Zitternt und ängstlich
"Nein!", kommt es bestimmt aus meinem Mund und genau so wie
ich es sage, so meine ich es auch. Doch meine Ex-Freundin lässt
nicht locker. Ich stehe mit ihr auf dem großen Platz, wo sie mich
abgefangen hat. Ich bin eigendlich gerade auf dem Weg zu meinen
Freunden in den Proberaum. Diesmal wollen wir uns nur so treffen.
Es ist Samstag und Jack hat beschlossen, trotz Kälte im Garten seiner
Eltern zu grillen. Der Proberaum ist direkt auf dem Grundstück seiner
Eltern.
Da ich auf dem Weg zum Proberaum eh immer am Blumenladen
vorbei muss, wollte ich gleich noch die Gelegenheit wahrnehmen
und noch mal nach Bailey sehen. Schließlich hat der Laden Samstag
immer bis 15:00 auf. Das passte gerade in meinen Zeitplan und es
fällt nicht so auf. Aber, wie sollte es anders sein, kommt mir diese
blöde Kuh dazwischen. Genau,ich kann sie immer noch nicht leiden,
oder vielmehr, nicht mehr! Spätestens seid dem sie so tussig
geworden ist.
"Ach komm schon Nathan, sei nicht so ein Spielverderber."
"Nein! Und jetzt lass mich in Ruhe!", entgegne ich genervt und
zerre mich von ihr los.
"Jetzt sei doch nicht so. Ein Abend mit mir auf der Feier. Danach
könnten wir...", sie schnappt sich wieder meinen Arm und drückt
ihre Brust dagegen. Wiederlich. Bin ich Freiwild oder was?
Wütend zerre ich meinen Arm wieder los und schubse sie dabei zur
Seite.
"Jetzt hör mal zu! Ich habe absolut null Bock mehr auf dich!
Kapier das und geh mir aus der Sonne!", rufe ich laut und mehr als
deutlich. Ich wette damit, dass es bestimmt der halbe Platz
mitbekommen hat, aber das ist mir gerade egal. Eher zufällig sehe
ich wie Bailey seinen Blick fast hektisch von mir abgewendet hat. Er
hat mich also gesehen und vielleicht hat er es sogar durch die offene
Ladentür gehört, wie ich rumgebrüllt habe. Das macht sicher keinen
guten Eindruck auf ihn, wo er doch so schreckhaft ist. Aber ich kann
doch nichts dafür. Dieses Weib regt mir einfach auf. Die hat es
immer noch nicht kapiert. Wie kann man nur so begriffsstutzig sein?
Danke auch.
Auf Baileys Blick erwiedere ich vorsichtshalber nichts. Diese Tussi
geht das Alles nichts an, aber wenn die mir jetzt jedes Mal auflauert,
wenn ich hier Bailey beobachte wird die Sache noch komplizierter,
als sie ohnehin schon ist. So werde ich keine Ruhe mehr haben. Das
wird irgendwann selbst dieses Weib mitkriegen. Also muss ich mein
Baileystalking für heute abbrechen und mache mich schleunigst
vom Akker. Ich nenne es einfach mal "Flucht". Aber meine
Ex wäre nicht meine Ex, wenn sie jetzt einfach nachgeben würde.
Sie muss unbedingt noch einen drauf setzten. Immer muss die
stressen. Immer dann, wenn ich das gar nicht gebrauchen kann.
Die behandelt mich wie erwähnt wie Freiwild. Jetzt gerade braucht
sie wen, der sie tröstet, weil ihr neuer Macker keinen Bock mehr auf
sie hat. Vermutlich ist sie dem auch fremdgegangen. Kann ich voll
nachvollziehen,das der da keine Lust drauf hat.
"Nathan! So kannst du mit mir nicht umspringen! Du weißt ganz
genau, das ich dich noch liebe!", ruft sie mir nach.
"Ich dich aber nicht, das solltest du langsam begriffen haben. Dein
Problem ist einfach, dass du unfähig bist ne richtige Beziehung zu
führen. Wenn du mich wirklich lieben würdest, hättest du nicht mit
den anderen Typen geschlafen. Beim ersten Mal habe ich dir noch
verziehen, aber danach war Sense. Das habe ich dir auch gesagt.Jetzt
brauchst nur einen den du ausleiern kannst, bis du was Neuses
gefunden hast. Aber das kannst du mal schön vergessen! Ich bin
nämlich nicht einer von diesen notgeilen Typen, die sowas nötig
haben.", sage ich ihr und mache mich entgültig vom Akker.
So schnell kann sie mir in ihren Stöckelschuhen nämlich nicht
folgen. Hallelulia. Allerdings ärgert es mich immer noch, das ich
mich nicht voll und ganz Bailey widmen konnte, weil das Weib mich
ja abgelenkt hat. Er hat mich zwar kurz angesehen, aber ich konnte
nicht erkennen, ob er noch ein Pflaster an der Wange hat, oder gar
eine neue Wunde? Ich hoffe nur, das es ihm gut geht.
"Nathan, da bist du ja, wo hast du so lange gesteckt?", fragt Meg.
"Ach meine Ex hat mir mal wieder aufgelauert. Die hat mich die
ganze Zeit vollgesülzt und sich an mir festgeklammert.", jammere ich.
Meg verzieht verstehent das Gesicht.
"Ohje. Die rennt dir immer noch nach?", fragt sie. Ich nicke dazu.
"Hast du das noch gar nicht mitbekommen Meg? Das macht sie doch
schon, seid er mit ihr schluss gemacht hat.", bemerkt Jack.
"Ja, immer dann, wenn sie mal wieder nen vorzeigbaren Typen
braucht, taucht sie bei ihm auf.", ergänzt Suki. "Da war doch sicher
wieder ne Party im Spiel oder?!"
Ich nice und Suki schüttelt den Kopf.
"Die hat doch einfach nur n Rad ab. Frag mich, was bei der abgeht."
"Ich wills gar nicht wissen.", antworte ich.
"Ich auch nicht. Aber lasst uns nicht über die nachdenken, sondern
feiern. Morgen schlafen wir dann erstmal richtig aus, dann ist die
Sache vielleicht längst vergessen.", schlägt Jack vor und meine
Freunde und ich stimmen zu. Jack ist heute mal nicht depremiert,
da ihm die Haare nicht zu berge stehen. Ein gutes Zeichen, dann wird
es wohl heute Sonne geben? Sicher, Jacks Haare lügen nicht, da bin
ich mir ziemlich sicher.
"Meine Eltern sind heute unterwegs und kommen erst morgen wieder.
Wir haben also das Haus für uns allein."
"Oh klasse. Sturmfrei ist immer gut.", freut sich Suki.
Ich nicke, auch wenn ich mich gerade nicht wirklich dafür begeistern
kann. Da bleibt mir eigendlich nur, das mich das ein bisschen von
dieser verzwickten Situartion ablenkt.
Meg, Suki und Jack scheinen auf jeden Fall eine Menge Spaß zu haben.
Jack wuselt irgendwann in die Küche und holt das Fleisch.
Meg und Suki schieben mich mit hinter ihm hinterher.
"So, kümmert ihr euch um den Kartoffelsalat und das
Kreuterbaguette? Ich denk schon mal den Tisch und schmeiß dann
den Grill an.", erzählt Jack. Meg und Suki nicken synchron, ich tue
dies verzögert, weil ich mit meinen Gedanken permanent abdrifte.
"Wird gemacht Chef.", kündigt Meg an.
"Sehr schön, freuen wir uns auf ein leckeres Essen.", teilt Jack mit.
"Juchuuu, Kartoffelsalat.", höre ich Suki.
Gesagt, getan. Alle machen sich an die Arbeit. Da werden vorgekochte
Kartoffeln geschnitten und souße hergestellt mit viel Majonese. Dazu
noch Gurken und Tomaten geschnitten, als kleine Snaks und natürlich
wird der Kartoffelsalat auch noch etwas mit Erbes und einigen
Tomaten gefüllt, damit es auch noch nach etwas Anderen schmeckt.
Bald duften dazu noch die Kreuterbaguettes, die ich in den Ofen
geschofen habe. In der Zwischenzeit stelle ich einen süßen Nachtisch
her. Himbeermaskapone. Lecker das Zeug. Das finden meine Freunde
offentsichtlich auch. Meg und Suki machen nämlich schon große
Augen.
"Nase weg! Das gibt es nach dem Essen.", erkläre ich und stelle den
Nachtisch in den Kühlschrank.
"Ja, schon gut.", jammert Suki und zieht eine lange Schnute.
"Hihi, Suki gedulde dich. Ich musste auch auf den Kuchen warten,
obwohl er so verlockend war.", harkt Meg ein. Doch da scheint das
schon fast vergessen zu sein. Suki lässt die Nase in die Luft ragen.
"Das riecht schon nach dem Fleisch.", stellt er fest. "Lecker. Schnell,
lasst uns den Salat ins Wohnzimmer stellen und dann lasst uns essen,
essen, essen!"
Ungeduldig hibbelt und hüpft er durch die Küche. Meg kichert und
stimmt dem zu.
Als wir nach draußen, in den Garten kommen, steht Jack tatsächlich
am Grill unter einer großen Plane in der Nähe, des Wohnzimmers.
Das ist mit einer Terassentür ausgestattet, die direkt in den Garten
führt. Drinnen ist der Tisch gedeckt. Draußen wäre es definitiv noch
zu kalt, doch zumindest die Sonne scheint. Jack packt gerade einige
Stücke Fleisch und Wurst auf einen großen Teller. Er sieht uns sofort
und lächelt uns entgegen.
"Ah, ihr kommt gerade rechtzeitig. Fleisch ist schon fertig."
"Sehr gut, Kartoffelsalat und Baguette auch.", teilt Meg ihm mit.
"Und die kleinen Snacks.", schiebt Suki hinterher und stellt die
Teller mit Gurken und Tomaten auf den Tisch im Wohnzimmer.
"Das sieht alles echt wunderbar aus.", meint Jack und drückt mir den
großen Teller in die Hand, damit ich ihn reinbringen kann.
"Langt zu. Ich habe noch genug da.", erzählt Jack und schon sitzt
Suki am gedeckten Tisch. Er schaut uns an und bedeutet uns, uns
hinzusetzten. Das tun wir auch, damit er ein bisschen ruhiger wird.
Jack lächelt wieder und ist amüsiert, ebenso wie Meg. Sogar mir
entlockt er ein Lächeln. Suki ist schon eine Nummer für sich.
So verläuft der Tag in seinen Bahnen und wir haben zusammen
noch sehr viel Spaß. Viel mehr, als ich erst erwartet habe.
Nach dem Essen wird die Küche wieder auf forderman gebracht
und gegen Abend kräuseln sich wieder Jacks lange, schwarze
Haare. Es wird doch nicht etwa regnen? Wir sitzen gerade auf dem
großen Sofa, essen alle die Himbeermaskapone, und schauen eine
der DVDs, die Jack aus seiner Wohnung mitgebracht hat. Es ist
irgendeine Komödie, die zum schreien komisch ist. Jedenfalls
lachen alle. Nur ich halte mich etwas zurück.
"Woow, die Himbeermaskapone is echt super. Die hast du echt
klasse hinbekommen.", strahlt Suki und die Anderen nicken dazu.
"Stimmt, die ist wirklich klasse.", meint Meg.
"Ja, aber davon mal ab. Sag mal Nathan, du bist heute so still.
Hat dich deine Ex so ark maltretiert?", bemerkt Jack, der trotz
seiner sich mehr und mehr kräuselnden Haare ausnahmsweise
mal nicht jammert. Vielleicht liegt das ja daran, dass er hier
praktisch zu Hause ist und ihn niemand außer uns sieht.
Ich nicke.
"Ja und nein. Ich möchte jetzt nicht über diese Tussi reden.",
und dabei bleibe ich auch.
So gegen null Uhr dreißig machen wir es uns auf den
aufpumpbaren Matratzen gemütlich, die Jack mit uns
aufgepumpt und bezogen hat. Wirklich gemütlich mit den
Decken und Kissen. Die bilden eine echte Kuschellandschaft.
Zwei Stück an der Zahl sind das. Eine große und eine Kleine. Jack
und ich teilen uns die Große, Suki hat seine eigene, weil er nachts
immer so wühlt und Meg schläft auf dem einzigen Bett im Zimmer.
Wir reden noch eine ganze Weile, bis Suki und Meg irgendwann
verstummen. Die Beiden schlafen meist immer sehr schnell ein,
wärend Jack und Ich oft noch lange wach liegen und quasseln.
Manchmal gehen wir auch noch mal runter, damit Jack eine
rauchen kann. Heute ist das nicht anders. Allerdings raucht er
selten bis nie. Er stubst mich an.
"Kommst du noch mal mit?", fragt er und antworte mit einem, "Ja."
Gemeinsam gehen wir dann runter auf die Terrasse. Zum Glück
war es gerade trocken. Also muss sich Jack auch nicht mehr über
sich kreuselnde Haare ärgern.
Nun stehen wir also auf der Therasse. Jack bläßt den Rauch
genüsslich in die Luft.
"Willst du mir jetzt sagen, was los ist?", fragt er. Er schaut mich
bei der Frage nicht an und ich ihn nicht. Beide stehen wir hier und
starren in die Nacht hinein.
"Musst nicht, wenn du nicht willst, aber...vielleicht hilft das ja. Ich
glaube jedenfalls nicht, dass, das nur mit deiner Ex zusammenhängt."
Ich lächle ertappt. Jack kennt mich schon ziemlich lange. Seid dem
Kindergarten. Irgendwie schafft er es immer wieder meine Gedanken,
oder Gefühle zu erraten, aber das schafft er manchmal sogar bei
Menschen, die er weniger gut kennt. Es ist wohl eine Gabe, die nur
sehr wenige Menschen haben. Soetwas wäre sicher auch ziemlich
praktisch bei Menschen wie Bailey, die sich Anderen total
verschließen. Aber auf so eine Gabe kann ich nun mal nicht
zurückgreifen. Ich muss das aus eigener Kraft schaffen.
"Merkt man das?", frage ich also.
"Klar. Du warst doch schon am Schulfest so seltsam. Was hast du
wirklich da gemacht?", will er wissen und zieht nochmal an seiner
Zigarette, ehe er sie auf dem Boden ausdrückt und aufhebt, um sie
einzustecken. Dann schaut er mich erst an.
"Ich hab da einen Jungen gesehen, den ich vom Sehen kenne.Bevor
wir zum Auftritt sind, ist der wie verrückt aus einer der Türen
gerannt. Er wirkte so hektisch und als wir ferig waren, bin ich
hinterher. Ich hab ihn gefunden und er lag im Cafe' in einem der
Räume auf dem Boden.", erzähle ich wahrheitsgemäß.
"Ach deswegen bist du noch mal raus. Und du kennst ihn vom
Sehen?", fragt er.
"Ja.", murmle ich.
"Und woher?"
"Vom Blumenladen, an dem ich immer vorbeikomme, wenn ich zur
Bandprobe gehe. Das erste Mal habe ihn am Valentinstag getroffen,
als ich die Blumen für meine Mutter besorgt habe. Seid dem geht er
mir nicht mehr aus dem Kopf. Er war so still und hat mich kaum
eines Blickes gewürdigt. Und als ich ihn dann dort in diesem Raum
habe liegen sehen...irgendwie hat mich das getroffen...also er
aufgewacht ist, war er total verstört, ist sofort weggelaufen."
Jack hört mir aufmerksam zu. Schließlich macht er ein
nachdenkliches Gesicht. Er grübelt. Das sehe ich ihm an.
"Hm, stimmt, das ist wirklich komisch. Vielleicht hat er ja ein
traumatisches Erlebnis hinter sich.", merkt er an. Ich bin mir
ziemlich sicher, das er auch meine Gefühle bemerkt hat, aber er sagt
nicht dazu. Das finde ich auch ganz gut und wenn ich darüber
nachdenke, könnte Jack tatsächlich recht haben. Aber was
ist nur geschehen? Ob das Pflaster an seiner Wange auch von einer
solchen Situartion stammt? Wie gerne wüsste ich es.
*
Eine Woche später erscheint Bailey nicht wie gewohnt zur Arbeit.
Mitlerweile ist es schon wieder Donnerstag und er ist weder Montag,
noch Mittwoch dort gewesen. Vielleicht hat er ja auch in einem der
hinteren Räume gearbeitet. Aber das erscheint mir unwahrscheinlich.
Bestimmt eine halbe Stunde habe ich dort gestanden und den Laden
beobachtet, ehe ich wieder losgemusst habe zur Bandprobe.
Mittlerweile denke ich wirklich darüber nach, ob ich nicht tatsächlich
einer von diesen bekloppten Stalkern bin, die wie versessen ihr Opfer
beobachten. Jedoch, bin ich noch nicht so verrückt ihn bis nach Hause
zu verfolgen. Nein. So krass war ich dann auch nicht drauf.
Ich komme mir aber trotzdem irgendwie so richtig bescheuert vor. Das
Alles nur,weil ich verliebt bin. Unrettbar verliebt. Unglaublich. Bei
meinen vorigen Beziehungen war ich glaube ich nie so drauf, nicht mal
Ansatzweise.
Das waren denke ich, allerdings auch andere Umstände. Das hat weniger
mit der Tatsache zu tun, das Bailey ein Kerl ist, sondern mehr mit diesem
seltsamen Verhalten, das er an den Tag legt. Ich denke nicht, das ich
ihm ganz einfach sagen kann, oder vielmehr darf, das ich mich in ihn
verliebt habe. Das könnte ihn vielleicht verschrecken. Wenn ich Pech
habe, versteht er das auch falsch. Vielleicht hält er mich dann gleich für
ein wildes Raubtier oder so. Das muss ich unbedingt vermeiden!
"Na-tan, bist du da?", unterbricht mich die kleine Lisa von meinen
Gedanken. Sie schaut mich von unten an und zieht mit ihren Händchen
an meiner Hose.
"Wir wollten doch ein Schloss bauen.", erinnert sie mich mit ihrer
kindlichen Stimme.
"Oh, klar, ich bin da. Du meinst ein Prinzessinnenschloss?", frage ich
sie, nachdem ich mich wieder auf ihre Augenhöhe gehockt habe. Lisas
Augen fangen an zu leuchten.
"Aujaaaa,...und, ich bin die Prinzessin und du der Prinz.", teilt sie mir
fröhlich mit. Gerade in diesem Moment kommt Karin und hockt sich
dazu.
"Ein Prinzessinnenschloss?", Lisas Blick huscht zu ihr.
"Jaaa...und wir sind dann Prinz und Prinzessin.", erklärt sie ihr. Karin
nickt. Sie schaut nachdenklich aus.
"Aber dann braucht ihr doch noch Kronen. Damit es noch echter wirkt.",
schlägt sie vor. Eine klasse Idee, wie ich festelle, denn Lisas Augen
leuchten noch mehr.
"Hoaa, eine Krone, Na-tan für die Prinzessin und den Prinz.", ich muss
lächeln. Sie ist doch einfach zu süß.
"Ja, sag mal haben wir denn noch gelbes Papier?", frage ich Karin.
"Ja haben wir und ich glaube wir haben auch noch Glitzer.", erzählt
sie mir und plötzlich tauchen noch weitere Kinder neben uns auf. Die
haben wohl mitbekommen, was wir vor haben. Kinder sind aber auch
zu neugierig. Gerade das macht sie so wunderbar und so frei.
"Ich möchte auch eine Krone.", erzählt Laura.
"Ich auch, ich auch.", plappern Malte und Ricardo, die bis eben noch
ein Bilderbuch über Autoas angesehen haben. Karin kichert vergnügt.
"Ich glaube es ist noch genug Papier da. Was haltet ihr davon, wenn
jeder eine Krone bastelt."
Das bringt bei den Kindern große Begeisterung zu tage. Alle hocken sich
an den großen Tisch und Karin und ich verteilen das Papier. Allerdings
reicht es nicht für jeden an gelben Papier. Die Kinder stört es nicht.
Jeder nimmt ein buntes Papierstück in der Lieblingsfarbe und bastelt
eine kleine Krone mit Glitzer. Zur Befestigung machen wir jeweils ein
Gummiband daran und schließlich laufen alle Kinder mit kleinen
Könchen durch den Raum der Häschengruppe.
Im Anschluss baue ich wie versprochen mit Lisa ihr
Prinzessinnenschloss aus Bauklötzen. Um sie noch glücklicher zu
machen spiele ich ihren Prinzen und Trage sie durch den Raum und
nehme gleichzeitig noch die Rolle des weißen Pferdes des Prinzen ein.
Wenn es die Kleine glücklich macht, warum auch nicht. Schließlich
hat man ja nicht alle Tage ein Pferd in Menschengestalt, das obendrein
noch ein Prinz und ein Held in einer Person ist. Na das nenne ich mal
multitasting.
Nachmittags liegen alle Kinderchen auf ihren Matrazen und machen
es sich erst mal bequem. Auch ich habe mich dazu gesellt.
Zwei der Kinder haben sich rechts und links an mich gekuschelt,
wärend Karin eine Geschichte, über Prinzessinnen und Drachen
vorließt. Morgen wird dann eine Geschichte über Autos drankommen,
so hat es sich einer der Jungs gewünscht. Zum Schluss sind dann alle
Kinder eingeschlafen und halten ihr Mittagsschläfchen.
Wieder so gegen 15 Uhr werden die Kinder wieder abgeholt und ich
bin langsam fertig mit meinem Dienst. Nächste Woche ost die letzte
Woche hier im Kindergarten. Dann geht es wieder in die Schule.
"So ich gehe dann mal, bis morgen."
"Ja, bis morgen Nathan.", verabschiedet sich Karin.
Mein Fahrrad steht wie immer draußen. Ich schließe es auf und
mache mich auf den Weg.
Beim Radeln durch die Allee tanke ich die Sonne, die heute schon den
ganzen Tag scheint. Angenehm wärmt sie mein Gesicht, das mit einer
leichten Briese des Windes umspielt wird. Ein herrlicher Tag. Schöner
könnte er nicht sein. Obwohl, doch könnte er. Wenn Bailey jetzt bei
mir wäre und glücklich lächeln würde, dann wäre dieser Tag perfekt.
Das, das aber so leicht nicht passieren wird, ist mir klar.
Eigendlich juckt es mir ja in den Fingern, heute nochmals einen
Umweg zum Blumenladen zu machen, aber ich verzichte darauf. Ich
muss ja nicht mehr Aufmerksamkeit erregen, als nötig.
*
Freitagabend bin ich wieder feiern. Diesmal mit Jack. Kurz nach der
Bandprobe haben wir uns getroffen und waren erst bei mir und haben
etwas Playstation gespielt. Abends gegen 21:00 sind wir dann
losgezogen.
In eine der Discos in der Stadt. Eine gute. Die spielen hier eine gute
Mischung aus Metal, Rock, und Punk. Jack und ich setzten uns auf
eins der großen Sofas. Wir reden über die Bandprobe, die heute super
war und ich erzähle ihm vom Kindergarten und den Krönchen, die wir
gestern gebastelt haben und auch von Bailey, der heute wieder nicht auf
der Arbeit erschienen ist.
"Du machst dir wirklich Sorgen nicht wahr?", fragt er.
"Ja, irgendwie schon. Ich weiß ja nicht, was mit ihm ist."
"Das ist sicher, weil die diese Situartion nicht aus dem Kopf kriegst
oder?"
Ich nicke. Wir lehnen uns beide zurück. Die Sofas hier sind wirklich
bequem. Wir reden noch eine ganze Weile und trinken Bier.
Irgnendwann schleppt Jack mich dann auf die Tanzfläche. Gerade
jetzt wird ein Lied gespielt zu dem er seine Langen Haare so wunderbar
in der Luft herrumwirbeln lassen kann. Headbangen. Wenn mans das
erste Mal macht,und vor allem zu viel, kann man ganz schön
Nackenschmerzen kriegen. Ich hatte das mal. Grausam das Erwachen
am nächsten Morgen. Ich weiß noch wie ich den ganzen Tag vor
Schmerzen gestönt habe. Andauernt habe ich mir den Nacken gehalten.
Sah zum Schreien komisch aus. Sogar Jack hat dabei gelacht, als er das
gesehen hat. Sonst ist er eher der ernstere Typ.
Gemeinsam rocken wir die Tanzfläche. Zu uns mischen sich noch ein
paar andere Typen und Mädels, die uns antanzen. Ich mache mit.
Wozu bin ich sonst in der Disco? Tanzen macht Spaß, auch mit den
Mädels und es ist ja immer nur für den Abend. Ich schlapp ja keine ab.
Das ist nicht so mein Ding. Ich wurde aber auch schon ein paar Mal
nach meiner Nummer grfragt, doch ich lehne jedes Mal ab. Vor allem,
seidich Bailey kenne.
Erst nachts verlassen wir die Disco wieder. Es dürfte so zwei Uhr
morgens sein. So kriegen wir noch den Nachtbus. Autofahren ist
nämlich nicht, wenn Jack was getrunken hat, was auch richtig so
ist. Wenn ein Unfall gebaut wird, bekommt er auf jeden Fall die
Schuld. Das kann man ja vermeiden, wenn man einfach nicht fährt.
Manche sind aber meist so doof und tuen es noch stockbesoffen.
"Das war eine Abend. Ich bin richtig ausgepowert.", erzählt Jack.
"Ja ich auch.", stimme ich ihm zu., "Und die frische Luft tut echt gut.",
füge ich aufatmend hinzu. Jack nickt. Er streckt sich einmal der Länge
nach in den Himmel, der jetzt voller Sterne ist. Romantisch, wenn man
es genau betrachtet. Ich mag diese Atmosphäre ja total. Die ist richtig
gemütlich. Schlechtes Wetter kann einem richtig auf die Laune fallen.
Zur Bushaltestelle ist es zum Glück nicht weit. Ich kann mir vorstellen,
das dieses alte Ding, in Holzoptik, extra nur gebaut wurde, für die
Gäste dieser Disco. Vielleicht irre ich mich da ja auch.
So wie wir es oft tuen, treten wir in die Holzhaltestelle ein, die von
außen nicht einsehbar ist. So sehen wir erst, als wir drinn sind, das
sich dort jemand mit angezogenen Beinen auf die breite Bank gesetzt
hat. Er hat die Arme um seinen Körper geschlungen und die Stirn auf
die Knie gelegt. Das sieht fast wie eine Schutzposition aus. Auf dem
Kopf sitzt eine Pudelmütze die keinen Bommel hat. Die genaue Farbe
kann ich nicht erkennen, denn die Laterne, die draußen brennt,
scheint nur schummrig hinein. Vielleicht ist es eine Mischung aus
blau, grau und weiß? Unwichtig. Viel mehr interessiert mich jetzt wer
das ist. Er gibt keinen Laut von sich und irgendwie kommt mir das
jetzt bekannt vor. Nein, das kann nicht sein.
"Hey, da ist ja jemand.", flüstert Jack. Ich nicke.
"Sieht aus, als würde er schlafen.", führt er fort.
"Ja.", flüstere ich und nehme ihn am Arm und zerre ihn mit nach
draußen ein Stück an die Seite. Dann flüstere ich ihm meine
Vermutung ins Ohr. Er schaut mich nachdenklich an.
"Meinst du? Vielleicht solltest du ihn mal ansprechen, damit du
sein Gesicht siehst.", schlägt er leise vor. Ich weiß erst nicht, ob
ich das wirklich tun soll. Was wenn er wieder so schreckhaft
reagiert? Egal. Ich muss es wagen, also beschließe ich wieder in die
Haltestelle hineinzu gehen. Der Mensch, der auf der Bank sitzt rühert
sich, sobald ich eintrete. Sicher hat er geschlafen und ich habe ihn
geweckt, aber..
Vorsichtig nähre ich mich ihm. Jack bleibt zur Sicherheit am
Eingang stehen, falls er wieder panisch wird. Mehr Menschen auf
einem Haufen könnten ihn noch mehr verschrecken.Wenn ein Mensch
so panisch wird, kann wer weiß was passieren. Besonders, wenn man
solche Angst vor anderen Menschen hat.
Ich setzte mich mit etwas Abstand neben ihn und gehe es ein wenig
an, wie bei den kleinen Kindern. Bei denen begebe ich mich immer
auf die gleiche Augenhöhe. Meine Größe könnte ihn wieder Angst
machen.
"Hey. Alles klar?", frage ich mit ruhiger Stimme. Keine Reaktion.
"Bailey?", spreche ich klar und deutlich. "Wenn du hier sitzen
bleibst und schläfst wirst du dich erkälten."
Ganz langsam rühert sich was. Die Mütze hebt sich langsam. Das
Gesicht, das langsam erkannbar wird, ist das, welches ich mir so
ersehnt habe. Es schaut verschlafen. Bailey scheint gar nicht zu
merken, was um ihn herum passiert. Dafür sehe ich noch etwas
ganz anderes. Etwas das mich schockiert. Nun ziert nicht mehr
nur ein großes Pflaster seine Wange, sondern auch ein blaues
Auge auf der linken Seite, das Gesicht. Es ist nicht übergroß, aber
doch deutlich zu sehen. Ist er deswegen nicht zur Arbeit
erschienen?
"Bailey? Bailey! Was ist passiert?", frage ich. Bailey aber macht
plötzlich ein entgeistertes Gesicht, das sich dann in Angst
umwandelt. Von der einen auf die andere Sekunde scheint er
hellwach zu sein. So wie auf diesem Fest. Wieder drückt er sich
erschrocken in die Ecke und geht eine Schutzposition ein.
"Du musst keine Angst haben. Ich tu dir nichts.", verspreche ich
sanft. Dabei bin ich sehr geduldig und lass ihm die Zeit sich zu
beruhigen. Sobald ich lauter werde, wird er sich noch mehr
verkriechen, oder gar wieder weglaufen. Ob es eine Art ist sich
"freizulaufen"?
Bailey verkrampft sich total, zittert wie Äspenlaub. Was ist nur
geschehen? Ich will es wissen! Nur nicht ungeduldig werden.
Meine Besorgnis steigert sich mit jeder Minute.
Langsam rücke ich noch ein Stück von ihm weg. Ich will ihm nicht
auf die Pelle rücken. Vielleicht ist ihm diese Nähe ja unangenehm,
obwohl ich schon Abstand halte. Jedoch rühert sich was, als ich
meine Nähe noch ein wenig reduziere. Der Kopf hebt sich wieder.
Da sind wieder diese Augen, die so angsterfüllt sind. Die
Verletzungen in seinem Gesicht. Er sieht so gebrochen aus, so
traurig, zutiefst verletzt. Wer kann einem Menschen nur sowas
antun?
Draußen klopft Jack an die Holzkante und streckt seinen Kopf
sehr vorsichtig am Balken vorbei in unsere Richtung. Sein Blick
berühert Baileys nicht im Geringsten. Er scheint zu spüren wie
er sich fühlt.
"Nathan, der Bus kommt gleich.", berichtet er mir mit ruhiger
Stimme und zieht den Kopf wieder zurück. Ich nicke. Dann wende
ich mich wieder Bailey zu. Ich gebe mir Mühe, das mein Blick dem
von ihm nicht streift.
"Bailey, so heißt du doch. Ich bin Nathan. Tut mir leid, das ich
dich neulich so erschreckt habe.Möchtest du heute zu mir
kommen? Hier wirst du dir eine Erkältung holen.", frage ich leise.
"Meine Wohnung hat nur ein Zimmer, aber ich verspreche dir,
dir nicht zu nahe zu kommen."
Zittrig schaut er auf. Er hat keine Handschuhe an. Seine Finger
scheinen durch das schummrige Licht fast blau gefroren.
"Komm mit, der Bus ist auch gleich da. Du scheinst sehr zu
frieren."
Er scheint sich auf die Lippen zu beißen. Dann aber nickt er
sehr langsam und unsicher. Ich atme erleichtet auf. Gerade
richtig, weil der Bus in dieser Minute anfährt.
Ich zeige mit dem Finger auf den Bus.
"Ich zahle deine Karte.", erzähle ich. Bailey nickt und kommt
mir hinterher, mit Abstand. Jack geht vorraus.
Ich bezahle Baileys und mein Ticket und wir steigen ein.
Nur kurz halte ich ihm das Ticket hin. Er nimmt es mir mit
zittriger Hand ab. Ich nicke dazu nur und setzte mich neben
Jack, auf einen Vierer in den leeren Bus. Bailey setzt sich mit
Abstand auf einen anderen Platz. Als Erstes muss ich es also
schaffen sein Vertrauen zu gewinnen, um den Abstand zu ihm
zu verringern zu können. Daher beschließe ich ihn erstmal
nicht zu berühren, Abstand zu halten und ihm nicht direkt in
die Augen zu sehen, damit er sich nicht bedrängt fühlt.
Das wird weiß Gott nicht einfach, aber da muss ich durch. Er
muss wirklich etwas Schlimmes erlebt haben,wenn er so
reagiert.
"Ich geh dann mal los. Ist ja nicht weit von hier.", erklärt Jack,
als er sich verabschiedet. Nur kurz geht sein Blick leicht in
Baileys Richtung, dann gen Himmel und schließlich zu mir.
"Schlaft schön .", mit diesen Worten geht er. Bailey schaut ihm
hinterher. Seine Gegenwart scheint ihm nicht ganz so viel Angst
zu machen. Jack hat wirklich so eine Gabe. Bei ihm hat man
immer so ein gutes, beborgenes Gefühl. Ist das auch bei Bailey
so? Wie gern würde ich diese Gabe haben.
"Komm mit. Wir müssen ein paar Treppen steigen.", erkläre ich.
Ich gehe einfach mal vor und hoffe, dass Bailey mir nachkommt.
An die Hand nehmen kann ich ihn ja nicht,weil ihn das wieder
verschrecken könnte.
Ich schließe die große Tür des Mehrfamilienhauses auf und lasse
den Jungen eintreten. Dann gehe ich vorraus die Treppen hoch.
"Komm mit."
Bailey folgt mir. Ich höre es an seinen Schritten, die sehr leise
sind. Es ist fast so, als tritt er gar nicht auf. Als wir dann oben
sind, schließe ich meine Wohnungstür auf und mache das Licht
an. Ich gehe herein und lasse Bailey an mir vorbei laufen. Dann
schließe ich die Tür hinter mir.
Ich ziehe Jacke und Schuhe aus, lege alles an seinen Platz. Erst
als ich mich aus dem Flur ins Wohn und Schlafzimmer begebe,
um meine Tasche abzulegen,tut Bailey es mir gleich. Ich sage ihm
aus Prinzip nicht, was er tun soll, um ihn nicht zu verschrecken.
Wenn er seine Schuhe nicht ausziehen mag, lasse ich ihn. Ich
muss ihm unbedingt zeigen, das ich ihm einen Weg zur Flucht
lasse.
"Möchtest du was essen oder trinken?", frage ich und schaue
ihn kurz an.
Er schüttelt den Kopf.
"Möchtest du duschen? Da kannst du dich etwas aufwärmen.Du
kannst die Tür von innen abschließen, wenn du willst. Ich würde
dir auch was zum Anziehen leihen.", erkläre ich.
Bailey steht leicht verkrampft dort. Er zerrt nervös an seinem
Kaputzenpulli. Nur sehr langsam gehe ich auf ihn zu. Sobald ich
nur einen Schritt zu nahe bin, geht er einen Schritt zurück, bis
ihm die Wand im Rücken steht. Als ich das bemerke, gehe ich
wieder ein Stück zurück.
"Entschuldige. Möchtest du? Oder willst du gleich schlafen
gehen?", frage ich mit ruhiger Stimme. Nicht zu hektisch. Ich
lasse ihm die Zeit mir zu antworten. Kurz bewegen sich seine
wohlgeformten Lippen. Sie bleiben wortlos, ehe sie noch einmal
ansetzen etwas zu sagen.
"Duschen...", flüstert er mehr, als das er spricht. Seine Stimme
klingt weich, etwas änstlich.
Ich nicke und gehe gleich an meinen Schrank. Ich hole ein
großes Badehandtuch und ein kleines Handtuch hervor.
Anschließend suche ich einen langärmlichen Schlafanzug.
Karriert zum knöpfen. Der wird ihm gut stehen, dafür aber
etwas zu lang sein. Ich strecke ihm die Sachen entgegen.
"Hier. Benutz einfach mein Duschzeug, ne zweite Zahnbürste
findest du im Schräckchen.",teile ich ihm mit und er nimmt es
zögerlich entgegen. Seine Hände zittern. Kurz spüre ich, wie
einer seiner Finger, den meinen streift. Schon diese zarte
Berührung jagt mir ein Kribbeln durch den Körper. Ich seufze
erstmal, als er im Badezimmer verschwindet.
Ich nutze die Zeit, um alles vorzubereiten.
Unter meinem Bett ist eine Kiste,mit weiterem Bettzeug, das ich
hervorzerre. Es steckt fest. Mit einem Ruck schlüpft es heraus.
Im nächsten Moment krame ich in einem anderen Bettkasten
und suche ein Laken herraus. Eines dieser kuschligen, weichen.
Alles zusammen trage ich zu meinem breiten Sofa. Ich lege das
Laken darüber und eine Decke und ein Kissen. Hier werde ich
es mir gemütlich machen, da ich beschlossen habe, Bailey mein
Bett zu überlassen. Gemeinsam darin zu schlafen erscheint mir
zu diesem Zeitpunkt noch undenkbar. Dabei würde er sich sicher
nur verkrampfen und nicht schlafen können, wenn er es
überhaupt diese Nacht schafft. Jetzt wo er nicht mal das Zimmer
abschließen kann.
Danach krame ich meine Schlafsachen herraus. Ausmahmsweise
schlafe ich heute mal im Schlafanzug.
Ich begebe mich in die Küche um noch etwas zu trinken. In dem
Moment, in dem ich die Wasserflasche in den Kühlschrank stelle,
höre ich die Badezimmertür. Ich stelle mich in den Rahmen der
Küchentür und sehe wie Bailey herrauskommt. Sein Blick weicht
meinem kurzerhand aus, als er meinem begegnet. Er hat mein
Schlafanzug angezogen und seine Sachen ordentlich
zusammengelegt in der Hand. Ich gehe etwas auf ihn zu und
bleibe mit Abstand vor ihm stehen.
"Da...bin ich...", murmelt er, wärend er leicht einen Schritt
zurückweicht. Seine Sachen presst er gegen seine Brust.
"Ja. Möchtest du schlafen? Du kannst mein Bett benutzen. Ich
schlafe auf dem Sofa."
Er wendet seinen Blick in die Richtung des Zimmers, wo das
große Bett steht.
"Du kannst dich schon mal ausbreiten, ich werde jetzt duschen
gehen. Bis gleich.", sage ich, hole meine Sachen und verschwinde
im Badezimmer. Ich ziehe mich aus, dusche, ziehe meinen
Schlafanzug an und putze die Zähne. Die zweite Zahnbürste, die
Bailey scheinbar benutzt hat, liegt meinem Zahnputzzeug. Ich
lächle und stecke sie in den Zahnputzbecher. Ich denke über
sein verstörtes Gesicht nach und über diese Ängstlichkeit. Dann
noch das Veilchen an seinem Auge. Ich mache mir wirlich Sorgen.
Ich hoffe nur, dass er diese Nacht ohne Angst übersteht. Ach was
rede ich da für ein wirres Zeug zusammen. Sicher wird er nicht
ohne Angst hier schlafen. Vor allem bei einem völlig Fremden.
Etwas sagt mir nämlich, das er nicht nur normale häusliche
Gewalt erlebt hat. Dieser Schmerz muss ziemlich tief sitzen.
Sehr tief.
Zum Schluss ruble ich mir noch die Haare ordentlich trocken
und bürste sie durch. Fertig. Leise öffne ich die Tür einen Spalt.
Ich trete aus und lösche überall das Licht. Im Wohn- und
Schlafzimmer, lasse ich es erstmal noch an. Dort sehe ich mich
um. Bailey liegt weder im Bett, noch auf dem Sofa. Ich gehe
einige Schritte weiter. Ich sehe, wie er neben dem Bett an der
Wand hockt. Er hat seine Beine angezogen und seine Arme
wieder darum gelegt. Der Kopf liegt wieder auf seinen Knien.
Seine Sachen liegen neben ihm. Er zittert.
"Bailey? Was ist los?", frage ich sanft. Ich nähere mich noch
einige Schritte, dann hocke ich mich zu ihm herunter, auf
seine Augenhöhe.
"Hey. Willst du nicht schlafen gehen? Du zitterst total. Leg
dich ruhig hin. In meinem Bett ist es viel gemütlicher als
auf dem Boden."
Ich versuche ihm das Bett schmackhaft zu machen. Aber
vielleicht liege ich mit meiner Vermutung richtig, und
gerade das Bett macht ihm Angst. Ich bin doch ein Trottel.
"Möchtest du lieber auf dem Sofa schlafen?"
Langsam hebt er den Kopf. Seine Augen sind leicht gerötet.
Hat er etwa geweint? Warum? Mach ich ihm denn so große
Angst? Das tut mir im Herzen weh.
Ich stehe auf und mache ihm den Weg frei.
"Such du aus, wo du hinwillst.", überlasse ich ihm die
Entscheidung. Ich beschließe mich auf einen Stuhl zu
setzten, damit er Abstand zu mir hat. Doch ich werde
aufgehalten. Plötzlich hält seine Hand mein Shirt fest.
Perplex drehe ich mich um. Er steht neben mir. Seine Hand
zittert. Ich lege den Kopf schief.
"Soll ich bei dir bleiben?", frage ich. Bailey gibt kein Wort,
nicht mal eine Geste von sich. Mit einem Mal geht er weiter
auf mich zu. Er scheint wie hypnotisiert. Sein Blick ist
nicht zu definieren. Vielleicht ist er mir gerade näher,als
ihm bewusst ist. Es ist fast so, als sei er in einer völlig
anderen Welt. Er stellt sich auf die Zehenspitzen und
versucht mich zu küssen. Mir ist aber klar, das er das nicht
aus freien Stücken versucht, sondern aus einem Impuls
heraus, der ihm scheinbar eingetrichtert wurde. Also doch.
"Nein! Bailey!", ich habe ihn an den Schultern gepackt und
ihn von mir gedrückt. Bailey kommt wieder zu sich.
Verspätet bemerkt er, das ich ihn ja festhalte und bekommt
wieder Panik. Schnell lasse ich ihn los und er hockt sich vor
meine Füße. Er kauert sich zusammen, zittert verängstigt.
Langsam hocke ich mich zu ihm herunter.
"Tut mir leid.", dann stehe ich auf und will zu meinem Sofa
gehen. Mit einem Mal spüre ich, wie sich Bailey von hinten
an mir festkrallt. Seine Stirn scheint sich an meinen Rücken
zu drücken. Wir bleiben eine Weile so stehen, bis ich der
Annahme bin, das sein Zittern etwas aufhört und er mich
wieder loslässt. Erst dann drehe ich vorsichtig um.
Sein Kopf hat sich wieder gen Boden gesenkt. Seine Hand
krallt sich wieder in meinem Shirt fest.
"Darf....ich bei dir...bleiben?", fragt er leise.
"Willst du das wirlich? Ist dir das nicht zu nahe?", er
schüttelt langsam den Kopf.
"Okay. Dann komm.", er nickt und löst sich von meinem
Shirt. Ich hole meine Decke und mein Kissen vom Sofa und
lege alles aufs Bett, ehe ich es mir dort bequem mache. Ich
lasse das Nachtlich an und knipse das große aus. Bailey
folgt mir langsam zum Bett und legt sich erst zögerlich neben
mich. Ich ziehe ihm vorsichtig seine Decke über die Schultern.
Das lässt er mit einem leichten Zittern über sich ergehen.
Dann kuschle ich mich in meine eigene Decke. Ich gebe acht
etwas Abstand zu halten. Das Bett ist zum Glück groß genug.
Jetzt liegen wir zum ersten Mal nebeneinander und schauen
uns an. So nah. Mein Herz klopft. Schnell wendet sich Baileys
Blick sich wieder leicht ab und er schließt die Augen. Ich tue
es ihm gleich und hoffe, dass er diese Nacht gut schlafen wird.