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STUMME SCHREIE - Cum tacent clamant

Indem sie schweigen, reden sie...
von

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Die Spirale die sich abwärts dreht... hat dich ergriffen und ihr Sog, zieht dich hinunter in den Wahnsinn

Luca kam langsam auf ihn zu.

»Kris… ganz ruhig.«

Der Dunkelhaarige wich noch so weit zurück wie es möglich war… jetzt konnte er jede kleinste Erhebung im Putz spüren.

Kris wollte nicht dahin. Nicht hier sein.

Diese fremden Leute die ihn so ansahen wie der Eindringling, der er ja eigentlich auch war… sie machten ihm ein so ungutes Gefühl im Magen.

Die Blicke erinnerten ihn an gestern, als er so viel Aufmerksamkeit bekommen hatte. Auch wenn kein bisschen Gier in den Gesichtern stand.

Trotzdem.

Er war hier hereingeplatzt, in diese Familie. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihm da unbedingt gut gesonnen waren.

Schließlich hatte er nicht einmal nachgedacht.

Er war so egoistisch!

Warum hatte er denn nicht ausharren können?

Er hatte es doch auch schon Jahre zuvor ausgehalten… aushalten müssen!

Und das was sein schlechtes Gewissen erst recht zum Schreien brachte war Luca…

Dieser wundervolle Mensch war heute geboren worden und er hatte sich nicht dafür interessiert…

Krampfhaft versuchte er sich das Datum ins Gedächtnis zu brennen.

13 November.

Er hatte ja nicht einmal ein Geschenk!

Dabei hatte der Gothic ihm schon so viel gegeben!

Der Rothaarige hatte ihn in der Zeit seiner rasenden Gedanken nun erreicht.

»Hey… hör schon auf damit…« sagte er sanft und berührte seine Wange mit den Fingerknöcheln.

Erst jetzt bemerkte Kris, dass er unbewusst auf seiner Unterlippe herumgekaut hatte.

Er schmeckte Blut.

Unsicher blickte er in die Augen seines Gegenübers, die ihn liebenswürdig anblickten.

»Es tut mir sehr leid. Ich habe es extra nicht erwähnt… ich mag den ganzen Trubel einfach nicht. Aber meine Familie lässt sich nicht davon abbringen« lächelte er. » Komm bitte mit rüber ich möchte sie dir gerne vorstelle, okay? Und dann frühstücken wir erst einmal?«

Der Angesprochene nickte immer noch verunsichert.

Eigentlich wollte er das nicht.

Er war sowieso kein Frühstücksmensch… und selbst wenn er es wäre, jetzt fühlte er sich einfach zu miserabel um etwas zu essen.

Zu fremd… zu ungewollt…

Wobei er das Gefühl ja eigentlich gewöhnt sein müsste.

Konnte man sich an so etwas gewöhnen?

»Keine Bange, das Beißen haben sie sich schon lange abgewöhnt.«grinste Luca und zog ihn von der Wand und mit sich auf den Tisch zu.

Die Andren hatten sich bereits wieder gesetzt. Nun war die Aufmerksamkeit wieder komplett auf ihn gerichtet. Ein Schauer jagte Kris über den Rücken.

Dann kamen sie auch schon vor dem vollgedeckten Tisch zum Stehen.

»Darf ich euch vorstellen, das ist Kris. Der Klassenkamerad von dem ich erzählt habe.«

Ihm wurde freundlich zugenickt. Dann begann Luca damit der Reihe nach die Anderen vorzustellen.

»Das hier ist meine Tante Rena. Ihr gehört das Haus und alles sonst…« erklärte er und deutete auf eine stylisch gekleidete, taff aussehende Frau mit weißen Haaren. Diese hatte sie zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Stechende grüne Augen blitzten ihn amüsiert an. »Sie ist unser Vormund, wenn Mutter nicht da ist, was so gut wie immer ist. Wenn man es genau nimmt.«

Hörte er da etwa Bitterkeit in Lucas Stimme?

Oh oh…

»Freut mich dich kennenzulernen, Kris.« lenkte Rena seine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Mich freut es auch…« nuschelte er verlegen.

»Dann haben wir hier noch meine beiden Schwestern, Lucie und Lara.«

Er deutete bei den Namen auf die jeweilige der Beiden und auch diese sagten ein paar Begrüßungsworte. Lucie, die ältere der Beiden schien den Style ihres Bruders zu teilen. Das jedenfalls sagten die zerrissenen, schrillen Klamotten und die Schminke, die sie trug.

Die Kleinere stach vor allem mit den blonden Engelslocken aus der Gemeinschaft hervor und sah ihn mit großen blau - grünen Augen an. Sie sah wirklich süß aus, wie sie da so saß.

»Und das ist mein bester Freund Ben. Er ist festes Mitglied dieser Familie und schon fast so was wie ein Bruder für mich.« stellte Luca nun auch den letzten in der Runde vor.

Schwach konnte sich Kris erinnern, dass es Ben war, der ihm gestern Abend den Tee gebracht hatte… anscheinend hatte er Zeit mit Luca verbringen wollen, als er so unerwartet erschienen war.

Schüchtern lächelte er den Anderen an.

Sein Style war auch sehr außergewöhnlich auch wenn er sich recht stark von dem des Rothaarigen unterschied. Er schien eher ein Punker zu sein…

Jedenfalls sagte das der zweifarbige Iro, der ihn an dem Erscheinungsbild besonders faszinierte.

Es stand ihm. Ohne Frage.

Ben grinste zurück und deutete auf den Platz neben sich.

»Setz dich ruhig. Wir haben genug Essen für alle mitgebracht.«

Er folgte der Aufforderung. Luca setzte sich auf seine andere Seite und ringsumher begannen alle leise zu reden und zu essen.

Unschlüssig nahm sich Kris ein trockenes Brötchen, an dem er ab und zu etwas knabberte, eine Tasse Tee und ein Glas Orangensaft.

Er verabscheute Kaffee… das war schon immer so gewesen.

Der Gothic jedoch schien dieses Heißgetränk zu lieben. Das jedenfalls war schon seine zweite Tasse.

Aus den Gesprächen am Tisch hielt er sich raus, nur wenn ihn jemand direkt fragte antwortete er, traute sich aber nicht die Leute direkt anzusehen.

Störte es denn niemanden das er hier mit rumsaß, obwohl er hier eigentlich nicht hingehörte?

»Leute, danke. Aber die Geschenke pack ich nachher aus okay? Heute ist Schule… vergesst das nicht.« sagte Luca gerade grinsend.

Stimmt da war ja noch was…

»Wie lange habt ihr noch Zeit?«

»Eine Stunde.«

»Okay. Dann können wir ja noch zu Ende frühstücken!«

Diese Unterhaltung bekam der Dunkelhaarige nur am Rand mit. Ihm war gerade ein ganz anderes Problem bewusst geworden…

Heute war Schule… und er hatte keine Sachen hier!

Das hieß heute schwänzen, außer er wollte mit weinroter Schürze oder diesem Schlabberoutfit hin die Schule gehen.

Scheiße! Eigentlich konnte er es sich nach dem Sommer nicht mehr leisten zu fehlen.

Aber wenn er hingehen wollte musste er nach Hause und sich Klamotten holen und seinem Vater…-

Kris jagte eine Gänsehaut über den Rücken, als er an seinen Vater dachte.

Er würde ausflippen wenn er wieder daheim ankam als wäre nichts passiert. Nach dem Abgang von ihm gestern…

Oh Himmel er war aufgeschmissen!

David konnte er auch nicht fragen… und Luca –

»Gibst du mir mal bitte den Käse rüber?« riss ihn plötzlich eine Stimme aus seinen Gedanken.

Der Dunkelhaarige zuckte zusammen, als er so unvorhergesehen von der kleinen Schwester seines Gastgebers angesprochen wurde, die ihm auffordernd die Hand hinhielt.

Fast mechanisch griff er nach dem gewünschten Teller und reichte diesen an sie weiter.

Als er jedoch seinen Arm wieder zurückzog, stieß er die gläserne Kanne Orangensaft, aus der er sich vorhin was eingeschenkt, die er aber schon fast wieder vergessen hatte, mit den Ellenbogen an.

Der Rest war reine Physik. Seine Reflexe nicht mehr ausreichend…

Er konnte nur noch hilflos zusehen, wie diese vom Tisch segelte und auf den Fließen in ihre Einzelteile zersprang. Der Inhalt verteilte sich auf den Boden und seinen Füßen.

Am Tisch wurde es schlagartig still.

Oh nein! Bitte nicht… lass das jetzt nicht passiert sein!

Ein Zittern durchlief seinen Körper und in seinem Hals bildete sich ein fester Kloß.

Alle starrten ihn an.

»Tut… tut mir L- leid…« würgte er hervor und ließ sich vom Stuhl auf den Boden gleiten.

Sofort begann er mit bloßen Händen die Scherben zusammenzusammeln.

Er musste das in Ordnung bringen. Vielleicht war die Tante von Luca dann nicht ganz so verärgert. Oder war es sogar die Kanne von Luca selbst gewesen?

Na wunderbar!

Erst sprengte er seine Party und dann zerstörte er sein Geschirr…

Toller Freund!

Kris kämpfte mit den Tränen.

Nein! Er würde nicht hier vor allen in Tränen ausbrechen. Ein bisschen Stolz hatte er auch noch… aber wenn –

Erst als Luca nach seinen Händen griff, diese von den Scherben wegzog und er hochgehoben wurde, konnte er sich wieder auf seine Umgebung konzentrieren.

Er stieß einen Überraschungslaut aus, als er sich plötzlich auf den Armen des Gothics befand und diesem direkt in die Augen sah. Instinktiv klammerte Kris sich an seinem Hals fest.

»Kriegt dich wieder ein. Das war nur ne Glaskanne… keinen Grund so verstört zu gucken.« meinte Luca sanft. »Außerdem bist du barfuß und ich lass dich sicher nicht hier in den Scherben rumhantieren. Ich trag dich jetzt rüber, also halt dich gut fest.«

»Aber -«

»Nichts aber… das mache ich nachher.«

»Lass mal« mischte sich Ben nun ein und erhob sich. »Ich mach das schon.«

»Danke, Alter.«

Damit wand er sich ab und trug den Dunkelhaarigen mit sich aus der Küche.

Völlig überrumpelt drückte er sich an Luca und war verblüfft wie leicht dieser sich unter seinen Gewicht noch bewegen konnte. als wäre er ne überdimensionale Puppe oder so.

Unter der Haut fühlte er die Muskeln des Gothics tanzen.

Ob er wohl trainierte?

Kris kam nicht mehr dazu seine Gedanken fort zuführen, denn da wurde er schon auf die Ledercouch geworfen.

Er zuckte zurück, als Luca sofort nach seinem Fuß griff und diesen kritisch betrachtete, dann zog er sein Bein lang um auch den Rest betrachten zu können. Das gleiche machte er bei dem Anderen auch.

Verlegen entzog Kris ihm seinen Fuß wieder.

»Hör schon auf… ich hab mir nichts eingetreten… alles in Ordnung.«

»Was sollte das?«

»W – was meinst du?«

»Wie kommst du auf die hirnverbrannte Idee in den Scherben da rumzurobben…?«

»Ich…- es tut mir Leid. Ich wollte doch nicht.« Kris schüttelte heftig seinen Kopf. »Ich wollte es nur wieder in Ordnung bringen und… und…«

Luca seufzte und strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Er musterte ihn eindringlich ehe er ihm ein umwerfendes Lächeln schenkte, welches Kris erschauern ließ.

»Hör auf damit, okay? Niemand ist dir böse, das hätte jedem passieren können. Es war ein Missgeschick mehr nicht.«

Wie konnte er nur so gelassen bleiben?

Kris sah den Anderen ungläubig in die Augen, doch er konnte weder Wut noch Verachtung oder Trauer darin erkennen, nur Mitgefühl und Zuneigung.

»Jetzt sollten wir uns fertig machen. Wir müssen in ner Dreiviertelstunde los…«

Schule!

Kris erzitterte erneut und packte den Rothaarigen am Arm.

»Ich kann nicht in die Schule!« platzte es aus ihm heraus. »Ich hab doch nichts zum Anziehen… so kann ich ja schlecht gehen und meine…-«

Er brach ab und blickte nach unten.

Das konnte er einfach nicht ansprechen… es war ihm einfach so peinlich wie er gestern hier aufgeschlagen war…

Wobei, wenn er es sich recht überlegte, hatte ihn Luca schon komplett nackt und gedemütigt gesehen. Eigentlich gab es nichts, was er nicht bereits kannte.

Aber ein schöner Gedanke war das nicht.

»Hm…«

Der Andere schien wirklich darüber nachzudenken.

»Welche Größe hast du denn?«

Er nannte sie ihm ohne aufzusehen murmelnd.

Dann herrschte kurzes Schweigen.

»Ben!«

»Was ist denn?«

Die Küchentür schwang auf und der Angesprochene stand im Rahmen. In der Hand hielt er das Kehrblech, auf welchen die Splitter des Glaskruges noch funkelten wie Diamanten.

»Welche Kleidungsgröße hast du?«

Ben blinzelte. »Was?«

»Stell dich nicht dumm, man. Du hast doch gesehen wie Kris gestern angekommen ist. Und in meinen Klamotten kann er ja schlecht zur Schule gehen. Also leihst du ihm was?... ihr müsstet eigentlich ungefähr gleich groß sein.«

Kris wich verschämt den Blicken des Anderen aus.

Er konnte ihn einfach nicht direkt anblicken… genug schon das er ihn gestern auch gesehen hatte, aber das Luca das jetzt einfach so ansprach war peinlich.

»Okay. Ich hol meine Tasche runter und da kann er sich was aussuchen.«

Damit verschwand Ben wieder aus dem Türrahmen und selbige schlug wieder zu.

»Damit wäre das erledigt. Willst du so bleiben oder nochmal ins Ba - ey… was denn jetzt?«

Der Dunkelhaarige war nach vorne geschnellt und hatte sich in seine Arme geworfen.

Etwas überfordert wurde er festgehalten und es war schön irgendwie.

Er brauchte jetzt einfach Halt… und in den Armen des Größeren fühlte er sich nun einmal sicher.

»D- danke… ich… du…«

»Scht. Schon gut. Du brauchst dich nicht zu bedanken. Lass uns erst Mal alles packen.«
 

Eine halbe Stunde später saß er im Auto von Luca, in fremden Klamotten und mit einer von Lucas Taschen mit Lucas Schreibutensilien an Lucas Geburtstag.

War eigentlich nur sein Leben so scheiße?

Mit den anderen Klamotten konnte er leben. Sie passten eigentlich ganz gut… okay sie waren nicht ganz sein Style, aber das war auch nicht Sinn der Sache.

Er war einfach nur froh, dass Ben so nett war ihm etwas zu borgen und geduldig genug um zu versuchen sich den Vorstellungen von ihm anzupassen.

Mehr Glück konnte er eigentlich nicht haben.

Aber sein schlechtes Gewissen fraß ihn immer noch auf.

Luca hatte Geburtstag und er nutzte seine Großzügigkeit so schamlos aus.

Er war so in seinen Gedanken versunken, dass er erst bemerkte, dass sie angekommen waren, als Luca ausstieg, ums Auto ging und ihn dann auffordernd die Tür aufhielt.

Schüchtern lächelte er den Rothaarigen an und stieg dann aus.

Schweigend machten sie sich auf den Weg zum Gebäude und gingen hinein.

Wieder einmal war es so eine Situation wo er Lucas Gedanken überhaupt nicht nachvollziehen konnte… warum schwieg er denn nun?

War er sauer? Enttäuscht? Oder einfach nur schlecht gelaunt?

Langsam machte die Stille ihn ganz irre.

Er stand so sehr unter Strom, das seine Hände bereits zu zittern begonnen.

Was sollte er denn nur tun?

Wie konnte er sich nur erkenntlich zeigen? Luca wieder besänftigen?

Kris seufzte.

Natürlich wusste er wie… und sein schlechtes Gewissen stimmte ihm lautstark zu.

Er müsste ihm einfach etwas zum Ehrentag schenken.

Aber was?

Und vor allem wie?

Er hatte keinen Cent Geld… geschweige denn eine Idee.

Dafür kannte er den Gothic zu wenig.

Eigentlich wussten sie noch sehr wenig voneinander. Das lag ausschließlich daran das er sich nicht traute Luca Fragen zu stellen, aus Angst er könnte die Fragen zurückgeben.

Er konnte einfach nicht über alles reden.

Oh Himmel war er egoistisch!

Ihm wurde plötzlich ganz schlecht.

Aber er kam nicht mehr dazu genau zu überlegen… sie hatten den Klassenraum erreicht und waren genau mit der Lehrerin eingetroffen, die den Raum aufschloss und sofort mit ihren Unterricht begann, als sich alle auf ihren Platz gesetzt hatten.
 

Es war schon eine ganze Weile her, dass sich Kris so schlecht gefühlt hatte, das er nicht einmal ansatzweise dem Stoff hatte folgen konnte.

Seine Gedanken kreisten immer nur um eine Frage.

Was konnte er Luca nur schenken?

Eins war klar, es musste etwas sein für das er kein Geld brauchte. Und das war heutzutage einfach sehr schwierig…-

Was kostete schon kein Geld?

Die Antwort erhielt er in der Mittagspause.

Wie immer hatten sie sich auf die Bank gesetzt. Noch immer war Luca ziemlich schweigsam. Und eigentlich war es reiner Zufall, dass der Dunkelhaarige in seinen Shirt Ausschnitt schaute.

Dort sah er drei Ketten und plötzlich zuckte ein Geistesblitz durch sein Hirn.

Er sprang auf und rannte zurück in den Klassenraum.

Sicher warum war er da nicht früher drauf gekommen!

Die Kette!

Als er die Lehrerin nicht mehr am Tisch vorfand, ging er ins Lehrerzimmer und ließ sich seine Sporttasche aushändigen, die Diese jetzt immer dort aufbewahrten.

In dieser kramte er vorsichtig in der vordersten Tasche bis er seine Lieblingskette zutage förderte.

Es war die schönste die er hatte.

Die Kette und der Anhänger waren aus Silber und glänzend. Der kleine Runde Anhänger fasste einen schwarzen Onyx ein, der einen schönen Schliff hatte.

Wenn man ihn ins Licht hielt, funkelte er geheimnisvoll… es sah beinah so aus als versuche er das Licht zu absorbieren. Trotzdem war der Anhänger nicht groß genug um protzig zu wirken. Er war gerade mal so groß wie der Nagel seines kleinen Fingers.

Er liebte diese Kette; sie hatte einmal seine Mutter gehört, aber das musste Luca ja nicht unbedingt wissen. Umsichtig nahm er die Silberkette und steckte sie in die Jeanstasche, ehe er seine Sporttasche zurückgab. Dann ging er zurück ins Klassenzimmer.

Dort verpackte er die Kette in ein Blatt kariertes Papier, welches er mit selbstgemalten Ornamenten verzierte. Es war simpel und dumm…

Aber es war auf jeden Fall besser als nichts!

Es würde vielleicht etwas wehtun, wenn er sie jetzt einfach verschenkte.

Doch das war ihm egal… Hauptsache Luca freute sich und er würde nicht mehr wütend sein.

Mit diesen Gedanken machte er sich auf dem Weg zurück zu seinem Freund.

Er musste dich etwas beeilen… die Pause würde bald um sein.

Eilig ging Kris zur Bank zurück. Doch Luca war nirgendwo zu erblicken.

War er ihn suchen gegangen?

Er hatte ja nicht mal was gesagt, als er so stürmisch aufgesprungen war um seine Idee zu verwirklichen. Oh ha…

Suchend blickte er sich um und ging letztendlich zögernd auf den Pausenhof.

Kris war nicht gerne hier. Es plagten ihn viel zu viele schlechte Erinnerungen an diesem Ort, aber es lohnte sich. Denn kurz darauf sah er Luca etwas abseits stehen und mit ein paar, ihm unbekannten, Schülern sprechen.

Woher kannte er sie?

Der Dunkelhaarige schluckte.

Er war noch nie auf den Gedanken gekommen, dass Luca vielleicht hier beliebt sein könnte, wenn er nicht mit David und ihm befreundet sein würde. Was wenn er nur aus Loyalität mit ihnen hinten auf dieser abgeschotteten Bank saß?

Würde er so etwas machen?!

Ganz klares Ja… wäre er nicht dazu bereit, würde er Kris auch nicht so viel helfen.

Es war nicht so das Kris keine Minute zögerte; er zögerte lange… bestimmt länger als eine Minute. Hin und her gerissen von seinen Gedanken.

Doch schließlich tapste er zwischen den Schülern hindurch, auf seinen rothaarigen Freund zu.

Das kleine Papierpacket drückte er dabei fest an sich und klammerte es an sich wie einen rettenden Anker.

Die Reaktion der Schüler auf ihn ließ nicht lange auf sich warten.

»Schaut mal, die Schwuchtel kommt uns besuchen!« lachte plötzlich einer.

Und in null Komma nichts hatte sich der Schulhof in eine Vorhölle verwandelt. Er wurde geschubst und beschimpft. Alle schienen Freunde daran zu haben ihn zu pisacken, jetzt, wenn er schon einmal hier war.

Es war unmöglich, dass ihn der Gothic nicht bemerkt haben könnte.

In seinen Augen sammelten sich Tränen als er einen Schlag in seine linke Seite bekam.

Warum war er gleich nochmal hier runter gekommen?

»Hey, lasst ihn in Ruhe.«

Ach ja, genau!

Plötzlich war Luca an seiner Seite und zog ihn an sich.

Ungeachtet der Angreifer manövrierte er ihn aus der Gefahrenzone und zog ihn in eine etwas abgelegenere Ecke.

»Ey, was machst du denn für Sachen?... was machst du überhaupt hier unten?«

»Ich…- ich hab dich ge – gesucht« stammelte Kris, dem noch immer die Tränen über die Wangen liefen. Er presste sein Päckchen an sich.

»Gesucht?« fragte Luca überrascht und schien jetzt auch den Gegenstand wahrzunehmen, an den sich Kris die ganze Zeit klammerte. »Ist das für mich?«

Er nickte, sah schüchtern in die Augen des Anderen, ehe er ihm das provisorische Geschenk hinhielt. Sein Herz hämmerte plötzlich so laut.

Hörte er es denn nicht?

Luca nahm es an.

»Dein Erst jetzt?«

Wieder nickte Kris und sah zu Boden.

»Aber… ich sagte doch ich mag so etwas nicht. Ehrlich, du hättest mir nichts schenken müssen.«

Der Dunkelhaarige sagte nichts darauf, sah nur auf seine Stiefel, die ihm so fremd wirkten.

Er hatte gar nicht gewusst das ihm Springerstiefel so gut stehen würden… er selbst trug eigentlich nur Chucks oder Turnschuhe.

Erschrocken fuhr er zusammen als Luca, nachdem das Papierrascheln verklungen war, scharf die Luft einzog.

Ob er…?

Er zwang sich förmlich dazu aufzusehen, in die weitaufgerissenen Augen seines Gegenübers.

»Das ist… das…«

Wenn er ehrlich war hatte er Luca noch nie wirklich sprachlos erlebt.

Kris lächelte leicht, ein Lächeln das sofort wieder verschwand als er das Grölen wahrnahm.

Er hatte beinah vergessen wo sie sich hier befanden.

Anscheinend hatte ihnen der ganze Pausenhof hier zugeschaut.

Der Dunkelhaarige spürte wie seine Wangen rot wurden und sich wieder Tränen in seinen Augen sammelten.

»Hey! Lass dich nicht von der so anschwulen, Neuer!« brüllte Jemand und alle lachten.

Es war so demütigend…

Verkrampft versuchte er das Schluchzen in seinem Hals zu unterdrücken. Er würde jetzt nicht hier vor allen losweinen… nein, nein, nein…

Aber wenn Luca gleich seine Kette auf den Boden warf und in das Gelächter mit einstimmte, dann würde er sich überlegen seinen dunklen Gedanken doch nachzugeben und sich von der nächsten Brücke zu stürzen… oder vielleicht von einem Haus.

Er wurde von Fingern aus seinen Gedanken gerissen, die sein Kinn sanft nach oben drückten und dann zärtlich über seine Wange strichen.

Er blickte den Gothic genau in die Augen und ihm war so, als würde sich Luca für die Umstände entschuldigen wollen. Als würde es ihm leidtun, dass Kris ihm dieses Geschenk nicht alleine hatte geben können… konnte das sein.

»Danke. Sie ist sehr schön…« sagte der Rothaarige leise und rau. »Magst du sie mir umlegen?«

Zuerst zögerte Kris um zu realisieren was so eben passiert war.

Meinte er das nun ernst?

Als sich der Andere jedoch nicht bewegte und ihm immer noch erwartungsvoll die Kette hinhielt, trat er nun doch einen Schritt an ihn heran und legte ihm die Kette um.

Als der Verschluss zuschnappte, wunderte sich Kris etwas. Es tat nicht weh…

Nicht wie er es erwartet hatte jedenfalls…

Eigentlich war er eher zufrieden, als er das breite Lächeln von Luca sah.

»Vielen Dank für dein Geschenk.« sagte dieser noch einmal, zog ihn noch näher und drückte einen kurzen Kuss auf seine Stirn. Er schien die Augen, die sie begafften völlig zu ignorieren… Kris wünschte fast er würde das auch schaffen.

Nichts desto trotz stoben Millionen Schmetterlinge in seinen Magen auf, als er die Lippen des Anderen wahrnahm. Jedenfalls fühlte es sich so an.

Ihm wurde auf einmal so warm…

»Lass uns reingehen.« sagte der Gothic und zog ihn hinter sich her ins Gebäude.

Kris ließ es zu ohne sich zu wehren und versuchte seine Gefühle zu entdröseln.

Warum fühlte es sich plötzlich an wie schweben?
 

Der restliche Tag verging schnell.

Rasant.

Kris glaubte zu wissen, dass er glücklich war. Obwohl er das nicht so genau sagen konnte…

Fühlte sich so Glück an?

Dieser Schwebezustand und das dauernde Lächeln auf seinen Lippen, was er gar nicht mehr wegbekommen wollte.

War das Glück?

Vielleicht.

Jedenfalls wollte er so etwas öfter spüren. Es war schön.

Als es endlich zum Schulschluss klingelte, packte er seine Sachen in die Tasche seines Freundes und ging dann zu ihm an den Tisch.

Während Luca auch zusammenpackte, konnte Kris nicht anders als immer wieder zu seinem Hals zu schielen. Die Kette lag ungefähr auf Höhe seines Schlüsselbeins und passte perfekt zu ihm. Es hob sich von seiner blassen Haut wundervoll ab und war ein richtiger Hingucker.

Er bereute es nicht, sie verschenkt zu haben.

Gemeinsam machten sie sich wieder auf den Weg zu Lucas Auto. Es wirkte schon alles so selbstverständlich, dass es leicht beängstigend war.

»Können wir noch einmal bei David vorbeifahren? Ich müsste ihnen noch die Mitschriften von heute geben.« fragte er leise.

»Natürlich.«
 

Wenig später saß er bei dem Gothic zuhause.

Sie hatten gemeinsam Tee getrunken und ein bisschen Geburtstagstorte gegessen. Dann hatte er sich noch einmal bei Ben bedankt, ehe der wieder verschwunden war. Und jetzt saßen sie da und schauten irgend so eine komische Nachmittagsserie auf RTL.

Kris fühlte sich rundum wohl.

Sein Gewissen war beruhigt, er hatte sich davon überzeugt, dass es David soweit gut ging und bei jeder Berührung mit Luca flatterte sein Gemüt so merkwürdig.

Aber es war nichts Unangenehmes.

Er genoss es.

Sein Wohlbefinden wurde aber gestört als es auf Abend zuging.

»Wann soll ich dich nach Hause fahren?«

Diese Frage hätte ebenso gut ein Schlag sein können.

Instinktiv zog er seine Beine näher zu sich heran und schlang die Arme um seine Knie. Er vermied den Blick des Anderen und überlegte fieberhaft, was er dazu sagen sollte.

»Kris?« fragte Luca lauernd.

Er schien etwas zu ahnen… wahrscheinlich von Anfang an.

Warum musste er das jetzt besprechen?

»Ich… ich kann nicht zurück…« wisperte er nun. »Bitte…schick… - schick mich nicht dahin zurück. Nicht heute!«

Sanfte Finger brachten ihn dazu seine Haltung aufzugeben und seinem Gegenüber wieder in die Augen zu sehen. Nicht gewaltsam… nein… so liebevoll.

»Rede mit mir. Was ist gestern passiert?«

»Ich… ich kann das nicht.« Nun wich er doch wieder den warmen Blicken seines Freundes aus. »Bitte… nicht… ich – du würdest mich hassen…«

Luca seufzte. »Beruhig dich schon… hey, nicht weinen. Es ist alles gut. Du weißt das du hier bleiben kannst, wenn du willst, hm?«

Kris wurde in die schützenden Arme gezogen und schmiegte sich an. er versuchte die Erinnerungen, die in ihm aufstiegen zu verdrängen, indem er die Augen schloss und Lucas Geruch in sich aufnahm. Er war hier in Sicherheit…

»Es gibt Dinge, die viel Zeit brauchen, die einem aber ebenso viel geben wie Freundschaft oder auch Vertrauen. So etwas ist niemals Zeitverschwendung… und ich werde auf dich warten, Kris. Bis du bereit bist zu reden okay? Du kannst immer mit mir reden. Über alles.«

Der Dunkelhaarige schluchzte auf und drückte sich noch näher an den Anderen.

Am liebsten hätte er sich in ihm verkrochen. Er wollte nur hier bleiben…

Für immer…

Hier war es so schön warm… und er spürte nur Geborgenheit.
 

Irgendwann driftete Kris in dieser Wärme ab.

Die dunklen Gedanken und Erinnerungen zogen sich zurück… und plötzlich wurde ihm klar, was das für ein Gefühl war, was heute so deutlich geworden war.

Warum war er da nicht schon viel früher drauf gekommen?



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Billy_johnson
2013-07-17T13:57:40+00:00 17.07.2013 15:57
Wow ;-;
Wirklich verdant gut ! Schreib weiter !
Es ist so .. Intressant zu lesen.
Ich finds Echt gut xD
Antwort von:  Noveen
17.07.2013 21:07
Hallo, schön das du meine Geschichte für dich entdeckt hast...
Ich geb mir Mühe so schnell es geht weiterzumachen, aber jeder kennt die Knappheit an Zeit glaub ich. ^^

Danke für dein Kompliment.

LG
Von:  Silverdarshan
2013-06-29T10:22:24+00:00 29.06.2013 12:22
Was für ein Timing!
Einfach perfekt! Was gibt es schöneres, als sich an dem Tag, an dem man in Urlaub fährt, noch ein neues Kapitel einer richtig guten Geschichte lesen kann?!
Du hast mir hiermit meinen Urlaub redlich versüßt! Danke :D
Ich hätte nicht gedacht, dass noch etwas kommt, ehe ich fahre, aber umso mehr habe ich mich darüber gefreut ^^
Die Entwicklungen, die sich zwischen Luca und Kris abspielen sind ja nun für einen Blinden sichtbar.
Die Szene in der Kris seinen geliebten Anhänger verschenkt hat, hat mich zu Tränen gerührt ;_;
Ob Luca irgendwann erfährt, dass die Kette Kris Mutter gehört hat?
Mich würde Lucas Reaktion darauf sehr interessieren.
Fakt ist, dass die beiden mir jedesmal unheimlich Nahe gehen. Kris mit seiner verletzlichen und Luca mit seiner liebevollen Seite.
Ich hätte nie gedacht, dass einer Story mit einem Emo und einem Gothik mich so in den Bann ziehen kann, daher ein großes Lob an dich. Die Tragik in der Geschichte lässt wohl niemanden kalt.
Schade, dass es so wenige Leser gibt, die dir hier ein Feedback hinterlassen. Ich lese wirklich viel, aber deine Geschichte ist immer wieder ein Hochgenuss und eine meiner Lieblingsstorys hier.
Daher hoffe ich sehr, dass du nicht die Lust verlierst sie hier zu posten, ich werde dir Treu bleiben bis zum Schluss :)

Soo... und jetzt pack ich meine Sachen und dann ab ans Meer <3
Sonne, ich komme :D

LG und bis zum nächsten Kapitel
Silverdarshan
Antwort von:  Noveen
30.06.2013 04:45
Hallo.^^

Dann hatte ich wohl eine Art innere Eingebung, was?
Jedenfalls freut es mich das ich dir deinen Urlaub versüßen konnte
und natürlich wünsch ich dir ein paar super entspannte Tage und so.
Lass es dir gut gehen. >_<

Vielen Dank für das große Lob...
*rotwerd*
Und wenn auch nur ein paar Menschen so denken reicht es mir.

LG


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