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Creepypasta Extra: Umbra

Schatten einer Tragödie
von

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Hannahs Verzweiflung

Hannah war nicht imstande, sich gegen Johns Würgegriff zu wehren, da die schrecklichen Töne, die sich in ihrem Kopf abspielten und ihren Verstand verrückt spielen ließen, es ihr unmöglich machten. Sein Griff um ihren Hals wurde unerbittlich fester und ihr wurde bereits schwarz vor Augen, ertönte plötzlich ein Schuss und Hannah fiel zu Boden. Die Töne in ihrem Kopf verstummten und sie schnappte nach Luft. Als sie aufsah, erkannte sie Thomas, der mit einer Waffe auf John zielte. John wandte sich zu ihm um und verzerrte sein schneeweißes Gesicht zu einer breit grinsenden wahnsinnigen Fratze. „Wer wagt es, mein Spiel zu unterbrechen?“ Thomas antwortete nicht darauf, sondern feuerte einen zweiten Schuss ab, der John an der Wange streifte. „Geh von ihr weg, auf der Stelle.“

„Nein, tu es nicht Thomas! Das ist John! Er ist mein Freund.“

„Er hätte dich beinahe erwürgt. Er hätte dich getötet, Hannah.“

„Aber er wollte das doch nicht. John wird dazu gezwungen. Bitte, du darfst ihn nicht töten.“ Thomas steckte seine Pistole ein und in dem Moment griff John ihn an. Die beiden lieferten sich einen unerbittlichen Kampf, bei dem John alles daran setzte, Thomas zu töten, während dieser lediglich versuchte, ihn außer Gefecht zu setzen, da John Hannah sehr wichtig war und er ihre Gefühle nicht verletzen wollte. Doch die Tatsache, dass er diesen außer Kontrolle geratenen Engländer nicht einfach so töten konnte (was für ihn überhaupt kein Problem dargestellt hätte), war er stark in seinem Handeln eingeschränkt und darum auch im Nachteil, wie sich schnell herausstellen sollte. John warf ihn durch die Küche, trat ihn zu Boden und versuchte, ihm das Genick zu brechen. Hannah kauerte zitternd in der Ecke und konnte nicht fassen, was aus John geworden war. Er war nicht mehr er selbst, sondern nur noch ein Monster. „John, bitte hör auf. Lass ihn in Ruhe!!!“ Aber er hörte sie nicht mehr. Der letzte Rest seiner Persönlichkeit war verschwunden und was da blieb, war ein blutrünstiges Etwas. Hannah sah, wie Thomas immer wieder Schläge einsteckte, wie er versuchte den Angriffen seines Gegners auszuweichen und wie er selbst verletzt wurde. Und das nur, weil er ihr zuliebe John nicht töten wollte. Ihr wurde klar, dass sie ihm helfen musste. Wenn sie nichts tat, würde Thomas noch getötet werden und dann wäre sie wieder ganz alleine auf der Welt. Sie nahm die Pistole wieder auf und zielte auf John, aber sie schaffte es nicht, den Abzug zu betätigen. Ihre Hand zitterte zu sehr und sie fürchtete, dass sie dabei vielleicht Thomas treffen könnte. Nein, sie konnte das nicht tun. Sie konnte nicht schießen…

Weinend senkte sie wieder die Waffe und hasste sich selbst dafür, dass sie so schwach war und nichts unternehmen konnte. Warum nur war sie nicht in der Lage, beide zu retten? Warum nur lief es darauf hinaus, dass entweder Thomas oder John sterben würde? Das war nicht gerecht, das war einfach nicht fair!

Thomas wurde gegen die Küchenzeile geschleudert und fiel zu Boden. Dabei schlug er mit dem Hinterkopf gegen eine Kante und verlor fast das Bewusstsein. Blut floss aus der Wunde und Hannah fürchtete zunächst, er wäre tot, aber er regte sich noch. John lachte und schielte sie beide grinsend an. „Was für ein armseliges Würstchen. Und ich dachte, er wäre ein Profikiller der Stasi.“ Hannah sah abwechselnd zu John und zu Thomas und ihr wurde klar, was gleich geschehen würde, wenn sie jetzt nicht sofort etwas unternahm. Thomas würde sterben und sie gleich als nächstes. Hannah kam auf die Beine, griff zum Messerblock neben dem Herd und bekam eines der großen Küchenmesser zu fassen. Ihre Brust schnürte sich zusammen und die Tränen verwischten ihre Sicht. Verzweiflung überkam sie und sie wünschte sich einfach nur, dass sie dies nicht tun musste und dass John endlich wieder der Alte werden würde. „John… bitte…“ Etwas regte sich in den Augen dieses schielenden Mannes, der sich all die Jahre in ihrer Jugend so aufopferungsvoll um sie gekümmert und ihr wie eine Familie gewesen war. Wie er immer an ihrem Bett gesessen hatte, wenn sie krank war oder ihr etwas auf dem Klavier vorspielte, als er seine Stimme noch nicht wiedergefunden hatte. Als er sie auf dem Rücken getragen hatte, als ihre beiden Beine gebrochen waren und wie er verzweifelt versucht hatte, die sowjetischen Panzer davon abzuhalten, auf sie zu schießen und wie er selbst dabei verletzt wurde. John war immer für sie da gewesen und jetzt war er zu einem Monster geworden. Diese pechschwarzen und unmenschlichen Augen fixierten Hannah, selbst sein schielendes Auge und sie erkannte die Hilflosigkeit in ihnen. Etwas von John war immer noch da und es rief ihr zu „Töte mich!“ Hannah schrie auf, als sie den Griff fest umklammerte und die Klinge in Johns Brust rammte. Sie schrie und weinte, als sie den Menschen tötete, den sie wie einen großen Bruder geliebt hatte. John stöhnte, als sich die Klinge ihren Weg in seinen Körper bahnte und pechschwarzes Blut floss ihm aus dem Mund. Hannah hielt immer noch den Griff der Klinge umklammert und hielt den Blick zu Boden gerichtet, da sie ihm nicht in die Augen sehen konnte. Tränen rannen ihre Wange hinunter, tropften auf den Boden und vermischten sich mit Blut. „Es tut mir Leid… Hannah…“ Ein Arm legte sich tröstend um ihre Schultern und als Hannah aufschaute, sah sie, dass das Monster verschwunden war und John nun wieder der war, den sie kannte. Er sah sie traurig an und strich ihr sanft eine Haarsträhne hinters Ohr. Hannah zog die Klinge aus seiner Brust, hielt ihn fest und versuchte, etwas zu sagen, aber heftige Schluchzer unterbrachen sie. „John, bitte bleib bei mir. Du musst durchhalten, ich rufe einen Arzt und…“

„Nein“, sagte John und würgte einen bedrohlichen Schwall Blut hervor. „Ich kann nicht.“ Er sank zusammen und Hannah versuchte noch, ihn zu stützen, aber sie konnte sein Gewicht nicht halten. John rang nach Luft, er würgte immer mehr Blut hervor und versuchte, sich irgendwo festzuhalten, aber seine Kraft verließ ihn langsam. Sein Blick wanderte zu Thomas. „Bitte pass du an meiner Stelle auf sie auf…“

„Nein John, du musst bei mir bleiben. Bitte!!“ Doch alles Flehen hatte keinen Zweck. Sein Blick wurde leer, sein Herz hörte auf zu schlagen. Er sank tot zu Boden und um ihn herum bildete sich eine pechschwarze Blutpfütze. Thomas beobachtete Hannah schweigend und sah, wie sehr sie der Verlust dieses Mannes schmerzte, der noch vor wenigen Augenblicken versuchte, sie zu töten. Hatte sie John so geliebt wie ihn oder war es etwas anderes? Würde sie auch so bitterlich weinen, wenn er nicht mehr leben würde? Sie hatte John erstochen, nicht um sich selbst zu retten, sondern den Menschen zu schützen, den sie liebte. Sie hatte sich für ihn entschieden und ein großes Opfer gebracht. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er hautnah, wie ein Toter so betrauert wurde und er sich schuldig fühlte. Er fühlte sich vollkommen elend und obwohl er nicht verantwortlich war für das, was da gerade passiert war, so hatte er das Gefühl, dass er allein Schuld an Hannahs Unglück trug.
 

Nachdem sich Hannah beruhigt hatte, übernahm Thomas die Aufgabe, Johns Leiche angemessen zu bestatten. Er wurde neben einem Apfelbaum begraben und er gab Hannah die Zeit, um Abschied zu nehmen. Thomas selbst hielt sich im Abseits und dachte nach. Wenn es dieses Mal John war, wer würde als nächstes Jagd auf Hannah machen? Was, wenn noch mehr Menschen wie er zu Monstern geworden waren und man Hannahs Gefühle ausnutzen wollte, um sie erfolgreich auszuschalten. Für sie musste es ein Alptraum sein und er würde noch schlimmer werden, wenn vielleicht sogar Kinder aus dem Waisenhaus Teil dieser Experimente waren. Nein, das konnte er ihr nicht auch noch zumuten. Hannah musste so schnell wie möglich weg und das am Besten raus aus der DDR. Aber wo war sie denn sicherer? Ja genau, die Bundesrepublik. Wenn sie im Westen wäre, hätte sie den Schutz der Amerikaner auf ihrer Seite, denn denen war es doch mehr als Recht, wenn sie irgendwelche Mittel fanden, die sie gegen die Sowjetunion verwenden konnten. Als er Hannah am nächsten Tag über seine Idee in Kenntnis setzte, sah sie nicht gerade begeistert aus. „Ich soll in den Westen? Aber wie sollen wir das anstellen?“

„Wir reisen nach Berlin. Dort ist es dir möglich, ohne Probleme über die Grenze zu kommen.“

„Und was ist mit dir?“

„Ich werde nachkommen, sobald ich ein paar wichtige Angelegenheiten geregelt habe. Wichtig ist erst einmal, dass du in Sicherheit bist.“

„Was hast du vor?“

„Ich werde die Leute finden, die John zu diesem Monster gemacht haben und sie beseitigen, damit diese Experimente aufhören. Vielleicht seid ihr beiden nicht die Einzigen gewesen, an denen die Sowjets Experimente durchgeführt haben.“ In dem Falle hatte Hannah nichts zu erwidern und sie akzeptierte Thomas’ Entschluss, auch wenn es ihr schwer fiel. Schließlich holte Hannah etwas aus ihrer Tasche, es waren zwei Ringe. Sie hatte alles, was sie entbehren konnte, verkauft und drei Jahre darauf hingespart. Bis jetzt hatte sie ja geschwiegen und diese wichtige Frage nicht gestellt, doch jetzt, da sich ihre Wege für eine unbestimmte Zeit trennen würden, wollte sie es jetzt tun. Zaghaft nahm sie Thomas’ Hand und streifte ihm den einen Ring über den Finger. „Wenn wir uns wieder sehen und die Hoffnung besteht, dass wir ein friedliches Leben führen können, möchte ich, dass wir beide heiraten. Versprichst du es mir?“ Thomas sah sie mit einem seltsamen und nur sehr schwer definierbaren Blick an. Schließlich aber schüttelte er seufzend den Kopf und murmelte „Heiraten… jetzt komm mir nicht mit solchen Kindereien.“

„Ich meine es Ernst“, sagte Hannah und legte sich selbst nun den anderen Ring an. „Ich möchte, dass wir heiraten und eines Tages eine Familie haben. Das ist mein allergrößter Traum.“ Thomas schüttelte wieder den Kopf und sah sie ungläubig an, so als wäre sie verrückt geworden. Aber Hannah sah es an seinen Augen, dass er glücklich war. Ich werde bald heiraten und ein Kind großziehen, vielleicht sogar zwei. Sie hatte sich sogar schon Namen überlegt. Sollte es ein Mädchen sein, würde sie Evangeline heißen und im Falle, dass es ein Junge wurde, würde sie ihn auf den Namen Noah taufen lassen. Nichts auf dieser Welt würde sie davon abbringen, sich ihren einzigen Traum zu erfüllen. Und dieser Ring an ihrem Finger war das wunderbare Versprechen, dass Thomas bald zu ihr zurückkehren und sie zu seiner Frau machen würde.

Die Nacht ging viel zu schnell vorbei und als die Sonne aufging, lagen sie eng umschlungen da und lauschten dem Herzschlag des jeweils anderen. Nachdem sie abreisefertig waren, setzten sie sich ins Auto und fuhren stundenlang durch weite Landschaften und Ortschaften. Hannah schlief zwischendurch immer wieder ein und träumte davon, wie wunderschön ihre Hochzeit werden würde, wenn sie wieder zusammen wären. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte diese Autofahrt nie ein Ende genommen, aber dann erreichten sie schließlich Berlin. Dort kam es jedoch zu einem Zwischenfall. Als sie in einem dichten Gedränge voneinander getrennt wurden, geriet Hannah versehentlich an sowjetische Soldaten, die sie bedrängten und ganz eindeutige Absichten zu haben schienen. Hannah versuchte wegzulaufen, wurde aber festgehalten und in eine Gasse gezerrt. Sie fürchtete schon, dass das Schlimmste eintreten würde, doch da ließen die Soldaten von ihr ab und gingen einfach davon. „Hey Mädchen!“ rief jemand vom Fenster eines Hauses direkt neben der Gasse zu ihr herunter. „Alles in Ordnung bei dir?“

„J… ja.“

Die Stimme bat Hannah, ins Haus zu kommen, da die sowjetischen Soldaten eventuell zurückkommen könnten. Zwar war ihr der Gedanke, zu einem Fremden ins Haus zu kommen, nicht ganz geheuer aber wenn die Soldaten zurückkamen und Thomas immer noch nicht da war, konnte es gefährlich werden. Also ging Hannah ins Haus und fand sich schnell im Dunkeln wieder. Überall im Haus waren die Vorhänge zugezogen und es brannte auch kein Licht. Vorsichtig öffnete sich eine Tür und ein junger Mann von ungefähr 19 Jahren kam auf sie zu. Er war schön, hatte aschblondes Haar und eine vornehme Ausstrahlung. Seine Haut war sehr blass und schon fast schneeweiß. „Du bist aus dem Osten, richtig? Mein Name ist übrigens Anthony Winter.“

„Hannah Ackermann. Woher weißt du, dass ich aus dem Osten bin?“

„Ich hab ein Auge fürs Detail. Du sahst aus, als wärst du auf der Flucht und das nicht nur vor den Soldaten gerade eben. Außerdem flüchten jetzt alle aus dem Osten rüber in den Westen. Oh, wie unhöflich von mir. Ich habe dir ja noch gar nichts angeboten, Hannah. Möchtest du einen Kaffee? Keine Sorge, ich beiße auch nicht.“ Hannah folgte Anthony in die Küche, welche ebenfalls dunkel war, sodass sie kaum etwas erkennen konnte. „Warum ist hier alles so dunkel?“

„Ich leide an einer seltenen Krankheit. Bei Licht bekomme ich Schmerzen und Ausschläge auf der Haut. Deshalb muss ich alles hier dunkel halten. Außerdem will ich nicht, dass die Amerikaner mich entdecken.“

„Du versteckst dich vor den Amerikanern?“

Anthony reichte ihr einen Kaffee und erwies sich als ein sehr zuvorkommender Gastgeber. Er fragte Hannah nach dem Grund ihrer Flucht und sie erzählte ihm, was ihr passiert war. Hier wurde er ernst und sagte nach einiger Zeit des Schweigens „Das habe ich schon fast befürchtet, dass es auch im Osten dazu kommen würde.“

„Was meinst du damit?“

„Auch die Amis haben hier Experimente an Menschen durchgeführt. Was genau haben sie mit dir gemacht?“

„Sie haben mich im Krankenhaus festgehalten und unter Drogen gesetzt, damit ich nicht weglaufe. Außerdem haben sie mir so ein merkwürdiges Mittel gespritzt. Ich weiß nicht, was das war, aber es hat aus John, einem Freund von mir, ein Monster gemacht.“ Anthony dachte eine Weile nach, sagte aber nichts weiter dazu und riet Hannah dazu, sich besser versteckt zu halten, denn den Amerikanern sei ebenfalls nicht zu trauen. Er erklärte, dass Deutschland zwar momentan raus aus der Nummer mit dem Sündenbock des zweiten Weltkrieges war, jedoch sei dieser Friede nur eine Farce. In Wahrheit war Deutschland nun zum Spielball zweier Supermächte geworden und Berlin sei der momentane Kernpunkt des Konfliktes. „Beiden Seiten ist es egal, welche Mittel eingesetzt werden müssen, um den anderen in die Knie zu zwingen. Und da Deutschland sowieso total verkackt hat als ehemaliger Nazistaat, ist es für sie auch nicht weiter tragisch, wenn ein paar von denen zu Tode kommen. Du bist da in eine sehr gefährliche Sache hineingeraten, Hannah. Die Sowjets werden nichts unversucht lassen, diese Experimente zu vertuschen und die Beteiligten zu beseitigen. Wir sind beide Leidensgenossen. Die Amerikaner haben an mir und einigen anderen auch Experimente durchgeführt. Sie haben die Unterlagen eines KZ-Arztes gefunden, einem gewissen Dr. Helmstedter. Im Grunde führen die Amerikaner die Naziexperimente weiter fort, obwohl sie uns die Freiheit versprochen hatten. Sie wollen diese Forschungen im Kampf gegen die Sowjetunion einsetzen. Und diese hat offenbar auch seltsame Projekte am Laufen, um zum Schlag gegen die USA auszuholen.“

„Oh Gott, was soll ich bloß tun?“

„Wenn du willst, kannst du gerne hier bleiben und dich hier verstecken, bis einigermaßen Gras über die Sache gewachsen ist. Wenn du wirklich in einen Versuchsskandal geraten bist, wäre es äußerst gefährlich, sich hier einfach so in Berlin herumzutreiben.“ Hannah war sich nicht sicher, ob sie das Angebot annehmen sollte und wollte erst einmal nach Thomas suchen gehen. Dieser traf wenig später bei Anthony ein und erfuhr von seinem Angebot. Misstrauisch beäugten sich beide Männer und schwiegen sich an. Hannah sah beide abwechselnd an und fürchtete, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen könnten, weil sie sich so finster anstarrten und kein Wort sagten. Dann aber, als das Anstarren und Schweigen kein Ende nahm, kam ihr langsam der Gedanke, dass hier vielleicht eine Art telepathischer Gedankenaustausch stattfand und jeder den anderen prüfte, ob ihm wirklich zu trauen war. Und so etwas in der Art fand tatsächlich statt, ohne dass Hannah etwas davon mitbekam. Denn sowohl Anthony als auch Thomas waren Konstrukteure und damit in der Lage, in den Erinnerungen des anderen zu lesen, wenn dies zugelassen wurde. Anthony offenbarte Thomas seine Vergangenheit und Thomas seinerseits verriet ihm, dass er im selben Konzentrationslager wie Mary Lane Teil der Dream Weaver Experimente war und sie beide somit zum gleichen Schlag gehörten. Da der ehemalige Stasi-Beamte nun erfahren hatte, dass Anthony die gleichen Probleme wie Hannah hatte und er ausschließlich gute Absichten hegte, willigte er in das Angebot ein. Er gab sein Einverständnis und so war beschlossen worden, dass Hannah von nun an bei Anthony bleiben würde, bis Thomas zurückkehren würde. Die Verlobten nahmen voneinander Abschied und dann verschwand Thomas. Von nun an wohnte Hannah bei Anthony und sie beide freundeten sich sehr schnell an. Dabei war es vor allem Hannahs sanftes und harmoniebedürftiges Wesen, das den Einstieg erleichterte. Sie lebte sich sehr schnell ein und half, wo es nur ging, solange es ihre Gesundheit zuließ, denn um die stand es in der letzten Zeit nicht immer gut. Erschöpfung und häufige Übelkeit waren oft bei ihr zu bemerken gewesen und der Verdacht eines kleinen Infektes stand im Raum. Anthony war ein Gentleman, der ihr stets mit Rat und Tat zur Seite stand, doch ihr entging durchaus nicht, dass er sich zu freundlich um sie kümmerte. Dieser kleine Verdacht bewahrheitete sich tatsächlich schon nach einem Monat, als Anthony ihr seine Liebe gestand. Sie war sehr gerührt darüber, nahm dann seine Hand fest in die ihren und sagte ihm „Das ist wirklich sehr lieb von dir, aber mein Herz gehört schon jemandem. Ich bin dir wirklich sehr dankbar für alles und ich fände es unendlich schade, wenn genau das zwischen uns stehen würde. Deshalb hoffe ich, dass wir zumindest Freunde bleiben könnten.“ Anthony war einverstanden und so hatte man sich auf eine gute Freundschaft geeinigt, aber trotzdem konnte er seine Gefühle für Hannah nie wirklich vergessen.

Eines Tages geschah es dann, dass Hannah von einer so starken Übelkeit gepackt wurde, dass sie sich mehrmals erbrechen musste und sie daraufhin einen Arzt aufsuchte, der ihr dann die Mitteilung machte, dass sie im dritten Monat schwanger sei. Ach, Hannah kam gar nicht mehr aus den Freudentränen heraus, als sie davon erfuhr und sofort eilte sie zurück zu Anthony, um ihm die Nachricht mitzuteilen. Sie sprach dabei so hastig und durcheinander, dass sie es noch mal wiederholen musste, damit er es richtig verstand. „Schwanger? Im dritten Monat sagst du?“

„Ja, ist das nicht toll? Endlich werde ich eine Familie haben und Thomas und ich werden heiraten. Ich kann es nicht glauben, mein größter Traum von einer Familie wird endlich wahr.“ Sie war so überglücklich, dass sie wieder zu weinen begann und Anthony freute sich natürlich mit für sie, auch wenn er insgeheim der Meinung war, Hannah sei noch zu jung für ein Kind. Von da an begann die 18-jährige intensiv damit, sich auf ihre bevorstehende Mutterrolle vorzubereiten und Pläne zu schmieden. Sie konnte an nichts anderes denken, über nichts anderes mehr sprechen. Doch es blieb nicht unbemerkt, dass sie etwas schwächer wurde und sich oft ausruhen musste. Anthony riet ihr, kürzer zu treten und als es draußen dunkel wurde, ging er zur Apotheke, um Mittelchen aufzutreiben, die vielleicht ihrer Gesundheit helfen konnten. Der Schlag traf ihn, als er zurückkehrte und das ganze Haus verwüstet war. Möbel waren umgerissen, ein blutiges Messer lag auf dem Küchenboden und von Hannah fehlte jede Spur. Dafür fand er ihren Verlobten, der sich gerade umsah. „Was ist passiert? Wo ist Hannah?“ fragte Anthony und dachte zuerst, dass Thomas etwas damit zu tun haben könnte, doch dieser starrte nur auf das blutige Messer. „Sie haben sie mitgenommen.“

„Wer denn?“

„Die Agenten der Stasi. Offenbar haben sie Hannahs Spur wieder aufgenommen, sie hier im Haus überfallen und dann verschleppt. Und so wie es aussieht, hatte Hannah erheblichen Widerstand geleistet und sie mit dem Messer angegriffen, bevor sie weggebracht wurde.“

„Scheiße… und was denkst du? Besteht noch eine Chance, dass sie am Leben ist?“

„Wenn sie sie töten wollten, hätten sie es hier getan. Nein, ich vermute, sie haben Hannah in eine Einrichtung gebracht, um die Experimente fortzusetzen. Jetzt gilt es nur noch, diese Einrichtung zu finden. Dazu brauche ich deine Hilfe als Konstrukteur.“

„Okay. Dann machen wir uns sofort auf den Weg.“ Sie gingen bei ihrer Suche strategisch und gezielt vor. Da Thomas nicht in der Lage war, seine Fähigkeiten der Unterbewusstseinskontrolle bei anderen einzusetzen, war er auf Anthony angewiesen. Und auch wenn die beiden schon vom ersten Augenblick an nicht das beste Verhältnis zueinander hatten, so verband sie doch ihre gemeinsame Sorge um Hannah. Sie fanden das Institut, in denen die illegalen Experimente durchgeführt wurden und wo es noch mehr Gefangene außer Hannah gab. Während Anthony mit der Aufgabe betraut wurde, die anderen zu befreien, machte sich sein Begleiter alleine auf die Suche nach Hannah. Dabei ahnte niemand, was für eine Tragödie sich dabei entwickeln sollte. Denn als Hannah nämlich von den Agenten überfallen und in dieses Institut verschleppt worden war, kam sie in Kontakt mit einem Arzt, der sich ihr als Dr. Hagenström vorstellte. Hannah war in ihrer Zelle an Ketten gefesselt und rechnete mit allem, sogar mit Folter und Tod. „Sie haben uns wirklich lange auf Trab gehalten, Hannah. Drei Jahre haben wir nach Ihnen gesucht und wie ich sehe, sind Sie unverändert geblieben. Wirklich erstaunlich.“

„Was haben Sie mit mir vor? Arbeiten Sie etwa mit diesem Dr. Weinberg zusammen?“

„Zusammenarbeiten würde ich das jetzt nicht nennen. Er führte lediglich unsere Befehle aus.“

„Und was soll das Ganze mit mir? Was habt ihr mit John gemacht?“

„Ein genialer Arzt namens Hinrich Helmstedter hat unzählige Forschungen und Experimente bezüglich des menschlichen Verstandes betrieben und herausgefunden, dass es tatsächlich möglich ist, Traum und Realität zu beeinflussen und den Verstand der Menschen zu beeinflussen oder auszuspionieren. Diese Kraft wollte er auf Menschen übertragen, jedoch konnten seine Forschungen niemals vollendet werden. Die Amerikaner konzentrieren ihre Experimente auf Verstandkontrolle, wir aber wollen die Realität verändern. Sie Hannah, sind der Schlüssel zu unserem Erfolg. Sie sind die einzige Versuchsperson, die es geschafft hat, ihre Kraft zu unterdrücken, ohne von ihr beherrscht zu werden, so wie Ihr Freund John. Alle anderen entwickelten Mutationen, verloren den Verstand, oder starben nach wenigen Monaten. Sie haben es paradoxerweise als Einzige geschafft, obwohl Ihre Gesundheit äußerst mangelhaft ist und wir Ihnen allerhöchstens zwei Wochen gegeben haben. Nur leider besteht jetzt die Gefahr, dass uns nun unsere größte Trumpfkarte verloren geht und deswegen mussten wir Sie hierher bringen, damit wir den Eingriff vornehmen können.“ Hannah wurde bleich vor Schreck, als sie das hörte und ihr Herz begann schneller zu schlagen. „Ein… Eingriff? Was meinen Sie damit?“

„Sie haben ein sehr schwaches Herz und nicht nur Ihr Herz, sondern Ihre ganze Gesundheit steht auf dem Spiel. Können Sie sich vorstellen, was der Grund dafür ist? Ich will es Ihnen sagen: Das Kind, welches Sie austragen, zehrt Sie vollständig aus. Ihr Körper baut immer weiter ab, da dieses Baby Sie wie ein Parasit krank macht und schwächt. Wir müssen Ihnen den Embryo entfernen, sonst werden Sie daran zugrunde gehen.“

„Sie… Sie wollen mir mein Kind nehmen?“

„Entweder das Kind, oder Sie werden sterben. Das ist leider Tatsache. Wenn Sie sich dazu entscheiden, das Kind zur Welt zu bringen, werden Sie das nicht überleben. Im Prinzip dürften Sie eigentlich niemals Kinder bekommen.“ Hannah konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sie durfte keine Kinder zur Welt bringen, weil sie sonst sterben würde? Nur weil ihre verdammte Mutter vor 18 Jahren versucht hatte, sie abzutreiben, konnte sie keine eigene Familie gründen? Was war das denn für eine Gerechtigkeit? Mit welchem Recht wollte man ihr jetzt auch noch ihre letzte Hoffnung nehmen? Ihr Kind wuchs doch gerade so gut heran und sie konnte seine ersten Regungen spüren. Es war ein Teil von ihr und sie war so nah daran, sich ihren einzigen bescheidenen Traum zu erfüllen und zusammen mit Thomas glücklich zu werden. Und jetzt erfuhr sie, dass sie die Geburt des Kindes, auf das sie so sehr gehofft hatte, nicht überleben würde. Das konnte einfach nicht sein. Der Doktor war verstummt und begann seine medizinischen Werkzeuge auszubreiten. „Sie sollten nicht versuchen, sich zu wehren. Wir wollen doch nicht, dass Sie allzu sehr verletzt werden.“

„Nein!“ schrie Hannah und trat nach dem Arzt. „Ihr werdet mir mein Kind nicht nehmen, das lasse ich nicht zu. Ich lasse nicht zu, dass ihr mein Kind tötet!!!“ Etwas in ihrem Kopf hatte sich ausgeschaltet und nun begann sie wie eine Verrückte zu toben. Die nackte Verzweiflung sprach aus ihr, als sie schrie und jeden von sich stieß, der ihr zu nahe kam. Sie wollte es einfach nicht akzeptieren, dass ihr selbst dieses kleine Glück verwehrt bleiben sollte und dass ihre einzige Chance, zu überleben, darin bestand, ihr Kind zu töten. Das wollte sie einfach nicht hinnehmen und sich mit aller Macht dagegen wehren. Zwei uniformierte Wachen kamen herbei und begannen auf die tobende Hannah einzuprügeln. Sie schlugen ihr ins Gesicht und traten ihr in den Bauch und in den Unterleib. Vor Schmerz wimmernd krümmte sich die Schwangere zusammen. Ein Strom von Tränen floss ihre zerschundenen Wangen hinunter und Verzweiflung übermannte sie. Sie konnte es nicht mehr spüren… sie konnte ihr Kind nicht mehr spüren. Sonst hatte sie immer spüren können, wie sein kleines Herzchen schlug und es sich bewegte. Aber jetzt war nichts mehr. Es musste die Tritte nicht überlebt haben. Nun wich auch die allerletzte Hoffnung in ihr und damit ihre letzte Widerstandskraft. Der Stich in ihrem Herzen wurde zu einem rasenden Schmerz in ihrer Brust und schnürte ihr die Kehle zu und explodierte förmlich. Ihr war, als würde sie innerlich zerquetscht werden Sie schrie auf, da er nicht mehr zu ertragen war und in Krämpfen begann sie sich zu winden. Ihre Augen verdrehten sich in den Höhlen und ein entsetzliches Dröhnen ertönte in ihrem Kopf. „Das ist nicht gut. Haltet Sie fest, ich muss ihr eine Beruhigungsspritze geben.“ Die Wachen nahmen Hannah die Fesseln ab, um sie besser festhalten zu können, doch bevor der Doktor dazu kam, ihr die Spritze zu geben wurde die Tür aufgestoßen und Thomas kam herein. Sofort erschoss er die beiden Wachen und die Ärzte und eilte zu Hannah, um ihr zu helfen. Dabei sah er, wie sie sich immer mehr veränderte. Ihre Augen wurden pechschwarz, genauso wie ihr Haar und die kleinen Finger begannen, mit den Ringfingern zusammenzuwachsen und länger zu werden. Ihre Haut verfärbte sich und auch ihre Extremitäten wurden länger und dürrer. Voller Angst sah sie Thomas an und streckte ihre Hand nach ihm aus. „Hilf mir…“, brachte sie gequält hervor und versuchte, auf ihn zuzukriechen, doch ihr Körper gehorchte ihr kaum noch. Sie sah, was mit ihr passierte und wusste, was das bedeutete: sie wurde zu einem Monster wie John. „Thomas, bitte hilf mir…“ Aber er war wie erstarrt. Er wusste nicht, was er tun konnte, um diesen schrecklichen Prozess aufzuhalten. Hilflos und zur Untätigkeit verdammt sah er mit an, wie Hannahs ganzes Gesicht in eine pechschwarze Leere verwandelt wurde, die von einer Kapuze bedeckt wurde. Entsetzt wich er zurück und konnte nicht fassen, was mit ihr passierte. Er richtete instinktiv die Waffe auf sie oder besser gesagt auf dieses Ding, doch er brachte es nicht fertig, sie zu töten. Noch nie in seinem Leben hatte er Probleme damit gehabt, Menschen zu töten und es war ihm auch meist egal gewesen. Befehl war ja Befehl. Aber Hannah konnte er einfach nicht töten. Dazu liebte er sie einfach zu sehr. „Hannah, komm zu dir. Ich will dich nicht töten!“ Doch sie war nicht mehr sie selbst. Sie stürzte auf ihn zu und wollte ihn zu sich zerren, um ihn zu verschlingen, doch Thomas stieß sie von sich und Hannah oder besser gesagt dieses Ding stürzte zu Boden. Es hatte keinen Sinn, Hannah Ackermann existierte nicht mehr… sie war für immer fort. Der Ex-Stasi eilte zur Tür, drehte sich noch einmal um und sah, wie das Wesen sich wieder aufrichtete und langsam auf ihn zukam. „Bitte verzeih mir Hannah…“ Damit verriegelte er die Zellentür und ließ die Kreatur, die einst seine Verlobte gewesen war, zurück.



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