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Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2)

Crimsons eigene Serie, yay!
von

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Eine Schulfreundin

Kapitel 15: Eine Schulfreundin
 

Eigentlich hatte ein großer, bequemer Sessel mit pfirsichfarbenem Samtbezug und Goldborte nichts im Arbeitszimmer eines Alchemisten zu suchen. Schon gar nicht mitsamt der dazugehörigen Fussbank im gleichen Design. Doch Yugi war so stolz auf seinen Schwebezauber gewesen, den er benutzt hatte, um das Ding all die Stufen hoch zu schaffen. Wer hätte sich da beschweren können?

Zugegeben... die Tatsache, dass sich sein Bett in einem anderen Turm befand und der Weg doch eine gewisse Zeit in Anspruch nahm, hatte Crimsons Meinung inzwischen grundlegend geändert. Er war nicht ausgeschlafen gewesen, als er mit der Arbeit begonnen hatte, und nun, an Tag sechs, streute er gemahlenes Drachenhorn in seinen Trank und rührte gleichzeitig um, bis der Trank eine gelbliche statt blaugrüne Färbung aufwies. Danach ließ er sich seufzend in den Sessel sinken, dankbar für die Existenz des Möbelstücks. Inzwischen hatte er auch zwei goldgelbe Zierkissen und eine hellblaue Kuscheldecke (bestickt mit einem entzückenden Blümchenmuster), so dass er manchmal ein kleines Nickerchen halten konnte, wenn zwischen zwei Arbeitsschritten eine Pause von ein, zwei Stunden war. Die Lehne des Sessels ließ sich bequem nach hinten drücken, so ließ er es sich gefallen.

Tageszeit war inzwischen ein unwichtiger Faktor. Der Alchemist schlief, wann er Zeit dafür hatte, und arbeitete, wenn es erforderlich war. Es war anstrengend. Aber es machte auch großen Spaß. Die Organisation seiner Botengänger lief bisher tadellos. Fehlende Zutaten wurden ihm pünktlich gebracht. Seine Schüler und Mitarbeiter waren hochmotiviert und taten ihr Bestes. Da Crimson aber wusste, dass das Schicksal normalerweise nicht so freundlich zu ihm war (denn es stellte ihn gerne vor neue Herausforderungen, damit er daran wuchs) wartete er quasi auf den großen Knall, der seine schöne Seifenblase zerplatzen ließ.

Paladia war mit Scarlett und den anderen Amazonen abgereist. Dank seiner Arbeit bemerkte Crimson ihre Abwesenheit kaum, aber wenn er an seine kleine Famile dachte, schmerze es ihn, dass er nicht mehr einfach zu ihnen gehen konnte, wenn er es wünschte. Dafür hatte Amazia ihm eine Jungamazone dagelassen, also ein Mädchen aus ihrem Stamm, das noch unberührt war, diesen Zustand aber nach den Traditionen ihres Volkes bald ändern musste. Das hieß nicht, dass sie schwanger werden sollte, sondern sie sollte einfach die Erfahrung machen. Nun ja... damit konnte Crimson leben, er ließ sie einfach gewähren. Es war ja nicht so, als wäre eine Amazone nicht in der Lage, auf sich aufzupassen.

In den letzten Tagen und Nächten hatte er herausgefunden, dass Sorc seine Aktivitäten auf die Nacht verlegte, seit er Eria aus dem Weg ging. Seine Schülerin hatte sich nicht mehr über den Chaosmagier beklagt und schien ihn auch ganz vergessen zu haben. Aber sie war im Moment sowieso unterwegs, also war die Ruhe vielleicht etwas trügerisch.

Sorc hatte sich bisher als ziemlich nützlich erwiesen. Als ehemaliger Dunkler Herrscher über ein kleines, aufsteigendes Reich hatte er noch viele Kontakte, und zwar nicht nur zu menschlichen Wesen. Insgesamt sechs Drachen waren bisher seinem Ruf gefolgt und hatten sich in der Umgebung des Schlosses häuslich niedergelassen, um den Schülern und Bewohnern zur Verfügung zu stehen. Sie entstammten seiner früheren Gefolgschaft, waren aber eher harmlos im Vergleich zu Schattensturm oder Silberschwinge. Der Chaosmagier hatte angedeutet, dass er noch größere herbeirufen konnte, doch die kleineren reichten völlig aus für die Bedürfnisse einer Schule. Davon abgesehen hatte Kuro zu bedenken gegeben, dass es gefährlich war, die Schuldrachen unter Sorcs Kontrolle zu belassen. An dieser Stelle war Cross zu Hilfe gekommen, der sich mit Drachen auskannte und wusste, wie man ihre Loyalität auf eine andere Person übertragen konnte.

Nun war Crimson also der Herr von sechs Drachen, die ihn manchmal telepathisch davon in Kenntnis setzten, dass sie vom Jagen zurück waren oder dergleichen. Der kleine Blauäugige Weiße war noch nicht ausgewachsen und fühlte sich besser, wenn er ständig darüber Bescheid gab, wo er war und warum und wie lange es dauern würde. Die Kinder hatten ihm den Namen Lichtblitz gegeben, was Crimson ganz recht war. Er hörte jetzt also öfters mal unmenschliche Stimmen, die er dann auch noch verstand, obwohl sie nicht immer mit Worten sprachen.

Blacky leistete seinem Vater manchmal nachts Gesellschaft, aber da er am Tag von seinen Freunden in Beschlag genommen wurde und Dark nicht ständig auf ihn verzichten wollte, hielten sich die gemeinsamen Zeiten in Grenzen. Was vielleicht gut so war, denn wenn Blacky anwesend war, schaffte Sorc kaum seine Arbeit. Wobei Crimson noch immer nicht so recht wusste, was der Mann eigentlich tat außer die Wände zu bemalen. Cathy war skeptisch, aber der Schlossherr war viel zu neugierig, als dass er den Vorgang unterbrochen hätte. Er wollte unbedingt wissen, was dabei herauskam. Und im Prinzip gab es auch keinen Grund, den Magier an der Tätigkeit zu hindern, denn dabei schien kein Schaden zu entstehen und er vernachlässigte auch keine anderen Aufgaben... schließlich hatte er nicht wirklich welche, außer sich generell um die Sicherheit zu kümmern.

Ab und zu, wenn Blacky nichts weiter zu tun hatte, legte er sich tagsüber schlafen, um seinen Schlafmangel auszugleichen, der durch seine nächtlichen Aufenthalte bei Sorc entstand. Chaosmagier der er war, bekam er das alles gut hin. Er konnte sogar die Zubereitung des Frühstücks übernehmen, ohne eine Katastrophe auszulösen – eine Kunst, die er, wie er stolz betonte, von Yugis Großvater gelernt hatte. Dabei leistete ihm Sorc für gewöhnlich Gesellschaft, bevor er sich für den Tag in sein Zimmer zurückzog. Für ihn war das Frühstück dann quasi das Abendessen, was vielleicht nicht die schlechteste Lösung für ihn war, denn so kannte er es ja wahrscheinlich noch von Lord Genesis. Crimson hatte es aufgegeben, sich Sorgen um seine Küche zu machen, denn das Ergebnis war akzeptabel, manchmal sogar lecker, und der größte Teil der Einrichtung blieb heile. Darüber hinaus war die Anordnung des Inventars jedes Mal neu, wenn das Chaos sie verließ, was zu unterhaltsamen Suchaktionen des jeweils nachfolgenden Benutzers beitrug.

Während Dark kaum Energie an das Schlossherz spenden konnte, war Blacky ähnlich freigiebig wie sein Vater. Cathy mochte es, ihn zu Besuch zu haben, und ermunterte Crimson, den Chaosmagier möglichst lange zu behalten – so konnte der magische Energiespeicher ein wenig schneller gefüllt werden, was besonders wichtig war, während die Hälfte aller Schlossbewohner auf Missionen unterwegs war.

Appi wollte am liebsten auch für Crimson auf Missionen gehen, aber er war letztendlich auch ganz gut damit beschäftigt, mit Yugi und Yami Spaß zu haben. Daran beteiligten sich auch Blacky und Dark, denn irgendetwas mussten sie ja tun. Wenn Crimson nachsah, wo sie steckten, waren sie meistens im Meer schwimmen, im Garten und halfen Kuro, bei Cross und halfen mit dem Training der Drachen, oder bei Lily und gingen ihr mit verschiedenen Dingen zur Hand. Beispielsweise war Dark gut genug in Alchemie, um ihr die regulären Heiltränke herzustellen. Yami, Yugi und Appi gingen dann immer mit den verbliebenen Schülern – Rosi und Saambell – nach draußen und suchten die Zutaten, wobei Rosi sich wie ein Profi vorkam. Legend, Veiler, Dharc und Milla waren bereits auf neuen Missionen.

Lily hatte nicht gerade viele Patienten im Moment, aber sie war trotzdem dankbar für die Hilfe. Es gab Dinge, die sie jeden Tag tun musste, etwa den Bestand an Medizin und anderem Material überprüfen und auffüllen, kleinere Wehwehchen der Schlossbewohner behandeln, Kuro im Garten besuchen und den Kräuteranbau mit ihm abklären. Ab und zu bekam das Schloss auch Besuch aus einem der Dörfer in der Nähe, von wo die Nahrungsmittel geliefert wurden. Crimson hatte sich dazu verpflichtet, den Einwohnern mit Zaubertränken zu helfen oder einen Magier zu schicken, wenn ein Problem nicht anders zu lösen war. Seine Leistungen beschränkten sich aber größtenteils auf Mittel gegen Ungeziefer für die Vieherden.

Olvin hielt sich in letzter Zeit oft bei Lily auf. Die Fee war begeistert von seinem Erfahrungsschatz. Obwohl die meisten Heiler, die etwas auf sich hielten, entweder zusätzlich Necromantie studierten oder dieses Fachgebiet strikt ablehnten, war sie sehr offen für seine gelegentlichen Abschweifungen zu dieser dunkleren Seite der Heilkunst. Crimson vermutete, dass sie froh war, endlich jemanden zum Fachsimpeln zu haben, jemanden, der es verstand, wenn sie eine bestimmte Medizin verordnete oder den Patienten zu mehr Bewegung drängte. Auf der anderen Seite konnte Olvin ihre Hilfe für sich selbst gut gebrauchen. Er verbrauchte weniger von seiner eigenen Energie, wenn er auf ihre Hilfe zur Behandlung seiner körperlichen Leiden zurückgriff.

Der alte Necromant hatte jetzt weitgehend seine Ruhe, aber die letzten Aktionen im Schloss hatten ihm viel abverlangt, zum Beispiel seine Tricks, um unbemerkt zu bleiben, und nicht zu vergessen die Vision, die er für Crimson kreiert hatte. Deswegen hatte er sich letztendlich wohl auch aus seinem Versteck gewagt – viel länger hätte er nicht durchgehalten. Im Moment war es noch zu früh, um zu beurteilen, ob es ihm körperlich besser ging, seit er sich nicht mehr im Schloss verbergen musste. Crimson überprüfte jeden Tag mit Hilfe von Cathy, wie es um den Mann bestellt war, und erwischte sich dann immer bei widersprüchlichen Gedankengängen: Wenn Olvin starb, musste er sich keine Sorgen mehr wegen des Tranks machen. Zugleich fühlte er sich für ihn verantwortlich wie für einen Großvater. Außerdem wäre es aus alchemistischer Sicht tragisch gewesen, das Projekt nicht zu beenden. Möglicherweise war dies der Hauptgrund, warum Crimson stets entschied, dass er sich Olvins Überleben wünschte, auch wenn das gefährlicher für ihn war.
 

Crimson schreckte aus einem leichten Schlummer hoch, als Cathy ihm meldete, dass es Zeit zum Hinzufügen der nächsten Zutat war. „Dark hat Essen vor die Tür gestellt, Meister. Es ist Gemüseeintopf nach einem Rezept von Kuro, ich fürchte nur, der Wärmezauber hat innerhalb der letzten halben Stunde etwas nachgelassen.“

Das war für Crimson schon in Ordnung. Er kümmerte sich erst um den Trank und holte dann das Tablett herein, um es sich auf den Schoß zu stellen, während er im Sessel saß und aß. Auf seiner Arbeitsfläche vermied er Nahrungsmittel, die zu Spritzern neigten. Die Suppe war ganz gut. Er achtete im Moment nicht sonderlich darauf, was er aß, wusste aber, dass seine Leute es taten. Sie gestalteten das Essen ausgewogen und reichlich und sorgten dafür, dass Cathy ihn daran erinnerte, es herein zu holen und zu verzehren. Das Schlossherz wiederum sagte den Essensboten, ob er schlief oder gerade konzentriert arbeitete, so dass er in solchen Fällen nicht gestört wurde. Nur wenn er wirklich genug Zeit zwischen den Arbeitsschritten hatte, ging er zum Essen nach unten oder zum Schlafen in sein Zimmer. Er versuchte, sich zumindest einmal am Tag zu zeigen, damit alle wussten, dass es ihm gut ging. Schließlich wollte er nicht, dass Lily auf komische Gedanken kam. Sie missbilligte ohnehin, dass er manchmal Schlaftränke und Muntermacher benutzte.

„Könnt Ihr heute am Abendessen teilnehmen?“ erkundigte das Schlossherz sich.

Crimson hatte gar nicht bewusst bemerkt, dass Cathy noch da war. Der Geist hatte die Pläne des Trankes gespeichert, seit er den Ablauf einmal mit ihm besprochen hatte. Das war ein Vorteil, wenn man ein Schlossherz hatte. Cathy wusste folglich, ob sein Plan es ihm erlaubte, irgendwo anders zu sein als im Alchemieturm, aber Crimson musste selbst abschätzen, ob er ausgeschlafen genug war.

„Ich denke schon,“ antwortete er. „Vorher kann ich doch sicher noch zwei oder drei Stunden Schlaf nachholen.“

„Dann gebe ich unten Bescheid,“ sagte Cathy und dematerialisierte sich.

Crimson stellte das Essenstablett vor die Tür und nahm wieder seinen Sessel in Beschlag. Er nickte ein bisschen ein und hatte das Gefühl, dass kaum Zeit vergangen war, als er wieder geweckt wurde.

„Meister, Besuch ist im Anflug.“ Cathy, der sich nur als Stimme in seinem Kopf meldete, projezierte ein visuelles Bild in eben jenen.

Ein eher kleiner Drache näherte sich in bequemem Tempo. Es dauerte einen Moment, ehe Cathy das Bild so zeigen konnte, dass Crimson die Reiterin erkannte. „Oh... ich gehe wohl besser mal runter.“ Er zupfte seine etwas zerknitterte und müffelnde Robe zurecht und jagte einen Reinigungszauber über sich selbst. Zu mehr hatte er keine Zeit, denn dazu wäre der Weg einfach zu lang gewesen, aber so ging es ja auch.

Gespannt machte er sich auf den Weg zum Haupttor. Er schaffte es, unten zu sein, als der Drache gerade vor dem Tor landete und die Reiterin von seinem Rücken sprang. Sie trug die auffällige weiße Kleidung, die er von ihr kannte.

„Silentia, wie schön, dich endlich zu sehen! Ich dachte schon, du kommst gar nicht!“ Er ging mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.

Auch sie breitete die Arme aus, doch anstatt ihn zu umarmen, verpasste sie ihm links und rechts eine schallende Ohrfeige.

Crimson senkte die Arme. Er ließ den Kopf noch für einige Sekunden in der zur Seite blickenden Stellung, die ihm der letzte Angriff eingebracht hatte, dann erholte er sich allmählich von dem Schock. „Was soll...“

„Das ist dafür, dass ich mir in den letzten Tagen nichts als Müll von meinem Schulrat anhören durfte!“ schrie seine ehemalige Mitschülerin ihn an. „Diese hirnlosen Idioten, egiostischen Polit-Trampel, elenden Feiglinge! Lass uns in dein Büro gehen, da kann ich dir alles genauer erklären.“

Crimson war ziemlich verwirrt, er hatte geglaubt, sie wäre wütend auf *ihn*. Was hatte denn der Schulrat damit zu tun? Nun... vermutlich musste sie den Schulrat hinzuziehen, wenn es um etwas ging, das einen früheren Angestellten betraf.

Im Büro nahm Silentia auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz, daher setzte sich Crimson ihr gegenüber. „Was sind das da drüben für kitschige grüne Sessel?“ fragte sie ihn.

„Die waren im Starterpack enthalten,“ sagte er schulterzuckend.

„Na fein, wie auch immer,“ grummelte Silentia. „Ich habe deinen Brief erhalten und freute mich eigentlich, dass du mal zu deinen Schandtaten stehst. Zugegeben, ich habe damals auch frohlockt, als Professor Vindictus weg war, aber... nun ja. Ich hab der Schulleitung einen anonymen Tipp gegeben, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich war wohl schon immer zu anständig für diese Welt.“

„Ah... du warst das...“

„Ist ja auch egal, es hat ja nichts an den Tatsachen geändert. Und wie es scheint, will auch niemand, dass sich daran jetzt noch etwas ändert. Diese Säcke vom Schulrat haben beschlossen, dass nichts unternommen wird! Ich habe Tage gebraucht, bis mal alle Zeit für eine Versammlung hatten, und dann haben wir ewig diskutiert! Sie wollen den guten Ruf der Schule nicht besudeln, denn wie sieht denn das aus, wenn diese Sache jetzt, zehn Jahre später, aufgeklärt wird?“ Silentia äffte den langsamen, greisigen Tonfall eines der Mitglieder nach: „Das würde den Anschein erwecken, als wären wir damals nicht in der Lage gewesen, diese Sache aufzuklären!“

„Aber es wurde doch schon damals aufgeklärt,“ wandte Crimson ein. „So mehr oder weniger.“

Sie nickte. „Schon. Es wurde dir angelastet, aber allgemein hieß es ja, du hättest etwas missverstanden und deshalb diese Anschuldigungen gegen Professor Vindictus vorgebracht.“

Crimson senkte beschämt den Blick. „Es hat alles besser geklappt, als ich es mir erhofft hatte. Aber... wenn ich das richtig verstehe, wird die Sache jetzt unter den Tisch gekehrt?“

Silentia warf in einer frustrierten Geste die Hände hoch. „Ganz genau. Kein Aufsehen, keine Komplikationen. Sie haben angedeutet, dass sie mich ersetzen würden, wenn ich ein Problem mit der Schulpolitik hätte. Pah! Als ob das so leicht wäre! Eigentlich hätte ich aufstehen und gehen sollen, aber das kann ich den Schülern nicht antun. Sonst wird nämlich der alte Tränensack Rektor! Ich vermute, er fühlte sich übergangen, als ich ernannt wurde.“

„Tränensack? Ach du Scheiße,“ kicherte Crimson. Er konnte sich kaum erinnern, wie der alte Lehrer wirklich hieß, er und seine Bande hatten ihn schon immer so genannt. „Das lohnt sich doch kaum, der ist doch schon fast um richtigen Alter für den Ruhestand!“

„Das ist er seit zwanzig Jahren, wenn du mich fragst,“ erwiderte die Magierin trocken.

„Es ist wichtig, dass die Wahrheit bekannt wird,“ erläuterte Crimson ihr. „Ich habe es Olvin versprochen. So nennt sich Vindictus jetzt. Olvin. Er... wohnt zur Zeit hier. Es geht ihm nicht besonders gut, weil er in letzter Zeit zu viel Necromantie angewendet hat, und das in seinem Alter... Wir haben uns damals keine Vorstellung gemacht, was so ein Streich einem Menschen antun kann.“

„Du vielleicht nicht. Aber ich muss zugeben, besonders schlimm habe ich es mir auch nicht vorgestellt. Ich dachte, er findet vielleicht keinen Job mehr, aber er ist eh alt genug, sich zur Ruhe zu setzen.“

„Er hatte keinen Ort zum Leben, weil seine Familie ihn nicht aufgenommen hat...“ Crimson erzählte seiner Besucherin alles, was er von Olvin selbst erfahren hatte, darüber, wie traurig sein Leben verlaufen war. „Und letztendlich habe ich dann noch dazu beigetragen, dass er seine letzte Arbeitsstelle verloren hat,“ beendete er seinen Vortrag. „Auch wenn man bei einem Eroberer damit rechnen muss, dass er besiegt wird, aber für Olvin war es... ein Job. Der einzige, den er bekam.“

Silentia seufzte. „Ich dachte, es wäre vielleicht in deinem Sinne, wie der Schulrat entschieden hat, auch wenn mich der ganze Vorgang fürchterlich genervt hat.“

„Normalerweise wäre es das auch, aber wie die Dinge liegen, muss ich die Wahrheit irgendwie verbreiten.“ Crimson rieb sich grübelnd die Stirn.

Sie griff in ihre Jackentasche. „Hier, ich habe den Brief mitgebracht, den du mir geschickt hast. So musst du nicht den ganzen Text neu formulieren. Ich dachte, du könntest das vielleicht kopieren und ans schwarze Brett hängen oder so.“

Crimson runzelte die Stirn und dachte darüber nach. „Hm... ich werde eine Abschrift anfertigen, aber ich glaube... hm. Wenn du willst, dass eine Nachricht sich verbreitet, dann geht es am besten, wenn es so aussieht, als wäre sie geheim.“ Er war überrascht, wie leicht er wieder zu dem Schabernack treibenden Jungen von früher mutierte. „Warte, warte... mir kommt da gerade eine Idee...“

Seine Besucherin lehnte sich abwartend zurück. „Du hast diesen Gesichtsausdruck wie früher, wenn du was ausgeheckt hast...“

„Das hoffe ich stark.“

Indessen kam Yugi herein und brachte ein Tablett mit Bechern und einer Kanne Saft. Crimson beobachtete, dass er Silentia neugierig ansah, noch immer sehr leicht begeisterungsfähig, wenn er jemanden von einer Spielkarte erkannte. Sie hingegen hielt ihn wohl für einen beliebigen Schüler seiner Schule, denn sie beachtete ihn nicht weiter, bedankte sich lediglich, als er den beiden etwas einschenkte. Yugi verzog sich wieder, und der Schlossherr war erneut fasziniert davon, wie gut alles klappte, ohne dass er etwas tat. Er hätte nicht daran gedacht, Getränke anzubieten.

„So, ich habe einen Plan,“ konnte er schließlich verkünden. „Hör zu...“

Crimson und Silentia feilten eine gute Stunde an dem Plan, allerdings drifteten sie ständig zu anderen Themen ab, sonst wären sie viel schneller fertig gewesen, schließlich war die Idee nicht allzu kompliziert. Aber es machte Spaß, die Möglichkeiten immer wieder zu besprechen. Es war ganz wie früher. Sie brachte ihm einen kleinen Zauber bei, mit dem er Dokumente vervielfältigen konnte, ohne sie per Hand abzuschreiben, er musste nur ein leeres Blatt darunter legen. So vervielfältigten sie dann auch den Brief. Superpraktisch für Lehrer.

„Sag mal... weißt du etwas darüber, dass Einblum angefangen hat zu blühen?“ fragte sie dann.

„Tut er das nicht immer, wenn er Lavanüsse frisst?“ reagierte Crimson sogleich. „Oder vielleicht ist es einfach die Zeit.“

„Nein, es ist nicht die Zeit und er hatte auch keine Lavanüsse... soweit ich weiß.“ Die Frau sah ihn mit streng verengten Augen an.

Crimson hatte den Eindruck, dass sie ihm eine letzte Chance gab, mit der Wahrheit herauszurücken. Es kostete seine ganze Willenskraft, einen Blick zur Seite zu vermeiden. Er hatte nicht darauf geachtet, ob die Pinnwand mit den Zetteln abgedeckt worden war.

„Du schweigst, also bist du schuldig,“ stellte sie fest.

„Hey! Das willst du nach so einem winzigen Moment beurteilen können?“ protestierte er.

„Crimson, du hättest doch einfach fragen können, wenn du etwas von Einblum brauchst.“

„Angenommen, es gäbe da etwas. Dann wäre es möglicherweise etwas, wovon du besser nichts weißt, in deiner Position als Rektorin der Akademie.“

Sie hob skeptisch die Augenbrauen. „Verstehe... nun, wahrscheinlich habe ich mich geirrt und es... ist doch möglich, dass irgendwo noch Lavanüsse herumlagen.“

Crimson nickte bedächtig und bemühte sich, sachlich auszusehen. „Bestimmt.“

„Na fein... erzähl mir was über deine Schüler. Du hast ja noch nicht viele, oder?“ lenkte sie das Gespräch wieder in ungefährlichere Bahnen.

Darüber gab der Schlossherr bereitwillig Auskunft und hoffte nur, dass Silentia die Schüler nicht alle kennen lernen wollte, aber sie verlangte nichts dergleichen.

Natürlich kam er nicht dazu, noch etwas zu schlafen, aber dafür war der Besuch der alten Schulfreundin sehr erfrischend. Sie blieb nicht zum Abendessen, sondern reiste vorher wieder ab, denn sie wollte Olvin nicht begegnen.

„Wie soll ich mich ihm gegenüber denn verhalten, ich kenne ihn doch nur als Vindictus und war damals mit dir befreundet...“ jammerte sie. „Da verschiebe ich das Treffen lieber auf einen späteren Zeitpunkt, wenn seine Ehre wieder hergestellt ist oder so...“

„Ich brauche noch ungefähr drei Wochen,“ deutete Crimson an. „Dann dürfte dem nichts mehr im Wege stehen.“

Ihm war etwas mulmig zumute, aber im Prinzip konnte er den Dingen an der Akademie jetzt ihren Lauf lassen, also kehrte er direkt nach dem Essen in seinen Turm zurück – allerdings machte er schnell noch einen Abstecher ins Bad im Keller und besorgte sich anschließend eine neue Robe. Dann war es Zeit, den Trank mit einigen gemahlenen Mineralien zu versorgen.

Crimson bereitete noch die nächsten Zutaten vor und ließ sich nach getaner Arbeit müde in seinen Sessel plumpsen. Morgen Mittag erwartete er Mava zurück. Am späten Nachmittag benötigte er das Schattenmoos, und er musste es vorher noch mit dem Saft von einer Handvoll Wurzeln des Blutdornenstrauches aufkochen. Das konnte knapp werden, denn er konnte nicht beginnen, bevor alle Zutaten bereitstanden. Wenn er die Wurzeln zu lange kochte, wurden sie unbrauchbar, deshalb konnte er nicht auf gut Glück damit anfangen.

Bisher hatte alles gut geklappt mit seinen Botenfliegern. Trotzdem schlief Crimson unruhig, so dass er auf eins von Lilys Schlafmittelchen zurückgriff. Nur wenig, denn in zwei Stunden musste er sich wieder um den Trank kümmern.

Als es soweit war und Cathy ihn weckte, bekam er mit, dass die Jungamazone – Atria – durch das Schloss streifte. Sein Schlossherz wollte ihn dies nur kurz wissen lassen, doch er verfolgte amüsiert, wie sie zwei oder dreimal beinahe Sorc über den Weg lief, während dieser an seinem geheimnisvollen Zauber weiterarbeitete. Er schien sie immer zu bemerken und konnte ihr ausweichen. Ob sie auf der Suche nach ihm war oder sich nur zufällig in der selben Gegend aufhielt, war nicht zu erkennen. Auf jeden Fall legte Sorc offenbar keinen Wert auf eine Begegnung. Logisch. Sie hätte seine Tochter sein können.

In der Zwischenzeit erledigte Crimson seine Arbeit und fragte sich, ob wohl Eria auch bald wieder eintreffen würde. Er machte sich ständig diese Sorgen, aber bisher immer unnötig. In der Nacht würde sie vermutlich nicht reisen. Er nahm seinen Sessel wieder in Betrieb, um dort die Zeit der Nacht zu verbringen, in der der Trank keine Zuwendung brauchte. Auch heute war nichts Gravierendes schiefgelaufen, und er fragte sich, ob er sich nur einbildete, dass das zu schön war, um wahr zu sein...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Hikari-Yumi
2013-07-20T21:22:22+00:00 20.07.2013 23:22
Huhu :)
Hier kommt mein zweiter kommi.
Bin gerade im Urlaub, und habe kaum inet.
Jedenfalls ist auch dieses Kapitel richtig klasse! Der Anfang über den Sessel wr sehr gelungen, silentia gefällt mir, sie ist nett denke ich.
Den Drachen den jungen finde ich süß...
Und was die jungamazone betrifft... Das wird noch was geben, denke ich.
Ich bin schonmal gespannt^^
Antwort von:  Purple_Moon
20.07.2013 23:43
Ich hab mir schon gedacht, dass du kaum Internet hast, nachdem ich zwei Stunden nach der Veröffentlichung der letzten Episode noch keinen Kommi von dir hatte XD
Die Jungamazone war ne spontane Idee, aber vielleicht kann ich das später so aussehen lassen, als hätte ich das lange aus einem bestimmten Grund geplant. Naja, zumindest für mehr Unterhaltung, jetzt wo fast alle unterwegs sind...
Ich arbeite an Crimsons böser Vorahnung bzw. deren Bewahrheitung. :)
Schönen Urlaub noch!
Von:  jyorie
2013-07-20T08:23:52+00:00 20.07.2013 10:23
Hallo ^.^

ein schönes neues Kapitel :D

oh man, ich habe schon wer weiß was gedacht, als Crimson die Ohrfeige kassiert hat :D das Gespräch mit der Rektorin war interessant, auch wie sie hinterher zurück gerudert ist, als Crimson ihr erklärt hat, das es für sie wohl besser ist, wenn sie nicht wissen, wieso er etwas von ihrem Drachen brauchte :D

Ich hoffe das Crimson mit seinem vermuten nicht recht hat, das etwas in zukunft passiert mit seinem Zeitplan – aber da du es spannend hälst, wird es bestimmt eintreten – wozu hätte er sonst die schlechte vorahung^^

hat Spaß gemacht, das neue Kapitel zu lesen :)

Liebe Grüße
Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
20.07.2013 13:55
Hi!
Ach, Silentia und Crimson verstehen sich so gut, dass seine Bemerkung quasi ein Geständnis für sie war, über das man dann nicht weiter reden muss. So kann sie später sagen, wie wusste von nichts.^^
Übrigens ist Einblum ein Einhorn - er wird in einem der vorigen Kapitel mal erwähnt, als Dharc von ihm was holen soll.
Oh natürlich passiert noch was, darauf kannst du aber wetten! :P Ich versuche gerade, meine fiesen Ideen in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. *g*
Danke für den Kommi!
PM
Antwort von:  jyorie
20.07.2013 17:27
ahhh sorry, auf Einhorn bin ich nicht mehr gekommen (irrgendwie hatte ich dann einen Drachen im Kopf)
XD ich freu mich drauf, auch wenn mir deine Charas irgendwie schon leid tun^^"
Antwort von:  Purple_Moon
20.07.2013 23:45
Die werden dein Mitleid schon bald wieder brauchen, muahahahaaa!^^


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