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Creepypasta Special 2: The Shattered

Die Wahrheit über Dathan und Sally
von

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Liebe, Tränen und blaue Flecken

Es dauerte fast eine Woche, in der sich nichts Besonderes tat. Jeanne kam immer häufiger zu Besuch, da sie es zuhause nicht aushielt, weil ihr Stiefvater sie wieder angeschrieen hatte und es heftigen Streit gab. Sie sprach viel mit Dathan über die Nekromantie, aber ihm entging nicht, dass Jeanne sich trotzdem lieber an Jamie hielt und ihn immer wieder heimlich aus den Augenwinkeln betrachtete. Sie war trotzdem relativ distanziert ihm gegenüber, weil sie wohl spürte, dass er immer noch Misstrauen gegen sie hegte. Doch irgendwie schaffte es Jeanne mit ihrer ehrlichen und zugleich sehr einfühlsamen Art, Jamies Vertrauen zu gewinnen. Jeanne schien mit jeder Situation souverän umgehen zu können und während dieser Woche lernten Jamie und Dathan sie als eine sehr entschlossene und entschlussfreudige Person kennen. Schließlich aber, als es ein besonders stürmischer Tag war und es in Strömen regnete, kam es zum ersten Zwischenfall. Jeanne stand völlig durchnässt und verweint vor der Tür und hatte eine Tasche bei sich. Ihr Make-up war völlig verlaufen und ihre linke Wange war angeschwollen. Man musste kein Arzt sein um zu sehen, was ihr passiert war. „Tut mir Leid, dass ich euch so überfalle, aber kann ich vielleicht erst mal hier bleiben, zumindest bis ich ein Hotelzimmer habe?“ Dathan und Jamie brachten sie erst einmal ins Trockene und versicherten ihr, sie könne so lange bleiben, wie sie wollte, doch sie bekam kaum etwas davon mit. Sie war so aufgewühlt, dass sie kaum etwas davon hörte und das Wasser tropfte regelrecht von ihren Haaren. Jamie eilte ins Bad und holte Handtücher, Dathan nahm ihr die Tasche ab und wollte sie an der Schulter sanft zum Sofa führen, doch da zog Jeanne vor Schmerz ihr Gesicht zusammen. „Jeanne, wer hat dir das angetan?“ Doch sie schüttelte nur heftig den Kopf und sagte nur „Es ist nichts, schon okay. Ich bin selbst Schuld gewesen.“ Dathan hatte darüber schon öfter mal gehört und konnte allein aus diesem Verhalten zwei mögliche Schlüsse ziehen. Entweder war Jeannes Freund gewalttätig oder aber einer ihrer nächsten Verwandten. Oft kam es vor, dass die Opfer versuchten, ihre Peiniger zu schützen. Jeanne versuchte mit zitternden Händen, sich mit einem Taschentuch das verschmierte Make-up aus dem Gesicht zu entfernen. „Tut mir Leid, dass ich solche Umstände mache. Aber ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte. Emily ist krank und meine Verwandten leben alle in Paris. Und auf die Schnelle hab ich kein Zimmer gefunden. Ich bin morgen sofort wieder weg.“

„Jetzt krieg dich doch mal ein und sei vernünftig“, rief Jamie und reichte ihr ein Handtuch, damit sie wenigstens ihre Haare trocknen konnte. „Du kannst ja dem Weihnachtsmann erzählen, dass alles in Ordnung ist, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Dir ist etwas passiert, worüber du nicht reden willst. Gut ich respektiere das. Aber keiner von uns drängt dich dazu, auf der Straße zu schlafen oder zurückzugehen. Komm, geh erst mal ins Bad. Ich such dir mal was zum Anziehen raus.“ Jeanne nickte schluchzend und ging ins Bad. Schon während sie ihre Jacke auszog und ihre nackten Arme enthüllte, sah Dathan einen großen blauen Fleck am Oberarm. Er wusste, dass sich Hämatome meist erst an nächsten oder übernächsten Tag bildeten. Aber so wie der aussah, musste er knapp drei oder vier Tage alt sein. Kurzerhand folgte Jamie ihr ins Bad und begann im Schrank zu suchen, dann holte er eine Salbe raus und reichte sie ihr. „Die kannst du ruhig benutzen. Die hilft gegen Schwellungen und Verletzungen durch stumpfe Gegenstände. Hilft auch, blaue Flecken vorzubeugen… ich lasse dich besser alleine. Die Sachen lege ich dir nachher vor die Tür.“ Doch da ergriff Jeanne seine Hand und hielt sie fest. Jamie sah sie lange schweigend an und wartete, dass sie etwas sagen würde, doch Jeanne weinte nur und konnte ihm nicht in die Augen sehen. Schließlich aber sagte sie „Ich kann nicht mehr nach Hause zurück. Ich ertrage das nicht mehr…“

„Schon in Ordnung, ich verstehe das.“ Damit verließ Jamie das Badezimmer, schloss die Tür hinter sich und begann damit, Jeannes Koffer zu öffnen, um ihr Sachen auszusuchen. Doch das Problem war, dass dieser nicht wasserdicht war und wirklich alles war bereits durchnässt. „So wie es aussieht, hat sie eine ganze Weile im Regen gestanden, bis sie zu uns gekommen ist. Am Besten ist, ich suche ihr was von meinen Klamotten raus.“ Jamie ging die Wendeltreppe nach oben, blieb aber kurz stehen, als Dathan ihm zurief „Danke“.

„Wofür bedankst du dich?“

„Dass du ihr hilfst. Ich hatte zuerst gedacht, du kannst sie nicht ausstehen.“

„Sie ist in Ordnung. Aber selbst wenn ich sie nicht leiden könnte, würde ich sie aufnehmen. Auch wenn ich Dreck am Stecken habe, bin ich ein hilfsbereiter Mensch.“ Jamie verschwand ins Gästezimmer, wo er seine Frauenkleider aufbewahrte und suchte Jeanne etwas aus, womit sie ihre blauen Flecken verstecken konnte. Er holte einen Rollkragenpullover heraus und dazu eine passende Hose. Schließlich ging er zum Badezimmer, klopfte kurz und rief „Ich hab dir ein paar Klamotten rausgesucht. Deine waren alle ganz durchnässt.“ Als er sich wieder zu Dathan gesellte, sah er ernst aus und sein Blick verriet mehr als tausend Worte. „Sie ist von zuhause abgehauen. Ich schätze mal, ihr Stiefvater hat sie verprügelt.“

„Und anscheinend nicht das erste Mal. Der blaue Fleck an ihrem Oberarm ist ein paar Tage alt.“ Knapp eine Stunde später kam Jeanne aus dem Badezimmer und sah längst nicht mehr so fürchterlich aus wie auf der Türschwelle. Sie setzte sich still auf eines der Sofas, nahm ein Kissen in den Arm und starrte trübsinnig auf den Fernseher, wo gerade eine Krimiserie lief. Lange schwieg sie, bis sie schließlich sagte „Danke für die Sachen.“

„Schon gut, ich hab noch mehr davon.“ Jeanne sah Jamie fragend an. Dieser setzte ein scherzhaftes Lächeln auf und erklärte „Ne Zeit lang hab ich gerne Cross-Dressing gemacht. Die Zeiten sind aber längst vorbei. Du kannst dich gerne bedienen, die Sachen scheinen dir ja ganz gut zu passen.“

„Danke…“ murmelte Jeanne müde und sprach das „Danke“ ganz akzentfrei aus. Und ihr Lächeln hatte etwas, das Dathan ein wenig an seine Schwester erinnerte. Während Jeanne erst einmal die Geschehnisse verdaute, richtete Jamie das Gästezimmer ein. Seine Perücken und Frauenklamotten, die BHs und dazugehörigen Kissen wurden in Umzugskisten gepackt und im Keller verstaut. Das Bett wurde neu bezogen und der Koffer hochgebracht. Jeannes Kleidung, die vom Regen völlig durchnässt war, musste gewaschen werden und Dathan telefonierte direkt mit ihrer Mutter, um ihr Bescheid zu sagen. Zu seiner Überraschung schien die Mutter keinesfalls besorgt zu sein. Nein, sie klang eher danach, als wäre das alles nur eine harmlose Lappalie und das regte besonders Jamie auf. Am liebsten hätte er eine Schimpftirade losgelassen, aber dazu ließ es der ruhige Dathan nicht kommen. Er blieb halbwegs sachlich und sagte „Ihre Tochter stand völlig verweint und mit blauen Flecken vor unserer Tür. Was auch immer ihr zugestoßen ist, Sie sollten überdenken, ob es wirklich nur ein harmloser Zwischenfall war, wie Sie ihn hier darstellen wollen. Auf Wiederhören Mrs. Nightingale.“ Damit legte Dathan auf und schüttelte verständnislos den Kopf. „Wie kann man nur so ruhig und teilnahmslos sein, wenn das eigene Kind verprügelt wird und von zuhause abhaut?“

„Meine Mutter ist blind vor Liebe, sie sieht nur noch das, was sie sehen will“, murmelte Jeanne und umschlang ihre angezogenen Beine mit den Armen, um sich kleiner zu machen. „Meist ist er auf Jacques losgegangen, weil er Angst vor ihm hat. Ich hab meistens die Schläge für ihn kassiert, um ihn zu schützen. Er ist doch mein kleiner Bruder und er kann sich nicht…“ Jeanne unterbrach kurz, da nämlich ihr Handy zu klingeln begann. Sie sah kurz auf das Display und begann eine SMS zu schreiben. „Sag mal Dathan“, sagte sie schließlich und sah ihm tief in die Augen. „Liebst du Emily immer noch?“ Dathan war ein wenig erstaunt über diese Frage, doch dann atmete er tief durch und antwortete „Natürlich liebe ich sie. Warum… warum fragst du?“ Doch statt mit einer Antwort kam die blonde Französin mit einer weiteren Frage „Wäre es dann nicht bald mal an der Zeit, sie wieder zu treffen? Sie wartet immer noch auf ein Zeichen von dir und sie liebt dich, auch als Nekromant. Warum gehst du ihr aus dem Weg?“

„Weil ich nicht will, dass sie genauso sterben muss wie meine Familie. Solange ich ein Nekromant bleibe, bringe ich die Menschen in meiner Umgebung in Gefahr. Dieses Schicksal erleidet jeder Nekromant in meiner Familie, einschließlich Sally. Und ich will nicht, dass noch mal so eine Tragödie geschieht und Emily etwas passiert.“ Jeannes Blick war prüfend, aber voller Mitgefühl. Ob sie wirklich nachvollziehen konnte, wieso Dathan diese Entscheidung getroffen hatte, konnte er nicht sagen aber sie erkannte wohl, dass hinter diesem Entschluss keine bösen Absichten steckten. Schließlich seufzte Jeanne tief und sagte „Du bist ein wirklich gutherziger Mensch Dathan, eigentlich schon fast zu gutherzig für diese Welt. Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun?“

„Na klar, was ist es denn?“

„Ich möchte dein Gesicht sehen.“ Dathan zuckte zurück, als er das hörte und man konnte die Angst in seinen Augen sehen. Auch wenn er schon einige Menschen in seinem Leben getroffen hatte, die sich nicht vor ihm fürchteten, hatte er immer noch Angst vor den Reaktionen. Aber etwas in ihm sagte, dass es okay war. Eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass Jeanne sich nicht fürchten oder sich angewidert fühlen würde. Also nahm er den Mundschutz ab, der ihm ein gewisses Maß an Sicherheit gab und offenbarte sein wahres Gesicht. Jeanne stand auf, ging zu ihm und fuhr sanft über die Narben und Geschwüre, die von der Säure herrührten. Jamie beobachtete sie aus den Augenwinkeln, sagte aber nichts. „Weißt du, woran ich denken muss? An das Märchen von der Schönen und das Biest. Es mag ziemlich kitschig von mir klingen, aber ich glaube, diese Rolle passt zu dir.“

„Dann meinst du, ich bin ein Biest?“

„Nein, ein Prinz hinter der äußeren Maske eines missverstandenen Wesens, vor das sich die Menschen fürchten. Aber mit Emily hast du wirklich das große Los gezogen. Du solltest sie irgendwann treffen.“ Eine lange Pause trat ein, in der jeder schwieg und den anderen gedankenverloren ansah. Schließlich fragte Jeanne nach Sally und wollte wissen, welche Geschichte sich hinter ihr verbarg. Dathan erzählte ihr jede Einzelheit. Ihre schreckliche Kindheit in Backwater, der grausame Tod ihrer Familie und die Zerstörung von Shallow Graves und ihrer Heimatstadt. Er erzählte von ihrem einsamen, verzweifelten Tod und ihrem unermesslichen Groll, vom Erbe ihres Bruders Lumis und dem Erbe der Kinsleys. Schließlich erzählte Dathan von dem Sally Film und welches Geheimnis dahinter steckte, von Maestro Sarias Arie des Wahnsinns und wie er zusammen mit dem Dämonologen Samuel Leens Sally von ihrem Groll erlöst hatte. Jeanne hörte die ganze Geschichte und blieb still, schließlich fragte sie „Dann ist sie jetzt wiedergeboren worden?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie ja auch auf der anderen Seite und es geht ihr gut. Ich kann nur das Beste für sie hoffen.“

„Fragt sich nur, warum sie jetzt in unseren Träumen erscheint. Vielleicht ist Sally noch nicht auf die andere Seite gegangen.“

„Was meinst du damit?“

„Vielleicht ist sie noch irgendwo und hat etwas Bestimmtes mit uns vor. Wir sollten morgen weiter der Sache nachgehen und versuchen, Lorraine Warren zu finden. Vielleicht haben wir ja Glück. Entschuldigt mich bitte, aber ich fühle mich nicht gut, ich lege mich noch ein bisschen hin.“ Damit erhob sich Jeanne langsam vom Sofa und ging hoch ins Gästezimmer. Sie sah in der Tat etwas blass und müde aus. Dathans Blick wanderte zu Jamie und ihm entging nicht, dass er ein gewisses Interesse an Jeanne hatte. Dathan konnte nicht anders als zu schmunzeln und er fragte „Sie ist hübsch, nicht wahr?“

„Und wie… besonders ihr Akzent…“ Doch dann merkte Jamie, worauf Dathan anspielte und er räusperte sich hastig. „Sie ist eine hübsche junge Frau.“

„Ach komm schon, jetzt sei mal nicht so. Ich seh doch, dass du ein wenig auf sie stehst.“

„Und wenn schon“ gab Jamie zurück und warf neckisch ein Kissen zu Dathan, welches dieser noch rechtzeitig abfing, bevor es in sein Gesicht landen konnte. „Sie scheint doch mehr auf dich abzufahren. Mir geht sie doch nur aus dem Weg.“

„Ich glaub nicht, dass sie auf mich steht“, erklärte Dathan und warf das Kissen wieder zurück. „In mir sieht sie einen rein platonischen Freund. Aber ich glaub, ich ahne schon den Grund, warum sie dir aus dem Weg geht: Sie glaubt, du wärst vom anderen Ufer.“

„Was?“ rief Jamie und kam gar nicht dazu, das Kissen abzufangen, woraufhin es genau auf seiner Brust landete. „Wie kommt sie auf den Trichter?“

„Dein Eifersuchtsgehabe. Ein gut gemeinter Rat: Geh mit ihr essen, ich kümmere mich schon mal um die Nachforschungen.“

„Meinst du im Ernst?“

„Na klar. Ich hab sowieso nichts Besseres vor, da kann ich schon mal ein wenig Vorarbeit leisten.“ Und so kam es, dass Jamie an Jeannes Zimmertür klopfte und sie fragte, ob sie mit ihm ausgehen wollte. Er fragte sie das nicht direkt sondern unterbreitete ihr den völlig harmlosen Vorschlag, mit ihr in eine Bar zu gehen. Jeanne war zunächst überrascht, schien aber nicht abgeneigt zu sein und willigte sogar ein. Nachdem sie beide das Haus verlassen hatten, setzte sich Dathan an den Laptop und begann nach Lorraine Warren zu suchen. Viel gab es allerdings nicht, was auf ihre Spur hinweisen konnte. Er fand nur heraus, dass Ed Warren im August 2006 in Monroe Connecticut verstorben war.

Aber ansonsten gab es nichts. Kein Wunder, denn Ed und Lorraine waren zu einer Zeit berühmt gewesen, als an Internet noch nicht zu denken war. Folglich würde er also nur über einen Umweg an sie herankommen. Und wie sah dieser Umweg aus? Ganz einfach: Das Warren Museum für Okkultismus. Ab und zu wurden dort Rundführungen angeboten und vielleicht konnten sie ja näher an die N.E.S.P.R. rankommen, indem sie sich als Begeisterte für Okkultismus ausgaben. Dathan wählte die Nummer auf der angegebenen Internetseite und meldete sich für eine Museumstour an. Er beschloss, alleine zu gehen, da die N.E.S.P.R. bereits Jeannes Gesicht kannte und Jamie besser da bleiben sollte, um auf sie aufzupassen. Außerdem war Jamie im Kampf gegen Sally bereits schwer verletzt worden und wäre um ein Haar gestorben. Er wollte nicht noch mal das gleiche Risiko eingehen und Jamie einer Gefahr aussetzen. Aber so einfach würde Jamie sich nicht abschütteln lassen. Nein, er musste sich irgendetwas einfallen lassen, um ihn zu beschäftigen. Das Beste war, die Methode „Schütz sie vor den gewalttätigen Stiefvater“ anzuwenden. Jamie, der selbst erhebliche Familienprobleme gehabt hatte, würde zu so etwas schlecht „nein“ sagen können. Außerdem sah doch ein Blinder mit Krückstock, dass er sich in Jeanne verguckt hatte. Das war ein gutes Zeichen, denn endlich würde Jamie eine neue Liebe finden. Dathan war es immer selbst unangenehm gewesen zu wissen, dass Jamie ihn unsterblich liebte. Er wusste, dass Jamie sich sehr mit seinen Gefühlen quälte und es tat ihm von Herzen leid. Und nun sah Jamie endlich eine Möglichkeit, eine glückliche und normale Beziehung aufbauen zu können. Seine Gefühle zu Jeanne waren der erste Schritt in eine normale Richtung und wenn Jamie erst einmal glücklich war, würde Dathan nach einer Möglichkeit suchen, ein normaler Mensch zu werden und wieder mit Emily zusammen zu kommen. Er wollte nicht dasselbe durchmachen wie einst Sally und eines Tages genauso werden wie sie. Er wollte keine Menschen mehr töten oder in Gefahr bringen.

Dathan saß eine Weile vor dem Laptop und wurde bald dösig. Er glaubte sich schon im Halbschlaf, denn er glaubte, Sally auf dem Sofa sitzen zu sehen. Sie sah hübsch und gesund aus. Statt dem gepunkteten Kleid wie in den unheimlichen Film, trug sie ein hellblaues mit langen Ärmeln. Ihr Haar war gelockt, sie trug eine dunkelblaue Schleife und ihr Blick hatte etwas Lebhaftes und Unschuldiges. „Ich muss wohl doch schon schlafen“, murmelte Dathan und rieb sich verschlafen die Augen. „Warum auch sonst bist du hier. Aber wenigstens siehst du nicht mehr so unglücklich aus, wenn ich dich in meinen Träumen sehe.“

„In der Tat bin ich nicht mehr so voller Zorn wie damals, als wir uns trafen, Dathan. Aber glücklich bin ich noch nicht. Es gibt noch einige Dinge, die es zu erledigen gibt. Dinge, die mir sonst keine Ruhe lassen.“ Sally beugte sich leicht nach vorne und nahm sich eines der Plätzchen, die in einer kleinen Schale bereit standen. Sie aß es in wenigen Bissen und begann leicht spielerisch mit den Beinen zu strampeln. Dathan lag im Sessel und beobachtete sie. „Was hast du vor?“

„Erinnerst du dich noch an die Zinnsoldatenfigur, die du mir gegeben hast? Ich habe sie immer noch bei mir. Natürlich nicht hier und jetzt, aber ich habe sie immer noch bei mir. Diese Figur ist das unzertrennliche Band zwischen uns, damit wirst du uns wieder finden.“

„Uns? Wen meinst du denn sonst noch damit?“

„Bleib nur weiter auf deinem Weg, du wirst deine Antworten bald finden… auch wenn einige zu schrecklich sein werden.“

„Warum sprichst du so Sally, was soll das?“

Doch als sie ihn ansah, wirkte sie sehr traurig. Sie schien den Tränen nahe zu sein und sah fast genauso unglücklich und verzweifelt aus wie damals, als Dathan sie in seinem Zimmer fand. Und dann kullerte eine Träne ihre Wange hinunter. „Es tut mir so Leid, Dathan. Ich wünschte, ich hätte dir viel früher helfen können, dann hätte es nicht so weit kommen müssen.“ Obwohl er es nicht wollte, fielen Dathan die Augen wieder zu. Als er wieder aufwachte, gab es keine Spur von Sally. Er musste wirklich geträumt haben. Wie konnte es auch anders sein? Sally war fort, sie existierte nur noch in seinen Träumen, doch so wie es schien, auch in den Träumen der anderen Nekromanten. Dathan hatte bereits darüber nachgedacht. Konnte es vielleicht sein, dass Sally sich in der Zwischenwelt aufhielt und von dort aus Kontakt zu ihm und den Nekromanten aufnahm? Aber wozu das alles? Was führte Sally im Schilde und warum nahm sie diese Arbeit auf sich? Vielleicht wollte sie helfen, die Nekromantenkinder zu befreien, aus Solidarität weil sie ebenfalls dazugehörte. Aber warum tat sie so geheimnisvoll? Gab es etwas, das sie Dathan verschweigen wollte? Wenn dem so war, dann wusste sie etwas, von dem sie wollte, dass er es lieber nicht erfuhr. Andernfalls würde er vielleicht den gleichen Fehler begehen wie sie.
 

Dathan schlief bereits tief und fest, als Jeanne und Jamie wieder zurückkamen. Sie waren gut gelaunt und lachten gemeinsam und hielten sich an der Hand. Obwohl sie auf Zehenspitzen hereinschlichen und versuchten, so leise wie möglich sein, damit sie Dathan nicht weckten, wachte dieser trotzdem auf. Müde rieb er sich die Augen und gähnte. „Seit wann seid ihr denn wieder da?“ „Seit gerade eben erst. Sorry, wir wollten dich nicht wecken.“ „Schon okay. Ich geh jetzt sowieso ins Bett. Ich hoffe, ihr hattet wenigstens einen schönen Abend. Wir können ja morgen weiter reden.“ Jamie beobachtete, wie sich Dathan ins Zimmer schleppte, um dort todmüde aufs Bett zu fallen. Bevor er aber selbst nach oben ging, richtete er noch schnell die Sofakissen, da er es nicht mochte, wenn Unordnung herrschte. Dabei fiel sein Blick auf eines der schwarzen Ledersofas und er stutzte. „Was ist los?“ fragte Jeanne und folgte seinem Blick. Jamie ging näher an die Sitzfläche heran und konnte es mit etwas Mühe erkennen: Kekskrümel neben einem kleinen Handabdruck. Er war sogar sehr klein, als gehöre er einem Kind. Na, wahrscheinlich war eines der Landon Kinder hier, um Dathan zu besuchen. Ja, so musste es gewesen sein. „Es ist nichts… schon gut.“



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