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STUMME SCHREIE - Cum tacent clamant

Indem sie schweigen, reden sie...
von

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Keine Gnade

Er sah sich nicht um.

Das hätte sowieso wenig gebracht. Noch hatten sich seine Augen nicht an die Dunkelheit gewöhnt.
 

Eingepfercht in dem engen Raum suchte er sich die bequemste Position die möglich war, schlang die Arme um die Knie und legte die Stirn darauf.
 

Er versuchte angestrengt die Geräusche von außen auszublenden. Es widerte ihn an.

Seine Gedanken schweiften bald in eine Art Halbschlaf ab, bis er das lustvolle Gestöhne der Nutte nicht mehr bewusst hörte.
 

In seinen Gedanken war er an einem Strand. Zusammen mit David. Es war ein bewölkter Tag, doch das Meer war klar und türkisfarben. So wie es immer in den ganzen Prospekten zu sehen war. Sie lagen zusammen auf Handtüchern, schlürften ein kaltes Getränk und beratschlagten sich was sie als nächstes tun würden. Fast musste er lächeln.

Es wirkte für einige Momente so wahr… fast konnte er so tun, als wäre er wirklich an der Nordsee oder irgendwo sonst, wo ihn keiner fand.
 

Doch dann wurde er unsanft am Arm aus seinem kleinen, dunklen Verließ gezerrt.

»Komm raus und mach mir gefälligst was zu essen und nichtsnutziger Dreckssack! Wer hat dir erlaubt hier zu pennen???« schnauzte ihn der große, bullige Mann an. Ohne etwas zu erwidern ließ er sich von der Kammer in die Küche stoßen.

Schnell durchwühlte er die Schränke und stellte gerade so einen Kartoffelauflauf zusammen. Dann sah er den Größeren schüchtern an. »Darf ich… ins Bad… Sir?«

»Geh nur-…«
 

Dankbar für dieses Zugeständnis lief er die kleine Treppe hinauf und schloss sich kurzerhand ins Bad ein. Er wusste dass er bald bestraft wurde… dafür dass er geschlafen hatte.

Er seufzte und dachte an den Strand zurück. Versuchte allen Mut zu sammeln den er noch aufbringen konnte um wieder nach unten zu gehen. Doch es dauerte noch eine Weile, bis er sich dazu in der Lage fühlte. Nachdem er auf dem Klo war und sich die Hände gewaschen hatte, ging er langsam die Treppe wieder hinunter.
 

In der Küche angekommen sah er, dass der Andere den Auflauf schon aus der Röhre genommen und sich ein großes Stück aufgetan hatte. Sein nächster Blick fiel auf den Boden, da er seinen Teller nicht erblicken konnte. Und als hätte er es geahnt…!

Auf den Boden stand ein alter Futternapf von ihren verstorbenen Hund. Darin war wie es aussah kleingemachter Auflauf.

Unschlüssig biss er sich auf die Lippen und sah zu dem Älteren auf.

Dieser musterte ihn mit einem kalten Blick. »Na los, iss schon.« sagte er und ein kaltes Lächeln blitzte auf seinen Lippen auf. » Ich hoffe du hast nicht gedacht, dass du nach diesem Patzer noch bei mir essen darfst oder?«

Tja… hatte er es gedacht?

Gehofft? Genau wusste er es nicht mehr. In Moment war alles wie weggefegt.

»ODER?«

»Nein, Sir…« sagte er und senkte demütigt seinen Kopf.

»Dann knie dich hin und iss schon.«

Er schloss kurz die Augen. Dann ließ er sich auf den Knien vor dem grünen Napf nieder und starte auf den zermatschten Auflauf. Zögernd wollte er danach greifen, als ihm etwas Heißes an seinem Ohr streifte. Schmerzerfüllt zuckte er zusammen und wandte sich zum Tisch um.

»Schon mal nen Hund gesehen, der mit den Händen isst?« wollte der Mann böse wissen.

Schon mal ein Hund mit Händen gesehen? , erwiderte die sarkastische Stimme in seinem Hinterkopf. Aber natürlich sagte er das nicht laut.

»Iss mit dem Mund, verdammt noch Mal!«

Erschrocken sah er den Anderen an und versuchte herauszufinden ob er wieder einen fiesen Scherz mit ihm trieb. Doch dem schien nicht so,…

Aber das konnte nicht sein Ernst sein, oder?!

»ISS ENDLICH!!«

Wieder zuckte er zurück, dieses Mal jedoch eher vor Angst als vor Schmerz.

Anscheinend meinte er es todernst.
 

Gehorsam schloss er die Augen und beugte sich vor. Versuchte das Gefühl der Demütigung zu unterdrücken und seine Tränen zurück zu halten, als er begann mit dem Mund sein Essen aufzunehmen.

Ich reib den Staub aus meinen Augen, blicke auf... für dieses Ziel nahm ich den allerlängsten Weg in Kauf

Der Morgen war klar und kalt.

Kleine Atemwölkchen bildeten sich vor seinem Gesicht, als er langsam durch den Park schlich. Alles tat ihm weh… er hoffte nur, dass der Tag heute ruhig verlief. Doch eigentlich hatte er keinen Bock auf Schule. Alles hätte er jetzt lieber gemacht, als jetzt zu diesem Haus zu gehen.

Die schöne Umgebung der Grünanlagen konnte ihn nur sehr gering von seinen Sorgen ablenken. Nur ab und zu weckte ein kleiner Vogel mal seine Aufmerksamkeit, der anscheinend auf Futtersuche war. Bald würde es Winter werden…

Bei diesem Gedanken konnte er nicht anders als zu schaudern. Er mochte den Winter nicht. Nicht so sehr wegen der Kälte… eher wegen der Finsternis. Es war früh morgens dunkel, man sah nur wenig Licht… und sein Schulweg war weit, jedenfalls kam es ihm in der Dunkelheit so vor. Denn wer wusste schon was oder wer hinter einer dunklen Hausecke auf einen wartete?
 

Er schob den Gedanken entschieden von sich. Er hatte nicht die Kraft dazu jetzt über so etwas nachzudenken. Er musste sich schon darauf konzentrieren weiter zu laufen und nicht umzudrehen und sich irgendwo zu verstecken bis die Schule aus war. Am Bahnhof zum Beispiel-… Dort war er gerne… und dort wurde man auch nicht so schnell aufgegriffen, wenn man der Schule wirklich mal ein paar Tage fern blieb.

Eigentlich verspürte er eine große Lust jetzt genau dorthin zu gehen. Jetzt die Gesichter seiner Klasse zu sehen, war das letzte was er wollte. Die mitleidigen wie die angriffslustigen kotzen ihn an.
 

»Kris!«

Hörte er seinen Namen laut hinter sich und konnte nicht umhin leicht zusammen zu fahren.

»Ich bins nur… « entschuldigte sich sein bester Freund leise. Ihm auf die Schulter klopfend blickte er sich kurz um. »Wir sollten uns ein wenig beeilen… sonst kommen wir wieder zu spät…«

Der Angesprochene nickte nur und ließ sich mitziehen.
 

In der Schule angekommen, gingen sie ohne Umwege zu ihren Klassenraum und setzten sich in der ersten Reihe auf ihre Plätze.

»Was haben wir heute eigentlich?« kam die Frage auf die er eigentlich hätte warten müssen.

Kris schnaubte belustigt. »Eigentlich frage ich mich wieso du überhaupt noch zur Schule kommst… wenn du nicht mal die Zeit verschwendest in den Stundenplan zu schauen…«

Sein Freund grinste unschuldig. »Zu wenig Motivation. Außerdem wärst du ja dann unterfordert. Wenn ich dich nicht immer fragen würde… also?«

»Deutsch, Biologie, Geschichte, Englisch und dann Sport…« verzog er das Gesicht.

Der Andere sah auch nicht grade begeistert aus. »Na Prost Mahlzeit…«

Sie machten sich Unterrichts bereit und warteten darauf, dass die Anderen Schüler und ihr Lehrer in den Klassenraum kamen.

»David…hast du heute Zeit?« fragte er zögernd und sah den Anderen bittend an.

Dieser blickte von seinem Handy auf und sah ihn entschuldigend an. »Nein tut mir Leid… meine Ma schleppt mich heute mit zu unseren Verwandten.«

»Okay…«seufzte er.

»Was? Ist es wieder so schlimm?« wollte der Andere einfühlsam wissen.

Kris nickte als Antwort und das reichte. Auch wenn sein Freund nicht genau wusste, was bei ihm Zuhause los war… schon sehr oft hatte er ihn bei sich übernachten lassen, weil er es einfach nicht mehr ausgehalten hatte… und dafür war er ihm sehr dankbar.

»Hey…«

David berührte seinen Arm sanft. Doch der Andere schüttelte den Kopf und wich der Hand aus.

»Schon gut… mach dir keinen Kopf. Ich schaffe das.«

»Sicher?«

»Ja…«

Es schien so, als wolle sein Freund noch etwas darauf erwidern, aber bevor er ansetzen konnte, schlug die Tür auf und der Rest ihrer Klasse kam hinein.

Kris verspannte sich unmerklich. Und der erste Kommentar ließ auch nicht lange auf sich warten.

»Hey, ihr Freaks… wart ihr wieder die Ersten?« frotzelte der Anführer der selbsternannten

Anti - Emo Gruppe fast sofort. »Kotzt es euch nicht an? Immer schon so früh hier zu sitzen?«

Der beste Freund von ihm lachte humorlos auf. »Was erwartest du Anderes von den Beiden? … Außerdem denke ich nicht, dass es ihn viel ausmacht immer so früh da zu sein! Schließlich haben sie dann genug Zeit für ein paar schmutzige Dinge. « höhnte der nun.

Schien ja auch sehr von sich überzeugt zu sein, der Gute.

Kris verzog den Mund.

Und aus der Gruppe kamen begeistert, schmatzende Knutschgeräusche.

Kris stellten sich die Nackenhärchen auf. Das fing ja gut an! Nicht mal die erste Stunde hatte begonnen. Resigniert schloss er die Augen. Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?

Er spürte wie David sich neben ihm drehte. Und wusste in dem Moment auch genau wie sein Freund aussah, auch wenn er die Augen weiterhin fest zusammen kniff.

Im Gegensatz zu ihm hatte David nicht so viel Angst vor dieser Gruppe… er gab Konter und sehr guten noch dazu… wenn er mit ihm zusammen war, fürchtete er sich weniger. Doch wenn er allein auf sie traf… nun ja… dann kamen Dinge heraus wie vorigen Donnerstag.

Kris schreckte vor dem Gedanken zurück.
 

»Guten Morgen Klasse.« wurde David erneut unterbrochen, als ihre Lehrerin herein schwebte.

»Guten Morgen, Frau Freiberger…« kam es im Chor zurück.

Die eigenartige Frau fixierte ihr Klasse kurz undefinierbar und stellte dann ihre Tasche auf den Tisch ab. »Bevor es heute richtig zur Sache geht, möchte ich euch einen neuen Schüler vorstellen… er ist vor kurzem hier her gezogen… sein Name ist Luca Linton… ich erwarte das ihr ihn gut aufnehmt und… ach ihr wisst schon!«

Sie deutete den Jungen, der bis jetzt regungslos neben ihr gestanden hatte, an Platz zu nehmen. Als Kris ihn musterte wurde ihm leicht flau um den Magen… ein unbekanntes Gefühl ergriff Besitz von ihm. Er konnte es nicht genau zuordnen… doch wenn er es benennen müsste würde er wohl Genugtuung sagen…

Luca war ganz in schwarz gekleidet. Hatte einen langen, schwarzen Ledermantel an und hohe Lackstiefel. Er war geschminkt. Er hatte längere Haare in einem ungewöhnlichen Schnitt. Seine scharfen, kantigen Gesichtszüge, waren ausdruckslos und schneeweiß.

Entweder war ein ziemlich ausgefallener Emo… oder Gothic…

Gespannt wartete er auf die Reaktion der Klasse. Würden sie etwas sagen?

»Setz dich doch neben Alexander.« versuchte es die Lehrerin noch einmal, als der Neue keine Anstalten machte sich irgendwo hin zu setzen.

Doch ehe er sich bewegt hatte, protestierte der Betroffenen laut:

»Nein! Ich will nicht das ein Freak neben mir sitzt, Frau Freiberger!«

Die Lehrerin warf nervös und entnervt zugleich ihr altmodisches Tuch über die Schulter. »Also Alexander… benimm dich doch bitte…«

Dieser wollte gerade empört den Mund öffnen, als er unterbrochen wurde.

»Kein Problem. Ich werde mich einfach da hinten hinsetzen…« meldete sich Luca das erste Mal, mit einer angenehmen Tenorstimmen, zu Wort. Er schien leicht amüsiert zu sein.

Ohne noch groß zu fragen, steuerte er die hinterste Bank an, die als einzige noch frei war. Scheinbar gleichgültig ertrug er die Blicke, als er seinen Mantel auszog über den Stuhl warf und sich hinsetzte. Dann nahm er sein Zeug aus dem Rucksack und sah nach vorne zur Lehrerin.

»Okay« nickte diese scheinbar leicht irritiert. Sagte aber nichts mehr dazu, sondern begann nahtlos mit dem Deutschunterricht.

Aber man merkte dass sie nervös war. Immer wieder warf sie ihr Tuch, was ihr immer um die Schultern lag, zurück und lief unruhig hin und her.

Kris fragte sich warum sie so verstört wirkte. Es war doch nichts neues, das sie neue Gesichter in die Klasse bekam. Wobei es sicher nicht immer ein Gothic war.

Vielleicht hatte sie auch Vorurteile gegen ihn?

Oder sie spürte die aufkommende Abneigung der Klasse. Er konnte hören, wie die Jungen heimlich tuschelten. Ihn sollte es nicht stören… wenn sie ihn dann in Ruhe ließen…

Im gleichen Moment schreckte er auf.

Was dachte er denn da?

Wollte er wirklich dass der neue Schüler die gleiche Hölle beschritt wie er seit Jahren?

Und wieder meldete sich diese kleine, egoistische Stimme in seinem Hinterkopf…
 

Die ganze Stunde grübelte Kris darüber nach wie er dem Gothic gegenüber treten sollte. Von Deutsch bekam er nicht viel mit. Und auch der Rest des Tages verging träge, aber ereignislos.

Und immer wieder schweiften seine Gedanken zu Luca.

Aber warum beschäftigte ihn der Neue so?

Er kannte ihn ja nicht mal!

Nur David konnte ihn ab und zu von seinen wirren Gedanken ablenken.
 

Erst als die Schulglocke das Ende des langen Tages ankündigte, konnte er wieder über was Anderes nachdenken. Jetzt wollte er am liebsten hier bleiben…doch irgendwie auch nicht…

Innerlich zerrissen schloss er sich seinem besten Freund an, der bereits auf dem Weg zum Schultor war. Und wie immer konnte Dieser ungefähr erahnen was er fühlte.

»Hey« machte er sanft auf sich aufmerksam und berührte seinen Arm. »Soll ich dich nach Hause bringen?«

Auch wenn er es nicht zugeben mochte, dachte er kurz darüber nach. Schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, schon gut. Ich schaff das…«

»Sicher?«

»Ja« lächelte er den Blonden dankbar an. »Geh ruhig. Wir sehen uns morgen.«

»Okay mach’s gut.«

»Tschüss.«

Und dann war er alleine…
 

Kris kam genau bis zur Hauptkreuzung. Da wo ihr Sportplatz war…-

Er hatte gehofft dass sie weg waren, wenn er nochmal mit David zur Schule zurücklief. Dieser ließ seine Sachen nämlich immer in der Schule und nahm nur sein Sportzeug mit.

Doch es schien, als hätten sie auf ihn gewartet.

Plötzlich war er umstellt. Keine Fluchtmöglichkeiten mehr.

Er hätte es kommen sehen müssen, aber über die Gedanken wie es heute Zuhause werden würde, hatte er nicht auf den Weg geachtet. Sonst wäre er diesem Schicksal wohl entkommen.

»Na Freak…« begrüßte der Anführer ihn wie üblich. Scheinbar gut gelaunt.

Doch er brauchte nur einen schnellen Blick nach oben zu werfen um zu erkennen, dass dem nicht so war. In den haselnussbraunen Augen lag nur eine Emotion. Ekel…

Er sah ihn an wie ein Insekt, was er am liebsten zertreten würde.

Kris wich vor diesem offensichtlichen Hass zurück. Wurde aber sofort von einem der Anderen wieder zurück gestoßen. Auf den Anstifter zu.

Verzweifelt fragte er sich was er ihnen getan hatte, dass sie ihn so sehr hassten.

» Na mach schon, Sascha! Ich will heute noch nach Hause kommen, oder traust du dich nicht?!« hörte er einen der Anderen lachen, hielt den Blick aber nach unten gerichtet.

Eine Mutprobe also…

In ihm keimte ein ganz böses Gefühl.

»Nicht trauen?« schnaufte der Anführer zurück. »Denkst du ich würde Mitleid mit dem haben, oder was?«

Kris konnte nicht anders als bei den kalten Worten zusammenzufahren. Doch ehe er die Möglichkeit hatte, sich alle Art des Schreckens auszumalen, der ihn erwartete, war es schon so weit. Er spürte den heftigen Stoß im Rücken und fiel nach vorne an eine harte Brust.

Von dem Aufprall noch völlig überrumpelt, spürte er im ersten Moment nicht die Flüssigkeit, die über ihn hinweg rann. Aber dann brach der stechende Schmerz über ihn herein und er schrie auf.

Nur am Rande seiner Wahrnehmung, die jetzt fast nur noch aus stechendem Schmerz bestand, hörte er das Lachen seiner Peiniger.

Er schaute hinunter auf seine Hände, wo noch ein wenig von dem schwarzen Kaffee zu sehen war, der grade über ihn geschüttet wurden war. Die Haut begann sich bereits zu röten… Er presste die Augen zusammen und versuchte den Schmerz irgendwie zu kontrollieren, doch es gelang ihm nicht. Es schien so als würde er bei lebendigem Leibe verbrennen.

Wieder spürte er Hände in seinem Rücken. Dieses Mal beförderte ihn die Wucht des Stoßes zu Boden. Wimmernd zog er sich in die einzige Richtung zurück, die ihm noch blieb. Die Büsche vor dem Zaun, der das Fußballfeld einrahmte. Dort stand niemand, doch er hörte sie immer noch johlen und lachen.

Seine Haare hingen ihm ins Gesicht und ab und an tropfte noch ein bisschen Kaffee von den Strähnen hinunter. Der Kragen von seiner Jacke war völlig durchtränkt mit der heißen Substanz. Er presste sich mit dem Rücken an den Zaun und hoffte auf baldige Erlösung. Er wollte nur noch nach Hause zurück. Egal was ihn dort erwartete.

Als er durch seine geschlossenen Augenlieder Schatten wahrnahm, riss er reflexartig die Arme nach oben. Er spürte einen kurzen Druck, aber die erwarteten Schläge blieben aus.

Dann waren die Schatten weg und um ihn herum wurde es still.

Noch einige Momente verharrte er so, dann, als er sicher war das sie weg waren, wollte er die Arme runternehmen. Es ging nicht.

Ein kurzer Blick sagte ihm, dass seine Peiniger wirklich weg waren. Und das sie seine Jacke in den losen Maschendrahtzaun eingefädelte hatten.

Ein Stöhnen entrang sich seiner Kehle… dann ein Schluchzen. Und Augenblicke später kamen die Tränen, die er die ganze Zeit mit Anstrengung zurückgehalten hatte.
 

»Ach du Scheiße…« wurde der dunkelhaarige Emo unsanft aus seinem Halbschlaf geweckt. Schon eine gefühlte Ewigkeit hing er hier fest. Das Brennen hatte fast aufgehört, außer er berührte eine der verbrannten Stellen. Trotzdem driftete er immer wieder in seine Gedanken ab.

Als er die Augen öffnete, sah er direkt in die Augen des neuen Schülers, über den er sich vorhin so den Kopf zerbrochen hatte. Das schien ihm eine Ewigkeit her zu sein…

Doch das der Gothic sein Rucksack noch auf dem Rücken trug, sagte ihm, das das Attentat doch noch nicht so lange her war… wahrscheinlich Wahrnehmungstäuschung.

»Hey alles klar?« machte besagter wieder auf sich aufmerksam und nahm den Rucksack von den Schultern.

Kris bewegte sich schwach, konnte aber nicht genug Kraft aufbringen um sich noch enger an den Zaun zu pressen. Warum musste auch ausgerechnet er ihn finden?

Als ob es nicht schon demütigend genug war…

Hilflos ließ er den Kopf nach vorne fallen, sodass sein Pony sein Gesicht verdeckte. Wenn er ihn schon so sah, dann wollte er ihn nicht noch die Genugtuung geben und ihn seine Angst sehen lassen. Trotzdem zuckte er zusammen, als der Andere ihn berührte.

»Ganz ruhig. Ich will dich nur losmachen…« meinte Luca sanft. Seine Stimme klang freundlich, aber wirklich trauen wollte er ihm nicht.

Wieso sollte er anders sein als andere?

Wenn alle ihn hassten, wieso sollte er es nicht tun?

Im nächsten Moment waren seine Arme wieder frei. Doch der Weg aus den Büschen wurde immer noch von dem Gothic versperrt, der jetzt irgendwas in seinem Rucksack zu suchen schien.

Scheu blickte er kurz zu ihm auf.

Dieser Kerl strahlte eine angenehme Ruhe aus. Selbst jetzt noch…

Und lachen tat er auch nicht.

Schon merkwürdig.

So in Gedanken versunken, bekam er gar nicht mit wie der Andere nach ihm griff. Als er es bemerkte war es bereits zu spät.

Prüfend musterte Luca die Haut seines Handrückens und stöhnte. Er hörte es plätschern und dann berührte etwas Kaltes seine überreizte Haut. Leise zischend versuchte Kris, fast ein wenig hysterisch, seine Hand wieder aus dem Griff zu entwinden, doch sein Gegenüber war erstaunlich kräftig und hielt ihn weiterhin fest. Zu seiner Überraschung ließ das Brennen aber etwas nach…- es schien fast zu helfen. Er stellte seine Gegenwehr ein…

Vorerst.

»Das muss doch verflucht wehtun…« murmelte der Gothic vor sich hin und sah ihn dann offen ins Gesicht. Seine Augen weiteten sich leicht, als er bemerkte dass auch da die Haut gerötet war. Schnell senkte Kris seinen Blick wieder.

»Wer war das?!«

Er antwortete nicht.

Was hatte es auch für einen Sinn ihn das zu sagen?

»Ist ja auch egal…« schien es Diesen gar nicht groß zu stören. Er drückte ihm das feuchte Taschentuch in die Hand und bedeutet ihm damit seine Haut zu kühlen. »Du musst sofort zum Arzt!«

Das klang ja fast besorgt…

Schüchtern blickte er wieder zu den Fremden hoch. Konnte das wirklich sein?

Machte er sich Sorgen?

So was kannte er eigentlich nur von David…

»Hallo? Hörst du mir eigentlich zu?« fragte Luca ungeduldig. »Du musst zum Arzt… los! Ich komme mit…!«

Langsam griff er nach ihm, so dass Kris seinen Bewegungen genau folgen konnte und stellte ihn ungefragt zurück auf seine wackligen Beine.

Der Typ war echt stark!

»Ich kann alleine zum Arzt gehen…« wehrte er sich verhemmt und machte sich dann los.

Der Andere zuckte mit den Achseln. »Okay, wenn du meinst.«

Kommentarlos ließ er ihn vorbei.

Kris schnappte sich seinen Rucksack, der Gott sei Dank noch da war… und taumelte auf den Weg. Er wollte nur noch nach Hause.

Er war froh darum, dass der Andere ihn nicht noch einmal aufhielt.

Erst als er vor der Eingangstür der Wohnung stand, fiel ihm auf, dass er sich nicht einmal bedankt hatte.

Um mich herum verbrennt die Welt ; das Stück Papier halte ich noch fest umklammert aber deshalb bin ich hier

Er saß am Fenster und blickte hinaus.

Seine schmerzende Haut war noch immer gerötet, doch jetzt bedeckte sie eine dicke Schicht Creme.

Diese linderte die Schmerzen etwas.

Vorsichtig lehnte er den Kopf an den Fensterrahmen und sah hinaus, wobei er eigentlich nicht viel sehen konnte, außer seinem Gesicht, was sich in der Finsternis spiegelte.

Zum ersten Mal in so vielen Jahren war er fast froh darum, dass sein Vater mit einer der Frauen beschäftigt war und ihn nicht wahrzunehmen schien.

Das laute Geschrei und Gestöhne blendete er weites gehend aus. Was ihm nicht sonderlich schwerfiel, da es seit Jahren zu einem ungewollten Nebengeräusch geworden war.

Er dachte über die Ereignisse des heutigen Tages nach.

Nicht das er, nach den ganzen Demütigungen die er schon erlebt hatte, über die Jungen nachdachte die ihn zu hassen schienen. Merkwürdigerweise kreisten seine Gedanken um den Menschen, der ihn gerettet hatte.

Luca.

Ihm war unbegreiflich warum dieser Junge so nett zu ihm war…

Außer David war nie jemand nett zu ihm gewesen, ein Grund dafür warum er sein bester Freund war. Trotzdem hätte er nie gedacht, dass er so jemanden noch einmal fand.

Anscheinend hatte er das aber.

Oder war es nur eine Laune?

Vielleicht hatte er nur nichts Besseres zu tun gehabt?

Könnte doch sein, oder?

Jetzt war es ihm fast peinlich, dass er Genugtuung darüber empfunden hatte, als die Anderen über Luca gelästert hatten. Er hatte ihm geholfen, ohne dass ihn jemand gezwungen hätte.

Er schätzte, dass so einige Passanten an ihm vorbeigelaufen waren ohne ihn zu beachten. Einfach aus Bequemlichkeit. So was hatte er häufig erlebt.

Er seufzte laut.

Er würde wohl nie erfahren warum der Andere das getan hatte. Außer er würde ihn fragen…

Doch das würde er niemals tun!

Nicht einmal im nächsten Leben!

Er riss seinen Blick von der dunklen Fensterscheibe los und blickte hinunter auf das Foto, was er in den Händen hielt. Liebevoll strich er darüber und musterte, wie schon hundert Male zuvor, die bekannten Züge. Es schien als würde neue Kraft durch seinen Körper fluten, solange er nur dieses Bild anstarrte… - doch irgendwann weckte die Stille seine Aufmerksamkeit.

Anscheinend hatte sein Vater mit seiner liebsten Beschäftigung aufgehört. Das hieß, dass er bald wieder seine volle Aufmerksamkeit bekam ob nun negativ oder positiv…

Kris erhob sich und sprang leichtfüßig von dem Tisch, auf den er gesessen hatte um besser aus dem Fenster sehen zu können. Danach legte er das Foto auf den Tisch zurück.

Er sollte sich mit dem Essen beeilen. Dann war er rechtzeitig fertig und durfte vielleicht auch mit essen. Also schlenderte er in die Küche und durchsuchte die Schränke nach etwas Essbarem.
 

Am nächsten Morgen lief er, wie immer seine Umgebung scharf beobachtend, zur Schule.

Er hatte beschlossen hin zu gehen, auch wenn er noch gekennzeichnet war von dem letzten Zusammentreffen mit der Gang. Wenn er zuhause blieb, würde er nur seinen Vater auf die Nerven fallen und das war das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte.

Außerdem war er gestern nicht beim Arzt, demzufolge hätte er eh keine Entschuldigung gehabt.

Als Kris um die nächste Ecke bog, sah er seinen besten Freund auf sich zukommen.

»Hey Mann, wie …-«

Er blickte nach unten, doch es war zu spät.

David unterbrach sich und drückte sein Kinn wieder nach oben. In seinen Augen stand Schreck und Sorge, doch er fragte nicht nach. Dem Himmel sei Dank…

Stumm zog er ihn in seine Arme. Kurz konnte Kris sich darin fallen lassen, dann löste er sich und lief weiter. Wenn sie hier weiter so standen wurde es noch peinlich!
 

Keiner der Beiden sagte ein weiteres Wort. An der Schule angekommen, gingen sie hinein und warteten vor dem Chemieraum auf ihren Lehrer.

Dieser Raum wurde nie vor dem Unterricht aufgeschlossen, da alle Chemikalien darin lagerten. Also platzierten sie sich im Flur und beobachteten wie immer mehr ihrer Mitschüler eintrafen.

Sie hielten sich wie immer ein bisschen abseits.

Unauffällig beobachtete der Dunkelhaarige Luca, der gerade mit einem Kaffeebecher vom Bäcker eintraf und sich ebenfalls entfernt von den Anderen hinstellte. Wieder hatte er diesen langen Ledermantel und die hohen Stiefel an.

Und dann, kurz bevor es zum Unterricht läutete, erschien wie immer die Gang. Lässig wackelten sie auf die beiden Freunde zu. Kris wurde augenblicklich ganz schlecht.

War er nicht schon gestraft genug?

Reflexartig trat er einen Schritt zurück und presste sich an die Säule hinter sich. Im gleichen Moment stellte sich David schräg vor ihn. Es war wie Gedankenlesen.

Er hoffte nur, dass er das unbeschadet überstand.

»Schönen guten Morgen, ihr Freaks…. Ich wollte nur schauen wies euch so geht!« grinste der Anführer der kleinen Gruppe hämisch. Die Fünf bauten sich vor den Beiden auf. » Was ist denn nur mit dir passiert? Bist du in Farbe gefallen??«

Tat er dann auch noch ganz ahnungslos und lachte.

Kris begann zu zittern.

»Das kann dir ja wohl egal sein…« konterte David in diesem Moment kühl und starrte die Anderen feindselig an. »Zieht Leine…«

»Du bist eindeutig zu frech, Tussi« knurrte ein weiterer aus der Gruppe. Ein Kerl wie ein Schrank. »Dir sollten wir auch mal Manieren beibringen…«

Doch David ließ sich nicht einschüchtern. »Das ist ebenfalls nicht euer Problem. Und wo wir grade von Manieren sprechen. Wisst ihr eigentlich wie man das Wort schreibt?«

Kris konnte nicht anders als sein Freund zu bewundern. Aber er wusste auch, dass es sehr eng für sie Beide werden könnte, wenn der Lehrer nicht bald kam.

Und plötzlich war er da…-

Luca schlenderte gerade durch die Gruppe hindurch, anscheinend auf dem Weg zum Klassenraum. Im vorbei gehen rempelte er den Anführer an und verschüttete seinen brühend heißen Kaffee über Dessen Hand.

Dieser schrie auf und wich getroffen zurück.

Nun blieb auch Luca stehen. »Ach du je… das tut mir aber Leid! Ich sollte wohl doch lieber den Deckel drauf lassen…!« meinte er nun so gleichgültig, dass man die Entschuldigung nicht so wirklich glauben wollte. Langsam zog er den Plastedeckel hervor und setzte ihn nun auf den Becher… er schien sichtlich amüsiert zu sein.

»Scheiße… Sascha? Alles okay?« wollte einer der Gruppe besorgt wissen. Während der weiter vorne Stehende sich aggressiv an den Gothic wandte.

»Kannst du nicht aufpassen, du Freak…?!«

Und plötzlich änderte sich die Atmosphäre. Von Lucas Amüsanz war nichts mehr zu spüren. Jetzt spannte er seine Muskeln an.

»Was ist, neidisch? Ich hab noch ein bisschen Kaffee übrig… möchtest du auch mal kosten?«

Demonstrativ hielt er ihm den Kaffeebecher entgegen. Der Angesprochene machte vorsichtshalber einige Schritte zurück. »Was denn hast du jetzt Angst? Dabei könnt ihr doch immer so gut austeilen… nur beim Einstecken seit ihr scheiße. Das üben wir nochmal…«

Das war der Augenblick als der Lehrer ankam und den Konflikt auflöste. Sascha und seine Jungs nahmen dies als Grund sich zurück zu ziehen. Luca jedoch nicht.

Ungefragt kam er näher und musterte Kris nun genauer. Dieser stand immer noch an die Wand gepresst da und wünschte sich, heute Morgen nicht hierhergekommen zu sein.

David indes hatte seine Haltung aufgegeben und beobachtete das Zusammentreffen stumm.

»Wie geht es dir?« wollte er dann freundlich wissen.

Aber auch wenn seine Stimme jetzt wieder nett klang, konnte er trotzdem nicht aufschauen. Also blieb er stumm und nickte kurz.

Er wollte gerne mit ihm sprechen, schließlich hatte er ihn zum zweiten Mal geholfen… doch woher sollte er wissen, dass es nicht nur geheuchelt war?!

»Besser also…« interpretierte Luca die Geste richtig. »Okay. Das freut mich…«

Damit ging er an ihnen vorbei ins Klassenzimmer.

Als Kris ihm in einigen Abstand folgen wollte, verstellte David ihm jedoch den Weg. Und als er in die dunklen Augen seines Freundes sah, die so tief braun waren, dass sie am Rand schon schwarz wirkten, erkannte er den Ärger darin.

Automatisch ging er einen Schritt zurück. Auch wenn er genau wusste das der Blonde ihm nie etwas tun würde. Womit hatte er ihn verärgert?

»Warum hast du nicht gesagt, dass die es waren?« zischte der nun.

Kris stöhnte innerlich auf.

David war nicht dumm, natürlich hatte er sofort begriffen worauf der Gothic angespielt hatte. Er wusste nicht Mal warum er es ihm nicht gesagt hatte…

»Ich… wollte einfach nicht darüber reden…« blickte er ihn entschuldigend an.

»Ach aber ihm konntest du es erzählen?«

»Nein!...Er… hat mich… gefunden…« stotterte er leise. Er mochte nicht wenn David zornig war, vor allem wenn es sich auf ihn bezog. Es war leicht beängstigend.

Vor allem weil es der einzige Mensch auf der Welt war, der sich für ihn zu interessieren schien.

»Was ist passiert?« fragte David jedes Wort betonend.

Der Dunkelhaarige senkte den Blick und schwieg.

Er wurde unsanft an der Schulter gepackt und näher an den Anderen heran gezogen.

»Sag es mir!«

Er presste die Lippen zusammen und wollte nur noch weg von hier…

»Kris…!«

Und dann löste sich sein Wiederstand und es kam alles herausgesprudelt.

»Ich… sie haben mir am Sportplatz aufgelauert,…und… und geschubst… und dann hat einer mir Kaffee über den Kopf geschüttet…wahrscheinlich eine Mutprobe… weiß nicht… ich habe versucht wegzukommen und dann… dann haben sie mich mit der Jacke an den Maschendrahtzaun gehängt… ich bin nicht mehr losgekommen… und Luca… er hat mich gefunden und mir geholfen… ich… ich hab mich nicht mal bedankt… ich war so durcheinander… ich… bitte sei mir nicht böse…«

Danach herrschte kurze Stille, dann seufzte sein Freund. »Dummer Hornochse…« doch es klang nicht mehr ärgerlich. »Du hättest mich anrufen sollen. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du so was nicht in dich reinfressen sollst, verdammt.«

Kris zuckte hilflos mit den Schultern und versuchte nicht in Tränen auszubrechen. Sein Herz schien vor emotionaler Belastung gerade Überstunden zu schieben.

»Hör schon auf…ich bin dir nicht böse…« schien der Blonde mal wieder das Talent zu besitzen in ihm zu lesen wie ein offenes Buch. Er berührte sanft die Hand des Anderen und wünschte sich nichts mehr, als das er ihn in den Arm nahm.

Doch auch wenn David das sicher immer gerne für ihn tat, er wusste, dass es in der Schule nicht die beste Idee war. Ihr Ruf war so wieso schon schlecht… und würde sie irgendjemand so sehen, würden sie alle Klischees eines Emo´s erfüllen und hier die Hölle auf Erden erleben.

Auch wenn sich die meisten Mitschüler stark zurückhielten, an der Tatsache das keiner eingriff, wenn sie gemobbt wurden, zeigte sich, dass sie derselben Meinung waren wie diese doofe Gang.

Gerade als er die Hand wieder losließ und den Anderen dankbar anblickte, trat der Lehrer auf den Flur. »Was denn wollt ihr hier Wurzeln schlagen?«
 

Der Tag verging schleppend.

Wirklich konzentrieren konnte er sich wieder nicht. Auch wenn er es versuchte, hielt der Vorsatz nicht allzu lange an. Desinteressiert krakelte er dann hier und da auf seinen Block und überbrückte so die Zeit bis zur Mittagspause.

Den Lehrern erklärte er seine Verbrennungen damit, dass er einen Unfall beim Kochen gehabt hatte. Was ihn vorwurfsvolle Blicke von David einhandelte, doch die Wahrheit konnte er nicht sagen. Als dann endlich die große Pause da war, ging er mit David auf den Hof.

»Wo willst du denn hin?« wollte er erstaunt wissen, als Dieser nicht den gewohnten Weg einschlug. Er lief in die völlig entgegengesetzte Richtung.

Dieser grinste ihn über die Schulter an. »Du zerbrichst dir die ganze Zeit den Kopf und bist total unaufmerksam… so kenn ich dich gar nicht… also beheben wir das…«

»Ach und wie?«

»Indem wir das machen, worüber du dir den Kopf zerbrichst!«

»Und was wäre…?«

»Das weißt du genau…« lachte David zurück. »Wir gehen zu Luca und du bedankst dich bei ihm… so wie du es tun solltest!«

Kris blieb abrupt stehen. »WAS?«

Doch es schien nicht so als würde der Andere Scherze machen. Das waren solche Momente wo er den Sinn für Gerechtigkeit, seines Freundes verfluchte.

»Das kann ich aber nicht!« zeigte er offenen Wiederwillen und trat einen Schritt zurück.

»Wieso solltest du das nicht können?« erwiderte David ungerührt, packte ihn am Handgelenk und zog ihn weiter mit sich mit.

»Bitte… nein…«

»Komm schon Kris… er reißt dir schon nicht den Kopf ab…«

Anscheinend verstand er ihn doch nicht ganz so gut, wie er immer tat, sonst würde er Gnade zeigen…trotzdem ergab er sich seinem Schicksal.
 

Der Gothic saß abseits auf einer Bank unter einem Baum. Sie war so abgelegen vom Rest des Hofes, dass sie fast Niemand benutzte.

Als Kris, der von David auf ihn zugeschubst wurde, ihm fast in den Schoß fiel, blickte er erstaunt auf. Er hielt eine Zigarette in der Hand, die er Augenscheinlich gerade hatte anstecken wollen.

»Ja, was gibt’s?«

Der Dunkelhaarige trat unruhig von einem Bein aufs Andere und blickte nach unten auf seine Schuhe. Es war für ihn mehr als nur peinlich.

»Tschuldigung…« nuschelte er leise den Sandboden entgegen.

»Bitte?« fragte Luca noch zu allem Überfluss. Heute schienen sich wirklich alle gegen ihn verschworen zu haben. Sein Herz begann zu jagen… viel verkraftete es sicher nicht mehr.

»Danke… für gestern…« probierte er es doch ein bisschen lauter.

Dieses Mal schien er es gehört zu haben, denn er hörte das Lächeln in seiner Stimme, als er meinte:

»Gern geschehen,…«

Mit einem Klick des Feuerzeuges zündete er sich nun die Zigarette an und zog einmal tief den Rauch ein, während Kris die letzten Worte noch verarbeitete.

»Für vorhin auch…« wurde er etwas mutiger und traute sich sogar dem Anderen kurz ins Gesicht zu blicken. Dieser winkte ab und blies den Qualm wieder aus.

»Auch das ist geschenkt. Wie es scheint können diese Arschlöcher mal Kontra gebrauchen…« sagte er dann. »Das wichtigste ist, dass es dir besser geht. Und dein Gesicht sieht schon nicht mehr ganz so schlimm aus wie gestern…«

Da er nicht wusste was er sonst machen sollte, nickte Kris einfach.

Diese Wörter waren ihm so fremd. Wieso benutzte der Andere sie, als wäre es normal?

Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in seiner Brust aus.

Und dann war da plötzlich David hinter ihm.

»Hab ich es dir nicht gesagt?« flüsterte er ihm ins Ohr. Kris sah ihn nur an, weil er einfach nichts wusste, was er sagen konnte.

»Wollt ihr euch nicht zu mir setzen? Ein wenig Gesellschaft wäre nichts verkehrtes,…« bot der Gothic an und behielt das Lächeln bei.

David nahm das Angebot an und zog den Dunkelhaarigen neben sich auf die Bank. Der versuchte noch immer seine wirren Gedanken zu ordnen und bekam von dem darauffolgenden Smalltalk wenig mit.

Immer wieder wurden seine Blicke von dem Gesicht des Anderen angezogen und er fragte sich, was für ein Mensch hinter dieser Maske steckte.

Manchmal erwiderten die dunkel geschminkten Augen seinen Blick, doch zu seiner großen Verwunderung störte ihn das gar nicht mehr so großartig.

Er fühlte sich seltsam wohl bei dem Fremden.
 

Die Pause ging schneller vorbei als normal.

Danach gingen sie gemeinsam zurück in den Unterricht. Kris konnte sich jetzt noch weniger konzentrieren. Durch seine aufgewühlten Gefühle völlig in Besitz genommen, schrieb er nur das mit was an der Tafel stand und bekam nicht einmal mit das eine Gruppenarbeit stattfand.

Erst als David ihn anstieß, war er wieder leicht anwesend.

»Was?« wollte er wissen.

»Gruppenarbeit« flüsterte sein bester Freund zurück. Augenblicklich versteifte er sich.

Und als hätte er es nicht geahnt, ließ der erste Kommentar nicht lange auf sich warten.

»Wer will schon mit solchen Freaks zusammenarbeiten?« kam die Frage. Kris brauchte nicht nach hinten zu schauen um zu wissen, dass auf sie gezeigt wurde. Das was ihn so entsetzte, war die Tatsache, dass niemand aus der Gang gesprochen hatte. Sondern eine andere Mitschülerin. Anscheinend fanden diese Affen schnell Anhang.

»Ein anderer Freak natürlich« kam die unerwartet, spottende Antwort von Luca. Dann, ohne ein Zeichen der Lehrerin abzuwarten, packte er seinen Stuhl, Stift und Block und setzte sich zu den Beiden Freunden.

»Gut die erste Gruppe hat sich gefunden…« versuchte die Lehrerin die Spitzen zu übergehen. »Jetzt bilden die Anderen auch noch Gruppen, dann können wir anfangen!«

Während die Anderen Stühle und Tische rückten und die Lehrerin die Arbeitsblätter austeilte, beugte sich David vor.

»Das hättest du nicht machen brauchen…«

Der Angesprochene grinste bloß. »Wieso nicht? Ist doch gut so.«

»Aber so bringst du die Anderen nur gegen dich auf… das ist dein zweiter Tag hier…« erinnerte ihn David leise und blickte sich unauffällig um.

»Das ist mir herzlich egal, Kleiner. Ich mag dieses alberne Getue nicht… das können die ruhig wissen. Im Übrigen seid ihr nett… kein Grund euch zu meiden. Finde ich…«

»Deine Entscheidung… trotzdem Danke…«

Luca schüttelte nur den Kopf. »Hört schon auf mit euren ständigen Danke…bei so viel Gefühlsduselei wird mir ganz schlecht…« zog er ihn liebenswürdig auf. »Lasst uns lieber mal anfangen zu arbeiten…«

»Tz… wie du meinst. Aber wehe du machst das nicht vernünftig und ziehst unsere Leistungen runter, dann kommst du nicht wieder in unser Team…« ließ sich David auf den Scherz ein.

»Ich tu was ich kann…« versprach Luca und schlug seinen Block auf.

Die nächsten Minuten arbeiteten sie ruhig nebeneinander.

Irgendwie schienen sie nicht voneinander loszukommen, ging es Kris durch den Kopf und beinah hätte er gegrinst.

Er glaubte schon lange nicht mehr, dass Luca seine Interesse und Hilfe nur heuchelte.

Es sah so aus als meinte er es ernst…

Trotzdem konnte er sich ihm gegenüber noch nicht wirklich öffnen. Das war auch der Grund weswegen die meisten Gespräche nur zwischen David und Luca stattfanden.

Doch Dieser drängte ihn nicht. Er schien es ohne Begründung zu akzeptieren.

Schon ein merkwürdiger Mensch.

Was er wohl so dachte?

Über ihn und David?

Warum er ihnen wohl half?

Ob er das wirklich wissen wollte?

Ab und zu warf der Dunkelhaarige unauffällige Blicke zu seinem Gruppenpartner und fragte sich immer wieder was es war, was sich tief in seiner Brust regte.

Es ringelte und wand sich… schien ab und zu mal am Rand seines Bewusstseins aufzutauchen, war aber zu schnell wieder der Reichweite entflohen, wenn er es erhaschen wollte…

wenn er ehrlich war, wollte er es wahrscheinlich gar nicht wissen.
 

Der Rest des Tages verlief ruhig.

Mit gemischten Gefühlen musterte er das zarte Band der Freundschaft, das zwischen David und Luca zu entstehen schien.

Als er sich vor seinem Haus von seinem Freund verabschiedete, hatte das merkwürdige Gefühl noch nicht nachgelassen. Gerne würde er ihn fragen was er von dem Neuen hielt…

Doch er traute sich aus irgendeinem Grund nicht…
 

Was war denn nur los mit ihm?

Ich weiß noch immer nicht was tief in mir geschah, als ich wegen dir mein ganzes Leben vor mir ausgebreitet sah...

Es waren ein paar Tage vergangen, doch wirklich schlauer war er deswegen nicht…

Noch immer quälten ihn Gedanken und Fantasien um den Gothic. Und egal was er machte, er wollte einfach nicht aus seinem Kopf weichen.

Kris war sich sicher, dass er bald verrückt werden würde, wenn keine Änderung eintrat.
 

Er stand am Spiegel und zog lustlos seinen Liedstrich nach. Eigentlich wollte er gar nicht in die Schule …- auch wenn er sich insgeheim darauf freute Luca wiederzusehen.

Doch das würde er niemals zugeben. Eher würde er sich die Zunge abschneiden…-
 

Nach wenigen Minuten, als auch seine Haare lagen, ging er aus dem Bad. Und suchte in Windeseile seine Utensilien für den Unterricht zusammen. Dann warf er sich seinen Rucksack über die Schultern und ging zur Haustür.

»Bin dann in der Schule!« rief er über die Schulter und nahm seinen Hausschlüssel.

»Komm noch mal her!« brüllte sein Vater aus der Küche.

Kris fuhr zusammen und ging zurück, fieberhaft darüber nachdenkend was er falsch gemacht haben könnte…nur fiel ihm leider nichts ein… nichts!

Er hatte seinen Vater heute Morgen nicht einmal gesehen!

Als er das Zimmer betrat registrierte er sofort, dass etwas anders war. Schon alleine die Haltung, wie der Größere am Tisch saß und seinen Kaffee trank, sprach Bände.

»Schm…- schmeckt der Kaffee nicht, Sir?« versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.

»Sei nicht so förmlich, Sohn…« nuschelte der Mann unverständlich und zog ihn noch näher. Nun konnte er den Alkohol und den Schweiß riechen und er spürte die riesigen Hände die über seinen Rücken fuhren.

Unwillkürlich versteifte er sich bei dem Körperkontakt.

Der Größere war sturzbetrunken… anscheinend war die letzte Nacht nicht gut für ihn gelaufen.

Unwohl wand er sich aus den Armen und trat ein paar Schritte zurück.

»Ich muss wirklich los…« stammelte er. »Sonst komm ich zu spät…«

Erst dachte er der Größere hätte ihn gar nicht verstanden, da er immer noch so da saß wie zuvor und die Hände ausstreckte. Gerade als er sich noch einmal wiederholen wollte, kam Bewegung in den Anderen. »Ah, natürlich… okay.«

Wieder streckte er die Arme auffordernd aus.

»Gib mir noch einen Abschiedskuss, mein Sohn. «

Kris begab sich wiederstrebend erneut in diese Arme und drückte einen scheuen Kuss auf die Wange seines Vaters. Schon alleine der Kontakt mit der rauen Haut und seinem 3 Tage Bart entfachte in ihm eine mittelschwere Übelkeit.

Stumm ließ er sich noch einmal an den anderen Körper drücken.

Vor lauter Überforderung konnte er sich gar nicht richtig rühren…

Was war denn nur passiert?

So hatte er seinen Vater ja schon lange nicht mehr erlebt. Und wenn er ehrlich war, machte dieses Verhalten ihm mehr Angst als sonst, weil er es überhaupt nicht mehr einschätzen konnte.

»Ich warte dann hier auf dich… bis bald « verabschiedete sich sein Vater und entließ seinen völlig irritierten Sohn.

Mechanisch nickend, stolperte er aus der Küche und hetzte durch den Flur zur Haustür. Immer damit rechnend das er erneut aufgehalten wurde. Aber nichts der Gleichen geschah.

Er trat aus dem Haus, schlug die Tür hinter sich zu und lief los.

Er rannte um die Ecke seiner Straße und weiter, immer weiter, viel weiter als er es eigentlich gebraucht hätte. Doch seine Füße konnten nicht mehr damit aufhören…

Und immer noch spürte er die Hände auf seinen Körper, wie Kraken, die man einfach nicht wieder losbekam.
 

Die Panik die in seinem Inneren tobte, war wohl hauptsächlich aus seiner Hilflosigkeit und seinem Unverständnis geboren. Es machte ihm Angst, wenn die Stimmungen seines Vaters so radikal umschlugen. Denn so konnte er Diesen nicht einschätzen.

Es graute ihm schon jetzt vor seiner Heimkehr…-

Doch diesen Gedanken schob er schnell beiseite.
 

Als er wenig später den Treffpunkt erreicht, sah er seinen besten Freund schon an der Laterne lehnen, eine Zeitung in der Hand. Hier trafen sie sich immer um den Rest des Schulweges gemeinsam zu laufen.

Als David aufblickte und ihm kommen sah, spiegelten sich seine eignen Gefühle auf dessen Gesicht. Allein das brachte ihn augenblicklich etwas zur Ruhe.

Sie kannten sich lange…, brauchten keine Worte mehr um sich zu verständigen.

Und auch wenn er es manchmal lästig fand, dass der Blonde in ihm las wie in einem offenen Buch, jetzt war er froh darüber.

Erst kurz vor ihm, konnte er seine Füße dazu bewegen langsamer zu werden. Kris bremste sich ein und flog den Anderen in die Arme. Dieser taumelte von der Wucht des Aufpralls leicht nach hinten, hielt ihn aber sofort fest.

Seine Beine zitterten noch von den ungewollten Spurt und er war sich sicher, dass wenn David ihn nicht gehalten hätte, er sofort zu Boden gesunken wäre.

Er drückte sich in die Arme seines Freundes und versuchte seine unruhigen Gedanken und seine Sinne wieder zu ordnen und zu sortieren.

Der Blonde wirkte wie ein Beruhigungsmittel auf ihn. Er brauchte jetzt diesen Körperkontakt…

Wenn er bei David war fühlte er sich wohler…- vollkommener. Einfach weil er ihm so nahm wie er war und ihn unterstützte. Etwas was er so noch nie erlebt hatte, von niemanden.-

»Kris« sprach er ihn an. Doch in diesem Wort steckten viele Botschaften. Der Schwarzhaarige biss sich auf die Lippen um nicht los zu weinen. Am liebsten hätte er sich in David verkrochen. Er wollten nirgendwo mehr sein… er wünschte sich nur, dass er sein Freund ihn weiter so festhielt.

»Ist gut…« flüsterte der Blonde in seinen Haarschopf und ließ sich ohne Gegenwehr an den Laternenpfahl pressen. »Alles wird wieder gut… schhh…«

Diese leeren Worte erschienen oft dumm und töricht, doch für den Dunkelhaarigen bedeuteten sie so viel… -

Denn er hörte sie nur sehr selten. Eigentlich war es nur David der sie ihm gegenüber jemals benutzt hatte. Und es war egal wie abgedroschen Diese klangen…
 

Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, machten sie Beiden sich wieder auf den Weg. Sie waren zu spät; fast 10 Minuten. Sowohl Kris als auch David konnten sich vorstellen was gleich auf sie zukam, wenn sie in den Klassenraum gingen.

Schnell schritten sie durch die Flure, die jetzt wie leer gefegt waren.

»Es tut mir Leid…« sagte Kris kleinlaut. Er fühlte sich schuldig für ihre jetzige Situation.

»Red keinen Unsinn« wank David ab. Aber auch diese Worte schalteten das ungute Gefühl nicht aus. Es war nur seine Schuld, dass David jetzt Ärger bekam!

Außerdem würden sie sich wahrscheinlich den ganzen Tag Anspielungen darüber anhören dürfen. Das war doch alles Scheiße!

»Kris!« durchbrach die warnende Stimme seines Freundes seine Gedanken. Sie waren nun vor dem Klassenraum angekommen, doch David hielt ihn noch einmal auf. »Hör mir zu, das ist in Ordnung… so oft kommen wir auch nicht zu spät. Fr . Särchen wird uns schon nicht den Kopf abreißen, okay? Bleib ganz ruhig…«

Unschlüssig nickte er.

Zum erwidern blieb ihm keine Zeit mehr, denn sein Freund hatte bereits die Tür aufgestoßen.

Sofort hatten sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der ganzen Klasse.

Fast 40 Augenpaare richteten sich auf sie.

Beängstigend…

Sofort sah er zu Boden und versuchte die Aufmerksamkeit der Anderen auszublenden.

Wie er es hasste im Mittelpunkt zu stehen!!

»Ach, Herr Siebert und Herr Büssing haben auch den Weg in die Schule gefunden…, sehr schön!« spottete die Lehrerin und erntete einige Lacher der Schüler. »wir reden später noch darüber was die Pünktlichkeit angeht, setzen sie sich jetzt hin. Ich war gerade dabei zu erläutern was in der nächsten Arbeit dran kommt.«

»Ja, Frau Särchen,… entschuldigen sie. « murmelte David und die Beiden Freunde setzten sich. Ihre Lehrerin redete einfach weiter, als hätte es die Störung nie gegeben und schrieb Arbeitsthemen an die Tafel, doch die Aufmerksamkeit der Mitschüler hatten immer noch er und David für sich alleine. Kris hörte sie amüsiert tuscheln.

Das konnte ja heiter werden!

Verdammt!

Wenn es nach ihm ginge brauchte die Zeit bis zur ersten Pause gar nicht vergehen.

Erleichtert etwas tun zu können, schrieb er die Themen in seinen Hefter ab. Aber er konnte sich nicht auf das Gesagte der Lehrerin konzentrieren.

Zuviel ging ihm durch den Kopf.

Die Sache mit seinen Vater… das zu spät kommen… die Schuldgefühle, weil er David da mit reingezogen hatte… und jetzt die Mitschüler… sie würden ihn wieder den ganzen Tag damit in den Ohren liegen… aber das war nicht das schlimmste, denn wenn sie dachten sie hatten…-

Dann… dann würden sie wieder…-

Nein!

Nicht drüber nachdenken!!

Kris kniff die Augen zusammen und versuchte krampfhaft an was anderes zu denken, was nicht gerade einfach war. Erst der sachte Stoß in seine Rippen brachte ihn dazu die Augen wieder zu öffnen und in die tiefbraunen Gegenstücke von seinem Freund zu blicken.

Dieser sah ihn vielsagend an.

Mach dir keine Gedanken, es wird alles halb so schlimm…,

sagte dieser Blick.

Fast beängstigend was der Andere allein mit seiner Miene ausdrücken konnte. Aber augenscheinlich traute er sich auch nicht mehr, da die gesamte Aufmerksamkeit bereits auf ihnen haftete. Alles Unbedachte würde gegen sie verwendet werden.

Auch wenn der Dunkelhaarige jetzt umso mehr Körperkontakt brauchen würde, auch er sah die Situation. Sie würde jedes Wort und jede Berührung die er sich eigentlich so ersehnte nur noch schlimmer machen…-

Die ganze verbleibende Unterrichtsstunde spürte Kris die gierig, neugierigen Augen in seinem Nacken. Sie brannten auf seiner Haut wie der Kaffee, der vor ein paar Tagen seine Haare hinunter geflossen war. Und sie fühlten sich ebenso dunkel an wie das Getränk.
 

Als es zur Pause klingelte, konnte Kris nicht anders als vor Schreck zusammen zu fahren.

Verdammter Mist, warum hatte er nicht die Macht die Zeit anzuhalten?!

Ihm war plötzlich ganz übel.

Er hörte wie seine Mitschüler sich lachend erhoben und zur Tür hinstrebten. Alle schienen ganz erpicht auf die Pause zu sein. Ein Gefühl was er noch nie in seinem Leben teilen durfte.

Ihm waren die Unterrichtsstunden lieber… auch wenn manche nervig waren, da hatte er zumindest seine Ruhe und konnte seinen Gedanken nachhängen.

David und er warteten bis alle Anderen den Raum verlassen hatten. Das taten sie immer…-

Die Lehrerin ging allerdings nicht hinaus, sondern kam an ihren Tisch. Sie schien darauf gewartet zu haben bis sie alleine waren.

»So, und nun erklären sie mir bitte, warum sie nicht von Anfang an, an meiner Stunde teilnehmen konnten!« forderte sie streng und röntge die Beiden Jungs mit ihren Blicken.

»Entschuldigen sie vielmals, Frau Särchen« antwortete David. »Ich habe verschlafen und Kris hat auf mich gewartet. Damit ich nicht alleine laufen muss… es wird nie wieder vorkommen, ehrlich! «

Ihre Lehrerin zog eine ihrer eleganten Augenbrauen in die Höhe.

»Stimmt das denn, Kris? «

Der Angesprochene nickte schnell.

»Okay. Wenn das so ist und es wirklich nicht wieder vorkommt, sehe ich von einer Nachsitzstunde ab…« sagte Fr. Särchen.

»Nie wieder! « wiederholte David sein Versprechen noch einmal. »Vielen Dank, Frau Särchen!!!«

Diese nickte.

»Und nun geht zur Pause. «

»Ja.«

Wie verlangt standen Beide auf und schlenderten aus dem Raum.

Als Kris auf den Flur trat, jagte sein Herz immer noch wie ein Presslufthammer gegen seine Rippen und seine Knie zitterten verdächtig.

Pure Erleichterung ermächtigte sich seiner.

Nachsitzen war das Schlimmste was er sich vorstellen konnte…

Schlimmer als die Pausen…

Dort würde er zwischen Sascha und seinen Freunden (die fast täglich wegen irgendetwas nachsaßen) nicht lange überleben.

Bis jetzt hatte er nur einmal dieses grauenhafte Schicksal geteilt…- bei diesem einen Mal durfte es wegen ihm gerne bleiben…!
 

»Gehen wir wieder zu Luca hinter? «

Erstaunt von dieser Frage sah Kris zu seinem Freund auf. Irgendwie hatte er den Gothic zwischen all dem Anderen Zeug völlig vergessen. Jetzt da David ihn so fragte…

»W – warum das?«

»Weiß nicht, war nur so ein Gedanke?!«

»Du… du magst ihn, kann das sein? «

»Seine Einstellung ist definitiv bemerkenswert… da könnte sich manch Einer noch eine Scheibe von abschneiden…«

Er verzog vielsagend sein Gesicht.

»Also ja… aber der Gedanke stand irgendwie nicht so im Vordergrund. Ich dachte eher, dass wir da hinten erst mal unserer Ruhe haben, weißt du. «

»Ja.«

Es war komisch David diese Zuneigung so offen bekunden zu hören. Eigentlich war er nicht der Typ, der nach einer Woche einschätzen konnte ob er einen Menschen mochte oder nicht.

Irgendwie fühlte sich das komisch an… auch wenn er nicht sagen konnte wieso.

Aber was dachte er denn da?

Er war ja selber nicht besser!

Schließlich war er es doch, der in den vergangen Tagen den Gothic nicht mehr aus seinen Gedanken hatte vertreiben können.

Es machte ihm selber Angst.

Doch ändern konnte er es auch nicht…

Dieser Luca war ihm absolut suspekt. Nicht nur weil er ihn – im Gegensatz zu allen anderen in seiner Klasse – nicht einschätzen konnte, sondern vor allem wegen dieser merkwürdigen Anziehung, die er schon am ersten Tag gespürt hatte.

Irgendetwas war da…

Er wusste bloß noch nicht was es war.

Aber wollte er das wissen…??

Wirklich?
 

Ohne es bemerkt zu haben, war er David zu dem Pausenort des Gothics gefolgt.

Als er aufblickte, sah er ihn auf der Bank sitzen.

Er wirkte wie eine Statue.

Sein Gesicht war weiß wie Porzellan. Die schwarzumrandeten Augen stachen besonders hervor, so wie die ebenso gefärbten Lippen. Rote Ponyfransen umrandeten sein schmales, ebenmäßiges Gesicht. Er trug wie immer seinen knöchellangen Ledermantel und seine Stiefel.

So saß er dort und starrte in die Weite des Schulhofes.

Kein Muskel schien sich zu bewegen.

Es sah so aus, als wäre er einer Fetischzeitung entsprungen.

Erst Augenblicke später wurde Kris klar, dass er Luca offensichtlich angestarrt hatte.

Sofort senkte er seinen Blick wieder.

Hoffentlich hatte David nichts bemerkt!
 

»Dürfen wir uns zu dir setzen? « sprach sein Freund Luca schließlich an.

Der Angesprochene wandte sich ihnen zu und ein Lächeln huschte über seine Lippen.

»Klar. Ich freu mich über Gesellschaft. «

Nun lächelte auch der Blonde und setzte sich links neben ihn auf die Bank.

»Danke. Wir dachten hier hätten wir ein bisschen mehr Ruhe als auf den Hof…«

»Versteh ich…« antwortete Luca und schaute dann den Dunkelhaarigen an, der immer noch unschlüssig vor ihnen Stand. »Willst du dich nicht zu uns setzten, Kris? «

Dieser zuckte aufgrund der direkten Ansprache etwas zusammen.

Er war nicht wirklich gewöhnte seinen Namen aus Mündern andere Leute zu vernehmen. Ausnahme war wie immer David.

Aber sollte er antworten?

Auch wenn Lucas Stimme freundlich klang. Es war so unwahrscheinlich, dass er ihn mochte…

Warum sollte er das tun, wenn kein Anderer es anscheinend konnte?

Unschlüssig kaute er auf seiner Unterlippe herum.

David schien ihn auch nicht zur Hilfe eilen zu wollen. Jedenfalls saß er stumm da und beobachtete seine Reaktion. Was sollte er denn jetzt tun??

»Ich beiße nicht Kleiner…« störte die angenehme Tenorstimme des Gothics seine rasenden Gedanken. »Wenn du möchtest mache ich auch Platz, dann kannst du neben David sitzen…« bot er ihm zuvorkommend an.

Warum war er nur so nett zu ihm?

Kris verstand es nicht…

Zögerlich nickte er.

»Okay…« sagte er freundlich.

Er rutschte an den äußersten Rand der Bank und schaute David dann auffordernd an. »Komm schon, rutsch, Blondie…«

David streckte ihm die Zunge raus, folgte aber der Anweisung, sodass Kris sich neben ihn setzen konnte… Der Dunkelhaarige setzte sich nun zu den andern Beiden und hörte stumm ihren Gesprächen zu. Irgendwie ging die Pause schneller vorbei als er es je erlebt hatte.

Die Anwesenheit des Rothaarigen ließ ihn ruhiger werden.

Er konnte es sich einfach nicht erklären…

Dieser Mensch war anders als alle anderen die er bis jetzt je kennengelernt hatte.

Auch jetzt beschwerte er sich kein einziges Mal, dass er sich nicht am Gespräch beteiligte. Er nahm es einfach so hin…- Jeder andere hätte sich bestimmt schon aufgeregt oder ihn gefragt warum er nicht einmal den Mund aufbekam. Aber nichts der Gleichen geschah.
 

Als der Aufsichtshabende Lehrer zum Pausenende rief, zuckte er unwillkürlich zusammen.

Er war zu sehr in seine Gedanken versunken gewesen.

Was hätte er darum gegeben noch länger hier sitzen bleiben zu können, nur um diese gierigen, hasserfüllten Blicken zu entkommen.

Doch das ging natürlich nicht.

Zu dritt betraten sie die Schule wieder und gingen zusammen in ihren Klassenraum zurück.

Es dauerte nicht lange, da war die Klasse wieder komplett und auch der Englischlehrer betrat nur Augenblicke darauf den Klassenraum.

»Good morning, class…« begrüßte er seine Schüler und eilte zum Lehrertisch. »Today we talk about the topic describing a room. «

Allgemeines Aufstöhnen und viele fragende Blicke folgten der kleinen Ansprache.

Kris sah David kurz an, der grinste.

Wenigstens würde jetzt keine Zeit für dumme Kommentare bleiben. Während der Lehrer die Aufgaben an die Tafel schrieb und Arbeitsblätter verteilte, blickte Kris aus dem Fenster und hing seinen Gedanken nach. Noch war soweit alles in Ordnung, die Pause war erträglich gewesen, aber die Stunden schlichen dahin und seine Bauchschmerzen wurden immer deutlicher.

Nur noch zwei Stunden dann…-

Als ein Arbeitsblatt vor seine Nase gelegt wurde, sah er auf.

»Can you tell me the preposition of place, Kris?«

Stumm sah er zurück.

Sollte er denn antworten?

Kannte er denn überhaupt die Antwort?-…

Er wusste es nicht. Ein unbenanntes Grauen erfasste ihn und schnürte seine Kehle zu.

Schweigen legte sich über die Klasse.

Bis leises Gekicher den Klassenraum füllte. Er hörte das leise, gehässige Gemurmel der Anderen.

Unwohl blickte der Dunkelhaarige auf seine Finger, die er nervös knetete.

»Kris?« forderte der Lehrer seine Antwort.

Wollten sie ihn heute eigentlich alle an den Rand eines Herzkollapses treiben?

Sie waren jedenfalls kurz davor.

Jedenfalls schlug besagtes Organ schon wieder wie ein Presslufthammer gegen seine Rippen.

»In, on, under, next to, opposite, along, in front of, behind, above, between, in the middle of…« hörte Kris die ihm schon so vertraute Tenorstimme über das Rauschen in seinen Ohren hinweg.

Er spürte regelrecht wie sich die gesamte Aufmerksamkeit auf den Gothic lenkte. Es fühlte sich an als würde man ihm einen Zementsack von den Schultern nehmen.

Auch der Lehrer sah nun zu Luca hinter und sagte irgendetwas auf Englisch, was Kris jedoch nicht verstand. Er war zu sehr damit beschäftigt sich wieder zu beruhigen.

Er spürte die sachte Berührung an seinem Arm.

David…-

Das was er jedoch mitbekam war, dass der Gothic ihn sofort fließend englisch antwortete.

Er konnte nicht anders als ihn still zu bewundern.

Unauffällig sah er zu David rüber. Auch der Blonde sah beeindruckt aus.

Luca unterhielt sich noch etwas mit dem Lehrer und weder er, noch scheinbar einer von den Anderen schien auch nur die Hälfte des Gespräches zu verstehen.

»So, lets go!« sagte Herr Mertin nach einer Weile und ging wieder vor zur Tafel.

Sofort beugten sich die Schüler über ihre Blätter und versuchten die Aufgaben zu lösen.

Das war die Aufgabe bis zum Ende der Stunde.

Das Schweigen, was sich über die grübelnde Klasse legte, half dem Dunkelhaarigen dabei sich wieder vollends zu beruhigen. Erst in den Letzen 10 Minuten, als alle der Reihe nach ihre Ergebnisse vorlesen mussten, wurde ihm wieder etwas flau.

Doch ehe er an der Reihe war, war Pause.

Kris dankte alles an was er glaubte.
 

Auch die kleine Pause verlief, dank des Raumwechsels, ruhig. Und die zwei kommenden Stunden waren vielversprechend und gingen tatsächlich sehr schnell rum.

Der Grund war wohl, dass es die einzigen Stunden waren, die ihre Klasse geteilt wurde und Kris sowie David von der Gang getrennt den Unterricht besuchten.

Ethik und Religion.

Etwas was vor allem Kris sehr beruhigte. So konnte er viel besser mitarbeiten und sich mehr konzentrieren als in jeden anderen Unterricht, wenn er die Anwesenheit dieser bestimmten Menschen spürte. Doch als es nach der ausschweifenden Diskussion über die Weltreligion en zur Pause gerufen wurde, waren die Bauchschmerzen wieder da.

Doppelt so schlimm wie noch im Englischunterricht.

Jetzt war es so weit!

Er konnte nichts mehr gegen das stete Zittern tun, dass seine Muskeln befiel, als er mit David zusammen zum Lehrerzimmer ging und sie ihre Rucksäcke abgaben.

Dann machten sie sich mit ihren Sporttaschen auf dem Weg zur Halle, die weiter im Stadtzentrum lag.

Auf dem Weg dahin, kauften sie sich am Kiosk immer noch etwas Kleines zu essen auf die Hand, ehe sie zur Halle gingen und sich als anwesend eintragen ließen.

Natürlich entging David nicht, dass er, je näher sie der Sporthalle kamen, immer unruhiger und fahriger wurde. Doch abstellen konnte er es nicht.

Der Sportunterricht war das absolute Grauen für ihn.

Nicht das er nicht sportlich war… eigentlich hielt er sich immer ganz gut auf seiner 2 oder 3. Das furchtbare daran waren die vielen Spiele, die Sascha und seine Freunde dazu nutzten um unbemerkt vom Lehrer ihn und David unbegründet Piesacken zu können. Und natürlich die Umkleide…, nicht umsonst ließen er und sein Freund ihre Schultaschen immer in der Schule.

Aber selbst das reichte nicht.

Es war so als würden sich die Jungen mit Vergnügen immer neue Grausamkeiten für sie einfallen lassen. Und das schlimme war, sie machten es ohne Vorwarnung…

Es kam einfach.

Auch wenn Kris sich nie bewusst geworden war, was er dieser Gang getan haben könnte, es ging immer weiter. Ganz so als würde seine bloße Existenz sie reizen.

Und das war kein schöner Gedanke.
 

Der Dunkelhaarige und sein Freund nutzten die Zeit zum umziehen, während die Anderen der Klasse noch draußen standen.

Dann gingen sie in die Halle und warteten.

Als sie sich auf die Bank setzten und in die noch leere Turnhalle blickten, konnte er das Zittern nicht mehr verbergen. Warum musste ihn sein Körper auch immer so verraten?

»Kris, beruhig dich…« sagte David leise. »Es wird schon nicht so schlimm werden. Heute bringe ich dich auf jeden Fall nach Hause, okay? «

Der Angesprochene wusste genau, dass der Blonde es nur schwer ertrug ihn so leiden zu sehen. Trotzdem befiel ihn sofort wieder das schlechte Gewissen.

Immer musste David seine Zeit für ihn opfern!

»D…- das musst du aber nicht. «

»Das tu ich aber! « gab David kurz angebunden zurück. »Ich werde nach dem Vorfall letztens sich nicht seelenruhig nachhause gehen und dich alleine lassen. «

»Aber… «

»Nichts aber! «

Kris schwieg.

Natürlich fühlte er sich besser, wenn David bei ihm war, aber trotzdem hatte er dabei oft das Gefühl, dass er all das was der Andere für ihn tat, nie zurückgeben konnte.

»Es ist in Ordnung. « meinte David sanft und berührte seinen Arm, damit er ihm in die Augen sah. »Du weißt doch, dass ich das gerne mache!«

Sicher wusste er das.

» Mhm… «

» Auch die beiden Stunden werden ganz schnell vorbei gehen, hm? «

Genau das befürchtete er ja auch!

Kris sagte aber nichts dazu und nickte nur.

So saßen sie noch eine Weile in einträchtigem Schweigen da, bis die Sportstunde anfing.
 

Kris wagte zu hoffen, als die der Lehrer verkündete, dass sie heute Sport nach Zeit in Gruppen ausführen würden. Das hieß, dass vier Gruppen nach Zeit den Parkour durchliefen und versuchten die Anderen in der Zeit zu übertrumpfen. Dadurch gab es auch hier keinerlei Möglichkeiten für die Gang ihn zu schikanieren.

Eigentlich war es ganz erträglich so.

Auch wenn er etwas unter Druck stand, wenn ihn die Anderen zuschrien er solle schneller machen, sobald er an der Reihe war.

Trotzdem, alles war besser als Spiele. Doch leider gingen die beiden Sportstunden auch zu Ende… und vor dem Umziehen und der damit verbunden Zeit in der Umkleidekabine konnte ihn keiner bewahren.

Auch wenn die Zeit unnachgiebig weitertickte, lenkte doch etwas Kris Aufmerksamkeit ab und an ab.

Luca.

Wer auch sonst?

Es war das erste Mal, seit er an ihrer Schule war, dass er Sport mitmachte.

Auch seine Sportkleidung war ausschließlich schwarz. Aber in dem enganliegenden T – Shirt und der Jogginghose, konnte man deutlich seine Figur erkennen, die sonst von dem Ledermantel verschlungen wurde. Erst jetzt fiel ihm deutlich auf, wie sportlich Luca eigentlich war.

An seinem Oberarmen und den Brust – und Bauchbereich zeichneten sich deutlich Muskeln ab.

Immer wieder zog der Gothic seine Blicke magisch an.

Unheimlich…-

Doch er konnte nichts dagegen tun.

Wieso war er so anders als die Anderen?
 

Die Zeit ging trotzdem rum.

So wie es immer war. Vor allem wenn man hoffte, dass die Stunden langsam vergehen, taten sie es schneller. Und genauso war es auch heute.

Ehe er sich versah, befand er sich zwischen den ganzen anderen Jungs seiner Klasse, die sich plaudernd umzogen.

Von Luca war irgendwie keine Spur mehr zu sehen.

Doch es blieb ihm keine Zeit mehr sich zu fragen wo der Rothaarige war. Alles in ihm drängte ihn diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen.

Er und David zogen sich in den hinteren Duschraum zurück, der hinter dem Raum mit den Bänken lag, um sich in Ruhe umzuziehen.

Hier kamen die Wenigstens her. Außer wenn jemand auf Toilette (die sich ebenfalls in diesem Raum befand) musste.

Gerade als Kris sich seine Hose über die Hüfte ziehen wollte, krachte die Tür gegen die Fließen neben den Waschbecken und Sascha mit seiner Gang stand im Rahmen.

»Ah seht doch mal. Haben wir sie also doch noch gefunden…« höhnte er. »Haben sich heute ganz schön rar gemacht was? «

Allgemeines Gelächter folgte.

»Na erzählt doch mal. Was wolltet ihr denn hier hinten machen? Zusammen unter die Dusche hüpfen? «

Kris erstarrte vor Schreck als sie sich unbeirrt auf ihn und David zubewegten. Der Blonde jedoch schien eher genervt als schockiert zu sein.

»Was wollt ihr hier? « seufzte er. »Der Tag war so angenehm ohne ständig eure Visagen sehen zu müssen. Warum müsst ihr uns immer hinterher kriechen? «

»Pass auf was du sagst, Tussi. Außerdem sind nicht wir es, die euch hinterherlaufen… «

»Nein… natürlich nicht. « grummelte David leise. Doch er wurde zu schnell abgelenkt.

Sascha hatte sich den Beiden unaufhörlich genähert und streckte plötzlich eine Hand nach Kris aus. Dieser zuckte wie unter einem Schlag zurück. Aber David war schneller und schlug die fremde Hand beiseite.

»Nimm deine Pfoten weg! «

»Du wagst es? «

Schnell hatte ihm Sascha einen harten Stoß gegeben, der den Blonden gegen die nächste Wand beförderte. David stieß sich sofort wieder ab, war aber auch dieses Mal nicht schnell genug. Zwei der Übrigen, die das Ganze bis jetzt stumm verfolgt hatte, packten ihn an den Schultern und hielten ihn fest.

»Hey, was soll das? Lasst mich sofort los! «

Sascha lachte gehässig auf. »Sehr gut. Kevin, Nick haltet die kleine Furie da in Schach, dann kümmere ich mich um den Anderen Freak. «

Damit steuerte er nun wieder ungehindert auf den Dunkelhaarigen zu, der vor Panik gelähmt war.

Nur mit Hose bekleidet, stand er seinem Peiniger gegenüber und wusste nicht was er tun sollte.

Sein Herz schien einen neuen Rekord bestreiten zu wollen und hämmerte lautstark gegen seinen Rippenbogen, sodass es fast schmerzte.

Blinde Angst hatte von ihm Besitz ergriffen und schnürte ihm die Kehle zu.

»Bleib doch stehen « spottete Sascha, als Kris unbeherrscht drei Schritte zurück wich. Er ertrug die Nähe zu diesem Menschen einfach nicht. Er sollte endlich verschwinden. Warum musste er ihn immer quälen? Er hatte ihm doch nie etwas getan!

»Komm Häschen, zieh dich aus und zeig mir mal was du so zu bieten hast! «

Er wich immer weiter zurück, doch es gab kein entkommen. Nur noch wenige Meter, dann kam die Wand und er war in die Enge getrieben.

Aussichtslos…, schrie ihm seine innere Stimme zu.

Inzwischen konnte er seinen schnellen Atem nicht mehr unter Kontrolle halten.

»Verdammt, lasst ihn in Ruhe, seht ihr nicht das er Angst hat?! « hörte er die Stimme von David in weiter Ferne rufen.

Kurz darauf gab es ein klatschendes Geräusch. »Schnauze…«

Er hörte das schmerzerfüllte Stöhnen seines besten Freundes.

Nein… nein, dass durfte nicht wahr sein!

Warum immer sie?

Was hatte er nur getan, dass er immer so bestraft wurde…?

Seine rasenden Gedanken rissen ihn in einen Strudel der Verzweiflung, sodass er die Bewegungen der Anderen nur Sekunden zu spät mitbekam.

Kris riss die Arme hoch, doch es war zu spät.

Wieder einmal hatten sie ihn in ihren Fängen.

Die Hände auf seiner bloßen Haut, riefen wieder diese rasende Panik in ihm hervor. Nun strömten die Tränen, die er die ganze Zeit versucht hatte zurück zu halten, ungehindert über seine Wangen und schwemmten seinen Mascara mit sich. Die Angst benebelte seinen klaren Verstand…- er versuchte sich zu wehren, aber er war zu schwach.

Wie immer.

Alles war wie immer.

Nur noch entfernt bekam er das Geschehen um sich herum mit. Die Beleidigungen die permanent auf ihn niederprasselten, während die Jungs sich an ihr unmenschliches Werk machten.

Nun waren auch die zwei Anderen, die bis jetzt noch an der Tür Wache gestanden hatten, da.

»Ja, genau haltet ihn fest! «

»Hör auf dich zu wehren, du Miststück. Es bringt dir eh nichts. «

»Zieht ihm die Hose aus! «

»Na, was sagst du jetzt, du Schwuchtel? «

Als der Dunkelhaarige spürte, wie ihm der letzte Stoff auf seinem Körper entwendet wurde, wurde seine Gegenwehr stärker. Seine nackte Haut berührte die Fliesen und jagte eine unangenehme Gänsehaut über seinen Körper.

Tränenblind versuchte er gegen die vielen Hände anzukämpfen, die seinen Körper zu Boden drückten. Dann spürte er jäh den Tritt in seine Rippen und schrie erstickt, als sich der Schmerz explosionsartig in seinen Seiten ausbreitete und ihm die Luft zum Atmen nahm.

Er hörte den Schrei von David, wie eine Antwort auf seinen Eigenen.

Nur Augenblicke später war da das Rauschen des Wassers, was über ihm durch den Duschkopf herab auf die Fliesen plätscherte.

Das wirst du heute nicht überleben…, meldete sich seine selbstironische Stimme wieder. Heute schaffen sie es bestimmt…!

Er hörte die Schreie des Blonden.

Und merkwürdiger Weise war der letzte an den er dachte, Luca.

Die Zukunft lag bereits in den Momenten vor mir brach

Er hörte das Wasser und das Stimmengewirr um sich herum.

Doch er konnte die Stimmen nicht mehr unterscheiden. Das einzige was ihn bei Bewusstsein hielt war der stechende Schmerz in seiner Seite, der die dunklen Punkte in seinem Blickfeld immer wieder vertrieb. Wie gerne wäre er einfach ohnmächtig geworden…-

Dann spürte er das kalte Wasser auf seiner Haut und schrie auf, die Hände der Anderen drückten ihn zurück auf die Fliesen, als er sich aufbäumte.

Es gab kein entkommen.

Er stemmte sich gegen die vereinte Macht, doch er konnte nichts ausrichten.

Nichts…

Gurgelnd und hustend, versuchte er Luft zu bekommen, als ihm die Brause direkt ins Gesicht gehalten wurde. Kaltes Wasser schwemmte in seine Augen und raubte ihm die Sicht.

Er hörte das Lachen seiner Peiniger gedämpft. Auch in seinen Ohren war Wasser.

»Waschen wir den schmutzigen Freak mal richtig sauber! Vielleicht wird er ja normal. «, vernahm er die knurrende Stimme dicht neben sich.

Wie Rasierklingen schien die Kälte in seine Haut zu schneiden… es schmerzte…

Hustend wand er sich unter der erbarmungslosen Händen.

Es sollte aufhören.

Dann spürte er wie seine Beine auseinandergezerrt wurden und in seinem Kopf setzte etwas aus.

Die Erinnerungen griffen mit drohenden Händen nach ihm und er hob die Stimme an und schrie.

Kris schrie so laut, dass es selbst in seinen eigenen Ohren klingelte und wehrte sich nun mit Leibeskräften. In ihm hatte die Panik die Resignation wieder verdrängt und brach nun mit voller Intensität hervor. Selbst das Wasser, was daraufhin in sein Gesicht schwabbte konnte diese Angst nicht mehr mindern.

Ächzend versuchte er sich weiter frei zu kämpfen.

Wieder traf ihn ein harter Tritt in die Seite, kurz über dem schon bestehenden Schmerz.

Erneut schrie Kris auf, konnte sich aber wegen der Hände, die ihn immer noch festhielten nicht zusammenkrümmen.

Sein Körper hatte sich verselbstständig.

Er sah zu, wie sein Fuß nach Dominik trat, der versuchte ihn wieder einzufangen.

»Haltet ihn fest, verdammt! «

»Stopft ihm das Maul, sonst hört ihn noch jemand…! «

Der Dunkelhaarige spürte wie sein Bein eingefangen wurde und fühlte die Ohrfeige des Anführers die er für die Gegenwehr bekam.

Vorbei…, gackerte seine innere Stimme. Du hast die Chance verpasst die du hattest, wie immer.

Wieder wurden seine Beine gespreizt.

Es tat fast weh, soweit rissen sie die beiden Jungen auseinander.

Kris wehrte sich nicht mehr, das kleinste bisschen Kämpferinstinkt, war mit der Ohrfeige niedergedrückt worden.

Seine Gedanken schwiegen wieder…

Schamesröte kroch in seine Wangen, als er sah wie alle zwischen seine Beine starrten.

Gedemütigt schloss er die Augen und versuchte alles auszublenden. Er wollte nichts mehr sehen und hören… er wollte nur noch sterben, am besten gleich hier.

Warum er?

Er spürte wie Sascha sich an seiner Seite bewegte. Wahrscheinlich um besser sehen zu können. Dann hörte er wie die Brause wieder angestellt wurde und wie der Anführer seinen linken Arm, den er bis jetzt erbarmungslos zu Boden gedrückt hatte, einem seiner Freunde übergab.

Das hieß er konnte sich jetzt wieder frei bewegen und…

Nein!

Er konnte ihn sehen… alles!

Kris versuchte nicht in Schamesröte zu ertrinken.

Was machte er jetzt?

Was hatten sie vor?

Er wollte seine Augen nicht öffnen. Er wollte nicht sehen, was als nächstes geschah.

Aber er musste es tun.

Die innere Anspannung würde ihn umbringen, wenn er es nicht tat.

Also öffnete er blinzelnd seine Augen…

Nass klebten seine Wimpern aneinander.

Seine Schminke war inzwischen bestimmt vollends verlaufen und er sah jetzt sicher aus wie eine Dramaqueen aus einer Soap Show. Diese Gedanken verdrängte er und versuchte seinen strapazierten Geist auf das Umfeld zu fixieren.

Wo war er?

Kris blieb das Herz für wenige Sekunden stehen, als er sah, dass Sascha sich zwischen seine gespreizten Beine gehockt hatte und dabei war, den Brausekopf von dem Wasserschlauch zu drehen. Ein fieses Grinsen zierte seine Lippen.

Nein!

Oh Gott nein, bitte nicht!

Er würde nicht…

Der Dunkelhaarige spannte unbedacht seinen ganzen Körper an, seine Beine begannen heftig zu zittern, als der Schlauch immer näher geführt wurde.

Er wimmerte.

Jetzt hielt er den Schlauch gerade an seinen Oberschenkel und ließ ihn langsam hinabgleiten. Das Wasser war eiskalt und schaffte eine Gänsehaut auf seinem Körper. Wieder schienen Rasierklingen seine Haut zu attackieren, die eigentlich schon ganz taub war vor Kälte…

Er spannte sich ungeachtet der Schmerzen in seiner Seite immer weiter an.

Und dann wurde plötzlich eine Hand auf seinen Mund gelegt und verwehrte ihm das Atmen ganz. Schwarze Punkte platzten vor seinen Augen und wurden immer größer.

Er fühlte wie seine Beine überdehnt wurden… die Hand an seinem Gesäß… kaltes Wasser streifte seinen Anus.

Kris schrie gedämpft gegen die Hand.

Wieder blitzten die Erinnerungen vor seinen Augen auf…

Nein!

Und dann geschah alles auf einmal.
 

Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall.

Dann war der Schlauch weg.

Nun ja, weg nicht…- er war schon noch da, doch er war führerlos. Durch den Wasserdruck getrieben zuckte er umher wie eine Schlange. Kurz darauf waren auch alle Hände an seinem Körper verschwunden, endlich konnte er sich wieder zusammenrollen, was er auch sofort tat.

Das Wasser wurde ausgestellt und erst jetzt bemerkte Kris wie sehr sein Körper vor Kälte schmerzte. Taumelnd ging er aus dem gefliesten Bereich, der zum Duschen vorgesehen war, und zog sich in eine Ecke zurück. Beinah wäre er auf dem nassen Boden ausgeglitten.

Er drückte sich dicht an die Wand und betete, dass jetzt alles vorbei war…

Mehr würde er nicht ertragen…

Er hörte aus weiter Ferne Geschrei und Gezeter… doch das berührte ihn nicht mehr. Er verstand den Sinn der Worte nicht, er wollte es auch gar nicht

Unbewusst entzog er sich der Situation und driftete wieder weit weg in die Tiefen seines Geistes.
 

Das nächste Mal als seine Wahrnehmung wieder etwas schärfer wurde, saß er noch immer in der Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte. Es schien noch nicht viel Zeit vergangen zu sein…-

Seine Muskeln durchlief ein stetes Zittern. Ihm war so kalt…

Und dann war er da.

Luca…

Was?

Vorsichtig kam der Gothic auf ihn zu.

»Hey Kris, shhhh… ganz ruhig.« sprach Luca ihn sanft an. Seine Stimme klang so wohltuend in seinen Ohren, trotzdem zuckte sein Körper sofort zusammen und er drängte sich näher in die Ecke. Dann meldete sich seine Rippe wieder.

Er stöhnte vor Schmerzen und war schon wieder den Tränen nahe.

Der Dunkelhaarige schnappte verzweifelt nach Luft. Es tat so weh…

Alles schmerzte…

Wieder drohte er wegzutreten. Sein Blick trübte sich bereits wieder und sein Puls rauschte in seinen Ohren.

Dann nahm er eine Bewegung neben sich war und sofort reagierte sein Körper darauf.

Panisch schlug der Dunkelhaarige die Hand des Gothics weg, der diese nach ihm ausgestreckt hatte um ihn zu berühren.

Alles in ihm schrie vor Angst.

Der Rothaarige sah ihn erschrocken an. Er zog die Hand zurück und hockte sich in einem gebührenden Abstand vor ihn hin.

»Kris? «

Er zuckte beim Klang seines Namens zusammen. Was wollte er denn?

Wollte er da weiter machen wo die Anderen aufgehört hatten…?

Nein… es… er hatte ihm doch so oft geholfen… oder?

Wollte er ihn wieder nur beschützen?

Aber…

Seine Gedanken drehten sich… doch die Kälte schien sie einzufrieren… überhaupt schien er nicht mehr weit vom Erfrieren entfernt zu sein. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Sein ganzer Körper schlotterte… seine Kiefermuskeln waren schon ganz verkrampft und seine Zähne klapperten leicht… es fühlte sich an, als würde sich alles in ihm zusammen ziehen.

»Lass mich dir helfen, Kleiner-…« sprach ihn der Andere wieder an. »Ich will dir nichts tun…okay? Ich verspreche es dir. Dir wird nichts mehr geschehen. «

Konnte er das glauben?

Wo waren eigentlich seine Peiniger hin?

Kris wand sich innerlich wie eine Schlange. Er fühlte sich innerlich zerrissen, gedemütigt und dumm… wieso konnte er nicht einfach sterben und sich diese Qualen ersparen.

Entfernt bekam er mit, dass er Größere sich langsam wieder auf ihn zubewegte.

Ihm wurde schlagartig wieder bewusst das er nackt war… völlig entblößt und ausgeliefert.

Warum wehrte er sich überhaupt? … er hatte keine Chance gegen Luca.

Er hatte gegen Niemanden eine Chance, schon immer machten alle mit ihm was sie wollten-…

Unbewusst begann er wieder heftiger zu zittern.

»Ganz ruhig, Kleiner. Ich möchte dir nur den Mantel umlegen okay? Danach bringen wir dich ins Krankenhaus…«

Wir?

Der Dunkelhaarige schnappte verzweifelt nach Luft.

Dann spürte er die erste federleichte Berührung. Auch wenn sie noch so sanft war, sie schmerzte. Seine überreizte Haut konnte gute Impulse nicht mehr von schlechten unterscheiden.

Sanfte Hände griffen nach ihm und zogen ihn von der sicheren Wand in seinem Rücken weg.

»Bitte… bitte nicht wehtun…« wimmerte er, sich gar nicht richtig bewusst, warum er eigentlich so bettelte. »Ich kann nicht mehr… bitte…«

»Shhh… ist gut… ganz ruhig, ich tu dir nicht weh…« wiederholte Luca wieder mit ruhiger Stimme. Danach spürte Kris wie ein weicher Stoff um ihn gewickelt wurde. Die Wärme die über ihn schwappte tat gut. Das schmerzende Kribbeln seiner Haut wurde durch das konstante Stechen seines Rippenbogens fast ausgeglichen.

Endlich… endlich war er nicht mehr nackt.

Es fühlte sich so gut an… und der Stoff roch so gut.

Nach Patchouli und noch irgendetwas anderem.

Sie roch nach ihm…

Einen Instinkt folgend, klammerte er sich an den dargebotenen Körper und suchte Wärme und Zuwendung. Zärtlich Finger strichen über seine Wange und endlich konnte er loslassen und ließ sich in den Armen des eigentlich Fremden fallen.

Nur ganz verschwommen nahm er war, wie er hochgehoben wurde.
 

Als er wieder zu sich kam, fand er sich in einem tristen, weißen Zimmer vor. Er kannte diese Umgebung nicht, eine Tatsache die sofort neue Panik verursachte.

Sein Herz schlug augenblicklich wieder auf höchstem Level…

Er war alleine in dem Zimmer!

Aber das durfte nicht sein… was wenn sie zurückkamen…?

Krampfhaft versuchte er sich trotz der immensen Angst daran zu erinnern was als letztes passiert war.

Natürlich… die Umkleide… das Attentat… die Dusche… und… und Luca.

Doch wie war er denn hier her gekommen?

Luca? Wo war der Gothic?

Hatte er ihn hier her gebracht?

Warum hatte er ihn allein gelassen?

Unruhig bewegte er sich, er wollte nicht hilflos hier liegen, wenn Jemand zur Tür herein kam. Doch als er sich aufsetzte, zog ein unbeschreiblicher Schmerz durch seine Seite.

Ihm blieb die Luft weg.

Keuchend versuchte er so flach wie möglich zu atmen, was ihm nur schwer gelang.

Sein vor Angst rasendes Herz machte es ihm nicht unbedingt leichter…

Gerade als er kurz vor dem hyperventilieren stand ging die Tür auf.

Sein Herz blieb stehen und sein Atem stockte ganz…

Aber als Luca hereintrat, erkannte er ihn sofort.

Ja… da war er. Noch immer war der Andere an seiner Seite…-

»Hey, Kleiner. Du bist ja wach, « lächelte er ihn an. Er kam langsam zum Bett.

Anscheinend wollte er ihn mit seiner Nähe nicht erschrecken.

In seiner Hand trug er zwei Becher.

»Ich habe dir Wasser zum trinken mitgebracht. Du wirst doch bestimmt Durst haben oder? « fragte er und hielt ihm den einen Plastikbehälter vor die Nase.

Komischerweise spürte Kris das Brennen seiner ausgetrockneten Kehle erst jetzt, da er das Wasser sah. Schüchtern nahm er ihm das Wasser ab und trank gierig.

Das kalte Nass tat unheimlich gut.

Es war lindernd und ließ ihn seine Angst und die Schmerzen für einige Momente vergessen.

»Trink etwas langsamer… sonst verschluckst du dich noch. Und Husten könnte Schmerzen bedeuten…« wies ihn der Andere sanft zurecht.

Wo er Recht hatte.

»Darf ich mich zu dir setzten? «

Der Dunkelhaarige zögerte einen Moment.

Eigentlich war es dumm… Luca hatte immer nur das Beste für ihn getan… wieso also hatte er immer noch diese Bedenken. Er glaubte irgendwie nicht mehr ganz, dass der Größere ihm schaden wollte. Aber die Zweifel waren nicht verschwunden.

Schließlich mochten ihn viele Menschen einfach nicht.

Er verstand nicht warum, dass bei ihm anderes sein sollte.

Trotzdem nickte er dann letztendlich. Er war schließlich auch der Einzige, den er hier kannte. Und das gab ihm irgendwie Sicherheit.

Der Gothic lächelte ihn liebenswürdig an und setzte sich auf die Kante der Liege, auf der er saß.

Dann herrschte schweigen.

Es war nicht unangenehm, sondern beruhigend.

Kris beobachtete den Anderen, während er ab und zu einen Schluck Wasser aus seinem Becher nahm.

Auch Luca saß schweigend da und trank aus seinem eigenen Becher.

Er hatte sich anscheinend Kaffee gekauft. Kris roch es bis zu sich hinüber.

Der Rothaarige saß bewegungslos da und schaute aus dem Fenster, das hinter der Liege, hinaus in eine Grünanlage zeigte.

Er bewunderte den Anderen für die Gabe so regungslos zu sein. Nicht ein Muskel schien sich zu bewegen, als er da so aus der Scheibe blickte. Nur ab und zu blinzelte er.

Er fand Luca sah irgendwie wütend aus… - beim genaueren Hinsehen, schienen seine Muskeln unter der schneeweißen Haut seiner Wangen zu zucken, so fest schien er die Zähne zusammen zubeißen.

Aber warum?

War er vielleicht doch sauer auf ihn?

Jetzt wo er hier war…

Unsicher versuchte sich Kris zu entsinnen wie er eigentlich hier her gekommen war, doch da waren nur noch Bruchstücke. Er hatte einige völlige Black Outs in seinen Erinnerungen.

Wo war eigentlich David?

War er nicht mit dabei gewesen, als er mit Luca in diesem Auto gesessen hatte, oder spielten ihm seine Erinnerungen da einen Streich?

Unruhig bewegte er sich, was nur zu erneuten Schmerz und zu der Aufmerksamkeit seines Retters führte. Wie oft würde er ihn wohl noch beschützen, bis er die Schnauze voll hatte?

»Hey, was ist denn? « fragte er und sah ihn besorgt an.

Sauer schien er nicht zu sein…

Noch nicht.

Unsicher wich er den musternden Blicken aus. Das war eine Frage auf die man nicht mit bloßen Gesten reagieren konnte. Aber wenn er jetzt was sagte, konnte er doch alles wieder kaputt machen.

Er fühlte in sich hinein.

Es ging ihm gut…

Mal davon abgesehen, dass seine Rippen schmerzten und ihm immer noch kalt war, aber es ging. Er hatte schon schlimmeres erlebt.

»Geht es? Oder hast du starke Schmerzen? « formulierte Luca die Frage noch einmal um, als er merkte, dass die Antwort ausblieb. Der Dunkelhaarige schüttelte, dankbar dafür das er sein Schweigend anscheinend akzeptierte, den Kopf. Aber warum tat er das alles?

»Also nicht. Da bin ich ja beruhigt… « seufzte Luca und wandte sich ihn nun vollkommen zu. Erst jetzt bemerkte Kris, dass er eine Wunde an der Schläfe hatte und die eine Gesichtshälfte wirkte leicht geschwollen. Hatte er sich etwa für ihn mit Sascha und den Anderen geprügelt?

»Als David so aufgelöst zu mir kam und wir dich da haben liegen sehen, habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. « sagte er und wieder malmte er mit seinen Zähnen.

Anscheinend war er wirklich wütend. Jedoch nicht auf ihn sondern auf seine Peiniger.

War das zu fassen?

David war also während seiner Qualen entkommen und hatte Verstärkung holen wollen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass der Blonde gegangen war.

Alles was aus seiner entrückten Erinnerung zu ihm vordrang waren die Hände, die überall an seinem Körper gewesen waren.

Heftig begann er zu zittern, als sich diese Erinnerungsfetzen seiner bemächtigten.

Er bekam keine Luft mehr…

Es tat so weh…

Ah!

Verzweifelt schnappte er nach Luft, was seine Rippen zum Explodieren brachte.

Er wimmerte und versuchte sich zu beruhigen, was nur dazu führte das er noch mehr zitterte.

Und dann waren da die Hände.

Nicht die widerwärtig, tatschenden Hände, sondern die sanften Hände, die sich auf seine Wange legten, genau wie sie es auch in der Umkleide getan hatten.

Luca!

Unruhig klammerte er sich an die Arme des Gothics, als er in seinen Grauen zu ertrinken drohte.

»Sht. Kris, beruhig dich, alles wird gut… sie sind weg. Hörst du? Sie werden dir nichts mehr tun… okay? Alles wird gut. «

Er ließ sich von den Worten einlullen und genoss die Hände, die seine Verspannungen wegstrichen. Wie konnte das sein?

Wieso war er so sanft zu ihm?

Womit hatte er das denn verdient?

Irgendwann hatte sich sein Körper wieder beruhigt und das Stechen hörte auf. Die Hände verweilten bis das letzte Zittern erlosch, dann waren auch die weg.

Schläfrig schloss Kris seine Augen. Langsam ließ er sich auf die Liege sinken und streckte sich aus. Der Tag hatte ihn so viel Energie gekostet. Er wollte nur noch schlafen…

Er spürte wie ein Stoff, wie eine Decke um ihn gelegt wurde… aber es schien sein Mantel zu sein, denn er hatte Ärmel. Erst jetzt bemerkte er, dass er wieder völlig angezogen war. Irgendjemand musste ihn wieder bekleidet haben.

Die Sachen fühlten sich fast tröstlich auf seiner gereizten Haut an.

Er war so müde.

Die angenehme Wärme um ihn, machte ihn noch träger.

»Ruh dich schön aus. Ich werde mal schauen wie weit die Schwester ist, damit sie mal nach dir sehen kann, okay? « hörte er die angenehme Tenorstimmer. Er fühlte wie die Matratze unter ihm sich hob, als das Gewicht des Anderen weg war.

Er wollte gehen…

Gehen!

Wie ein Blitz fuhr Angst erneut durch seine Eingeweide.

Wenn er ging hieß das, dass er dann hier wieder alleine war…! Was wenn die Gang hier her kam und das beendete was Luca unterbrochen hatte?

Er wollte nicht hier alleine sein!

Luca durfte nicht gehen.

Von diesen Gedanken getrieben, öffnete er abrupt die Augen und hielt den Anderen am Ärmel fest. Der Rothaarige blickte ihn erstaunt an.

»Was hast du denn? Ich will nur kurz nach der Schwester sehen. «

Kris schüttelte den Kopf und klammerte sich weiter verzweifelt in den Stoff des schwarzen Pullis… zog ihn mit aller Kraft die er noch hatte, was wirklich nicht mehr viel war, zu sich zurück. Wieder meldeten sich seine geschwollenen Rippen zu Worte, die diese Position nicht zu befürworten schienen.

»Kleiner, lass mich schon los…«

Wieder schüttelte er den Kopf und blickte nun doch auf, in diese dunklen Augen.

Die Schmerzen wurden schlimmer, lange konnte er den Anderen nicht mehr festhalten. Und dann würde er gehen…- er würde einfach durch diese Tür verschwinden und –

» Ich versteh ja das du ungerne alleine sein willst « unterbrach der Gothic seine Gedanken. Er hatte sich vorgebeugt und entlastete so seine Rippen. Sanft versuchte er die verankerten Finger aus seinen Pullover Ärmel zu lösen. Als er das geschafft hatte, streichelte er den Dunkelhaarigen beruhigend über den Kopf. » Ich muss aber die Schwester von hier holen. Sie muss sich deine Rippen anschauen. Das ist wichtig. Damit wir wissen ob sie gebrochen oder nur geprellt sind. «

Kris ließ es mit sich geschehen.

Aufhalten konnte er ihn ohnehin nicht. Auch wenn er es gewollt hätte…-

Ob er tatsächlich wiederkam musste erst noch bewiesen werden.

Ohne es aufhalten zu können, spürte er die Tränen auf seinen Wangen. Er wollte doch nur nicht mehr allein gelassen werden… er hatte Angst.

»Hey, nicht weinen. Kris… shhh. «

Das Schluchzen brachte den Schmerz wieder zurück und sein Atem stockte.

Ächzend versuchte er sich zu beruhigen und flacher zu atmen, was ihm nur schwer gelang.

Gequält rollte er sich zusammen.

Er bemerkte, dass die Matratze wieder unter dem Gewicht des Gothic einsank, als Dieser sich wieder neben ihn setzte. Mit sanfter Gewalt packte er ihn und setzte ihn auf… bog den Rücken durch.

» Beruhig dich. Atme ganz langsam… es wird gleich besser. «

Zitternd versuchte Kris die Worte umzusetzen. Und merkte wie das Stechen langsam nachließ, als er seinen Atemrhythmus, dem von Luca anpasste.

» So ist es gut. Langsam uns ruhig atmen. « bestätigte der Andere und rieb ihn über den Rücken. »Sehr schön.«

Langsam sank er zurück auf die Liege.

Es war alles so kräftezehrend…

Schläfrig genoss er die kraulende Hand in seinem Nacken und kroch schüchtern näher an den Anderen heran. Es tat so gut…

Er wollte, dass er nie wieder damit aufhörte.

Trotzdem rechnete er immer damit, dass er ihn zurückstieß. Irgendwann hatte er doch bestimmt genug davon so sanft zu ihm zu sein.

Aus halb geöffneten Augen bekam er mit, dass Luca seine freie Hand nach einem Knopf ausstreckte und darauf drückte. Doch seine zärtliche Tätigkeit in seinem Nacken unterbrach er dafür kein einziges Mal.

Langsam trieb Kris wieder in den Schlaf ab…-
 

»Kris…«

Wer rief denn da?

»Kris! Wach auf! «

Der Dunkelhaarige fand langsam wieder in die Wirklichkeit zurück und streckte seine Glieder sachte. Der Schmerz erinnerte ihn unweigerlich an seine verletzte Rippe.

Warum war es denn so dunkel?

Er hörte Geräusche um sich herum. Irgendjemand war hier…

Ach genau er musste die Augen aufmachen.

Blinzelnd hob er seine schweren Lider.

Wie lange hatte er denn geschlafen?

Als sein Blick sich klärte erkannte er den sterilen Raum wider. Anscheinend befanden sie sich also immer noch im Krankenhaus.

Er drehte den Kopf und sah Luca der immer noch neben ihm saß und sich gerade mit einer gestresst aussehende Krankenschwester unterhielt.

Dann schob sich Davids Gesicht in sein Sichtfeld.

»Kris, na endlich! « lächelte er schief und fiel dem Liegenden um den Hals so gut das möglich war. Der Dunkelhaarige zuckte zusammen, als seine Rippe lautstark gegen das Gewicht des Blonden protestierte… aber das hielt ihn nicht davon ab seinen Freund zu umarmen und sich an ihn zu drücken.

Er war so froh darüber das David jetzt wieder bei ihm war, und das es ihm offensichtlich gut ging, und das er nicht sauer war und am meisten, dass das alles jetzt vorbei war.

»Dave…« nuschelte er heiser an dessen Hals.

»Bin ich froh das es dir gut geht… ich hatte solche Angst das sie … das sie dich…« David brach ab und schwieg. Aber es war auch nicht nötig, dass er weitersprach. Kris wusste genau was die Gang mit ihm gemacht hätte… denn er war dabei gewesen. Hautnah.

Als der Andere sich erhob und ihn ansah, bemerkte er, dass auch David nicht verschont geblieben war. Seine Lippe war aufgeplatzt und schien ziemlich geblutet zu haben – das sagte jedenfalls sein mit Blut besudelter Kragen seines T – Shirts. Sein Auge war mit einem blauen Rand verziert und anscheinend war sein Bein mit einem Verband umwickelt worden.

»Es tut mir so leid…« meinte er kleinlaut und biss sich auf die Unterlippe.

Auch er hatte leiden müssen… und nur weil er sich mit ihm abgab…

Nur wegen ihm!

Diese Gedanken taten mehr weh als das Stechen in seiner Seite.

Als konnte er die Gedanken seines Freundes lesen, zwang David ihm mit seinen Fingern unter dem Kinn, ihn anzuschauen.

»Gib dir nicht die Schuld daran. Du hast nichts Falsches gemacht. «

Er sah zur Seite.

»Aber du…-«

»Kris. Hör auf… es geht mir gut, okay? «

Unsicher sah er ihn an und bekam eines dieser umwerfenden Lächeln seines besten Freundes geschenkt. Doch durch die verletzte Lippe viel Dieses wieder reichlich schief aus.

»Könnt ihr das später besprechen? « mischte sich Luca ein. »Das Röntgengerät ist endlich frei. Bringen wir das schnell hinter uns, wenn wir schon so lange warten mussten, hm? «

»Ja klar, du hast recht…« stimmte David sofort zu. »Wir reden später darüber, okay, Kris. Erst einmal musst du mit der Schwester mitgehen, damit sie dich röntgen kann. «

Kris sah sie Dame, die unruhig mit den Fuß wippte, zweifelnd an.

Eigentlich wollte er nur noch hier weg und schlafen…

»Kommen Sie. Es dauert nur ein paar Minuten. «

Kris gehorchte und erhob sich.

Ein letzten Blick auf die Beiden werfend, folgte er der Fremden auf den Flur,… er wünschte einer der Beiden dürfte mitkommen…

Bei ihm sein…-
 

Es ist nicht nötig zu erwähnen, dass die darauf folgenden Minuten für ihn die reinste Qual waren. Aus 10 Minuten war knapp eine halbe Stunde geworden…

Alles nur weil die Krankenschwestern in ihrer Eile einfach nicht verstehen konnten, warum sich Kris so gegen die Fixierung wehrte.

Alles in ihm sträubte sich davor, entblößt und fixiert dazuliegen, während zwei fremde Menschen vor einer Scheibe standen und ihn beobachteten.

Sie brauchten ganze drei Versuche.

Die gnadenlose Angst die er empfand, war der Grund warum er einfach nicht still liegen konnte, während das Gerät über ihn fuhr. Was dazu führte, das die ersten drei Röntgenbilder unbrauchbar waren.

Nach dem dritten Mal, kam David, wahrscheinlich durch das Meckern der aufgebrachten Schwestern alarmiert, herein.

Dann war es leichter.

Er überzeugte die Schwestern, dass er dabeibleiben musste…

Irgendwann stimmten sie zu und auch er bekam diese lächerliche Bleischürze.

Dieses Mal klappte es.

Warum genau es mit der Anwesenheit des Blonden leichter war seine Angst zu kontrollieren, konnte er nicht genau sagen. Aber es war eine Tatsache.

Nachdem diese Prozedur endlich überstanden war, hatte er alle Kraftreserven die er noch gehabt hatte, verbraucht. Angst war ermüdend und einfach grässlich…-
 

Beim Warten fielen ihm immer wieder die Augen zu.

Er war total erschöpft.

Irgendwann kam der Arzt in sein Behandlungszimmer, tastete seine Rippen noch einmal ab und verschrieb ihm Schmerztabletten, noch irgendwelche andere Pillen und Kühlungsgel.

Doch so wirklich bekam er das gar nicht mehr mit.

Er bekam nur mit, als David ihm aufhalf und leise sagte:

»Wir können jetzt gehen…«

Endlich.

Taumelnd erhob er sich und ging mit seinem Freund und Luca aus dem Krankenhaus.

Die frische Luft tat ihm gut… auch wenn er noch immer ziemlich flach atmen musste damit er keine Schmerzen hatte.

Nur entfernt bekam er die Gespräche seiner Begleiter mit… er wollte nur noch ins Bett.

»Soll ich euch noch fahren? «

»Wenn du das tun könntest…- «

»Sonst hätte ich nicht gefragt. «

»Okay… hilf mir mal mit ihm… ich glaube er schläft jeden Moment im Stehen ein. «

Er spürte wie er sacht zum Auto bugsiert wurde und als er auf dem Rücksitz Platz nahm, wusste er, dass es vorbei war.

Endlich war alles vorbei.

Der Blonde schob sich von der anderen Seite auf den Platz neben ihn und Luca nahm hinter dem Steuer Platz und wartete bis alle angeschnallt waren.

Dann fuhr er los.

Kris Kopf rutschte fast von alleine gegen Davids Schulter.

Das Motorengeräusch und die angenehmen, leisen Gespräche waren einfach einschläfernd.

» Wieso hast du überhaupt schon den Führerschein? «

»Ich habe meinen Führerschein mit 17 gemacht…«

»Wie alt bist du denn jetzt? «
 

Langsam schlief er wieder ein.

-... bevor ich zum ersten Male zu dir sprach

Er hörte das Wasser und das Stimmengewirr um sich herum.

Doch er konnte die Stimmen nicht mehr unterscheiden. Das einzige was ihn bei Bewusstsein hielt war der stechende Schmerz in seiner Seite, der die dunklen Punkte in seinem Blickfeld immer wieder vertrieb. Wie gerne wäre er einfach ohnmächtig geworden…-

Dann spürte er das kalte Wasser auf seiner Haut und schrie auf, die Hände der Anderen drückten ihn zurück auf die Fliesen, als er sich aufbäumte.

Es gab kein entkommen.

Er stemmte sich gegen die vereinte Macht, doch er konnte nichts ausrichten.

Nichts…

Gurgelnd und hustend, versuchte er Luft zu bekommen, als ihm die Brause direkt ins Gesicht gehalten wurde. Kaltes Wasser schwemmte in seine Augen und raubte ihm die Sicht.

Er hörte das Lachen seiner Peiniger gedämpft. Auch in seinen Ohren war Wasser.

»Waschen wir den schmutzigen Freak mal richtig sauber! Vielleicht wird er ja normal. «, vernahm er die knurrende Stimme dicht neben sich.

Wie Rasierklingen schien die Kälte in seine Haut zu schneiden… es schmerzte…

Hustend wand er sich unter der erbarmungslosen Händen.

Es sollte aufhören.

Dann spürte er wie seine Beine auseinandergezerrt wurden und in seinem Kopf setzte etwas aus.

Die Erinnerungen griffen mit drohenden Händen nach ihm und er hob die Stimme an und schrie.

Kris schrie so laut, dass es selbst in seinen eigenen Ohren klingelte und wehrte sich nun mit Leibeskräften. In ihm hatte die Panik die Resignation wieder verdrängt und brach nun mit voller Intensität hervor. Selbst das Wasser, was daraufhin in sein Gesicht schwabbte konnte diese Angst nicht mehr mindern.

Ächzend versuchte er sich weiter frei zu kämpfen.

Wieder traf ihn ein harter Tritt in die Seite, kurz über dem schon bestehenden Schmerz.

Erneut schrie Kris auf, konnte sich aber wegen der Hände, die ihn immer noch festhielten nicht zusammenkrümmen.

Sein Körper hatte sich verselbstständig.

Er sah zu, wie sein Fuß nach Dominik trat, der versuchte ihn wieder einzufangen.

»Haltet ihn fest, verdammt! «

»Stopft ihm das Maul, sonst hört ihn noch jemand…! «

Der Dunkelhaarige spürte wie sein Bein eingefangen wurde und fühlte die Ohrfeige des Anführers die er für die Gegenwehr bekam.

Vorbei…, gackerte seine innere Stimme. Du hast die Chance verpasst die du hattest, wie immer.

Wieder wurden seine Beine gespreizt.

Es tat fast weh, soweit rissen sie die beiden Jungen auseinander.

Kris wehrte sich nicht mehr, das kleinste bisschen Kämpferinstinkt, war mit der Ohrfeige niedergedrückt worden.

Seine Gedanken schwiegen wieder…

Schamesröte kroch in seine Wangen, als er sah wie alle zwischen seine Beine starrten.

Gedemütigt schloss er die Augen und versuchte alles auszublenden. Er wollte nichts mehr sehen und hören… er wollte nur noch sterben, am besten gleich hier.

Warum er?

Er spürte wie Sascha sich an seiner Seite bewegte. Wahrscheinlich um besser sehen zu können. Dann hörte er wie die Brause wieder angestellt wurde und wie der Anführer seinen linken Arm, den er bis jetzt erbarmungslos zu Boden gedrückt hatte, einem seiner Freunde übergab.

Das hieß er konnte sich jetzt wieder frei bewegen und…

Nein!

Er konnte ihn sehen… alles!

Kris versuchte nicht in Schamesröte zu ertrinken.

Was machte er jetzt?

Was hatten sie vor?

Er wollte seine Augen nicht öffnen. Er wollte nicht sehen, was als nächstes geschah.

Aber er musste es tun.

Die innere Anspannung würde ihn umbringen, wenn er es nicht tat.

Also öffnete er blinzelnd seine Augen…

Nass klebten seine Wimpern aneinander.

Seine Schminke war inzwischen bestimmt vollends verlaufen und er sah jetzt sicher aus wie eine Dramaqueen aus einer Soap Show. Diese Gedanken verdrängte er und versuchte seinen strapazierten Geist auf das Umfeld zu fixieren.

Wo war er?

Kris blieb das Herz für wenige Sekunden stehen, als er sah, dass Sascha sich zwischen seine gespreizten Beine gehockt hatte und dabei war, den Brausekopf von dem Wasserschlauch zu drehen. Ein fieses Grinsen zierte seine Lippen.

Nein!

Oh Gott nein, bitte nicht!

Er würde nicht…

Der Dunkelhaarige spannte unbedacht seinen ganzen Körper an, seine Beine begannen heftig zu zittern, als der Schlauch immer näher geführt wurde.

Er wimmerte.

Jetzt hielt er den Schlauch gerade an seinen Oberschenkel und ließ ihn langsam hinabgleiten. Das Wasser war eiskalt und schaffte eine Gänsehaut auf seinem Körper. Wieder schienen Rasierklingen seine Haut zu attackieren, die eigentlich schon ganz taub war vor Kälte…

Er spannte sich ungeachtet der Schmerzen in seiner Seite immer weiter an.

Und dann wurde plötzlich eine Hand auf seinen Mund gelegt und verwehrte ihm das Atmen ganz. Schwarze Punkte platzten vor seinen Augen und wurden immer größer.

Er fühlte wie seine Beine überdehnt wurden… die Hand an seinem Gesäß… kaltes Wasser streifte seinen Anus.

Kris schrie gedämpft gegen die Hand.

Wieder blitzten die Erinnerungen vor seinen Augen auf…

Nein!

Und dann geschah alles auf einmal.
 

Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall.

Dann war der Schlauch weg.

Nun ja, weg nicht…- er war schon noch da, doch er war führerlos. Durch den Wasserdruck getrieben zuckte er umher wie eine Schlange. Kurz darauf waren auch alle Hände an seinem Körper verschwunden, endlich konnte er sich wieder zusammenrollen, was er auch sofort tat.

Das Wasser wurde ausgestellt und erst jetzt bemerkte Kris wie sehr sein Körper vor Kälte schmerzte. Taumelnd ging er aus dem gefliesten Bereich, der zum Duschen vorgesehen war, und zog sich in eine Ecke zurück. Beinah wäre er auf dem nassen Boden ausgeglitten.

Er drückte sich dicht an die Wand und betete, dass jetzt alles vorbei war…

Mehr würde er nicht ertragen…

Er hörte aus weiter Ferne Geschrei und Gezeter… doch das berührte ihn nicht mehr. Er verstand den Sinn der Worte nicht, er wollte es auch gar nicht

Unbewusst entzog er sich der Situation und driftete wieder weit weg in die Tiefen seines Geistes.
 

Das nächste Mal als seine Wahrnehmung wieder etwas schärfer wurde, saß er noch immer in der Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte. Es schien noch nicht viel Zeit vergangen zu sein…-

Seine Muskeln durchlief ein stetes Zittern. Ihm war so kalt…

Und dann war er da.

Luca…

Was?

Vorsichtig kam der Gothic auf ihn zu.

»Hey Kris, shhhh… ganz ruhig.« sprach Luca ihn sanft an. Seine Stimme klang so wohltuend in seinen Ohren, trotzdem zuckte sein Körper sofort zusammen und er drängte sich näher in die Ecke. Dann meldete sich seine Rippe wieder.

Er stöhnte vor Schmerzen und war schon wieder den Tränen nahe.

Der Dunkelhaarige schnappte verzweifelt nach Luft. Es tat so weh…

Alles schmerzte…

Wieder drohte er wegzutreten. Sein Blick trübte sich bereits wieder und sein Puls rauschte in seinen Ohren.

Dann nahm er eine Bewegung neben sich war und sofort reagierte sein Körper darauf.

Panisch schlug der Dunkelhaarige die Hand des Gothics weg, der diese nach ihm ausgestreckt hatte um ihn zu berühren.

Alles in ihm schrie vor Angst.

Der Rothaarige sah ihn erschrocken an. Er zog die Hand zurück und hockte sich in einem gebührenden Abstand vor ihn hin.

»Kris? «

Er zuckte beim Klang seines Namens zusammen. Was wollte er denn?

Wollte er da weiter machen wo die Anderen aufgehört hatten…?

Nein… es… er hatte ihm doch so oft geholfen… oder?

Wollte er ihn wieder nur beschützen?

Aber…

Seine Gedanken drehten sich… doch die Kälte schien sie einzufrieren… überhaupt schien er nicht mehr weit vom Erfrieren entfernt zu sein. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Sein ganzer Körper schlotterte… seine Kiefermuskeln waren schon ganz verkrampft und seine Zähne klapperten leicht… es fühlte sich an, als würde sich alles in ihm zusammen ziehen.

»Lass mich dir helfen, Kleiner-…« sprach ihn der Andere wieder an. »Ich will dir nichts tun…okay? Ich verspreche es dir. Dir wird nichts mehr geschehen. «

Konnte er das glauben?

Wo waren eigentlich seine Peiniger hin?

Kris wand sich innerlich wie eine Schlange. Er fühlte sich innerlich zerrissen, gedemütigt und dumm… wieso konnte er nicht einfach sterben und sich diese Qualen ersparen.

Entfernt bekam er mit, dass er Größere sich langsam wieder auf ihn zubewegte.

Ihm wurde schlagartig wieder bewusst das er nackt war… völlig entblößt und ausgeliefert.

Warum wehrte er sich überhaupt? … er hatte keine Chance gegen Luca.

Er hatte gegen Niemanden eine Chance, schon immer machten alle mit ihm was sie wollten-…

Unbewusst begann er wieder heftiger zu zittern.

»Ganz ruhig, Kleiner. Ich möchte dir nur den Mantel umlegen okay? Danach bringen wir dich ins Krankenhaus…«

Wir?

Der Dunkelhaarige schnappte verzweifelt nach Luft.

Dann spürte er die erste federleichte Berührung. Auch wenn sie noch so sanft war, sie schmerzte. Seine überreizte Haut konnte gute Impulse nicht mehr von schlechten unterscheiden.

Sanfte Hände griffen nach ihm und zogen ihn von der sicheren Wand in seinem Rücken weg.

»Bitte… bitte nicht wehtun…« wimmerte er, sich gar nicht richtig bewusst, warum er eigentlich so bettelte. »Ich kann nicht mehr… bitte…«

»Shhh… ist gut… ganz ruhig, ich tu dir nicht weh…« wiederholte Luca wieder mit ruhiger Stimme. Danach spürte Kris wie ein weicher Stoff um ihn gewickelt wurde. Die Wärme die über ihn schwappte tat gut. Das schmerzende Kribbeln seiner Haut wurde durch das konstante Stechen seines Rippenbogens fast ausgeglichen.

Endlich… endlich war er nicht mehr nackt.

Es fühlte sich so gut an… und der Stoff roch so gut.

Nach Patchouli und noch irgendetwas anderem.

Sie roch nach ihm…

Einen Instinkt folgend, klammerte er sich an den dargebotenen Körper und suchte Wärme und Zuwendung. Zärtlich Finger strichen über seine Wange und endlich konnte er loslassen und ließ sich in den Armen des eigentlich Fremden fallen.

Nur ganz verschwommen nahm er war, wie er hochgehoben wurde.
 

Als er wieder zu sich kam, fand er sich in einem tristen, weißen Zimmer vor. Er kannte diese Umgebung nicht, eine Tatsache die sofort neue Panik verursachte.

Sein Herz schlug augenblicklich wieder auf höchstem Level…

Er war alleine in dem Zimmer!

Aber das durfte nicht sein… was wenn sie zurückkamen…?

Krampfhaft versuchte er sich trotz der immensen Angst daran zu erinnern was als letztes passiert war.

Natürlich… die Umkleide… das Attentat… die Dusche… und… und Luca.

Doch wie war er denn hier her gekommen?

Luca? Wo war der Gothic?

Hatte er ihn hier her gebracht?

Warum hatte er ihn allein gelassen?

Unruhig bewegte er sich, er wollte nicht hilflos hier liegen, wenn Jemand zur Tür herein kam. Doch als er sich aufsetzte, zog ein unbeschreiblicher Schmerz durch seine Seite.

Ihm blieb die Luft weg.

Keuchend versuchte er so flach wie möglich zu atmen, was ihm nur schwer gelang.

Sein vor Angst rasendes Herz machte es ihm nicht unbedingt leichter…

Gerade als er kurz vor dem hyperventilieren stand ging die Tür auf.

Sein Herz blieb stehen und sein Atem stockte ganz…

Aber als Luca hereintrat, erkannte er ihn sofort.

Ja… da war er. Noch immer war der Andere an seiner Seite…-

»Hey, Kleiner. Du bist ja wach, « lächelte er ihn an. Er kam langsam zum Bett.

Anscheinend wollte er ihn mit seiner Nähe nicht erschrecken.

In seiner Hand trug er zwei Becher.

»Ich habe dir Wasser zum trinken mitgebracht. Du wirst doch bestimmt Durst haben oder? « fragte er und hielt ihm den einen Plastikbehälter vor die Nase.

Komischerweise spürte Kris das Brennen seiner ausgetrockneten Kehle erst jetzt, da er das Wasser sah. Schüchtern nahm er ihm das Wasser ab und trank gierig.

Das kalte Nass tat unheimlich gut.

Es war lindernd und ließ ihn seine Angst und die Schmerzen für einige Momente vergessen.

»Trink etwas langsamer… sonst verschluckst du dich noch. Und Husten könnte Schmerzen bedeuten…« wies ihn der Andere sanft zurecht.

Wo er Recht hatte.

»Darf ich mich zu dir setzten? «

Der Dunkelhaarige zögerte einen Moment.

Eigentlich war es dumm… Luca hatte immer nur das Beste für ihn getan… wieso also hatte er immer noch diese Bedenken. Er glaubte irgendwie nicht mehr ganz, dass der Größere ihm schaden wollte. Aber die Zweifel waren nicht verschwunden.

Schließlich mochten ihn viele Menschen einfach nicht.

Er verstand nicht warum, dass bei ihm anderes sein sollte.

Trotzdem nickte er dann letztendlich. Er war schließlich auch der Einzige, den er hier kannte. Und das gab ihm irgendwie Sicherheit.

Der Gothic lächelte ihn liebenswürdig an und setzte sich auf die Kante der Liege, auf der er saß.

Dann herrschte schweigen.

Es war nicht unangenehm, sondern beruhigend.

Kris beobachtete den Anderen, während er ab und zu einen Schluck Wasser aus seinem Becher nahm.

Auch Luca saß schweigend da und trank aus seinem eigenen Becher.

Er hatte sich anscheinend Kaffee gekauft. Kris roch es bis zu sich hinüber.

Der Rothaarige saß bewegungslos da und schaute aus dem Fenster, das hinter der Liege, hinaus in eine Grünanlage zeigte.

Er bewunderte den Anderen für die Gabe so regungslos zu sein. Nicht ein Muskel schien sich zu bewegen, als er da so aus der Scheibe blickte. Nur ab und zu blinzelte er.

Er fand Luca sah irgendwie wütend aus… - beim genaueren Hinsehen, schienen seine Muskeln unter der schneeweißen Haut seiner Wangen zu zucken, so fest schien er die Zähne zusammen zubeißen.

Aber warum?

War er vielleicht doch sauer auf ihn?

Jetzt wo er hier war…

Unsicher versuchte sich Kris zu entsinnen wie er eigentlich hier her gekommen war, doch da waren nur noch Bruchstücke. Er hatte einige völlige Black Outs in seinen Erinnerungen.

Wo war eigentlich David?

War er nicht mit dabei gewesen, als er mit Luca in diesem Auto gesessen hatte, oder spielten ihm seine Erinnerungen da einen Streich?

Unruhig bewegte er sich, was nur zu erneuten Schmerz und zu der Aufmerksamkeit seines Retters führte. Wie oft würde er ihn wohl noch beschützen, bis er die Schnauze voll hatte?

»Hey, was ist denn? « fragte er und sah ihn besorgt an.

Sauer schien er nicht zu sein…

Noch nicht.

Unsicher wich er den musternden Blicken aus. Das war eine Frage auf die man nicht mit bloßen Gesten reagieren konnte. Aber wenn er jetzt was sagte, konnte er doch alles wieder kaputt machen.

Er fühlte in sich hinein.

Es ging ihm gut…

Mal davon abgesehen, dass seine Rippen schmerzten und ihm immer noch kalt war, aber es ging. Er hatte schon schlimmeres erlebt.

»Geht es? Oder hast du starke Schmerzen? « formulierte Luca die Frage noch einmal um, als er merkte, dass die Antwort ausblieb. Der Dunkelhaarige schüttelte, dankbar dafür das er sein Schweigend anscheinend akzeptierte, den Kopf. Aber warum tat er das alles?

»Also nicht. Da bin ich ja beruhigt… « seufzte Luca und wandte sich ihn nun vollkommen zu. Erst jetzt bemerkte Kris, dass er eine Wunde an der Schläfe hatte und die eine Gesichtshälfte wirkte leicht geschwollen. Hatte er sich etwa für ihn mit Sascha und den Anderen geprügelt?

»Als David so aufgelöst zu mir kam und wir dich da haben liegen sehen, habe ich mit dem Schlimmsten gerechnet. « sagte er und wieder malmte er mit seinen Zähnen.

Anscheinend war er wirklich wütend. Jedoch nicht auf ihn sondern auf seine Peiniger.

War das zu fassen?

David war also während seiner Qualen entkommen und hatte Verstärkung holen wollen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass der Blonde gegangen war.

Alles was aus seiner entrückten Erinnerung zu ihm vordrang waren die Hände, die überall an seinem Körper gewesen waren.

Heftig begann er zu zittern, als sich diese Erinnerungsfetzen seiner bemächtigten.

Er bekam keine Luft mehr…

Es tat so weh…

Ah!

Verzweifelt schnappte er nach Luft, was seine Rippen zum Explodieren brachte.

Er wimmerte und versuchte sich zu beruhigen, was nur dazu führte das er noch mehr zitterte.

Und dann waren da die Hände.

Nicht die widerwärtig, tatschenden Hände, sondern die sanften Hände, die sich auf seine Wange legten, genau wie sie es auch in der Umkleide getan hatten.

Luca!

Unruhig klammerte er sich an die Arme des Gothics, als er in seinen Grauen zu ertrinken drohte.

»Sht. Kris, beruhig dich, alles wird gut… sie sind weg. Hörst du? Sie werden dir nichts mehr tun… okay? Alles wird gut. «

Er ließ sich von den Worten einlullen und genoss die Hände, die seine Verspannungen wegstrichen. Wie konnte das sein?

Wieso war er so sanft zu ihm?

Womit hatte er das denn verdient?

Irgendwann hatte sich sein Körper wieder beruhigt und das Stechen hörte auf. Die Hände verweilten bis das letzte Zittern erlosch, dann waren auch die weg.

Schläfrig schloss Kris seine Augen. Langsam ließ er sich auf die Liege sinken und streckte sich aus. Der Tag hatte ihn so viel Energie gekostet. Er wollte nur noch schlafen…

Er spürte wie ein Stoff, wie eine Decke um ihn gelegt wurde… aber es schien sein Mantel zu sein, denn er hatte Ärmel. Erst jetzt bemerkte er, dass er wieder völlig angezogen war. Irgendjemand musste ihn wieder bekleidet haben.

Die Sachen fühlten sich fast tröstlich auf seiner gereizten Haut an.

Er war so müde.

Die angenehme Wärme um ihn, machte ihn noch träger.

»Ruh dich schön aus. Ich werde mal schauen wie weit die Schwester ist, damit sie mal nach dir sehen kann, okay? « hörte er die angenehme Tenorstimmer. Er fühlte wie die Matratze unter ihm sich hob, als das Gewicht des Anderen weg war.

Er wollte gehen…

Gehen!

Wie ein Blitz fuhr Angst erneut durch seine Eingeweide.

Wenn er ging hieß das, dass er dann hier wieder alleine war…! Was wenn die Gang hier her kam und das beendete was Luca unterbrochen hatte?

Er wollte nicht hier alleine sein!

Luca durfte nicht gehen.

Von diesen Gedanken getrieben, öffnete er abrupt die Augen und hielt den Anderen am Ärmel fest. Der Rothaarige blickte ihn erstaunt an.

»Was hast du denn? Ich will nur kurz nach der Schwester sehen. «

Kris schüttelte den Kopf und klammerte sich weiter verzweifelt in den Stoff des schwarzen Pullis… zog ihn mit aller Kraft die er noch hatte, was wirklich nicht mehr viel war, zu sich zurück. Wieder meldeten sich seine geschwollenen Rippen zu Worte, die diese Position nicht zu befürworten schienen.

»Kleiner, lass mich schon los…«

Wieder schüttelte er den Kopf und blickte nun doch auf, in diese dunklen Augen.

Die Schmerzen wurden schlimmer, lange konnte er den Anderen nicht mehr festhalten. Und dann würde er gehen…- er würde einfach durch diese Tür verschwinden und –

» Ich versteh ja das du ungerne alleine sein willst « unterbrach der Gothic seine Gedanken. Er hatte sich vorgebeugt und entlastete so seine Rippen. Sanft versuchte er die verankerten Finger aus seinen Pullover Ärmel zu lösen. Als er das geschafft hatte, streichelte er den Dunkelhaarigen beruhigend über den Kopf. » Ich muss aber die Schwester von hier holen. Sie muss sich deine Rippen anschauen. Das ist wichtig. Damit wir wissen ob sie gebrochen oder nur geprellt sind. «

Kris ließ es mit sich geschehen.

Aufhalten konnte er ihn ohnehin nicht. Auch wenn er es gewollt hätte…-

Ob er tatsächlich wiederkam musste erst noch bewiesen werden.

Ohne es aufhalten zu können, spürte er die Tränen auf seinen Wangen. Er wollte doch nur nicht mehr allein gelassen werden… er hatte Angst.

»Hey, nicht weinen. Kris… shhh. «

Das Schluchzen brachte den Schmerz wieder zurück und sein Atem stockte.

Ächzend versuchte er sich zu beruhigen und flacher zu atmen, was ihm nur schwer gelang.

Gequält rollte er sich zusammen.

Er bemerkte, dass die Matratze wieder unter dem Gewicht des Gothic einsank, als Dieser sich wieder neben ihn setzte. Mit sanfter Gewalt packte er ihn und setzte ihn auf… bog den Rücken durch.

» Beruhig dich. Atme ganz langsam… es wird gleich besser. «

Zitternd versuchte Kris die Worte umzusetzen. Und merkte wie das Stechen langsam nachließ, als er seinen Atemrhythmus, dem von Luca anpasste.

» So ist es gut. Langsam uns ruhig atmen. « bestätigte der Andere und rieb ihn über den Rücken. »Sehr schön.«

Langsam sank er zurück auf die Liege.

Es war alles so kräftezehrend…

Schläfrig genoss er die kraulende Hand in seinem Nacken und kroch schüchtern näher an den Anderen heran. Es tat so gut…

Er wollte, dass er nie wieder damit aufhörte.

Trotzdem rechnete er immer damit, dass er ihn zurückstieß. Irgendwann hatte er doch bestimmt genug davon so sanft zu ihm zu sein.

Aus halb geöffneten Augen bekam er mit, dass Luca seine freie Hand nach einem Knopf ausstreckte und darauf drückte. Doch seine zärtliche Tätigkeit in seinem Nacken unterbrach er dafür kein einziges Mal.

Langsam trieb Kris wieder in den Schlaf ab…-
 

»Kris…«

Wer rief denn da?

»Kris! Wach auf! «

Der Dunkelhaarige fand langsam wieder in die Wirklichkeit zurück und streckte seine Glieder sachte. Der Schmerz erinnerte ihn unweigerlich an seine verletzte Rippe.

Warum war es denn so dunkel?

Er hörte Geräusche um sich herum. Irgendjemand war hier…

Ach genau er musste die Augen aufmachen.

Blinzelnd hob er seine schweren Lider.

Wie lange hatte er denn geschlafen?

Als sein Blick sich klärte erkannte er den sterilen Raum wider. Anscheinend befanden sie sich also immer noch im Krankenhaus.

Er drehte den Kopf und sah Luca der immer noch neben ihm saß und sich gerade mit einer gestresst aussehende Krankenschwester unterhielt.

Dann schob sich Davids Gesicht in sein Sichtfeld.

»Kris, na endlich! « lächelte er schief und fiel dem Liegenden um den Hals so gut das möglich war. Der Dunkelhaarige zuckte zusammen, als seine Rippe lautstark gegen das Gewicht des Blonden protestierte… aber das hielt ihn nicht davon ab seinen Freund zu umarmen und sich an ihn zu drücken.

Er war so froh darüber das David jetzt wieder bei ihm war, und das es ihm offensichtlich gut ging, und das er nicht sauer war und am meisten, dass das alles jetzt vorbei war.

»Dave…« nuschelte er heiser an dessen Hals.

»Bin ich froh das es dir gut geht… ich hatte solche Angst das sie … das sie dich…« David brach ab und schwieg. Aber es war auch nicht nötig, dass er weitersprach. Kris wusste genau was die Gang mit ihm gemacht hätte… denn er war dabei gewesen. Hautnah.

Als der Andere sich erhob und ihn ansah, bemerkte er, dass auch David nicht verschont geblieben war. Seine Lippe war aufgeplatzt und schien ziemlich geblutet zu haben – das sagte jedenfalls sein mit Blut besudelter Kragen seines T – Shirts. Sein Auge war mit einem blauen Rand verziert und anscheinend war sein Bein mit einem Verband umwickelt worden.

»Es tut mir so leid…« meinte er kleinlaut und biss sich auf die Unterlippe.

Auch er hatte leiden müssen… und nur weil er sich mit ihm abgab…

Nur wegen ihm!

Diese Gedanken taten mehr weh als das Stechen in seiner Seite.

Als konnte er die Gedanken seines Freundes lesen, zwang David ihm mit seinen Fingern unter dem Kinn, ihn anzuschauen.

»Gib dir nicht die Schuld daran. Du hast nichts Falsches gemacht. «

Er sah zur Seite.

»Aber du…-«

»Kris. Hör auf… es geht mir gut, okay? «

Unsicher sah er ihn an und bekam eines dieser umwerfenden Lächeln seines besten Freundes geschenkt. Doch durch die verletzte Lippe viel Dieses wieder reichlich schief aus.

»Könnt ihr das später besprechen? « mischte sich Luca ein. »Das Röntgengerät ist endlich frei. Bringen wir das schnell hinter uns, wenn wir schon so lange warten mussten, hm? «

»Ja klar, du hast recht…« stimmte David sofort zu. »Wir reden später darüber, okay, Kris. Erst einmal musst du mit der Schwester mitgehen, damit sie dich röntgen kann. «

Kris sah sie Dame, die unruhig mit den Fuß wippte, zweifelnd an.

Eigentlich wollte er nur noch hier weg und schlafen…

»Kommen Sie. Es dauert nur ein paar Minuten. «

Kris gehorchte und erhob sich.

Ein letzten Blick auf die Beiden werfend, folgte er der Fremden auf den Flur,… er wünschte einer der Beiden dürfte mitkommen…

Bei ihm sein…-
 

Es ist nicht nötig zu erwähnen, dass die darauf folgenden Minuten für ihn die reinste Qual waren. Aus 10 Minuten war knapp eine halbe Stunde geworden…

Alles nur weil die Krankenschwestern in ihrer Eile einfach nicht verstehen konnten, warum sich Kris so gegen die Fixierung wehrte.

Alles in ihm sträubte sich davor, entblößt und fixiert dazuliegen, während zwei fremde Menschen vor einer Scheibe standen und ihn beobachteten.

Sie brauchten ganze drei Versuche.

Die gnadenlose Angst die er empfand, war der Grund warum er einfach nicht still liegen konnte, während das Gerät über ihn fuhr. Was dazu führte, das die ersten drei Röntgenbilder unbrauchbar waren.

Nach dem dritten Mal, kam David, wahrscheinlich durch das Meckern der aufgebrachten Schwestern alarmiert, herein.

Dann war es leichter.

Er überzeugte die Schwestern, dass er dabeibleiben musste…

Irgendwann stimmten sie zu und auch er bekam diese lächerliche Bleischürze.

Dieses Mal klappte es.

Warum genau es mit der Anwesenheit des Blonden leichter war seine Angst zu kontrollieren, konnte er nicht genau sagen. Aber es war eine Tatsache.

Nachdem diese Prozedur endlich überstanden war, hatte er alle Kraftreserven die er noch gehabt hatte, verbraucht. Angst war ermüdend und einfach grässlich…-
 

Beim Warten fielen ihm immer wieder die Augen zu.

Er war total erschöpft.

Irgendwann kam der Arzt in sein Behandlungszimmer, tastete seine Rippen noch einmal ab und verschrieb ihm Schmerztabletten, noch irgendwelche andere Pillen und Kühlungsgel.

Doch so wirklich bekam er das gar nicht mehr mit.

Er bekam nur mit, als David ihm aufhalf und leise sagte:

»Wir können jetzt gehen…«

Endlich.

Taumelnd erhob er sich und ging mit seinem Freund und Luca aus dem Krankenhaus.

Die frische Luft tat ihm gut… auch wenn er noch immer ziemlich flach atmen musste damit er keine Schmerzen hatte.

Nur entfernt bekam er die Gespräche seiner Begleiter mit… er wollte nur noch ins Bett.

»Soll ich euch noch fahren? «

»Wenn du das tun könntest…- «

»Sonst hätte ich nicht gefragt. «

»Okay… hilf mir mal mit ihm… ich glaube er schläft jeden Moment im Stehen ein. «

Er spürte wie er sacht zum Auto bugsiert wurde und als er auf dem Rücksitz Platz nahm, wusste er, dass es vorbei war.

Endlich war alles vorbei.

Der Blonde schob sich von der anderen Seite auf den Platz neben ihn und Luca nahm hinter dem Steuer Platz und wartete bis alle angeschnallt waren.

Dann fuhr er los.

Kris Kopf rutschte fast von alleine gegen Davids Schulter.

Das Motorengeräusch und die angenehmen, leisen Gespräche waren einfach einschläfernd.

» Wieso hast du überhaupt schon den Führerschein? «

»Ich habe meinen Führerschein mit 17 gemacht…«

»Wie alt bist du denn jetzt? «
 

Langsam schlief er wieder ein.

Was hat er dir angetan?!

Er erwachte durch das heftige Geschaukel eines Schlagloches.

Blinzelnd öffnete er die Augen und versuchte seine Orientierung wiederzuerlangen.

Noch immer lag er an der Schulter seines Freundes, der sich mit Luca unterhielt.

Wie lange war er weg gewesen?

»Und du hast noch zwei Schwestern?«

»Ja.«

»Wow. Das könnte ich mir gar nicht vorstelle… Ich bin Einzelkind.«

»Es hat alles seine Vor - und Nachteile.«

Nun lachte sein Freund leise. »Das stimmt.«

Langsam wurde Kris wacher.

Er lauschte dem Gespräch, das von Geschwistern zur Schule wechselte und blieb selbst stumm.

Wo lernten eigentlich alle sich über so banale Dinge wie das Wetter oder Schule zu unterhalten und so zu tun, als wäre es interessant.

Er selbst hatte noch nie Smalltalk beherrscht. Wahrscheinlich ein Grund mehr, warum ihn kaum jemand leiden konnte.

Erst als Luca abbog und er durch die Frontscheibe die bekannte Wohngegend sah, ergriff ihn erneut die Angst.

Sein Vater!

Wie hatte er das nur vergessen können?

Es kam ihm vor als wäre das Gespräch am Morgen Jahrzehnte her.

Trotzdem…

Sein Vater hatte gewartet.

Wenn er erst jetzt nach Hause kam, konnte er sich auf eine Bestrafung gefasst machen, wie er sie schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Ohne es kontrollieren zu können ergriff erneut ein Zittern seinen Körper.

Nein!

Es dämmerte bereits. Wie sollte er ihm das erklären?

Er wollte nicht zurück!

Noch mehr würde er heute nicht mehr ertragen.

»Kris?« wurde er aus seinen Gedanken gerissen. »Was hast du denn?!«

Der Blonde schlang einen Arm um seine Schulter.

»Ich… ich will nicht zurück…« wimmerte er. »Bitte. Ich ertrag es heute nicht mehr.«

Er wollte gar nicht wissen was Luca dachte, als er ihm einen Blick durch den Rückspiegel zuwarf.

Immer wenn sie aufeinandertrafen heulte er rum. Luca musste doch denken, er wäre ein völlig verweichlichter Jammerlappen.

Nun ja, vielleicht war er das auch.

Kris schob den Gedanken beiseite und klammerte sich an David fest.

»Nimm mich mit zu dir,… bitte.«

Der Angesprochene strich ihm sanft über dem Arm.

»Dein Vater?«

Er nickte nur.

Darüber reden konnte er einfach nicht… nicht einmal mit David.

Mit niemanden.

»Du weißt, immer gern. Aber meine Ma steht nicht so auf Spontanaktionen. Tut mir leid.«

Genauso gut hätte er ihn schlagen können.

»Sch – schon gut.«

Kris wollte nicht, dass sein Freund sein schlechtes Gewissen hatte. Er würde es schon irgendwie überleben…

auch wenn ihm schon bei dem bloßen Gedanken die Luft wegblieb.

Keuchend versuchte er seinen Atem soweit zu kontrollieren, dass seine Rippe sich wieder beruhigte.

Denn auch Diese war bei seiner kleinen Panikattacke wieder erwacht.

Er würde es schaffen.

Auch wenn er noch nicht wusste wie…

»Scht.«

David war sichtlich überfordert mit der Situation.

Aber was konnte er tun, dass sich der Andere nicht so schlecht fühlte wie er selbst?

Konnte er etwas sagen?

Er wusste nicht was…

Seine Gedanken konnten sich auf keine andere Sache mehr konzentrieren… sie waren bei dem Schrecken, der ihn bald erwarten würde.

Noch zwei Häuserblöcke.

Letztendlich war es tatsächlich Luca, der die unangenehme Situation auflöste, indem er einfach in eine Nebenstraße abbog.

»Was machst du?« fragte David irritiert. »Kris wohnt in der 140.«

»Das mag sein, aber wenn ich es richtig verstanden habe, will Kris nicht nach Hause. Also fahren wir zu mir.«

Kris verstand die Worte im ersten Moment gar nicht, die der Rothaarige da sagte.

»Aber geht das so einfach?« nahm David ihm seine Frage vorweg.

Es schien auch ihn zu überraschen.

Im Spiegel sah er das schiefe Lächeln von dem Gothic.

»Klar, warum nicht? Wir rufen seinen Vater einfach von mir aus an und erklären es ihm.«

Der Dunkelhaarige blinzelte verwirrt.

Womit hatte er denn das verdient?

Würde er wirklich entkommen?

Konnte der Andere das wirklich ernst meinen?

Sie kannten sich doch kaum!

»Willst du auch mit zu mir kommen, David, oder soll ich dich irgendwo absetzen?«

»An sich gerne« antwortete der Blonde und blickte Kris vielsagend an. »Aber ich sagte ja, meine Ma mag keine Spontanität-… setz mich einfach am Park ab.«

»Reicht das denn?«

»Klar. Ich wohn da gleich gegenüber.«

»Okay.«

David drückte die Hand seines Freundes, was diesem ein Lächeln entlockte.

Natürlich hatte er den Blick des Anderen verstanden und David seinen auch, das zeigte ihm die Geste. Er erwiderte den Druck der anderen Hand in seiner sanft.

Das war das Schöne an ihrer Freundschaft. Man brauchte nicht viel zu reden.

Danach herrschte Schweigen im Wagen, bis sie zum Park kamen.

Luca hielt am Straßenrand an und David nahm seinen Rucksack auf den Schoß.

»Danke fürs fahren« lächelte er und reichte dem Gothic die Hand.

»Nichts zu danken.«

Dann wand er sich Kris zu.

»Wir schreiben, okay? Bis morgen.«

»Ja, bis dann.«

Der Dunkelhaarige umarmte ihn kurz zurück, ehe der Blonde aus dem Auto stieg.
 

Dann saß er alleine auf der Rückbank und fühlte neugierig in sich hinein.

Von dem sonstigen, unruhigen Gefühl, was ihn immer heimsuchte, wenn er alleine mit jemandem war, den er nicht gut kannte, war nichts zu merken.

So als hätte er sich bereits an den Rothaarigen gewöhnt.

Komisch.

Sonst brauchte er immer so lange um einen Menschen an sich heranzulassen.

Warum machte es ihm Luca so schrecklich einfach?

Er konnte sich irgendwie schon jetzt gar nicht mehr vorstellen, ihn nicht mehr jeden Tag in der Schule zu sehen. So als würde er schon fest dazu gehören.

Die restliche Fahrt herrschte Schweigen.

Es war etwas zwischen angenehmen und unangenehmen Schweigen.

Doch Kris wusste auch nicht was er sagen sollte… was er sagen konnte.

Er hasste Smalltalk.

Luca sah aber auch nicht wirklich an Gesprächen interessiert aus.

Er wirkte völlig auf die Straße konzentriert.

Während er selbst noch mit sich rang was er sagen sollte, und so aus dem Fenster sah, hatte er seine Orientierung schon lange verloren.

In dem Viertel war er noch nie gewesen. Die Häuser wirkten so groß und hatten alle gut gepflegte Vorgärten. So wie man es aus Hollywoodfilmen kannte.

Kris hatte nicht einmal gewusst, dass es hier in der Nähe überhaupt so ein Villenviertel gab.

Er war noch nie über seine Häuserblöcke hinausgekommen.

Na ja, eigentlich hatte er auch gar keine Zeit dazu die Gegend zu erforschen. Also war es ja auch nicht verwunderlich, dass er nicht wusste, dass es hier auch Villen gab.

Nebenbei bemerkte er wie Luca in seiner Tasche wühlte, eine Fernbedienung hervorzog und den obersten grünen Knopf betätigte.

Kurz darauf bogen sie in ein Grundstück ein, dass genau wie alle anderen hier im Umkreis, einen sehr gepflegten Vorgarten hatte und augenscheinlich auch eine Villa war.

Mehr konnte Kris auf den ersten Blick nicht erkennen, denn Luca steuerte das Auto sofort in eine geöffnete Garage.

Erstaunt stellte der Dunkelhaarige fest, dass diese Garage größer als das Wohnzimmer seines Hauses war. Unvorstellbar…

»Kommst du?«

Schnell versuchte er seine Gedanken abzuschütteln und der Aufforderung zu folgen.

Mit wackligen Beinen stieg er aus dem Wagen und folgte dem Rothaarigen ans andere Ende der Garage. Alles hier sah so perfekt aus.

Es war die eine Garage die er so noch nie gesehen hatte. So aufgeräumt, ordentlich und geordnet.

Er folgte Luca durch eine Tür, über einen kleinen Flur und schließlich in ein großes Zimmer.

Augenscheinlich ein Wohnzimmer.

Staunend sah der Dunkelhaarige sich um.

Alles wirkte hier so groß und proportional… ähnlich wie in der Garage und doch anders. Kris hatte keine Ahnung von Baustilen, doch wenn er raten müsste, würde er auf etwas Edles, Altmodisches tippen. Waren Lucas Eltern so reich?

»Setz dich ruhig.«

»Danke.« nuschelte Kris und setzte sich fast sofort auf die schwarze Couch, die in der Mitte des Raumes stand.

Luca nahm indes seinen Mantel und Kris Jacke und hing sie an die Haken an der Eingangstür, durch die die Beiden eben gekommen waren.

Auch sein Rucksack und die Tasche des Rothaarigen wurden dort angehängt.

Wo kam denn der Rucksack her?!

Hatte er den nicht abgegeben und…

Er konnte sich einfach nicht erinnern.

»Möchtest du etwas trinken?« wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

Schnell schüttelte Kris den Kopf.

»Na gut. Hast du deine Nummer im Kopf?«

Er nickte und sagte sie Luca.

Er gab sich viel Mühe seine ganze Dankbarkeit, die er empfand, in seinen Blick zu legen. Er war so froh, dass nicht er sich mit seinen Vater auseinander setzen musste.

»Gut. Ich bin kurz oben und klär alles. Fühl dich wie zuhause.« lächelte Luca und wuschelte ihm durch die Haare, ehe er durch eine anliegende Tür verschwand.

Der Dunkelhaarige blieb etwas verloren und verwirrt auf der Couch sitzen und starrte in den Raum.

In welchen Film war er hier gelandet?

Das konnte doch nicht wirklich passieren, oder?

Fassungslos blickte er sich um.

Man sah an dem Schnitt und der Größe des Raumes sofort in welchem Wohnviertel man sich befand. Das Zimmer war höher und größer als das einer normalen Wohnung. Außerdem hatte es Wölbungen und Verzierungen an den Fenstern.

Kris fühlte sich irgendwie sehr klein in diesem Raum.

Alles hier war dunkel gehalten, so wie man es von einem Gothic - Zimmer erwartete.

Die Tapete war schwarz und mit silbernen Ranken durchzogen. Farben die man auch im ganzen Mobiliar des Zimmers wiederfand. Auch die typische Deko war vertreten.

Totenköpfe, Drachen und Schlangen…

Trotzdem wirkte der Raum an sich einladend. Fast gemütlich…

Kris hätte nicht gedacht, dass er sich in solch einem Zimmer wohlfühlen konnte. Aber es war so.

Der Geruch von Patschuli und irgendwas süßliches, was er nicht genau definieren konnte, war überall vorhanden. Es war der Geruch den er mit Luca verband.

Den Geruch den er nach all dem Leid, der Angst und dem Schweiß als erstes gerochen hatte.

Heute.

Gedankenverloren berührte er seine Rippen.

Er konnte noch gar nicht fassen, dass all das heut passiert war. Nur die Müdigkeit und der Schmerz, die ihn nun wieder befielen, zeugten davon.

Kris schloss die Augen und sog den Geruch tief in sich ein.

Er lehnte sich an die Rückenlehne zurück… er hätte hier und jetzt einschlafen können.

Doch das wäre Luca gegenüber natürlich total unhöflich gewesen.

Deswegen zwang er sich die Augen wieder zu öffnen.

Wie spät war es eigentlich?

Nach einer Uhr suchend, blickte der Dunkelhaarige sich um. Tatsächlich fand er eine, die über einer der Türen hing.

Sie zeigte Zehn nach Sechs an.

Konnte das denn stimmen?

Er hätte diese Frage nicht beantworten können… sein Zeitgefühl schien heute echt im Eimer zu sein. Eigentlich kein Wunder.

Was sollte er nur machen bis Luca wiederkam?

Er wollte endlich wissen woran er bei ihm war.

Auch wenn er Angst hatte.

Diese Unwirklichkeit hier zu sitzen war immer noch da.

War er seiner Strafe denn wirklich entronnen?

Das hatte er noch nie geschafft.

Vielleicht berieten er und sein Vater sich aber auch gerade über eine Strafe für ihn?!

Wäre das möglich?

Diesen Gedanken schob er eilig von sich.

Er wollte so etwas nicht denken…

Glauben wollte er das auch nicht. Ein Teil in ihm wollte Luca einfach vertrauen.

Ihm glauben.

Er wollte endlich wieder jemanden haben der ihn mochte.

Jemanden außer David. Einfach damit er sicher sein konnte das er liebenswert war und das der Blonde nicht nur aus Mitleid mit ihm befreundet war.

Unruhig rutschte er auf dem Sofa herum.

Seine Gedanken schweiften zu sehr ab.

Wie lange war Luca wohl schon weg?

Müsste er nicht langsam mal wiederkommen?

Entsetzt nahm er die irrationale Sehnsucht zur Kenntnis die sich plötzlich in sein innerstes geschlichen hatte. Sie war irgendwo hineingeschlichen.

Er konnte dieses Gefühl nicht verstehen, aber verdrängen ließ es sich auch nicht.

Unstetig ließ er seinen Blick zu der Tür schweifen, aus der Luca gegangen war.

Ob er wohl bald kam?

Er war so allein…

Das war nicht gut. Denn genau in diesen Momenten kamen die schlimmsten Gedanken.

Sie klopften nicht an, so wie manche.

Sie rissen alle dunklen Türen in seinem Verstand auf und liefen dann Amok.

Diese Gedanken waren schwarz.

Pechschwarz.

Und sie waren gefährlich…

Gefangen in ihnen verlor man jegliche Angst. Dann ging man einfach über sie Straße ohne zu schauen ob ein Auto kam oder man lief einfach auf den Schienen der S – Bahn ohne zurückzusehen. Manchmal tauchte man auch aus diesen Gedanken auf, so wie aus tiefen Wasser und fand sich auf dem Gerüst einer Brücke wieder.

Kris war solchen Situationen bis jetzt immer entkommen.

Meistens war es haarscharf gewesen, aber bis jetzt hatte er es immer geschafft.

Bis jetzt…

Er wollte nicht sterben. Wirklich. Doch diese dunkle Seite seiner Gedanken existierte. Und sie fragte ihn nun einmal nicht um Erlaubnis…

Es war etwas Eigenständiges und Mächtiges, etwas Schreckliches.

Ein Monster.

So wie Wesen in Fantasie Geschichten.

Ein Schauer jagte ihn über seinen Rücken.

Das Böse in dir, dachte er zitternd.

Auch wenn es dumm klang, manchmal hatte er vor sich mehr Angst als vor seinem Vater.

Und das war etwas was kaum jemand verstand.

Deswegen sprach er auch mit keinem darüber.

Mit wem denn auch?
 

»Kris?«

Bei der Erwähnung seines Namens zuckte er zusammen. Ihm war von dem sehr rapiden Absturz in die Wirklichkeit schwindlig.

»Alles in Ordnung?«

Er nickte und sah den Anderen verloren in die Augen.

Sie waren blassgrün und wurden zum äußeren Rand der Iris hin immer dunkler.

Und sie waren schön…

Abwesend streckte er seine Hand aus und berührte die porzellanfarbene Wange.

Alles an dem Gothic war irgendwie schön.

Kris kam erst durch die Berührungen des Rothaarigen wieder vollkommen zu sich.

Dieser hatte nämlich seine eigene Hand auf Kris Finger gelegt, die seine Wange berührten.

»Was hast du denn?« fragte er lächelnd.

Sofort spürte der Dunkelhaarige die Hitze zurück in seine Wangen steigen.

Schnell blickte er wieder auf das schwarze Leder der Couch und zog seine Hand zurück.

Was war denn nur eben mit ihm los gewesen?

Eine Hand legte sich auf seinen Kopf.

»Ich habe mit deinem Vater gesprochen.« meinte Luca ruhig. »Es war etwas schwierig ihn zu überzeugen, aber als ich ihm kurz die Umstände erklärt habe, war er bereit dich eine Nacht hier schlafen zu lassen. Damit ist jetzt alles klar.«

Ruckartig blickte Kris wieder auf.

Er hatte doch nicht…!

Nein, das würde er nicht tun, oder?!

»Ganz ruhig, ich habe ihm nichts von dem Übergriff erzählt.« schien Luca ihn wieder sofort zu durchschauen. » Mir war fast klar, dass es dir nicht recht sein wird. Ich hab etwas geflunkert… also wenn er dich fragt. Wir haben uns hier mit David spontan nach der Schule getroffen und haben vergessen Bescheid zu sagen. Dann bist du eingeschlafen und ich wollte dich nicht wecken.«

Das klang sogar für ihn unglaubwürdig. Wie hatte er es nur geschafft seinen Vater zu überzeugen?

Aber war das nicht eigentlich egal wie?

Er war so froh…

»Da – danke!« nuschelte er.

Dafür bekam er ein leises Lachen. Die große Hand strich durch seine Haare und brachte in seinem Magen eine Art Feuerwerk zum Starten.

Er wusste nicht was mit ihm geschah.

»Komm, jetzt machen wir uns erst einmal Abendbrot.« ließ Luca ihm keine Zeit über die merkwürdigen Reaktionen seines Körper nachzudenken.

Ohne Umschweife wurde sein Arm gepackt und er wurde von der Couch hoch und hinter dem Gothic hergezogen.

Kris ließ es zu.

Er wollte nicht mehr allein sein…

Es war so einfach mit dem Gothic zusammen zu sein und sich wohl zu fühlen.

Hauptsache er blieb hier.

Als sie unter dem Türrahmen durchgingen, der anscheinend die Küche vom Wohnraum abgrenzte, gab es einen Schlag über ihm.

Diesen folgten 7 aufeinanderfolgende Schreie.

AAAhhhhhhh.

Kris fuhr wie geschlagen zusammen und suchte instinktiv Schutz an Lucas breitem Rücken.

Hilfe suchend klammerte er sich an ihm fest.

Der Andere blieb stehen und drehte sich halb zu ihm um.

»Hey… das war doch nur meine doofe Uhr. Kein Grund zur Panik.«sagte Luca sanft. In seiner Stimme klang etwas Besorgnis mit.

Uhr?

Vorsichtig löste sich Kris ein wenig von ihm, trat einen Schritt nach hinten und sah nach oben an die Wand. Gerade noch rechtzeitig um zu sehen, wie eine Krähe wieder zurück ins Türchen schoss.

Eine Kuck – Kucks Uhr.

Also mit Krähe, statt mit Kuckuck …

Aber nur eine blöde Uhr!

Beschämt über sich selbst ließ er Luca los.

Was musste er nun schon wieder von ihm denken.

Verweichlicht, Angsthase, Jammerlappen…

Wieso war er nur immer noch hier?

Er glaubte, wäre er an Lucas Stelle gewesen, er hätte sich schon lange vor die Tür gesetzt.

Das musste ihn doch nerven oder?

Oder?!

Er hatte sich selber so satt.

»Hör schon auf« wies ihn der Andere zurecht. »Woher hättest du denn wissen sollen, dass ich so eine Uhr habe? Ich hätte dich vorwarnen müssen. Verzeih.«

Kris blinzelte.

Was?

Luca nahm seine Hand und lächelte ihm lieb an.

»Komm lass uns endlich was zu essen suchen, ich habe Riesenhunger.«

Mit zittrigen Knien, aber ohne etwas zu erwidern, folgte der Dunkelhaarige ihm in die Küche.

Aber seine Gedanken kreisten weiter.

Woher hatte er gewusst was er dachte?

Langsam wurde er ihm unheimlich?

Wirklich…

Hatte er vielleicht übersinnliche Fähigkeiten?

Quatsch!

So etwas gab es doch nicht!!

Oder?

Er war so vertieft, dass er seine Umgebung gar nicht bewusst wahrnahm, bis ihm der Andere ein vollbeladendes Tablett in die Hand drückte.

Aus Reflex nahm er es und trug es wieder rüber.

Nebenbei fragte er sich für wen die ganzen Lebensmittel, die er da vor sich her trug, gedacht waren. Doch eigentlich war ihm das auch egal.

»Setz dich schon mal, ich bin sofort da.« sagte Luca da plötzlich und rauschte an ihm vorbei aus dem Zimmer.

Geistesabwesend räumte Kris das Tablett ab und setzte sich wieder auf die Couch.

Er hoffte, dass Luca bald wieder kam.

Und er wurde nicht enttäuscht.

Es dauerte nur wenige Minuten, da erschien der Gothic wieder mit Bettzeug, das er auf einen Sessel schmiss und dann zu ihm kam.

»Darf ich mich neben dich setzten?«

Kris nickte.

Wie hätte er denn wiedersprechen sollen? Nach allem was Luca heute für ihn getan hatte.

Er spürte wie das Polster neben ihm einsank.

»Na dann wollen wir mal was essen. Du bist doch sicher müde oder? Nach dem Essen kannst duschen wenn du willst und dann sofort schlafen.«

Er nickte wieder.

Jetzt wo der Andere es erwähnt hatte, spürte er die Müdigkeit wieder stärker als zuvor.

»Nimm dir was du essen willst.« sagte Luca schließlich, als klar war das Kris nicht antworten würde und fing an sich seine Brötchen zu schmieren.

Kris blickte das Essen an… eigentlich war das Letzte was er wollte essen. Trotzdem nahm er sich ein trockenes Brötchen und knabberte daran herum. Ab und zu trank er einen Schluck Saft.

Das Schweigen was sich über sie legte, war beruhigend und belastend zu gleich.

Kris konnte einfach nicht einschätzen was Luca dachte.

Unauffällig schielte er zu ihm hinüber und beobachtete ihn beim Essen.

Was sollte er denn jetzt tun?

Erst als Luca den Kopf drehte und ihn musterte, blickte er wieder auf den sauberen Teller vor sich und starrte angestrengt auf das goldene Muster darauf.

»Du hast keinen Hunger, hm?«

Kris nickte schüchtern.

Ob er wütend werden würde?

»Hm. Irgendwie verständlich. Magst du dann schon einmal duschen gehen, bis ich aufgegessen habe?«

Kris blickte auf und direkt in die Augen, die ihn sofort in seinen Bann zogen.

»Okay.« stimmte er leise zu.

Luca lächelte ihn an.

Dann stand er auf und zeigte ihm den Weg ins Bad. Er bereitete alles vor und legte ihm frische Handtücher und ein sehr großes T – Shirt hin.

Als das erledigt war, ließ er den Dunkelhaarigen in dem geräumigen Bad allein.

Dieser sah sich kurz um und zog sich dann aus um in die Dusche zu steigen.

Auch hier war alles groß und komfortabel. Es gab sogar noch eine sehr große Badewanne am Ende des Zimmers, das zwar nicht besonders breit, aber sehr lang zu sein schien.

Kris stellte die Brause an und hoffte einfach, dass er sich nach der Dusche besser fühlte.

Nach wenigen Minuten stieg wieder aus der Dusche und trocknete sich an.

Dann begutachtete er die Sachen, die Luca ihm hingelegt hatte. Unter den T – Shirt fand er noch eine Boxershorts. Doch er sah auf den ersten Blick, dass sie viel zu große war. Also ließ er diese liegen und entschied sich lediglich das T – Shirt über zu ziehen, welches ihm fast bis zu den Knien ging. Doch das war ihm egal. Eigentlich gab es nicht was Luca an ihm noch nicht gesehen hatte, auch wenn der Gedanke kein angenehmer war.

Er ging aus dem Bad durch die Küche wieder zurück in den Wohnbereich. Dort hatte Luca bereits den Tisch abgeräumt und die Couch für ihn hergerichtet.

Es war so ungewohnt, dass er nicht alles selber erledigen musste.

Wobei er es nicht unbedingt schlecht fand es nicht tun zu müssen.

Luca blickte auf, als er mit nackten Füßen auf ihn zu tapste und sah ihn durchdringend an.

Kris wurde rot und wich dem Blick aus. Er ging an ihm vorbei und ließ sich auf das Sofa fallen. Schnell zog er sich die Federdecke über den Schoß.

Der Rothaarige löste seinen Blick von ihm und schien eine Weile zu brauchen, bis er wieder was sagen konnte.

»Gut, dann werde ich jetzt duschen, okay? Vergiss nicht deine Rippe noch einzuschmieren.«

Damit war er auch schon verschwunden.

Was war das denn?

Irritiert suchte Kris nach seinem Rucksack.

Aber gut das er ihn an die Creme erinnert hatte. Er hätte es fast vergessen…

Er erspähte ihn in der Ecke neben der Eingangstür neben den Schuhen. Kris durchwühlte die einzelne Tasche und holte die besagte Creme hervor, bevor er schnell schaute ob Luca nicht wieder durch die Tür kam. Als dies nicht der Fall war, zog er das T – Shirt hoch und cremte die verletzte Stelle dick ein. Als das auch erledigt war, ging er wieder zur Couch, ließ sich auf sie sinken und kuschelte sich unter die Decke.

Alles hier roch nach ihm…

Luca…
 

Er wurde zurück ins Bewusstsein gerissen, als eine sanfte Hand über seine Wange strich.

»Guten Nacht…«

Der Dunkelhaarige blinzelte.

Diesmal dauerte es nicht lange bis er sich orientiert hatte.

»Luca.« murmelte er verschlafen.

Der Angesprochene wand sich verblüfft um. Er stand vor dem Sofa. Anscheinend wollte er gerade gehen. Er hatte ein verwaschenes Shirt und nur noch seine Boxershorts an, seine Haare klebten nass an seinem Kopf und auch seine Schminke war weg. Wobei…

Einen leichten schwarzen Schatten war noch um seine Augen zu sehen.

Er schien gerade aus der Dusche gekommen zu sein. Anscheinend war er eingeschlafen.

»Was denn?«

Kris erwiderte seinen Blick kurz und blinzelte dann erneut, bevor er sich aufsetzte und sich den Schlaf aus den Augen rieb.

»Luca…« probierte er es nochmal. Der Name klang gut aus seinem Mund. Es fühlte sich irgendwie richtig an.

»Hm?«

»Warum?«

»Warum was?«

»Warum hast du mir geholfen?« zwang Kris sich zu fragen. Kurz holte er Luft und kratze sein letztes bisschen Mut zusammen. »Warum hast du mir so oft geholfen? Und mich ins Krankenhaus gefahren? Warum hast du dich für mich geprügelt? Warum lässt du mich hier schlafen und warum bist du so nett zu mir?«

Auf diesen Wortschwall folgte einen Moment Stille.

Okay… jetzt hatte er es wohl endgültig übertrieben!

Er hätte sich einfach zufrieden geben und seine Klappe halten sollen…

Toll Kris!

»Das sind wirklich dämliche Fragen.«

Kris zuckte unter diesen Worten zusammen.

Was sollte er jetzt machen?

Was wenn er ihn vor die Tür setzte? Einfach so… er konnte nicht nach Hause!

Was –

»Die korrekte Frage lautet, warum hätte ich das nicht tun sollen?«

Er spürte wie sich das Polster wieder unter seinem Gesäß senkte und registrierte das Luca sich an die Kante der Couch zu ihm gesetzt hatte.

Kris blickte wieder von seinen Händen auf und sah dem Gothic direkt in die Augen. So ohne Schminke wirkten sie noch einmal komplett anders. viel dunkler als vorher.

Oder bildete er sich das nur ein?

Gebannt starrte er sein Gegenüber an.

»Kris. Ich mag dich und auch wenn ich dich nicht gut kenne, kann ich dir doch helfen oder? Würdest du das nicht auch tun, wenn dich jemand anderes um Hilfe bittet? Oder du siehst das er deine Hilfe braucht?«

»Aber… aber die Gang…«

»…ist dumm.« beendete Luca seinen Satz schlicht. » Allesamt. Lass dich nicht auf etwas herabsetzen was sie in dir sehen. Wirklich du bist gut so wie du bist.«

Das war eine Lüge!

Warum log er?

Was nutzte ihm das nur!?

Ungläubig schüttelte er den Kopf.

»Kris.«

»Nein. Alle-… alle hassen mich. Sie … sie schikanieren mich und… und die anderen helfen mir nicht. Auch – auch mein Vater sagt das… ich-«

»Was sagt er?«

»Das ich schlecht bin… und nur für ihn auf dieser Welt. Er – sie-… ich habe meine Mama getötet. Er hasst mich…- so… so wie alle anderen… warum hasst du mich nicht?!«

Er wollte noch so viel anderes sagen was ihm auf der Seele brannte. Doch es kam nichts mehr aus seiner Kehle heraus außer lauten Schluchzern. Sein ganzer Brustkorb schien sich unter dem Druck zusammen zu ziehen. Alles in ihm krampfte.

Wann hatte er das eigentlich jemals alles ausgesprochen?

Eigentlich überhaupt nicht oder…?

Die ersten Tränen strömten über seine Wangen.

Na toll… jetzt konnte Luca seinen ganzen Eindrücken von ihm auch noch Heulsuse hinten dran hängen.

Was für ein beschissener Tag.

Ein heftiger Weinkrampf schüttelte seinen Körper und Kris konnte nichts dagegen unternehmen.

Seine Rippe meldete sich wieder zu Wort. Doch er spürte die Schmerzen, die sie entsandte dieses Mal kaum, denn die Stelle in seiner Brust, wo angeblich das Herz sitzen sollte, tat ihm noch viel mehr weh. Es war unbeschreiblich und erdrückend dieses Gefühl.

Durch einen Schleier erkannte er das Gesicht des Gothics der ihn schockiert ansah.

Und dann lag er schon in den Armen von selbigem.

Luca zog ihn dicht an sich und wiegte ihn wie ein kleines Kind in seinen Armen. Und er weinte.

Es dauerte eine Weile bis er sich wieder in den Griff bekommen konnte.

Aber der Geruch, der ihn schon den ganzen Tag nur positives signalisiert hatte, beruhigte ihn letztendlich.

Patschuli.

Zittrig atmete Kris gegen die Halsbeuge von Luca.

Wie peinlich war das denn bitte?

Er wollte sofort im Erdboden versinken.

Beschämt und dankbar zugleich das er ihn nicht losließ, vergrub er sein verheultes Gesicht in der fremden Schulter und war froh das der Andere ihn nicht ansah.

»Es ist schwer, zuzugeben, dass man schikaniert wird« sagte Luca da plötzlich leise. »Und wenn es herauskommt, hat man das Gefühl, man müsste sich entschuldigen, weil man glaubt, es sei die eigene Schuld, dass man gequält wurde. Und wenn man sich retten will oder gerettet wird… will man sich rechtfertigen und entschuldigen. Es ist schon schwer jemand anderen um Hilfe bitten zu müssen. Man kommt sich wie ein Versager vor und glaubt, dass jeder einen hasst.«

Kris wimmerte.

Er wollte das nicht hören.

»Aber das ist Unsinn, Kris. Es gibt Menschen die dich mögen. Wirklich… du musst nur deine Augen weiter aufmachen, dann erkennst du sie. David und ich mögen dich. Und es gibt sicherlich noch mehr…«

Kris drückte sich fester an ihn und wieder spürte er die Tränen in seinen Augen aufsteigen. Sie brannten und in seiner Kehle bildete sich ein Kloß.

Wo nahm er diese Worte her?

»Ich hasse dich nicht. Auch wenn du mal schwach bist, hasse ich dich nicht, okay? Du bist ein toller Mensch. Egal was andere sagen.«

Das war zu viel.

Wieder weinte er.

Doch dieses Mal fühlte er sich nicht schäbig. Das lag wohl an der Hand, die zärtlich seinen Nacken kraulte und an den lieben Worten die er zugeflüstert bekam.
 

Im Endeffekt konnte er nicht mehr sagen wann genau er eingeschlafen war. Doch irgendwann schien er in den Armen des Älteren weggedriftet zu sein.

Es war der erholsamste und ruhigste Schlaf, den er seit langer Zeit je hatte.

Gehe hinein in das Schneckenhaus! In diesen Mauern haust der Tod, er wartet schon so lang auf dich, auf dein Kommen!

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Gehe hinein in das Schneckenhaus! In diesen Mauern haust der Tod, er wartet schon solang auf dich, auf dein Kommen!

Information für die Leser:
 

Auf den Wunsch einer einzelnen Dame, habe ich hier noch einmal die "soft version" des letzten Kapitels gepostet.

Danke noch Mal für den Tipp... ich habe wirklich nicht daran gedacht.
 

Trotzdem möchte ich hier nochmal den gleichen Hinweis geben!:

Bitte geht nicht leichtfertig an das Kapitel! Es wird eine schwierige Thematik behandelt!!

Aber die Dämonen müssen beim Namen genannt werden, wenn ich meine Story so erzählen will, wie sie nun einmal ist.
 

______
 

Es waren, seit dem Vorfall, bereits zwei Wochen vergangen.

Der Wirbel hatte sich wieder etwas gelegt. Und auch wenn es Kris nie für möglich gehalten hätte, so war Luca in dieser Zeit doch zu einem Inhalt seines Lebens geworden, der nicht mehr wegzudenken war.

Alles war so einfach mit ihm. Es war der Beziehung mit David sehr ähnlich, aber trotzdem war es so komplett anders. Bei David spürte er zum Beispiel nicht dieses Kribbeln in der Magengegend, wenn er ihn berührte. Und auch das Verlangen ihn ständig nahe zu sein war nicht so stark. Aber über diese Dinge wollte er eigentlich nicht nachdenken. Es verwirrte ihn nur...

Für ihn zählte nur, dass Luca da war.

Bei ihm.

In der tränenreichen Nacht vor zwei Wochen hatte sich zwischen ihnen irgendetwas verändert. Und auch wenn Kris nicht genau wusste was es war, er spürte, dass es da war.

Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte er sich so geschämt. Sein gesamter Auftritt am Tag davor war daneben gewesen. Sein Vater hätte ihn bestraft und...

Luca hingegen hatte so getan, als wäre nichts gewesen. Er war freundlich und zuvorkommend gewesen und hatte ihn sogar nach Hause gefahren, damit er sich vor der Schule noch umziehen konnte.

Kris konnte es noch immer nicht richtig glauben.

Irgendwas schien er richtig gemacht zu haben.

Konnte das sein?

Sonst hätte er doch Luca sicher nicht gefunden.

Seit dem Attentat ließen ihn auch Sascha und seine Bande in Ruhe, was größtenteils daran zu liegen schien, dass David und er die meisten Zeit mit Luca zusammenhingen. Wenn man dem Blonden glauben durfte, hatte Luca der Gang übel mitgespielt, als sie im Duschraum aufeinander getroffen waren. Und wenn Kris sich es recht überlegte konnte es durchaus der Wahrheit entsprechen. Sie schienen regelrechte Angst vor dem Gothic zu haben.

Eine Einstellung die er nicht wirklich teilen konnte.

Im Gegenteil.

Das einzige was ihm noch Kopfzerbrechen bereitete, war sein Vater.

Er war noch immer sauer, auch wenn es sich in den 14 Tagen etwas gebessert hatte, zu spüren bekam er es noch täglich...

Aber es war erträglich.

Umso mehr freute er sich auf die Schule und vor allem auf Luca.

Der Dunkelhaarige seufzte und beschleunigte seine Schritte. Er war schon spät dran.

Als er endlich das Schultor durchschritten hatte, blickte er sich rasch um.

Keine Gefahr zu entdecken...

Irgendwie war es sehr komisch ohne David diesen Weg zu gehen, doch dieser war heute krankgeschrieben.

Zügig ging er über das Gelände auf die Tür zu. Als er auf der Treppe war, sah er wer vor der Tür auf ihn wartete.

Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und ohne zu überlegen, beschleunigte er seinen Schritt und fiel Luca spontan in die Arme.

Dieser gab ein erschrockenes Geräusch von sich und ließ seine halb aufgerauchte Zigarette fallen.

»Kris?«

Der Angesprochene schmiegte sich vertraut an den starken Körper, bis Luca ihn sanft zurückschob. Doch er lächelte nun auch.

»Ich freu mich auch, dich zu sehen. Aber vergiss nicht wo wir hier sind.«

Kris wurde rot.

Das hatte er tatsächlich für diesen Moment vergessen!

Luca lachte über seine betretene Miene und schob ihn ins Gebäude.

»Also... auf in den Kampf.«
 

Im Moment ging die Schule für ihn wie im Flug vorbei.

Es war fast wie ein Traum… dass er einmal so erfreut war in die Schule zu gehen, hatte er vor wenigen Wochen noch nicht einmal hoffen konnte.

Alles war irgendwie leichter und ging schneller.

Es war kaum zu fassen.

Er wusste nicht einmal womit er dieses Glück verdient hatte.
 

»Kommst du?«

Der Dunkelhaarige sah auf und nickte.

Luca wartete auf ihn und sie gingen gemeinsam in die Pause.

So war es schon die ganzen letzten Tage gewesen und er genoss das.

Wie immer gingen sie zu der Bank, die weit ab vom Schulhof war… die Bank, auf der Kris das erste Mal mit Luca gesprochen hatte.

»Wo ist eigentlich David?«

»Hat sich für heute krankschreiben lassen.«

»Ach so.«

Der Gothic steckte sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie sich an.

Er fragte nicht nach…

Auch eine Eigenschaft, die Kris so an ihm mochte.

Luca nahm Situationen einfach so hin, wie sie nun einmal waren. Er fragte nur in Einzelfällen und auch dann akzeptierte er es, wenn man nicht darüber reden wollte.

Diese Einstellung kannte er kaum.

Oft wurde er gezwungen… zu Dingen die er nicht wollte.

Er war es gewohnt, alles zu machen was man von ihm verlangte und sich unterzuordnen.

Gerade deswegen war es so schön, aber gleichzeitig auch verdammt anstrengend mit dem Gothic zusammen zu sein.

Bei ihm war der Dunkelhaarige gleichwertig, durfte seine Meinung sagen, sich einbringe, seinen Willen äußern und sich weigern wenn er wollte.

Es war so schön, weil er es nicht kannte…

Aber gleichzeitig auch so erschreckend, weil er nie genau wusste, wann er was falsch machte.

All die Voraussicht und die Sicherheit, die er im Umgang mit seinen Vater hatte, waren weg. Kris wusste genau wann er bei dem älteren Mann zu weit ging und was passierte wenn er verschiedene Dinge tat… es war berechenbar. Das war sein Alltag.

Luca stellte alles auf den Kopf.

Der Rothaarige war anders als alle Menschen, die er je kennengelernt hatte.

Und irgendwie wusste er nicht ob er das schön oder schrecklich finden sollte.

»An was denkst du?«

»Hm?«

»Du wirkst ziemlich abwesend.«

»Oh… ich äh, denke an nachher…« sagte Kris nur die halbe Wahrheit. »An meinen Vater…der ist immer noch nicht gut auf mich zu sprechen, weißt du?«

»Aha?«

Er blickte unsicher nach unten. »Mhm…«

»Das heißt im Klartext er ist immer noch wütend?«

»Ja… na ja. Er ist eben anders als sonst. Ich weiß auch nicht.« wich Kris verlegen aus. Auch wenn es ihn glücklich machte, dass sich Luca für seine Person interessierte. Er fühlte sich einfach nicht wohl dabei, wenn sie über dieses Thema sprachen.

Nicht einmal mit David ging das ohne Bedenken… und die Beiden kannten sich schon wesentlich länger. Er konnte einfach nicht in Worte fassen, was er empfand.

Luca schien es zu begreifen.

Wie er es immer begriff, auf diese unheimliche, aber auch nüchterne Art und Weise.

»Nach der Schule zu mir?« fragte er daher nur.

Der Dunkelhaarige sah auf und konnte nicht anders als dem Älteren ein strahlendes Lächeln zu schenken. Auch wenn er damit sparsam umging, dieser Mensch war einfach unfassbar.

Der Andere starrte ihn an und Kris merkte wie ihm die Gesichtszüge leicht entgleisten. Beinah wäre ihm die Zigarette aus dem Mundwinkel geglitten, doch er fing sich schnell wieder.

»War das ein ja?«

»Ich würde wirklich gerne… aber wenn ich nicht nachhause komme, wird er noch wütender, schätz ich« wurde Kris sofort wieder ernst und sah den Älteren unsicher an. >A – aber ich könnte ja mit ihm reden und… und wir verschieben das?«

»Mach dir keinen Kopf. Du musst es wissen…« meinte Luca und wank ab. Dann sah er ihm jedoch fest in die Augen. »Aber egal was passiert du kannst immer zu mir kommen, okay.«

Kris wurde rot. »Ich…- ich… danke.«

»Kein Ding.«

Betretenes Schweigen senkte sich über die Beiden.

Was sollte er auch dazu noch sagen?

Er konnte nie wieder gut machen, was Luca alles für ihn tat.

Wie sollte er sich jemals revanchieren?!

Der Dunkelhaarige wurde von seinem neuen Freund aus den Gedanken gerissen, als dieser aufstand und ihn seine Hand hinstreckte.

Er blickte auf die dargebotene Hand.

Die langen schwarzen Nägel ließen die Finger an sich sehr filigran wirken… die silbernen Ringe taten ihr Übriges. Und doch waren es diese Hände, die ihn schon so oft beschützt hatten.

Diese Hände hatten Sascha geschlagen…-

Kris nahm die Hand und ließ sich hochziehen.

»Lass uns schnell reingehen, sonst kommen wir zu spät.«

Er nickte.
 

Als Kris am frühen Nachmittag allein nach Hause ging, spürte er so viel Wiederwillen wie schon lange nicht mehr. Es war eine innere Alarmglocke die ihn zu warnen versuchte.

Doch er konnte nicht wieder wegbleiben.

Ihm blieb nichts anderes übrig als zu diesem Haus zu gehen, nachdem er die Aufzeichnungen und Hausaufgaben bei David abgegeben hatte.

Schon als er von weitem die zwei dunklen Autos vor ihrem Haus sah, kehrte die Übelkeit zurück.

Oh nein!

Trotzdem zwang er sich weiter zu gehen.

Sein ganzer Körper spannte sich an und doch schritt er weiter voran. Es war wie gegen den Strom schwimmen, alles in ihm, wehrte sich gegen den Gedanken, jetzt in dieses Haus zu müssen.

Voller Anspannung ging er durch das kleine Vorgartentor. Er schloss auf und sofort befreite er sich von den Turnschuhen. Der Knoten in seinem Magen verfestigte sich, als er die vier geputzten Herrenschuhe sah, die ebenfalls auf den Abtreter im schmalen Flur lagen.

Verdammt!

Sollte er lieber schweigen?

Aber irgendwann würde sein Vater bemerken das er hier war und dann würde er erst recht wütend werden… also Augen zu und durch!

»Bin wieder da!«

»Sehr gut. Ich verhungere gleich!«

Kris zuckte leicht zusammen, ging aber sofort in Richtung Wohnzimmer, wo er seinen Vater vermutete. Der Zigarettengeruch und das laute Lachen verrieten ihn nur Sekunden später, das er richtig lag. Im Zimmer selber war es so neblig das man von der Tür kaum noch auf die Terrasse sehen konnte.

Als er eintrat lagen sofort 5 Augenpaare auf ihm, sodass er erst einmal schlucken musste.

»Verzeihung. Ich… ich habe David noch die Aufgaben vorbei gebracht. Er war heute krank. Auf was haben Sie Hunger?« fragte er förmlich, wie es von ihm verlangt wurde, wenn Besuch zugegen war. Er wurde mit strengem Blick gemustert.

»Wieso bist du noch angezogen?«

Kris zuckte erneut zusammen, sah dem Älteren dann in die Augen und erkannte sofort, dass sein Vater einen Schub hatte.

Seine Augen waren dunkel umwölkt und bitter kalt.

Deswegen dieses Gelage hier.

Scheiße!

»Ich…-«

»Zieh dich aus und mach das Essen fertig, dann will ich das du hierher zurück kommst und uns ein wenig Gesellschaft leistest.« ordnete er mit gewohntem Befehlston an und deutete auf den Tisch, wo die Pokerkarten lagen. »Ich bin am Gewinnen.«

»Ja, Sir.«

Automatisch setzte der Dunkelhaarige sich in Bewegung um die Aufgaben zu erledigen. Doch er bekam sehr wohl die lüsternen Blicke, der anderen Männer mit, die nun ebenfalls ihre Karten aufnahmen und weiterspielten.

Er wollte hier weg!

Während er sich aus seinen Klamotten schälte, dachte er an Luca.

Was er wohl gerade machte?

Wie gerne wäre er jetzt bei ihm…

Er wollte nicht hier sein.

Er hatte solche Angst vor den gierigen Blicken der Männer… aber es waren nicht die Blicke,… vor allem andere Körperteile machten ihm Angst.

Ohne darüber nachzudenken, schnitt er Gemüse, Kartoffeln und Hackfleisch in eine Auflaufform, rührte Soße an und goss diese darüber; schließlich legte er noch Käse drauf und schob das Ganze in den Ofen.

Fertig…

Ob das nun gut oder schlecht war?

Er stellte den Kurzzeitwecker und ging unsicher zurück ins Wohnzimmer, wo die Männer noch immer mit ihrem Spiel beschäftigt waren. Kaum hatte ihn sein Vater bemerkt, wurde er auch schon am Handgelenk auf den Schoß des Mannes gezogen. Dort saß er nun… breitbeinig…

Immer noch nackt.

Beschämt blickte Kris auf den ramponierten Couchtisch, der schon viele Kratzer hatte. Er ertrug die wertenden Blicke auf seinem Körper. Und ihm wurde bewusst, dass er heute besser keinen Schritt mehr von der Seite seines Vaters wich.

Er konnte die Lust förmlich riechen-…

Wahrscheinlich war es besser sich heute alle allein Gänge zu verkneifen und nicht mal aufs Klo zu gehen. Sonst würde das wohl übel für ihn enden.

Die Anderen waren heute alle schon ziemlich angetrunken, ein Grund mehr sich von ihnen fern zu halten. Das jedenfalls sagte sein Instinkt.

Und er traute diesem…

Schon immer war das die einzige Konstante auf die er sich in seinem Leben verlassen konnte.

Kris wusste genau, dass fast alle „Freunde“ seines Vaters entweder die gleichen Vorlieben hatten wie er oder pädophil veranlagt waren. Ansonsten wären sie nicht hier.

In dieser Runde gab es keinen Einzigen, der ihm noch nicht – bei einem seiner Besuche – anzüglich die Oberschenkel oder den Po gestreichelt hatte.

Schon alleine bei dem Gedanken hätte er sich übergeben können.

Nur am Rande bekam er die Gespräche und das Gejohle der Betrunkenen mit. Er selbst saß wie ein Ausstellungsstück auf den Schoß seines Vaters und ließ sich begaffen.

Bis der Kurzzeitwecker schrillte.

Hatte er wirklich schon so lange hier gesessen?

Schnell stand er auf, nuschelte eine »Entschuldigung…« und hetzte in die Küche.

Dort angekommen nahm er den Auflauf aus dem Ofen und richtete ihn auf Tellern an.

Dann bestücke er das Tablett und sah sich noch einmal um.

Ihm sollten heute besser keine Fehler unterlaufen, wenn sein Vater wirklich einen Schub hatte… vor allem da auch noch Besuch da war.

Als er die Schürze über der Lehne des Stuhls entdeckte, nickte er und legte sie sich um.

Das konnte ihm doch keiner verdenken oder?

Ihm war einfach nicht danach den ganzen Abend angestarrt zu werden. So war es auch nicht unbedingt weniger peinlich, aber zumindest was die blaue Schürze blickdicht.

Kris trug das Tablett rüber, deckte den Tisch ein und wartete dann artig, bis die angebrochene Spielrunde beendet wurde, ehe er zum Essen rief.

Das war für ihn die beste Zeit, da jeder der Gäste, inklusive sein Vater, beschäftigt waren und er sich immer wieder in die Küche zurückziehen konnte.

In besagtem Raum stand er nun auch und blickte aus dem Fenster in den kleinen Vorgarten.

Nicht zum ersten Mal fragte er sich, wie sein Vater das Haus halten konnte, obwohl er nicht arbeiten ging (wozu er nicht mal in der Lage wäre).

Aber das ging ihn nichts an.

Seine Gedanken schweiften weiter weg.

Zu seinem neuen Schulleben, über David zu Luca und schließlich zu der Gang, die ihn seit dem Vorfall im Umkleideraum akribisch mied. Vor allem wenn der Gothic in der Nähe war.

Erstaunt stellte der Dunkelhaarige fest, dass es ihm, trotz der Angst und der Ungewissheit was heute noch geschah, eigentlich doch gut ging.

Er war das erste Mal zufrieden und irgendwie beruhigt.

Und das alles seit Luca in sein Leben getreten war…

Wie konnte ein einzelner Mensch nur alles so auf den Kopf stellen?

Vor allen Dingen mit dieser Leichtigkeit.

Ihm schien nicht einmal Ansatzweise klar zu sein, wie besonders er eigentlich war.

Sanft lächelte er und spielte mit dem Band der Schürze, welches um seinen Bauch gewickelt war.

Ob das Angebot wohl morgen noch galt?

Er würde wirklich gerne noch einmal mit zu Luca.

Er hatte sich trotz der schrecklichen Umstände beim ersten Mal dort so geborgen gefühlt.

In seine Gedanken versunken, bekam er den Mann, der sich hinter ihn geschlichen hatte nicht wirklich mit. Erst als zwei besitzergreifende Arme seinen Körper an einen anderen pressten, versteifte er sich unwillkürlich.

Oh Himmel, bitte nicht das auch noch!

»Lange nicht mehr gesehen, Kleiner…« wurde ihm heiser ins Ohr gehaucht. Neugierige Hände betatschten seinen Körper und griffen ihm dreist in den Schritte. »Dein Vater lässt ausrichten, du sollst das Dessert servieren.«

»O…okay…« sagte Kris und versuchte nicht auf die Hand an seinem Geschlecht zu achten.

Schnell schob er sich an den Älteren vorbei und versuchte sich wieder in den Griff zu bekommen. Er durfte dem Mann seine Angst nicht zeigen!

Das wäre so ziemlich das fatalste.

Mit zittrigen Händen nahm er die Kompottschälchen aus dem Schrank.

Was sollte er jetzt auf die schnelle noch zusammenrühren?

Am besten so ein Tütendessert… Paradiesspeise oder wie das hieß, entschied er sich schnell und begann die Utensilien zusammen zu sammeln ohne etwas zu bemerken.

Den lüsternen Blick auf seinen nackten Hintern versuchte er zu ignorieren.

Konnte der Typ sich nicht verziehen und ihn in Ruhe arbeiten lassen?!

Doch das hatte der anscheinend nicht vor, denn plötzlich wurde der Dunkelhaarige herumgewirbelt und gegen die Anrichte gedrückt.

»Wenn du mich fragst hat das scheiß Dessert noch Zeit…« zwinkerte der nun verschwörerisch.

Kris setzte augenblicklich der Herzschlag aus…

Nein!

Was sollte er denn jetzt tun?

Sein Rücken wurde hart gegen die Kante der Anrichte gedrückt und er spürte die deutliche Erhebung an seinem Bein.

Blinde Panik stieg in ihm auf…

Nicht schon wieder!

Warum war er überhaupt alleine in die Küche gegangen?

Hatte er nicht die ganze Zeit bei seinen Vater bleiben wollen?!

Irgendwie war er ja selber schuld an seiner jetzigen Lage, wäre er auf den Schoß seines Vaters sitzen geblieben und hätte die Blicke ertragen, wäre er jetzt noch in Sicherheit…

So allerdings nicht.

Hektisch versuchte er seine Gedanken zu sortieren.

Er musste irgendwie weg…

Auf seinen Vater konnte er sich nicht verlassen, er war total betrunken und auch aufgrund seines Geisteszustandes würde er so schnell sicher nicht bemerken, dass einer seiner Gäste weg war.

Was sollte er nur tun?!

Immer mehr ergriff die Panik von ihm besitz und vernebelte seinen Verstand.

Kris drehte den Kopf weg, als das bärtige Gesicht seinem zu nahe kam. Das hatte zur Folge, dass die Zunge seinen Hals und nicht den Mund traf.

Er roch den Alkohol und die Zigaretten und spürte wie der Ältere an seinem Hals herumleckte.

Er wollte hier weg!

Sofort!

Doch er war gefangen, bei jeder Bewegung wurde er nur noch grober gegen die Küchenanrichte gedrückt, was ihn schmerzhaft auf keuchen ließ.

Er war nur durch die dünne Schicht Stoff der Schürze von dem Körper des Anderen getrennt. Dieses Wissen löste eine nie da gewesene Übelkeit in ihm aus.

Jetzt konnte er die Erregung deutlich spüren… der Mann rieb sich gierig an seinem Oberschenkel.

Der Dunkelhaarige schloss die Augen und presste die Lippen zusammen.

Warum war er nur so dumm gewesen?

»Bitte ich… ich muss doch - «

»Fass mich an.« wurde er heiser unterbrochen.

»Aber ich muss…« begann er erneut, wurde dieses Mal aber von einer Hand unterbrochen, die sich auf seinen Mund legte. Hektisch schnappte er nach Luft, doch es kam nicht mehr viel bei ihm an.

»Du machst gefälligst das was ich dir sage…« wurde ihm ins Ohr geflüstert. »Dein Vater wird nichts merken, oder willst du das etwa? Soll ich ihm von unseren kleinen Abenteuern erzählen?«

Schnell schüttelte er den Kopf.

»Na also… los! Ohne Wiederworte…«

Kris zitterte. Seine Panik schlug bedenklich große Wellen und raubte ihm die wenige Atemluft die er noch hatte. Ihm wurde schwindlig.

Der Geruch, diese Hand und vor allem der fremde Körper, weckten Erinnerungen, die er so tief vergraben hatte. Diese schlugen nun mit der Panik über ihm zusammen und ließen ihn gegen die Hand wimmern. Schwarze Punkte platzten vor seinen Augen und er befürchtete jeden Moment in Ohnmacht zu fallen.

Er roch Aftershave und Schweiß.

»Jetzt mach oder soll ich nachhelfen?«

Ohne nachzudenken streckte er seine zitternde Hand nach dem Mann aus. Er versuchte alles um nicht darüber nachzudenken was er da tat.
 

»KRIS WO BLEIBT DAS DESSERT!!« unterbrach die Stimme seines Vaters plötzlich seine Qual. Der Angesprochene fuhr zusammen, doch der Andere dachte gar nicht daran seine Aktivitäten einzustellen. Er schien kurz davor zu sein.

»Ich… einen Moment noch! Gleich fertig!« rief er zurück und versuchte das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen.

Die Ironie seiner Worte wurde ihm im gleichen Moment bewusst. In einer anderen Situation wäre es beinah lustig gewesen…

So jedoch.

Ein letzter heftiger Stoß folgte, der ihn nach oben katapultierte.

Sein Kopf kollidierte mit der Schrankkante und schickte einen schwindelerregenden Schmerz durch seinen Körper.

Er hörte das Stöhnen an seinem Ohr und spürte wie der dicke Körper vor ihm erzitterte.

Dann wich der Mann zurück, schloss die Hose und ging zur Tür.

Kris sank schwach auf den Küchenboden und versuchte seine Sinne wieder zu sortieren.

»Ich freu mich schon auf nachher…« nahm er die leisen Worte des Anderen nur halb war, ehe Dieser aus der Küche verschwand.

Einige Sekunden saß der Dunkelhaarige noch wie paralysiert auf den Boden, dann jedoch sprang er auf, riss die Schranktür, hinter der sich der Mülleimer befand, auf und erbrach sich geräuschvoll.

Alles was er in der Schule zusammen mit Luca gegessen hatte, landete nun in der Plastetüte.

Ein erneutes Zittern durchlief ihn und noch ein Schwall Erbrochenes folgte dem Ersten.

Als Kris das Gefühl hatte, das nichts mehr nachkommen würde, knallte er die Schranktür wieder zu und spülte sich den Mund aus.

Danach rührte er geistesabwesend das Dessert für die Männer an, die er im Wohnzimmer wieder grölen und lachen hörte.

Es dauerte nur wenige Minuten, danach füllte er die braune Masse in die Schälchen, und drapierte sie auf dem Tablett um sie hinüber zu tragen.

Seit langem war es ihm vorher so schwer gefallen das Wohnzimmer zu betreten.

Vor der Tür schnappte er ein paar Mal hektisch nach Luft, aber ihm war klar, dass er es musste.

Er musste…

Mit steifen Bewegungen und unendlicher Angst stieß er die Tür auf und trat ein.

Sofort steuerte er auf den Tisch zu und begann abzuräumen und das Dessert zu servieren; dabei versuchte er alles um ihn herum zu ignorieren.

»Das wurde aber auch Zeit!«

»Verzeihung, Sir.«

Kris stellte die letzte Schüssel ab und versuchte jeden Blickkontakt mit den dreckig Grinsenden zu vermeiden. Er widerte ihn an.

Wie konnte ein Mensch nur so grausam sein?

Warum taten sie ihm das an?

Was hatte er denn nur verbrochen?

Mit diesen trüben Gedanken türmte er das dreckige Geschirr auf das Tablett, sich der Blick des Mannes, der neben ihm auf dem Stuhl saß wohl bewusst.

»Sag mal Junge, was hast du eigentlich gemacht?« riss ihn plötzlich die Frage seines Vaters aus seinem tiefen Gedankenstrudel.

Er blickte kurz auf.

»W- was meinen Sie?«

Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken, als er sah auf was sein Vater zeigte.

»Du bist von oben bis unten eingesaut…«

Plötzlich fühlten sich seine Beine sehr wacklig an. Er hatte wirklich kurzzeitig das Gefühl gleich zusammenzubrechen.

»Ich… ich habe…die Milch hat ein wenig gespritzt… ich hab das Rührgerät zu weit … rausgehalten…« stotterte er und musste wieder über die Ironie der Worte innerlich schreien.

Ihm wurde augenblicklich wieder schlecht.

Neben ihm gluckste der angebliche Freund seines Vaters belustigt.

Und in dem Moment wallte die Schwärze erneut in Kris auf.

»Soso… na dann sie den Lappen aus und komm wieder her, wenn du das Geschirr in die Küche gebracht hast« befahl sein Vater streng.

Er schien nichts zu bemerken.

Wie auch?

Er sah noch abwesender aus als eine halbe Stunde vorher, wenn das überhaupt möglich war.

»Ja, Sir…« antwortete er artig und hob das Tablett hoch.

»Soll ich dir tragen helfen, Kleiner?« säuselte ihm jemand scheinheilig ins Ohr.

>Nein!« kam es sofort von Kris. Er hatte nicht einmal registriert wer das gesagt hatte… seine sämtlichen Sinne waren vernebelt und sein Körper fühlte sich hölzern an. In den seinen Ohren rauschte es und sein Magen wollte wieder rebellieren. »Danke.« schob er schnell noch nach.

Dann wand er sich vom Tisch ab und ging fast schon fluchtartig auf die Zimmertür zu.

Als er an dem einen Stuhl vorbei ging, neben dem er gerade noch gestanden hatte, spürte er die große Hand, die sich kurzzeitig auf seinen nackten Po legte und dann hineinkniff.

Kris zuckte, ging aber unbeirrt weiter.

Als er aus dem Wohnzimmer hinaustrat, fiel all die Anspannung von ihm ab.

Wie ferngesteuert ging er in die Küche, räumte das schmutzige Geschirr vom Tablett in den Geschirrspüler ein und säuberte dann die Anrichte und den Herd.

Als es so aussah als hätte er hier nie gekocht, ging er ins Bad und warf die Schürze in die Wäsche. Kurz überlegte er ob er duschen gehen sollte.

Er fühlte sich so dreckig…

Aber eigentlich war ihm das Gefühl nicht mehr so fremd… außerdem würde er jedem der hier hineintrat alles auf einen Silbertablett präsentieren!

In diesem Haus konnte man kein Zimmer abschließen.

Also ging er leise nach oben und bog in sein Zimmer ein, das genau neben dem Treppenabsatz lag. Mit weichen Knien steuerte er auf die Matratze zu, die vor dem Fenster auf dem Boden lag.

Dort rollte er sich zusammen und erst jetzt konnte er weinen.

Und das tat er.

Bis er keine Tränen mehr übrig hatte.
 

»HIER BIST DU , DU NICHTSNUTZIGER BENGEL!«

Sofort in vollster Alarmbereitschaft sprang Kris auf und stand mit einem Satz mitten in seinem kleinen Zimmer. In der Tür stand sein Vater.

Seine Haltung war aggressiv, seine Augen glasig und irre funkelnd und an seinem Hals pochte eine dicke Ader.

Oh Himmel, nein…bitte nicht!

»Ich bin… ein – geschlafen, Sir. Es tut mir leid ich…-«

»DU SOLLTEST SOFORT WIEDER ZU MIR KOMMEN! SING ICH ODER WAS?«

Der Dunkelhaarige trat ängstlich einen Schritt zurück. Die Wut Mannes füllte den ganzen Raum aus und war erschreckend und explosiv.

»N – nein… ich -«

Mit zwei großen Schritten war der wutentbrannte Mann bei ihm angekommen und packte seinen Arm, ehe er ihn hinter sich herzerrte.

»Du gehst jetzt sofort in die Küche und machst Kaffee oder ich vergesse mich!«

Müde und immer noch nackt stolperte Kris seinen Vater hinterher.

»Los jetzt!«

Er zerrte den Kleineren die Treppe hinunter und stieß ihn Augenblicke später durch die offene Küchentür.

»Schnell! Und dann kommst du SOFORT rüber verstanden?«

»Sir…-«

»VERSTANDEN?«

»Ja, Sir.«

Sofort machte er sich daran den Kaffee aufzusetzen und den gestern vorbereiteten Kuchen auf Teller anzurichten.

Sein Herz schlug immer noch im Rekordtempo und beruhigte sich nur sehr langsam.

Wie hatte ihm denn das nur passieren können?

Wie bescheuert war er eigentlich?

Was für eine Frage!

Sehr natürlich!

Wie hatte er sich gehen lassen können?

Das durfte er nicht! ...

Er war nichtsnutzig, dumm, ein Jammerlappen –

Einfach nichts wert.

Für Niemanden.

Wieder einmal ließ sich Kris von seinen schwarzen Gedanken betäuben und einhüllen.

Es war wie eine unsichtbare Käseglocke, die sich über ihm senkte.

Doch sie war pechschwarz und begrub alles, was ihn ausmachte unter sich.

Es waren die Gedanken, die er so sehr fürchtete.

Die schlimmen, dunklen Gedanken die sich in einer Spirale steil nach unten drehten… und es gab nur eine Richtung. Wenn man sich nicht befreite, dann war es zu spät.

Und gerade hatte er keine Kraft etwas dagegen zu unternehmen, als er bemerkte wie diese Gedanken ihn mit sich in die Tiefe rissen.

Sein Körper funktionierte nur noch, folgte Aufforderungen, übernahm aufgaben, ohne das sein Geiste auch nur ansatzweise am gleichen Ort war.

Nur am Rande bekam er mit wie sein Vater, als er im Wohnzimmer ankam, ihn in diese demütigende, hockende Position brachte und seine Beine auf den zierlichen Rücken des Dunkelhaarigen ablegte.

Das war also seine Strafe.

Schon nach wenigen Minuten begann sein Rücken stark zu schmerzen. Seine Arme und Beine zitterten bedenklich.

Doch er sagte nichts, bewegte sich kein Stück und versuchte sich mit dem Schmerz daran zu erinnern, dass er am Leben war…

Irgendwie.

Aber die Spirale drehte sich weiter.

Erst als, dass verspätete Vesper der Männer vorbei war, durfte Kris aufstehen und abräumen. Er wusste nicht mehr wie lange er gehockt hatte, jede Sekunde war ihm wie eine Stunde vorgekommen… seine Arme jedenfalls konnten das Gewicht des Tabletts kaum tragen.

So verging der Nachmittag und der Abend brach an.

Je mehr Zeit verging umso abwesender fühlte sich Kris.

Es war als beobachte man sich von außen. Immer tiefer und schwärzer wurden seine Gedanken.

Immer mehr wurde es ihm egal, wenn große Hände ihn streichelten und anfassten.

Warum sollte er sich wehren?

Es nahm sich doch so wieso jeder was er wollte.

Also…

Das Abendbrot war bereits vorbereitet und auf dem Tablett gestapelt, als die Tür zur Küche aufging. Es war so weit…

Kris spürte die Präsenz des Mannes, der nicht sein Vater war sofort, reagierte aber nicht darauf. Ihm war vollkommen klar was passieren würde und ändern konnte er es nicht.

Es war nur logisch das heute jeder von den Vieren seinen Spaß haben wollte, wenn sein Vater abgelenkt genug war. Er hatte also schon beinah damit gerechnet.

Er hörte die gesäuselten Worte des Mannes, verarbeitete sie aber nicht.

Wozu auch?

Es war immer das gleiche…-

Der Dunkelhaarige ließ sich wie eine leblose Puppe auf den Stuhl stoßen und folgte allen Ambitionen und Anweisungen die er bekam.

Er dachte nicht. Er fühlte nicht. Er war nicht mehr.

Und das war gut so.

Kris spürte wie an seiner Ersatzschürze herumgezerrt wurde, die er sich vorhin umgelegt hatte um seinen nackten Körper bei der Küchenarbeit wenigstens etwas zu schützen.

Der wenige Stoff wurde nach oben gezerrt… ihn ins Gesicht geknallt, sodass er nur noch weinrot sehen konnte. Er selbst wurde auf den Tisch gehoben, die Beine weit gespreizt.

Er war nichts…

Nur eine Puppe.

War er denn zu nichts anderen zu gebrauchen?

War er nicht liebenswert?

Wer sollte ihn schon lieben?

Er keuchte unterdrückt, als er den fremden Finger spürte, der versuchte seinen engen Muskel aufzubrechen und genoss den ziehenden Schmerz schon fast.

Ja… das war wohl alles in seinem Leben.

Weil es keinen Sinn hatte.

Er hatte keinen Sinn.

Alles war sinnlos, weil ihn keiner mochte…

Mochte?

War da nicht irgendwas?

Und urplötzlich, während er zitternd da lag und die Finger ertrug, die gierig seinen Körper eroberten, brach die schwarze Hülle um ihn auf.

Unter simplen Wörtern, die aber so mächtig waren, dass sie sich in seinem Gehirn eingebrannt hatten. Sie hallten in seinem Schädel wieder und schienen von den Knochen darin immer wieder zurückgeworfen zu werden wie ein nicht enden wollendes Echo.

Aber Es gibt Menschen die dich mögen. Wirklich… du musst nur deine Augen weiter aufmachen, dann erkennst du sie. David und ich mögen dich. Und es gibt sicherlich noch mehr…Ich hasse dich nicht. Auch wenn du mal schwach bist, hasse ich dich nicht, okay? Du bist ein toller Mensch. Egal was andere sagen.

Den Geschmack den sie zurückließen war Kupfern und fremd. Etwas Neues…

Und dann tauchte sein Gesicht auf und Kris erwachte völlig aus seiner Starre.

Er musste hier weg!

Er musste zu ihm!

Ein Ruck ging durch seinen Körper und dann stand er auch schon mitten im Raum.

Hätte ihn jemand gefragt wie er das gemacht hatte, oder was genau, er hätte nicht antworten können. Er wusste nur, dass er das schmerzerfüllte Stöhnen des Älteren hörte und die Flucht nach vorne antrat. Er rannte einfach.

Im Vorbeilaufen hörte er seinen Vater irgendetwas brüllen, aber er konnte nicht sagen ob es für ihn bestimmt war… er blieb auch nicht stehen um es herauszufinden.

Ungeachtet der Tatsache, dass er weder Schuhe noch richtige Kleidung trug stürmte er aus dem Haus und auf die Straße und lief.

Es gab nur zwei Menschen zu denen er gehen konnte… und einer dieser beiden, wichtigen Menschen fiel aus rein gesundheitlichen Gründen schon einmal aus…

Das hieß es gab nur einen Ort, wo sein Herz ihn hinführte.
 

Erst als er vor Lucas Tür stand, wurde ihm bewusst was er da zutun gedachte.

Er würde halbnackt bei Luca klingeln.

Aber er musste doch…

Zögerlich stand er noch ein paar Minuten unschlüssig vor der Tür und trat von einem Bein aufs andere; spürte wie jede Windböe ihm eine Gänsehaut über die nackte Kehrseite jagte.

Was sollte er nur tun?!

Die Antwort wurde ihm von den Leuten abgenommen, die vereinzelt noch auf der Straße unterwegs waren. Sie gafften ihn an.

Wie auch nicht?

Wahrscheinlich überlegten sie ob er exhibitionistisch veranlagt war und was er dann vor einem so stilvollen Haus trieb.

Allen Mut zusammenkratzend klingelte er schließlich doch und trat dann ein wenig zurück.

Was sollte er nur sagen?

Wie würde der Gothic reagieren?

Würde er ihn auslachen? Wegschicken? Ausfragen?...-

Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als die Tür geöffnet wurde und er die ihm schon so vertraute Stimme hörte:

»Wurde ja auch Zeit, s -«

Der Rothaarige brach ab, als er sah wer da vor ihm stand.

Seine dunkelumrahmten Augen weiteten sich und seinem Gesicht entfielen alle Ausdrücke.

Er sah schlicht weg schockiert aus.

Kris stand bibbernd auf der Treppe in dem gepflegtem Vorgarten und fühlte sich hilflos und ausgeliefert. Was würde der Andere jetzt tun?

Schüchtern blinzelte er durch seine Haarsträhnen, die dem Himmel sei Dank sein errötetes Gesicht bedeckten, und sah den Größeren an.

Noch immer bewegte der sich nicht.

Aber seine Erscheinung war ihm schon so vertraut. Als würden sie sich schon Jahre kennen.

Alles was sich verändert hatte, war das Fehlen des wallenden Mantels. Luca war nur in einem T – Shirt und einer Jogginghose an die Tür gekommen. Jetzt sah man erst seine Figur…

Kris war sich sicher noch nie einen schöneren Menschen gesehen zu haben.

Alles an ihm wirkte passend…

Fast perfekt.

»Kr – Kris?« würgte der nun hervor. »Was…?«

Das reichte.

Alle Hemmung fiel von ihm ab, alle Angst und alles Dunkle.

Ein fester Knoten bildete sich in seinem Hals und die Augen brannten und ehe er es verhindern konnte brach er vor Luca in Tränen aus.

»Scheiße, was ist denn mit dir passiert, Kleiner…?«

Die Fassungslosigkeit war deutlich aus der warmen Stimmer herauszuhören.

Kris schluchzte nur.

Er wollte nur noch zu ihm… durfte er?

Und als hätte der Rothaarige seine Gedanken erraten, trat er einen Schritt über die Schwelle und berührte Kris Schulter sacht.

»Komm her.«

Sofort stürzte sich der Dunkelhaarige vorwärts in die starken, schützenden Arme und klammerte sich an dem Menschen fest, der ihm in so kurzer Zeit so wichtig geworden war.

Er spürte das Zusammenzucken des Anderen, wahrscheinlich als er merkte, dass der Jüngere wirklich nackt unter der Schürze war.

Kommentarlos wurde er ins Haus gezogen und kurze Zeit später in eine warme Wolldecke eingewickelt. Dann bugsierte ihn Luca in das ihm bekannte Wohnzimmer.

»Und…- Wer issen das?« drang plötzlich eine fremde Stimme an seine Ohren, unter der Kris wie unter einem Peitschenhieb zusammenfuhr.

Instinktiv klammerte er sich fester an den Gothic.

»Erklär ich dir später. Tust du mir nen Gefallen, setz mal Tee auf, ja? Lucie kannst du was zu anziehen holen?«

Es folgte zustimmendes Gemurmel, dann wurde Kris auf die Couch gedrückt.

Als Luca aufstand und sich von ihm lösen wollte, heulte er auf und klammerte sich mit aller Kraft an ihn.

Er durfte nicht gehen!

Er brauchte ihn!

Jetzt!

So sehr…

»Shhht. Kris beruhig dich… ich will doch nur…«

»Geh nicht weg!«

Er konnte nichts gegen die Verzweiflung in seiner Stimme machen. Auch nichts gegen den Drang sich fester an den Ärmel zu klammern.

Luca war doch alles, was er im Moment hatte…

Wenn er ging musste er zurück zu…-

Nein!

Er hörte den Anderen seufzen und spürte wie er sich wieder näherte.

»Beruhig dich doch. Alles gut, ich bleib hier. Du bist nicht alleine.«

Der Dunkelhaarige wurde in die Arme gezogen, die ihn schon vertrauter waren als die seines eigenen Vaters. Schutzbedürftig schmiegte er sich an.

»Du bist völlig ausgekühlt, Kleiner. Was ist denn passiert? Wieso stehst du nur mit ner Schürze bei mir vor der Tür?«

»Ich…- ich…«

Die Tür flog krachend auf.

»Hier ist der Tee!«

Wieder zuckte Kris heftig zusammen, krallte sich fester an den Größeren und konnte ein Wimmern nicht unterdrücken.

»Ganz ruhig, Kris.« flüsterte Luca beschwichtigend, bevor er sich an den Dritten im Raum wandte. »Geht das nich leiser, Ben?...- Goth noch mal!«

»Sorry…«

»Danke für den Tee, stell ihn erst Mal auf den Tisch und geh hoch, ja?«

»Aber der - «

»Ich erklär es dir später… bitte. Und sag den Anderen Bescheid, dass sie nicht kommen brauchen. Planänderung.«

»Sicher?«

»Sicher.«

»Okay.«

Dann war der Fremde verschwunden.

Kris drückte sich weiter verstört an Luca. Was war das denn?

Ehe er sich bewegen konnte, geschweige denn einen klaren Gedanken fassen, ging die Tür erneut auf.

»Hier die Klamotten.« hörte er dieses Mal eine Mädchenstimme.

»Danke.«

»Ich lass euch dann mal wieder alleine, bis später…«

Und schon war sie wieder weg.

Warum waren so viele Menschen hier?

Das letzte Mal war das doch anderes gewesen…

Kris atmete ein paar Mal zittrig aus und ein. Sein Körper entkrampfte sich etwas und auch das stete Beben ließ ein wenig nach.

Luca kraulte sanft seinen Nacken. Eine Aktivität die durch seinen Körper eine angenehme Wärme schickte.

»Sorry. Ich hatte bis eben Besuch… ich wusste ja nicht, dass du herkommst.« sagte er dann leise und strich dem Jüngeren durchs Haar. »Na komm, zieh dir erst einmal was an und trink den Tee, ja? Damit du wieder warm wirst.«

Kris gehorchte zögernd.

Erst als er in den Sachen steckte, die alle so sehr nach Luca rochen, fühlte er sich wieder mehr wie er selber… er nahm die Tasse auf und trank vorsichtig einen Schluck warmen Tee ab.

Der Rothaarige nickte zufrieden und betrachtete ihn undefinierbar von der Seite.

Aber das störte Kris nicht… jetzt da er wieder Sachen am Leib trug, konnte er den Blick ertragen. Auch wenn diese Kleidungsstücke viele Nummern zu groß waren… es fühlte sich so gut an.

»Willst du darüber reden?«

Verhemmt schüttelte er den Kopf und starrte in seine Teetasse.

Wie sollte er das denn auch erklären?

Er wollte nicht das Luca erfuhr das…-

Er würde ihn hassen und abstoßend finden und wahrscheinlich nie wieder mit ihm reden.

»Na gut.« seufzte Luca und schob ihn sanft von sich weg.

Kris sah ihn verzweifelt an.

Er würde so gerne weiter in seinen Armen bleiben… doch er hatte ihn jetzt bestimmt verärgert.

Es war nur logisch das er wissen wollte was passiert war, dass würd er selber ja auch wollen.

Noch ehe er die richtigen Worte fand um sich zu entschuldigen und angemessen dafür zu bedanken das er ihm hier einen Platz gewährte, war der Ältere von der Couch aufgestanden.

Doch bevor in ihm wieder die Panik hervorbrechen konnte, hatte sich Luca über ihn gebeugt und strich ihm sanft über die bebenden Lippen.

»Ganz ruhig. Ich werde jetzt hochgehen und kurz was klären… ich wohne nämlich nicht alleine hier. Aber ich bin gleich wieder da. Du bleibst hier sitzen und zählst bis 20 okay? Wenn du fertig bist, bin ich wieder hier und dann sehen wir weiter.«

Nein!

Er durfte doch nicht einfach gehen!

»Okay, Kris?!«

Nein es ist nicht okay!, dachte der Dunkelhaarige und nickte.

»Bis gleich.«

Und dann waren die Hand und sein einziger Anker weg.

Es war ein Gefühl als würde man fallen ohne sich zu bewegen.

Ein leises Ziehen in der Bauchnabelgegend. Ähnlich dem Gefühl wenn man träumte man falle…

Und er hasste dieses Gefühl.

Um sich von den Gedanken abzulenken, die nun wieder in ihm aufzusteigen drohten, begann er wirklich zu zählen und dachte dabei an Luca.

Was er wohl jetzt machte?

Ob er seinen Besuch jetzt wegen ihm rausschmiss?

Dann war er doch sicher sauer, oder?

Nicht nur das er hier unangemeldet reingeplatzt war… er hatte ja auch noch immer nicht erklärt warum er eigentlich fast nackt bei ihm vor der Tür gestanden hatte.

Eigentlich konnte er froh sein, wenn Luca überhaupt wiederkam…

12

Was würde passieren, wenn er ihm wirklich alles erzählte?

Ihm und David.

Würden sie ihm helfen können?

Ob sein Vater wieder eingewiesen werden würde?

Vorstellbar…

Doch glaubhafter war die andere Möglichkeit, die sich in seine Überlegungen drängte.

Sie würden ihn angewidert anschauen, sich von ihm abwenden und nur noch eine Freundschaft zu zweit fortsetzten und dann wäre er wieder ganz alleine.

Wenn er an die Zeit dachte, bevor David ihn gefunden hatte, waren da nur noch schwarze Schemen des Schreckens.

Damals war er kurz davor gewesen sich etwas anzutun.

Da waren nur diese trüben Gedanken und die schwarze Spirale gewesen … und natürlich sein Vater, der mit seinen schwankenden Gesundheitszustand sein Leben bestimmt hatte.

David war ihm wie ein Engel erschienen.

Er war einfach aufgetaucht und hatte ihm seine Hand und damit eine Freundschaft angeboten ohne irgendeine Gegenleistung zu verlangen.

Ähnlich wie der Gothic jetzt…

Doch theoretisch hatte Luca nie angeboten ihr Freund zu sein, sondern war es einfach.

Als hätte er nur darauf gewartet.

Er hatte nie gefragt: Hey wollen wir Freunde werden?

Sondern er hatte sich einfach so benommen wie ein wahrer Freund und hatte ihnen geholfen.

So oft.

18

Ob er hoffen konnte?

Hatte er wirklich noch einen Freund gefunden? War es wirklich möglich?

Kris konnte das alles irgendwie nicht glauben…

Erst hatte er so lange gewartet… und jetzt sollte er gleich zwei Menschen haben die ihn mochten und so nahmen wie er war?!

Das war unfassbar!

Unfassbar wunderbar!

Und dann war da noch…-

»So. Alles erledigt.« hörte er Lucas stimme. Verblüfft wandte er sich um und sah wie der Gothic mir einer Schüssel auf ihn zukam. Diese stellte er vor die Couch ab. »Hier deine Füße tun sicher weh… mein Haus ja nicht gerade um die Ecke von dir.«

In der Schüssel wabberte grünlich schimmerndes Wasser vor sich hin.

Zögerlich gehorchte Kris und steckte erst prüfend einen großen Zeh hinein, ehe er seufzen seine Füße eintauchte. Das tat wirklich gut…

Er schloss die Augen und hörte wie Luca sich durch den Raum bewegte.

Er war wieder da… er war wirklich zurückgekommen…

»Hast du Hunger?«

Unsicher öffnete er seine Augen wieder. »Ich… du musst nichts für mich machen.«

»Das war nicht meine Frage.«

»Ich weiß… aber wirklich. Ich will keine Umstände machen!«

»Also hast du Hunger. Ich mach ne Pizza.«

Damit verschwand der Ältere kurzzeitig in der Küche, ließ die Tür aber auf, wofür Kris ihm sehr dankbar war. So konnte er ihn hören.

Langsam brach die Erschöpfung über ihn herein. Sein Tag war das reinste Chaos gewesen… vor allem an Gefühlen… er war so müde.

»Du siehst ziemlich fertig aus…« kam die Feststellung auch von seinem Freund, der plötzlich wieder neben ihm war. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass er aus der Küche zurück war.

Der Dunkelhaarige spürte wie sein Fuß aus dem Wasser gehoben wurde und zuckte leicht, als Luca begann diesen abzutrocknen.

Doch er ließ es zu.

»Hmm…«

Er genoss die Behandlung irgendwie…

Der Rothaarige schmierte noch etwas auf seine Fußsohle, ehe er ihm die Socke überstreifte und die gleiche Prozedur mit dem Anderen Fuß wiederholte.

Kris bekam immer weniger mit.

Immer wieder dämmerte er weg und erwachte erschrocken wieder, weil er dachte, eine Hand würde versuchen nach ihm zu greifen.
 

Den Rest des Abends herrschte Schweigen zwischen ihnen.

Es war dieses angenehme Schweigen, was man hat, wenn zwischen zwei Menschen alles gesagt wurde, was zu sagen war.

Natürlich war das hier nicht der Fall, aber trotzdem fühlte es sich so an.

Kris lag seitlich auf der schwarzen Couch, tief in einer Bettdecke eingekuschelt und den Kopf in einem Kopfkissen vergraben, welches nach Luca roch.

Seine Augen waren geschlossen, doch er war noch wach und lauschte mit halben Ohr dem eingeschalteten TV. Irgendein Actionfilm lief.

Luca hatte sich eine Decke auf den Boden ausgebreitet und saß nun vor der Couch, aß Pizza und schaute den Film an. Seine Hand hatte er ihm einfach überlassen, sie ruhte neben Kris auf den Kissen.

Er hatte seine Hände mit denen des Gothics verhakt und lächelte selig.

Kris andere Hand ruhte auf den verknoteten Fingern.

Nur dieser Kontakt, half ihm seine Halbschlafträume zu überwinden. Jetzt griffen keine dunklen, großen Hände mehr nach ihm und er konnte immer mehr in einen angenehmen Schlaf abdriften.

Irgendwann spürte er noch weit entfernt wie sich Luca bewegte.

Dann wurden ihm sanft die Augen abgeschminkt.

Entfernt dachte er daran wie schrecklich er ausgesehen haben musste. Von den ganzen Weinen war die Schminke sicherlich total verlaufen gewesen.

Doch diesen Gedanken konnte er nicht mehr weiter folgen…
 

Die erste Helligkeit des Tages weckte ihn.

Blinzelnd setzte er sich auf, sah sich um und rieb sich erst einmal die Augen.

Doch er wusste sofort wo er war.

Das verriet ihm schon der Geruch. Er hatte sich tief in sein Hirn eingebrannt.

Kris würde ihn garantiert unter Tausenden erkennen.

Patschuli.

Er erinnerte sich an den Abend. Wie immer wenn er an Stunden mit Luca dachte, wurde ihm augenblicklich wärmer. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.

Welches nicht einmal die Gedanken an die vorherigen Erlebnisse des vergangen Tages schmälern konnten…-

Er war hier bei Luca.

Der Dunkelhaarige stand von der gemütlichen Couch auf, räumte das Schlafzeug weg und begab sich dann ins Bad um zu duschen. Vielleicht konnte er Kaffee aufsetzten und den Älteren dann wecken?

Er würde sich bestimmt freuen.

Eilig vollzog Kris seine Morgenhygiene, zog sich fertig an und begann sich dann vor den Spiegel fahrig zu stylen.

Ihm war nicht klar ob Luca damit einverstanden war, dass er seine Sachen nahm.

Aber ganz ungeschminkt wollte er ihm nicht unter die Augen treten.

Nachdem er einigermaßen annehmbar aussah, entschied er sich die Hose wegzulassen. Er schwamm sowieso in den Klamotten des Älteren, da war es eigentlich egal ob er nur das T – Shirt und Shorts anhatte.

Er öffnete die Tür und war erstaunt als er bereits Kaffeegeruch wahrnahm.

War Luca etwa doch schneller gewesen?

Er trat in die Küche und sah sich nach seinem Freund um.

Aber was er sah, ließ ihn augenblicklich an die Wand zurückweichen.

In der Ecke, wo ein Esstisch stand – der ihm heute zum ersten Mal wirklich auffiel – stand Luca umringt von vier ihm unbekannten Personen.

Der Tisch war gedeckt und voll mit Blumen und Geschenken.

Und es machte klick.

Alles was er gestern Abend halb mitgehört hatte, ergab irgendwie einen Sinn…

Oh nein!

Luca hatte Geburtstag und er hatte ihm anscheinend seine Party gestern versaut.

Ein leises Wimmern schlich sich in seine Kehle.

Er war so wütend auf sich selbst.

Warum hatte er nicht viel früher einmal danach gefragt?

Warum hatte ihn das nie interessiert?

Luca war ihm doch so wichtig!

Er drückte sich noch weiter an die Wand, als sich fünf Augenpaare auf ihn richteten.

Anscheinend war sein Wehlaut nicht ungehört geblieben.

»Kris?<<

Die Spirale die sich abwärts dreht... hat dich ergriffen und ihr Sog, zieht dich hinunter in den Wahnsinn

Luca kam langsam auf ihn zu.

»Kris… ganz ruhig.«

Der Dunkelhaarige wich noch so weit zurück wie es möglich war… jetzt konnte er jede kleinste Erhebung im Putz spüren.

Kris wollte nicht dahin. Nicht hier sein.

Diese fremden Leute die ihn so ansahen wie der Eindringling, der er ja eigentlich auch war… sie machten ihm ein so ungutes Gefühl im Magen.

Die Blicke erinnerten ihn an gestern, als er so viel Aufmerksamkeit bekommen hatte. Auch wenn kein bisschen Gier in den Gesichtern stand.

Trotzdem.

Er war hier hereingeplatzt, in diese Familie. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihm da unbedingt gut gesonnen waren.

Schließlich hatte er nicht einmal nachgedacht.

Er war so egoistisch!

Warum hatte er denn nicht ausharren können?

Er hatte es doch auch schon Jahre zuvor ausgehalten… aushalten müssen!

Und das was sein schlechtes Gewissen erst recht zum Schreien brachte war Luca…

Dieser wundervolle Mensch war heute geboren worden und er hatte sich nicht dafür interessiert…

Krampfhaft versuchte er sich das Datum ins Gedächtnis zu brennen.

13 November.

Er hatte ja nicht einmal ein Geschenk!

Dabei hatte der Gothic ihm schon so viel gegeben!

Der Rothaarige hatte ihn in der Zeit seiner rasenden Gedanken nun erreicht.

»Hey… hör schon auf damit…« sagte er sanft und berührte seine Wange mit den Fingerknöcheln.

Erst jetzt bemerkte Kris, dass er unbewusst auf seiner Unterlippe herumgekaut hatte.

Er schmeckte Blut.

Unsicher blickte er in die Augen seines Gegenübers, die ihn liebenswürdig anblickten.

»Es tut mir sehr leid. Ich habe es extra nicht erwähnt… ich mag den ganzen Trubel einfach nicht. Aber meine Familie lässt sich nicht davon abbringen« lächelte er. » Komm bitte mit rüber ich möchte sie dir gerne vorstelle, okay? Und dann frühstücken wir erst einmal?«

Der Angesprochene nickte immer noch verunsichert.

Eigentlich wollte er das nicht.

Er war sowieso kein Frühstücksmensch… und selbst wenn er es wäre, jetzt fühlte er sich einfach zu miserabel um etwas zu essen.

Zu fremd… zu ungewollt…

Wobei er das Gefühl ja eigentlich gewöhnt sein müsste.

Konnte man sich an so etwas gewöhnen?

»Keine Bange, das Beißen haben sie sich schon lange abgewöhnt.«grinste Luca und zog ihn von der Wand und mit sich auf den Tisch zu.

Die Andren hatten sich bereits wieder gesetzt. Nun war die Aufmerksamkeit wieder komplett auf ihn gerichtet. Ein Schauer jagte Kris über den Rücken.

Dann kamen sie auch schon vor dem vollgedeckten Tisch zum Stehen.

»Darf ich euch vorstellen, das ist Kris. Der Klassenkamerad von dem ich erzählt habe.«

Ihm wurde freundlich zugenickt. Dann begann Luca damit der Reihe nach die Anderen vorzustellen.

»Das hier ist meine Tante Rena. Ihr gehört das Haus und alles sonst…« erklärte er und deutete auf eine stylisch gekleidete, taff aussehende Frau mit weißen Haaren. Diese hatte sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Stechende grüne Augen blitzten ihn amüsiert an. »Sie ist unser Vormund, wenn Mutter nicht da ist, was so gut wie immer ist. Wenn man es genau nimmt.«

Hörte er da etwa Bitterkeit in Lucas Stimme?

Oh oh…

»Freut mich dich kennenzulernen, Kris.« lenkte Rena seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Mich freut es auch…« nuschelte er verlegen.

»Dann haben wir hier noch meine beiden Schwestern, Lucie und Lara.«

Er deutete bei den Namen auf die jeweilige der Beiden und auch diese sagten ein paar Begrüßungsworte. Lucie, die ältere der Beiden schien den Style ihres Bruders zu teilen. Das jedenfalls sagten die zerrissenen, schrillen Klamotten und die Schminke, die sie trug.

Die Kleinere stach vor allem mit den blonden Engelslocken aus der Gemeinschaft hervor und sah ihn mit großen blau - grünen Augen an. Sie sah wirklich süß aus, wie sie da so saß.

»Und das ist mein bester Freund Ben. Er ist festes Mitglied dieser Familie und schon fast so was wie ein Bruder für mich.« stellte Luca nun auch den letzten in der Runde vor.

Schwach konnte sich Kris erinnern, dass es Ben war, der ihm gestern Abend den Tee gebracht hatte… anscheinend hatte er Zeit mit Luca verbringen wollen, als er so unerwartet erschienen war.

Schüchtern lächelte er den Anderen an.

Sein Style war auch sehr außergewöhnlich auch wenn er sich recht stark von dem des Rothaarigen unterschied. Er schien eher ein Punker zu sein…

Jedenfalls sagte das der zweifarbige Iro, der ihn an dem Erscheinungsbild besonders faszinierte.

Es stand ihm. Ohne Frage.

Ben grinste zurück und deutete auf den Platz neben sich.

»Setz dich ruhig. Wir haben genug Essen für alle mitgebracht.«

Er folgte der Aufforderung. Luca setzte sich auf seine andere Seite und ringsumher begannen alle leise zu reden und zu essen.

Unschlüssig nahm sich Kris ein trockenes Brötchen, an dem er ab und zu etwas knabberte, eine Tasse Tee und ein Glas Orangensaft.

Er verabscheute Kaffee… das war schon immer so gewesen.

Der Gothic jedoch schien dieses Heißgetränk zu lieben. Das jedenfalls war schon seine zweite Tasse.

Aus den Gesprächen am Tisch hielt er sich raus, nur wenn ihn jemand direkt fragte antwortete er, traute sich aber nicht die Leute direkt anzusehen.

Störte es denn niemanden das er hier mit rumsaß, obwohl er hier eigentlich nicht hingehörte?

»Leute, danke. Aber die Geschenke pack ich nachher aus okay? Heute ist Schule… vergesst das nicht.« sagte Luca gerade grinsend.

Stimmt da war ja noch was…

»Wie lange habt ihr noch Zeit?«

»Eine Stunde.«

»Okay. Dann können wir ja noch zu Ende frühstücken!«

Diese Unterhaltung bekam der Dunkelhaarige nur am Rand mit. Ihm war gerade ein ganz anderes Problem bewusst geworden…

Heute war Schule… und er hatte keine Sachen hier!

Das hieß heute schwänzen, außer er wollte mit weinroter Schürze oder diesem Schlabberoutfit hin die Schule gehen.

Scheiße! Eigentlich konnte er es sich nach dem Sommer nicht mehr leisten zu fehlen.

Aber wenn er hingehen wollte musste er nach Hause und sich Klamotten holen und seinem Vater…-

Kris jagte eine Gänsehaut über den Rücken, als er an seinen Vater dachte.

Er würde ausflippen wenn er wieder daheim ankam als wäre nichts passiert. Nach dem Abgang von ihm gestern…

Oh Himmel er war aufgeschmissen!

David konnte er auch nicht fragen… und Luca –

»Gibst du mir mal bitte den Käse rüber?« riss ihn plötzlich eine Stimme aus seinen Gedanken.

Der Dunkelhaarige zuckte zusammen, als er so unvorhergesehen von der kleinen Schwester seines Gastgebers angesprochen wurde, die ihm auffordernd die Hand hinhielt.

Fast mechanisch griff er nach dem gewünschten Teller und reichte diesen an sie weiter.

Als er jedoch seinen Arm wieder zurückzog, stieß er die gläserne Kanne Orangensaft, aus der er sich vorhin was eingeschenkt, die er aber schon fast wieder vergessen hatte, mit den Ellenbogen an.

Der Rest war reine Physik. Seine Reflexe nicht mehr ausreichend…

Er konnte nur noch hilflos zusehen, wie diese vom Tisch segelte und auf den Fließen in ihre Einzelteile zersprang. Der Inhalt verteilte sich auf den Boden und seinen Füßen.

Am Tisch wurde es schlagartig still.

Oh nein! Bitte nicht… lass das jetzt nicht passiert sein!

Ein Zittern durchlief seinen Körper und in seinem Hals bildete sich ein fester Kloß.

Alle starrten ihn an.

»Tut… tut mir L- leid…« würgte er hervor und ließ sich vom Stuhl auf den Boden gleiten.

Sofort begann er mit bloßen Händen die Scherben zusammenzusammeln.

Er musste das in Ordnung bringen. Vielleicht war die Tante von Luca dann nicht ganz so verärgert. Oder war es sogar die Kanne von Luca selbst gewesen?

Na wunderbar!

Erst sprengte er seine Party und dann zerstörte er sein Geschirr…

Toller Freund!

Kris kämpfte mit den Tränen.

Nein! Er würde nicht hier vor allen in Tränen ausbrechen. Ein bisschen Stolz hatte er auch noch… aber wenn –

Erst als Luca nach seinen Händen griff, diese von den Scherben wegzog und er hochgehoben wurde, konnte er sich wieder auf seine Umgebung konzentrieren.

Er stieß einen Überraschungslaut aus, als er sich plötzlich auf den Armen des Gothics befand und diesem direkt in die Augen sah. Instinktiv klammerte Kris sich an seinem Hals fest.

»Kriegt dich wieder ein. Das war nur ne Glaskanne… keinen Grund so verstört zu gucken.« meinte Luca sanft. »Außerdem bist du barfuß und ich lass dich sicher nicht hier in den Scherben rumhantieren. Ich trag dich jetzt rüber, also halt dich gut fest.«

»Aber -«

»Nichts aber… das mache ich nachher.«

»Lass mal« mischte sich Ben nun ein und erhob sich. »Ich mach das schon.«

»Danke, Alter.«

Damit wand er sich ab und trug den Dunkelhaarigen mit sich aus der Küche.

Völlig überrumpelt drückte er sich an Luca und war verblüfft wie leicht dieser sich unter seinen Gewicht noch bewegen konnte. als wäre er ne überdimensionale Puppe oder so.

Unter der Haut fühlte er die Muskeln des Gothics tanzen.

Ob er wohl trainierte?

Kris kam nicht mehr dazu seine Gedanken fort zuführen, denn da wurde er schon auf die Ledercouch geworfen.

Er zuckte zurück, als Luca sofort nach seinem Fuß griff und diesen kritisch betrachtete, dann zog er sein Bein lang um auch den Rest betrachten zu können. Das gleiche machte er bei dem Anderen auch.

Verlegen entzog Kris ihm seinen Fuß wieder.

»Hör schon auf… ich hab mir nichts eingetreten… alles in Ordnung.«

»Was sollte das?«

»W – was meinst du?«

»Wie kommst du auf die hirnverbrannte Idee in den Scherben da rumzurobben…?«

»Ich…- es tut mir Leid. Ich wollte doch nicht.« Kris schüttelte heftig seinen Kopf. »Ich wollte es nur wieder in Ordnung bringen und… und…«

Luca seufzte und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Er musterte ihn eindringlich ehe er ihm ein umwerfendes Lächeln schenkte, welches Kris erschauern ließ.

»Hör auf damit, okay? Niemand ist dir böse, das hätte jedem passieren können. Es war ein Missgeschick mehr nicht.«

Wie konnte er nur so gelassen bleiben?

Kris sah den Anderen ungläubig in die Augen, doch er konnte weder Wut noch Verachtung oder Trauer darin erkennen, nur Mitgefühl und Zuneigung.

»Jetzt sollten wir uns fertig machen. Wir müssen in ner Dreiviertelstunde los…«

Schule!

Kris erzitterte erneut und packte den Rothaarigen am Arm.

»Ich kann nicht in die Schule!« platzte es aus ihm heraus. »Ich hab doch nichts zum Anziehen… so kann ich ja schlecht gehen und meine…-«

Er brach ab und blickte nach unten.

Das konnte er einfach nicht ansprechen… es war ihm einfach so peinlich wie er gestern hier aufgeschlagen war…

Wobei, wenn er es sich recht überlegte, hatte ihn Luca schon komplett nackt und gedemütigt gesehen. Eigentlich gab es nichts, was er nicht bereits kannte.

Aber ein schöner Gedanke war das nicht.

»Hm…«

Der Andere schien wirklich darüber nachzudenken.

»Welche Größe hast du denn?«

Er nannte sie ihm ohne aufzusehen murmelnd.

Dann herrschte kurzes Schweigen.

»Ben!«

»Was ist denn?«

Die Küchentür schwang auf und der Angesprochene stand im Rahmen. In der Hand hielt er das Kehrblech, auf welchen die Splitter des Glaskruges noch funkelten wie Diamanten.

»Welche Kleidungsgröße hast du?«

Ben blinzelte. »Was?«

»Stell dich nicht dumm, man. Du hast doch gesehen wie Kris gestern angekommen ist. Und in meinen Klamotten kann er ja schlecht zur Schule gehen. Also leihst du ihm was?... ihr müsstet eigentlich ungefähr gleich groß sein.«

Kris wich verschämt den Blicken des Anderen aus.

Er konnte ihn einfach nicht direkt anblicken… genug schon das er ihn gestern auch gesehen hatte, aber das Luca das jetzt einfach so ansprach war peinlich.

»Okay. Ich hol meine Tasche runter und da kann er sich was aussuchen.«

Damit verschwand Ben wieder aus dem Türrahmen und selbige schlug wieder zu.

»Damit wäre das erledigt. Willst du so bleiben oder nochmal ins Ba - ey… was denn jetzt?«

Der Dunkelhaarige war nach vorne geschnellt und hatte sich in seine Arme geworfen.

Etwas überfordert wurde er festgehalten und es war schön irgendwie.

Er brauchte jetzt einfach Halt… und in den Armen des Größeren fühlte er sich nun einmal sicher.

»D- danke… ich… du…«

»Scht. Schon gut. Du brauchst dich nicht zu bedanken. Lass uns erst Mal alles packen.«
 

Eine halbe Stunde später saß er im Auto von Luca, in fremden Klamotten und mit einer von Lucas Taschen mit Lucas Schreibutensilien an Lucas Geburtstag.

War eigentlich nur sein Leben so scheiße?

Mit den anderen Klamotten konnte er leben. Sie passten eigentlich ganz gut… okay sie waren nicht ganz sein Style, aber das war auch nicht Sinn der Sache.

Er war einfach nur froh, dass Ben so nett war ihm etwas zu borgen und geduldig genug um zu versuchen sich den Vorstellungen von ihm anzupassen.

Mehr Glück konnte er eigentlich nicht haben.

Aber sein schlechtes Gewissen fraß ihn immer noch auf.

Luca hatte Geburtstag und er nutzte seine Großzügigkeit so schamlos aus.

Er war so in seinen Gedanken versunken, dass er erst bemerkte, dass sie angekommen waren, als Luca ausstieg, ums Auto ging und ihn dann auffordernd die Tür aufhielt.

Schüchtern lächelte er den Rothaarigen an und stieg dann aus.

Schweigend machten sie sich auf den Weg zum Gebäude und gingen hinein.

Wieder einmal war es so eine Situation wo er Lucas Gedanken überhaupt nicht nachvollziehen konnte… warum schwieg er denn nun?

War er sauer? Enttäuscht? Oder einfach nur schlecht gelaunt?

Langsam machte die Stille ihn ganz irre.

Er stand so sehr unter Strom, das seine Hände bereits zu zittern begonnen.

Was sollte er denn nur tun?

Wie konnte er sich nur erkenntlich zeigen? Luca wieder besänftigen?

Kris seufzte.

Natürlich wusste er wie… und sein schlechtes Gewissen stimmte ihm lautstark zu.

Er müsste ihm einfach etwas zum Ehrentag schenken.

Aber was?

Und vor allem wie?

Er hatte keinen Cent Geld… geschweige denn eine Idee.

Dafür kannte er den Gothic zu wenig.

Eigentlich wussten sie noch sehr wenig voneinander. Das lag ausschließlich daran das er sich nicht traute Luca Fragen zu stellen, aus Angst er könnte die Fragen zurückgeben.

Er konnte einfach nicht über alles reden.

Oh Himmel war er egoistisch!

Ihm wurde plötzlich ganz schlecht.

Aber er kam nicht mehr dazu genau zu überlegen… sie hatten den Klassenraum erreicht und waren genau mit der Lehrerin eingetroffen, die den Raum aufschloss und sofort mit ihren Unterricht begann, als sich alle auf ihren Platz gesetzt hatten.
 

Es war schon eine ganze Weile her, dass sich Kris so schlecht gefühlt hatte, das er nicht einmal ansatzweise dem Stoff hatte folgen konnte.

Seine Gedanken kreisten immer nur um eine Frage.

Was konnte er Luca nur schenken?

Eins war klar, es musste etwas sein für das er kein Geld brauchte. Und das war heutzutage einfach sehr schwierig…-

Was kostete schon kein Geld?

Die Antwort erhielt er in der Mittagspause.

Wie immer hatten sie sich auf die Bank gesetzt. Noch immer war Luca ziemlich schweigsam. Und eigentlich war es reiner Zufall, dass der Dunkelhaarige in seinen Shirt Ausschnitt schaute.

Dort sah er drei Ketten und plötzlich zuckte ein Geistesblitz durch sein Hirn.

Er sprang auf und rannte zurück in den Klassenraum.

Sicher warum war er da nicht früher drauf gekommen!

Die Kette!

Als er die Lehrerin nicht mehr am Tisch vorfand, ging er ins Lehrerzimmer und ließ sich seine Sporttasche aushändigen, die Diese jetzt immer dort aufbewahrten.

In dieser kramte er vorsichtig in der vordersten Tasche bis er seine Lieblingskette zutage förderte.

Es war die schönste die er hatte.

Die Kette und der Anhänger waren aus Silber und glänzend. Der kleine Runde Anhänger fasste einen schwarzen Onyx ein, der einen schönen Schliff hatte.

Wenn man ihn ins Licht hielt, funkelte er geheimnisvoll… es sah beinah so aus als versuche er das Licht zu absorbieren. Trotzdem war der Anhänger nicht groß genug um protzig zu wirken. Er war gerade mal so groß wie der Nagel seines kleinen Fingers.

Er liebte diese Kette; sie hatte einmal seine Mutter gehört, aber das musste Luca ja nicht unbedingt wissen. Umsichtig nahm er die Silberkette und steckte sie in die Jeanstasche, ehe er seine Sporttasche zurückgab. Dann ging er zurück ins Klassenzimmer.

Dort verpackte er die Kette in ein Blatt kariertes Papier, welches er mit selbstgemalten Ornamenten verzierte. Es war simpel und dumm…

Aber es war auf jeden Fall besser als nichts!

Es würde vielleicht etwas wehtun, wenn er sie jetzt einfach verschenkte.

Doch das war ihm egal… Hauptsache Luca freute sich und er würde nicht mehr wütend sein.

Mit diesen Gedanken machte er sich auf dem Weg zurück zu seinem Freund.

Er musste dich etwas beeilen… die Pause würde bald um sein.

Eilig ging Kris zur Bank zurück. Doch Luca war nirgendwo zu erblicken.

War er ihn suchen gegangen?

Er hatte ja nicht mal was gesagt, als er so stürmisch aufgesprungen war um seine Idee zu verwirklichen. Oh ha…

Suchend blickte er sich um und ging letztendlich zögernd auf den Pausenhof.

Kris war nicht gerne hier. Es plagten ihn viel zu viele schlechte Erinnerungen an diesem Ort, aber es lohnte sich. Denn kurz darauf sah er Luca etwas abseits stehen und mit ein paar, ihm unbekannten, Schülern sprechen.

Woher kannte er sie?

Der Dunkelhaarige schluckte.

Er war noch nie auf den Gedanken gekommen, dass Luca vielleicht hier beliebt sein könnte, wenn er nicht mit David und ihm befreundet sein würde. Was wenn er nur aus Loyalität mit ihnen hinten auf dieser abgeschotteten Bank saß?

Würde er so etwas machen?!

Ganz klares Ja… wäre er nicht dazu bereit, würde er Kris auch nicht so viel helfen.

Es war nicht so das Kris keine Minute zögerte; er zögerte lange… bestimmt länger als eine Minute. Hin und her gerissen von seinen Gedanken.

Doch schließlich tapste er zwischen den Schülern hindurch, auf seinen rothaarigen Freund zu.

Das kleine Papierpacket drückte er dabei fest an sich und klammerte es an sich wie einen rettenden Anker.

Die Reaktion der Schüler auf ihn ließ nicht lange auf sich warten.

»Schaut mal, die Schwuchtel kommt uns besuchen!« lachte plötzlich einer.

Und in null Komma nichts hatte sich der Schulhof in eine Vorhölle verwandelt. Er wurde geschubst und beschimpft. Alle schienen Freunde daran zu haben ihn zu pisacken, jetzt, wenn er schon einmal hier war.

Es war unmöglich, dass ihn der Gothic nicht bemerkt haben könnte.

In seinen Augen sammelten sich Tränen als er einen Schlag in seine linke Seite bekam.

Warum war er gleich nochmal hier runter gekommen?

»Hey, lasst ihn in Ruhe.«

Ach ja, genau!

Plötzlich war Luca an seiner Seite und zog ihn an sich.

Ungeachtet der Angreifer manövrierte er ihn aus der Gefahrenzone und zog ihn in eine etwas abgelegenere Ecke.

»Ey, was machst du denn für Sachen?... was machst du überhaupt hier unten?«

»Ich…- ich hab dich ge – gesucht« stammelte Kris, dem noch immer die Tränen über die Wangen liefen. Er presste sein Päckchen an sich.

»Gesucht?« fragte Luca überrascht und schien jetzt auch den Gegenstand wahrzunehmen, an den sich Kris die ganze Zeit klammerte. »Ist das für mich?«

Er nickte, sah schüchtern in die Augen des Anderen, ehe er ihm das provisorische Geschenk hinhielt. Sein Herz hämmerte plötzlich so laut.

Hörte er es denn nicht?

Luca nahm es an.

»Dein Erst jetzt?«

Wieder nickte Kris und sah zu Boden.

»Aber… ich sagte doch ich mag so etwas nicht. Ehrlich, du hättest mir nichts schenken müssen.«

Der Dunkelhaarige sagte nichts darauf, sah nur auf seine Stiefel, die ihm so fremd wirkten.

Er hatte gar nicht gewusst das ihm Springerstiefel so gut stehen würden… er selbst trug eigentlich nur Chucks oder Turnschuhe.

Erschrocken fuhr er zusammen als Luca, nachdem das Papierrascheln verklungen war, scharf die Luft einzog.

Ob er…?

Er zwang sich förmlich dazu aufzusehen, in die weitaufgerissenen Augen seines Gegenübers.

»Das ist… das…«

Wenn er ehrlich war hatte er Luca noch nie wirklich sprachlos erlebt.

Kris lächelte leicht, ein Lächeln das sofort wieder verschwand als er das Grölen wahrnahm.

Er hatte beinah vergessen wo sie sich hier befanden.

Anscheinend hatte ihnen der ganze Pausenhof hier zugeschaut.

Der Dunkelhaarige spürte wie seine Wangen rot wurden und sich wieder Tränen in seinen Augen sammelten.

»Hey! Lass dich nicht von der so anschwulen, Neuer!« brüllte Jemand und alle lachten.

Es war so demütigend…

Verkrampft versuchte er das Schluchzen in seinem Hals zu unterdrücken. Er würde jetzt nicht hier vor allen losweinen… nein, nein, nein…

Aber wenn Luca gleich seine Kette auf den Boden warf und in das Gelächter mit einstimmte, dann würde er sich überlegen seinen dunklen Gedanken doch nachzugeben und sich von der nächsten Brücke zu stürzen… oder vielleicht von einem Haus.

Er wurde von Fingern aus seinen Gedanken gerissen, die sein Kinn sanft nach oben drückten und dann zärtlich über seine Wange strichen.

Er blickte den Gothic genau in die Augen und ihm war so, als würde sich Luca für die Umstände entschuldigen wollen. Als würde es ihm leidtun, dass Kris ihm dieses Geschenk nicht alleine hatte geben können… konnte das sein.

»Danke. Sie ist sehr schön…« sagte der Rothaarige leise und rau. »Magst du sie mir umlegen?«

Zuerst zögerte Kris um zu realisieren was so eben passiert war.

Meinte er das nun ernst?

Als sich der Andere jedoch nicht bewegte und ihm immer noch erwartungsvoll die Kette hinhielt, trat er nun doch einen Schritt an ihn heran und legte ihm die Kette um.

Als der Verschluss zuschnappte, wunderte sich Kris etwas. Es tat nicht weh…

Nicht wie er es erwartet hatte jedenfalls…

Eigentlich war er eher zufrieden, als er das breite Lächeln von Luca sah.

»Vielen Dank für dein Geschenk.« sagte dieser noch einmal, zog ihn noch näher und drückte einen kurzen Kuss auf seine Stirn. Er schien die Augen, die sie begafften völlig zu ignorieren… Kris wünschte fast er würde das auch schaffen.

Nichts desto trotz stoben Millionen Schmetterlinge in seinen Magen auf, als er die Lippen des Anderen wahrnahm. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Ihm wurde auf einmal so warm…

»Lass uns reingehen.« sagte der Gothic und zog ihn hinter sich her ins Gebäude.

Kris ließ es zu ohne sich zu wehren und versuchte seine Gefühle zu entdröseln.

Warum fühlte es sich plötzlich an wie schweben?
 

Der restliche Tag verging schnell.

Rasant.

Kris glaubte zu wissen, dass er glücklich war. Obwohl er das nicht so genau sagen konnte…

Fühlte sich so Glück an?

Dieser Schwebezustand und das dauernde Lächeln auf seinen Lippen, was er gar nicht mehr wegbekommen wollte.

War das Glück?

Vielleicht.

Jedenfalls wollte er so etwas öfter spüren. Es war schön.

Als es endlich zum Schulschluss klingelte, packte er seine Sachen in die Tasche seines Freundes und ging dann zu ihm an den Tisch.

Während Luca auch zusammenpackte, konnte Kris nicht anders als immer wieder zu seinem Hals zu schielen. Die Kette lag ungefähr auf Höhe seines Schlüsselbeins und passte perfekt zu ihm. Es hob sich von seiner blassen Haut wundervoll ab und war ein richtiger Hingucker.

Er bereute es nicht, sie verschenkt zu haben.

Gemeinsam machten sie sich wieder auf den Weg zu Lucas Auto. Es wirkte schon alles so selbstverständlich, dass es leicht beängstigend war.

»Können wir noch einmal bei David vorbeifahren? Ich müsste ihnen noch die Mitschriften von heute geben.« fragte er leise.

»Natürlich.«
 

Wenig später saß er bei dem Gothic zuhause.

Sie hatten gemeinsam Tee getrunken und ein bisschen Geburtstagstorte gegessen. Dann hatte er sich noch einmal bei Ben bedankt, ehe der wieder verschwunden war. Und jetzt saßen sie da und schauten irgend so eine komische Nachmittagsserie auf RTL.

Kris fühlte sich rundum wohl.

Sein Gewissen war beruhigt, er hatte sich davon überzeugt, dass es David soweit gut ging und bei jeder Berührung mit Luca flatterte sein Gemüt so merkwürdig.

Aber es war nichts Unangenehmes.

Er genoss es.

Sein Wohlbefinden wurde aber gestört als es auf Abend zuging.

»Wann soll ich dich nach Hause fahren?«

Diese Frage hätte ebenso gut ein Schlag sein können.

Instinktiv zog er seine Beine näher zu sich heran und schlang die Arme um seine Knie. Er vermied den Blick des Anderen und überlegte fieberhaft, was er dazu sagen sollte.

»Kris?« fragte Luca lauernd.

Er schien etwas zu ahnen… wahrscheinlich von Anfang an.

Warum musste er das jetzt besprechen?

»Ich… ich kann nicht zurück…« wisperte er nun. »Bitte…schick… - schick mich nicht dahin zurück. Nicht heute!«

Sanfte Finger brachten ihn dazu seine Haltung aufzugeben und seinem Gegenüber wieder in die Augen zu sehen. Nicht gewaltsam… nein… so liebevoll.

»Rede mit mir. Was ist gestern passiert?«

»Ich… ich kann das nicht.« Nun wich er doch wieder den warmen Blicken seines Freundes aus. »Bitte… nicht… ich – du würdest mich hassen…«

Luca seufzte. »Beruhig dich schon… hey, nicht weinen. Es ist alles gut. Du weißt das du hier bleiben kannst, wenn du willst, hm?«

Kris wurde in die schützenden Arme gezogen und schmiegte sich an. er versuchte die Erinnerungen, die in ihm aufstiegen zu verdrängen, indem er die Augen schloss und Lucas Geruch in sich aufnahm. Er war hier in Sicherheit…

»Es gibt Dinge, die viel Zeit brauchen, die einem aber ebenso viel geben wie Freundschaft oder auch Vertrauen. So etwas ist niemals Zeitverschwendung… und ich werde auf dich warten, Kris. Bis du bereit bist zu reden okay? Du kannst immer mit mir reden. Über alles.«

Der Dunkelhaarige schluchzte auf und drückte sich noch näher an den Anderen.

Am liebsten hätte er sich in ihm verkrochen. Er wollte nur hier bleiben…

Für immer…

Hier war es so schön warm… und er spürte nur Geborgenheit.
 

Irgendwann driftete Kris in dieser Wärme ab.

Die dunklen Gedanken und Erinnerungen zogen sich zurück… und plötzlich wurde ihm klar, was das für ein Gefühl war, was heute so deutlich geworden war.

Warum war er da nicht schon viel früher drauf gekommen?

Wieso drang über Nacht die Angst in unsere Geschichte ein? Wie konnte ein Mensch schön wie du in Wahrheit nur so hässlich sein?

Die Tage verrannen wie Sand in der Wüste.

Und Kris wurde sich immer klarer darüber, dass er seine Gefühle gegenüber den Gothic nicht mehr verleugnen konnte. Ihm war so wieso schleierhaft wie er das bis dato hatte so geschickt verdrängen und ignorieren können…

Jetzt, so im Nachhinein betrachtet war es mehr als offensichtlich.

Er hatte sich Hals über Kopf verliebt…

In Luca… einen Jungen… einen fremden Jungen, der ihm mehr geholfen hatte, als jeder andere Mensch, den er kannte.

Unfassbar.

Wie war das nur passiert ohne dass er es bemerkt hatte?

Eigentlich war das ja auch egal.

Der Punkt war, dass er sich nun seinen Gefühlen stellen musste, die ihn durch ihre Intensität erschreckten.

Immer wieder erwischte er sich dabei, wie er Luca beobachtete… regelrecht anstarrte.

Bei jeder Berührung stoben hunderte Schmetterlinge in seinem Magen auf, von denen er nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten.

Schmetterlinge so groß wie Flugsaurier…

Es machte ihm Angst.

Nicht nur, dass er langsam eine gewisse Eifersucht gegenüber David entwickelte, sondern vor allem das Luca es völlig in Ordnung zu finden schien, wenn er seine Nähe suchte.

Er sagte nichts, wenn Kris sich an ihn schmiegte, wenn er mit ihm kuschelte oder sich einfach in seine Arme warf.

Warum?

Fühlte er vielleicht ähnlich?

Oder war es nur Mitleid?

Konnte er hoffen…

Irgendwie glaubte er das kaum.

Kris war einer unter vielen, die Luca haben konnte. Wenn er überhaupt am gleichen Geschlecht interessiert sein sollte…

Warum also sollte er sich gerade für ihn entscheiden?

Er hatten den Rothaarigen doch nichts als Ärger und Arbeit gebracht.

Noch immer half er ihm so viel.

Er ließ Kris Zeit mit sich verbringen, lieh ihm Sachen und Geld und spendete ihm Geborgenheit, Nähe und die Wärme, die er nirgendwo anders bekam.
 

Irgendwann hatte der Dunkelhaarige es nicht mehr ausgehalten und war, als es David wieder besser ging, zu ihm gezogen.

Die bloße Anwesenheit des Gothics verwirrte ihn nur noch und er hatte sich schon mehr als einmal bei der ernsten Überlegung erwischt, ob er Luca nicht küssen sollte.

Er war froh, dass sein blonder Freund seine Mutter überreden konnte ihn aufzunehmen.

Vor Luca hatte er es so erklärt, dass er ihm nicht länger auf den Keks gehen wollte, auch wenn sich dieser gegen diese Ansicht vehement gewehrt hatte.

Eigentlich war er froh, dass er ihn nicht mehr so viel um sich hatte.

Die Zeit in der Schule reichte schon um sein Kreislauf völlig aus dem Takt zu bringen.

Wenn das so weiterging würde er irgendwann wegen Herzversagen oder anderen peinlichen Ursachen sterben… da war er sich sicher.
 

Das andere Problem was ihn stark belastete, war sein Vater.

Nach der Eskalation vor fast sechs Tagen war er nicht mehr nach Hause zurückgekehrt…

Na ja, doch… einmal, aber das zählte nicht wirklich.

Er war mit David da gewesen, als sein alter Herr außer Haus war um sich Sachen zu holen.

Es war eine reine Feigheitstat.

Doch Kris war sich sicher, dass er in seiner jetzigen Verfassung nicht gut bei seinem Vater aufgehoben war. Umso mehr er abgelenkt war, umso gefährlicher war es in der Nähe seines Vaters zu sein. Wo die kleinste Unaufmerksamkeit zu einer grausamen Strafe führen konnte.

Er hatte ihm eine kurze Nachricht hinterlassen und war dann mit David zurückgefahren.

Davids Mutter hatten sie erzählt, dass sein Vater auf Montage war.

So kam es das er die nächste Zeit bei David wohnte.

Und eigentlich genoss er das auch.

Uneigentlich jedoch…

War er eifersüchtig, ohne das er sich genau erklären konnte warum eigentlich.

Es hatte eine Weile gedauert, ehe er die Stiche, die er verspürte wenn er David und Luca zusammen sah, deuten konnte… und als es ihm klar wurde, schämte er sich.

Die Beiden verstanden sich auch super und es war doch schön.

Jedenfalls sollte es das sein…

Auch David hatte an ihrer Schule keine Freunde, wobei er – da war sich Kris absolut sicher – ohne ihn als seinen Freund, wesentlich beliebter sein würde.

Er brauchte auch jemanden, der ihm beistand und half…

Die meisten Freunde die David hatte, kamen aus anderen Städten oder gingen nicht auf die gleiche Schule wie er. Folglich konnten sie ihm bei schulischen Problemen eher weniger helfen.

Also sollte er sich doch eigentlich freuen…

Oder?

Warum konnte er es dann nicht?!

Wenn er es doch unbedingt wollte.

Aber irgendwie waren sein Verstand und sein Herz sich da nicht ganz so einig.

Und das schlimmste von allen war, dass David ihn leider viel zu leicht durchschauen konnte.
 

»Kris… was ist denn los?« hatte David an einem Abend gefragt, als sie zusammen in seinem Bett gelegen und Beide in die Dunkelheit gestarrt hatten.

»Was soll denn sein?«

»Ich merke doch genau, das etwas mit dir nicht stimmt.«

»Du irrst dich, es ist alles bestens…«

»Du lügst, Kris.«

»Ich,…-«

»Schon okay. Du musst nicht mit mir darüber reden okay?... Hat ja eh noch nie was gebracht, wenn ich dich dazu zwingen wollte. Aber versprich mir das du zu mir kommst oder zu Luca gehst, wenn es zu viel wird… hm?«

Er hatte die sanfte Hand an seiner Wange gespürt und seine Tränen einfach nicht mehr zurückhalten können.

Er hasste sich dafür.

Immer wieder heulte er nur rum, obwohl er doch wusste, dass er David damit überforderte.

Doch am meisten hasste er sich dafür, dass er eifersüchtig auf diesen tollen Menschen war, der ihn gerade tröstend in seine Arme zog.

Wieso musste sein Leben nur so scheiß kompliziert sein…?

Was hatte er nur verbrochen?

Mit diesen dunklen Gedanken war er kurz darauf in Davids Armen eingeschlafen.
 

Auch in der Schule lief es zu der Zeit nicht optimal für ihn.

Alles was ihn im Kopf herumging, führte dazu, dass seine so wieso schon spärliche Konzentration nun extrem gestört war.

Immer wieder verlor er sich in Überlegungen über seine jetzige Situation.

Er wusste, dass er irgendwann zurück musste… zu seinem Vater.

Und doch zögerte es immer weiter heraus.

Dass die Angst von Tag zu Tag größer wurde, spürte er auch und doch wollte er sich die Illusion dieser vollkommenen Scheinwelt, in der er gerade lebte, bewahren.

Das würde er auch weiterhin tun…

Solange jedenfalls bis ihn die Schatten wieder einholten.

Was dann allerdings geschah, wollte er sich einfach noch nicht vorstellen…-
 

»Kris?...hey Kris! Wo bist du denn schon wieder mit deinen Gedanken?« wurde er von seinem besten Freund aus den Gedanken gerissen.

»Hm?« erwiderte er geistreich und sah den Anderen an.

»Na komm schon, oder willst du bist morgen hier sitzen bleiben?«

Oh… hatte es schon geklingelt?

Anscheinend, sonst wäre das Klassenzimmer kaum so leer.

»Ey, wo bleibt ihr denn?« hörte er nun auch Lucas Stimme. Sofort spürte er wieder das angenehme Kribbeln

»Klar…« nuschelte er und packte eilig seine Sachen zusammen, ehe er mit den Beiden hinausging.

Wieder ein Tag Schule an ihm vorbeigerauscht.

Irgendwann würde ihm das mal auf die Füße fallen, wenn es so weiterging. Aber daran wollte er im Moment lieber nicht nachdenken. Es brachte sowieso nichts.

Mit wachsender Eifersucht beobachtete er David und Luca, wie sie den ganzen Rückweg lang scherzten und sich über die Lehrer und Schüler lustig machten.

Bei solchen Gesprächen fühlte er sich immer ausgeschlossen, doch eigentlich war er selber schuld. Das wusste er.

Trotzdem konnte er sich nicht einfach einbringen… es entsprach ihm einfach nicht.

Er konnte nicht einfach so Smalltalk halten. Dafür hatte er David schon immer bewundert.

Wie gerne würde auch er einfach so mit Luca herum albern…

Locker und frei…

Er fühlte sich plötzlich wie der schüchternste Mensch der Welt.

Stumm trottete Kris also hinter den Beiden her und kämpfte mit seiner Eifersucht, die sich immer wieder zu Wort melden wollte.

»Sag mal, wollen wir nachher noch ein wenig zocken oder so?« fragte David gerade. »Ich liebe deine Playstation…«

Luca lachte. »Klar. Kommt einfach nachher vorbei, wenn ihr euch von der Särchen ein wenig erholt habt.«

»Bist du dabei, Kris?«

Er blickte auf.

Sollte er wirklich?

Wollte er den ganzen Abend dabei zu sehen wie die beiden sich näher kamen?

»Hey, was ist denn nur los mit dir?« fragte Luca nun und blieb vor ihm stehen.

»W- was soll sein?« erwiderte er überrumpelt und blieb ihn einem gewissen Sicherheitsabstand ebenfalls stehen.

»Du bist schon die letzten Tage so komisch.« sagte der Rothaarige und kniff die Augen zusammen. Er musterte ihn intensiv und dieser Blick ließ kalte Schauer über Kris Rücken jagen.

»Quatsch… es ist nichts. Ich mach mir halt so meine Gedanken.«

»Gedanken also…«

»Ja!« Kris lief betont locker an dem Anderen vorbei. »Die Situation ist nun mal nicht optimal zurzeit, das ist alles.«

Das war ja noch nicht einmal gelogen… nur eben stark untertrieben!

»Kris...« wollte David einwerfen, doch der Angesprochene unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln.

»Lasst uns weitergehen… «

Damit war das Thema hoffentlich erst Mal erledigt. Vorerst.

Kris wusste selber, dass er nicht immer davon laufen konnte… davon wurden seine Probleme nicht kleiner, doch er wünschte sich nichts mehr, als dass sie sich einfach von selbst in Luft auflösten.

Wie schön musste es sein ohne Sorgen zu leben…

David berührte ihn am Arm um auf sich aufmerksam zu machen.

»Gehen wir nachher nun zu Luca?«

»Ja, klar…« meinte er ohne richtig darüber nachzudenken.

»Okay. Dann sehen wir uns ja nachher… bis dann« verabschiedete sich nun der Gothic und klopfte ihnen Beiden auf die Schulter, ehe er um die nächste Ecke bog.

»Tschüss.«

»Bis dann.«

Kris und David gingen einen kleinen Trampelpfad hinunter in den Park und gingen dann quer über die Grünanlagen. Um diese Zeit war die Anlage gut besucht… überall sah man kleine Gruppen, die rauchend und lachend auf den Bänken saßen oder Menschen, die mit ihren Hunden Gassi gingen.

Eigentlich fand der Dunkelhaarige diese Umgebung immer besonders schön, doch er konnte sich heute nicht wirklich darauf konzentrieren. Seine Gedanken waren bereits beim heutigen Abend…

Und bei Luca.

Was sonst?

Irgendwie nervte er sich schon selber damit.

Und das war eine Kunst für sich.

Es dauerte nicht lange bis sie zu Davids Zuhause kam. Er wohnte genau gegenüber vom Park, der die Innenstadt vom Randgebiet trennte.

Der Blonde schloss die Haustür auf und ließ ihn rein.

Gemeinsam gingen sie die zwei Treppen hoch und machten sich, kaum dass sie alle Sachen ausgezogen und in die Ecke geschmissen hatten, etwas zu Essen.

Sie aßen schweigend und räumten dann die Küche auf, bevor sie in Davids Zimmer gingen.

Das alles passierte schweigend.

Kris wusste nicht was er sagen sollte und David schien wohl mit den Gedanken auch schon ein wenig weiter weg zu sein.

Und dann kam den Teil, den Kris an seinem Zusammensein mit seinem Freund am meisten liebte… sie verbrachten Zeit miteinander ohne sich miteinander zu beschäftigen.

So etwas konnte er nur mit den Blonden.

Zuerst erledigten sie die Hausaufgaben bei denen sie sich ab und an gegenseitig halfen und während Kris zur Entspannung danach ein Kreuzworträtsel löste, spielte David Gitarre.

So lief es ungefähr eine halbe Stunde lang.

Er lauschte den Klängen von dem Gitarrenspiel seines Freundes und schloss für einen Moment die Augen. Insgeheim hatte er den Anderen dafür schon immer bewundert.

David hatte in der musikalischen Richtung wirklich Talent. Er selber würde wahrscheinlich nicht einmal annähernd so spielen können, wie er es gerade tat.

Seine schlanken Finger glitten so schnell über das Griffbrett der Gitarre, dass man die Akkorde gar nicht genau auseinanderhalten konnte.

Und die Melodie war schön.

Kris mochte es sehr ihm beim Üben zuzuhören…auch wenn der angehen Künstler oft sagte das seine Übungen nichts Besonderes waren und sich oft nicht besonders gut anhörten.

Für ihn war jede Art von Musik die selbstgemacht war etwas Besonderes.

Und da es sich der Dunkelhaarige immer so wünschte, durfte er auch oft dabei sein wenn David übte… und das durfte wirklich nur er.

Alleine dieser kleine Beweis der Nähe zu David machte Kris glücklich.

Er war einfach mehr als froh so einen Freund zu haben.

»Singst du mir was vor, bitte?«

David sah ihn überrascht an, so als hätte er einen Moment völlig vergessen das er überhaupt da war.

»Hm, was willst du denn hören?«

Kris überlegte kurz. »Sonne…«

Der Blonde hob seine Brauen. »Wie kommst du denn jetzt auf dieses Lied?«

»Weiß nicht… ich möchte es einfach hören… also?«

»Klar.« meinte David und ging zu seiner Box um die Gitarre an zustöpseln.

Er stand vom Schreibtischstuhl auf und warf sich aufs Bett, während David seine Gitarre bereit machte. Als er soweit war, schlug er die ersten Akkorde an.

Der Dunkelhaarige schloss die Augen und ließ sich in das Lied hineinfallen.

Er mochte es so…

David meisterte das Vorspiel gekonnt.

»Der Morgen graut, ich bin schon wach…« begann David leise zu singen und seine klare Stimme hallte im Raum wieder. »Ich lieg im Bett und denke nach. Mein Herz ist voll, doch jemand fehlt. Ich hätt dir gern noch so viel erzählt.«

David legte mehr Emotionen in seine Stimme und schlug dir Saiten seiner Gitarre durch.

»Traurig sein macht keinen Sinn, die Sonne scheint auch weiterhin… - «

Kris hörte seinem Freund zu und driftete immer weiter ab.
 

Wenige Stunden später befanden sie sich bei Luca auf der Couch.

Der Gothic und David waren damit beschäftigt irgend so ein Ballerspiel zu spielen und sich immer wieder gegenseitig zu foppen. Es schien beiden einen Heidenspaß zu machen.

Kris saß daneben und sah zu.

Er hatte bereits nach der ersten Runde aufgegeben mitzuspielen; das war ebenfalls etwas was nicht zu seinen Talenten gehörte. Er war meistens eh schon nach wenigen Minuten tot, also konnte er genauso gut die anderen beiden beobachten.

Und das tat Kris.

Und seien wir ehrlich… er beobachtete natürlich Luca.

Er konnte einfach nicht seine Augen von dem Gesicht des Anderen nehmen. Er wirkte so konzentriert und trotzdem hatte er dieses schiefe Lächeln auf den Lippen.

Wieder spürte er dieses Kribbeln in seinen Körper, das sich auszubreiten schien.

Sein Blick blieb an der Kette seiner Mutter hängen, die Luca um den Hals trug. Eine Tatsache die sein Herz direkt noch mehr erwärmte.

Anscheinend gefiel ihm das Schmuckstück wirklich…

Erst hatte er ja damit gerechnet, dass die Freude nur aufgesetzt gewesen war und er diese Kette nie wieder sehen würde, aber da hatte er sich getäuscht. Luca hatte sie seit seinem Geburtstag jeden Tag getragen. Und das machte Kris glücklich.

Überhaupt war er im Moment sehr zufrieden, wenn diese Eifersuchtsbestie da nicht wäre…

Doch vielleicht konnte man diese ja zum Schweigen bringen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, ließ er sich gegen Luca sinken. Als sein Kopf die Schulter des Älteren berührte, spürte er etwas, dass sich anfühlte wie ein Stromschlag.

Seufzend lehnte er sich an und musste leicht grinsen, als dieses drückende Gefühl in seiner Magengegend tatsächlich die Klappe zu halten schien.

»Alles okay, Kris?« fragte Luca, schien sich aber nicht befreien zu wollen. Er blieb so sitzen wie er war.

»Hm..« machte der Angesprochene zustimmend und genoss die Wärme des anderen Körpers.

Die letzten Tage hatte er ihn so vermisst…

Was nüchtern betrachtet totaler Unsinn war, weil sie sich ja in der Schule jeden Tag gesehen hatten, aber in der Schule konnte er eben nicht so einfach Lucas Nähe suchen.

Und sein Herz sprach sowieso eine ganz andere Sprache.

Schon wenn er Luca einige Minuten nicht mehr sah, hatte er das Gefühl ihn wochenlang vermisst zu haben, wenn er wiederkam.

Das war lächerlich…

Und er war verdammt liebeskrank.

Aber was sollte er schon groß dagegen tun?

Sollte er es wirklich wagen?

Sollte er mit dem Älteren darüber reden?

Doch was sagte man denn da so?...-

Scheiße!
 

Die Entscheidung wurde Kris eine knappe halbe Stunde Später abgenommen.

David, der noch in seinem Sieg badete und Luca immer wieder damit aufzog, machte sich nun fertig zum Gehen.

»So, tut mir Leid… aber ich muss. Ich hab noch Probe und das darf nicht zu spät werden.«

»Schon okay.«

»Ich hoffe du verkraftest meinen Sieg…« grinste David, während er sich die Schuhe anzog.

»Ich werde es versuchen.« erwiderte Luca und verdrehte seine Augen. »Aber ich weiß nicht ob ich die Nacht so einfach überleben werde mit dem Schmach…«

Beide lachten.

»Kris?«

Der Dunkelhaarige hatte sich noch nicht bewegt.

»Hey, kommst du nicht mit?« fragte der Blonde überrascht.

Er spürte zwei Augenpaare auf sich ruhen und kratzte seinen ganzen Mut zusammen.

Es war nicht viel, doch es reichte überraschender Weise.

»Nein...ich bleib noch etwas. Ich möchte mit Luca reden, wenn das okay ist.« sagte er leise und blickte unsicher in die Gesichter seiner Freunde.

Beide wirkten zuerst überrascht, aber dann nickte David.

»Okay. Dann geh ich schon mal vor.« sagte der Andere und warf ihm den Zweitschlüssel zu. »Hier falls du früher zurückkommst als ich.«

Wieso hatte er den Zweitschlüssel auch dabei?

Konnte er in die Zukunft sehen oder was?

»Danke.« nuschelte er und ließ den Schlüssel in seine Hosentasche sinken.

»Bis später dann!«

Damit gingen David und Luca aus dem Wohnzimmer.

Kris saß immer noch auf der Couch und versuchte seine aufgeregten Gedanken zu ordnen.

Das war seine Chance!

Wahrscheinlich seine einzige!

Oh Himmel, er würde es bestimmt vermasseln und ge…-

»Und was gibt’s?«

Luca war wieder da und ließ sich neben ihn fallen.

»Ich…«

Er wusste einfach nicht wie er anfangen sollte.

Wie gestand man denn seine Gefühle?

Er hatte so etwas doch noch nie gemacht!

Nervös knetete er seine Finger im Schoß und zitterte leicht.

Er konnte das nicht!

»Hey…« meinte Luca, der anscheinend zu spüren schien das etwas nicht stimmte. Er rutschte näher und berührte seinen Arm. »Was willst du denn mit mir bereden?«

Kris zuckte vor der Berührung zurück und biss sich auf die Lippen.

»Vergiss es wieder. Ich kann das nicht!«

Er sprang auf und wollte zur Tür, doch der Rothaarige hielt ihm am Handgelenk fest.

»Moment mal. Renn doch nicht gleich weg…«

»Luca… bitte nicht…«

»Setz dich wieder hin. ich merk doch, dass es etwas wichtiges ist. Hey, lass dir einfach Zeit…komm schon her.«

Willenlos ließ er sich zurück auf das Sofa ziehen. Was sollte er denn machen?!

»Ich hab keine Worte dafür« versucht er zu erklären und blickte kurz in die warmen Augen des Anderen. »Aber ich…«

Durfte er wirklich?

»Aber was?«

Kris kratzte noch einmal allen restlichen Mut zusammen, beugte sich vor und drückte dem Rothaarigen seinen Mund auf die Lippen.

Bei dem ersten Kontakt spürte er wieder Millionen Schmetterlinge aufstoben und heiße Schauer liefen ihm über der Rücken.

Doch der Kontakt hielt nicht lange an.

Kris wurde etwas ruppig an den Schultern gepackt und zurückgestoßen.

»Woha… was sollte denn das?«

In den ersten Augenblicken registrierte er gar nicht was passiert war.

Erst als er in Lucas verblüffte, faszinierend blassgrüne Augen sah, kam die Zurückweisung bei ihm an. Nur Sekunden später setzte der Schmerz ein, der sein gesamtes Herz zusammenpresste.

Nein!

Oh Himmel, nein! Er war zu weit gegangen.

Das Verstehen, was sich langsam in den Augen des Anderen bildete, ließ ihn aus seiner Starre erwachen. Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und wich von der Couch zurück.

»Kris, warte…«

Nein!

Er wollte es nicht hören!

Kris wollte nicht noch mehr zurückgewiesen werden. Schon jetzt bekam er kaum noch Luft…

Er wollte nicht hören wie abartig Luca ihn jetzt fand.

Vielleicht wollte er ihm auch sagen, dass er ihn nie wieder sehen wollte?

Tränen stiegen in seine Augen und ohne es zu registrieren trat er die Flucht nach vorne an.

»Kris!«

Er rannte aus dem Wohnzimmer, durch den Flur und stieß die Haustür auf.

Dann preschte er die Straße hinunter.

»Kris! Warte… KRIS!«

Seine Glieder zuckten. Er wollte zurück zu ihm… zu Luca.

Doch die Angst trieb ihn weiter. Er rannte solange bis er das Gefühl hatte auf der Stelle umfallen zu müssen, weil keinerlei Sauerstoff mehr in seinen Lungen war.

Keuchend blieb er stehen.

Wie es aussah war er im Park gelandet…

Kris versteckte sich hinter einer Hecke, wo er zusammenbrach, die Arme um seine Knie schlang und bitterlich anfing zu weinen.

Doch egal wie viel er weinte, er hatte das Gefühl das der Schmerz sich festgesetzt hatte. Er konnte ihn nicht herausschwemmen. Immer wieder hämmerte er an die Innenseite seines Schädels.

Und dieser Schmerz war es, der ihn langsam in die Dunkelheit zog.

Das letzte was er bewusst wahrnahm, war das er zur Seite in das feuchte Gras kippte und sich zusammenrollte wie eine Kugel.

Danach war nichts mehr.
 

Er wurde durch ein Geräusch aus seiner Starre gerissen.

Was?

Er fuhr auf und bemerkte, dass es bereits dunkel geworden war.

Wie lange hatte er hier nur gelegen?

Es schien keine Zeit mehr zu geben… wieso sollte das auch wichtig sein.

Umständlich richtete er sich auf stakte auf seinen tauben Beinen auf den Weg zurück.

Sofort meldete sich der tiefe Schmerz in seinem Herzen zurück und ließ ihn taumeln.

Scheiße!

Wie hatte das alles nur passieren können?!

Gedankenverloren machte er sich auf den Weg zu Davids Haus ohne es zu merken.

Immer wieder sah er Lucas entsetzten Blick vor sich.

Wieso hatte er das nur getan?

Kris ging die Straße entlang und steuerte den weißten Block an, in dem er seit kurzen wohnte. Er wollte nur noch ins Bett… er wollte nicht mehr denken, er wollte einfach schlafen.

Und dann sah er endlich den Eingang und erstarrte…

Dort standen Luca und David in einer innigen Umarmung.

Keine 10 Meter entfernt.

Wie betäubt starrte Kris seine Freunde an, die sich fest umschlungen hielten.

Er versuchte zu erfassen was er da gerade sah, konnte es aber einfach nicht.

Wie ferngesteuert wich er immer weiter zurück.

Und dann sah David ihn direkt an.

»Kris…« rief er überrascht.

Nun fuhr auch Luca herum und sah ihn an.

»Scheiße Kris,… das -«

Ist nicht so wie es aussieht?, beendete er den Satz in Gedanken.

Aber er ließ ihn wieder nicht aussprechen sondern rannte wieder weg.

Weglaufen schien ja zu einer neuen Disziplin bei mir geworden zu sein, dachte er bitter und jagte ohne zu schauen über die Straße.

Das Hupen was darauf zu hören war, nahm er gar nicht wirklich war.

»Kris! Scheiße… bleib stehen!«

Das war David.

Aber wieso sollte er stehen bleiben?

Was gab es denn da noch zu reden, äh?

Es war doch alles geklärt.

Er rannte auf die Schnellstraße.

Alles um ihn war ausgeblendet. Die Schwärze, vor der er immer solche Angst gehabt hatte, hatte seinen ganzen Verstand vernebelt. Alles war betäubt.

Der Schmerz, die Trauer… aber auch seine Logik.

Zwei Autos wichen ihm hupend aus, ein drittes legte für den Dunkelhaarigen eine Vollbremsung hin und brachte so den gesamten Verkehr ins Stocken.

Kris interessierte das alles nicht.

Er sprang über die Planke, die die beiden Spuren voneinander trennte und wollte gerade weiterrennen, als er das dröhnende Hupen hörte.

Der Scheinwerfer blendete ihn und ließ ihn völlig erstarren.

Er blickte dem Tod ins Gesicht.

Dieser hatte Glatze, trug eine kunterbunte Schiebermütze und fuhr einen LKW.

Mehrmals versuchte sich Kris aus seiner Starre zu lösen, doch es gelang ihm einfach nicht. Seine Beine verweigerten ihm den Dienst. Also schloss er die Augen und atmete tief ein und aus.

Jetzt würde er sterben…

Jede Sekunde.

Und dann ging ein Ruck durch seinen Körper und schleuderte ihn zur Seite.

Von Allen Menschen auf der Welt, hab ich dich auserwählt, der Mörder zu sein die meine Tage rückwärts zählt!

Jetzt würde er sterben…

Jede Sekunde.

Und dann ging ein Ruck durch seinen Körper und schleuderte ihn zur Seite.

Nur Augenblicke später befand er sich im freien Fall… es war ein bisschen wie Schweben. Es kribbelte so seltsam im Magen, wenn man den Boden unter den Füßen verlor.

Doch das alles nahm er nur entfernt war.

Sein Kopf war leer.

Warum spürte er keinen Schmerz?

Müsste es nicht eigentlich furchtbar wehtun, wenn man mit einem LKW kollidierte?!

0der-…

Dann machte Kris eine unsanfte Bekanntschaft mit dem Boden, die auch hätte mehr schmerzen sollen und erst da fiel ihm der andere Körper auf.

Durch Diesen war sein Fall also gebremst worden.

Er blinzelte nach oben und sah, dass er in Lucas Armen lag.

Verwirrt starrte er den Gothic an, der mit ihm auf den kleinen Seitenstreifen der Straße lag.

Wo war er so schnell hergekommen?

Der LKW zog immer noch laut hupend an den Beiden vorbei.

Wie war er denn nur entkommen?

Luca stöhnte leise und seine Arme, die den Dunkelhaarigen bis jetzt eng an den anderen Körper gepresst hatten, fielen einfach nach unten.

»Luca? Alles okay?« fragte er besorgt und konnte wirklich für einen Moment die prekäre Situation vergessen, die für den Vorfall verantwortlich war. »Hast du dich verletzt?«

Der Rothaarige fuhr ruckartig auf und packte seine Schultern.

Die sonst so warmen Augen strahlten kalte Wut aus.

»Sag mal hast du Fasching im Hirn, Junge?! Das hätte verdammt schief gehen können… wieso hast du das gemacht?«

Benommen bemerkte Kris, dass der Arm des Älteren blutete. Er schien über den Asphalt geschlittert zu sein. Wenn er so genau darüber nachdachte, konnte er keine der Bewegungen im Nachhinein mehr nachvollziehen… es war alles so schnell gegangen!

»Es… es tut mir Leid…« war alles was er herausbrachte.

Luca schnaubte. »Boha ich glaub das nicht! Wieso bist du stehen geblieben, äh? Der hätte dich erwischt, wenn du noch länger da rumgestanden und gestarrt hättest! Man ey…!«

Er wusste nicht was er dazu sagen sollte.

Wirklich nicht.

War der LKW wirklich noch soweit weggewesen, dass Luca die Zeit gehabt hatte ihm nach zu sprinten?... Anscheinend…

Die Dunkelheit in seinen Gedanken war gänzlich verschwunden, aber nun war auch alles vorherig Geschehene wieder da.

Luca und David…

Er wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen.

Umständlich rappelte er sich auf und wollte sich abwenden.

Vielleicht sollte er sich wenigstens bedanken? Schließlich hatte ihn der Andere quasi das Leben gerettet und wenn nicht das, dann hatte er ihn zumindest vor einem Krankenhausaufenthalt bewahrt. Er haderte noch mit sich, als ihm Luca die Entscheidung letztendlich abnahm.

Er nahm umstandstandslos die Hand des Kleineren und zog ihn hinter sich her.

»Komm jetzt mit.«

Kris sträubte sich gegen ihn, hatte aber keine Chance.

»Nein, ich will nicht… bitte…«

»Halt den Mund und komm endlich!« fuhr der Rothaarige ihn an.

Der Dunkelhaarige zuckte bei dem harschen Ton zusammen.

So hatte der Gothic noch nie mit ihm gesprochen. Dieses Mal schien er es echt übertrieben zu haben… aber er konnte doch nichts dafür.

Er wollte nur geliebt werden.

Was hatte er eigentlich verbrochen, dass das anscheinend so schwer war?

Kris stellte den Wiederstand ein und ließ sich willenlos hinterherziehen.

Über die Ampel, zurück in den Park…

Es gab kein Entkommen mehr. Jetzt musste er sich auch David stellen.

Er wollte das nicht.

Jetzt würde er die letzten zwei Menschen verlieren die ihm etwas bedeuteten.

Da war er sich absolut sicher und diese Tatsache ließ die Tränen wieder in ihm hochsteigen. Ohne dass er sie aufhalten konnte, strömten sie über seine Wangen und versuchten erneut den Schmerz aus seinem Körper zu fluten. Wieder versagten sie.

Genau wie er das immer tat.

»Kris… sag mal weinst du?« wollte Luca plötzlich wissen und blieb stehen.

Der Angesprochene konnte nichts außer einem Schluchzen erwidern.

Er wollte ihn nicht verlieren… er hatte ihn doch grade erst gefunden und…

Er liebte den Rothaarigen so dolle.

Es tat so weh.

»Hey…« Jetzt klang seine Stimme wieder gewohnt sanft und er zog ihn in die Arme. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben, okay? Ich war nur so… erschrocken. Komm wir gehen erst Mal heim, ja?«

Kris nickte zittrig.

Sie setzten sich wieder in Bewegung.

Eigentlich wollte er nicht zurück. Jede Zelle in seinem Körper schien sich zu weigern… alles in ihm schrie danach zurück zu gehen. Nur die Tatsache, dass Luca noch immer seine Hand hielt, ließ ihn weiter geradeaus gehen.

Auf Davids Haus zu.

Sie gingen schweigend, bis sie das Haus erreicht hatten. Luca klingelte und fast sofort wurde die Tür aufgerissen. David sprang die Beiden förmlich an.

»Scheiße, Kris! Gott sei Dank ist dir nichts passiert!«

Und obwohl immer noch der Schmerz in ihm regierte, klammerte er sich an den Blonden. Es tat so gut zu wissen, dass er nicht böse auf ihn war.

Der Gothic schob sie sanft ins Haus und schloss die Tür hinter sich.

Gemeinsam gingen sie ins Wohnzimmer, wo David Luca einen vielsagenden Blick zuwarf und dann in die Küche verschwand.

»Ich mach uns mal nen Tee, bin gleich wieder da!«

Kris stand nun wie verloren in dem ihm so bekannten Zimmer und fühlte sich plötzlich wie ein Ausgestoßener. Was sollte er jetzt tun?

Er wollte doch gar nicht hier sein!

Er wollte nicht hören das David und Luca sich liebten… oder zusammen waren oder…

Nein!

Der Dunkelhaarige wand sich zur Treppe um.

»Ich… ich geh nach oben… müde…« nuschelte er und war schon dabei zu gehen, als ihn Luca am Handgelenk packte und ihn zu sich zurückzog.

»Lauf nicht wieder weg, Kleiner. Wir müssen darüber reden.«

»Nein. Es … es ist alles okay, wirklich. Ich geh,… ich lass euch ein bisschen allein und geh schlafen… ich - «

»Lüg mich nicht an Kris. Es ist nicht alles okay. Sonst wärst du wohl kaum so lebensmüde über diese Straße gebrettert. Also los, wir müssen darüber reden.«

»Nein… ich will das nicht… bitte… nicht…«

»Kris! Setz dich endlich auf das verflixte Sofa!«

Er fuhr zusammen, kam der Aufforderung jedoch sofort nach.

Auch wenn er nicht wollte, er konnte einfach nicht anders. Ihm war schon von klein auf eingetrichtert wurden, dass er auf Befehle zu hören hatte. Es war beinah ein Reflex von ihm wie Atmen oder Blinzeln.

Das schien auch der Rothaarige leider Gottes durchschaut zu haben.

»Geht doch…« seufzte Luca nun und ließ sich neben ihn sinken. »Also, wegen dem Kuss, ich-«

»NEIN!« fuhr Kris dazwischen und vergrub seine Hände in den Haaren. »Ich will das nicht hören! Ich will nicht!...«

Wo die Worte genau herkamen wusste er selber nicht, doch in diesem Moment schossen sie einfach so aus ihm heraus. »Ich will nicht hören das du mich nicht willst, weil ich hässlich und dumm bin. Bitte sag es nicht. Halt mich von mir aus für abartig, aber sag es mir nicht… bitte ich will nicht… ich… nein…bitte nein…«

Wie im Wahn stammelte er die Wörter vor sich hin und wiegte sich vor und zurück.

»Scht… Kris, beruhig dich doch.«

Beruhigen?

Wie sollte er sich denn beruhigen?

Er würde gleich alles verlieren und…-

Sanfte Hände lösten seine eigenen aus den Haaren.

»Kris… ganz ruhig…«

Wimmernd schüttelte er den Kopf.

Er wollte das nicht hören, warum quälte ihn der Andere denn so?!

Und dann lagen plötzlich weiche Lippen auf die Seinen.

Er riss die Augen auf, schloss sie aber wieder als er realisierte, dass Luca ihn gerade küsste.

Wie von selbst schlangen sich seine Arme um den Hals des Gothics und er klammerte sich an den Älteren wie ein Ertrinkender, während er die Zärtlichkeiten der fremden Lippen erwiderte.

Ganz sanft wurde er in die Polster der Couch gedrückt.

Tausend Schmetterlinge stoben in seinen Magen auf… jedenfalls fühlte es sich so an.

Nie in seinem Leben hatte er etwas Vergleichbares gespürt.

Unwillkürlich wünschte er sich, dass dieser Kuss niemals enden würde…

Doch natürlich war das absolut unrealistisch und dumm.

Viel zu schnell waren die sanften Lippen wieder verschwunden.

»Hörst du mir jetzt endlich zu, Kleiner?« wollte Luca rau wissen und lehnte seine Stirn an die von Kris.

Er war ihm immer noch so nahe!

Liebesbedürftig drängte sich Kris an den Anderen.

Er wollte noch so einen Kuss!

Doch Luca lächelte nur schief und hauchte ihm nur noch einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, ehe er sich endgültig von ihm löste und wieder aufrichtete.

»Du hast das vorhin völlig falsch verstanden. Ich… war nur mit der Situation da leicht überfordert.« begann Luca zu reden und sah den Kleineren an.

Jetzt richtete sich auch der Dunkelhaarige wieder auf.

»Heißt… heißt das das… ich mein… du… ich…«

Schüchtern sah er ihn an.

»Das heißt ich finde dich nicht abartig und bin generell nicht abgeneigt.« lächelte der Gothic. »Trotzdem müssen wir noch mal über deine Gefühle reden.«

»Aber… ich… ich meinte das ernst… ich lie -«

Kris wurde von Luca unterbrochen, der ihm den Zeigefinger auf die Lippen gelegt hatte.

»Sag es nicht.«

»W- warum nicht?« wollte Kris wissen und sah ihn an.

»Weil du es nicht weißt…« Der Rothaarige zog seine Hand zurück und schüttelte den Kopf. »Ich – «

»Doch das weiß ich! Bitte…« Kris stockte. »Du… du findest mich doch hässlich oder…? Du… du willst nicht mit mir…-«

»Nein! Man ey…« Luca fuhr sich übers Gesicht und seufzte. »Du verstehst das nicht. Ich… - was ist wenn du Dankbarkeit mit Liebe verwechselst, Kris?«

»Was? Nein!... ich meine… sicher, ich bin dir dankbar…aber… es – es ist so groß. Ich hab so etwas noch nie gefühlt. Es kribbelt und tut gleichzeitig weh und ich… ich will dich küssen, schon länger.« haspelte er herunter und wurde immer röter im Gesicht. »Das muss Liebe sein!«

»Bist du dir wirklich sicher, Kris?«

»Ja!«

»Wenn -«

»Bitte… bitte, sag nicht nein zu mir…« flehte er fast und sah den Älteren an. »Stoß mich nicht nochmal zurück. Ich ertrag das nicht… bitte…«

Luca stöhnte und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Einen furchtbaren Moment war es ruhig.

Kris spürte sein Herz rasen und fühlte sich leicht schwindlig.

»Luca?«

»Wie könnte ich denn nein zu dir sagen, hm?« fragte der Angesprochene rau und bedachte ihn mit einem so warmen Blick, dass der Dunkelhaarige ganz weiche Knie bekam.

Hätte er jetzt gestanden, hätten ihm höchstwahrscheinlich seine Beine den Dienst versagt.

»H – heißt das…?«

Nun lachte der Ältere heiser und breitete seine Arme aus.

Diese Einladung brauchte er nicht zu wiederholen. Sofort schnellte Kris nach vorne und stürzte sich in die schützenden Arme. Übermütig drückte er Luca seine Lippen auf, ehe er sein Gesicht an dessen Halsbeuge vergrub und tief den tollen Geruch einsog.

Leicht krallte er seine Finger in das T – Shirt des Anderen.

Das musste doch ein Traum sein, oder?

»Sag mal, wie lange stehst du schon da?« fragte Luca plötzlich.

»Lange genug um zu wissen, dass ich gratulieren kann…« erklang Davids amüsierte Stimme.

»Spanner!«

Kris sah seinen blonden Freund betreten an.

»Es tut mir Leid, Davy… ich…« er brach ab und knetete nervös seine Hände in seinem Schoß. »Ich wollte nicht… nicht so sein ich… bitte, sei nicht böse…«

»Das bin ich nicht. Ich bin nur froh, dass dir nichts passiert ist!« meinte David grinsend und zog ihn ohne Umstände in eine Umarmung. »Was mach ich nur mit dir, du Chaot. Dich kann man echt keine Sekunde alleine lassen.«

»Tut mir Leid.«

»Das sagtest du schon!«

Alle drei lachten.

Und Kris hatte das Gefühl plötzlich der glücklichste Mensch der Welt zu sein.

»So und nun behandeln wir mal die Wunde, da!«

Stimmt… da war ja noch was!

Kris wand sich zu Luca um, doch dieser wank bereits ab.

»Alles halb so wild.«
 

Es war kein Traum…

Auch zwei Tage darauf durfte er Luca immer noch nahe sein… ihn küssen und sich einfach an ihn schmiegen wann er wollte.

Schon alleine diese Dinge machten ihn glücklich und gaben ihm das Gefühl zu schweben.

Für andere mochte das alltäglich sein, doch für ihn war es das nicht.

Die Gewissheit den Gothic berühren zu dürfen wann immer er es wollte, war für ihn das größte Geschenk was er seit langem bekommen hatte.

So vergingen die nächsten Stunden wie in rosa Zuckerwatte.

Das klang klischeehaft und girlymäßig… aber so war es nun mal. Er war schwer verliebt.

Und er genoss jede Sekunde davon.

Immer wieder verschloss er die Lippen mit denen von Luca, wann immer er auch die Gelegenheit dafür hatte. Er konnte einfach nicht genug von dem Gefühl bekommen. Und noch besser war es, dass sein Kuss jedes Mal erwidert wurde.

Nur die Schule war schwer für ihn.

Kris konnte es sehr gut verstehen, warum David und Luca der Meinung waren das nicht jeder etwas von der frischen Liebe wissen sollte. Doch es war so unheimlich schwer den Rothaarigen nicht berühren zu dürfen, wenn er so nahe war.

So wurde es wieder zur Qual in das Lehrhaus zu gehen… trotzdem war es kein Vergleich mehr zu einst.

Luca war es.

Wie ein Held war er einfach auf der Bildfläche erschienen – mit einem lauten Knall.

Er hatte ihn gerettet und sein komplettes Leben auf den Kopf gestellt.
 

»Woran denkst du denn?«

»Willst du dich nicht setzten?«

Kris sah zu den beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben hinunter. Wie immer saßen sie auf der abgelegensten Bank des Hofes. Während die Beiden sich schon gesetzt hatten, war er stehen geblieben. Schüchtern sah er jetzt zu seinem Freund.

Er wollte ihn berühren und küssen. Es war absurd, aber er vermisste ihn so sehr… und das obwohl er keine 2 Meter von ihm weg saß und sie den ganzen Tag zusammen verbringen konnten.

Aber seine Sehnsucht sprach andere Sprachen. Kris wollte nicht nur reden, er wollte sich in die Arme kuscheln und diese Geborgenheit spüren, die er sein ganzes Leben so vermisst hatte.

»Hey… wo bist du denn mit deinen Gedanken, Kleiner?«

Kris konnte ihn nicht ansehen.

»Kann ich… ich meine… darf ich vielleicht…- ich-…« stotterte er und starrte weiter auf den Boden. Er wollte es so sehr.

Er hörte Lucas Lachen. »Na komm schon her.«

Und ehe er sich versah, saß er auf dem Schoß des tollsten Menschen der Welt und durfte sich an ihn drücken. Dafür bekam er einen sanften Kuss.

»Besser?«

»Hm mhm.«

»Meine Güte, das hält man ja im Kopf nicht aus.« grinste David keck. »Nehmt euch endlich ein Zimmer oder beachtet mich. Ich komm mir vor wie ein Anhängsel.«

Die Drei lachten.

Der Rest der Pause verging viel zu schnell. Die wenigen Berührungen waren für Kris fast wie Tropfen auf den heißen Stein gewesen und trotzdem freute er sich.

Zusammen gingen sie zurück zum Schulhaus.

Vor der Tür ließ Luca seine Hand los und irgendwie tat das weh.

Wie gerne würde er sehen, dass Luca zu ihm stand… auch in der Öffentlichkeit. Warum scherten sie sich eigentlich darum was die Anderen dachten?

Ihre Meinung über ihn hatten sie sich doch schon vor Jahren gebildet…

Und Kris glaubte einfach nicht daran, dass sie die ändern würden.

Wenn Luca nicht bei ihm wäre und ihn schützen würde, würden sie ihn weiter schikanieren und klein machen. Warum sollten sie es sich plötzlich anders überlegen.

Nur Minuten später bewahrheitete sich seine Vermutung zur grausamen Realität.

Einige Minuten vor Stundenbeginn hatten sich Luca und David noch mal auf Toilette verabschiedet, Kris, der das Bedürfnis nicht verspürte, war bereits zum Klassenzimmer vorgegangen. Und da waren sie…-

»Ey, Freak… wo hast du denn deine Beschützer gelassen?«

Kris zuckte zusammen, sagte aber nichts dazu sondern versuchte einfach an den Vieren vorbei ins Klassenzimmer zu gehen.

Doch ehe er sich versah, wurde er von einem breiten Körper an die Wand gepresst.

Er keuchte auf.

»Jetzt hör mal zu du Opfer… denk ja nicht das du jetzt was Besseres bist nur weil dein Schwuchtelfreund und du diesen Gothic da als Beschützer habt…« zischte Sascha aggressiv und presste ihn mit seinem kompletten Gewicht weiter den Sauerstoff aus den Lungen. »Wenn der nicht wäre, hätte ich dir deine Homogedanken in der Dusche schon ausgetrieben, glaub mir.«

Wie sollte er das nicht glauben?

Die Erinnerungen waren leider noch zum Greifen nahe… unwillkürlich erschauderte der Dunkelhaarige, als er sich an diesen schrecklichen Tag zurück erinnerte.

Ein Knie schob sich zwischen seine Beine und bedrohte seine empfindlichste Stelle.

»Bitte… nein…«

»Pah. Das war schon immer das was du am besten konntest…« meinte der Andere herablassend. »Rumjammern. Ich versteh gar nicht, was der komische Luca so an dir gefressen hat. Lässt du ihn an deinen Arsch ran, ja?«

Kris zitterte.

Er wollte das nicht. Wieso tat er ihm so was an?

Das Gesicht seines langjährigen Peinigers rückte seinen immer näher, so das der Dunkelhaarige irgendwann den Kopf drehte.

Warum half ihm nur keiner?

»Soll ich dich vielleicht auch mal ficken? Dann mag ich dich eventuell auch und dir würde es doch bestimmt gefallen, äh?«

Kris riss die Augen auf.

Wovon redete er da?!

Er würde doch nicht…-

Anscheinend schon.

Zischend holte er Luft als er die grobe Hand an seinem Schritt spürte, die an seinem Reißverschluss zerrte.

Nein!

Was wollte er denn von ihm?

Das ging zu weit, nein!

Und plötzlich waren sie alle wieder da, stürmten auf ihn ein aus jeder dunklen Ecke seines Verstandes. Hämmerten in seinen Hirn und legten seine Wahrnehmung still.

Jetzt waren es nicht nur Saschas Hände die nach ihm griffen.

Die Hände waren größer und rauer. Hände die ihn überall berührten und bärtige, raue Lippen die sich widerlich gierig auf seinen Körper legten.

Kris begann zu schreien und wehrte sich wie von Sinnen.

Er konnte die Realität nicht mehr von dem Grauen unterscheiden was in ihm wohnte und versuchte dem allen irgendwie zu entkommen.

Jedenfalls so lange bis ihn ein Schlag mitten ins Gesicht zu Boden beförderte.

»Bist du bescheuert? Sei endlich leise…«

Dann war der Körper über ihm.

»Nein… iihh… lass mich,… nein… nein… bitte…«

Und je verschwanden die Hände und der Körper und mit ihnen die Erinnerungen.

»HAB ICH DIR NICHT GESAGT DU SOLLST IHN NIE WIEDER ANFASSEN!??«

Kris war mit einem Schlag wieder in der Realität.

Er sah auf und bemerkte, dass Luca und David dazugekommen waren, ebenso wie er bemerkte, dass die drei Freunde von Sascha sich zurückgezogen hatten und das Ganze mit dem Rest der Klasse still im Klassenzimmer auf ihren Plätzen beobachteten.

David war bei ihm, half ihm langsam aufstehen und betrachtete sich seine Lippe.

Doch Kris ganze Aufmerksamkeit galt seinem rothaarigen Freund.

Er registrierte das die Tasche und der Mantel, den Luca vor kurzem noch getragen hatte weiter hinten im Flur lagen. Er schien sie einfach abgeworfen zu haben.

In seiner Wut hatte er die Ausstrahlung einer Naturkatastrophe. Seine Bizeps Muskeln (die man durch das T – Shirt sehr gut sehen konnte) spannten sich an, als er den Anderen am Kragen zu sich hochzog.

»Sing ich oder was, du Lappen. Du wirst Kris in Ruhe lassen und ich sage dir, solltest du auch nur einmal noch in seine Nähe kommen wird dir das verflixt leidtun… und wenn du mir das nicht glaubst, dann kannst du es gerne ausprobieren.«

»Ich…-«

»Fresse halten…« knurrte Luca und wirkte dabei so bedrohlich, dass selbst Kris ein Schauer über den Rücken lief. Er hatte den Gothic noch nie so außer sich gesehen… und es machte ihm Angst. Durch seinen Zorn wirkte er noch viel größer und wenn ihn nicht alles täuschte, dann schwebten Saschas Schuhsohlen Millimeter über den Boden und dass obwohl er viel breiter war als Luca selber. »Wenn ich noch ein Ton von dir höre, dann spielen wir ne Runde knick knack Ärmchen ab, verstanden?«

Das schien zu wirken. In Saschas Augen spiegelte sich die nackte Panik wieder und irgendwo in Kris jubelte Genugtuung darüber, dass der Andere endlich selber einmal die Angst spürte, die er sein ganzes Leben lang gefühlt hatte.

»Was soll das werden?« hallte plötzlich die Stimme ihrer Lehrerin im Gang wieder. »Herr Linton, lassen sie Herrn Schäfer sofort los!«

Luca tat es fast sofort, sodass der Andere unsanft auf dem Boden aufkam.
 

Eine halbe Stunde später saß Kris vorm Direktorzimmer und hibbelte auf dem unbequemen Stuhl hin und her. Luca war noch immer nicht wieder hier erschienen.

Wieso dauerte denn das so lange?

Nach dem Vorfall hatten Kris und David sich solange geweigert wieder in den Unterricht zu gehen, bis die Lehrerin ein Einsehen hatte und – nachdem sie Kris Lippe behandelt hatte, die bei dem harten Schlag aufgesprungen war wie eine Überreife Banane – hatte ihnen frei gegeben.

Unfassbar aber wahr.

So warteten sie nun auf Luca.

Und das seit dreißig Minuten.

Langsam bekam Kris wirklich Angst.

Was wenn der Gothic wegen ihm in ernsten Schwierigkeiten steckte?

Das würde er sich niemals verzeihen!!

Und nach einer gefühlten Ewigkeit ging endlich die Tür auf und Luca erschien.

»Ja ja, ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Tag…« seufzte er und schloss die Tür hinter sich. Als er die Beiden bemerkte lächelte er müde. »Hey…«

Der Dunkelhaarige sprang auf und direkt in seine Arme, sein Gesicht an der starken Brust versteckend, die ihm sofort ein Gefühl von Sicherheit vermittelte.

Endlich,…

»Woha. Langsam, Kleiner. Es ist alles okay. Der Vortrag war nur langatmig und wiederholend, aber ansonsten ist alles gut…« meinte Luca und fuhr Kris sanft durch die Haare. »Ich bin nur den restlichen Tag vom Unterricht befreit, was anderes haben die sich wahrscheinlich nicht getraut, weil die Angst haben das Rena ihnen den Arsch aufreißt. Wo wir beim Thema wären. Was macht ihr hier?«

David lachte.

»Ich konnte die Berger überzeugen, dass Kris hier das Opfer ist. Und sie hat uns beiden freigegen, weil es ja unzumutbar wäre ihn in seinen Zustand allein zu lassen…« zwinkerte der Blonde und schüttelte den Kopf.

»In seinem Zustand? Will die mich verarschen? … hätte der ihm was getan, hätte ich ihn alle Knochen gebrochen!«

»Du hast seine Lippe noch nicht gesehen, was?«

>Was

Der Dunkelhaarige wurde an den Schultern gepackt und zurückgezogen, sodass Luca ihn ansehen konnte und als dieser seine Lippe sah knurrte er wieder.

»Vergesst was ich gesagt habe… ich WERDE ihn alle Knochen brechen.«

Und tatsächlich wollte er sich lösen und an Kris vorbei gehen, doch dieser klammerte sich an ihm fest und schüttelte den Kopf.

»Alles okay… bitte bleib hier.«

Er spürte deutlich wie Luca mit sich kämpfte. All seine Muskeln schienen aus Drahtseilen zu bestehen, die unaufhörlich unter seiner Haut zuckten.

Kris drängte sich noch näher an den Gothic. »Bitte, das ist er doch nicht wert. Bleib bei mir…« nuschelte er und hauchte einen Kuss auf die Lippen des Größeren.

Die Anspannung fiel von dem Rothaarigen immer mehr ab und er seufzte.

»Lasst uns gehen, sonst flipp ich hier noch komplett aus.«

Kris nickte und ließ sich von dem Anderen mitziehen, genoss ihre verschränkten Finger…

Aber komplett?

Hieß das, dass das eben noch nicht alles war?

Wollte er dann je erleben wie Luca komplett ausflippte?

Hm… nein, nein das wollte er wahrscheinlich wirklich nicht…

Ich sehe Haut so weiß wie Schnee & ein Gesicht aus dem die seelenlose Stimme einer abgelegten Puppe spricht...

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ich sehe Haut so weiß wie Schnee & ein Gesicht aus dem die seelenlose Stimme einer abgelegten Puppe spricht...

Zusammengekauert saß er auf seiner schäbigen Matratze.

Er hatte seine Arme fest um seine Knie geschlungen und den Kopf darauf abgelegt.

Sein Körper zitterte noch immer vor Angst. Die Wut die ihm vorhin entgegen geschlagen war, steckte ihn immer noch in den Knochen.

Ihm war schon klar gewesen, dass sein Vater nicht gut auf ihn zu sprechen war, nach den letzten Mal… aber mit einer so heftigen Reaktion hatte her nicht gerechnet.

Er schien es wirklich übertrieben zu haben, so war der Ältere noch nie mit ihm umgegangen.

Alles tat ihm weh…

Leicht bewegte er seinen Kopf und hörte das Rasseln der Ketten.

Er wollte zurück…

Schon fast bereute er seinen Entschluss nach Hause zurückgekehrt zu sein.

Auch wenn es seine Pflicht.

Stumme Tränen rannen über seine Wangen, während er versuchte sich irgendwie bequem hinzulegen. Etwas was sich leichter anhörte als es war.

Es war bereits dunkel.
 


 

Montag.
 


 

Dienstag.
 


 

Mittwoch.
 


 

Donnerstag.
 


 

Freitag.
 


 


 

Alles verlief in einem tristen Grau.

So grau wie die Wände des Zimmers, das er seit fünf Tagen bewohnte.

Alles war egal…

Er war so allein.

Die ganze Woche war er nicht zur Schule gegangen. .. war ihr in diesem zeitlosen Zimmer eingesperrt gewesen.

Sein Körper schmerzte so sehr…-

Und ihm war klar, wie sehr sich David und Luca um ihn sorgen mussten.

Kris war gefangen sind seinen Gedanken, die endlose Schleifen drehten.

120 Stunden hatte er jetzt nur diese gehabt. Schwarze Gedanken…

Langsam bekam er wirklich das Gefühl verrückt zu werden. Und das war nicht einfach nur so daher gesagt… es fühlte sich tatsächlich so an.

Als wären die Gedanken fremdgesteuert…

Man konnte nichts mehr an sich selber kontrollieren. Man verlor einfach die Kontrolle.

Das Wort Zeit hatte für jegliche Bedeutungen verloren; nur der Gedanke an Luca und David ließen ihn das alles irgendwie aushalten.

Man konnte sich wirklich an alles gewöhnen. Das war nicht einfach nur ein Sprichwort… das entsprach der Wahrheit.

Auch wenn diese Realität schmerzhaft war.

Schon seit einer gefühlten Ewigkeit konnte er nicht mehr richtig riechen.

Fast alle seine Sinne waren lahm gelegt. Nur fühlen tat er…

Alles in ihm schien sich darauf zu beschränken.

Doch er fühlte nur Schmerzen…-

Unerträgliche Schmerzen.

Nichts als Schmerzen!

Wenn Kris jedoch ehrlich zu sich selber war, wollte er auch nichts anderes mehr können.

Vor allem nicht riechen…

Im Anbetracht der Tatsache, dass er hier schon so viele Tage ununterbrochen lag, konnte er gut darauf verzichten sich selber zu riechen oder zu sehen.
 

Kris konnte nicht mehr genau sagen wann, aber irgendwann – nach gefühlten Jahrhunderten – kam sein Vater zu ihm.

Wie jeden Tag brachte er ihm seine Essenration. Doch als er das Tablett heute abstellt hatte, trat er auf ihn zu und löste seine Handschellen, die ihn bis jetzt an den Eisenring an der Wand über seiner Matratze fixiert hatten.

Laut rasselnd fielen sie ab.

Ein pochender Schmerz fuhr sofort in die gepeinigten Gelenke.

Er wimmerte leise auf.

»Ich hoffe du weißt jetzt wieder wer und was du bist, Kris.« raunte der Ältere nah an seinem Gesicht.

»Ja, Sir.« antwortete der Dunkelhaarige tonlos.

»Sehr gut. Denn du gehört mir… nur mir…«

Er tätschelte seinem Sohn lächelnd den Kopf.

»Du isst jetzt etwas, säuberst dich und dann machst du mir Abendbrot.«

»Jawohl.«

Und Kris tat es wie automatisiert.
 

Am Montagmorgen durfte er wieder in die Schule. Aber wirklich freuen konnte er sich nicht.

Alles in ihm war erfroren und kalt…

Alles was er tat geschah mechanisch.

Er ging seinen Schulweg entlang, sowie Jahre zuvor. Ihm war nur nicht mehr klar wie dieses Stück Weg damals so viele Emotionen in ihm hatte hervorrufen können.

Das alles schien so weit weg.

Alles schien so entfernt wie noch nie zuvor.

Das ganze Wochenende hatte sein Vater ihm klar gemacht, dass er nichts war…

Er würde für immer in der Schuld dieses Mannes stehen…

Er hatte ihm seine Frau genommen und musste nun ihre Stelle einnehmen, das sagte er zumindest.

Ohne das er es wirklich zu bemerken erreichte er den Treffpunkt.

»Kris! Dem Himmel sei Dank!«

Der angesprochene sah auf und hatte im nächsten Moment auch schon seinen blonden Freund am Hals hängen. Dieser umarmte ihn fest.

Und endlich, endlich spürte er wieder Wärme… auch wenn diese nicht bis in sein Inneres durchdrang.

»Hallo.« sagte er nur und umarmte den Anderen etwas überfordert zurück.

Um ehrlich zu sein hatte er nicht einmal erwartet, dass der Blonde nach einer Woche, in der er nicht aufgetaucht war, hier auf ihn wartete.

David löste sich von ihm und sah ihn ins Gesicht.

»Kris… was ist denn nur passiert.«

»Nichts.«

Ungläubig sah er den Dunkelhaarigen an.

»Man, als du die letzte Woche nicht in die Schule gekommen bist… Luca und ich sind gestorben vor Sorgen! Was war denn nur los…«

»Nichts, sag ich ja. Ich war krank.« wank er ab und ging ein paar Schritte. »Lass uns losgehen, sonst kommen wir zu spät.«

Irgendetwas in ihm schrie auf.

Es tat so weh David auf Abstand zu halten. Er war doch der einzig Vertraute den er je hatte…

Trotzdem…

Er konnte das nicht.

Du gehörst nur mir, versteh das endlich. Wenn ich noch einmal höre, dass du die anderen mir vorziehst, dann finde ich deine kleinen Freunde und sie werden so enden wie Georg… erinnerst du dich an Georg, Kleiner?-… Sie werden auch so aussehen, wenn ich mit ihnen fertig bin…, echoten die Worte seines Vaters in seinem Kopf und lösten wieder dieses grenzenlose Grauen in ihm aus.

Das würde er nicht zulassen…

Nie!

Luca und David waren in seinem beschissenen Leben das Beste und wichtigste was er besaß.

Er würde alles für sie tun.

Auch wenn es ihn selber um den Verstand brachte.

Ja…

Er spürte, dass der Blonde nach ihm greifen wollte, doch er schlug die Hand weg.

»Wir haben keine Zeit. Komm…«

Und sie liefen zur Schule.

Schweigend.

Es tat so weh…
 

Als sie auf den Schulhof angekommen waren, stand da Luca und sah ihnen entgegen.

Man sah die Erleichterung in seinem Gesicht.

Er kam auf sie zu.

Doch Kris sah auch den stummen Blickkontakt zwischen seinem besten Freund und dem Gothic. Anscheinend wollte er ihn warnen.

»Hey, mein Kleiner… endlich bist du wieder da.« sagte Luca heiser und umarmte ihn.

Die Nähe… der Geruch…

Oh scheiße, wie er das vermisst hatte.

Am liebsten wollte er sich an den Anderen klammern und ihn küssen bis er sich wieder mehr wie er selbst fühlte…

Doch das durfte er nicht.

Langsam löste er sich und lächelte schwach.

»Entschuldige. Ich wollte nicht, dass du dich sorgst.« sagte er leise. »Lasst uns reingehen.«

Er sah sehr wohl das Erstaunen im Blick des Rothaarigen. Anscheinend hatte er nach der langen Zeit eine andere Begrüßung erwartet.

Aber er konnte einfach nicht.

Wenn er Luca jetzt küssen würde, dann würde er das alles nicht mehr aushalten.

Nicht, dass es jetzt einfacher war…

Doch er war sich sicher, wenn er den Gothic näher an sich heranließ, würde alles aus ihm herausbrechen. Und das wäre tödlich.

Für alle…

Sie gingen hinein.

Und wieder breitete sich dieses unangenehme Schweigen aus.

Es begleitete ihn noch den ganzen Tag.

Kris fühlte sich wie fern gesteuert… so als würde alles was er tat und sagte nicht zu ihm gehören. Und das war so ein schreckliches Gefühl.

Dieses Schweigen begleitete ihn auch noch weitere Tage und immer mehr verfiel er in eine triste Lethargie.

Bei seinem Vater war es wieder wie immer, doch er bekam es kaum mit.

Menschen gingen und kamen…

Aber die Menschen die er brauchte schienen sich immer mehr von ihm zu entfernen.

Weil er sie fernhielt.

Die Kälte in ihm breitete sich immer mehr aus und schien alles unter einer weißen Schicht zu begraben. Alle Ängste und Sorgen, alle Liebe…

Es war angenehm nichts zu fühlen.

Doch wenn man wusste wie es war zu fühlen, fehlte einem etwas, wenn man es nicht mehr tat.

Kris bemerkte erst am Ende der Woche, dass er sich im Kreis drehte.

Immer wieder machte er sich selber was vor in dem Bemühen seine beiden Freunde zu schützen.

Doch das war doch in Ordnung oder?

War es das wirklich?

Der Dunkelhaarige fand keine zufriedenstellende Antwort, wie sehr er auch überlegte.

Die Woche ging, das Wochenende kam und noch immer hatte er sowohl Luca als auch David immer wieder abgewiesen.

So gleichgültig wie möglich verabschiedete er sich von Beidem und ging allein nach Hause, eh sie reagieren konnten.

Und wieder schrie sein Herz und pochte schmerzhaft in seiner Brust.

Ein Gefühl was in dieser Woche schon fast Alltag geworden war.

Er ging den Weg zu seinem Haus ohne irgendetwas zu wahrzunehmen oder irgendjemanden zu sehen. Er setzte einfach einen Fuß vor den Anderen…

Seine Gedanken jedoch waren bei Luca.

Der Gothic war ihm in den letzten Tagen so nahe gewesen und er hatte ihn weggestoßen. Immer wieder hatte er versucht mit ihm zu reden und ihn zu küssen und er hatte ihn weggestoßen.

Eine tiefe Angst Luca jetzt zu verlieren machte sich in ihm breit.

Was wenn er sich irgendwann einfach nach jemanden neuen umsah?

Jemanden der weniger kompliziert und weniger hässlich war?

Was wenn er mit dem versuch diesen wunderbaren Menschen zu schützen, das erreicht was er niemals wollte…

Was wenn er sich von ihm abwand?

Er liebte ihn doch so sehr…

Das erste was ihn aus seinen Gedanken reißen konnte, war das schwarze Auto was vor ihrem Haus parkte. Dieser Große Pick – up war schon immer ein böses Omen gewesen.

Heute war also wieder Pokerabend.

Komischerweise blieb auch die gewohnte Panik aus.

Sie war zwar verhanden, aber so unter seelenkälte begraben, dass sie benebelt und weit weg schien.

Kris ging ins Haus.

Er ordnete die Schuhe, die kreuz und quer im Flur lagen, stellte seine Tasche ab und zog sich aus.

Dann zog er sich die Schürze über seine Blöße, ging in die Küche und bereitete das Mittagessen zu. Da er es am vorherigen Abend schon vorgekocht hatte, brauchte er nicht wirklich lange.

Als alle Arbeiten erledigt waren ging er ins Wohnzimmer, wo die Männer zusammensaßen und Poker spielten.

Es waren fünf und sein Vater, zu dem er ging und ihn begrüßte wie es sich gehörte.

Er gehörte nur ihm.

Doch dem Dunkelhaarigen fiel sofort auf, das der Ältere schon ziemlich betrunken war für die frühe Stunde…

Sie füllten ihn ab.

Und als er die gierigen Blicke auf sich spürte, wusste er auch warum.

Es würde heute wieder passieren…

Und dieses Mal würde ihm niemand helfen können.

Aus…
 

Schmerzen…

Es war wieder Montagmorgen. Die Welt lief weiter… wie sie es immer tat.

Langsam ging Kris zum Treffpunkt.

Er konnte nicht richtig laufen. Er watschelte bestimmt merkwürdig…

Und nicht das erste Mal in diesen Tagen war er froh, dass er sich nicht selber sehen musste.

Als er bei David ankam, sah er in diese sanften braunen Augen und ihm war klar, dass Davids Vermutung ziemlich nahe an die Wahrheit heranreichte. Jedenfalls sagte das sein versteinertes Gesicht. Doch er sagte nichts…

Der Blonde nahm ihn sanft in den Arm, küsste kurz seine Stirn und ging dann schweigend mit ihm weiter.

Er hatte es anscheinend aufgegeben reden zu wollen.

Und das tat mehr weh als es Kris je vermutet hätte.

Warum hatte sein Freund ihn aufgegeben?

Der Tag verging schleppend, genau wie die anderen vor ihm.

Es war Mittagspause als Luca zu ihm kam.

Kris hatte sich nicht zu den Beiden hinaus gesetzt. Er war bereits ins Klassenzimmer gegangen.

Wenn sie ihn schon aufgegeben hatten, dann wollte er ihnen den Freiraum geben allein zu sein.

Er zuckte zusammen, als der Rothaarige sich vor ihn auf einen Stuhl fallen ließ.

»Es reicht.«

»W – was meinst du?« wollte er verunsichert wissen.

»Du redest jetzt sofort mit mir oder ich vergesse mich.«

Erneut zuckte er zusammen und als er in die vertrauten, dunkelgeschminkten Augen sah und die Wut darin erkannte, wurde ihm schlecht.

»Ich… - aber es gibt nichts zu reden. Es ist doch alles in Ordnung.« erwiderte er tonlos.

Ein dicker Kloß baute sich in seiner Kehle auf.

»Hör auf mit dem Scheiß, verdammt!« fuhr Luca ihn an. »Ich verstehe, wenn du es dir anders überlegt hast. Wenn es dir zu viel ist oder du dir bewusst geworden bist das du mich doch nicht liebst.«

Was redete er denn da?

»Aber das ist noch lange kein Grund David und mich zu behandeln wie Luft. Ist das klar? Wie wissen nicht was bei dir zuhause passiert ist… aber wenn du nicht mit uns redest, können wir dir auch nicht helfen, Kris.«

»Du… du redest Unsinn. Es ist doch alles gut.« würgte der Angesprochene mühsam hervor.

Oh nein… bitte, lass das alles nicht wahr sein!

Luca sah ihn sekundenlang an und dann wurden seine Augen kalt.

»Ich habe gedacht du würdest mir mehr vertrauen, auch wenn wir uns nicht lange kennen. Aber wenn du mich angeblich liebst, solltest du es tun. Also hast du dich wohl entschieden.«

Diese Worte ließen tief in ihm etwas zerbrechen.

Der Gothic erhob sich.

»Ich bin enttäuscht, Kris. Wirklich…«

Nein!

Dem Dunkelhaarigen blieb die Luft weg und er bekam nur verschwommen mit wie Luca zur Tür ging.

Nein! Nein! Nein!

Warum?

Der Rothaarige hatte bereits die Klinke in der Hand, als sein Herz endlich über seinen Verstand siegte. Und dann brach es einfach aus ihm heraus…

»Nein! Bitte… bitte bleib… Luca… « weinte er und war erstaunt das er überhaupt noch Tränen hatte. »Geh…nicht…bitte…«

Einige Augenblicke passierte gar nichts und Kris blieb mit seinen Tränen alleine.

Er war sich schon sicher, dass es zu spät war. Doch dann war der Gothic bei ihm.

Sanft wurde er in starke Arme gezogen und die verzweifelten Tränen wurden ihm vom Gesicht geküsst. Er klammerte sich an den Rothaarigen.

»Endlich bist du wieder da, Kleiner.«

»Geh nicht… lass mich nicht alleine…«

»Das werd ich nicht.«

»Bitte… ich liebe dich so… geh nicht.«

»Ich bin doch hier.« versuchte ihn Luca zu beruhigen und wiegte ihn hin und her. »Ich geh nicht weg, Hübscher. Ich hatte nur noch diese eine Idee um an dich ranzukommen. Alles andere hast du nicht zugelassen. Tut mir leid… bitte, hör auf zu weinen…«

Kris schluchzte und krallte sich sacht in das schwarze Hemd des Gothics.

Hieß das, das war alles geplant gewesen?

»Ich liebe dich…«

»Ich weiß.«

Er ließ sich wieder auf einen der Stühle sinken und zog den Dunkelhaarigen auf seinen Schoß.

»Da – darf ich dich…küssen?«

Diese Frage brachte den Anderen zum Lachen. Die Wärme die ihn aus den schönen Augen entgegenstrahlte, ließ ihn zittern. Und als sich dann die Lippen des Gothics auf seine legten, da spürte er seit langem wieder diese Wärme in sich aufflammen.

Sehnsüchtig drückte er sich an den anderen Körper.

Immer wieder tauschten sie zärtliche Küsse aus.

Die Zeit schien endlos…

»Es tut mir so leid…« nuschelte er an den Lippen des Anderen und begann wieder zu weinen.

Langsam sollte er doch mal genug haben.

Doch es schmerzte so sehr.

»Scht.«

Kris schlang die Arme um seinen Freund, vergrub das tränennasse Gesicht an dessen Halsbeuge und heulte einfach. Wieder einmal…

Der Rothaarige graulte seinen Rücken und war da…

Jetzt würde alles wieder gut werden.

Irgendwie…

Diese Zweisamkeit wurde von dem leisen GONG unterbrochen, das ankündigte, dass die Stunde in wenigen Minuten begann. Luca schob ihn von sich hinunter und stand auf.

Verunsichert sah Kris ihn an und wollte nach ihm greifen, doch der Andere schob ihn sanft nach vorne. »Los, pack deine Tasche.«

Er tat wie ihm geheißen und nur Minuten später befanden sie sich auf den Gang.

Als ihnen eine Mitschülerin entgegen kam, lächelte Luca sie charmant an.

»Sagst du Frau Mertin, dass wir nicht kommen können? Kris geht es nicht so gut, ich bring ihn jetzt mit David zum Arzt.«

Verliebt blickte sie zurück. »Okay.«

»Danke.«

Damit zog er Kris weiter, der bei dem kurzen Kontakt einen heftigen Stich gefühlt hatte.

Wieso schaute dieses Mädchen Luca so an?

Doch viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht. Sie sammelten David auf und liefen in den Park. Dort angekommen, drückte der Gothic seinen Freund auf eine der Bänke.

Wimmernd schoss er wieder nach oben und verzog gepeinigt das Gesicht.

Er bemerkte die Blicke seiner Freunde genau.

Mit David hatte er noch immer nicht gesprochen…

Vorsichtig ließ er sich wieder auf das Holz nieder und senkte seinen Blick.

»Es tut mir Leid, Davy…«

»Hm.«

»Wirklich. Bitte sei nicht böse auf mich… ich wollte euch beschützen…ich…- ich…«

Er stockte und knetete nervös die Hände.

»Rede doch endlich mit uns, Kleiner.« hörte er Lucas angenehme Stimme. Und dann setzten sich die Beiden links und rechts neben ihn.

Schon wieder spürte er die Tränen aufsteigen, aber er kämpfte dagegen an.

Er hatte sie doch nicht verloren…

»Ich hatte so Angst… er… er würde euch was antun wie – Georg… und da…- es tut mir wirklich Leid… ich wollte das nicht. Ich brauch euch so sehr…bitte, hasst mich nicht…«

Und wieder schüttelte ihn ein Weinkrampf.

Meine Güte, was war er nur für eine Heulsuse.

Dann spürte er Davids Hände auf seinem Bein, die ihn beruhigend streichelten und seine Lippen an seiner Schläfe. Luca nahm ihn in den Arm.

»Wir könnten dich nie hassen, Kris.« flüsterte der Blonde. »Sag uns endlich was passiert ist. Lass uns dir endlich helfen. Es tut mir weh, dich so zu sehen…«

Kris schniefte und schmiegte sich enger an seinen besten Freund.

Lucas Hand auf seinem Nacken gab ihn ebenfalls Sicherheit.

Er fühlte sich so geborgen… und er begann endlich stockend zu erzählen.

Ich hielt trotz allem an dir fest, ich hielt dich ums Verderben..., weil ich zu blind vor Liebe war -

Er erzählte von den letzten Wochen und ließ nichts aus.

Es kam Kris vor wie eine halbe Ewigkeit, doch er redete immer weiter… erzählte von allem was er erlebt hatte, nichts ließ er aus. Auch wenn er manchmal abbrechen musste um neuen Mut zu sammeln, nahm er den Faden immer wieder aufs Neue auf.

Es kam ihm selbst so vor als würde er eines dieser Dramen aus dem Fernsehen wiedergeben.

Das war kitschig und dumm…

Aber es war seine Geschichte.

Irgendwann stockte er, weil es nichts mehr zu erzählen gab was ihm wichtig erschien.

Dann herrschte Stille.

Also so viel Stille wie in einem Park herrschen konnte.

Unruhig sah er David an, der immer noch neben ihm saß und seine Hand hielt. Sein Blick war unergründlich und leer. Nur eines konnte man in seinem Gesicht lesen und das war Entsetzten.

Luca war während der Erzählung einfach aufgestanden und hatte sich eine Zigarette angesteckt.

Jetzt stand er mit den Rücken zu ihnen und rauchte.

Ob er ihm bis zum Ende zugehört hatte?

Fand er ihn jetzt vielleicht eklig und wollte Schluss machen?

Noch immer hatte er Angst einen der Beiden zu verlieren. Er würde es nicht überleben…

Besonders diese frische Liebe, die noch in den Kinderschuhen steckte.

Luca…

Warum sagte er denn nichts?

Der Rothaarige ließ seine Zigarette fallen und trat sie aus, dann drehte er sich zu ihnen um. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt… unnahbar und entsetzlich emotionslos.

»Lasst uns zu mir gehen, es fängt sicher bald an zu regnen.«

Mehr sagte er nicht. Stattdessen ging er hinüber, nahm Kris und seine Tasche und warf sie sich über die Schulter, ehe er vorging.

Der Dunkelhaarige war wie erstarrt.

Immer mehr fraß sich dieses unsagbar kalte Gefühl durch sein Inneres.

Was hat es denn gebracht die Wahrheit zu sagen?, schrie eine Stimme aus den hintersten Gefilden seines Kopfes. Jetzt weiß er was für ein Stück Dreck du bist! Was nutzt es dir?! Er wird dich nie wieder anfassen wollen… jetzt wo er weiß was du schon für dreckige Schwä-

Er wurde von dem Blonden aus seinen dunklen Gedanken gerissen, der sanft seine Hand umschloss und ihn mit sich von der Bank zog.

Auch wenn er sich überhaupt nicht in der Lage fühlte zu laufen, irgendwie schaffte er es. Und er klammerte sich an die Hand seines Freundes.

Wenige Minuten später hatten sie den Gothic eingeholt, der vor raus lief und geradeaus starrte.

Was er wohl dachte?

Ob er mit ihm Schluss machen würde?

Jetzt da er Bescheid wusste…

Wollte überhaupt jemand so einen Freund haben?

Ganz sicher nicht. Er selber würde sich wahrscheinlich an Lucas Stelle auch verabscheuen. Das änderte aber leider nichts an der Tatsache, dass er ihn liebte.

Und es tat weh…

Kris war sich sicher, dass er sterben musste, wenn Luca ihn von sich stieß, so sehr schmerzte sein Herz bereits in diesem Moment.

Fast bereute er es so ehrlich gewesen zu sein…

Warum hatte er nicht einfach den Mund halten können?

Natürlich konnte man es den Beiden nicht übel nehmen das sie so reagierten, wie sie nun einmal reagierten. Was hatte er auch erwartet?

Sie gingen weiter.

Still nebeneinander herlaufend. Doch irgendwann hielt Kris es einfach nicht mehr aus.

Vorsichtig löste er seine Hand von Davids und ließ sich näher auf Luca zutreiben.

Sein Herz schlug im Rekordtempo und schien keine Pausen mehr machen zu wollen, als er schüchtern seine Finger nach der Hand des Rothaarigen ausstreckte.

Die Angst vor Zurückweisung steckte noch tief ihn ihm drin und zappelte träge in seinen Eingeweiden. Aber die Sorge war völlig unbegründet…

Als seine Finger so scheu ihre Gegenstücke berührten, immer damit rechnend zurückgestoßen zu werden, schloss Luca seine Hand sofort um die des Dunkelhaarigen.

Erleichtert atmete Kris auf, genoss die Berührung und lief eilends neben den Anderen her.

Und während die Drei durch den Park schritten und das Gespräch noch schwer auf ihren Gemütern hing, fing es an zu Regnen.

Fast so, als wolle der Himmel versuchen sie reinzuwaschen…

Natürlich nur wenn man gläubig war.
 

Bei Luca in der Wohnung angekommen, hatte sich Kris kleinlaut auf das Sofa gekauerten und harrte der Dinge die da kamen.

David saß stumm neben ihm, während Luca in der Küche verschwunden war um Tee zu kochen.

Noch immer hatte niemand ein Wort darüber verloren, was im Park Gespräch gewesen war.

Und langsam wurde Kris wirklich unruhig.

Hatte er denn wirklich das Richtige getan?

Nervös rutschte er auf den Polstern hin und her. Er wusste nicht was er noch tun sollte…

Dann kam Luca mit dem Tee zurück, stellte jedem eine Tasse hin und setzte sich auf den kleinen Sessel, der neben der Couch am nächsten am Tisch stand.

Eine Tatsache, die Kris erneut einen Stich versetzte.

Warum setzte er sich nicht neben ihn?

War er ihm jetzt wirklich so zu wider?

Er wusste selber, dass er unrein war… so fühlte er sich auch. Schmutzig.

Noch ein paar Augenblicke konnte er sich beherrschen und diese drückende Stille ertragen, doch dann wurde es ihm zu viel. Er hatte das Gefühl als würde er unter dem Druck zerquetscht… sein Herz schien kurz vor dem Implodieren zu sein.

»B – bitte… sagt doch was…« hauchte er.

Seine Stimme schien ihn verlassen zu haben und schon wieder schmeckte er die lästigen Tränen in seinem Hals. Seine Augen juckten.

Aber er versuchte erneut sie zu unterdrücken.

Wie konnte ein einzelner Mensch nur so viel heulen?

David drehte sich um und strich ihn durch die Haare.

»Ich weiß nicht was ich sagen soll… das… ich…« stotterte er, brach aber ab, als er merkte das, dass erste wohl am zutreffendsten war. Wortlos nahm er den Dunkelhaarigen fest in die Arme.

Schutzbedürftig schmiegte sich Kris an seinen blonden Freund.

Das reichte…

Er wusste was ihm David damit sagen wollte, auch wenn er keine Worte fand. Deswegen war er damals in der Grundschule zu seinem besten Freund geworden. Sie verstanden sich eben auch ohne Worte. Leicht klammerte er sich an ihn und schmiegte sein Gesicht in die Halsbeuge des Anderen, spürte die zarten Küsse auf seiner Schläfe und heulte nun doch wieder.

Verdammt.

Langsam musste er wirklich langsam einen Rekord gebrochen haben. Ihm kam es so vor, als würde er nichts anderes mehr tun.

Die Arme schlossen sich noch ein bisschen fester um ihn, ohne aufdringlich und gierig zu wirken. Sie hielten ihn fest und es löste eine Welle der Geborgenheit in Kris aus.

Hier fühlte er sich wohl… nicht so wohl wie bei dem Gothic, aber es war auch eine Art Zuhause für ihn geworden. Ein Ort an dem er sich flüchten konnte.

Langsam wurde er ruhiger.

Schließlich blickte er auf und sah Luca, der sie bis jetzt aus dem Sessel beobachtete. Die Tasse in seiner Hand… wieder schien er wie eine Statue zu sein. Kein Muskel bewegte sich mehr, nur blinzeln tat er ab und an.

Sein Gesicht war noch immer emotionslos und wie sehr sich der Dunkelhaarige auch anstrengte, er konnte nicht entschlüsseln was in ihm vorging.

War er wütend?

Vielleicht auf ihn?

Wollte er ihn nicht mehr? Hatte er es nun nach so kurzer Zeit wieder vermasselt?

Warum hatte er bis jetzt nichts dazu gesagt?

David löste sich von ihm und drückte Kris sanft die Tasse in die Hand.

»Los trink was…«

Der Angesprochene tat es ohne zu registrieren was er genau tat, dass das Getränk noch heiß war oder nach was der Tee schmeckte. Der Blonde beobachtete zufrieden wie sein Freund langsam, Schluck für Schluck, die Tasse leerte.

Die Gedanken dabei waren auch für den Dunkelhaarigen nicht richtig zu greifen. Sie liefen zu schnell und zu verwaschen ab… aber sie waren dunkel.

Der Vorhang, der ihm so sehr dabei geholfen hatte, die Gespenster in die hinterste Ecke seiner Gedanken zu drängen, stand nun sperrangelweit offen. Bis jetzt hatten sie all diese Erinnerungen fest verschlossen, doch jetzt hatte er den Stoff gepackt und zurückgezogen… und nun spuckten all die schwarzen Schatten in seinem Bewusstsein herum. Sie warteten nur darauf, dass er schwach wurde… bis er alleine war.

Dann würden sie über ihn herfallen und ihn übermannen, da war sich Kris sicher.

Irgendwann merkte er, dass die Tasse in seiner Hand leer war. Wie betäubt stellte er sie zurück auf den Tisch und knetete unruhig seine Finger im Schoß.

Er brauchte jetzt Klarheit, irgendwie. Sonst würde er durchdrehen…

Mehr passieren konnte nicht mehr, oder?

Vorsichtig sah er auf.

»Luca…?«

»Hm?« reagierte der Angesprochene.

Scheu blickte er auf, konnte sich aber nicht dazu überwinden den Rothaarigen in die Augen zu sehen. Er wollte nicht den Ekel sehen… er wollte keine Reaktion sehen, die er bereuen konnte.

»Sag doch auch was… ich… ich weiß das du dich ekelst, weil ich… weil ich schmutzig bin und, und, und… ich wollt das doch gar … nicht! Ich liebe dich doch so… bitte… ich…-« sagte er und begann erneut zu heulen, je weiter er sprach. So abgehackt wie er schluchzte, hatte er Bedenken das Luca ihn überhaupt verstand.

Der Schmerz in seiner Brust wurde immer schlimmer.

»Ich… ich mache alles…- bitte…, ver – lass mich nicht...«

Er kam sich so schäbig vor.

Um so etwas zu betteln war armselig und überhaupt völlig unterstes Niveau.

Wahrscheinlich war allein die Situation Schuld an seiner ganzen Verfassung, sonst hatte er solche Menschen, die es nötig hatten um Gefühle zu flehen, immer müde belächelt.

Jetzt gehörte er zu ihnen.

Konnte man tiefer sinken?

David saß nur still da und nippte an seinem Tee. In dem Moment war ihm Kris wirklich dankbar, dass er genug Feingefühl besaß um sich nicht einzumischen.

Der Rothaarige sah ihn immer noch gleichbleibend undefinierbar an.

»Alles?« fragte er schließlich und klang dabei schrecklich distanziert.

»Ja…« würgte er hervor und irgendwo sprühte ein kleiner Funke Hoffnung auf.

Wo der wohl herkam?

»Dann komm her und zieh dich aus.«

Stille.

Der Blonde neben ihm schaute so, wie er sich fühlte. Völlig verdattert.

Und auch wenn sich etwas tief in ihm zusammenzog, kam er der Aufforderung fast sofort nach.

Er umrundete mit rasendem Herzen den kleinen Tisch und stellte sich vor Luca hin.

Ohne Umschweife zog er sich sein T – Shirt über den Kopf.

In seinen Gedanken flackerten Erinnerungen hin und her… er sah sich selber vor der Couch stehen und die Männer darauf sitzen… wie sie ihn anstarrten… wie sie sich anfassten…-

Der Stoff landete auf den Boden. Kurz zögerte er, dann griff er zittrig nach dem Verschluss seines Gürtels. Noch immer rannen Tränen über seine Wangen.

Sein Atem ging hektisch und seine Brust hob und senkte sich so schnell, das ihm selbst davon ganz schwindlig wurde, aber er konnte es nicht ändern.

Was würde der Rothaarige jetzt machen?

Dieser musterte ihn von oben bis unten, ehe er sich vorbeugte und Kris Finger festhielt, die immer noch versuchten die Gürtelschnalle zu lösen.

Plötzlich war sein Blick wieder um mehrere Grade wärmer.

»Ich kann nichts schmutziges an dir erkennen, Kleiner.«

Der Dunkelhaarige schluchzte, ließ sich aber widerstandslos auf den Schoß des Größeren ziehen.

Schmutz konnte er nicht sehen, aber dieser war auch unsichtbar… aber er fühlte, dass er da war. Das was der Gothic nun sehen konnte, waren seine Narben. Kris hatte es immer so gut es ging vermieden vor seinen Freunden nackt zu sein, auch wenn Beide ihn schon einmal in so einer prekären Situation gesehen hatten… das hier war etwas anderes. Schutzsuchend versuchte er die Schlimmsten mit seinen Händen zu verdecken, doch diese wurden sanft beiseitegeschoben. Und dann spürte er die weichen Lippen auf seinen und plötzlich schwiegen alle seine aufgewühlten Gedanken. So sehr hatte er sich den Kuss des Anderen nach dem Besuch im Park gewünscht.

Die fremden Lippen massierten liebevoll seine und dann spürte er wie die Zunge des Rothaarigen sanft mit seinem Piercing spielte, ehe sie Einlass forderte.

Der Dunkelhaarige ließ sich völlig in den Kuss fallen und vergaß seine Umgebung, David, die letzten Wochen und alles andere auch…

Nur Luca zählte…

Luca und er.

Zärtlich wurden ihm die Haare aus dem Gesicht und die Tränen von den Wangen gestrichen.

Als der Gothic den Kuss langsam löste, kehrte der Scham aber zurück. Wieder versuchte er vergeblich sich irgendwie zu bedecken.

»Schäm dich nicht vor mir, Kris…« sagte Luca leise und strich über die Narbe an seinem Schlüsselbein. »Nicht wegen so etwas.«

»Aber… ich… ich…«

Wieder wurde er von einem Kuss unterbrochen.

In seinem Magen kribbelte es trotz dieser sonderbaren Situation. Der Rothaarige zog ihn aus seiner seitlichen Position in eine frontale, sodass er ihm noch besser in die Augen sehen konnte.

Unsicher erwiderte Kris diesen Blick, wofür er erneut einen kurzen Kuss bekam.

»Es tut mir sehr leid, okay?« fing Luca wieder rau an zu sprechen. »Aber ich bin so sauer, dass ich irgendjemanden töten könnte… deswegen brauchte ich eine Weile um meine Gedanken zu ordnen. Ich hätte nie gedacht das Menschen zu so was in der Lage sind… das…-«

Er schüttelte den Kopf und legte seine Hand an die Wange des Dunkelhaarigen.

Kris hielt ihm am Unterarm fest und schmiegte seine Wange im Gegenzug schutzsuchend in seine Handfläche.

Hieß das er war gar nicht sauer?

Hatte er vielleicht doch eine Chance?

Konnten sie zusammenbleiben?!

Kurz versteifte er sich, als er die Hand des Gothics auf seinem Rücken spürte. Vorsichtig strich sie darüber und schien alle Narben zu ertasten, die dort waren.

»Diese Menschen dürfen mir niemals begegnen… und das mein ich genauso wie ich es sage.« redete er weiter und in seiner Stimme war eine solche Aggression herauszuhören, das es Kris ganz anderes wurde.

»Ganz deiner Meinung.« mischte sich plötzlich auch David wieder ein.

Luca sah den Blonden kurz an und nickte ihm dann zu.

»Trotzdem bin ich der Meinung, dass es keine Erinnerung gibt, die man besser vergessen sollte.« fuhr er fort und sah den Dunkelhaarigen wieder direkt an. Seine blassgrünen Augen wirkten plötzlich um einiges dunkler als sonst und Kris konnte nicht einmal beschreiben, was er darin für ein Gefühl las…, ihm fiel auch zum ersten Mal auf, dass Lucas Augen braune Sprenkel in der Iris hatten. »Es ist schrecklich was dir passiert ist, aber das ist kein Grund sich selbst zu hassen, weil du nicht der Schuldige bist. Wenn überhaupt jemand die Schuld trägt, dann sind das diejenigen, die dir all das angetan haben. Deswegen solltest du, verdammt nochmal lernen, dich wieder zu mögen. Man soll sich selbst mögen, damit auch andere einen gern haben. Nur, wie sieht so etwas aus? Wie soll man eine gute Seite finden, wenn man selbst nur die schlechten kennt? Und weil man sie nicht kennt, hasst man sich selbst…- das weiß ich. Aber du hast David und mich und das ist doch ein Anfang oder? Du musst es weiter versuchen, sonst kommst du dir noch nutzloser vor. Auch, wenn du nie wieder heil wirst. Auch, wenn niemand dich beachtet und auch wenn jemandes Schatten über deinem Herzen lauert. Muss man sich weiter anstrengen. Man muss es versuchen, damit die vielen, vielen Tränen nicht umsonst waren.«

All diese Worte lösten in dem Dunkelhaarigen eine neue Flut von Gefühlen aus und endlich, endlich schafften es diese sinnlosen Tränen, den Schmerz aus seiner Brust zu spülen. Denn jetzt war Luca da, der ihn festhielt und ihn liebevolle betrachtete.

»Hör auf zu weinen, Kris. Versprich mir lieber, dass du mit mir zusammen kämpfst und diese Männer anzeigst.«

Der Angesprochene klammerte sich nun mit beiden Händen an seinen Arm fest und presste das Gesicht noch tiefer in die Hand des Gothics, die dieser noch immer nicht zurückgezogen hatte.

Er nickte leicht.

»vertraust du mir? Darf ich noch ein paar Personen einweihen, damit sie dir helfen können?«

Auch das nickte Kris ab.

»Okay. Es werden nicht viele sein… nur die, wo es unbedingt nötig ist.« versprach Luca und zog ihn dann zu sich herunter. »Hey, ist doch wieder gut, mensch…«

Der Dunkelhaarige schlang beide Arme um den Nacken des Rothaarigen und suchte sich den halt, den er gerade so dringend brauchte. Er ließ es zu das die Tränen weiteren Schmerz aus seinem Körper spülten, bis er irgendwann völlig erschöpft einschlief.

In Lucas Armen, mit dem Geruch von Patschuli in der Nase.

Ja, hier war er zuhause…
 

Als seine Gedanken kurz erneut das Bewusstsein streiften, hörte er wie sich Luca leise mit David unterhielt. Anscheinend waren sie noch immer im Wohnzimmer.

Noch immer saß er auf Lucas Schoß, das spürte er sofort… doch dieser schien ihn wieder seitlich gedreht zu haben um es ihn bequemer zu machen. Auch eine Decke spürte er auf seinem Körper.

»Wie willst du das machen?«

»Hm, genau weiß ich das noch nicht. Aber du kannst vergessen, dass ich ihn zurück in dieses Haus lasse. Er bleibt hier. Dafür sorge ich.«

»Nochmal… wie willst du das schaffen? Kris ist noch siebzehn… wenn sein Vater das will muss er noch immer nach Hause zurück. Was wenn - «

»Vertrau mir mal, Blondie… ich weiß was ich tu. Okay? Es wird schon alles gut gehen, du vergisst das wir die stärkste Waffe auf unserer Seite haben.«

»Ähm… ach ja?«

»Ja, aber das erzähl ich euch, wenn Kris wieder wach ist. Gib mir erst mal mein Handy bitte.«

Kris spürte die Bewegung unter sich, da er immer noch mit den Kopf auf Lucas Brust lag.

Er hörte wie der Gothic eine Nummer eintippte und dann war es kurze Zeit still.

»Ben? Komm zu mir rüber, ich brauche dich…<<

...- zu feige um zu sterben!

Als Kris seine Augen wieder aufschlug, lag er auf der Couch und war allein.

Er brauchte einige Augenblicke um zu realisieren was passiert war.

Entsetzt fuhr er auf.

Wo waren die Beiden?

Waren sie doch gegangen und hatten ihn hier allein gelassen?

Hatten sie es sich einfach anders überlegt?

In ihm baute sich erneut unnennbare Angst auf…

Was sollte er denn jetzt tun?

Der Dunkelhaarige sah sich im Raum um.

Ihre Sachen lagen noch so da wie vorher,… aber wo waren David und Luca?

Zitternd stand er auf, zog sein Shirt an und tapste unsicher Richtung Küche.

Sein Magen drehte sich um.

Sie konnten ihn doch nicht einfach so allein lassen… hier…

Was …

Er zuckte zusammen, als er ein Dröhnen hörte.

Was war das?

Panik kämpfte sich durch seine Eingeweide und fraß sich fest.

Kris wich an die Wand zurück und schaute sich wieder gehetzt um.

»Luca…?« flüsterte er in den Raum.

Es war nur ein Hauchen und ihm war klar, dass der Andere ihn so nicht hören konnte.

Doch dieses Wort gab ihm die Kraft noch einmal seine Stimme zu erheben.

»Luca! LUCA!«

Der letzte Schrei hallte in seinen Ohren wieder und er kam sich jämmerlich verlassen vor.

Bis die Tür aufging und der Gothic hereintrat.

Er hatte ein Handy am Ohr und sah den Jüngeren verblüfft an.

»Hey, du bist ja wach!«

Kris trat die Flucht nach vorne an und lief zu den Anderen um ihn zu umarmen.

»Ja, … Kris ist jetzt wach. Bitte versuch so schnell wie möglich hier zu sein, ja? Okay. Bis dann und danke.« telefonierte er zu Ende, ehe er das Handy zurück in die Tasche sinken ließ und auch den zweiten Arm um den Dunkelhaarigen legte.

»Hast du dich erschreckt?... tut mir Leid, wir wollten dich bloß nicht wecken.«

Der Angesprochene nickte und rieb sein Gesicht an dem kühlen Stoff des Shirts.

Es war ihm alles egal, solange der Rothaarige wieder bei ihm war.

Dieses schöne, warme Gefühl breitete sich in seinem Inneren auf.

Sehnsüchtig streckte er sich nach den Lippen des Größeren aus und bekam einen zärtlichen Kuss geschenkt.

»Komm mit, wir werden erwartet?«

Fragend sah Kris zu seinem Freund auf.

»Wer ist denn da?«

»Ich hab dir doch vorhin gesagt, dass ich dafür kämpfen werde, dass diese…- das die Männer die dir das angetan haben hinter Gitter kommen.« sagte Luca ernst und sah ihn dann sanft an. »Dazu habe ich ein paar Freunde eingeladen. Bist du immer noch bereit dafür?«

Kris dachte ernsthaft darüber nach, doch eigentlich gab es da nicht zu überleben…

Er wollte nicht in dieses Haus zurück…

Nie.

Jetzt wo er ein anderes Leben kannte, wusste er, dass es anders ging.

»Ich…- Hauptsache du bist bei mir.« nuschelte er und blickte auf seine Füße.

Luca zog ihn wieder an sich und küsste ihn noch einmal intensiv.

»Ich bleibe bei dir, egal was passiert.«

Diese Worte trieben den Dunkelhaarigen die Tränen in die Augen und er klammerte sich an ihn.

Wenn er bei ihm war, war alles nur halb so schlimm…

Auch wenn er wusste, dass das was sie als nächstes vorhatten nicht einfach werden würde.

»Lass uns rüber gehen.« meinte der Rothaarige nach wenigen Augenblicken des Kusses und nahm ihn bei der Hand. Gemeinsam gingen sie durchs Wohnzimmer, dann über den Flur und in einen Raum, den er noch nie betreten hatte.

Dort stand ein riesiger Tisch in der Mitte des Zimmers, rechts in der Ecke eine Glasvitrine und hinten an der Wand neben den Fenster ein wunderschöner, altmodischer Kamin.

Es sah ein bisschen aus wie ein Esszimmer.

Um den Tisch saßen David, Ben, die Tante von Luca und noch ein Mann, den er noch nie gesehen hatte.

Unwohl blickte er sich um und drückte die Hand seines Freundes fester.

»Das ist Kris…- Kris, das ist Markus Thele. Der Anwalt unserer Familie.«

Der Dunkelhaarige nuschelte eine Begrüßung und setzte sich auf einen der freien Stühle.

»Hallo Kris.« sagte besagter Anwalt ruhig und sah den verschüchterten Jungen an. »Wir wollen dir helfen dich gegen die Leute zu wehren, die dir das angetan haben. Dazu ist es aber wichtig, dass du mir noch einmal alle wichtigen Details erzählst. Vor allem brauche ich die Namen der Schuldigen um diese anzuzeigen. Bist du bereit dazu?«

»Ja…« sagte er leise.

»Okay. Dann fangen wir an.«

Der hochgewachsene Mann holte wichtig aussehende Dokumente aus seiner Tasche und setzte sich eine Lesebrille auf die Nase.

»Sag mir dein vollen Namen. Dein Alter und die Verhältnisse in denen du lebst.«

Schüchtern sah Kris den für ihn fremden Mann an und blickte dann zu Luca, der ihn aufmunternd anlächelte und über seinen Handrücken streichelte.

»Ich… heiße Kris Büssing, bin 17 Jahre alt und lebe bei meinen Vater. Er ist alleinerziehend… weil… weil…«

Ich meine Mutter getötet habe!

»Meine Mutter Tod ist…«

»War sie krank…?«

»Nein…- sie ist… bei… bei meiner Geburt gestorben… weil sie zu lange in den Wehen lag…« würgte er hervor und spürte deutlich den festen Knoten in seinen Hals.

»Okay. Seit damals lebst du also mit deinem Vater allein?«

»Ja.«

»Bist du hier geboren?«

»Ja.«

»Erzähl mir wie das Verhältnis zu deinem Vater war.«

»Ganz gut…«

»Hat er die jemals wehgetan?«

Der Dunkelhaarige stockte.

»Nie mit Absicht…«

»Was heißt das?«

»Er… er hat mich be – straft wenn ich was falsch gemacht habe und, und… wenn er getrunken hat, war er nicht er selbst…«

Er spürte wie sich Luca neben ihm versteifte.

»Wie hat er dich bestraft?«

»Ich…- er…« stotterte Kris, brach aber ab, weil er nicht wusste ob er das wirklich sagen wollte.

»Ja?«

»Also er hat mich zum Nachdenken manchmal eingeschlossen und… und mich eben bestimmte Dinge tun lassen.«

Als er aufschaute und die entsetzten Gesichter sah, bemerkte er, dass man seine Worte auch anders auslegen konnte, als sie gemeint waren.

»Hat er dich jemals angefasst oder dich zu Sachen gezwungen. Solltest du ihn berühren?«

Kris schüttelte den Kopf und knetete seine Finger im Schoß.

Nein, sein Vater hatte seine Prostituierten. Er hatte ihn nie gebraucht aber…-

Hm… schaut euch dieses kleine Juwel an!

Ah, los zieh dich aus und lass dich ansehen!

Ich kann es gar nicht erwarten dich ranzunehmen… du wirst sicher geil eng sein!

Ein Zittern durchlief seinen Körper, als die Schatten wieder in seinen Kopf zurückkehrten, wie Alpträume, die sich in den Schlaf schlichen.

Konnte es wirklich bald vorbei sein?

Gab es eine reelle Chance für ihn zu entkommen?

Sein Kinn wurde sanft genommen und er sah ihn die dunkelgeschminkten Augen des wichtigsten Menschen seines Lebens…

»Hey, alles klar Kleiner?«

Kris lächelte schief und nickte.

»Also dein Vater hat dich niemals sexuell belästigt?«

»Nein… nie…«

»Aber seine Freunde.«

»Ja…«

»Wann hast du sie das erste Mal kennengelernt?«

Wieder durchlief ein zittern seinen Körper.

»Mit zehn.« krächzte er und mied es weiter jemanden anzusehen.

Es war ihm so peinlich.

»Haben sie dich da das erste Mal so angefasst?«

»Nein…«

»Wann war das…?«

»Mit zwölf…«

Seine Stimme war nur noch ein Hauchen und immer mehr Erinnerungen drangen in sein Bewusstsein vor. Schwarze Erinnerungen die seinen Verstand tränkten und seine Gefühle vergifteten. Ihn wieder unter der dunklen Käseglocke gefangen hielten und ihm immer weiter zu Gedanken trieben, die er niemals haben wollte.

Komm mach deine Beine auseinander… hahahaha… schau mal einer an, was haben wir denn da!

Seine eigenen Schreie hallten in seinen Ohren wieder und machten ihn taub für seine Außenwelt.

Instinktiv schlug er seine Hände über die Ohren und krümmte sich zusammen.

Er wollte nichts mehr hören!
 

Irgendwann drangen die sanften Hände zu ihm durch, die über seinen Rücken strichen und das regelmäßige Zittern seiner Muskeln vertrieben.

Der Geruch sagte ihm, dass er wieder bei Luca auf dem Schoß sagt.

Sein Gesicht war in der Halsbeuge des anderen verborgen.

Tief sog er den Duft seines Parfüms ein und konnte so seine flatternden Nerven wieder einigermaßen beruhigen.

Anscheinend befanden sie sich immer noch in diesem komischen Esszimmer.

»Ich habe ja nur gesagt, dass es so schwierig wird ihnen irgendetwas zu beweisen. Es steht Aussage gegen Aussage… außer der Vater bestätigt den Tatbestand. Aber das bezweifle ich. Wir brauchen Beweise. Nur das sichert und die Bestrafung zu hundert Prozent zu.«

»Aber Kris muss nicht zu seinem Vater zurück, oder? Er kann doch hierbleiben?« fragte Luca und drückte den Dunkelhaarigen noch etwas mehr an sich.

»Ich denke die Umstände sprechen durchaus dafür, aber ich muss das noch mit dem Jugendamt abklären… das müssen wir übrigens auch noch informieren, Renate.«

»Ist schon passiert.« meldete sich die Stimme von Lucas Tante. »Ich habe eine alte Freundin von mir angerufen. Sie wird sich dem Fall annehmen… im Moment spricht nichts dagegen das Kris hier bleibt, aber natürlich muss das noch amtlich anerkannt werden.«

»Okay. Jeder weiß was er zu tun hat?«

»Ja…«

»Dann würde ich sagen beginnen wir mit der Arbeit.«

»Luca…-«

»Ja, ich sprech noch einmal mit ihm. Versprochen.«

»Gut. Bis zum nächsten Mal.«

Kris spürte wie er hochgehoben wurde, stellte sich aber weiterhin schlafend.

Noch mehr Fragen konnte er einfach nicht ertragen.

Er ließ sich willenlos auf die Couch zurücklegen und zudecken, dann fühlte er einen kleinen Kuss auf seiner Stirn und schlug die Augen auf, als Luca aus dem Zimmer gegangen war.

Er würde bestimmt David und die Anderen verabschieden…

Schade war es schon das er nicht Tschüss zu David sagen konnte, doch er wollte einfach nur hier liegen und nichts tun oder denken.

Blicklos starrte er an die Decke und wartete.

»Du bist ja wach, Hübscher…« stellte Luca fest, als er nach wenigen Minuten wieder das Wohnzimmer betrat.

Kris sah ihn scheu an.

»Hm…«

Luca hob seine Beine an und setzte sich dann zu ihm auf die Couch.

»Du warst heute unfassbar tapfer, Kris. Ich bin stolz auf dich.«

Er lächelte.

»Danke.«

Er drehte sich und krabbelte auf den Rothaarigen zu um sich rittlings auf seinen Schoß zu setzen und ihm einen Kuss zu rauben.

»Lass uns jetzt schlafen gehen, okay?« sagte Luca leise gegen seine Lippen. »Morgen geht es weiter und ich denke wir brauchen alle Ruhe die wir kriegen können.«

»D – darf ich bei dir schlafen?«

»Sicher.«

»Danke.« nuschelte der Dunkelhaarige und küsste ihn erneut. Er schlang seine Arme um den Hals des Älteren und intensivierte ihren Kuss wieder.

Es war ein so schönes Gefühl…

Es kribbelte überall.

»Ich liebe dich.«

»Ich dich auch, Kleiner.«
 

Der nächste Tag brach vor sie schon früh an, doch das war Kris egal.

Er hatte neben Luca besser geschlafen als den ganzen letzten Monat.

Schon merkwürdig irgendwie, wie sehr der Gothic sein Leben beeinflusste, seit er es betreten hatte.

Doch das war gut so.

Nach den Frühstück schrieb Kris die Namen der Männer auf, die sein Leben einmal im Monat in eine Hölle verwandelt hatten. Er versuchte keinen auszulassen, aber das war gar nicht so einfach.

Vor allem weil die Erinnerungen grau und fest ineinander verwoben waren…

Doch bis zum Mittagessen hatten sie aber die Liste zusammen und Markus Thele holte sie sich persönlich ab. In seiner Begleitung war die Frau vom Jungendamt.

Diese stellte ihm auch ein paar Fragen, ging aber bei weitem nicht so offensiv vor wie der Anwalt.

Es war erträglich…

All das ganze hatte etwas Gutes.

Sie nahm sich seinem Fall an und erlaubte ihm erst einmal bei Luca und seiner Familie bleiben.

Auch wenn das hieß, dass er bald nachhause fahren und ein paar Sachen packen musste.

Doch das würde schon gehen… irgendwie…

Dachte er zumindest, bis er mit Luca, David und Ben tatsächlich vor seinem Haus stand.

Es fühlt sich so an als hätte er seine Sprache verloren. Der Wunsch auf der Stelle tot umzufallen und einfach nichts mehr spüren zu müssen, war so stark wie nie zuvor.

Seine Kehle zog sich zusammen und sein Herz begann zu rasen.

Er spürte starke Arme, die sich um seinen Körper schlangen.

»Kris, alles okay?« fragte Luca leise und küsste seine Schläfe.

»Ich… ich weiß nicht…«

»Wir schaffen das. Wir sind doch bei dir…«

Kris schmiegte sich an ihm.

»Ich weiß.«

Einmal atmete er noch tief durch, ehe er den Schlüssel zitternd ins Schloss schob und die Tür öffnete. Seine Hände zittern so heftig, dass er kaum den Schlüssel ins Schloss bekam und wenn seine Begleiter es sahen, dann sagsagten die nichts dazu.

Und dafür war er sehr dankbar.

Der Geruch nach Terror und Leid hieß ihm im Flur willkommen und ließ die Erinnerungen wieder in Wallung geraten.

Es gab in diesem Haus kein Zimmer mit dem er keine schlechten Erfahrungen gemacht hatte.

Dieses Haus war seine persönliche Hölle… und sein Vater war der Höllenfürst.

Umso erleichterter war er, als er bemerkte, dass die Ausgehschuhe seines Vaters weg waren.

Er war nicht da!

Dem Himmel sei Dank!

Kommentarlos führte er die kleine Gruppe bis zu seinem Zimmer, doch vor der Tür zögerte er.

Einerseits war er froh über die Gesellschaft, andererseits würde er sich wünschen, dass all das nicht nötig wäre.

Kris fühlte sich vor diesen jungen Männern winzig, es war ihm so peinlich das sie das alles sehen mussten… und wenn es etwas schlimmeres in diesem Haus gab als sein Zimmer, dann war es höchstens der Keller…

Schon alleine die Tür zeugte davon wie es in dem Raum dahinter aussah.

In der Mitte war ein Loch im Sperrholz, wo einst eine Faust die obere Schicht zerschmettert hatte.

Die Klinke hing nur noch an einem Nagel und wirkte an sich sehr instabil.

Zögernd stieß er die Tür auf und ging schnurstracks zu seiner Matratze, wo er begann seine Sachen, die er benötigte in seinen Rucksack zu werfen.

Hinter sich hörte er das entsetzte Keuchen seiner Begleiter.

Irgendwie konnte er es ja verstehen, schließlich hatte er nicht einmal David je in sein Privatreich gelassen… kein Wunder also das sie geschockt waren.

»Ach du…«

»…Scheiße.«

Dasselbe hatte er auch gedacht, als er das erste Mal sein Zimmer mit dem von David verglichen hatte. Hier war nichts eingeräumt. Der Raum war kahl und leer.

Die graue, fahle Tapete blätterte von den Wänden und sah eher abschreckend als einladend aus.

Es befand sich nur ein Regal im Zimmer.

Dieses war mit Büchern und Heftern für die Schule vollgestopft. Auf dem Boden, an der Wand unter dem Fenster lag die Matratze, auf der Kris seine Nächte verbracht hatte. Ihr gegenüber war ein Gestell für Kleiderhaken zu sehen, auf dem die Klamotten des Dunkelhaarigen hangen.

Mehr war nicht vorhanden.

Es war mehr eine Abstellkammer, als ein Zimmer.

Während er seine Sachen von den Bügeln zerrte, grob zusammenlegte und in die Tasche und seinen Rucksack schmiss, räumte David sein Regal aus.

Es war nicht viel, deswegen waren sie auch relativ schnell fertig.

Etwas was Kris sehr erleichterte…

Doch bevor sie gingen, hielt er die Anderen noch einmal kurz auf; drückte Luca seinen Rucksack in die Hand und ging schnell ins Wohnzimmer.

Er zog ein Fotoalbum aus dem Regal über dem Fernsehen suchte die Seite und trennte das Bild seiner Mutter von der Seite ab.

Es war sein Lieblingsbild von seiner Mutter…

Er wollte es haben.

Kris ließ alles so wie es war und ging mit den Anderen aus dem Haus…

Aus der Hölle und er hoffte, dass er niemals wieder hierher zurück musste.
 

Die nächsten Tage ging der Schulalltag einfach weiter, so als hätte sich nichts weiter geändert.

Kris ging zu Schule, verbrachte viel Zeit bei Luca und machte seine Hausaufgaben.

Er schlief in letzter Zeit besser als in den letzten Jahren und hatte sich schnell an seine neue Umgebung gewöhnt. Die Familie Linton hatte ihn mit offenen Armen aufgenommen und half ihm über diese schwierige Zeit so selbstverständlich hinweg, als würde er dazu gehören.

Dieses Gefühl war es, dass ihm die Kraft gab weiterzumachen.

Herr Thele meldete sich zwischendurch immer um sie über die neusten Ereignisse auf dem Laufenden zu halten.

Er hatte ein gutes Gefühl bei ihm…

Er wirkte kompetent und sehr engagiert. Wenn ihn jemand da rausholen konnten, dann wohl er.

Und so begann die Hoffnung des Dunkelhaarigen zu wachsen…

Die kleine Hoffnung, dass er trotz allem noch entkommen konnte… aus diesem Haus… diesem Leben und vor allem vor dieser Dunkelheit, die ihm solche Angst machte.
 

»Wir brauchen Beweise, sonst sieht es für uns echt schlecht aus.« sagte er Thele.

Sie befanden sich gerade bei den Übungen zum Prozess, der bald stattfinden sollte.

Der Anwalt hatte es für eine gute Idee gehalten Kris auf alle Fragen der Gegenseite vorzubereiten, deswegen hatten sie sich jeden zweiten Tag getroffen und waren alle möglichen Gesprächsvarianten durchgegangen.

Es waren dabei schon so einige Tränen geflossen.

»Denkst du das wissen wir nicht?« sagte Renate brüsk. »Aber welche Beweise sollen wir uns denn aus den Rippen schneiden?«

»Ich weiß, ich weiß…«

Kris saß zusammengesunken auf seinen Stuhl und knetete seine Hände im Schoß.

Heute hatte Luca nicht bei ihm sein können, das hieß, dass er alleine war.

Er fühlte sich immer noch leicht unwohl, wenn er mit den für ihn fremden Personen allein in einem Raum war, aber diese war bei weitem nicht so schlimm wie am Anfang.

»Wir haben nur sein Körper und sein Wort… das muss reichen, deswegen sind wir ja hier.« meinte die Frau ungehalten. »Wir müssen das einfach hinbekommen!«

Sollte er wirklich?

Wenn er die ganze Wahrheit sagte, musste er nicht mehr zurück… das bedeutete aber auch, dass jeder sehen konnte, was diese Männer mit ihm getan hatten!

Auch Luca, wenn er Pech hatte…

Was das passierte, würde sein Freund sich wahrscheinlich noch mehr vor ihm ekeln als er es sowieso schon tat. Also was war ihm seine Freiheit wert?

Aber konnte er Luca überhaupt wiedersehen, wenn er zurückgehen und-?

»Kris? Hast du uns überhaupt zugehört?«

»Sie haben es gefilmt!« platzte es aus ihm heraus.

»Was?!«

»Sie… sie haben…- alles immer ge – gefilmt… ich – er…«

Er sah nicht auf, doch er konnte förmlich spüren, wie die anderen Beiden ihn entgeistert ansahen.

»Warum sagst du das denn erst jetzt?! Wenn - «

»Ist doch egal! Hol dir diese Videos!«
 

Zwei Wochen später war die erste Verhandlung.

Kris spürte nichts mehr.

Schon den ganzen Tag bekam er keinen Bissen herunter und konnte es nicht erwarten es hinter sich zu haben, doch Luca war bei ihm…

Er hielt ihn fest und zeigte ihm, wie er atmen musste, wenn er es vergaß.

Luca war alles was er hatte und alles was er brauchte…

Luca und David.

Der Blonde war auch bei ihm und stand ihm tapfer bei.

Er war so froh, diese Menschen kennengelernt zu haben.

Was konnte man sich besseres wünschen?
 

»RUHE IN MEINEM GERICHTSSAAL!« riss die harte Stimme von Phillip Brausen die Anwesenden zur Vernunft. Der Richter hatte ein scharf geschnittenes strenges Gesicht und war noch relativ jung für sein Amt.

Kris zuckte bei der Zurechtweisung erschrocken zusammen und sank noch mehr auf seinen Stuhl nach unten.

Er wollte einfach nicht hier sein.

Der Stuhl neben dem Staatsanwalt wies ihn als Nebenkläger aus und das wollte er nicht, doch er saß nun einmal hier.

Unsicher suchten seine Augen wieder die hinteren Reihen des Gerichtssaals ab.

Dort wo Luca, Renate, Ben, Herr Thele und David saßen.

Es hatte ihn einiges an Nerven gekostet, ehe der Richter und alle Anwesenden sich damit einverstanden erklärten, die Zuschauer zuzulassen. Denn eigentlich war die Verhandlung nicht für die Öffentlichkeit zugelassen.

Zu delikat waren die Tatsachen…

So kam es das Kris alle Register hatte ziehen müssen und sich einfach solange an Luca geklammert hatte und sich geweigert hatte mitzugehen, bis sich die Männer entschieden hatten die Anwesenden einfach mit in den Gerichtssaal zu nehmen.

Er begegnete den liebvollen Augen und konnte dem ein bisschen Kraft abgewinnen.

Was würde er dafür geben, wenn es jetzt endlich vorbei wäre?!

»Fahren sie fort…« sagte der Richter an den Angeklagten gewandt und sein Vater ergriff wieder das Wort.

Er vollendete seinen Bericht recht anschaulich und die ganze Zeit spürte Kris seine Blicke auf seinen Körper, wie Säure, dass sich durch Glas ätzte.

»Ich weiß nicht, was mein Sohn da erzählt… wahrscheinlich ein Schrei um Aufmerksamkeit. Wer weiß. Ich habe ihn nur nach meinen Mitteln erzogen.«

Phillips Augen verengten sich.

»Ach? Und diese Mittel bestanden daraus ihren einzigen Sohn zu demütigen und zu misshandeln?« war seine kalte Frage der Staatsanwaltschaft.

»Wie kommen sie darauf, dass ich so etwas gemacht habe?«

»Das war nur eine Frage. Wollen sie sich rechtfertigen?«

»Nein! Ich habe nie etwas getan, was meinem Kind schaden könnte!«

»WEN WOLLEN SIE HIER EIGENTLICH VERARSCHEN?!«

Kris wand seinen Blick erschrocken zu David.

Der Blonde war aufgesprungen und sah so aus, als würde er gleich auf seinen Vater losgehen.

Lediglich die Hand von Ben hielt ihn auf.

»SIE HABEN IHREN SOHN IN EIN VERROTTETES ZIMMER GESTECKT UND IHN WAHRSCHEINLICH AUCH MISSHANDELT! UND SIE WAGEN ES ZU SAGEN DAS SIE IHM NIE GESCHADET HABEN!??!!«

Er schien fuchsteufelswild zu sein und auch Luca sah aus, als würde er sich nur schwer beherrschen können…

»Beruhigen sie sich oder ich muss sie aus dem Saal entfernen lassen.« unterbrach der Richter David streng und maß ihm mit einem Blick.

Dieser zitterte vor Wut und ließ sich von Ben zurück auf seinen Stuhl ziehen. Er schnaubte abfällig, sagte aber nichts mehr.

»Okay.« sagte der Staatsanwalt nun, dessen Namen sich der Dunkelhaarige einfach nicht merken konnte. »Haben sie noch etwas hinzuzufügen?«

»Nein.« sagte Ronald Büssing und sah zu seinem Verteidiger, der nickte.

»Dann möchte ich dem Richter jetzt Frau Kirsten vorstellen. Sie hat Herrn Büssing untersucht.

Und sich ein Urteil über ihn gebildet.«

»Rufen sie sie herein.«

Die Tür öffnete sich und eine kleine, zierliche Frau stöckelte herein. Sie setzte sich an den U – förmigen Tisch und gab auf die Fragen ihre Personalien an.

Ihre Stimme war klar und wohltuend und sie sah Kris irgendwie mitleidig an.

»Erzählen sie dem Gericht, was sie aus den Sitzungen mit Herrn Büssing erfahren haben.« wies der Staatsanwalt an und die Frau nickte leicht.

»Ich habe auf Anordnung des Gerichts fünf Sitzungen mit Ronald Büssing gehabt und bin mir sicher, dass er für diese er zwar verhandlungsfähig ist und auch in der Lage sich zu reflektieren, jedoch denke ich auch, dass er eine chronifizierte Psychose hat.«

Was für ein Teil?

Kris sah erstaunt zu der Frau hin, die ganz monoton redete, so als wäre das hier ein Lehrbuch Fall und keiner mit echt existierenden Menschen.

»Das bedeutete, dass er nach dem Tod seiner Frau Lydia, mit der er laut eigener Aussage und festgehaltenem Skript eine SM Beziehung führte und sie sehr stark dominierte, dieses Verhalten auf seinen Sohn Kris Büssing übertrug, weil dieser seiner Mutter in vielen Dingen ähnlich war.

Ich denke, dass es nicht direkter Missbrauch war. Eher das, was viele Paare unter einer normalen SM Beziehung und starken Dominierung verstehen. Es passierte sicher unbewusst, aber ich denke das Herr Büssing voll schuldfähig und sich seiner Taten durchaus bewusst ist.«

»Wir äußert sich diese Beziehung zum Beispiel?«

»In seinen Skripten, die er führte, war zum Beispiel ein ständiges nackt sein im Haus als Demütigung zu finden, oder ein stetiges unterwürfiges Verhalten, außer es wurde das Codewort gesagt, dann waren sie gleichberechtigte Partner.«

Den Rest der Befragung bekam Kris nur noch am Rande mit, viel zu sehr war er mit den neuen Informationen beschäftigt, die ihn trafen wie ein Schlag.

Konnte das wahr sein?

Hatte seine Mutter wirklich all das freiwillig gemacht?!

Hatte sie Spaß daran gefunden so behandelt zu werden???

Ein Gedanke der für den Dunkelhaarigen eigentlich völlig widersinnig war.

Wie konnte man es genießen dominiert und gedemütigt zu werden?

Seit er Luca kennengelernt hatte, wusste er wie wundervoll es sein konnte wenn einem zugehört wurde. Wenn man seine Meinung sagen konnte und diese geschätzt wurde.

Gab es wirklich Menschen die auf so etwas freiwillig verzichteten?

»Ha, krank. Das ich nicht lache!« durchbrach die Stimme seines Vaters seine Gedanken. »Was wollen sie denn bitte für eine Psychologin sein wenn - «

»Bitte reden sie nur, wenn sie etwas gefragt werden, Herr Büssing.« wurde er von Phillip Brausen zurechtgewiesen.

»Herr Büssing äußerte in jeder dieser Sitzungen, dass er keine Ahnung hatte, was Kris passiert ist und ich glaube ihm. Menschen die auf SM stehen sind noch lange keine Vergewaltiger und der Junge hat es ja in seiner Aussage bei der Polizei auch bestätigt und wird es sicher wieder tun.« fuhr die Psychologin fort, ohne auf die Worte des Angeklagten einzugehen.

»Danke, Frau Kristen. Ich habe keine weiteren Fragen.«

»Ich auch nicht.« erwiderte der Pflichtverteidiger seines Vaters.
 

Die Verhandlung ging weiter und wurde nur durch eine Pause unterbrochen.

Kris musste seine Sicht der Dinge darlegen…

Man braucht nicht zu erwähnen das es für den Jungen die reinste Tortur war, all das was ihm passiert war nun zum dritten Mal stockend zu wiederholen.

Ihm wurde immer wieder schwarz vor Augen, wenn er anfing darüber zu berichten, weil es ihm einfach die Luft abschnürte. Sein Herz raste und die Erinnerungen schwappten immer wieder hin und her; wie schwarze Wellen um eine Boje.

Doch nach der Pause und der Anwesenheit von Luca und David, die wie Beruhigungsmittel auf ihn wirkte, schaffte er es seine Aussage zu beenden.

Der Rest verlief eher wie ein Film…

Grau und verschwommen.

Kris wusste im Nachhinein nicht mehr, wie er es geschafft hatte sich weiter auf diesen unbequemen Holzstuhl zu halten, bis die Verhandlung zu Ende war.

Eines der Videos, was her Thele aus ihrem Haus gesichert hatte (die beauftragten Beamten hatten es im Keller, unter tausend weiteren solcher Videos gefunden… diese waren gut versteckt hinter einem alten, vermoderten Schrank deponiert worden), wurde in Einverständnis aller Anwesenden noch gesichtet und trieb allen unbeteiligten den Schrecken und die Schamesröte in die Gesichter.

Schon alleine die Geräusche reichten aus um dem Dunkelhaarigen die genaue Situation ins Gedächtnis zurückzurufen. Denn er konnte und wollte nicht hinsehen.

Er saß zusammengesunken da und hatte das Gesicht in seinen Händen verborgen, während er sein Schreien, Flehen und Stöhnen lauschte, dass von Obszönitäten und Lustschreien der Männer begleitet wurde.

Es war so peinlich!

Wie sollte er den Anderen jemals wieder unter die Augen treten?

Warum hatte er sie hier überhaupt mit rein genommen?!

Nach nicht einmal dem Viertel des Videos, brach der Richter das Schauspiel ab und verkündete sein Urteil.

Das alles bekam Kris nur noch am Rande mit.

Erst als Luca bei ihm war und ihn fest und beschützend in die Arme schloss konnte er sich wieder regen und begann gepeinigt von neuem zu weinen.

Warum tat das alles nur so weh?
 

Die Verhandlung lief zugunsten des Dunkelhaarigen.

Seinem Vater wurde das Sorgerecht entzogen und dem Jungendamt überantwortet… außerdem würde er eine lange Zeit in einer Klinik eine Therapie machen müssen.

Was jetzt folgte waren die Verhandlungen aller Männer, die auf den Videos zu sehen waren.

Doch davon bekam Kris nicht mehr viel mit.

Frau Kirsten, die inzwischen seine Psychologin war, hatte resolut dagegen gekämpft, dass er weiterhin an diesen Verhandlungen teilnehmen musste.

So kam es, dass ein neues Leben für ihn begann.

Inzwischen lebte er im betreuten Wohnen einer Einrichtung die über den sozialen Träger der Caritas lief und hatte zwei Mal in der Woche eine Therapiestunde.

Luca, Davis und Ben (der sich inzwischen zu einem genauso treuen Freund geoworden war) standen ihm immer zur Seite.

Mit Ben trainierte Kris regelmäßig Selbstverteidigung und wurde Stück für Stück selbstsicherer im Umgang mit Fremden.

Und so baute er sich langsam ein neues Leben aus den Scherben auf, die sein altes Dasein hinterlassen hatten.

Es war ein Mosaik aus vielen bunten, schillernden Scherben –

Doch irgendwann würden sie ein Ganzes ergeben.

Kein Ende in Sicht

So meine Lieben!

Es ist leider soweit... das Ende dieser Story ist da.

Ich hoffe ich konnte euch fesseln und ein wenig von dem Schrecken beschreiben, der manchmal an uns vorbei schleicht ohne das wir es merken.

Ich hoffe ihr habt den kalten Schauer der Schrecklichkeit auf euren Rücken gespürt!

So wie ich es jedes Mal tue, wenn ich "Kris" heute ansehe.

Niemand kann sich diesen Schmerz vorstellen... niemand sollte es tun.
 

Zum Epilog gibt es noch etwas zu sagen.

Dieser stand schon sehr früh fest und ich habe mich die ganze Zeit gewundert, warum er mir so leicht von der Hand ging und mir so lebhaft vor Augen stand.

Die Antwort kam, als ich eines abends, als ich mir einer meiner Lieblingsgeschichte durchlas.

Ich habe eine der Szenen als Anlehnung für diese hier genommen.

Deswegen möchte ich Silverdarshan ganz herzlich für ihre Großherzigkeit danken und das ich diese Szene hier benutzen darf. Sie war praktisch meine Inspiration dazu.^^"
 

Aber jetzt genug geredet.
 

Viel Spaß.
 

_______
 


 

»Du bist wirklich ein hübscher Junge. Mich wundert es, dass die anderen nicht schon vorher mit dir geprahlt haben. Aber wahrscheinlich wollten sie dich erst einmal alleine Genießen!«

Kris nickte beklommen und schloss gequält die Augen, als ein paar Lippen sich unaufgefordert auf die seinen legten. Automatisch erwiderte er den verlangenden Kuss, versuchte dabei die fummelnden Hände zu ignorieren, welche sich bereits nach wenigen Sekunden einen Weg in seine Hose bahnten. Kris erschauderte.

Die Hände dieses Mannes waren alles andere als angenehm. Sie waren rau und so groß… grob und kein bisschen zärtlich.
 

Er mochte das nicht!
 

Luca… Luca… Luca… Luca… Luca… Luca… Luca!

Sein Mantra… der Mensch, der ihn am Leben hielt…

Als er bemerkte, dass er träumte versuchte er sich mit den Gedanken an seinem Freund zu wecken.
 

Sein Liebster… er wollte zu ihm!

»LUCA!!«
 

Der Dunkelhaarige fuhr schweißgebadet aus seinem Alptraum auf und kauerte sich ängstlich zusammen. Er bemerkte die Anwesenheit des Älteren erst, als dieser ihm eine Hand auf die bebenden Schultern legte.

»Kris?... Kris! Was ist denn, hey… was ist los?!« entwich es Luca erschüttert, nachdem er kurz zuvor alarmiert durch Kris Schreie ebenfalls aus dem Tiefschlaf gefahren war.

Er sah noch ziemlich verschlafen aus.

Kris reagierte nicht, klammerte sich lediglich noch fester an seinen Freud, als dieser ihn nun beschützend in die Arme nahm.

Der Jüngere drohte von Sekunde zu Sekunde tiefer in einem Strudel der Panik zu versinken.

»Luca! Luca! Bitte… nicht loslassen, nicht loslassen!«

»Shh… ganz ruhig… ruhig… ich bin ja da… ist ja gut, mein Kleiner. Es ist vorbei…du hast nur geträumt!«

Behutsam bugsierte er Kris zurück auf die weichen Kissen und legte sich neben ihn hin.

»Kris, was hast du mit deinem Arm gemacht? Hast du dich gekratzt, du blutest ja… Shh… beruhig dich… ich bin ja bei dir… ich lasse dich nie wieder allein, hörst du? Ich verspreche es dir! Niemand wird dich mehr anfassen. Dieses Schwein bekommt dich nicht mehr! Es war mir ein Traum… ein dummer Traum.«

Leise und gefasst sprach Luca auf den völlig aufgelösten Jungen ein und wickelte vorsichtig die

Decke um den Körper.

Kris versuchte sich mit aller verbliebenen Kraft an ihm festzuhalten, als er seine Hände aus seinem Shirt lösen wollte.

»Nein… nicht… lass mich nicht allein!«

»Niemals… psch.«

Sanft küsste er seinen jüngeren Freund und streichelte seine Haare zurück.

»Lucaaaaa…«

Kläglich hallte sein Name von den Wänden des Schlafzimmers wider.

»Ich bin da, Kris… ich bin ja da… shh…«

Kris konnte oder wollte sich nicht beruhigen. Selbst die zärtlichen Streicheleinheiten schienen diesmal nicht die gewünschte Wirkung zu zeigen.

Immer wieder kraulte Luca dem Kleinen durch die weiche Mähne oder strich ihm

in einer besänftigenden Geste über den Rücken. Liebevolle Küsse auf die vom

weinen geröteten Wangen und die vollen Lippen begleiteten seine Bemühungen. Erst nach schier

endloser Zeit, trugen seine Taten erste Früchte.

Kris hektischer Atem verlangsamte sich und auch die endlosen Tränen versiegten.

Tief hatte er sein Gesicht an Lucas Brust vergraben.

Seine Hände hingegen klammerten sich noch immer völlig verkrampft in den Schlafshirt des anderen.

»Es- es tut mir Leid…- bitte…- ich liebe dich…nur dich…«

Herzzerreißend schniefte Kris und presste sich mit jedem gewisperten Wort noch

enger in die wärmende Umarmung. Hektisch umherzuckende Iriden suchten die

seines Liebsten und hafteten sich verzweifelt an diese.

//Luca, ich bin so schmutzig! Bitte verzeih mir!//, schrie er in Gedanken, wenngleich auch keine Silbe seine Lippen verließ. So sehr er sich vor einer Antwort fürchtete, das konnte er Luca nicht antun. Er litt schon genug wegen ihm… machte sich bereits genug Sorgen.

Nein, solange es Kris noch gut ging, würde er ihm zuliebe schweigen.

Vielleicht… vielleicht hatte er ja auch gar nichts… vielleicht war er ja sauber…?

Hatte ihm das nicht die Psychologin gesagt?

Aber wie sollte er das glauben, wenn er sich so dreckig fühlte?

Die warme Hand, die fast zögerlich sanft über seine Wange zu streicheln begann, riss den verzweifelten Jungen für den Moment aus seinen düsteren Gedanken.

»Ist schon gut, mein Kleiner…- ich liebe dich auch.« lächelte Luca und versiegelte seine Lippen liebevoll mit den seinen.

Er schmiegte sich wieder so eng wie möglich an Lucas Brust und kämpfte

tapfer die neu aufkommenden Tränen hinunter.

Er fror und schwitzte zugleich … und er hatte Angst.

Als könnte sein großer Freund eben jene Gefühle deutlich fühlen, zwang er Kris sanft dazu, seinem zärtlichen Blick Stand zu halten.

»Ich halte mein Versprechen. Wir werden uns niemals voneinander trennen!«

Schüchtern… kaum sichtbar legte sich ein zaghaftes Lächeln auf das erschöpftes Gesicht des Dunkelhaarigen.

Er nickte langsam.

Ja… niemals wollte er von Luca getrennt sein!

»Komm, versuch noch etwas zu schlafen, okay?«

Er bettete seinen Kopf auf die Brust des Rothaarigen und ließ es zu, dass dieser seinen Nacken kraulte.

Es war so schön…

Die Geborgenheit schwappte über ihn und vertrieb seine Angst und sein Unwohlsein.

»Luca…« nuschelte er und gähnte wieder leise.

»Ja.«

Das reichte.

Er war bei ihm.

Wärme und Geborgenheit spürend, schlummerte er in den Armen des Anderen wieder ein.

Hier war er absolut sicher.



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Kommentare zu dieser Fanfic (39)
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Von:  Konchan123
2014-12-23T15:07:13+00:00 23.12.2014 16:07
omg.. das.. ich kenne Kris' Situation so gut... nicht ganz genau so. Aber fast genau so.
ich zitter jetzt noch.. Fuck. Dieses Kapitel hat mir echt den Rest gegeben..
Mir fließen immer noch die Tränen in Strömen. Ich kann wirklich kaum glauben, wie man solche.. Gefühle.. solche.. Ängste.. Zustände der Seele.. in Buchstaben niederschreiben.. Und.. während ich gelesen habe, habe ich immer mehr dieses Stechen gespürt. Dort wo sich mein Herz befinden soll.
Ich kenne dieses Gefühl so gut.. innere Zerissenheit. Die Erwartungen des Vaters erfüllen, aber gleichzeitig versuchen seine Freunde zu schützen. Das ist so gut wie unmöglich und es fühlt sich wirklich so an, als ob jemand einen wie ein Blatt Papier auseinander reißen würde.
Man will schreien, aber kann nicht. Irgendwas hält einen auf. Man will alles Leben und Empfindsame aus sich herausschreien.. aber hat nicht die Kraft dazu. Man kriegt kaum Luft, ertrinkt in dieser Zerrissenheit.

Ok, genug rumgeheult. Ich LIEBE diese FF. Bitte. Schreib weiter. Hör nie auf. Niemals.
Luv,
Kon♥
Von:  Sharon
2014-02-28T17:59:03+00:00 28.02.2014 18:59
Richtig gut geschreiben!!!
Ich hab die FF durch zufall gefunden und konnte dann nicht mehr aufhören sie zu lesen *_*
Mein Respekt, echt guter Schreibstil und die Spannung ist echt bis zum letzten Wort da.
Ich liebe diese FF <3
ganz, ganz liebe Grüße Sharon
Von:  Mizuki_97
2013-12-28T01:57:01+00:00 28.12.2013 02:57
Ich weiß i-wie nicht genau ,
was ich schreiben soll...
*schnief* :-/
Man bei dem Titel dachte ich echt ,
das du ein böses Ende geschrieben hast... :-(

Aber das hier ist total schön ,
das Luca für Kris da ist und bleibt und
auch total die Geduld hat und so... :-)
Echt schön geschrieben...
Ein gelungenes Ende für diese Fanfiction... :-)
Und ich hoffe ,
du schreibst noch weiter... ?

und naja bis dahin...
auf wieder schreiben und
liebe Grüße...
Musicfreak16 :-)
Antwort von:  Noveen
02.01.2014 14:52
Hallo^^

Wie könnte ich denn bei so einer bösen Geschichte auch noch ein
böses Ende schreiben?
Ein bisschen Hoffnung muss man dem Leser ja auch noch lassen. xD

Danke für das Kompliment, sowas hört man gerne.

Und natürlich werde ich weiter schreiben.
Geplant ist jetzt eine Kurzgeschichte aus Lucas Sicht, die diese Geschichte
komplettieren soll...
Mal sehen wie das so ankommt.

Vielleicht schaust du da ja auch mal vorbei?

^^

Schönen Tag und

ach ja,

gesundes, neues Jahr!
Antwort von:  Mizuki_97
04.01.2014 03:04
Das machen viele... *schnief*
ist dann komplett Drama pur...
les ich auch gerne... :-P
aber sowas mit Happy-End viel lieber... *-*

Kein Ding , Ehre wem ehre gebürt
oder so ähnlich... :-P

Oh ha , ja mach das
bitte bitte bitte... *-*
ich würd auf jeden Fall vorbei schauen... ;-P
wann fängst du den an... ??? *-*

Auch dir wünsche ich einen schönen Tag... :-D
Und auch wenn es zu spät kommt ,
sorry :-/ ,
wünsche ich dir ein fröhliches und
erfolgreiches Jahr... :-)

Liebe Grüße und
bis demnächst...
Musicfreak16 :-D
Antwort von:  Noveen
04.01.2014 09:51
Sie ist schon da... also die neue Story xD
Antwort von:  Mizuki_97
07.01.2014 03:00
Drob... O.O
Echt... *Hinter dem Kopf kratz*
ok dann schau ich sie mir
die nächsten tage mal an...

bis dahin
Liebe Grüße
Musicfreak16
Von: abgemeldet
2013-12-28T01:10:15+00:00 28.12.2013 02:10
Super ich lese das gerade und bin ernsthaft am Weinen.
Mir gefällt das hier so gut das ich nicht aufhören kann zu lesen
Ein Großes Lob an dich

Antwort von:  Noveen
02.01.2014 14:49
*ein Taschentuch reicht*

Hallo und danke für dein Feedback.

Mich freut ich, dass ich dich fesseln konnte.

<3
Von:  Mizuki_97
2013-12-02T23:31:49+00:00 03.12.2013 00:31
Oh mein Gott... O.O
ich habe tränen in den Augen...
ich weiß auch i-wie kaum was ich schreiben soll...
aber das ist einer der traurig-schönsten
Kapitel in dieser FF gewesen , finde ich... :-)
das Ende des Kapitels ,
das kapitel im allgemeinen ist echt gut... ;-)
Kris ist so mutig , das find ich toll...
und Luca , David und Ben sind auch Toll ,
wie sie Kris zur Seite stehen und ihm helfen... :-D
Ich schätze das war das Vor letze Kapitel... ?? :-/
Schreib bitte ganz schnell
ein ganz Tolles Ende , ok... ??

Liebe Grüße und bis dann
Musicfreak16 ;-P
Von:  Broken-Envy
2013-12-01T21:52:23+00:00 01.12.2013 22:52
Ich find deine FF echt klasse und manchmal hab ich mich erst mal zurücklehnen müssen und alles verarbeiten müssen bis ich weiterlesen konnte :D na ja aufjedenfall berührt einen die Geschichte und sie ist echt wunderschön! schreib bitte schnell weiter ;)
Von:  Silverdarshan
2013-11-04T16:42:19+00:00 04.11.2013 17:42
Asche auf mein Haupt!
Das kommt davon, wenn man das Kapitel mitten in der Nacht liest und sich dazu entschließt erst am nächsten Tag zu kommentieren... schwupps gehts vergessen... grr...
Aber kommen wir zum Kapitel:
Die Szene in der Luca verlangt, dass Kris sich auszieht hat mir eine echte Gänsehaut beschert... uuuuh, das war Feeling pur... von der harten Sorte. Es hat mich unheimlich berührt und ich habe echt mitgelitten.
Allerdings nicht nur an dieser Stelle... im Grunde im gesamten Kapitel xD
Aber das liebe ich an deiner Story. Sie ist fesselnd und mitreißend.
Weiter so! Ich bin wie immer neugierig auf die Fortsetzung :D

LG Silverdarshan
Antwort von:  Noveen
04.11.2013 21:43
Hallo...

Schön das du dich noch gemeldet hast.^^

Ich freue mich, dass du mitfierbern konntest und so.
Sowas höre ich gerne.

LG
Von:  Mizuki_97
2013-10-17T22:03:40+00:00 18.10.2013 00:03
Oh mein Gott...
ein neues Kapitel und
ich habs nicht mitbekommen... :-/

naja erstmal egal ne... :-)
ich find das Kapitel echt Klasse...
alleine weil Luca und David voll hinter Kris
stehen und ihm helfen wollen...
und ich bin jetzt auch echt gespannt wie... :-)

schade find ich nur , das man nicht genau
weiß worum genau es in dem Gespräch jetzt ging...
oder hab ich was verpasst...
*Ganz strack am nachdenken* O_o ?

aber ich freue mich auf jeden
Fall auf das nächste Kapitel...
und hoffe das es schnell kommt... :-)


also bis zum nächsten mal
und schöne Grüße... :-D

Musicfreak16
Antwort von:  Noveen
20.10.2013 12:23
Lol. Das passiert schon Mal.
Man hat ja auch noch was anderes zutun als dauert zu schauen ob ein
neues Kapi da ist.^^

Ja... Luca und David sind schon zwei Goldschätze!
Wenn jeder Mensch, der wie Kris leiden muss, solche Freunde hätte,
wäre vielen sicher schon viel mehr geholfen... na ja.

Das Gespräch handelt um die letzten Tage bei seinem Vater und die
Misshandlung durch die "Freunde" die ich im siebten und (ich glaube) zehnten
Kapitel beschrieben habe. Ich hatte nicht mehr die Kraft nochmal aus Kris
Perspektive zu erzählen wie es war... deswegen habe ich es für mich und für ihn
einfacher gemacht.
Du kannst dir gar nicht vorstellen wie schmerzhaft es für mich ist, so etwas zu
beschreiben. Es fühlt sich an, als würde alles Leben und Gute aus dir rausgezerrt, wenn dir solche Filme vor die Augen kommen.
Und das Schlimmste steht noch vor mir -___-
Aber genug an Anmerkungen dazu.

Durch die Arbeit ist zuzeit ein wenig Stress angesagt,
aber ich versuche natürlich so schnell wie möglich zu posten.^^

LG
Antwort von:  Mizuki_97
21.10.2013 00:31
Ja ich weiß , kann mal passieren , trotzdem... :-)

Stimmt hätte jeder solche Freunde , wäre
denk ich , die Welt ein bisschen besser... :-/

Danke für die Infos , die kapitel schau ich mir dann nochmal an ,
weil ich nicht mehr genau weiß , welche "Freunde" gemeint sind... :-/
Und ja da kann ich dich verstehen...
ist für den Autor bestimmt , in manchen Situationen ,
schwerer als für den Leser... :-/

Hat auch jeder von euch meinen Respekt... :-)

Das mit dem Stress kann ich auch verstehen... :-/
hab jetzt aber erstmal "Ferien"...

LG
Musicfreak16
Von:  _AnNa_EaTs_PikAchU_
2013-10-06T11:53:41+00:00 06.10.2013 13:53
OMG *_____* bin gestern erst über deine Story gestolpert und hab mich schon in den ersten Zeilen in sie verliebt :D Ich kenn deinen SChreibstil ja schon von deiner Story aber ich muss echt sagen, dass es mich hier noch mal umhaut *~* Ich war so gefesselt von der Geschichte, ich konnte echt nur total schwer aufhören zu lesen. Du beschreibst das alles so gut, ich hab echt jede Sekund mitgefühlt und auch wenn ich selbst so etwas (Gott sei Dank) noch nie auch nur ansatzweise erlebt habe, kann ich mir richtig gut vorstellen wie Kris sich fühlen muss :o Er tut mir so leid .___. Kein Mensch hat so etwas verdient! :O
soo, ich glaube wenn ich jetzt noch weiter schreibe, wiederhole ich mich nur, deshalb einfach nur noch mal: WOW :D
Ich wundere mich echt warum ich deine Story erst jetzt gefunden habe O.O
Naja, auf jeden Fall ist sie echt genial und ich freue mich schon aufs nächste Kapitel :3
Sorry dass das Kommi so lang geworden ist ° ^ °
Lg, Anna x3
Antwort von:  Noveen
06.10.2013 16:45
Hi... schön das du auch auf dieses Baby von mir gestoßen bist.^^
Freut mich wenn ich dir etwas slashen konnte! Auch find ich es gut wenn die Emotionen von Kris bei dir ankommen. .___.
So soll es sein.

Vielen Dank für den Kommi.

<3
Von:  Silverdarshan
2013-09-15T22:49:45+00:00 16.09.2013 00:49
Uuuh, wie mies!
Wieder einmal eine verdammt gemeine Stelle, um aufzuhören und uns zappeln zu lassen. Auch wenn natürlich absehbar ist, wie die beiden auf Kris Erzählung reagieren werden, bin ich dennoch gespannt, was als nächstes geschieht. Ich nehme stark an, dass Luca mit vielem gerechnet hat, aber nicht damit. Er hätte wohl kaum zugelassen, dass irgendwelche Perverse seinen Kris vergewaltigen... er wird sich sicher Vorwürfe machen...
Ich bin gespannt, wie du die Folgen der letzten schrecklichen Erlebnisse von Kris weiter verarbeiten wirst :)

Bis zum nächsten Kapitel,
LG Silverdarshan
Antwort von:  Noveen
16.09.2013 07:32
Ò__ó
Das muss ich mir jedes Mal von dir anhören! Und wenn ich dich erinnern darf, du lässt mich und deine Leserschaft schon viel länger zappeln! *in Seite pieks*
Aber ich weiß schon das der Cliffi gemein ist.^^"
Und jaaa, ich denke David und Luca werden das nicht so einfach wegstecken, wenn Kris wirklich alles erzählt. Das ist ja irgendwie schon hart, wenn man sowas nicht merkt und den anderen immer vor sich hat.

Bleib gespannt...
man liest sich! <3

Schönen Wochenanfang!
Antwort von:  Silverdarshan
16.09.2013 22:16
Hmm... okay, da geb ich dir Recht.
Auch wenn ich das nicht mit Absicht mache. Ich musste ein 1monatiges Praktikum ableisten (für lau wohlgemerkt -__-°) und bin jetzt noch in der Schwebe, was meine gesamte Zukunft angeht... da steht mir ehrlich gestanden gerade nicht der Kopf, um mit meinen Jungs weiter zu machen... aber ich kann dir so viel schon verraten: 90% sind bereits fertig. Das, was also noch fehlt ist schnell geschrieben, sofern ich bald wieder die Zeit dazu finde ;)
Ich hoffe, das stimmt dich ein wenig versöhnlich ^^

Wie gesagt, auf die Reaktionen von Luca und David bin ich sehr gespannt. Insbesondere bei Luca...

LG Silverdarshan
Antwort von:  Noveen
17.09.2013 12:01
Das war kein Vorwurf und du hättest dich auch nicht Rechtfertigen müssen.
Aber ich kenn das auch, wenn man das Gefühl hat seine Zukunft steht in den Sternen.
Da hat man den Kopf voll...
und wenn das der Fall ist, dann kann man einfach keinen vernünftigen Satz zu virtuellen Papier bringen. Auch das ist mir gut bekannt!^^"
Aber 90% hören sich doch gut an! Da freu ich mich ja schon.
Wobei ich sagen muss, bei deiner Geschichte lohnt es sich auch noch einmal so lange zu warten. <3


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