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October to May

Intermezzo With A Stranger
von

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Hideaway

18. März …
 

„Tschüss, Wohnung“, sagte ich wehmütig, als ich gegen halb elf vormittags zum letzten Mal die Tür zu den Räumen schloss, die ich in den vergangen fünf Jahren mein Reich genannt hatte. Sie so leer und kahl daliegen zu sehen, war ein noch seltsameres Gefühl als das, mit dem ich meine Abschlussarbeit abgegeben hatte.

Ich hatte gerade noch einmal alles ordentlich durchgefegt und geschaut, ob auch nichts mehr von meinen Sachen da war. Lediglich ein Zettel klebte am Kühlschrank, auf dem ich für den Nachmieter meine aktuelle Adresse notiert hatte, zusammen mit der Bitte, mir verirrte Post, die der Nachsendeauftrag vielleicht nicht erwischte, zuzuschicken.

Dann brachte ich den Besen und die Kehrschaufel, die mir einer meiner Nachbarn … nein, nun ehemaligen Nachbarn, geliehen hatte, zurück, verabschiedete mich von ihm besonders höflich und wünschte ihm noch viel Erfolg, obwohl ich mit dem Kerl in meiner gesamten Studienzeit vielleicht fünf Worte gewechselt hatte. Ja ja, die Wehmut.

Anschließend ging es dann zum Hausmeister, um bei ihm schlussendlich die Schlüssel loszuwerden. Eigentlich hatte er die Wohnung schon vor einer Stunde abgenommen, aber eben auch bemängelt, dass es noch zu staubig war und ich das so nicht lassen konnte. Er war ein bisschen schlecht gelaunt, weil ich ihn mit meiner Kehrerei länger aufgehalten hatte als geplant, aber er ließ mich die Papiere unterschreiben, drückte mir meinen Durchschlag in die Hand und jagte mich dann aus seinem Büro. Er hätte noch anderes zu erledigen, als ehemaligen Mietern hinterherzurennen, wie er sagte. Auf alle Fälle verriegelte er hinter mir die Tür und schimpfte noch ein bisschen über die heutige Jugend, bis ich nichts mehr von ihm hören konnte.

Tja, und das war es dann. Mir blieb nur noch der Heimweg in meine und Kens neue Wohnung übrig, den ich ein wenig schleppend antrat.
 

„Bin wieder da“, rief ich eine gute halbe Stunde darauf, als ich die Tür hinter mir geschlossen, die Schuhe ausgezogen und mich durch das Kistenchaos im Flur geschlängelt hatte. Eigentlich hätten wir hier auch erst einmal die Hausschuh-Pflicht aussetzen können, denn noch sah es hier aus wie auf einem Schlachtfeld. Es könnte sowieso keiner den Dreck, der von der Straße kam, von dem unterscheiden, den die ganzen Kisten auf seltsame Art und Weise zu verstreuen schienen. Aber Ken und ich hatten uns darauf geeinigt, dass wir das erst gar nicht einreißen lassen würden. Wer wusste schon, wann die letzten Kisten hier verschwanden und ob wir hinterher nicht selbst so bequem wären, dass wir einfach generell mit Straßenschuhen in der Wohnung herumliefen.

„Ken-chan?“, rief ich noch einmal, als ich einige Sekunden später noch immer keine Antwort bekommen hatte. Wo steckte er nur? Auch wenn der Weg bis zu meiner alten Wohnung und wieder zurück schon ein gutes Stückchen war, war ich doch bloß kurz weg gewesen, um die Schlüssel zu übergeben. Und Ken hatte nicht gesagt, dass er heute noch irgendwohin wollte. Er hatte sich die Woche frei genommen, damit wir unsere Wohnung in Ruhe auf Vordermann bringen konnten.

Und wie lange sich das hinauszögern konnte, hatte ich gestern schon gemerkt. Den größten Teil des Tages hatte der Aufbau der Möbel eingenommen, aber danach hatte ich in drei Stunden nur zwei Kisten mit meinem Kram einräumen können, da ich mich immer wieder selbst dabei erwischt hatte, wie ich das Zeug erst ausgiebig begutachtete, ehe ich es verstaute. Ich konnte aber auch nicht unbedingt sagen, dass dies etwas Neues für mich war, denn als ich damals von Wakayama nach Tokyo gezogen war, um zu studieren, hatte ich es fast genauso gemacht.

„Hideto, sortier endlich deine Sachen aus und pack zusammen, was du brauchst!“, hatte meine Mutter mich bestimmt an die tausend Mal an mein eigentliches Vorhaben erinnert, weil ich mir beim Aussortieren viel lieber alte Bilder in Fotoalben und Kisten angesehen oder mit längst vergessenem Plunder herumgespielt hatte. Und als ich einen ganzen Haufen an kleinen Zetteln, die ich mit Tetsu und Ken während des Unterrichts geschrieben hatte, gefunden hatte, war es natürlich noch einmal viel langsamer vorangegangen.

Diesmal hatte ich aufgrund meines akuten Zeitmangels vor dem Umzug allerdings einfach nur alles in ein paar Kartons geworfen, ohne großartig darauf zu achten, was das eigentlich alles war. Die Aufgabe, den ganzen unnötigen Müll auszusondern, hatte ich dabei direkt auf hinterher verschoben, sodass ich eben jetzt mitten in diesem Chaos steckte und man sowohl in unserem Flur als auch in meinem Schlafzimmer vor Umzugskisten kaum treten konnte.
 

Na ja, erst einmal fand ich zumindest heraus, wo Ken steckte, als ich an der Tür zum Bad vorbeikam und Wasser rauschen hörte. Ich wusste nicht, wieso, aber ganz offensichtlich duschte er gerade. Und wenn er das Öfter so machte, dann wäre dies eins der Dinge, an die ich mich würde gewöhnen müssen, da ich jetzt schließlich mit ihm zusammenwohnte.

Ich steuerte dann erst einmal die Küche an, um zu schauen, was Ken eingekauft hatte – denn das hatte er tun wollen, während ich die letzten Dinge bezüglich meiner alten Wohnung erledigte. Wir würden uns schließlich nicht ewig von Tiefkühlkost und Cornflakes ernähren können, die wir mal schnell im Conbini besorgt hatten, weil bis auf ein bisschen Reis und Gewürzen absolut nichts da war.

Und siehe da: Ken hatte Wort gehalten. Die Schränke liefen zwar nicht gerade über, aber ansonsten waren wir ganz gut ausgerüstet, um die nächsten zwei bis drei Tage ohne Fast Food über die Runden zu kommen. Er hatte auch für Getränke gesorgt – sowohl alkoholfreie als auch alkoholische – und die beiden leeren Pizzakartons von gestern Abend steckten zusammengefaltet in einer Plastiktüte, die nur darauf zu warten schien, endlich entsorgt zu werden. Zwar hatten wir auch einen Mülleimer, aber wenn wir die dort hineinstopften, würde der ziemlich schnell voll sein, sodass wir die Kartons auch gleich runterbringen konnten, wenn einer aus dem Haus … na ja, wir beide hätten bisher schon Chancen gehabt, sie zu entsorgen, es aber nicht getan. Das fing ja gut an!

Jedenfalls nahm ich mir einen der frisch gekauften Puddings aus dem Kühlschrank, kramte dazu noch einen Löffel aus der Besteckschublade, die ich wie gestern auch schon erst beim zweiten Anlauf fand, und verzog mich dann damit in mein Zimmer.

Es sah dort drinnen noch ein bisschen kahl und traurig aus, mit den ganzen weißen Wänden und den ungeöffneten Kisten, die überall herumstanden und alles blockierten. Nur mein dunkelblaues Bettzeug gab dem Ganzen ein wenig Farbe – den Rest würde ich hoffentlich heute im Laufe des Nachmittags erledigen können: Bücher ins Regal stellen, den Fernseher anschließen, Bilder und die Pinnwand aufhängen und es allgemein etwas heimeliger gestalten. Meine Couch hatte ja leider Gottes für das Wohnzimmer herhalten müssen, da Kens kurz vor dem Umzug das Zeitliche gesegnet hatte. Im Moment war es aber ganz gut, dass sie dort stand, denn hier hätte sie definitiv nicht mehr hineingepasst und ich war mir auch nicht ganz sicher, ob sie das tun würde, wenn ich aufgeräumt hatte. Wenn ja, dann müssten wir uns etwas überlegen, wenn nein, dann sparten wir uns eine neue für das Wohnzimmer, weil sie dann dort bleiben könnte.

Es würde auf alle Fälle viel Arbeit werden, aber irgendwie war ich trotzdem hochmotiviert, heute so viel wie möglich zu schaffen. Ich wollte schließlich schnell mein neues Leben in meiner neuen Wohnung beginnen und nicht allzu lange wie in einer Übergangslösung hausen. Mein neues Leben … wie das klang … aber auf der anderen Seite stimmte es auch wieder, denn ich war gerade dabei, so viele Dinge hinter mir zu lassen: Mein Studium war beendet und ich begann, mein eigenes Geld zu verdienen. Ich trat in die richtige Welt ein, in die Welt der Erwachsenen, denn selbst wenn ich nun sogar schon fünfundzwanzig war, hatten sich die vergangenen fünf Jahre immer noch nicht wirklich … real angefühlt. Es war schwer zu beschreiben, aber der Ausdruck Welpenschutz passte wohl ganz gut darauf.

Und ich hoffte natürlich auch, dass ich nun endlich mit Gackt würde abschließen können. Er war oft genug in meiner alten Wohnung gewesen, sodass mich dort ziemlich viel an ihn erinnerte. Zwar hatte ich meine Möbel mitgenommen, aber trotzdem war es jetzt eine ganz andere Umgebung, die ich erst ganz neu mit Leben füllen musste … konnte. Und so erlag ich der Illusion, dass ich das schon hinkriegen würde, wenn nur genug Zeit verstrich, in der ich ihn nicht sah und auch nicht an ihn dachte.

Der Haken an der Sache war nur, dass ich eben immer noch sehr viel an ihn dachte – besonders jetzt, da ich mich auf nichts mehr konzentrieren großartig musste und meine Gedanken quasi Narrenfreiheit hatten. Ich merkte ganz genau, dass ich ihn vermisste und so langsam auch ein bisschen traurig darüber wurde, dass er sich seit dem Vorabend des Valentinstages nicht mehr bei mir gemeldet hatte. Klar, ich war derjenige gewesen, der sich Zeit erbeten hatte, und er hatte Tetsu darum gebeten, dass sich die anderen gut um mich kümmerten, aber trotzdem … wenn ihm etwas an meiner Antwort lag, dann hätte er in der ganzen Zeit doch vielleicht einmal einen Versuch unternehmen können, mich darauf anzusprechen. Und wenn es nur eine kurze SMS gewesen wäre.

Aber nein, es war nicht das kleinste Lebenszeichen von ihm gekommen, was mich nur in dem Gedanken bestärkte, dass er schon einen Haken an die Sache gemacht hatte und vorangeschritten war. Er war also über mich, den er sowieso nie geliebt hatte, hinweg und konnte sich schon wieder anderen Dingen oder Menschen zuwenden. Und wenn ich nicht bald von diesen Gedanken weg kam, dann würde ich wohl nur anfangen zu heulen … schon wieder.
 

Aber es war mir nicht vergönnt, denn als ich den Pudding gegessen und dabei auf meinem Schreibtischstuhl sitzend immer wieder durch das kahle Zimmer geschaut hatte, brachte ich den leeren Becher wieder in die Küche, um ihn dort direkt auszuspülen. Und dabei fiel mir etwas auf, das ich vorhin übersehen haben musste. Wie, das war mir schleierhaft, denn es lag eigentlich ziemlich gut sichtbar auf dem Küchentisch neben einem Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt war. Anfangs konnte ich eigentlich gar nicht glauben, dass es wirklich da lag, und das war vielleicht auch der Grund. Ich hatte es seit einer gefühlten Ewigkeit nicht gesehen und ich hatte mich in der Zwischenzeit glücklicherweise auch gar nicht darüber gewundert, dass es nicht da gewesen war. Es war ganz so, als hätte ich es vollkommen vergessen, denn ich wusste noch nicht einmal, wann und wie es mir abhandengekommen war. Aber jetzt, da es wieder vor mir lag, hatte ich eine ganz gute Vorstellung davon.

Langsam, vorsichtig und auch zögerlich trat ich näher an den Tisch heran, ganz so, als ob es mich beißen würde, wenn ich ich zu hastige Bewegungen machte. Dabei lag es nur ganz ruhig da und seine schwarzen Kugeln glänzten im Sonnenlicht, das durchs Fenster auf den Tisch fiel, bis ich schließlich doch danach griff und es in die Hand nahm. Es war das Armband, das Gackt mir zu Weihnachten geschenkt hatte – das Armband, von dem er gesagt hatte, dass er einfach nicht anders gekonnt hatte, als es mir zu kaufen, weil er in seiner Kindheit selbst auch einmal so eins von einer sehr wichtigen Person geschenkt bekommen hatte. Ich wusste noch immer nicht, was für eine Person das gewesen war, aber es hatte mir trotzdem unheimlich viel bedeutet, dass er unsere Beziehung mit dieser wichtigen Bindung verglich.

Und jetzt war alles ruiniert.
 

„Ah, Hyde, du bist ja schon wieder da“, sprach Ken mich dann auf einmal an, worauf ich vor Schreck fast einen halben Meter in die Luft sprang, dabei laut aufschrie und er sich natürlich erst einmal halb totlachte. „Na na, nicht so schreckhaft. Bist schließlich kein kleines Mädchen. Oder etwa doch?“

„Gott, Ken!“, schrie ich ihn an, ein bisschen atemlos und nun noch aufgekratzter als bisher.

„Ist ja schon gut“, versuchte Angesprochener mich zu beschwichtigen, während er sich mit einem Handtuch die Haare trockenrubbelte. Er war also tatsächlich duschen gewesen … und auch so nett gewesen, sich wieder etwas anzuziehen. Ich wusste nämlich nicht, wie ich es vertrug, wenn da ein Kerl nackt durch meine Wohnung lief, mit dem ich nicht schlief und auch nicht schlafen wollte. Oh fuck, da war es schon wieder! … Oder eher immer noch, denn Kens Blick fiel jetzt auf das Armband in meinen Händen.

„Ah, das“, setzte er an, „ich hab es beim Aufräumen in deiner Wohnung unterm Bett gefunden und eingesteckt, damit's nicht verloren geht. Hab dann leider vergessen, es dir zu geben. Sorry dafür. Ist doch deins, oder?“

„Äh … ja“, antwortete ich etwas stockend, „kein Problem, Ken-chan, ich hab's nicht vermisst. Und ich brauch es eigentlich auch nicht mehr, denke ich …“

„Aha. Und wieso das? Sieht doch noch brandneu aus und ich hab auch nie gesehen, dass du es getragen hast.“

„Hab ich auch nicht oft, weil ich es erst seit Weihnachten hab“, erklärte ich ihm daraufhin und versuchte, dabei möglichst locker zu klingen. Aber in Wahrheit hatte ich ziemliche Mühe, mein Lächeln aufrechtzuerhalten.

Und das schien auch Ken aufzufallen, denn seine nächste Bemerkung bestand einfach nur aus: „Oh.“ Es klang sehr verstehend und er müsste eigentlich schon ziemlich schwer von Begriff sein, um die Hinweise nicht deuten zu können. Darauf herrschte dann auch erst einmal drückende Stille, in der wohl wir beide darüber nachdachten, wie wir da am besten wieder herauskamen. Und es war Ken, der schließlich als Erster wieder das Wort ergriff: „Was willst du denn damit machen, wenn du es nicht mehr brauchst? Zum Wegwerfen ist es eigentlich zu schade. Wir könnten es in Zahlung geben und von dem Geld dann ins Kino oder was essen gehen. So wie das aussieht, ist es bestimmt ziemlich was wert.“

„Hm …“, machte ich darauf nur, immer noch in Gedanken versunken. Und weil du mir wichtig bist, will ich, dass du es behältst, hatte Gackt damals mit einem warmen Lächeln zu mir gesagt. Nein, ich wollte es nicht verkaufen, selbst wenn unsere Beziehung nun gescheitert und vorbei war. An dem Armband hing die Erinnerung an den wundervollen Tag, an dem Gackt es mir geschenkt hatte – es zu verhökern oder wegzuwerfen kam mir einfach zu respektlos vor. Aber ich glaubte auch nicht, dass ich es würde behalten können – vielleicht später, aber jetzt auf alle Fälle nicht.

Ich strich sachte mit den Fingerspitzen über die glänzenden, schwarzen Kugeln aus Onyx, während das Armband nun in meiner offenen linken Hand ruhte. Und dann wusste ich, was ich damit machen würde. Ich würde diesen Schritt endlich wagen und verdammt noch mal nicht schon wieder den Schwanz einziehen, sondern es endlich hinter mich bringen!

„Ich geh noch mal wohin“, sagte ich entschlossen, „iss schon mal ohne mich, Ken-chan, ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.“ Und noch bevor er etwas erwidern konnte, war ich aus der Küche heraus und schlüpfte unbeholfen in meine Schuhe hinein. Dass er mich auch sonst nicht aufhalten würde, merkte ich dann, als er mich ungestört zurück in mein Zimmer rennen ließ, um dort meine Tasche und die Schlüssel zu holen. Vielleicht hatte er ja nur darauf gewartet, dass ich das endlich tat … vielleicht hatten sie alle darauf gewartet und ich am allermeisten, damit diese Selbstgeißelung endlich ein Ende hatte.
 

*
 

Bitte sei da! Bitte sei nicht da! Bitte sei da! Bitte sei nicht da!

Das waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, während ich mich auf dem Weg zu Gackts Wohnung befunden und dabei eine Zigarette nach der anderen geraucht hatte. Meine Entschlossenheit von vor meinem Aufbruch war also gehörig ins Wanken geraten, aber ich hatte es trotzdem hinbekommen, nicht einfach auf halber Strecke wieder umzukehren. Allerdings war mir das ja schon einmal gelungen, sodass ich mich jetzt vielmehr darauf versteifte, dass Gackt es eher sein könnte, der das gesamte Unterfangen scheitern ließ. Immerhin war es gerade mal Mittag, sodass er durchaus sein konnte, dass er auf Arbeit war. Dann war vielleicht nur You da, weil wir gerade Semesterferien hatten, sodass ich ihm das Armband geben konnte, damit er es an Gackt weitergab und ihm noch etwas von mir ausrichtete.

Ach, Bullshit! Was sollte das eigentlich alles?! Ich wollte ihn doch sehen – schon seit Wochen! Und gleichzeitig hatte ich auch solche Angst davor, wie dieses Treffen aussehen würde, dass er tatsächlich schon über mich hinweg sein könnte. Ich hatte diese Gedanken immer als Ausrede hergenommen, um endlich mit der Sache abschließen zu können, aber in Wahrheit hatte ich mich damit nur mehr verletzt.

Ich wusste nur immer noch nicht, was ich tun sollte, wenn ich ihm dann endlich wieder gegenüberstand. Ich war auch nicht zu einer Lösung gekommen, ob wir weiterhin Freunde sein konnten oder es besser wäre, getrennte Wege zu gehen … aber vielleicht hatte ich diese Entscheidung nun endlich getroffen, indem ich mich mit dem Armband in der Hand auf den Weg gemacht hatte: Vielleicht würde ich es ihm zurückgeben und dann … nein, ich wusste es noch immer nicht.
 

Und genau diese Mischung aus Angst und Vorfreude fand nun ihren Höhepunkt, als ich direkt vor Gackts Tür stand und dabei war, den Zeigefinger nach dem Klingelknopf auszustrecken. Ich war ein Wrack und ich wollte, dass das endlich aufhörte. Verdammt. Verdammt!

„Verdammt!“

„Geht die Klingel etwa schon wieder nicht?“

„Wah!“ Ich erschrak schon wieder und machte abermals einen Satz in die Luft. Verflucht, was hatten die Leute heute eigentlich damit, mich ständig so zu überfallen, wenn ich mit mir selbst zu kämpfen hatte?! Und dabei hatte ich mich noch nicht einmal umgedreht und geschaut, wer es denn diesmal war.

Doch zum Glück blieb mein Herz von weiteren Schocks verschont, denn es war nicht Gackt, der mich da aus heiterem Himmel angesprochen hatte. Nein, es war nicht ganz so schlimm, denn es war You, der seine Umhängetasche über der Schulter und eine Einkaufstüte in der Hand trug … und mich ebenfalls erst in diesem Moment zu erkennen schien.

„Oh, Hyde“, sagte er überrascht und zog beide Augenbrauen nach oben. Er hatte mich eindeutig nicht hier erwartet – hätte ich bis vor einer Stunde ja auch nicht. Aber You schien es als nicht so schlimm zu empfinden, dass ich nun einmal da war, denn er fuhr einen Moment später schon fort: „Willst du zu uns?“ Uns …

„Ist … ähm … ist er … also …“, stotterte ich schon wieder herum und seufzte dann frustriert, ehe ich abbrach, um mich einen Augenblick zu sammeln und den Satz endlich gerade herauszubringen. You hatte mich mit seinem plötzlichen Auftauchen schlichtweg aus dem Konzept gebracht … nicht, dass ich wirklich eins gehabt hätte, denn ich war vorhin eigentlich ziemlich überstürzt aufgebrochen, weil meine Gefühle mich so überwältigt hatten.

„Gakkun müsste da sein, falls du das wissen willst“, nahm You mir dann die Arbeit ab und griff auch schon in seine Hosentasche, um einen Schlüssel daraus hervorzuzaubern. „Deshalb wundert es mich ja, wieso du hier draußen rumstehst und er dir nicht aufmacht.“

„Äh … ich hab noch nicht geklingelt“, gab ich schließlich etwas betreten zu.

„Ach so. Und ich hab schon gedacht, dass das Mistding mal wieder kaputt ist. Passiert in letzter Zeit ständig, dass sie nicht zu hören ist, hat Gakkun gesagt. Allerdings traue ich ihm da manchmal nicht ganz … hm. Willst du nicht mit reinkommen?“

Ich nickte und trat ein Stück zur Seite, damit You besser an das Schloss konnte. Und dabei gingen mir seine Worte von eben noch einmal durch den Kopf: Er traute Gackt manchmal nicht, wenn der sagte, die Klingel wäre nicht zu hören? Wie sollte ich das denn nun verstehen? Allerdings würde ich mich hüten, nachzufragen, und stattdessen nur das erledigen, wozu ich hergekommen war.

„Bin zurück!“, rief You dann, als wir beide die Wohnung betreten hatten und uns die Schuhe und Jacken auszogen. Allerdings hielt er mitten in der Bewegung inne, hob den Kopf und verzog entnervt die Lippen. „Gakkun, du sollst hier drinnen doch nicht rauchen! Übrigens hast du Besuch, also scher dich her.“

Und dann hörte ich das erste Mal nach über einem Monat wieder seine Stimme: „Besuch? Wer denn?“ Sie kam aus dem Wohnzimmer, zu dem es keine Tür gab, sodass ich auch schon die Geräusche des Fernsehers hatte vernehmen können, kaum dass ich eingetreten war.

„Seit wann kommt denn der Berg zum Propheten?“, lautete Yous Antwort, woraufhin er sich auf den Weg in die Küche machte, um dort wohl die Einkäufe auszupacken. „Lass ihn gefälligst nicht warten, nur weil du wieder schlechte Laune hast.“ Schlechte Laune? Wieder?

So langsam kam mir dann doch ein Gedanke, der sich auch vorhin schon angekündigt hatte. Aber ich beschloss abermals, diesem nicht zu folgen und ihn stattdessen wieder in die hinterste Ecke meines Kopfes abzuschieben. Ich wollte mir keine unsinnigen Hoffnungen machen, nur damit sie vermutlich sowieso gleich wieder zerschlagen wurden.

„Ist ja gut, ist ja gut“, kam es wieder aus dem Wohnzimmer und klang eindeutig genervt. Wie automatisch machte ich einen Schritt zurück, sodass ich buchstäblich mit dem Rücken zur Wand stand … oder eben zur Tür. Ich atmete auch noch einmal durch, um mich auf das gefasst zu machen, was da gleich kommen würde. Und ich hoffte, dass ich überhaupt ein Wort herausbringen würde, wenn Gackt vor mir stand und vermutlich ziemlich sauer auf mich war, weil ich mich einfach nicht gemeldet hatte.
 

Doch ich machte mir völlig umsonst Sorgen, denn kaum dass Gackt aus dem Wohnzimmer gekommen war und mich erblickt hatte, begann er zu lächeln. Er strahlte mich praktisch an und kam dann ganz schnell auf mich zu.

„Hyde!“, sagte er, als er mich erreicht hatte und zögerte auch nicht, mich in eine Umarmung zu ziehen. Und ich? Ich erwiderte diese ebenfalls sofort und es erinnerte mich daran, wie gut sich das anfühlte. Und außerdem konnte ich ganz genau spüren, wie der Drang, Gackt jetzt zu küssen, in mir aufkam. Doch das würde ich nicht tun, das würde ich nie wieder tun, ganz egal, wie das heutige Treffen ausfallen sollte. Wenn wir uns dazu entschieden, getrennte Wege zu gehen, dann hätte sich das ohnehin erledigt, und wenn wir einfach nur Freunde blieben, dann wären Küsse trotzdem gestrichen, denn Freunde küssten sich nicht … nicht so jedenfalls.

Ich wusste nicht, wie lange wir einfach nur im Flur standen und uns umarmten, aber als Gackt sich irgendwann wieder von mir löste und ich nur schweren Herzens dasselbe tat, schaute er mich immer noch lächelnd an und sagte schließlich: „Schön, dass du gekommen bist. Ich hab schon befürchtet, du willst den Kontakt einfach abbrechen. Aber ich bin froh …“

„Ja, ich auch“, hörte ich mich zwar sagen und meinte es auch so, aber gleichzeitig fachten Gackts Worte den Konflikt zwischen meinem Kopf und meinem Herzen nur wieder von Neuem an. Ich hatte mich davor gefürchtet, dass er einfach einen Strich unter allem gezogen haben könnte, aber nun, da klar war, dass er das nicht getan hatte, war da wieder die leidige Diskussion, in der ich einfach auf keinen grünen Zweig kam: Er wollte noch immer mit mir befreundet bleiben, aber konnte ich das auch?

Sakura hatte gesagt, ich sollte so eine Trennung nicht unbedingt forcieren, wenn ich dabei so litt. Tetsu hatte mir schon vor Ewigkeiten geraten, einfach einen Haken an diese seltsame Sache zu machen. Und sie alle waren sich darin einig gewesen, dass ich herausfinden sollte, was ich wirklich wollte. Scheiße. Verdammte Scheiße!

„Willst du mit ins Wohnzimmer kommen? Oder in mein Zimmer? Da haben wir vielleicht mehr Ruhe und können nur für uns sein“, wollte Gackt schließlich von mir wissen, nachdem ein paar Sekunden peinliches Schweigen zwischen uns geherrscht hatte, weil ich nichts weiter zu ihm gesagt hatte als diese drei Worte.

„Äh … ja … ins Wohnzimmer wird reichen, denke ich“, antwortete ich ihm dann etwas stockend, „You stört mich nicht.“ Und ich wollte um's Verrecken nirgendwo mit Gackt hin, wo wir zu ungestört waren – jetzt noch nicht und vielleicht auch nie wieder, je nachdem …

„Okay“, stimmte mein Gegenüber mir ohne Umschweife zu, allerdings bildete ich mir ein, dass sein ansonsten so müheloses und unerschütterliches Lächeln für den Bruchteil einer Sekunde ins Wanken geraten war. Er war ja auch nicht dumm – ihm war vollkommen klar, dass mein Hiersein nicht gleich bedeutete, dass wir tatsächlich Freunde blieben. Und ich befürchtete, dass er sich auf genau diesen Fall so gut vorbereitet hatte, dass er mich am Ende doch zu einer Entscheidung bringen könnte, die ich nicht gut genug durchdachte hatte. Ich meinte das jetzt nicht böse, schließlich liebte ich Gackt noch immer, vertraute ihm auch noch genauso wie vorher und wünschte mir nichts mehr, als ihn weiter zu sehen und mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Doch ich musste im Moment erst einmal nur daran denken, was für mich wirklich am besten war.

Gackt bedeutete mir schließlich mit einer Geste, dass ich schon einmal vor gehen sollte und er folgen würde. „Willst du auch was trinken?“, fragte er außerdem weiter und machte dabei bereits einen Schritt in Richtung Küche, „oder irgendwas essen? Ich weiß ja, wie sehr du aufs Essen stehst.“ Darauf folgte kurz ein verschmitztes Grinsen, was mir nur zu deutlich machte, dass ich nicht der einzige von uns beiden war, der schrecklich nervös war. Es war aber auch eine beschissene Situation, schließlich hatte er mich erst betrogen und mir dann auch noch gesagt, dass er mich nie wirklich geliebt hatte. Wenn ich es so recht bedachte, wären das eigentlich genug Gründe, ihm einfach nur das Armband in die Hand zu drücken, mich zu verabschieden und ihm dann für immer den Rücken zu kehren. Aber das war alles so rational gedacht und leicht dahingesagt – die Realität sah ganz anders aus, wenn man einen Menschen erst einmal in sein Herz geschlossen hatte.

„Ein Glas Saft vielleicht, wenn ihr noch welchen da habt“, nahm ich eins von Gackts Angeboten an.

„Haben wir. Apfel, Orange oder Kirsch?“

„Äh … das, was schon angefangen ist.“

„Okay, ich schau gleich nach. Geh schon mal vor, du kennst den Weg hoffentlich noch … hehe.“ Ein verzweifelter Versuch Gackts, die Stimmung ein bisschen aufzulockern.

„Klar.“ Trotzdem entlockte es mir ein schüchternes Lächeln, das jedoch sofort wieder verschwand, kaum dass ich ihm den Rücken gekehrt hatte. Auf den paar Schritten zum Wohnzimmer würde sich niemand verlaufen können, der schon einmal hier war. Und vermutlich selbst Erstbesucher kämen sicherlich bestens zurecht, wenn man es ihnen kurz beschrieb. Gackts und Yous Wohnung war zwar wesentlich größer als meine, aber es war eben immer noch nur eine Wohnung und keine Villa.

Und im Wohnzimmer angekommen realisierte ich dann auch endlich, warum You sich vorhin so aufgeregt hatte: Es stank hier drinnen wirklich nach Zigarettenrauch. Ich hatte es vorhin nicht direkt bemerkt, weil ich ja selbst rauchte und in der letzten Zeit auch so einiges an Tabak vernichtet hatte, aber jetzt war es nur allzu deutlich. Außerdem lag da noch eine angefangene Kippe im erstaunlich leeren Aschenbecher und glimmte still vor sich hin. Der Fernseher lief auch, allerdings musste Gackt den Ton abgedreht haben, ehe er sich auf den Weg gemacht hatte, um seinen Besuch – mich – zu begrüßen, denn man hörte absolut nichts. Trotzdem erkannte ich, dass er sich eine beliebte Comedy-Serie angeschaut hatte, die wochentags immer um diese Zeit lief.

Ich setzte mich dann erst einmal auf das Sofa, wartete und sah mich dabei um. Alles war noch so wie vor ein paar Wochen, als ich zuletzt hier gewesen war. Aber was hatte ich auch erwartet – dass die beiden ihre Wohnung jetzt komplett auf den Kopf stellen würden, nur weil Gackt und ich uns getrennt hatten? Nein, ganz sicher nicht, da würde You bestimmt nicht mitmachen und er hatte hier schließlich genauso viel zu sagen wie Gackt.

Besagter kam dann auch mit zwei Gläsern und einer Tafel Schokolade zur Tür hinein, stellte alles vor mir auf den Couchtisch und nahm neben mir Platz, wo er wohl vorhin schon die ganze Zeit gesessen hatte. Zumindest griff er direkt mit der linken Hand nach der Fernbedienung, die auf dem Polster lag, und schaltete erst den Ton vom Fernseher wieder an, das Gerät dann aber gleich ganz aus.

„Apfel war offen. Ich hoffe, das ist in Ordnung“, teilte er mir anschließend mit und nickte den beiden Gläsern zu, die vor uns standen.

„Hm, kein Problem. Hab ja gesagt, dass ich das nehme, was offen ist.“ Und wie zur Unterstreichung streckte ich die Hand nach dem Glas aus, das ein bisschen näher bei mir stand, um direkt einen Schluck zu nehmen. Dabei blickte ich weiterhin auf den Fernseher, obwohl dort schon längst nichts mehr zu sehen war.

„Okay“, meinte Gackt nur und schwieg dann ebenfalls. Es war aber auch so verflucht gedrückt zwischen uns – anscheinend wusste er ebenso wenig wie ich, wie wir die Sache anpacken sollten, um zu einem guten Schluss zu kommen. So verstrichen ein paar Sekunden, ehe sich Gackt zu ein bisschen Smalltalk entschloss: „Wie läuft denn deine Abschlussarbeit. Hast du alles rechtzeitig geschafft?“

„Hm … ja“, begann ich langsam und drehte den Kopf ein kleines Stück in Gackts Richtung, sodass ich auf seine Hände sah, die in seinem Schoß lagen, „ich hab mir dann doch noch eine kleine Verlängerung geholt – nur für zwei Wochen – und Ken-chan hat mir beim Überarbeiten und Korrigieren geholfen. Ich hab mich in der Zeit fast komplett auf die Bilder konzentrieren können ... da war dann alles zwei Tage vor dem Termin fertig. Ich musste es ja auch noch ausdrucken, kopieren und binden lassen, aber das ist alles glatt gegangen, weil die Jungs in der Zeit den Umzug allein gemacht haben. Also alles okay.“

„Freut mich“, entgegnete Gackt und sein Ton verriet mir, dass er dabei zufrieden lächelte. Und als ich endlich doch einen Blick riskierte, bestätigte sich meine Vermutung. Er sah dabei wieder einmal umwerfend aus, wenn auch ein bisschen traurig – aber dieses Bittere machte sein Lächeln irgendwie sogar noch viel schöner als jedes Allerweltslächeln, das er mir hätte zeigen können. Und wie ich so in Gedanken über dieses hinreißende Antlitz schwärmte, hätte ich beinahe Gackts nächste Bemerkung verpasst: „Aber den Umzug hab ich schon fast wieder vergessen. Wohnst du denn jetzt schon mit Ken zusammen oder noch in deiner alten Wohnung?“

„Ich hab heute morgen meinen alten Schlüssel abgegeben, aber mein ganzes Zeug ist schon seit ein paar Tagen in der WG und ich hab auch schon, äh … drei Nächte dort geschlafen. Sieht allerdings alles noch aus wie auf dem Schlachtfeld, weil ich irgendwie noch nicht richtig dazu gekommen bin, den ganzen Kram einzuräumen. Das ist so viel Zeug und ich hab es einfach nur in die Kartons reingeworfen, ohne es vorher zu sortieren. Das muss ich eben noch machen und … ja, das wird sicher noch eine ganze Weile dauern. Aber ich hab derzeit erst mal nur einen Teilzeitjob in einer Poolhalle, also werd ich schon genug Zeit dafür haben.“

„Ah, okay …“, sagte Gackt wieder nur bestätigend, sah diesmal aber aus, als wolle er noch etwas hinzufügen. Er hatte schon hörbar Luft geholt. Ob er mir anbieten wollte, dass er mir dabei ein bisschen zur Hand gehen könnte? Ich wusste nicht, ob ich das annehmen oder ablehnen sollte.

Und noch bevor er irgendetwas in diese Richtung unternehmen konnte, schnitt ich ihm das Wort ab: „Und wie läuft's bei dir?“

Doch trotz, dass ich ihm quasi in die Parade gefahren war, schien Gackt mir dafür dankbar zu sein, denn er schloss seinen Mund und atmete wieder aus. Wahrscheinlich war er sich selbst nicht so ganz sicher gewesen, ob er wirklich schon so mit mir umgehen wollte. Wenn er es denn überhaupt vorgehabt hatte. Ach, verflucht! Würden wir eigentlich jemals wieder normale Freunde werden können, wenn wir uns so gehemmt verhielten?

„Alles wie immer“, antwortete Gackt schließlich, korrigierte sich dann aber noch einmal, „na ja, bis auf die Sache mit dem Host Club. Da hab ich aufgehört, weil … ich hab ja gesehen, dass dir das überhaupt nicht geschmeckt hat. Ich hab jetzt wieder im Casino angefangen und musste zum Glück gar nicht so viel betteln, um meinen Job zurück zu kriegen. Hatte beim Besitzer wegen meiner guten Arbeit wohl einen Stein im Brett.“ Während er das sagte, grinste er mich verschmitzt an und kratzte sich am Hinterkopf. Ich hingegen starrte nur.

„Aber du hättest doch wegen mir nicht aufhören müssen“, sagte ich beinahe fassungslos, „es geht mich doch gar nichts mehr an, wie du dein Geld verdienst!“ Bämm! Und da waren wir schon bei dem Thema angelangt, für das ich eigentlich auch hergekommen war.

„Trotzdem fühlt es sich nicht richtig an, dort länger zu arbeiten“, entgegnete Gackt nun vollkommen ernst und ohne auch nur die geringste Spur eines Lächelns auf den Lippen. Stattdessen waren sie eher zusammengekniffen, wenn er nicht gerade redete. Außerdem setzte er sich so hin, dass er mich besser ansehen konnte und ich ihn natürlich auch. „Es war dumm von mir, dir das nicht gleich zu sagen … und es war noch viel dümmer von mir, mich auf dieses Mädchen einzulassen. Es tut mir so furchtbar leid, Hyde, das musst du mir wirklich glauben … ich fühle mich schuldig, wenn ich einfach so weitermachen würde wie bisher. Und außerdem … ich will dich ja noch was angehen; ich will nicht, dass dir vollkommen egal ist, was ich tue oder lasse. Schließlich möchte ich auch von dir gerne wissen, was du tust und wie es dir so geht … dass du Dinge mit mir besprichst, die dir wichtig sind, weil du mir immer noch wichtig bist, auch wenn wir nicht mehr zusammen sind. Ich möchte wenigstens mit dir befreundet bleiben.“

Ja … das wusste ich schon … und trotzdem ging mir das Herz auf, als er dies noch einmal in aller Ausführlichkeit vor mir ausbreitete und mir außerdem zeigte, dass sich sein Wunsch von vor über einem Monat immer noch nicht geändert hatte. Aber machte er es mir damit nicht auch gleichzeitig schwerer? Verdammt! Ich würde meinen Kopf vor lauter Frustration jetzt nur zu gerne gegen die nächste Wand donnern. Wieso konnte mir niemand diese blöde Entscheidung abnehmen? Wieso sagte mir denn niemand, ob ich einfach Ja oder Nein sagen sollte, damit die Sache vom Tisch war?

„Hyde?“

„Huh?“ Zipp, da war ich wieder, aber so wie Gackt mich anschaute, musste ich eine ganze Weile weggetreten gewesen sein.

„Äh … sorry, ich wollte dich wirklich nicht zu einer Antwort zwingen“, entschuldigte er sich sofort, allerdings konnte ich die blanke Enttäuschung in seinen Augen lesen, „ich dachte nur-

„Quatsch!“, beeilte ich mich daher zu sagen. Ich wusste nicht, was er dachte, aber es konnte nichts Gutes sein. Und von zu einer Antwort zwingen konnte eigentlich auch nicht wirklich die Rede sein, denn er hatte mir nun schon über einen Monat Zeit gelassen, um darüber nachzudenken, ohne auch nur ein einziges Mal nachzuhaken. Wenn hier jemand jemandem etwas schuldig war, dann eindeutig ich – und zwar eine Antwort. Jedoch gab es da noch dieses Problem: „Ich denke schon die ganze Zeit drüber nach und ich will ja auch wirklich mit dir befreundet bleiben, aber ich … also, ich hab nicht aufgehört, in dich verliebt zu sein und … ich weiß eben nicht, ob ich es aushalte, dann einfach nur ein Freund für dich zu sein und dass du nicht auch in mich verliebt bist? Verstehst du das?“ Unbewusst hatte ich die ganze Zeit über eher zu meinen Händen, Gackts Brust, dem Sofa oder dem Raum an sich gesprochen, aber nicht wirklich zu ihm – ich hatte es nicht über mich gebracht, ihm wirklich ins Gesicht zu blicken, nachdem mir vorhin der traurige Ausdruck in seinen Augen aufgefallen war.

„Hm … schon irgendwie …“ Es würde ein Aber kommen, ich wusste es, ich konnte es hören. Und ich wusste nicht, ob es mir gefallen würde, denn dieses Aber könnte das Zünglein an der Waage sein, mit der ich meine Entscheidung traf. Und es würde. „Aber so wie du dich anhörst, wäre es doch schon schlimm, wenn wir hier den Kontakt abbrechen würden. Vielleicht wird ja auch alles gut und dann wäre es doch scheiße, wenn wir die falsche Entscheidung getroffen hätten. Ich würde es auf alle Fälle gerne versuchen, auch wenn ich nicht weiß, wie es ausgeht. Wir sind schließlich erwachsene Menschen und ich denke nicht, dass es noch schlimmer kommen kann, als es jetzt schon ist. Ich meine … dann sind ganz andere Verhältnisse und Erwartungen da und … ich weiß nicht, was noch … ich kann dir nur sagen, dass ich dich wirklich nicht verlieren will. Aber wenn du das nicht willst, dann muss ich das so akzeptieren … auch wenn es mir schwer fällt. Also egal, wie du dich entscheidest, ich werde dir da nicht weiter reinreden.“

Nachdem Gackt geendet hatte, reagierte ich nicht gleich, sondern schwieg ihn weiter an, während er mich ebenfalls anschwieg. Wie hätte ich auch sofort mit einer Antwort kommen können, nachdem er mir das alles gesagt hatte? Er hatte mir ja im Grunde nur noch einmal deutlich gemacht, wie sehr er hinter seiner Entscheidung stand. Und gleichzeitig hatte er somit allen Druck wieder auf mich geladen. Dabei sollte ich ihn doch mit einbeziehen, hatte Tetsu mir geraten! Aber wie sollte ich das machen, wenn Gackts Sicht der Dinge noch immer so aussah, selbst nachdem ich ihm meine Bedenken erklärt hatte? Ich kam dadurch absolut kein Stück weiter!

Aber war das wirklich so? Ich ließ mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und blieb dabei an denen hängen, die neu waren: Was wenn ich jetzt eine Entscheidung traf und sie sich hinterher als falsch herausstellte? Gackt hatte recht, denn wir wussten tatsächlich noch nicht, wie unsere Zukunft einmal aussehen würde. Vielleicht löste sich tatsächlich alles in Wohlgefallen auf, wenn wir erst einmal eine bestimmte Eingewöhnungszeit hinter uns gebracht hatten. Und dann würden … na ja, wir würden vielleicht nicht unbedingt über die Sache lachen, aber sicherlich belächeln, wie kompliziert wir es uns gemacht hatten. Und da war ja auch noch der Rat, den Sakura mir gegeben hatte: Menschen lebten sich auch so auseinander, das musste man nicht noch provozieren. Als das nun auf Gackts Worte von eben traf, senkte sich ganz langsam eine Seite der Waage und meine Entscheidung nahm immer klarere Formen an.
 

Als ich sie dann endlich greifen konnte, hob ich den Kopf und sah Gackt wieder an. Auf seinen Lippen lag ein optimistisches, aber gleichzeitig auch sehr wackeliges Lächeln, das sicherlich beim leisesten Anzeichen auf eine negative Antwort in sich zusammenbrechen würde. Ich sagte allerdings immer noch nichts, sondern schob die rechte Hand in meine Hosentasche und holte heraus, was sich darin befand: das Armband aus schwarzen Onyx-Kugeln. Und als Gackt es sah, entgleisten ihm für einen Moment tatsächlich die schönen Gesichtszüge und er ballte die Hände zu Fäusten, denn er schien das schlimmste zu befürchten. Ich konnte mir seine Worte nur zu genau vorstellen: „Behalt es bitte. Ich hab es dir geschenkt und da kann ich es nicht zurücknehmen.“ Als ob ich ihm eben doch nicht nur bis vor die Stirn gucken konnte, sondern auch dahinter, sah ich förmlich, wie er sich bereits darauf gefasst machte und diese Antwort parat hielt.

Doch ich machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem ich mir das Armband stattdessen über das rechte Handgelenk streifte, Gackt anlächelte und beobachten konnte, wie seine Augen ganz groß wurden.

„Hyde …“

Und ich lächelte nur stumm weiter.
 

tbc.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hach~ Nostalgie. So in der Art hab ich mich auch verabschiedet, als ich aus meiner Studentenbude raus musste. Und komischerweise war es dort auch voll von einer bestimmten Person, obwohl diese nie auch nur einen Fuß in die Wohnung gesetzt hat. Wegen dieser Präsenz hab ich sogar mal heulend auf meinem Bett gelegen, weil es mich einfach so erdrückt hat.
Aber nun zu freudigeren Dingen: Sie reden wieder miteinander :D Und sie wollen wieder Freunde sein :DD Aber ob das gut gehen kann – nachdem es SO auseinander gegangen ist? ^^“““ Was meint ihr dazu? :3~~~

PS: Jep, heute zwei Kapitel. Weil Baum *hust*und mir sonst vllt noch die Leser weglaufen ^^"*hust* Komplett anzeigen

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