugehen und wartete geduldig.

»Wenn du beginnst, deine negativen Seiten zu wertschätzen, werden auch andere Menschen das tun.«

»Gin-san...«

Seine Worte hatten ihn berührt, hatten ihm Mut gemacht, und Gintoki hätte es einfach dabei belassen sollen. Stattdessen stand er auf, klopfte sich den nicht vorhandenen Staub von der Hose und streckte sich.

»Na ja, soweit zumindest die Theorie. Was du daraus machst, ist deine Entscheidung.« Damit wandte er sich zum Gehen und sah nicht einmal mehr über die Schulter zurück zu Shinpachi, der immer noch fassungslos am Boden saß. »Bis dann. Und vergiss nicht, dass du heute dran bist, das Abendessen zu besorgen.«

Ihm blieb zunächst nichts anderes übrig als stumm zu nicken und Gintoki dabei zuzusehen, wie er davonging. Lange Zeit dachte Shinpachi über das nach, was der andere gesagt hatte. Darüber, ob Gintokis Worte überhaupt Sinn gemacht haben, und darüber, ob sie auf seine Situation zutrafen. Er dachte so lange nach, bis er Kopfschmerzen bekam, aber die konnte er auch auf Kaguras Attacke früher am Tag zurückführen.

Schließlich erhob auch er sich und beschloss, den Heimweg anzutreten. Letzten Endes war es vermutlich gar nicht so wichtig, wie ausgefallen seine Rolle war oder nicht. Vielleicht reichte es auch einfach, wenn er Freunde hatte, die ihn so mochten, wie er war.



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