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Rote Dämmerung

Wir sind, was wir waren
von

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Es ist das kalte Licht im Himmel

Kommentar: Eine Atombombe hat dieses Kapitel gerettet. Oder mehrere Atombomben besser gesagt. Eine Dokumentation über Atomtests der USA und der Sowjetunion sowie der Film „Die Nervenprobe“ über die Kuba Krise. Herrje, Geschichte ist spannender als jeder Krimi und daher gerade richtig für ein Kapitel, dass ich gehasst habe wie einen Morgen ohne Kaffee. Über jeden geschriebenen Satz habe ich mich gefreut. Aber ich war in der vergangen Zeit nicht untätig, denn ich habe einige (viele) Plotholes ausgemurkst und repariert.

Mein ewiger Dank gilt allerdings Inzestprodukt, die mich (über die Ziellinie geprügelt) angefeuert hat
 

mangacrack
 

xxx
 

::Kapitel 08 – Es ist das kalte Licht im Himmel::
 

Die starken Händen mit ihren dunklen Fingern hielten ihn immer noch. Stimmengewirr brach um ihn herum los, sodass Raphael sein Gesicht so tief wie möglich in das Leder von Uriels Mantel presste, um so wenig davon mitzubekommen wie es gegönnt war.
 

Seine Augen fest zusammengepresst und damit eines wichtigen Sinnesorgan beraubt, nahm Raphael die allumfassende und sich wie ein Krankheitserreger ausbreitende Panik fiel deutlicher wahr. Ein Zittern durchlief seinen Körper. So stark, dass seine Hände sich nicht richtig an Uriel festhalten konnten und Raphael befürchtete, dass dies die Anfänge von Schüttelfrost waren.
 

Schwüle Wärme drohte ihn zu erdrücken.
 

„Lass mich los“, flehte Raphael mit einem Krächzen und hob seine Arme, um Uriels Brust von sich wegzudrücken.
 

Uriel entzog sich dem Körperkontakt so schnell, als habe er sich verbrannt und streckte entschuldigend seine Hände vor sich aus, als würde er mit einer Waffe bedroht. In seinen Augen lag so viel Schuldbewusstsein, dass Raphael sich fragte, was Uriel in seinen Worten gehört hatte, dass sie ihm so viel Angst machten. Die Hände langsam sinkend schritt Uriel rückwärts, als wollte er ihm zeigen, dass von ihm keine Gefahr aus ging, ehe er sich mit einer gewandten Bewegung und für seine Größe erstaunlich schnell zwischen den anderen Engeln verschwand.
 

Durch Raphaels Bewusstsein hämmerte der Gedanke, dass er vorsichtiger sein sollte mit dem was er sagte. Besonders bei Leuten, die ebenfalls um Michael trauerten, aber Raphael war sich der Dringlichkeit bewusst, unbedingt auf seinen eigenen Füßen zu stehen.
 

Wenn er jetzt in Uriels Umarmung versunken und in seinen Armen eingeschlafen wäre, hätte die Möglichkeit bestanden, nie wieder aufwachen.
 

Die Versuchung war zu groß gewesen, als er sich dessen jetzt aussetzen konnte.
 

Es brachte ihn zu nah an die Zeit heran, die er im Kälteschlaf verbracht hatte. Losgelöst von seinen Zweifeln und seiner Langeweile zwischen Wolken vor sich hin zu dämmern, hatte ihm angenehme Linderung seiner inneren Wunden gebracht. Von den Gewichten, die ihn nach unten in die Tiefe zogen, war bei seinem Erwachen nichts mehr übrig geblieben. Wenn es je einen Moment voller Licht und Erleuchtung gegeben hatte, war es dieser Moment gewesen. Uriel, Jibril, Barbiel … Michael. Sie allen hatten geduldig darauf gewartet, dass er die Augen wieder aufschlagen würde.
 


 

Ein heftiges Vibrieren in seiner Nähe.
 

Das Geräusch von erbebendem Kunstglas .. jemand schlägt an eine Scheibe.
 

Direkt in seiner Nähe.
 

...ey, du billiges Luder von einer notgeilen Männerschlampe, fang' endlich an mal wieder an, ein bisschen deine Guckerchen zu benutzen! Ich verpasse hier das Gourmet einer kostenlose Dämonenjagd direkt vor meiner Haustür, ich müsste noch nicht mal meine Dragonwing aus der Garage fahren, KANNST DU JETZT NICHT ENDLICH MAL AUFWACHEN, DU SELBSTMORD GEFÄHRDETER...“
 

Die Schimpftirade wird von einem lauten Krachen unterbrochen. Durch den dicken Nebel seiner verwirrten Sinne nimmt er nur am Rande war, dass die Flüche einen Herzschlag später grässlicher und obszöner werden.
 

Eine zweite und eine dritte Stimme mischen ein. Alles vermischt sich in seinem Kopf zu einer vertrauten Kulisse.
 

Mühselig schlägt Raphael die Augen auf. Minuten vergehen in denen er das Licht auf sich einwirken lässt und er versucht trotz der Müdigkeit, die ihn gefangen hält, zu begreifen, was geschehen ist und wo er sich befindet.
 

Sein Kopf dreht sich langsam zu der Seite, wo die Stimmen herkommen.
 

Hinter dem Kunstglas sieht er einen übermächtigen dunklen Schatten, der sich über eine am Boden liegende flackernde Lichtquelle lustig zu machen scheint. Irgendwo links wirken zwei sanfte Präsenzen auf ihn ein und spülen nach und nach seine Müdigkeit fort.
 

...Krümel in der Spalte…“
 

Der kommandierende Tonfall. Die derbe Wortwahl, die selbst Dämonen die Schamesröte in Ohren trieb. Der zündende Funke, der alles in Brand steckte.
 

Nur ein Wort verließ seine Lippen.
 

Michael.“
 

Stille im Raum, alle Augen richteten sich auf ihn.
 

In Sekunden beweist Michael die Eleganz sich vom Boden zu erheben, um sich gegen die Kunststoffröhre zu lehnen, auf der er zuvor gesessen hatte.
 

Ah, hat die blonde Prinzessin es fertig gebracht aus ihrem Jahrhundertschlaf zu erwachen?“
 

Trägheit hielt ihn immer noch gefangen, dennoch drang in sein Bewusstsein ein, dass die Situation ungewöhnlich war. Michael ragte bedrohlich über ihn und trotz der milchigen Beschaffenheit der Barriere, die sie trennt, erkennt Raphael ein wütendes Funkeln in den goldenen Augen, in denen sich das Neonlicht der Deckenlampe reflektierte.
 

Wo...?“, haucht er leise kläglich heraus.
 

Michael antworte, aber nicht auf seine Frage. Raphael hört die Irritation und die Ungeduld in seiner Stimme, die mit Sorge unterlegt ist: „Sag' jetzt nicht, dass du dich um das zu harte Bett beschwerst.“
 

Umrundet von blendendem Licht und unscharfen Umrissen ließen sich nur wenig dunkle Flecken in seinem Sichtfeld ausmachen, die seine Augen nicht strapazierten.
 

Ein kaum wahrnehmbares Rascheln lenkt Raphael davon ab Michael zuzuhören, weil er sich einbildet, dass sich riesige schwarze Flügel über ihm ausbreiten und das Licht davon abhalten, ihn weiterhin wie eine Lanze zur durchdringen.
 

Alles rückt in den Hintergrund, als der Vorhang aus finsteren Federn die Lichtstrahlen filtern wie Baumkronen das Sonnenlicht.
 

Selbst Michaels Worte nimmt er kaum noch wahr: „Selbst schuld Heiler, wenn du dich nicht im Griff hast, weil du dein eigenes Blut retten musstest. Kaum vorstellbar, dass du in der Lage sein solltest ganze Küsten zu verwüsten, nur weil du das Meer aufwühltest. Ich denke es wäre angebracht, dich bei Gelegenheit mal in Form zu prügeln. “

Er ist keiner deiner Soldaten, Michael“, hört Raphael Jibril sagen.
 

Als letztes Geräusch nimmt er nur noch das „... mich bisher noch nicht aufgehalten...“ von Michael wahr, ehe er zurück in den Schlaf sinkt.
 


 

Raphael erzitterte bei der Erinnerung und sie verschwand in dem demselben Nebel, der ihn nach seinem ersten Wiedererlangen des Bewusstseins wieder in den Schlaf riss.
 

Jetzt blieb nur noch der grausame Nachtfrost, der begonnen hatte sich über die Vegetation auszubreiten und spärlich das kalte Licht der wenigen Sterne reflektierte, die durch die Front aus Sturmwolken ein wenig die Umgebung erhellten.
 

Aber sie vereinsamten die Atmosphäre nur. Raphael fragte sich, wie er wirken mochte, als in weiß gekleideter Engel mit blonden Haaren. Als reines höheres Wesen sollte er Wärme, Licht, Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen, aber kein Spiegel könnte die Wahrheit verleugnen.
 

Es war kalt im Himmel.
 

Es war immer kalt im Himmel, denn der Himmel war ein Gebiet, das sich mit Hilfe von Wissenschaft und Magie über die Fläche von ganzen Planeten erstreckte. Ungesehen natürlich, durch die Technologie, die den Himmel von allen Lebewesen und Kreaturen abschirmte und die Engel in einer einzigen Dimension zusammenpferchte. Die einzigen Andersartigen, die den Himmel je gesehen hatten und noch lebten, waren Luzifer und seine Rebellen. Wobei – so hieß es zumindest unter einigen überzeugten Stimmen – hatten die Gefallenen die Oberfläche der Planeten nie verlassen, sondern sich stattdessen in ihr Innerstes gegraben. Der einzige warme Ort, wenn man der rauen Unwirklichkeit des Himmels entkommen wollte.
 

Für Raphael wuchs die Ebene des alten Himmelspalastes. Je mehr Flugschiffe starteten, desto mehr Leere hinterließen sie. Tief hatten sich die Stützen der Ladeträger in den Erdboden gegraben, sodass sich die trockene Erde wie Staub aufwirbeln ließ, als die Armee diesem Ort wieder den Rücken zuwendete. Während der Zeremonie hatte Raphael sie kaum wahrgenommen, aber am Rande hatte er festgestellt, dass die Krieger an diesem Ort deplatziert wirkten. In ihrer schweren schwarzen Kleidung, die aussah als hätte sie bereits einige Kämpfe zu viel gesehen, stachen sie im Vergleich zu den pompösen Ruinen des Himmelspalastes zu sehr hervor, als das man sie wirklich ignorieren konnte. Aber fügten sich auch nicht in das Bild der anderen trauernden Engel ein.
 

Es fehlte die buckelnde Ehrerbietung.
 

Um genau zu sein, waren die Rücken der Soldaten so kerzengerade, dass sie jeden Drillmeister mit Stolz erfüllt hätten. Die glatte Weigerung sich zu Verbeugen war ein Affront für die Mitglieder des Rates. Raphael hatte sie reden gehört, als der Engel mit dem ungekämmten Haar an ihnen vorbei geschlichen war und sich dabei auf sein Schwert stützten musste.
 

Wie ein Raubtier hinter Gitterstäben, das hungrig aber geduldig im Käfig seine Kreise zog, war sein Blick auf Raphael gefallen. Der kurze gefährliche Moment des Seitenblicks war vielleicht aus der Sicht des Engels, den Jibril schon zuvor mit ihren Blicken aufgespießt hatte, nur die geübte Handlung eines Kriegers gewesen. Doch Raphael konnte die grauen Augen nur als Anklage empfinden. Stellvertretend für die gesamte Armee hatte Meachuel ihn stumm gefragt, warum Michael auf dem Altar hatte verbrennen müssen. Wenn doch der einzige, der nicht in der Lage war von dem Feuer verletzt zu werden, der lebende Geist des Feuerengels war.
 

„Wieso hast du das getan?“, war die Frage, die sich tief in Raphaels Geist schnitt und die Sturmwolken über ihm verlangten zu wissen: „Wieso konntest du ihn nicht retten?“
 

„Ich weiß es nicht“, wollte Raphael dem Himmel entgegen schreien.
 

Dem Himmel und all seinen Bewohnern, die sich sicher vor ihren Mattscheiben in ihren Wohnungen über das Versagen der Regierung aufregen konnten. Verteilt über alle Schalen und Planeten würden die Stimmen laut werden, wer für den Schaden verantwortlich war. Warum der Rat nichts hatte tun können, wenn sie schon der Bevölkerung so viel Steuern auferlegte, um selbst im Prunk zu leben? Wozu war ihr Luxus etwas wert, wenn sie nicht einmal jenen behandeln konnten, der alle Bewohner des Himmelstaates ohne Vorbehalte gegen die Bedrohungen von außen verteidigte?
 

Die Regierung würde nach einem Sündenbock suchen. Nach jemanden, den sie zur Rechenschaft ziehen konnten, damit die aufgebrachte Bevölkerung nicht sie selbst verantwortlich machte.
 

„Diese Situation kommt mir so bekannt vor“, erinnerte sich Raphael und fuhr mit seinen Fingern durch das geflochtene Haar. „Ich war doch schon einmal der Prügelknabe einer Sensationsgeilen Öffentlichkeit.“
 

Damals hatten sie sogar noch weniger Beweise gehabt als heute, sondern lediglich Indizien und keine Leiche in Form eines Generals. Jetzt war es elf saeculum und drei Invasionen der Rebellen her seit derselbe Engel in einer ähnlichen Aufmachung sich für seine Taten hatte verantworten müssen. Wie heute hatte er einst vor dem Tribunal gestanden und die Wahrheit auf Elochim geschworen.
 

In der Tat wirkte er in seiner weißen, sehr alten Armeeuniform wie der Palast hinter ihm wie ein Relikt aus einer längst ruinierten Ära. Es gab nur noch wenige Engel, die alt genug waren, um sich wirklich an diese Zeit zu erinnern. Denn der tatsächliche Prozentsatz jener Engel, die länger als ein paar Jahrhunderte lebten, war gering. Der Großteil wurde nicht sehr alt, sondern vereinigte in einem endlosen Storm aus Dienstmägden, aufstrebenden Hoffnungsträgern und Huren, die sein Bett wärmten.
 

Wie viele gab es wirklich, die der Zeit der Jahrtausende standhielten?
 

„Nicht genug“, meinte Raphael zu sich selbst, sich die Haare raufend. „Es sind einfach nicht genug.“
 

Dies war die erbärmliche Antwort, welche die Überlebenden dazu zwang jedes bekanntes Gesicht zu lieben, dass auch die nächste saeculum Periode überdauerte.
 

Niemals. Niemals hatte er geglaubt oder es sich gar vorstellen können, dass Michael je zu den Gesichtern gehören würde, die plötzlich verschwanden. Zuerst tat es weh. Das tat es immer. Aber irgendwann würde der Schmerz weniger werden.
 

Nein…, dachte Raphael verzweifelt und stolperte den Hügel zum Altar hinauf.
 

Diese Vorstellung trieb einen Schmerz durch seinen Körper wie von dem Gift einer Schlange. Beißend, pulsierend und so hässlich, dass es seine Adern von innen zu zerreißen drohte.
 

Ich will Michael nicht loslassen, dachte Raphael während er fast panisch auf den Altar zu hastete.
 

An der Spitze des Hügels angekommen, sank Raphael zwischen all den hinterlassenen Fußspuren und den zu Asche verbrannten Überresten auf die Knie. Der Gedanke daran Michaels Tod auch nur in Betracht zu ziehen, zog ihn wie ein Meteorit auf Kollisionskurs auf den Boden.
 

Schwer ging sein Atem, als gäbe es nicht genügend Luft für ihn zum Atmen.
 

Auf der Suche nach der inneren Balance, die ihm genommen worden war, seit Michaels totes Herz in seinen blutigen Händen aufgehört hatte zu schlagen, stützte Raphael sich mit seinen feuchten Händen auf seinen Oberschenkeln ab und ließ seine Stirn gegen den kalten Stein des Altars sinken. Die Sicht verschwamm vor seinen Augen, sodass die alten, ausgewaschenen Runen sich zu einem neuen Wort zusammenfügen schienen.
 

M i k h a i l
 

Sah er diese Runen nur in seiner Einbildung? Weil er sie sehen wollte und sein Verstand alles hervor zerrte, was ihn an Michael erinnerte?
 

Raphael fuhr die Zeichen, die Michaels Namen in der alten Schreibweise wiedergaben, mit seinem Finger nach.
 

Sie waren real.
 

Etwas wie ein Schluchzen entfuhr ihm. Seine Augen brannten, weil er nicht wusste, wie er all die Tränen vergießen sollte, die Michaels Tod wert waren und eine merkwürdige Hitze kroch durch seinen Körper. Aber es war nicht die Wärme, die Michael ausstrahlte. Es war nicht die Vertrautheit, die aus trüben kalten Tagen Licht und ein wenig Frieden in seinen Tagesablauf brachte, sondern eine Infektion einer Krankheit, die sich auflachend und grimmig durch seine Seele zu fressen begann.
 

Langsam sackte Raphael zur Seite, sodass er mit seinem Rücken an dem Altar lehnte.
 

Wäre der nächtliche Nebel nicht so dick und die Sturmwolken nicht so dunkel gewesen, dass sie den mächtigen Himmelspalast mit seinen breiten Treppen und Vorsprüngen verdeckten, hätte Raphael vielleicht nicht auf die restliche Inschrift des Altars gestarrt. Doch nun zogen sich direkt vor ihm weitere Runen und Wörter über den ausgewaschenen Stein. Es waren alte Gebete an die schrecklichen unzähmbaren Elemente, offenbar angefertigt zu einer Zeit, in der die Engel noch mehr Angst vor der Natur hatten.
 

Eine Böe fegte verbliebene Asche auf und Raphael fragte sich, ob es hier einst mehr Opfergaben gegeben hatte. Zu irgendwas musste der Altar ja gut gewesen sein. Außerdem sah er gebraucht aus. Oder waren es nur die Jahrhunderte der Zeit, die den Stein schließlich doch angegriffen und hatten müde werden lassen?
 

Es sind sogar Zeichen dabei, die mir nichts sagen, bemerkte Raphael und versuchte zum ersten Mal genauer die Inschrift zu lesen. Wie alt mochte der Altar dann wohl sein? Sein unermüdlicher und auch jetzt noch ruheloser Verstand flüsterte ihm zu, dass der Altar dann während einer Ära errichtet worden sein musste, in der selbst Seraphita noch mehr als bloß ein heiliger Eremit war.
 

Ob es diese Zeit wirklich gegeben hat, fragte sich Raphael und versuchte sich des Anfangs zu entsinnen.

Wenig überraschend, dass es ihm nicht gelingen wollte. Er erinnerte sich ja kaum an seine eigene Jugend. Es war schon so ewig her. War er überhaupt je Kind gewesen? So alt war sein körperliches Erscheinungsbild nicht. Was waren schon – wer wusste es denn außer die Menschen – vielleicht zwanzig Jahre seines Lebens, wenn danach ganze Zeitalter folgten?
 

Zeitalter, dachte Raphael, bis Luzifer überhaupt einen Gedanken an Rebellion verschwendete.
 

„Luzifer...“
 

Raphael sprach den Namen aus, weil sein Blick gerade über die Runen des alten Engelsnamen geglitten waren, den man mit Mühe aus allen Aufzeichnungen gestrichen hatte, um heraus zu finden, ob diese verhasste Seele irgendetwas in ihm auslöste.
 

Doch da war nichts.
 

Kein Groll, kein Ärger, keine Verbitterung, weil der dunkle Fürst Michael immer mehr bedeutet hatte, als er selbst. Nein, da war nur mickrige Form von Mitleid.
 

Als Raphael alleine auf dem Hügel saß, den Rücken an den Altar gelehnt und es allmählich zu regnen begann, war er vielleicht auch wegen des steigenden Fiebers zum ersten Mal froh, dass er nicht den beißenden blinden Schmerz würde erdulden müssen, den Luzifer gerade erlitt.
 

Zumindest hoffte Raphael, dass der Teufel litt. Er würde, wenn er sich auch nur ein bisschen der Seele gewahr war, die sich er mit Michael teilte.

-
 

Kopfschmerzen holten Azer in die Welt der Lebenden zurück. Es war schwer sich auf etwas anders zu konzentrieren, als das Pochen in seinen Schläfen. Aber der fehlende Boden unter seinen Füßen zwang ihn dazu seine Gedanken auf das richten, was um ihn herum passierte. Weniger die kalte Luft, die in Windstößen über seine nackten Arme fuhr, waren es die vielen Stimmen um ihn herum, die seine trüben Gedanken wachrüttelten.
 

Langsam versuchte Azer sich zu erinnern, was passiert war. Seine Zelle, die Dunkelheit, der Direktor … das Rasseln seiner Fußketten brachten die restlichen Erinnerung zurück, welche die Injektion vor ein paar Stunden unterdrückt hatte.
 

„Freiheit“, murmelte Azer vor sich hin.
 

Sie hatten ihn also tatsächlich aus seinem Gefängnis geholt. Denn trotz seiner Augenbinde, die ihn die Sicht verdeckte, roch er das Öl der Motoren, hörte die Stimmen der Arbeiter auf der Landebahn und fühlte den Griff der beiden Wachen unter seinen Achseln.
 

Ein unangenehmes Gefühl der Furcht durchfuhr ihn. Sie schleppten ihn wohl gerade quer über den Platz und ließen seine Füße über den Asphalt schleifen, jetzt wo sie die Laderampe verlassen hatten. Geräusche und Gerüche stürzten auf ihn ein, das Stimmengewirr der Arbeiter vermischte sich mit dem Brausen des Windes zu einem hässlichen Ton im Hintergrund.
 

Sehr viel unangenehmer waren allerdings die etlichen Energien, welche die Engel mit ihrer Astralkraft ausstrahlten. Wie unsichtbare Hände, die seine Haut streiften, berührten sie ihn. Selbst wenn sie nur an jemand anderem vorbei gingen. In seiner Zelle hatte er sich über den Gefängnisdirektor lustig gemacht. Jetzt musste er den Worten Glauben schenken, denn kein Traum und keine Halluzination war so real wie Astralkraft von den tausenden Engeln, die diese Schale bevölkerten.
 

Das Kribbeln in seinem Nacken nahm zu bis es fast unerträglich wurde. Daher protestierte er nicht, als die Wachen ihn in ein Gebäude schleiften, um ihn einige Treppe hinunter zu tragen. Unbeweglich hing er in ihrem Griff, denn Übelkeit drohte ihn zu übernehmen.
 

Nähe, Kontakt, Stimmen.
 

Die Eindrücke überfluteten seine Sinne. Es war zu viel auf einen Schlag.
 

Besser begann er sich erst wieder zu fühlen, als die Wachen ein Tor öffneten und ihn in eine weitere Zelle warfen. Azer landete unelegant auf dem kalten Fußboden und blieb benommen liegen. Nur das Gespräch der beiden anderen Engel konnte er mithören.
 

Sofort versteifte er sich, als er vernahm: „Fühlt sich für den eigentlich jemand verantwortlich oder müssen wir ihn festbinden?“
 

„Er hat bisher doch sowieso nicht gerührt, sondern nur winselnd im Lagerraum gelegen“, antwortete der andere Wachmann.
 

Azer bemühte sich, sich nicht zu bewegen. Noch verursachte jede eigene Bewegung Übelkeit und Schmerzen, aber seine eingeschlafenen Muskeln erwachten langsam wieder zum Leben.
 

Neue Ketten mussten wirklich nicht sein.
 

„Vielleicht ist er ja einer dieser A.I.'s“, hörte er den ersten Wachmann mutmaßen.
 

Ein Wort, um diese Meinung zu berichtigen, sprach er nicht.
 

„Dann würde er keinen Schmerz fühlen und weggeschlossen werden müssen. Die Roboter lassen sich doch beliebig abstellen“, ging die Unterhaltung weiter.
 

„Na dann ist der hier halt ein Experiment. Wäre doch nicht das erste Mal.“
 

Das Zucken ließ sich nicht unterdrücken. Das hatte er noch nie gekonnt, ganz gleich wie lange es her war oder wie oft diese Mutmaßung laut wurde.
 

Immerhin verhinderten die restlichen Drogen in seinem Körper den aufwallenden Ärger. Stattdessen piepste die elektronische Zellentür und wurde geschlossen. Offenbar würden sie ihn nicht festbinden wie ein Tier.
 

„Wieso hat er kein Zeichen der Gefallenen?“, hörte Azer langsam die Stimmen der Wachen verklingen.
 

„Vielleicht ist es auf seiner Brust. Es hieß doch, er hätte die Höchststrafe erhalten. Oder zumindest hat ihn der Rat der Engel verurteilt.“

„Weswegen?“, erklang noch dumpf die Frage.
 

Die Antworte hörte Azer noch: „Hochverrat.“
 

Dann verklangen selbst die Schritte der Wachen und er blieb alleine in seiner Zelle zurück. Nachdem er eine Weile auf dem Boden gelegen und darauf gewartete hatte, ob noch jemand kommen würde, kroch er so gut es ging zu der Wand, welche der Zellentür am weitesten entfernt lag. Erschöpfung durchströmte seinen Körper, aber schlafen würde er trotz der Müdigkeit nicht können.
 

Dazu störten ihn die Gegenmittel für die Drogen in seinem Körper zu sehr, die dafür sorgen sollten, dass er wieder gehen, essen und fliegen konnte.
 

Mit Schwierigkeiten – die Fesseln an seinen Händen behinderten seine Bewegungen noch immer - hob er seine Finger zu der Binde über seinen Augen. Sie war natürlich noch da, aber zum ersten Mal seit langer Zeit erinnerte er sich daran, dass weder sie noch die Fesseln an seinen Gelenken ein Teil von ihm waren.
 

Zur Not würde er mit Gewalt einen Weg finden sie entfernen zu lassen.
 

xxx
 

saeculum = lat. Zeitalter

Elochim = angeblich (ein/der) Name Gottes
 

Tatsächlich fertig, ich glaube es ja nicht X3 … der Auftritt Michael's musste sein. Geht ja nicht, dass die Fanfic über ihn aber nicht mit ihm von statten geht.
 

mangacrack



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2013-04-10T20:16:01+00:00 10.04.2013 22:16
So lange nicht kommentiert bzw gelesen... Tut mir Leid.
Iwie war ich wohl zu der Zeit beschäftigt und fand keinen Nerv überhaupt iwas zu lesen.
Aber nu zum Kapitel:

Ich will Raphael einfach in den Arm nehmen und ihn einschlafen lassen. Er ist wirklich ein Wrack nach Michaels Tod.
Ich fand den Rückblick auf Raphaels Erwachen toll. Es war mal so typisch Michael xD
Ja, was fühlt Luzifer wohl jetzt... Hm... Er trauert auch nehm ich an?

Azer find ich sehr interessant. Wie wird er sich verhalten?
Nja, ich les ja eh gleich weiter^^

LG, Karo (Sunny)
Antwort von:  mangacrack
10.04.2013 22:19
Vielen Dank fürs Kommentieren. Es baut immer sehr auf und ich freue mich über Meinungen.
Raphael scheint sehr viel Mitleid zu bekommen. Zurecht nehme ich an.

*mal recht unschuldig guckt*


Von:  Inzestprodukt
2012-10-02T23:02:49+00:00 03.10.2012 01:02
Ich prügel niemanden, ich motiviere auf pädagogische Art und Weise mit sehr sinnvollen Tritten... äh... Hilfestellungen :D

Ich finds ja einfach ur grausam, dass Michael nun SYMPATHISCH in diesem Kapitel aufgetaucht ist nur damit du mich dann daran erinnerst, dass es ihn nicht mehr gibt. Ja schön verbrannt ich verfolge weiter meine eigene Theorie. Wieso kann Raphael eigentlich diese überflüssige ANti-Seelen-Kacke wenn sowas passiert? Blame it on the doctor!

Azer verwirrt mich und ist gleicher Maßen interessant O_ö ich würd ihn gerne mal in Aktion sehen aber da du nächste Woche das nächste Kapitel fertig haben wirst... :§

mfG


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