Zum Inhalt der Seite

Fremde Welten: Das Schloss am Meer (#2)

Crimsons eigene Serie, yay!
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hoher Besuch

Kapitel 13: Hoher Besuch
 

Am ersten Tag seiner Zaubertrankbrauerei war alles gutgegangen. Crimson würde wohl nie Rosis stolzes Gesicht vergessen, als sie ihm die Salpheuskrautblätter präsentierte, oder Saambell, die mit Füßen voller Sand die Muscheln lieferte. Er hatte Rosi gezeigt, wie man aus den Blättern einen Aufguss herstellte, der nicht zu lange ziehen durfte, damit sich nur die gewünschten Substanzen lösten, die in den Trank gehörten. Saambell hatte er beim Zermörsern der Muscheln helfen lassen. Die beiden waren vor Stolz fast geplatzt, erst recht, nachdem sie später auch noch zusammen mit Milla gekocht hatten.

Heute, an Tag zwei, war Kuro für das Essen zuständig, denn er hatte sich freiwillig gemeldet. Alles, was er kochte, war sehr einfach und oftmals vegetarisch, denn er hatte sich auf seinen vielen Reisen als Landstreicher allerhand Rezepte ausgedacht, in denen Wurzeln, Früchte und Kräuter vorkamen, manchmal Eier und eher selten Fleisch. Ein guter Jäger war er nämlich nicht. Das spielte zwar im Schloss keine Rolle, weil die Nahrung ja nicht selbst gefangen werden musste, aber Kuro kochte einfach so, wie er es konnte. Das schmeckte wahrscheinlich auch besser als irgendwelche Experimente.

Die Schlossbewohner richteten sich nach Crimson. Wenn er gerade Zeit hatte, servierten sie Essen. Das fand er lieb. Im Moment ging eben nichts nach einem bestimmten Muster, sondern musste flexibel angepasst werden. Die Kinder stellten Kekse her, damit er in der Nacht etwas zu knabbern hatte. Die Kekse waren etwas unförmig und ziemlich hart, aber sie versprachen zu üben und Crimson tunkte sie dann eben in seinen Tee.

Er hatte nebenbei nicht vergessen, dass er Yami Farbstoffe versprochen hatte, und mischte diese zusammen, wenn er gerade eine Pause hatte, die zu kurz zum Schlafen war. So etwas fand er entspannend. Gerne hätte er auch das Essen gemacht, aber wenn er sich darum noch gekümmert hätte, wäre er wirklich nicht mehr zum Schlafen gekommen. Das Gute war nur, dass sein illegaler Trank später weniger Zutaten benötigte, statt dessen musste man ihn allerdings öfter mal umrühren oder aufkochen. Jetzt am Anfang mussten noch täglich etliche Dinge hinzugefügt und vorher irgendwie behandelt werden. Der Alchemist musste sich also ständig darum kümmern, Zutaten zu zerkleinern, aufzubrühen, zu schälen oder irgendwo zum Trocknen aufzuhängen.

Er war noch weit davon entfernt, den Spaß an der Arbeit zu verlieren, und er wusste ja, dass die Aktion zeitlich begrenzt war. Dass seine Leute so gut mithalfen, motivierte ihn zusätzlich. Heute erwartete er die Lieferung vom Kristallschloss und freute sich darauf, alles zu sortieren und zu benutzen. Es war wohl nicht übertrieben zu sagen, dass er sich für ein neues Paket mit alchemistischen Zutaten begeistern konnte wie ein Kind für ein lang ersehntes Haustier. Er durfte nur nicht daran denken, was irgendwelche fremden Magier aus seinem Kräutergarten gemacht hatten. Vielleicht wohnte sogar jemand in seinem alten Zimmer! Uh...

Nach dem Mittagessen hatte Crimson es eilig, zurück zu seinem Trank zu kommen, aber er hatte eine halbe Stunde Zeit gehabt zum Essen, die er genutzt hatte, denn wenn seine Lieferung kam, musste er sich erstmal damit befassen. Er zermörserte das Kraut, das Dharc ihm besorgt hatte, und gab die Pampe dann in den Trank. Der Duft war fast einschläfernd süß, aber das empfand erfahrungsgemäß jeder anders. Crimson selbst hatte schon einmal mit dieser Zutat gearbeitet und den Geruch damals als frisch wie ein Hustenmittel empfunden. Eventuell passte er sich den jeweiligen Bedürfnissen des Betreffenden an.

Dharc war ganz fasziniert von Einblum und redete seit seiner Begegnung mit dem Wesen kaum noch über etwas anderes. „Als er die Lavanüsse gefressen hat, wuchsen orangene Blüten auf seinem Rücken!“ ließ er jeden wissen, der ihm zuhörte. Die Kinder wollten seine Geschichte immer wieder hören – wie er sich heimlich in den Garten geschlichen und das Wesen ausfindig gemacht hatte... Man konnte meinen, er hätte ein schreckliches Monster gezähmt. Dabei waren Einhörner nicht wirklich gefährlich für Menschen, sie zeigten sich nur nicht immer.

[Meister, ein Drache ist im Anflug,] meldete Catherine. [Und jemand fliegt nebenher.]

„Oh, das sind sicher Dark und Blacky. Ich gehe sie empfangen,“ freute Crimson sich und vergewisserte sich schnell, dass mit seinem Projekt alles in Ordnung war, um dann zum Haupttor zu eilen. Bis zur nächsten Zugabe von Zutaten dauerte es jetzt gut zwanzig Minuten.
 

In diesem speziellen Fall wäre es wohl besser gewesen, sich die Besucher aus Cathys Sicht zeigen zu lassen, denn dann wäre er vorbereitet gewesen. Als Crimson die Haupthalle erreichte, trat der Besucher bereits ein, da das Schlossherz ihm Einlass gewährte – schließlich gab es ja keinen gegenteiligen Befehl.

Es war ein geflügelter Mann unbestimmten Alters. Er hatte weißes Haar, das ihm wellig auf die Brust hing und das rechte Auge fast verdeckte, was ihn verwegen aussehen ließ. Seine gefiederten Flügel hatten die gleiche violette Farbe wie seine Gewandung unter der dunklen Rüstung, und er trug dazu einen weißen Umhang mit breiten Schulterverzierungen. Über seinem Kopf schwebte eine schwarze Scheibe wie ein dämonischer Heiligenschein. Er musste wohl ein Unterweltler sein. Seine Begleiterin wartete in einiger Entfernung vom Schloss bei ihrem Drachen.

Der Fremde ging Crimson entgegen. „Ihr seid gewiss der Schlossherr. Mein Name ist Belial, Marquis der Finsternis, Abgesandter des Zirkels des Bösen als Betreuer des Rehabilitanden Sorc. Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“ Belial verneigte sich höflich zum Gruß. „Wegen der Eile der Sache wurde ich mit der Angelegenheit betraut, obwohl eigentlich ein Kollege sie übernehmen sollte.“

„Ja, ich bin Crimson.“ Er neigte ebenfalls den Kopf zum Gruß. „Wieso habt Ihr es so eilig? Es handelt sich doch nur um einen Routinebesuch, nicht wahr? Und möchte die Dame denn nicht eintreten?“

„Ich muss darauf bestehen, dass die Lady draußen wartet, bis wir hier fertig sind. Könnt Ihr wohl den Klienten Sorc herbeordern, damit wir in Ruhe reden können?“

„Aber natürlich... hier entlang.“ Crimson führte den Marquis in sein Büro, während Cathy bereits meldete, dass er Sorc sofort Bescheid geben würde. Zum ersten Mal kamen die Gästestühle vor dem Schreibtisch wirklich zum Einsatz.

Crimson notierte sich im Geiste, dass er die Pinnwand irgendwie abdecken musste für den Fall, dass überraschend Besuch kam, aber zum Glück beachtete Belial sie gar nicht. Statt dessen packte er einige Akten und Formulare aus und verteilte sie auf seiner Seite des Tisches. Die Sachen mussten wohl unter dem Umhang gesteckt haben.

„Wünscht Ihr, dass ich Sorc mit einem Sicherheitszauber belege, sobald er eintrifft?“ erkundigte sich der Unterweltler. „Das ist Standard in solchen Fällen.“

„Ähm... wenn Ihr meint...“ Crimson hatte das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Die Stimmung war so furchtbar ernst.

Als schließlich Sorc anklopfte und eintrat, erhob Belial sich sogleich und stellte sich ihm auf ähnliche Art vor wie zuvor dem Schlossherrn: „Belial, Marquis der Finsternis, Abgesandter des Zirkels des Bösen und Euer Betreuer für das Rehabilitationsprogramm. Chaoshexer Sorc, uns liegt eine Beschwerde über Euch vor. Bitte haltet Eure Hände vor Euch. Handflächen offen nach oben.“

Crimson runzelte die Stirn. War das die übliche Vorgehensweise? Und was für eine Beschwerde? Sorc warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, denn ihm schien genau diese Frage auch auf der Zunge zu brennen. Er fing sich schnell wieder und kam der Aufforderung widerstandslos nach. Belial legte ihm goldfarbene Handschellen an und sprach eine kurze Formel. Dann setzten sich beide auf die Besucherstühle.

Inzwischen war Crimson sicher, dass er irgendetwas nicht mitbekommen hatte. Während er auf die Erleuchtung wartete, wurde ihm bewusst, dass Cathys Aufmerksamkeit bei ihm war. Theoretisch bekam sein Schlossherz eh alles mit, was es wollte, aber er hatte es noch nie so intensiv gespürt. Sicher traute Cathy diesem Marquis Belial nicht so recht. Er behielt Besucher ja gerne im Auge.

Der geflügelte Unterweltler blätterte ein paar Notizen durch. Sorc schielte ab und zu zu ihm hinüber und starrte ansonsten auf die Schreibtischutensilien. Er wirkte etwas müde, und irgendwie ahnte Crimson, dass Cathy ihn aus dem Bett gescheucht hatte. Seine knielange Robe aus dem Lagerbestand war nicht richtig zurechtgezupft, außerdem war sie ärmellos, so dass dem aufmerksamen Beobachter auffiel, dass der Verband am rechten Arm weniger geworden war. Nur der Unterarm war jetzt noch betroffen, während am Oberarm ausreichend verheilte Brandnarben zu sehen waren. Sorc machte anscheinend reichlich Gebrauch von Lilys Tränkevorrat. Seine anderen Verletzungen waren auch schon größtenteils verschwunden. Crimson fragte sich nur, bei welcher Gelegenheit er sich bloß so verbrannt hatte. Zwar hatte er sich geschworen, ihn mit seinem Problem nicht zu helfen, solange der ältere Magier nicht darum bat, aber die Neugier war nicht zu unterschätzen.

Inzwischen hatte Belial gefunden, was er suchte. Verwundert sah Crimson, dass es das Kontaktformular war, das er vermisst hatte. Es war ausgefüllt und offensichtlich auch abgeschickt worden. Belial steckte es hinter zwei oder drei Notizblätter. „Direktor, ich möchte Euch im Namen meiner Mitverschwörer noch einmal dafür danken, dass Ihr an diesem Programm teilnehmt. Aber ich habe fast den Eindruck, dass Ihr Euch nicht im Klaren darüber wart, worauf Ihr Euch einlasst. Eurer Beschwerde nach kommt es durch die Anwesenheit des Klienten Sorc zu Störungen im Tagesablauf der Schule und anderen Komplikationen, die aber von uns als normal eingestuft werden, wenn man bedenkt, dass Ihr einen Verurteilten der Stufe drei beherbergt. Möglicherweise habt ihr... die Folgen unterschätzt. Aber was mich speziell zur Eile angetrieben hat, war die Schilderung der Schwierigkeiten, die es mit Eurer Schülerin gibt. Wenn ich das richtig verstehe, war sie vor etwa neun Monaten Gefangene bei Sorc, hier in diesem Schloss, und fühlt sich deswegen von ihm bedroht, verfolgt und belästigt. Dann natürlich fühlt sich euer Lehrer Mava bedroht, und Kuro, der ebenfalls schlechte Erfahrungen mit dem Klienten gemacht hat, sieht eine Gefahr in ihm. Könnt Ihr mir bitte näher schildern, inwiefern Ihr selbst beeinträchtigt werdet? Ihr schildert das hier ziemlich ungenau, vermutlich war dafür kein Platz mehr auf dem Zettel.“

Crimson kam sich vor, als hätte man ihn in eine Paralleldimension versetzt. Sorc hielt sich sehr gerade auf seinem Stuhl und starrte ihn inzwischen fassungslos an. Nach dem Gespräch, das sie kürzlich gehabt hatten, musste er sich veralbert fühlen. Crimson überlegte, wie er jetzt antworten sollte. Er konnte natürlich einen Vorteil aus der Situation ziehen, wo sie sich doch gerade auf dem Silbertablett bot. Aber was sollte das alles? Erst wurde Sorc ihm untergeschoben, weil irgendjemand Schloss Lotusblüte bei diesem Programm des Zirkels des Bösen angemeldet hatte, und jetzt wollte ihn jemand wieder loswerden?

Crimson räusperte sich und sah Belial offen an. „Das muss ein Missverständnis sein. Ich habe das Kontaktformular verlegt. Ich habe es weder ausgefüllt noch abgeschickt. Eventuell hat sich jemand von meinen Schülern oder Mitarbeitern einen üblen Scherz erlaubt. Ich werde der Sache auf den Grund gehen.“

Belial hob überrascht, aber sichtlich erfreut die Augenbrauen. „Ach so! Nun, bitte tut das, denn mit diesen Formularen ist nicht zu spaßen. Die beschriebene Situation hätte dazu geführt, dass wir den Klienten von hier entfernt hätten, wenn Ihr darauf bestanden hättet. Selbstredend wäre das die letzte mögliche Lösung gewesen, denn danach wäre er der Stufe vier zugewiesen worden.“

Crimson nickte bedächtig und tat so, als wüsste er ganz genau, was das bedeutete. War das nicht irgendwas mit Magie auslöschen und an eine stupide Arbeitsstelle versetzt werden? Dieses Schicksal wünschte ein Magier nicht einmal seinem ärgsten Feind. Die Auslöschung der Magie war noch viel ernster als die Sperrung der Magie, denn sie ließ sich nicht aufheben. Logisch... wenn man die Beine abgehackt bekam, wuchsen sie auch nicht wieder nach.

Belial suchte in seinen Unterlagen, füllte auf einem Formular etwas aus und reichte es dann über den Schreibtisch. „Bitte unterschreibt hier, Direktor. Es bestätigt, dass das Kontaktformular ungültig ist. Wenn ich mir den Hinweis erlauben darf: Wer auch immer es ausgefüllt hat, konnte Eure Unterschrift einigermaßen fälschen, aber Lord Genesis meinte, der Schreibstil wäre nicht Eurer. Er ist... einfach nicht sachlich genug.“

Das nahm Crimson zur Kenntnis und unterschrieb das Formular extra schwungvoll. Wer hatte sich da erdreistet, seine Unterschrift nachzumachen?

„Seid Ihr damit einverstanden, dass wir so weitermachen, als hätte es diesen Vorfall nicht gegeben?“ erkundigte der Marquis sich.

„Was mich betrifft... ich weiß von keinem Kontaktformular,“ versicherte Crimson.

Belial reichte ihm ein neues. „Benutzt dies, falls es nötig werden sollte, aber es ist wirklich nur für Notfälle. Alles andere besprecht bitte mit dem Vertreter des Zirkels des Bösen, der regelmäßige Kontrollbesuche machen wird – möglicherweise wird man nun mir diesen Fall zuweisen. Dann würden wir uns in vier Wochen wiedersehen. Ich darf mich vorläufig verabschieden...“ Er nahm Sorc die Handschellen ab, indem er eine Beschwörung darauf aussprach, so dass sie aufsprangen.

Alle erhoben sich und gingen zusammen zum Haupttor, wobei Sorc sich hinter den beiden anderen Männern hielt. Belial marschierte flott hinaus, nachdem er seine Akten unter seinem Umhang verstaut hatte, und flog nach wenigen Schritten ab.

„Du hast mich ganz schön erschreckt, Direktor,“ sagte Sorc in die entstandene Stille.

„Das war ich nicht, wirklich,“ versicherte Crimson. „Wenn ich ein Problem mit dir habe, erfährst du es zuerst. Und wenn ich dich loswerden will...“ Er unterbrach sich, denn er sah die Dame von vorhin auf das Schlosstor zukommen. „Oh, die hab ich ganz vergessen.“

Aus der Nähe sah Crimson, dass sie schon älter war, etwa sechzig Zyklen. Sie trug ein blutrotes Kleid mit schwarzen Applikationen und einem hochstehenden Nackenkragen. Das weiße Haar war vornehm hochgesteckt, und sie ging auf eine sehr würdevolle Art. Ihre Haut war von einer aristokratischen Blässe, fast weiß, und der harte Blick aus den dunklen Augen ließ sie unnachgiebig wirken. Ihr Mund war ein strenger, roter Strich.

Crimson wollte die Frau begrüßen, doch Sorc war schneller. „Lady Charoselle. Es ist eine Weile her...“ Er küsste galant ihre Hand.

Ein feines Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. „Soach. Du solltest dich schämen. Warum hast du mich nicht wissen lassen, dass du hier bist? Ich war in Sorge.“

„Tut mir Leid, daran hätte ich denken sollen.“ Sorc hielt weiterhin ihre Hand und drehte sich zu Crimson um, als käme er mit ihr zu einem Ball. „Direktor, ich präsentiere Lady Charoselle Jagerillia die Unerschrockene von den Eisigen Inseln, Herrin im Gletscherturm zum Diamantgebirge, Zähmerin von Kanindra, Jägerin des Chaos, Hüterin des Schwertes der Finsteren Riten, Mutter von Soach, Lichal und Iquenee.“

Crimson nahm automatisch die behandschuhte Hand der Frau und hauchte einen Kuss darauf. „Ich fühle mich zutiefst geehrt.“ Sein Gehirn indessen analysierte die gehörten Informationen. Soachs Mutter? Und Soach war...

„Mein Ältester hat sich seit Monaten nicht bei mir gemeldet,“ klagte die Dame. „Dann bekomme ich vor drei Tagen einen Brief von ihm, den er im Gefängnis geschrieben hat... ich glaube das war der längste und gefühlvollste Brief, den ich jemals von einem meiner Kinder bekommen habe. Das Problem ist nur, dass Briefe zu den Eisigen Inseln immer so lange unterwegs sind, deshalb befürchtete ich, ich käme zu spät, um ihn noch einmal zu sehen...“

Sorc verzog peinlich berührt das Gesicht. Crimson hatte diesen Ausdruck noch nie bei ihm gesehen, überhaupt hatte er noch nie so viel Mimik in dem blauen Gesicht erkannt wie im Moment.

„Ich bin Euch ja so dankbar, dass Ihr Euch seiner angenommen habt, Direktor Crimson vom Lotusschloss,“ fuhr Lady Charoselle fort. „Sollte er Euch jemals Ärger machen, sagt es bitte zuerst mir, ich kümmere mich dann darum. Hmm... vielleicht sollten wir in Eurem Büro weiter plaudern.“

„Ähm... sicher... Ich muss mich nur kurz um etwas kümmern, aber Sorc... Soach kann Euch das Büro zeigen. Sicher wollt ihr gerne kurz mit ihm allein reden.“ Der ungewohnte Name hinterließ ein seltsames Gefühl auf der Zunge. Wie ein Zauberwort, das nicht ausgesprochen werden wollte.

Während Sorc der Lady das Büro zeigte, hetzte Crimson den Alchemieturm hoch. Alleine der Weg mit all den Treppen dauerte an die fünf Minuten, und Belial hatte ihn doch ganz schön in Beschlag genommen. Die Zeit verging so schnell, wenn man zu tun hatte! Aus lauter Neugier beobachtete er Sorc und seine Mutter. Cathy behielt die beiden eh im Auge, insofern war es kaum seine Schuld.

Sorc sah neben der vornehmen Frau aus wie ein Putzsklave. Das schien aber beide nicht zu interessieren. Crimson beobachtete, wie Sorc den Drachen begrüßte, auf dem Lady Charoselle gekommen war. Oder besser... das Tier. Es sah aus wie ein Drache, dessen Eltern ein Drache und ein Kaninchen waren. Auf dem Kopf hatte er lange, weiße Ohren und der Körper erweckte den Anschein, dass man einem Drachen einen Pelzmantel angezogen hatte, denn an den Flügelrändern, an den Klauen (oder Pfoten?) hatte er weißes Fell, ansonsten gelbliche Schuppen und farbige Dornenfortsätze. Das Wesen ließ sich zutraulich von Sorc streicheln, und sobald dieser ihm das Gepäck vom Rücken abgeschnallt hatte, schrumpfte es zusammen (auf Kaninchengröße!) und sprang den Hexer an wie ein Hund, der seinen Herrn endlich wiedersieht.

Ein interessantes Gespräch gab es nicht, abgesehen von „Brave Kanindra... gutes Mädchen,“ wurde nicht viel gesprochen. Das war also Kanindra, deren Zähmerin Charoselle war. Aha.

Sie ließen Kanindra draußen, und Sorc trug das Gepäck hinein. Das ließ ihn umso mehr wie einen Bediensteten erscheinen. Crimson fragte sich, ob die Lady länger bleiben wollte, denn sie hatte eine handliche Reisetasche mitgebracht. Für eine Dame ihres Standes war das aber vielleicht doch zu wenig. Außerdem schien der Inhalt recht schwer zu sein.

„Kriegst du genug zu essen, mein Lieber?“ erkundigte die Frau sich. „Mir ist, als hättest du etwas abgenommen, und du bist zu blass...“

„Das liegt sicher daran, dass ich monatelang bei Lord Genesis gewohnt habe. In seinem Wald gibt es ja nicht viel Licht, weil das Blätterdach so dicht ist. Ich habe viel gelesen in der Zeit.“

„Und bist zu zufrieden mit dieser Situation?“

Sorc lachte. Es war ein ganz offenes Lachen, das kaum an einen dunklen Herrscher erinnerte. „Wenn man bedenkt, wie die Alternativen aussahen... ja.“

Crimson war außer Atem, als er bei seinem Kessel ankam. Vielleicht hätte er doch ein anderes Zimmer dafür wählen sollen, aber er fand es hier einfach am sichersten. So schnell wie möglich, aber auch sorgfältig genug, verrührte er die nächste Zutat mit seinem Trank.

Wie aus dem Hintergrund hörte er Charoselles Stimme: „Du hast schon immer an jeder Lage etwas Positives gefunden, aber vielleicht wird es auf die Dauer nicht ausreichen.“

„Das muss es nicht, denn nichts bleibt ewig gleich, Mutter. Du hast deinem Leben eine Konstante gegeben und bist damit glücklich, aber das wäre ja... Ordnung.“

Als Crimson sich wieder auf das Bild vor seinem inneren Auge konzentrieren konnte, waren die beiden in seinem Büro angelangt. Die Lady steuerte den Schreibtisch an, obwohl sie auch die Sessel zur Kenntnis nahm. Vielleicht mochte sie kein Grün. Sie nahm den Platz ein, auf dem Belial gesessen hatte, aber Sorc schien es zu widerstreben, sich erneut auf seinen Platz von vorhin zu setzen. Er tat es dann wohl nur, weil er so mit ihr auf einer Augenhöhe war.

Charoselle sah sich interessiert um. „Auch ein bisschen chaotisch hier. Aber auf seine Art ganz gemütlich. Ich finde nur, dass persönliche Dinge fehlen.“

„Crimson hat dieses Büro erst seit gestern.“

„Verstehe.“ Ihr Blick blieb an der Pinnwand hängen. „Er scheint viel Arbeit zu haben...“

Sorc zuckte mit den Schultern. „Er macht anscheinend das Elixier von Sil-har'kahn.“

Auf seinem Beobachtungsposten im Turm ließ Crimson fast den Rührlöffel fallen, den er vergessen hatte abzulegen. Wer hatte Sorc von seinem Plan erzählt? Nur Yami, Yugi und Shiro wussten von der wahren Natur des Projekts!

„Ich dachte, das wäre verboten“ sagte die Lady sachlich. „Das hat doch nichts mit dir zu tun, oder?“

„Ach was, nein!“ winkte ihr Sohn ab. „Das wäre auch viel zu riskant, schließlich befinde ich mich in einem lebensgefährlichen Rehabilitationsprogramm.“

„Umso mehr solltest du versuchen, einen Nutzen für die Gesellschaft hier zu haben. Einen, der nicht dieses Elixier betrifft, meine ich.“

„Ich hätte da einen für dich, der es betrifft.“ Sorc hielt die Hand hoch, ohne sich umzudrehen, und ein Zettel riss sich von der Pinnwand los und flog zwischen seine Finger. Er gab ihn seiner Mutter.

„Ach ja, das,“ seufzte Charoselle. „Weißt du, wie oft Leute zu uns kommen, um das zu kaufen, zu stehlen oder zu erbetteln? Es ist geradezu lästig. Aber dein Direktor hat aufgeschrieben, dass es von den Wäldern im Schwarzmeer-Gletschergebiet geholt werden soll. Sehr löblich.“

„Vielleicht hält er das für zuverlässiger. Hohe Herrschaften lassen einen ja schon gerne mal ein paar Tage warten, und das kann er nicht riskieren. Es muss gekocht und vergoren werden, kannst du dich darum gleich kümmern?“

Charoselle zuckte mit den Schultern. „Sicherlich...“ Sie steckte den Notizzettel in ihr Dekolletee. „Ich werde Ray schicken, damit er es liefert. Sonst noch etwas?“

„Ja... ein paar von den weißen Puscheln wären nicht schlecht, für die Sicherheit.“

Die Lady lachte schallend. „Für die Sicherheit? Aber ja, von mir aus.“

„Aber ist es wirklich nötig, Ray zu schicken?“ hakte Sorc nach.

„Lieber Iquenee?“

„Äh... ich glaube, Ray ist eine hervorragende Idee.“

Crimson machte sich endlich auf den Weg nach unten – er war mal wieder zu sehr bei seiner Beobachtungstätigkeit gewesen, so dass er vergessen hatte, sich zu bewegen. Das beides gleichzeitig zu machen, musste er wohl noch üben.

„Wie gut, dass wir uns immer so einig sind!“ freute sich Charoselle. Die Frau hatte ihre Kinder anscheinend gut im Griff.

„Ich sollte dann gehen,“ meinte Sorc unvermittelt. „Der Direktor wird sicher gleich hier auftauchen.“ Er warf einen Blick auf das Gepäck. Vielleicht wollte er sich dazu äußern, entschied sich dann aber dagegen. „Wir sehen uns später noch.“
 

Als Crimson sein Büro erreichte, war Sorc schon nicht mehr auf dem Gang anzutreffen. Cathy behielt ihn im Auge, aber der Schlossherr konzentrierte sich auf seine Besucherin. Er zog seine Kleidung gerade und fuhr kurz mit den Fingern durch seine Haare, ehe er eintrat.

Als jemand, der ohne Mutter aufgewachsen war, kannte Chrimson sich mit Mutterfiguren kaum aus. Umso neugieriger war er auf diese Frau, die allerdings bereits seine Großmutter hätte sein können. Charoselle machte einen sehr selbstsicheren, herrschaftlichen Eindruck, aber sie strahlte auch etwas aus, das er nur als Mütterlichkeit beschreiben konnte. Sie war hier, weil sie sich um ihren Sohn sorgte, zu dem sie anscheinend eine gute Beziehung hatte. Statt ihm Vorwürfe zu machen, wollte sie ihm helfen, aus der jetzigen Situation das Beste zu machen. So in der Art hielt es Shiro mit seinem einzigen Kind auch immer.

Crimson begab sich hinter seinen Schreibtisch, und die Frau schenkte ihm ein warmes Lächeln. In der privaten Umgebung des Büros schien sie etwas aufzutauen.

„Direktor... ich freue mich, dass wir uns miteinander unterhalten können, ohne dass mein Junge dabei ist. Soach würde es nie zugeben, aber ich kenne ihn. Er hat furchtbare Angst davor, dass sie ihm doch noch seine Magie wegnehmen. Ihr wisst ja, wie das ist mit Kindern, schließlich seid Ihr Lehrer... Sie tun immer so stark, aber innerlich sieht es anders aus. Selbst in dem Brief, den Soach mir schrieb, hat er sich noch zurückgehalten, aber eine Mutter kann zwischen den Zeilen lesen. Er befürchtete, dass kein Platz für einen Chaosmagier wie ihn existiert, und dass der Zirkel ihn deswegen in dieses Viererprogramm stecken würde... aber das hätte er nicht überstanden. Er kann nicht ohne Magie leben, versteht Ihr?“

Oh ja, das verstand Crimson nur zu gut. Ob beabsichtigt oder nicht, die Lady traf einen Nerv bei ihm. Zwar ging es bestimmt den meisten großen Magiern so, aber das änderte nichts.

Charoselle holte ein Spitzentaschentuch aus einer verborgenen Tasche in ihrem Kleid hervor und betupfte ihre Augen. „Er hat mir geschrieben, dass er nicht zulassen würde, dass seine Magie ausgebrannt wird, lieber würde er sterben. Und ich weiß, dass es stimmt... Er könnte wahrscheinlich einen Weg finden, ohne Luft auszukommen, aber nicht ohne Magie. Ich war ja so in Sorge. Als der Brief mich erreichte, wusste ich, dass inzwischen alles vorbei sein musste, denn Soach hätte nicht gewollt, dass ich seiner Hinrichtung beiwohne. Er hat den Brief absichtlich spät abgeschickt. Dabei ist es doch die Aufgabe einer Mutter, ihrem Sohn bis zuletzt beizustehen! Hach! Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte!“

Sie wischte sich etwas unbeholfen die Nase, so als käme es äußerst selten vor, dass sie weinte. Dann riss sie sich offensichtlich zusammen. „Aber nun kann ich beruhigt sein, Direktor. Ich bin sicher, mein Junge wird Euch keine Probleme machen, und wenn doch, sagt es bitter erst mir, ehe Ihr Euch beim Zirkel beschwert. Es würde mich sehr beruhigen, wenn ich wüsste, dass Ihr immer positive Berichte über ihn schreibt und dem Marquis nur die guten Sachen erzählt!“

Während sie sprach, bückte sich Charoselle rasch und kramte in ihrer Reisetasche, aus der sie dann eine handliche Truhe hervorholte. Sie stand kurz von ihrem Stuhl auf, um das Ding auf Crimsons Seite des Schreibtisches zu platzieren. Dem Klang nach zu urteilen, mit dem die Truhe auf dem Holz aufkam, war sie prall gefüllt mit einem massiven Inhalt. Die Größe war in etwa so, dass eine mittelgroße Katze bequem hineingepasst hätte.

Der Schlossherr fühlte sich aufgefordert, den Deckel anzuheben. Er war etwas vorsichtig, doch es befanden sich nur Edelsteine und Goldmünzen in der Truhe. Viele davon – genau genommen bis zum Rand. Neben all dem Reichtum sah der Alchemist in ihm auch den praktischen Nutzen dieses Schatzes.

„Ich weiß, dass Soach bei Euch in guten Händen ist... das ist er doch, nicht wahr, Direktor? Ihr würdet ihn nicht beim Zirkel anschwärzen, ohne vorher mit mir zu reden...“ Die Lady tupfte sich eine letzte Träne vom linken Auge.

Crimson schloss die Truhe. Er hob sie hoch – was sich als wesentlich schwieriger erwies, als er erwartet hätte – und stellte sie neben seinen Stuhl auf seiner Seite des Tisches. „Gewiss doch, meine Dame. Wenn es ein Problem gibt, erfahrt Ihr es als Erste. Aber Sorc... Soach hat sich bisher ganz friedlich verhalten, so dass ich zuversichtlich bin, dass alles in Ordnung kommt.“

„Ich danke Euch.“ Lady Charoselle erhob sich, was Crimson ihr gleich tat. „Aber jetzt werde ich Euch nicht länger behelligen, denn Ihr habt sicher viel Arbeit. Wenn Ihr erlaubt, werde ich noch etwas bleiben, um bei meinem Sohn zu sein. Es ist doch in Ordnung, wenn wir ein wenig in der Umgebung spazieren gehen?“

„Natürlich. Selbstverständlich.“ Crimson verneigte sich höflichst.

„Ich finde den Weg. Auf Wiedersehen, Direktor!“ Die Lady verließ ihn.

Als er wieder allein war, runzelte Crimson die Stirn und fragte sich, ob er unter einem Zauber gestanden hatte, aber er schüttelte den Gedanken ab. Sein Blick fiel auf die Truhe zu seinen Füßen. Natürlich hätte sein Vater sie abgelehnt, und Dark sicher auch. Aber er nicht. Er konnte es kaum erwarten, den Inhalt auf seine alchemistische Eignung zu überprüfen, und selbst wenn die geringer war als erwartet, würde die Schulkasse ein wenig voller werden.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  jyorie
2013-06-25T22:00:10+00:00 26.06.2013 00:00
Hallo ^_^

So, jetzt hat der Trank begonnen. Ich fand die Stelle sooooo süß, das die Kinder Kekse backen, damit Crimson nachts was „knabbern“ kann (na ja, bei einigen Keksen kann er aber auch knabbern – bei uns heißt es, bekommt man ne Gehirnerschütterung beim kauen, wenn die Kekse so hart sind.)

Ich bin schon Neugierig, wie Yami das mit der Farbe und dem Einrichten macht, da in diesem Kapitel so viele neue Zimmer entstehen, tippe ich mal darauf, das Yami da schon ganz stark seine Finger im Spiel hat und Raumaustatter übt^^

Oh weh, ich habe echt einen schreck bekommen, wegen der angeblichen beschwerde gegen Sorc. Aber das sich Crimson so entschieden hat, denke ich gibt dem Verhältnis und der Treue die Sorc ihm geschworen hat nochmal einen großen, großen Schub.

LOL seine Mutter hast du auch ur-süß gemacht :D und dann noch die Tränendrüse und die Bestechung … außerdem klingt es gut, wenn du sie als „lady“ bezeichnest^^


Auch wenn es sich jetzt ziemlich klischeet anhört, aber bitte schreib weiter :D


Irgendwie möchte ich auch jetzt noch nicht aufhören und wieder aus dieser Welt auftauschen, nach 70+14+1 Kapitel von deiner Schattenreich welt hab ich immernoch riesig Spaß an deiner Phantastischen welt. Da hast du echt etwas richtig geniales geschaffen!

CuCu Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
21.07.2013 15:52
Gehirnerschütterung? *g* Zum Glück tunkt Crimson die Kekse in den Tee.
Ich denke mal... zuerst wird Yami das Bad neu gestalten. Wirst noch sehen, warum.^^
OK wenn du einen Schreck bekommen hast durch das Formular, dann hat sich ja meine Absicht erfüllt.
Die Mutter hat es faustdick hinter den Ohren, und sie würde so ziemlich alles tun für ihre Kinder.^^ Aus irgendeinem Grund mag ich es, mütter und Väter von meinen Charas mitspielen zu lassen. Oder sie Kinder haben zu lassen. Was sich ja gegenseitig begünstigt. *g*
Hach dein Lob lässt mich ja gleich 10cm wachsen vor Stolz! Danke! :D

grüße
PM
Antwort von:  jyorie
21.07.2013 22:57
jipp :D Gehirnerschütterung ... ich war mal bei einem Italienisch-Kochkurs-Abend von Magi ... und da hat die Leiterin einige Anekdoten erzählt und eine Gruppe hatte die "Cantuccini" (Kekse) wohl mal so hart gebacken, das man sie nicht essen konnte - dieses Gefühl, wenn man auf den Keks beißt und glaubt man bekommt ne Gehirnerschütterung^^"
Von:  Hikari-Yumi
2013-05-05T02:08:07+00:00 05.05.2013 04:08
Huhu
Ich kann nicht schlafen :(
Und da fiel mir ein:
Du bekommst ja noch ein kommi ^^

Problem nur, schreibe ich inner alles schon ins erste kommi...
Deshalb...
Sorc ist und bleibt knuffig. Aber auf eine unmännlichere Art als crimson :3
Lass dich von meinem Geschwafel nicht irritieren ^^
Viel Spaß beim schnell weitertippen..^^
Glg


Zurück