30. Sept. 2025 - Ema
Ich wusste nicht, ob das Glück heute auf meiner Seite stand oder nicht.
Einerseits hatte ich einen Sitzplatz, andererseits fuhr der Busfahrer wie eine
gesengte Sau. Die alte Frau vor mir war ein Zeugnis dessen; sie hüpfte
tatsächlich einen alternativen Twist, wenn auch nicht komplett freiwillig. Und
irgendwie hätte ich ihr gern meinen Platz angeboten, aber das ging beim besten
Willen nicht. Sich während dieser Fahrt erheben zu wollen, wäre einem Selbstmordversuch gleichgekommen.
Natürlich hätte ich einfach aussteigen und den nächsten Bus nehmen können,
aber ich war spät dran. Da kam es mir ganz recht, dass der Fahrer – aus
welchen Gründen auch immer – es wahnsinnig eilig hatte.
In meiner Tasche lag ein Schreiben, das ich die vergangene Woche wohl an die
hundert Male gelesen hatte. Ich sollte heute bei Staatsanwalt Gavin vorstellig
werden. Es war ein wenig mysteriös, dass ich fast postwendend zu meiner
Bewerbung eine Vorladung erhalten hatte. Und obendrein war ich enttäuscht, dass
Miles Edgeworth wohl nicht mehr in diesem Bezirk als Staatsanwalt tätig war.
Irgendwie hatte ich gehofft, mal eines Tages für ihn arbeiten zu können.
Immerhin war Mr. Edgeworth der Held meiner Jugend. (Nicht, dass ich alt wäre
oder so...)
Aber vielleicht war es auch ganz gut so. Ich wollte nicht wissen, was er zu
meiner misslungenen Forensikprüfung gesagt hätte. Ja, ich war durchgefallen,
aber das war nicht meine Schuld!
Dieser dämliche Prüfer hatte... Moment, das hier war doch die
Staatsanwaltschaft, oder?
Ich starrte wie ein verschrecktes Meerschwein durch die offenen Bustüren.
Aussteigen, aussteigen, aussteigen! Mit einem Satz war ich draußen und einen
Sekundenbruchteil später schlossen sich die Türen. Noch mal Glück gehabt,
Ema.
Von wegen! Als ich weiter gehen wollte, bemerkte ich, dass meine Tasche zwischen
den Türen klemmte. Ich wiederum klemmte bedingt durch den Tragegurt an der
Tasche. Argh.
„Stop! Meine Tasche steckt fest!“ Ich hämmerte wie eine Blöde gegen das Glas.
Mein Herz setzte aus, als der Bus anrollte und ich mitlaufen musste.
„Anhalten, da sind meine Snackoos drin!“ Vor lauter Panik überschlug sich
meine Stimme. Im nächsten Moment hielt aber der Bus und die Türen öffneten
sich. Puh! Offenbar hatten sich ein paar Fahrgäste erbarmt den Busfahrer zu
informieren.
Als ich die Fußgängerzone zur Staatsanwaltschaft überquerte, sah ich mich
noch ein paar Mal argwöhnisch nach dem Höllenfahrzeug um. Vollidiot. Ich
ignorierte einfach mal den Fakt, dass es komplett nicht seine Schuld war.
Jetzt stand ich vor diesem Gebäude und Erinnerungen kamen auf. Wie viele Jahre
waren seitdem vergangen? Zehn? Ich war so lange in Europa in gewesen, dass ich
mich mittlerweile in L.A. fremd fühlte. Aber ich hatte jetzt keine Zeit zum
grübeln. Die Staatsanwaltschaft war ziemlich groß, das wusste ich noch,
deshalb erkundigte ich mich gleich beim Pförtner um Zeit zu sparen.
Ich kaute mir etwas Mut an, während ich dem empfohlenen Gang folgte.
Munch. Munch. Munch.
Letztendlich erreichte ich eine Tür mit einem wichtig aussehenden Schild:
Klavier Gavin
Irgendwie fand ich diesen Namen höchst dämlich. Wie sprach man das überhaupt
aus? Egal. Im Fall der Fälle würde Mr. Gavin ohnehin genügen.
Ich klopfte an, trat ein und hatte das Gefühl im komplett falschen Film
zu sein. Wieso hingen hier Gitarren an der Wand? Obendrein fielen mir fast die
Ohren ab, weil mich drei verschiedene Musiksender von Bildschirmen anplärrten.
Inmitten dieses Krachs thronte eine blondbezopfte Gestalt.
„Tschuldigung, falsche Tür“, murmelte ich und zog die Tür wieder hinter
mir zu. Offenbar hatte man Gavins Büro verlegt, also ging ich wieder zum
Pförtner, … der mir dann glauben machen wollte, dass DAS wirklich Gavins
Büro war. Mir blieb keine Wahl als zu dem Gitarrenbunker zurückzustapfen. Ich
riss erneut die Tür auf und betrachtete das Blondchen.
„Ich suche Staatsanwalt Gavin.“
Der Typ – ja es war einer – stand eilig von seinem Sessel auf und ging mit
langen Schritten auf mich zu.
„Dann bin ich Ihr Mann, ja? Kommen Sie doch rein, Fräulein Skye! Ich habe Sie
schon sehnsüchtigst erwartet!“, sagte er und schob mich in den Raum hinein um
dann die Tür zu schließen. Er deutete auf einen freien Stuhl und begab sich
dann selbst wieder in seinen Sessel.
"Bitte setzen Sie sich doch! Eine Unterhaltung ist gleich viel angenehmer, wenn
man es bequem hat, ja?"
Ich bewegte mich keinen Zentimeter und beäugte ihn skeptisch. Was sollte das
sein – eine Rockbarbie!? Der Kerl hatte vielleicht Nerven, nur war ich leider
im Moment nicht zu Scherzen aufgelegt.
"Wirklich witzig. Aber könnten Sie mir jetzt bitte verraten, wo ich Mr. Gavin
finde?" Ich sattelte die Tasche auf meiner Schulter, die leicht verrutscht war
und sah ihn unverwandt an. Was sollte das? Jeder Hornochse sah, dass das kein
Staatsanwalt war!
Er grinste breit und lehnte sich in seinem Sessel nach vorn.
"Mein liebes Fräulein Skye, was bringt Sie zu der Annahme, ich sei nicht
Klavier Gavin, aufsteigender Staatsanwalt und berühmter Rockstar? Dies ist das
Büro des Staatsanwalts Gavin, ja? Zumindest war es das noch, als ich es heute
morgen betreten habe. Außer mir befindet sich niemand sonst im Zimmer und, wenn
es Sie glücklich macht, kann ich Ihnen gerne mal meine Marke zeigen!"
Ohne den Blick zu senken, griff er in sein Jackett nach einem kleinen Mäppchen
und schob es über den Tisch.
"Das Foto sollten Sie nicht zu genau betrachten. Die Belichtung war sehr
ungünstig und der Fotograf war ein regelrechter Stümper. Es zeigt mich nicht
gerade von meiner Schokoladenseite."
Ich griff ziemlich genervt nach dem Teil. Rockstar, Staatsanwalt – kein
bisschen größenwahnsinnig, was? Natürlich inspizierte ich besonders eingehend
das Bild. Verdammt, die Stempel und Wasserzeichen schienen alle echt zu sein, so
viel stand fest und... nicht doch! Ich starrte auf das Geburtsdatum.
14.Oktober 2001
WAS!? Der war ja noch jünger als ich. Pf!
Mir blieb nichts anderes übrig als zu akzeptieren, dass der Typ – oh, sein
bescheuertes Grinsen wurde immer breiter – tatsächlich Staatsanwalt Klavier
Gavin war. Also legte ich das Mäppchen zurück auf den Tisch und nahm dann
Platz. Ich hatte mich schon in Grund und Boden blamiert, bevor das
Vorstellungsgespräch überhaupt begonnen hatte. Herzlichen Glückwunsch, Ema,
neuer Rekord. Ich löste die Tasche von meinen Schultern und murmelte etwas, das
verdächtig klang nach: „Tschuldigung. Ich wusste ja nicht... Ich meine, Sie sehen nicht aus wie..."
Ich hielt inne mit meiner Stammelei, atmete tief durch und sah Gavin fest in die
Augen.
"Können wir anfangen oder was hält Sie auf?"
Er lehnte sich wieder zurück, während er sein Mäppchen in seiner Tasche
verschwinden ließ und breitete nonchalant die Arme aus.
"Rein gar nichts, Fräulein Skye. Ich habe nur auf Sie gewartet."
Dann nahm er sich eine Akte zur Hand und blätterte darin.
"Hier drin stehen ein paar hübsche Fakten über Sie. Aber ich finde, die
Meinung dritter ist immer ein bisschen... voreingenommen. Deshalb will ich
es noch mal persönlich von Ihnen hören. Was bringt Sie dazu, hier als
Detective anzufangen? In Ihrem Zeugnis steht, Sie wären es bei der Forensikprüfung ein bisschen zu locker angegangen. Ich hoffe, diese Einstellung bringen Sie nicht auch Ihrer Position als Detective entgegen. Schließlich will ich mit Ihnen den Gerichtssaal so richtig rocken. Eine halbherzige Einstellung könnte mich meine Show und Sie ihren Job kosten, ja?"
Also das war doch...! So was Unverschämtes!
"Zu locker angegangen? Ich hör wohl nicht recht!" Ich schnaubte verächtlich.
"Es ist mir egal, was auf dem Stück Papier da steht. Ich weiß, dass ich es
kann! In der Prüfung kamen so komische Fragen dran. Das hatten wir nicht mal
durchgenommen, okay?!"
Meine Stimme ging merklich eine Oktave höher. Wieso rechtfertigte ich mich
überhaupt? Das hatte ich gar nicht nötig. Ich wandte den Blick ab und musterte
den Teppich. Was sollte ich denn sagen? Dass ich keine Wahl hatte und irgendwie
meine Miete bezahlen musste? Was wusste dieser Typ schon über mich, außer der
Tatsache, dass ich durch eine Prüfung gefallen war? Aber es war zwecklos. Ich
hatte es eh schon verbockt, also sagte ich besser gar nichts mehr.
"Natürlich. Das war allerdings nicht besonders fair, einem jungen Fräulein
gegenüber, ja? Aber seien Sie unbesorgt. Ich bin immer fair! Ich werde nichts
von Ihnen fordern, was Sie nicht können. Wenn es Ihnen also zu viel werden
sollte, sagen Sie mir das ruhig."
Versuchte er sich gerade über mich lustig zu machen? Ich hatte plötzlich das
Gefühl, als er rede zu einem kleinen Kind.
"Dafür erwarte ich aber von Ihnen, dass Sie auch fair zu mir sind. Es wäre
nicht cool, wenn uns ein Verbrecher durch die Lappen ginge, nur weil Sie Ihre
Arbeit nicht ernst nehmen, ja?"
Meine Nasenflügel blähten sich auf und wie in Zeitlupe hob ich mein Gesicht
vom Teppich zu ihm.
"Na da bin ich aber erleichtert, dass Sie es mir so einfach machen", sagte ich
zuckersüß und gab mir keine Mühe die Ironie in meiner Stimme zu verbergen.
"Ich schätze, Sie strotzen nur vor Kompetenz. Bestimmt haben Sie schon eine Milliarde Verbrecher eingebuchtet und allen im Gerichtssaal gezeigt, wo der
Frosch die Locken hat." Mein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig von
gespielt begeistert zu... nicht sehr nett. Dass ich als Detective nicht in Frage
kam war das eine, aber dass er sich jetzt noch über mich lustig machte und
vorgab mit mir zusammen arbeiten zu wollen... zur Hölle mit ihm!
Er lachte.
"Nun, übertreiben Sie aber, Fräulein Skye! Eine Milliarde? So alt bin ich noch
nicht! Aber ich hoffe, mit Ihnen zusammen werde ich die Marke noch knacken, ja?"
Jetzt reichte es.
„Schönen Tag noch, Mr. Gavin.“ Ich stand auf. Er tat es mir gleich und war
mit seinen langen Beinen schneller an der Tür. Als er sie mir aufhielt, grinste
er schon wieder so dämlich.
"Ich erwarte Sie morgen früh um Sechs zum Briefing, ja? Ich freue mich schon darauf, mit Ihnen zu rocken, Fräulein Skye."
Offenbar war Gavin masochistisch veranlagt und wollte, dass ich ihm mal
demonstrierte für wie lustig ich ihn hielt.
„Natürlich. Um Sechs“, entgegnete ich augenrollend und stolzierte aus der
Tür.
Das war nicht besonders gut gelaufen. Obwohl, nicht ganz. Es war eine absolute
Katastrophe!
Als ich unten am Pförtner vorbei ging, ärgerte ich mich maßlos über mich
selbst.
Aber was hatte Lana immer gesagt – positiv denken.
Zwar hatte ich jetzt keinen Job, aber alles war besser, als mit diesem
Glimmerfop arbeiten zu müssen!