Zum Inhalt der Seite

Creepypasta Extra 2: Somnia

Sally kehrt zurück
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Drei Projekte, vier Schlüssel, sieben Siegel

Sie fanden sich fast vollzählig in einem Konferenzraum des Krankenhauses zusammen, zu welchem sie sich heimlich Zutritt verschafft hatten. Mit anwesend waren Harvey, Christine, Anthony und Vincent, Thomas und Sally. Evan und Viola waren schon schlafen, da es bereits spät war und Amara blieb bei Hannah und passte auf, dass nicht erneut Söldner der Thule-Gesellschaft kamen, um sie zu entführen. Die Stimmung war unruhig und irgendwie schien jeder der Anwesenden nervös zu sein. Lediglich Thomas und Christine waren die Ruhe selbst. Sally sah auch ziemlich müde und erschöpft aus und wusste nicht so recht, warum sie sich denn getroffen hatten. Schließlich aber erhob Harvey das Wort. „Ich möchte euch erst einmal danken, dass ihr euch bereit erklärt habt, euch trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit mit mir zu treffen. Aber es ist nun mal so, dass ich das, was mir persönlich auf der Seele lastet, nicht länger verschieben kann. Um es für jene zu erklären, die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Harvey Charles Dahmer und ich komme aus Amerika. Ich bin seit einiger Zeit hinter einer Organisation her, die sich auch Thule-Gesellschaft nennt. Es handelt sich um eine rechtsextremistische und völkisch-antisemitische Vereinigung zur Erforschung von Okkultismus unter dem Hakenkreuz. Gegründet wurde sie in München im Jahre 1918 von Rudolf von Sebottendorf. Zunächst beschränkten sich die Aktivitäten dieser Organisation auf die Bekämpfung der Revolution von 1918, der bayerischen Regierung unter Kurt Eisner und die nach seinem Tod folgende Räterepublik. Offiziell löste sich die Gruppe bereits um 1925 wieder auf, die Versammlungen fanden bis dahin im Münchener Luxus-Hotel „Vier Jahreszeiten“ statt. Im Grunde ging dieser Verein ähnlich wie die Freimaurer vor: Alle Aktivitäten gingen so geheim von statten, dass man nicht auf die Thule-Gesellschaft schließen konnte. Die Mitglieder waren überwiegend Akademiker, Aristokraten und Geschäftsleute. Zu Beginn des aufsteigenden Nationalsozialismus begann die Thule-Gesellschaft mit antisemitischer Propaganda und erklärte die Juden zum „Todfeind des deutschen Volkes“. Schließlich begann Sebottendorf mit der völkisch-okkultistischen Ariosophie. Ziel war es, eine Art „reine“ menschliche Rasse zu erschaffen und den Ursprung der arischen Rasse zu klären. Die Thule-Gesellschaft war der Ansicht, dass die Arier die reinste aller menschlichen Rassen sind und allen anderen überlegen ist. Es gibt viele Spekulationen über die Arier und ihren Ursprung. Die Thule-Gesellschaft war der Ansicht, dass die Arier ihre Wurzeln bei einer gottähnlichen Rasse hatten, die als die wahren Herrscher der Menschheit bezeichnet wurden. Jedenfalls… die Thule-Gesellschaft verlor immer mehr Mitglieder und da die Unterstützung ausblieb, musste sie 1925 aufgelöst werden. In den 30ern und 40ern gab es mehrere Versuche, die Gesellschaft wieder aufleben zu lassen, allerdings war dies nur von kurzer Dauer und danach hat man lange nichts mehr gehört. Doch in den 60ern gab es mehrere rechtsextremistische Gruppierungen, die sich auch das Thule-Netz nannten. 1980 aber gab es dann eine Gruppe, die sich als die wahre Thule-Gesellschaft bezeichnete. Informationen über die genauen Aktivitäten der Organisation gibt es kaum, aber dank Johnny konnte ich hilfreiche Informationen über die Projekte sammeln und herausfinden, dass die Thule-Gesellschaft ihr Hauptaugenmerk auf drei Projekte gerichtet hat: Harmagedon, Dream Weaver und Johannes. Das Dream Weaver Projekt wurde erstmalig im Jahre 1942 durchgeführt und beinhaltete die Experimente an unzähligen Menschen, um ihnen die Fähigkeit zu ermöglichen, das Unterbewusstsein ihrer Mitmenschen auszuspionieren und zu manipulieren. Sie werden auch Konstrukteure genannt. Angeführt wurde dieses Projekt von Dr. Hinrich Helmstedter, einem KZ-Arzt. Nach der Niederlage Deutschlands und dem Tod Hitlers wurde das Projekt unterbrochen, allerdings im Jahre 1952 von den Amerikanern wieder aufgenommen. Die Sowjetunion konzentrierte sich hingegen auf die Erforschung der Dream Weaver und die Erschaffung eines solchen Wesens. Sämtliche Versuche schlugen fehl, weshalb das Projekt schließlich abgebrochen wurde. Voriges Jahr führte eine Splittergruppe der New England Society for Psychic Research, oder auch kurz N.E.S.P.R. ein Projekt durch, welches sie Harmagedon nannten. Ziel war es, die Energie sämtlicher Nekromanten zu bündeln und sie sowie auch Sallys zu absorbieren und für ihre Zwecke zu benutzen. Aus den Forschungsunterlagen, die Johnny und ich in einem Versteck dieser Organisation gefunden haben, geht hervor, dass diese Splittergruppe Kontakt zu Thule hat und offenbar auf deren Befehl dieses Experiment ausgeführt hat.“

„Moment mal“, rief Sally, als sie das hörte und sofort sprang sie auf. „Soll das heißen, dass Dathans Vater für diese Organisation gearbeitet hat?“ Harvey sah sie mit seinen tiefgrünen Augen an und nickte stumm, bevor er fortfuhr. „Beide Projekte konnten erfolgreich gestoppt werden, allerdings hat Thule immer noch ein Projekt laufen und dieses ist wohl das Gefährlichste von allen: Das Johannesprojekt. Wenn Thule schafft, es auszuführen, würde dies den Tod von mindestens drei bis vier Milliarden Menschen bedeuten.“ Thomas’ Miene wurde so düster, dass man schon Angst vor ihm bekommen konnte. Vincent hingegen schüttelte fassungslos den Kopf und wandte sich an Anthony, der den Anschein machte, als verwundere ihn dies nicht sonderlich. Immerhin hatte er schon Ähnliches bereits von seinem Bruder gehört. Die heftigste Reaktion zeigte Sally, die aussah, als hätte sie einen Geist gesehen. Christine selbst verzog nicht eine Miene, sondern wartete geduldig. Schließlich aber fragte Vincent „Und was genau beinhaltet das Johannesprojekt?“

„Kennt jemand von euch die Offenbarung des Johannes?“ Hier mussten sie überlegen, da meldete sich Sally zu Wort, die in ihrer damaligen Zeit streng religiös erzogen wurde. „Die Offenbarung berichtet über den Zerfall der Gesellschaft, den Beginn der Apokalypse und den unheiligen Krieg zwischen Himmel und Hölle. Nach Johannes soll die Apokalypse ausgelöst werden, indem die sieben Siegel eines Buches geöffnet werden und damit Tod und Zerstörung bringen.“ Tolle Aussichten, dachte Anthony, der überhaupt keine Kenntnisse in Sachen Bibel besaß. Nun gut, er kannte zumindest die wichtigsten Dinge aus dem neuen Testament, aber das war es auch schon. Mit Vincent verhielt es sich genauso und Thomas kannte überhaupt nichts aus der Bibel, weil er Glauben und Religion strikt ablehnte und es einen ausgemachten Schwachsinn nannte. Harvey schien zufrieden mit Sallys Wissen zu sein und fragte weiter. „Und was genau passiert bei den sieben Siegeln?“ Hier musste die Nekromantin ihre grauen Zellen anstrengen, um ihr Wissen wieder wachzurufen. Kein Wunder, denn es war schon 200 Jahre her, seit sie die Bibel das letzte Mal gelesen hatte. „Beim Öffnen des ersten Siegels werden die vier apokalyptischen Reiter auf die Erde losgelassen. Beim fünften Siegel werden die Seelen der Märtyrer sich erheben und Vergeltung für ihren Tod fordern. Öffnet sich das sechste Siegel, wird die Erde beben, die Sonne färbt sich schwarz, der Mond rot wie Blut und die Sterne fallen auf die Erde herab. Ein Zeichen des Weltuntergangs, aber auch als Zeichen für die Errettung der Gerechten. Mit dem siebten Siegel wird das Ende der Welt besiegelt, wenn die sieben Engel mit Posaunen erscheinen.“

„Wirklich gut beschrieben. Und was würdet ihr sagen, wenn ich euch erzähle, dass das Buch mit den sieben Siegeln tatsächlich existiert und die Thule-Gesellschaft hinter diesem Buch her ist?“ Entsetzen auf den Gesichtern, lediglich Christine blieb völlig unbeeindruckt, so als würde sie da nichts Neues hören. Bedrückende Stille herrschte, dann aber begann Sally unsicher zu lachen, als könne sie das gar nicht glauben. „Das… das ist doch ein Witz, oder? Ich meine… das ist doch bloß eine Geschichte…“

„Hinter jeder Geschichte verbirgt sich ein wahrer Kern. Wenn dies wirklich alles nur erfunden oder der Fiebertraum eines Verrückten ist, so erscheint es mir sehr detailliert. Und außerdem gibt es doch eine gewisse Ungereimtheit bei der Sache: Wenn es sich wirklich bloß um kompletten Unsinn handelt, was die Arier und das Buch betrifft, wie kommt es, dass hier jemand unter uns ist, der kein Mensch ist?“ Alle Augen wanderten zu Christine, die sich einen Streifen Pfefferminzkaugummi in den Mund schob und bedächtig zu kauen begann. Ihre Augen ruhten allein auf Harvey und ihr Blick schien sich tief in sein Innerstes zu bohren, aber es war kein Hass darin zu sehen. Nein, es hatte zwar etwas Lauerndes, allerdings war es nicht bösartigen Ursprungs. Harvey fuhr fort. „Ich habe Informationen zu einem Kult gesammelt, der scheinbar nirgendwo einen richtigen Ursprung hat. Weder in Europa, noch in Asien oder Amerika, geschweige denn in Afrika. Einen Namen scheint dieser Kult nicht zu haben, aber er ist der allererste Kult, in welchem von höheren Wesen die Rede ist. Diese sind grundbasierend für die Vorstellung des Menschen von Göttern oder gottähnlichen Wesen.“

„Und worauf baust du deine Theorie auf?“

„Ich habe Psychologie studiert und mich mit der Theologie auseinandergesetzt. Fakt ist, dass die Menschen sich unmöglich etwas vorstellen können, was sie nicht bereits kennen. So basieren ihre Ideen und Fantasien von Fabelwesen und Außerirdischen auf Dingen, die sie kennen. Als Beispiel die blauen Aliens aus Avatar: Menschliche Anatomie, bekannte Farben und eine ähnliche Lebensweise wie die Urwaldindianer. Sie können sich nicht Dinge vorstellen, die nicht auf etwas basieren, was sie nicht schon vorher kennen. Versucht euch, ein Fantasiewesen auszudenken und ihr werdet feststellen, dass es unmöglich ist, es aus völlig neuen Komponenten zu erschaffen, die euer Hirn noch nicht kennt. Wie also ist es uns dann möglich, uns ein allmächtiges Wesen vorzustellen, wenn es nicht auf irgendeiner Vorlage basiert? Und Christine ist hier der lebende Beweis, dass meine Theorie nicht so abwegig ist.“ Daraufhin zog Harvey eine Smith & Wesson und richtete sie auf die Rothaarige. Thomas’ Hand wanderte nun selbst zur Waffe, da er ahnte, was gleich kommen würde, aber Anthony hielt ihn ab. „Wenn ich ihr in den Kopf schieße, wird es sie nicht töten. Seht selbst.“ Ein Schuss wurde abgefeuert und traf Christine mitten in die Stirn. Die Wucht riss sie nach hinten und sie fiel mit dem Stuhl nach hinten. Blut trat aus und doch stand sie wieder auf, wobei sie aber leise stöhnte, sich ein Taschentuch auf die Wunde presste und meckerte „Hey, das tat weh!“

„Ich habe zwar nicht viel über den alten Kult in Erfahrung bringen können, aber so viel weiß ich schon mal: Christine und Johnny gehören diesem Kult an oder zumindest taten sie es und das Buch entstammt ebenfalls diesen Kult. Laut Johnny, der spurlos verschwunden ist, gibt es vier Schlüssel, die diese sieben Siegel öffnen. Und Thule sucht nach diesen Schlüsseln und nach dem Buch. Dieses hat Johnny vor langer Zeit versteckt, als seine Mutter es benutzen wollte, um einen Genozid durchzuführen. Gleichzeitig versteckte er auch die vier Schlüssel und verwischte sämtliche Spuren und tauchte selbst unter. Und diese zwei ersten Projekte stehen in Verbindung zu der Suche nach den vier Schlüsseln und dem Buch.“

„Und inwiefern?“ fragte nun Anthony, der sich von seinem anfänglichen Schock inzwischen erholt hatte. Harvey, der offenbar selbst ziemlich an dieser Geschichte zu knabbern hatte, musste sich selbst erst mal setzen, denn auch er wurde deutlich blasser. „Es ist nur eine Theorie, aber anders kann ich es mir nicht erklären: Johnny versteckte einst die Schlüssel und das Buch, um eine Katastrophe zu verhindern. Kurz darauf entfernte er seine eigenen Erinnerungen an die Standorte, damit man selbst in dem Fall, wenn man ihn gefangen nehmen sollte, nichts in Erfahrung bringen könnte. Aber offenbar gab es mehrere Menschen im Laufe der Jahrhunderte, die mit dem Wissen über das Buch und die Schlüssel zur Welt kamen. Der allererste war der Verfasser des vierten Evangeliums, der Apostel Johannes. Ein zweiter war Papst Urban, der verschlüsselte Hinweise auf die Standorte der vier Schlüssel zurückließ. Der Letzte, der mit dem Wissen um die Standorte geboren wurde, war mein bester Freund Chris Dullahan. Johnny erfuhr davon und löschte seine Erinnerungen, weil Chris bereits ins Visier der Thule-Gesellschaft geraten war. Eigentlich war er sich sicher, dass Chris dadurch sicher wäre, aber dann ließ Thule ihren Einfluss spielen, um die Polizei auf Chris anzusetzen. Er sollte verhaftet werden, doch die Situation eskalierte durch mein Versehen und ich wurde durch einen Kopfschuss ins Koma befördert, Chris starb. Da man aber seine Erinnerungen brauchte, pflanzte man sein Hirn in meinen Kopf. Dieses Experiment wurde von niemand anderem durchgeführt, als von Dr. Hinrich Helmstedter.“ Dieser Name traf Anthony wie ein Blitzschlag und er biss die Zähne zusammen. Schon wieder Hinrich. Schon wieder hatte er irgendwo seine Finger im Spiel gehabt… „Auf diese Weise erhoffte sich Thule, an die Informationen zu kommen, aber sie rechneten nicht damit, dass es zu Komplikationen kommen würde. Zwar habe ich Chris’ Gehirn, aber da es mein Körper ist, kam es zu einem Bewusstseinskonflikt. Ich besitze sozusagen ein primäres und sekundäres Bewusstsein, was auch auf das Unterbewusstsein zutrifft. Mein eigenes Ich ist der primäre Teil. Ich kann auf meine Erinnerungen zugreifen und bin ganz ich selbst. Chris hingegen ist ein sekundäres Bewusstsein, welches trotzdem koexistiert. Deshalb kann ich ihn sehen und hören, obwohl er nicht mehr da ist. Vermutlich sehe ich so etwas wie seinen Geist, der an meinen Körper gebunden ist. Klingt zwar abenteuerlich, aber da Evan Jaeger und Sally Kinsley auch so etwas Ähnliches verkörpern, ist es nicht unmöglich. Da es sozusagen eine Bewusstseinsanomalie ist, weil sich sowohl meine als auch Chris’ persönliche Hirnwellen überlappen, ist es für Konstrukteure nicht möglich, weder mein noch Chris’ Unterbewusstsein zu lesen oder zu verändern. Deshalb war dieses Experiment für Helmstedter ein Fehlschlag gewesen. Aber leider heißt das noch nicht, dass wir damit aus dem Schneider sind. Denn Thule ist im Besitz der Hinweise, die Papst Urban einst hinterließ. Dem zufolge soll sich der erste Schlüssel im Besitz eines Engels befinden und der zweite in den Händen des Teufels. Der Träger des dritten Schlüssels ist eine Hexe und der vierte ist der Schnitter Tod. Und wenn wir das Harmagedon-Projekt mit in Betracht ziehen, wissen wir bereits, wer der vierte Schlüsselträger ist.“ Zuerst sahen sich alle fragend an, bis dann die Aufmerksamkeit auf Sally gelenkt wurde. Diese war über alle Maßen entsetzt und konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Wie bitte? Aber… ich hab doch gar keinen Schlüssel!“

„Es sind keine Schlüssel, wie man sie sich vorstellt. Die Kraft der vier sind die manifestierten Schlüssel. Sally trägt als Nekromantin den vierten Schlüssel in sich und wenn sie das letzte Siegel öffnet, wird sie die Zerstörung der Welt einläuten.“ Das kleine Mädchen begann heftig zu zittern und in ihren Augen sammelten sich Tränen. Sie erinnerte sich an die Worte von Dathans Vater, der gesagt hatte, dass sie ein Kind der Apokalypse war. Schluchzend verbarg sie das Gesicht in den Händen und schließlich war es Christine, die sie tröstete. Auch Harvey sah unglücklich aus, als würde er mit Sally leiden und Anthony sah ihm an, dass er ihr das gerne erspart hätte. Wieder musste er an Christines Worte denken, als sie erzählt hatte, dass Harvey im Grunde ein guter Mensch war. Schließlich aber meldete sich Vincent zu Wort, dem wohl eine Frage auf der Seele lastete. „Und was für eine Rolle spielt Christine?“

„Ich bin der Teufel aus Papst Urbans Aufzeichnungen. Die zweite Schlüsselträgerin und eine ehemalige Anhängerin des Kultes. Und außerdem bin ich Johnnys Mutter.“ Nun war auch Harvey fassungslos, als er das hörte. Zwar hatte er gewusst, dass Christine zum alten Kult gehörte und sicherlich hatte er damit gerechnet, dass sie einen der vier Schlüssel besaß, mit dem sie die Welt ins Chaos stürzen könnte, aber dass sie Johnnys Mutter war, das war ihm neu. Und sie alle erinnerten sich an Harveys Worte: Johnnys Mutter wollte einen Genozid durchführen, genauso wie Helmstedter. Als Christine merkte, was ihnen in dem Moment durch den Kopf schwirrte, lachte sie und erklärte „Versteht das nicht falsch. Ich bin nicht Johnnys leibliche Mutter. Ich hab ihn groß gezogen, nachdem seine richtige ihn verstieß und hab ihm geholfen, den Genozid zu verhindern. Nein, die wahre Schuldige ist Pristine, meine Zwillingsschwester.“

„Dann bist du seine Tante?“ Christine nickte und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, wobei sie die Beine auf den Tisch legte und überkreuzte. „Für das, was ich bin, gibt es keinen bestimmten Begriff oder Namen. Namen spielten für uns nie eine Rolle, deshalb ist es uns auch herzlich egal, wie wir uns nennen oder nennen lassen. Wenn ich mich und Pristine mit der christlichen Religion vergleiche, könnte man tatsächlich von einer Art Teufel-Gott-Verhältnis zueinander sprechen. Im Grunde verkörpern wir das erste und höchste Gesetz allen Seins und leben danach.“

„Und was wäre es?“

„Dass es zu allem ein äquivalentes Gegengewicht gibt. Soll also heißen, dass Pristine mein Licht ist, während ich ihre Dunkelheit bin. Folglich bin ich also der Inbegriff alles Negativen und Bösen in dieser Welt. Und als Träger des zweiten Schlüssels bringe ich den Krieg, Chaos und die Verwüstung ins Land.“ Nun rückten einige mit ihrem Stuhl von ihr weg und Anthony hielt seine Waffe fest umschlossen, obwohl er wusste, dass es nichts gegen Christine bringen würde. Doch dann bemerkte er eine Ungereimtheit, die ihn stutzig machte: „Wenn du tatsächlich so etwas wie der Teufel bist, warum hast du uns geholfen und Johnny damals großgezogen? Ist das nicht ein Widerspruch an sich?“ Dem stimmte Christine zu und ungerührt der Tatsache, dass jeder nun deutliches Misstrauen gegen sie hegte, holte sie eine Dose Bier hervor, öffnete den Verschluss und trank einen Schluck. „Dazu müsst ihr wissen, dass alle Denkweisen, Emotionen und Handlungen von dem anderen abhängig sind. Egal was der eine fühlt, empfindet der andere das Gegenteil. Vor Johnnys Geburt waren unsere Rollen klar verteilt. Ich wollte alles zerstören und ins Chaos stürzen und ging darin voll auf. Im abgrundtiefen Hass gegen meine Schwester versuchte ich immer wieder, sie zu töten, während sie für Frieden und Ordnung kämpfte und mich trotz allem liebte. Hierbei möchte ich aber schon mal deutlich sagen, dass Pristines Ansichten schon damals radikal waren. Sie unterteilte streng in schwarz und weiß, grau war für sie unvorstellbar und sie hasste schon damals Kompromisse. Deshalb waren so etwas wie Mischlinge in ihren Augen Schandflecke, die es zu vertilgen galt. Mir hingegen war das schon immer scheißegal gewesen. Schließlich wollte Pristine in ihrem Bestreben nach einer vollkommen reinen Welt einen Nachkommen zeugen, der sie unterstützen und ihren Kampf fortführen sollte. Aber leider kam es, etwas überspitzt ausgedrückt, zum absoluten Super-GAU für sie. Denn das Kind besaß sowohl gute als auch negative Seiten und hatte somit etwas von mir, als auch von ihr. Johnny war damit das Bindeglied zwischen uns beiden und damit einer dieser Mischlinge, die sie über alle Maßen verachtete. Wenn ich sie mit einer geistesgestörten Zwangsneurotikerin vergleiche, kommt das ganz gut hin. Jedenfalls wollte sie diesen Schandfleck loswerden und Johnny töten. Sie hat ihn abgrundtief gehasst.“ Sally musste in dem Moment an ihren leiblichen Vater denken, der sie auch gehasst hatte, weil ihre richtige Mutter die Geburt nicht überlebt hatte. Auch er hatte versucht, sie umzubringen und so konnte sie auch gut nachvollziehen, wie es Johnny gehen musste. Christine nahm noch einen Schluck und erzählte weiter. „Als ich das erfahren habe, hab ich den Kleinen kurzerhand mitgenommen, versteckt und aufgezogen. Ich hab ihn wie mein eigenes Kind geliebt. Natürlich aus dem einfachen Grunde, weil ich mich immer im krassen Gegensatz zu meiner Schwester verhalte, wenn auch ungewollt. Aber wäre dem nicht so gewesen, dann hätte Johnny keine zwölf Stunden überlebt und wenn wir uns nicht gegensätzlich verhalten würden, wäre das Gleichgewicht gestört. Was wir aber beide nicht ahnten war, dass Johnny mehr veränderte, als uns eigentlich bewusst war. Denn weil ich zum ersten Mal in meinem Leben richtige Liebe für jemanden empfand, begann ich über mein bisheriges Leben nachzudenken. Ich fing an, mich selbst und all mein Handeln in Frage zu stellen und geriet in Zweifel. Und als ich beobachtete, wie meine Schwester in ihrer Denkweise immer grausamer und radikaler wurde und sogar damit begann, Mischlinge aller Art zu jagen und zu töten, wurde mir klar, dass etwas geschehen musste. Also stellte ich sie zur Rede und erfuhr, dass sie vorhatte, das Buch zu benutzen, um einen Genozid einzuleiten. Damit wollte sie eine vollkommen reine Welt zu erschaffen, in der es nur schwarz und weiß gibt. So wurde Gott in seinem radikalen Denken selbst zum Teufel. Und ich, die sozusagen den Teufel verkörperte, wurde zu Gott, um das Gleichgewicht zu bewahren und eine Katastrophe zu verhindern. Johnny wurde gefangen genommen und beinahe umgebracht, ich konnte ihn aber befreien und zwischen mir und Pristine kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, bei der sprichwörtlich die Fetzen flogen. Währenddessen nutzte Johnny das Chaos, um unbemerkt die Schlüssel und das Buch zu verstecken. Hätte er es nicht getan, wäre die Welt früher oder später mit Pauken und Trompeten untergegangen.“

„Hat er dir wenigstens nicht gesagt, wo sich die Schlüssel und das Buch befinden?“ fragte Thomas schließlich, der als Einziger bislang noch gar nichts gesagt hatte. Christine schüttelte den Kopf. „Nein, dazu hatte er auch gute Gründe. Vergesst nicht, dass Pristine und ich das jeweilige Gegenteil verkörpern. Sollte Pristine also ihre Meinung ändern, werde ich automatisch versuchen, das Buch für ähnliche Zwecke zu missbrauchen und deshalb kann Johnny weder mir, noch seiner Mutter vertrauen.“

„Wenn du also weißt, wer der zweite und vierte Schlüsselträger ist, müsste Pristine den ersten und dritten kennen, oder?“ Wieder musste Christine lachen, als hätte Harvey einen Witz erzählt. „Nun mal langsam mit den jungen Pferden. Nur weil ich das Gegenteil von meiner Schwester bin, heißt das nicht, dass das auch unser Wissen beeinträchtigt. Nein, es sind lediglich die Charaktereigenschaften und Denkweisen. Auch unsere Fähigkeiten beeinflusst das nicht, denn obwohl ich auf die Seite der Guten übergewechselt bin, reicht meine Kraft trotzdem dafür, die Welt niederzubrennen und die Meere in einen Strom aus Blut zu verwandeln. Aber wie gesagt: Da Pristine auf diesem total bescheuerten Rassentrennungstrip ist, bin ich auf eurer Seite und werde euch helfen, Thule so richtig in den Arsch zu treten. Und außerdem…“ hier machte sie eine kurze Pause und wirkte nun nicht mehr so ruhig und gelassen, sondern eher etwas bedrückt, „…mache ich mir Sorgen um Johnny.“

„Ja, denn es steht zur Befürchtung, dass Pristine ihn entführt hat und nun versucht, aus ihm die Informationen herauszubekommen, wo er das Buch und die vier Schlüssel versteckt hat. Ich weiß nicht, wie lange er das noch schafft und wie lange sie ihn noch am Leben lassen wird…“

„Schön und gut“, sagte Anthony nach einer Weile. „Aber nach alledem, was wir nun wissen, stellt sich die Frage, ob wir dir wirklich vertrauen können.“

„Ich vertraue ihr“, rief Sally sofort, als würde nun darüber abgestimmt werden, ob Christine wirklich vertrauenswürdig war. Thomas enthielt sich seines Urteils und Vincent, der um ihre guten Absichten wusste, stellte sich auf Sallys Seite. Nun aber sprach Harvey. „Es stimmt schon, dass Christine momentan unsere Verbündete ist und sie gute Absichten hegt, auch wenn sie eigentlich das wahre Böse ist. Aber das bedeutet nicht, dass wir ihr blind vertrauen dürfen. Sollte nämlich der Fall eintreten, dass Pristine ihre Ansichten ändert, dann wird es Christine sein, vor der wir uns in Acht nehmen sollten.“

„So sieht es aus“, bestätigte Christine und drückte die nun leere Bierdose mit einer Hand komplett zusammen, sodass von ihr kaum noch etwas übrig blieb. „Ihr tätet gut daran, niemals leichtsinnig jemandem zu vertrauen, besonders nicht mir und Pristine. Aber da sie schon immer so radikale Ansichten hatte, wird sich da sicherlich nicht so schnell irgendetwas ändern. Und weil sie Johnny aufs Tiefste verachtet, glaube ich kaum, dass sie überhaupt jemals so etwas wie mütterliche Gefühle für ihn entwickeln und von ihren Plänen ablassen wird.“ Wieder Schweigen und alle sahen sich unsicher an. Dann wagte Vincent noch eine Frage. „Kann es vielleicht sein, dass die in weiß gekleidete Frau, die ich in Anthonys Haus gesehen habe, Pristine war?“

„Jep, das war sie. Und ich muss bedauern, dir sagen zu müssen, Anthony, dass meine werte Zwillingsschwester dein Haus ganz schön auseinander genommen hat… Tut mir wirklich Leid.“

„Nun, wie dem auch sei“, sagte Harvey schließlich. „Da die meisten noch ziemlich erschöpft von den Erlebnissen bezüglich des Dream Weaver Projektes sind, werden wir erst einmal eine Pause einlegen und Kräfte sammeln. Außerdem muss unbedingt besprochen werden, wer alles an dieser letzten Mission teilnehmen wird und was wir zum Schutz für Hannah Ackermann und ihrem Sohn Noah tun können.“ Das war auch ganz im Interesse der anderen und so wurde die Versammlung beendet. Thomas ging zurück zu Hannah, denn die Nachricht, dass Christines Zwillingsschwester hinter ihr her war, machte ihm doch Sorgen. Sally war müde und wollte sich ausruhen, außerdem musste sie noch mit ihrer Familie telefonieren und Bescheid sagen, dass sie noch nicht nach Hause kommen konnte. Vincent und Anthony gingen ins Hotel in der Nähe des Krankenhauses, wo sie zusammen mit Sally, Viola und Evan wohnten. Bevor sie aber ins Hotel gingen, setzten sie sich draußen auf eine Mauer, da Vincent nach der ganzen Sache dringend eine Zigarette rauchen musste. Die Stimmung war als demotiviert und hoffnungslos zu beschreiben. „Das wird immer schlimmer, hab ich langsam das Gefühl“, seufzte Vincent niedergeschlagen und blies einen Rauchkringel aus. „Ich hatte echt gehofft, dass mit Helmstedters Tod der ganze Alptraum vorbei ist. Der war ja schon schlimm genug, weil er nicht nur Konstrukteur, sondern auch Nekromant war. Und jetzt haben wir es mit Wesen zu tun, die wir nicht töten können. Was kommt wohl danach?“

„Sehen wir es doch mal so: Wenn wir es tatsächlich schaffen sollten, dieser Thule-Gesellschaft das Handwerk zu legen, dann haben wir den ganzen Scheiß endlich hinter uns. Christine scheint zumindest zuversichtlich zu sein und da dieser Johnny ganze Arbeit geleistet hat, sowohl das Buch als auch die Schlüssel zu verstecken, besteht eigentlich ein relativ geringes Risiko, dass wir einen Weltuntergang fürchten müssen.“

Nun nahm sich auch Anthony eine Zigarette und zündete sie sich an. „Fakt ist, dass wir auf Christine angewiesen sind und Sally werden wir wahrscheinlich auch brauchen. Aber dieser Harvey ist mir ein einziges Rätsel. Schön und gut, dass er seinen toten Freund rächen will, aber er verhält sich irgendwie seltsam. Ich meine, er schien nicht einmal Angst vor Sally oder unseren Fähigkeiten zu haben.“

„Vielleicht weil es daran liegt, dass er uns einfach als Menschen sieht und nicht als das, zu was wir in der Lage sind. Okay, in gewisser Hinsicht bin ich zu gutgläubig, aber ich denke, dass wir Harvey vertrauen könnten. Er hätte doch locker mit der ganzen Sache an die Öffentlichkeit gehen können, denn immerhin sind wir beide Beweis genug. Aber er hat es verschwiegen und nur uns eingeweiht. Und dass er dir nicht zum Vorwurf macht, dass du mit Helmstedter verwandt warst, scheint auch dafür zu sprechen, dass es ihm egal ist. Und wenn wir es so betrachten, haben wir gar nicht mal so schlechte Karten. Wenn wir Viola, Evan und Amara bei Hannah und Noah lassen, dürfte doch nichts schief gehen. Wenn es brenzlig wird, können sie sich in der Traumdimension verstecken.“

„Stimmt schon irgendwie. Dank Christine konnten wir Mary und Scarecrow Jack töten. Wir haben es geschafft, diesem Belphegor und meinem Halbbruder den Garaus machen und wir konnten Sally wieder zur Vernunft bringen, als sie Amok gelaufen ist. Ja wir konnten sogar zusammen mit Viola und Sally den Traumfresser im Labyrinth töten. Wir haben so viel erreicht, vielleicht haben wir ja tatsächlich eine Chance, diesen allerletzten Kampf zu gewinnen.“ Vincent nickte und sie schwiegen eine Weile, dann aber musste der Einäugige schmunzeln. Anthony fragte verwundert, was er so lustig fand und da erklärte sein bester Freund. „Es ist diese Ironie, die ich so verrückt finde. Überleg doch mal: Wir kämpfen Seite an Seite mit dem Teufel in Person, um die Welt vor Gott zu retten.“ Nun musste auch Anthony lachen. „Ja… das ist wirklich eine verrückte Ironie.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ehrlich gesagt sind mir mittendrin einfach die Ideen ausgegangen und ich fand einfach kein befriedigendes Ende für Somnia. Alle einfach sterben zu lassen, war auch keine Lösung und so habe ich die CP einfach ruhen lassen und stattdessen mit meiner neuen Figur Harvey the Skinner weitergemacht. Und da kam mir die verrückte Idee, Somnia offen enden zu lassen und eine dritte Fortsetzung zu machen. Und es sollte keine einfache Fortsetzung sein. Sie sollte sowohl Sallys CP Special „The Shattered“ und „Umbra“ und „Somnia“ aufgreifen. So nach dem Motto, dass im dritten Extra alle Fäden zusammenlaufen und sich alle gegen einen gemeinsamen Feind verbünden. Und da ich die Szene im Krankenhaus (wo der Söldner „Lang lebe Thule“ gesagt hat) völlig vergessen habe, kam mir die grandiose Idee, die Thule-Gesellschaft für die nächste Geschichte einzubauen.

Also habe ich Harvey und Johnny einen Auftritt beschert, welche Anthony und Sally bei der Suche nach der Uhr helfen, während sie selbst Nachforschungen betreiben. So habe ich letzten Endes das Ruder wieder rumreißen können und glaube, dass da noch eine echt grandiose Fortsetzung folgen könnte. Hier eine kleine Vorschau auf die Figuren, die ich im dritten Extra auftreten lasse und welche Newcomer hinzukommen:

Sally-Ann Kinsley, Anthony Winter, Vincent Rose, Christine Cunnings, Harvey C. Dahmer, Johnny, Thomas Stadtfeld

Newcomer: Nathaniel Helmstedter, Pristine, Ezra Trigger, Cedric Raven Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück